M+ Nr. 20, Frühjahr 2017

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Das Gesundheitsmagazin / Ausgabe Nr. 20

FRAU

V I H & E L U W H C S , EN


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1 Name zum Schutz der Persönlichkeitsrechte geändert.


EDITORIAL MÄNNER

PROTECT YOUR GABI! Frauen sind kein Thema für schwule Männer. Frauen mit HIV schon mal gar nicht. Und das ist überhaupt nicht gut so. Denn MSM könnten Frauen in den besten Jahren eine Menge beibringen. Was nötig wäre. Weil es diese Frauen sind, die sich seit 2005 wieder häufiger mit HIV anstecken. Weil sie oft keine Ahnung haben. Und keinen besten Freund, der ihnen im Fall der Fälle sagen kann: „Geh doch mal zum Test, Süße.“ Schwule Männer gehören zu der Gruppe, die am besten über HIV und AIDS informiert ist. Weil sie länger als alle anderen in Deutschland gegen HIV kämpfen und vor 30 Jahren angefangen haben, sich selbst zu helfen. So einen besten schwulen Freund hätte auch Regina gut gebrauchen können. Sie ist eins der Gesichter von „Kein Aids für alle“, der neuen Kampagne der DAH. Links ist sie mit ihren Hunden zu sehen. Bei Regina war alles zu spät. Nach Gürtelrose, Gehirnhautentzündung und diversen Atemwegserkrankungen, machte ihr Arzt endlich einen HIV-Test. Regina fiel aus allen Wolken, weil sie positiv war: „Das kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Ich war dreimal verheiratet, bin nie aus der Ehe ausgeschert, hatte drei gesunde Söhne bekommen. Wer denkt denn da an HIV?“, erinnert sich die forsche Frau, die lange als Buchhalterin gearbeitet hat. „Ich war wirklich naiv!“ Diese Ausgabe der M+ ist ein Mittel gegen die Naivität. Protect your Gabi! Gebt euer Wissen weiter und schützt so eure besten Freundinnen. Sie werden es euch ein Leben lang danken. Gut informierte Grüße und viel Spaß beim Lesen! Paul Schulz & Christian Lütjens

AUTOREN DIESER AUSGABE Axel Neustädter (an) KORREKTUR Redaktion

www.mplus-magazin.de HERAUSGEBER Michael Taubenheim (V.i.S.d.P.) CHEFREDAKTION Christian Lütjens (cl), Paul Schulz (pasch) ART DIRECTOR Matthias Panitz REDAKTION Christian Lütjens (cl) Paul Schulz (pasch) Tel: + 49.30.615 003-28 E-Mail: maenner@brunogmuender.com

FOTOGRAFEN DIESER AUSGABE DAH/Johannes Berger, Coverillustration: SHUTTERSTOCK.COM/JOHAVEL COVER-BILD shutterstock.com VERLAG Bruno Gmünder GmbH Kleiststr. 23 - 26 10787 Berlin Tel.: +49.30.615 003-0 Fax: +49.30.615 003-20

ANZEIGEN Robert Gieseler +49.30.615 003-31 Fax: +49.30.615 003-20 anzeigen@brunogmuender.com VERTRIEB Bruno Gmünder GmbH Geschäftsführer: Michael Taubenheim +49.30.615 003-50 / Fax +49.30.615 003-53 distribution@brunogmuender.com HERSTELLUNGSLEITUNG Michael Graupner zwei G consult Druck Printed in EU

M+ ist ein Sonderheft der Marke MÄNNER. Für unverlangt eingesandtes Material wird nicht gehaftet, es wird nicht retourniert. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Alle Rechte vorbehalten. Aufnahme in Online-Dienste und Internet sowie Vervielfältigungen auf Datenträger wie CD-ROM, DVD-ROM etc. nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Bruno Gmünder Verlages. Der Rechtsweg für jegliche Verlosung im Heft ist ausgeschlossen. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 24 vom 01. Oktober 2015 © 2017: Bruno Gmünder GmbH ISSN 0935-8838


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INTRO

PLAKATIV In Hamburg versammelt die Ausstellung „Keith Haring: Posters“ eine weltweit einzigartige Kollektion von Plakaten aus der Feder des Pop- und Street-Art-Pioniers

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FOTO: KEITH HARING FOUNDATION / USA CELEBRATES UNICEF!, 1988

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m 4. Mai wäre Keith Haring 59 Jahre alt geworden. Ob ihm das gefallen hätte? Wahrscheinlich schon. „Ich werde malen so viel ich kann“, schrieb er in seinen Tagebüchern. „Für so viele Menschen wie möglich und so lange es geht.“ Wirklich lange ging es nicht. Harings Karriere dauerte ziemlich genau zehn Jahre. 1980 zog er von Pittsburgh nach New York und wurde mit seinen markanten StrichmännchenGraffitis schnell berühmt. 1988 wurde er HIV-positiv getestet, 1990 starb er an den Folgen von AIDS. Er wurde 31 Jahre alt. In seiner späten Schaffensphase setzte sich der schwule Workaholic intensiv mit AIDS und dessen Stigma auseinander. Dabei entstand auch das berühmte „Ignorance = Fear / Silence = Death“-Plakat für ACT UP (Bild rechts). Haring war aber schon vor seiner Erkrankung ein politischer Künstler. Zeit seiner Karriere pinselte er gegen Rassismus, Homophobie, Tierquälerei und Drogenmissbrauch an. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe spiegelt in „Keith Haring: Posters“ all diese Themen. Gleichzeitig illustriert die Ausstellung Harings Einflüsse auf die E- und U-Kultur, für die er gleichermaßen Plakate entwarf. Sein künstlerischer Anspruch war, Brücken zu bauen – zwischen Gesellschaften und Kulturen, zwischen Nationen und Kontinenten, zwischen Homos und Heteros. Den universellen Anspruch an seine Arbeit formulierte er so: „Kunst bedeutet nichts, wenn sie nicht jede Bevölkerungsschicht erreicht.“ Gemessen an diesem Motto kann man die Bedeutung des Künstlers Keith Haring nicht hoch genug schätzen. Das zeigt „Keith Haring: Posters“ in über hundert Plakaten, die erstmals in dieser Vollständigkeit zu sehen sind. (cl) 31. Mai bis 5. November www.mkg-hamburg.de


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TERMINE

DIE TERMINE IM

FRÜHLING

KAMPAGNE

POP

Wohltätig rot werden

Wahrhaftig treu

U2-Frontmann Bono hat mit seiner Initiative Product Red schon viele Coups in knallrot gelandet – darunter Starbucks-Becher, Armani-Uhren und Vespa-Helme. Auch das Unternehmen Apple beteiligt sich seit zehn Jahren an der Aktion, bei der eingeführte Produkte im Corporate-Design von Product Red als Special Edition herausgebracht werden, deren Erlöse AIDS-Projekten zugutekommen. Seit Ende März lässt die (Red)-Kollektion der Generation iPhone 7 die Herzen der AppleSammler höher schlagen. Neben dem Telefon (869 bis 1.009 Euro) sind auch (Red)-Specials wie Cases, Apple-Watch-Armbänder, ein iPod Shuffle und ein iPad-Cover im Angebot (35 bis 119 Euro). www.apple.com/de/product-red

Dass Erasure im Sommer als Vorgruppe von Robbie Williams spielen, wird ihnen eigentlich nicht gerecht, aber wenn es hilft, größere Massen zu erreichen, bitte sehr. Charts-technisch konnten die jüngsten Alben der britischen Queerpopper ja nicht mehr so recht an die großen Erfolge aus den Achtzigern und Neunzigern anknüpfen. Trotzdem sind sich Andy Bell und Vince Clark immer treu geblieben. Auch das neue Album „World Be Gone“ (erscheint am 19. Mai) ist ein Traum aus überschwänglichen Synthies und pathetischen Gesten, die kein anderer so wahrhaftig rüberbringen könnte wie Andy – der nicht nur offen schwul, sondern seit 2004 auch offen positiv ist. www.erasureinfo.com


UMFRAGE

Auf Kur Die Themenwerkstatt „Reha, wir kommen“ der Deutschen AIDS-Hilfe will zur Verbesserung von Kuren für HIV-Positive beitragen. Die Initiatoren brauchen dafür Erfahrungsberichte. Bis 15. Mai sind Positive, die Reha-Maßnahmen absolviert oder beantragt haben, aufgerufen ihre Eindrücke online zu Protokoll zu geben. Mehr: www.aidshilfe.de

KONGRESS

Salzburger Bewegung Das Motto des Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses (DÖAK) lautet in diesem Jahr „HIV in Motion“. Damit zollt die Fachtagung der Bewegung Tribut, die durch PrEP und Therapie als Prävention in die Community von Positiven und Präventionisten gekommen ist. Die Veranstaltung findet bei ihrer achten Ausgabe zum dritten Mal in Österreich statt. Im Salzburger Kongress am Mirabellgarten diskutieren Experten Themen wie „Sexy Prävention“ und „Heilung“. 14. bis 17. Juni, www.doeak.com GALA

FOTOS: APPLE.COM, DORON GILD, SALZBURG CONGRESS, ZDF, GAYINMAY.DE

Welke vs. Lindner Die Bonner Operngala zugunsten der Deutschen AIDS-Stiftung ist im besten Sinne klassisch. Kontrovers war sie bisher eher nicht. Das könnte sich in diesem Jahr ändern. Als Schirmherr fungiert nämlich FDP-Chef Christian Lindner, während die Moderation Satire-Profi Oliver Welke übernimmt. Das Pikante an dieser Kombination bringen die Initiatoren der Gala Arndt und Helmut Andreas Hartwig folgendermaßen auf den Punkt: „Dass Oliver Welke sich in der heute-show so oft mit der Partei von Christian Lindner beschäftigt hat, beide aber zum ersten Mal bei der Operngala Bonn persönlich aufeinander treffen, verspricht einen interessanten Abend.“ Interessant könnte es freilich auch wegen schnittigen Sängern wie dem kosovarischen Tenor Rame Lahaj und dem ukrainischen Bass Alexander Tsymbalyuk werden. Aber das ist der klassische Teil. 20. Mai, www.aids-stiftung.de

FESTIVAL

Auf PrEP? Das „Gay in May“-Festival Osnabrück hat 2017 das Motto „Es wird Zeit“. Im Plakat trifft die „Merkel-Raute“ auf den Rosa Winkel. Ein starkes Symbol für die Forderung nach Gleichstellung im Heute und Entschädigung von Homophobie-Opfern der Vergangenheit. Am 11. Mai wird im Vortrag „Are You PrEPared“ die Zukunft von PrEP in Deutschland diskutiert. www.gayinmay.de TESTAKTION

Auf der Zielgeraden Das Projekt „Schwule Vielfalt erregt Niedersachsen“ (SVeN) geht in die Endrunde. Bis 31. Mai werden in niedersächsischen Städten kostenlose Tests auf sexuell übertragbare Infektionen durchgeführt. Das große „STI-Check“Angebot war auf ein Jahr angelegt und nahm neben HIV auch Syphilis, Tripper und Hepatitis in den Fokus. Ob eine Fortsetzung folgt, bleibt abzuwarten. www.svenkommt.de www.mplus-magazin.de

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PORTRÄT

Armistead Maupin mit Olympia Dukakis, die Anna Madrigal in der „Tales of the City“-TV-Serie verkörperte

„ERZÄHL VON DER LIEBE UND DEM MUT“ Armistead Maupin hat mit „Die Tage der Anna Madrigal“ gerade den neunten und letzten Band seiner Stadtgeschichten vorgelegt. Er weiß genau, wie man über HIV und AIDS schreibt. Auch weil er der erste US-Schriftsteller ist, der das je getan hat. Darüber wollten wir reden

Die Tage der Anna Madrigal sind vorbei. Du hast als ihr Erfinder fast 40 Jahre mit Anna verbracht. Fehlt sie Dir? Willst Du nicht lieber über Donald Trump sprechen? Ist das momentan nicht wichtiger als mein Buch? Wir können beides tun: Was würde Anna denn zu Donald Trump sagen? Sie würde ihn, ähnlich wie ich, als Zeichen dafür betrachten, wie verkommen Amerika ist. Dafür, dass alles, was gut und zivilisiert ist an unserem Land, den Bach runtergeht. Als ich vor Jahren das erste Mal nach Deutschland kam, dachte ich, ihr wärt das am wenigsten nationalistische Land der Erde und fand das gut. Die USA hingegen befinden sich mitten im Versuch der Regierungsübernahme durch Quasi-Faschisten.

Fehlt Dir als Autor da der sichere Hafen, der die Stadtgeschichten für Dich auch waren? Diesen Ort gibt es in meinem Kopf ja noch. Und allen, die Barbary Lane, den Schauplatz der Stadtgeschichten, lieben, geht es wohl auch so. Das ist schön. Fiktion ist immer ein sicherer Ort. Ich habe in den letzten zwei Jahren eine Autobiografie geschrieben, „Logische Familie“, was viel anstrengender und ungemütlicher ist, weil man sich dabei mit sich selbst und seinen Mitmenschen konfrontieren muss. Die „Stadtgeschichten“ leben immer von scheinbar zufälligen Begegnungen, die das Leben ihrer Charaktere in ganz unerwartete Richtungen befördern. Wegen dieser Momente liebe ich es Geschichten zu erzählen. Auch meine eigene. Auch wenn das schwieriger ist.

FOTO: SHUTTERSTOCK/S. BUKLEY

INTERVIEW: PAUL SCHULZ


Hast Du, durch den Filter der Stadtgeschichten, nicht seit 40 Jahren immer dein eigenes Leben miterzählt? Aber es gab eben immer den schützenden Filter fiktionalen Schreibens. Ich bin ja nicht immer alle meine Charaktere. Oder jedenfalls nicht die ganze Zeit. Aber ich bin immer ich. Deswegen war „Logical Family“ ein schwierigeres Buch: Man will als Autor der eigenen Biografie nicht eitel aussehen, oder sich selbst loben, aber man will auch nicht schwach oder absichtlich bescheiden rüberkommen. Man muss so nah wie möglich an der Wahrheit sein. Das tut manchmal weh. Was hast Du beim Schreiben über dich selbst gelernt? Dass ich viel Zeit damit verbracht habe, es Menschen recht zu machen. Ich habe mich von meiner Familie lange in ein Leben drängen lassen, dass nicht meins war und es ist retrospektiv unfassbar, wie lange ich gebraucht habe, um ich selbst zu werden und zu bleiben. Hat dir das Wissen um deinen eigenen, langen Weg zu Dir selbst beim Schreiben über Annas Kindheit in „Die Tage der Anna Madrigal“ geholfen? Ich konnte den Prozess den sie durchläuft jedenfalls emotional gut nachvollziehen. Die Arbeit hat viel Freude gemacht. Die Recherche war ein großes Puzzle, in dem ich immer wieder neue Teile entdeckte, die das Gesamtbild veränderten. „Die Tage der Anna Madrigal“ ist der neunte und, so sagst Du, letzte Teil der Stadtgeschichten. Das hast Du nach Teil sechs auch schon mal gesagt. Stimmt es diesmal? Ja. 1989, als ich das sechste Buch fertig hatte, wusste ich einfach nicht, wie die Geschichte mit HIV und AIDS weitererzählt werden sollte, ohne dass mein Held, Michael Tolliver, der zu diesem Zeitpunkt schon positiv war, stirbt. Und ich wollte keins von den Büchern schreiben, in denen der schwule Held zum Schluss sterben muss. Ich wollte, dass Michael weiterlebt und sich verliebt und mit seinen Freunden fröhlich ist. So gesehen ist die medizinische Forschung daran schuld, dass ich 17 Jahre später wieder anfangen konnte, an den Stadtgeschichten zu arbeiten. Als die Kombitherapien eingeführt wurden, hatte auch Michael wieder eine Chance. Eigentlich wollte ich damals einen Roman übers Älterwerden schreiben, der mit den Stadtgeschichten nichts zu tun hatte. Aber sobald ich anfing, über einen Mitte Fünfzigjährigen in San Francisco zu schreiben, war schnell klar: das ist Michael und er lebt noch. So hieß das Buch dann auch: „Michael Tolliver lebt“. Auch im neunten Band gibt es HIV-positive Figuren. Aber es ist kein Thema des Buches mehr, oder? Es ist einfach eine Realität im Leben dieser Figuren, weil es inzwischen eine Alltäglichkeit im Leben vieler Menschen ist. Ich war der erste US-Schriftsteller, der über HIV und AIDS geschrieben hat. Nicht, um der erste zu sein, sondern weil ich im Herzen der Krise lebte und Menschen um mich herum erkrankten und starben. Ich musste mir meine eigene Trauer von der Seele schreiben und wollte, dass meine Leser eine persönliche Beziehung zum Thema bekamen. Ich habe mich

im Rahmen der Arbeit an der Autobiografie gerade wieder sehr lange mit HIV und AIDS beschäftigt, weil das eins meiner Lebensthemen ist. Jeder Mann, den ich seit Beginn der Epidemie wirklich geliebt habe, war positiv. Ich wollte aber nie „der AIDS-Autor“ sein. Ich wollte nur, dass meine Leser die Gefühle und persönlichen Erfahrungen verstehen, die viele von uns mit HIV und AIDS verbinden. Wie erklärt man heute 22-Jährigen, was HIV und AIDS damals bedeutet haben, ohne zu klingen, wie Opa, der vom Krieg erzählt? Erzähl ihnen deine Geschichte oder die deiner Freunde. Es ist sehr wichtig, dass Jüngere wissen und verstehen, wie es war, wie gekämpft wurde, wie stolz wir darauf sein können, aber auch, was wir verloren haben. Ich versuche immer wieder, einer dieser Opas zu sein. Ich muss mich darum, ehrlich gesagt, auch nicht mehr allzu sehr bemühen (lacht). Außerdem sehe ich das auch ein Stück weit als meine Verantwortung: Ich bin 72 Jahre alt. Wenn nicht wir diese Geschichte erzählen, wird viel davon einfach verloren gehen. Wie erzählt man also die Geschichte von HIV und AIDS? Sei persönlich. Fang bei Dir an. Erzähl von der Panik und der Angst und der Liebe und all dem, was in der Mitte einer Epidemie so passiert. Ich erinnere mich dabei auch immer an den Mut und die Tatkraft, die Menschen um mich herum im Angesicht von AIDS entwickelten. Das gibt dann Kraft. War es schwer, das für die Autobiografie aufzuschreiben? Wir haben parallel eine Dokumentation über mein Leben gedreht. Das war stellenweise schwierig. Ich ertappte mich dabei, wie ich aus heiterem Himmel anfing zu weinen, während ich über meinen besten Freund Steve sprach, dem das Buch auch gewidmet ist. Er war eine der großen Lieben meines Lebens, obwohl wir „nur“ Freunde waren. Und eines seiner Lieblingslieder war „Let’s face the music and dance“. Das wurde unser Mantra während der AIDS-Krise. Ich habe versucht, den Text zu rezitieren, während wir drehten und konnte auf einmal nicht mehr weitersprechen. Die Gefühle sind ja alle noch da, direkt unter der Oberfläche. Wer soll dich spielen, wenn „Logical Family“ verfilmt wird? Gute Frage. Jonathan Groff, der Hauptdarsteller aus „Looking“, vielleicht? Er ist ein guter Freund und ein großartiger Schauspieler. Außerdem ist er sehr niedlich und ich bilde mir ein, ich hätte Anfang der 70er Jahre, für ungefähr 15 Minuten, auch mal so ausgesehen (lacht).

Armistead Maupin, 72 Der Journalist, Barbie Breakout,Drehbuchaoutor DJane und Dragstar, und Schriftsteller im schuf mit den Zivilberuf neun Bänden Maskenbildner. der „Stadtgeschichten“ Bekannt gewordie bekannteste queere Roden durchderihre manreihe Welt. Autobiografie Außerdem: „Der „Tragisch, nächtliche Lauscher“ und „Die aber geil“. Kleine“. DieRollenmodell Autobiografieder „Logical ICH WEISS Family“ kommt im Herbst 2017. WAS ICH TU-Kampagne der DAH. www.armisteadmaupin.com

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PORTRÄT

„WER IST PERVERSER? SCHÄUBLE ODER ICH?“

Als radikaler Streiter für Klimagerechtigkeit reist Tadzio Müller durch die ganze Welt. Und wie ist das Klima bei ihm privat so? Seit ein paar Wochen auf jeden Fall offen HIV-positiv TEXT: CHRISTIAN LÜTJENS

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War der Auslöser für die größere Gelassenheit die Therapie? Es war so: Ich hatte große Angst vor den Medikamenten. Vor allem weil ich – wie viele Leute aus der schwulen Fickszene – nicht den aktuellen Stand der Informationen hatte. Bezogen auf Nebenwirkungen war ich im Jahr 2013 wahrscheinlich auf dem Stand von 2005. Ein zweiter Grund für meine Vorbehalte war, dass der Beginn der Therapie für mich einen symbolischen Akt der Akzeptanz darstellte, dass ich chronisch krank bin. Dagegen hab ich mich gesträubt. Letztendlich hat mich vor allem die Sorge um den schönen jungen Mann dazu bewogen mit den Tabletten anzufangen. Er war negativ und ich hatte wahnsinnige Angst ihn anzustecken. Probleme mit Nebenwirkungen hatte ich kaum, gehadert hab ich trotzdem noch eine Weile. Dann war ich im Sommer 2013 mit einem Freund, der Diabetes hat, Essen. Wie alle seine Freunde wusste ich, dass er sich fünfmal am Tag eine Spritze in den Bauch setzen muss. Er ist immer total höflich dabei und fragt, ob es mir was ausmacht. So auch diesmal. Als er dann dasaß und sich spritzte, dachte ich: Okay, den schränkt sein Diabetes viel mehr ein als mich meine HIV-Therapie, bei der ich einmal täglich zum Frühstück eine Tablette nehme und das war‘s. Trotzdem geht er mit seiner Krankheit viel offener und unbefangener um als ich mit meiner. Was ist also mein Problem? In diesem Moment kapierte ich, dass das Problem bei HIV weniger ein medizinisches als ein moralisches ist. Nicht die Krankheit ist das Problem, sondern das Stigma. Als Aktivist, der eigentlich ständig in politischen Feldern denkt, wurde mir dabei seltsamerweise

zum ersten Mal die politische Dimension des Themas HIV/AIDS klar. In deinem Facebook-Coming-out deutest du diese Dimension an, indem du Harvey Milk zitierst … Dazu muss ich sagen, dass dieser Post zuerst keine politische Intention hatte. Für mich war er anfangs vor allem ein Schritt zu mehr Selbstakzeptanz. Erst als die Reaktionen kamen, wie mutig einige diesen Schritt fanden oder dass ich ihnen dadurch geholfen habe, mit ihrer eigenen Infektion besser umzugehen, wurde mir die Signalwirkung bewusst. Andererseits bin ich es als politischer Aktivist gewohnt über mich selbst politisch zu reden. Ich denke politische Elemente automatisch mit, wenn ich etwas schreibe. Das Harvey-Milk-Zitat passte in diesem Fall einfach. Milk hat gesagt, dass alle Schwulen sich outen sollten, weil dann nicht mehr so viele Mythen und Lügen über sie verbreitet werden können, also das Stigma gebrochen wird. Wenn meine Analyse stimmt, dass das Problem bei HIV das Stigma ist, dann heißt das, dass das Gleiche für Positive gilt. Auch sie sollten sich outen, um den Mythen und Lügen entgegenzusteuern – sofern sie die Möglichkeit dazu haben. Zumal es in Deutschland kaum öffentliche Person gibt, die affirmativ mit ihrer HIV-Infektion umgehen. Und der Schritt zu mehr Selbstakzeptanz? Hat der geklappt? Mehr noch. Ich habe infolge des Coming-outs Leute aus dem Politikfeld HIV/AIDS getroffen, die mir klargemacht haben, dass ich mich als radikal Linker in die historische Kontinuität einer Homobewegung einreihen kann, die mir

FOTO: PRIVAT

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adzio, du hast 2011 erfahren, dass du HIV-positiv bist, im Dezember 2016 hast du dich bei Facebook öffentlich als positiv geoutet. Was lag in den fünf Jahren dazwischen? Ein allmählicher Selbstfindungs- und Selbstakzeptanzprozess, der immer noch vollständig nicht abgeschlossen ist. Anfangs wussten nur mein damaliger Freund und eine sehr gute Freundin, die so ein bisschen mein Secret-Keeper war, von der Infektion. Dann hab ich mich in einen unglaublich schönen jungen Mann verliebt, dem auffiel, dass ich beim Sex immer in Turbogeschwindigkeit das Sperma wegwischte, wenn ich ihm irgendwo hingespritzt habe. Irgendwann hat er gefragt, ob ich positiv bin. Ich fühlte mich total ertappt, dabei war er ganz locker damit. Der Vorfall hat mir gezeigt, dass ich HIV ähnlich verschleiert habe wie zuvor Teile meiner Sexualität. Ich habe sieben Jahre lang eine heterosexuelle Beziehung geführt und nebenbei ein gar nicht langweiliges schwules Sexleben gehabt, ohne dass meine Freundin davon erfuhr. Mit 20 hab ich während des Studiums eine Zeitlang on and off als Sexworker gearbeitet, ohne dass ich je jemanden davon erzählt hätte. Später war es ähnlich mit meinen Aktivitäten als Slut und SMSub. Es gibt in meiner Biografie also eine gewisse Tradition des Verschleierns und Verschweigens, die ich gerade aufzubrechen versuche. Was die Offenheit mit HIV angeht, habe ich seit 2013, als ich mit der Therapie angefangen habe, eine größere Gelassenheit entwickelt. Das Facebook-Coming-out war eine Folge davon.


bisher gar nicht bewusst war. Die sexuelle Revolution und die Emanzipationsbewegungen der 60er und 70er Jahre waren ein massiver Angriff auf die Werte und Konservatismen der damaligen Gesellschaft. Die Homos waren dabei diejenigen, die sich eklatant amoralisch verhielten und damit einen großen Teil zur höchstmöglichen Verunsicherung der Mehrheitsgesellschaft beitrugen. Verunsicherung der Mehrheitsgesellschaft ist aus linksradikaler Sicht erst mal per se eine gute Sache. Doch dann kam in den Achtzigern HIV/AIDS und die Amoralisten starben wie die Fliegen, während ihre Gegner brüllten: „Guckt, wo das, was ihr in den Siebzigern von uns gefordert habt, euch hingeführt hat. Ihr verreckt jetzt alle an der Schwulenseuche, also zurück in eure Gettos.“ Da wurde eine Brandmauer neu hochgezogen, die vorher ansatzweise eingerissen worden war. Diese Brandmauer steht bis heute. Und sie hat sich in den Köpfen nachfolgender Generationen von Schwulen festgesetzt. Andernfalls würde das Verschweigen und Verschleiern

in meiner eigenen und den Biografien vieler anderer queerer Leute nicht so eine große Rolle spielen. Gleichzeitig hat die Schwulenbewegung unglaublich an Sprengkraft verloren. Wir ficken uns zwar crazy durch die ganze Stadt, aber sonst scheint die Volker-Beck-Fraktion mit den Anzügen und der Homo-Ehe gewonnen zu haben. Gerade angesichts des massiven gesellschaftlichen Rollbacks der Gegenwart kann es nicht schaden, wenn wir uns als schwule, queere Männer fragen, ob es nicht wichtigere Anliegen gibt, die wir an die Mehrheitsgesellschaft artikulieren können und ob wir Teile der Diskussion, die durch HIV/AIDS abgebrochen wurde, wieder aufnehmen sollten. Zum Beispiel? Wie ich am Anfang sagte: Der Selbstfindungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Ich habe in diesem Politikfeld selbst mehr Fragen als Antworten. Aber diese Fragen zu diskutieren ist ein Anfang. Nehmen wir die Definition von Perversion in unserer Gesellschaft. Was

ist perverser? Wenn ich mich an der Hundeleine durch Schöneberg führen und auspeitschen lasse? Oder wenn Wolfgang Schäuble Südeuropa mit seiner Schwarzen Null auspeitscht, obwohl der ökonomische Erfolg Deutschlands auf der Ausbeutung der südeuropäischen Peripherie basiert? Nehmen wir die Ehe. Wollen wir wirklich ein heterosexuelles Modell kopieren, das auf Ungleichheit und Abhängigkeit basiert? Oder nehmen wir die Mauer, die in den Köpfen zwischen Positiven und Negativen gezogen wird. Warum reißen wir sie nicht einfach nieder, indem wir flächendeckend PrEP einführen und nebenbei die Pharmaindustrie vergesellschaften?

Tadzio, 40 ist Politikwissenschaftler, lebt in Berlin, und engagiert sich seit Jahren in der linken Klimabewegung. Am liebsten organisiert er massenhaften zivilen Ungehorsam. Seine HIV-Infektion hat ihn dazu bewegt, zunehmend den eigenen Körper zum Gegenstand seiner politischen Praxis zu machen.

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ILLUSTRATION: MATHIS ZILLIG, FREEPIK.COM

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SCHWERPUNKT

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Schwule Männer reden andauernd über Sex. Das ist ganz wunderbar. Besonders, wenn sie es mit ihren besten Freundinnen tun. Denn die infizieren sich im Moment viel öfter mit HIV als nötig und finden oft viel zu spät heraus, dass sie positiv sind. Das wollen wir ändern! TEXT: PAUL SCHULZ

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egina ist 58. Sie sieht deutlich jünger aus. Und ist ganz fröhlich, auch wenn sie gerade über ein ernstes Thema spricht: HIV. Sie tut das vor gut 40 JournalistInnen, die zur Eröffnung von „Kein Aids für alle“, der neuen Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) nach Berlin gekommen sind. Wo Regina in den nächsten Wochen auf Plakaten an Bushaltestellen und Häuserwänden herumhängen wird, um zu verkünden „Ein HIV-Test hätte mir viel erspart“. Die DAH will erreichen, dass bis 2020 niemand in Deutschland mehr an AIDS erkrankt. Auch Frauen wie Regina nicht. Prof. Dr. Rita Süssmuth, die Schirmherrin der Kampagne, nickt ihr aufmunternd zu, während das Kampagnengesicht berichtet: „HIV kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Ich war dreimal verheiratet, bin nie aus der Ehe ausgeschert, hatte drei gesunde Söhne bekommen. Wer denkt denn da an HIV?“ Niemand, nicht mal ihr Arzt. Dabei ist Regina eine AIDS-Musterpatientin: Gürtelrose, Hirnhautentzündung, chronischer Durchfall über anderthalb Jahre. Warzen an den Füßen mussten operativ entfernt werden, weil sie vor Schmerzen nicht mehr laufen kann. Sie bekam eine künstliche Hüfte und ist zweimal an der Wirbelsäule operiert worden. Ihr Gehirn ist geschädigt, sie hat Konzentrationsprobleme und Wortfindungsstörungen. „Das Virus hat sich bei mir richtig ausgetobt“, sagt Regina lakonisch, „es ging bergab.“ Ihre Ärzte schrieben ihre vielfältigen Erkrankungen damals psychischen Schwierigkeiten zu und behandelten die Symptome. „Die haben mich nur in die Apotheke geschickt: Holen Sie sich was gegen Durchfall. Nach anderthalb Jahren!“ Im Sommer 2012 nahm Regina das Ruder selbst in die Hand und ging zur Blutspende. „An HIV habe ich da immer noch nicht gedacht. Aber ich wusste, da werden zahlreiche Blutuntersuchungen gemacht.“ Die brachten für Regina des Rätsels Lösung. Als der Blutspendedienst anrief und sagte, sie müsse noch einmal wiederkommen, ahnte sie, was los war. Die Diagnose war zu-

nächst eine Katastrophe für sie. „Das war ein totaler Schock, so viel Adrenalin hat mein Körper noch nie ausgestoßen. Ich habe gedacht: Jetzt sterbe ich. Ich bin tot. Der Arzt hat mir dann zum Glück gleich gesagt: Nein, das ist Quatsch, so ist das nicht mehr, die Medikamente sind sehr gut geworden.“ Infiziert hat sich Regina wahrscheinlich bei einem ihrer Ehemänner, der aus dem südlichen Afrika stammte, wo HIV sehr häufig vorkommt. Genau weiß sie es aber nicht und es spielt für sie auch keine Rolle: „Was soll ich mit dem Wissen anfangen? Für Vorwürfe habe ich keine Zeit. Ich will mein Leben leben. Ich bin jetzt positiv und gehe damit um.“ Kurz nach ihrer Diagnose fing sie an HIV-Medikamente zu nehmen und es ging ihr rasch besser. Heute führt Regina wieder ein ausgefülltes Leben: Sie erledigt die Buchhaltung für ihren Ex-Mann, der Holz nach Deutschland importiert, veranstaltet Verkaufs-Partys für Duftlampen und unterstützt ihre Eltern bei alltäglichen Erledigungen. Und sie kümmert sich um ihre beiden Hunde, die Möpse Happy und Henry. „Die retten mir jeden Tag das Leben, weil sie dafür sorgen, dass ich bei jedem Wetter vor die Tür komme“, sagt Regina und lacht. Mit welchen Gefühlen schaut sie heute zurück auf ihre Geschichte? „Rückblickend finde ich es schade, dass ich erst so spät von HIV erfahren habe. Einige Schäden bleiben, mein Kopf wird nicht wieder völlig in Ordnung kommen. Aber damit komme ich klar, man kann es halt nicht ändern. Es wäre nur gut, wenn das anderen Menschen erspart bliebe!“ Ja, das wäre es. Denn Regina ist kein Einzelfall. Von den ca. 84.700 Menschen, die Ende 2015 in Deutschland mit HIV lebten, waren die allermeisten schwule und bisexuelle Männer. Sie stellen auch immer noch die größte Zahl der 3.200 Neuinfizierten im Jahr. Aber während ihre Infektionszahlen seit Jahren zurückgehen, ist der Anzahl der Frauen, die sich infizieren, auf inzwischen 13 Prozent gestiegen. Der Anstieg begann 2005 und hat sich inzwischen auf einem hohen, gleichbleibenden Niveau eingependelt. Zusätzlich gehen Frauen oft erst sehr spät zum Test. Denn ihnen ist ihr HIVwww.mplus-magazin.de

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SCHWERPUNKT

Risiko häufig nicht bewusst. Dies trägt zu niedrigeren Testfrequenzen und späteren HIV-Diagnosen bei. Und auch viele Ärzte und Ärztinnen denken bei Auftreten von sogenannten HIV-Indikatorerkrankungen bei heterosexuellen Patienten selten daran, einen HIV-Test zu empfehlen. So kommt es, dass es unter den Frauen, die positiv getestet werden, sehr viele sogenannte „Late Presenter“ gibt, Patientinnen die schon lange HIV haben und bei denen AIDS eine viel höhere Chance hat auszubrechen. Denn es gilt immer noch: Wer früh wegen HIV behandelt wird, bekommt mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nie AIDS und hat trotz HIV eine relativ durchschnittliche Lebenserwartung. Je später jedoch die Diagnose gestellt wird, desto mehr Zeit hat das Virus „sich auszutoben“, wie Regina sagt, und bleibende Schäden zu verursachen. Die Folgen: höhere Sterblichkeit, mehr Folgeerkrankungen und höhere Behandlungskosten. Außerdem kann die Infektion, wenn man nicht von ihr weiß, unbeabsichtigt weitergegeben werden. Die Lösung klingt so einfach wie sie kompliziert ist: Wer Frauen dazu bringen will, sich besser zu schützen, muss sie in die Lage versetzen, entspannt über ihren Körper und ihren Sex zu sprechen. Was vielen Frauen über 30 nicht so leicht fällt. Weil sie lange verheiratet waren und es nie mussten. Oder weil sie es einfach noch nie gemacht haben und gar nicht wissen, wie es geht. Genau hier kommen schwule Männer ins Spiel. Denn die wissen, wie man über Sex redet und tun es es, geben wir es ruhig zu, sowieso andauernd. Es gibt keine andere Bevölkerungsgruppe, die gleichzeitig so viel über HIV weiß und so gut darin ist, über ihre eigene Lust und die Lust anderer zu reden wie Männer, die Sex mit Männern haben. Jeder schwule oder bisexuelle Mann ist in seinem Leben dazu gezwungen, sich intensiver mit seiner Sexualität auseinanderzusetzen als Heterosexuelle das müssen. Ganz einfach weil wir mit unserer Lust nun mal nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen und deswegen mit uns selbst und untereinander klären müssen, wie genau diese Lust aussieht. Und zwar immer wieder und mit jedem neuen Kerl aufs Neue.

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Die Gesprächstechniken und Überlegungen, die wir als Gruppe dabei entwickelt haben, haben Vielen von uns in den letzten 30 Jahren sehr geholfen, uns vor HIV zu schützen. Und können deswegen jetzt an unsere besten Freundinnen weitergereicht werden. Denn die brauchen unsere Hilfe. Protect your Gabi, Gentlemen! Wie das gehen soll? So: Stellt eurer besten Freundin einfach mal folgende Fragen: • • • • • •

Wie lange liegt dein letzter HIV-Test zurück? Hast Du Kondome dabei? Warum? Warum nicht? Benutzt Du die mit neuen Partnern auch? Willst Du irgendwas wissen? Willst Du mal mit zum Test kommen?

Das kann der Anfang eines lustigen, offenen Gesprächs über Safer Sex sein. Wenn ihr euch dabei eine gute Flasche Wein teilt, geht es gleich noch ein bisschen besser. Ihr werdet überrascht sein, wieviel ihr gemeinsam habt. Denn so unterschiedlich ist die Lage von Mitte vierzigjährigen Frauen und Männern, die Männer lieben, gar nicht, wenn sie denn Single sind. Das Leben auf der freien Wildbahn ist anstrengend und nicht so einfach. Man braucht Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen und muss ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach nur entspannt sein, weil man genau weiß, was man will, aber eben auch, was nicht. Man sollte ein gutes Verhältnis zu seinem Arzt haben und sich einfach alle sechs Monate durchchecken lassen, um auf der sicheren Seite zu sein und zu bleiben. Und, ist der Test positiv, eben so schnell wie möglich in Behandlung zu kommen. Unsere besten Freundinnen waren in der AIDS-Krise auf breiter Front für uns da, haben sich gekümmert und uns versorgt. Jetzt können wir ihnen etwas zurückgeben. Lasst uns das einfach machen, Jungs!

FOTO: DAH/ JOHANNES BERGER

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„FRAUEN MÜSSEN VIEL ÖFTER ZUM TEST“ DR. MED. IVANKA KRZNARIC WEISS, WARUM SO VIELE FRAUEN ERST SO SPÄT VON IHRER HIV-INFEKTION ERFAHREN UND WIE SCHWULE MÄNNER HELFEN KÖNNEN, DAS ZU ÄNDERN INTERVIEW: PAUL SCHULZ In der breiten Öffentlichkeit ist es still geworden um HIV und AIDS. Die Zahlen der Neuinfektionen in Deutschland liegen seit Jahren auf nahezu stabilem Niveau und dank erfolgreicher Therapien, ist HIV längst kein Todesurteil mehr, sondern in vielen Fällen eine chronische Erkrankung, die gut und ohne viele Nebenwirkungen therapierbar ist. HIV-Positive haben heute eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie die Allgemeinbevölkerung, arbeiten, führen Beziehungen und bekommen Kinder. Deswegen tritt neben das vorrangige Ziel, das HI-Virus zuverlässig unterhalb der Nachweisgrenze zu halten, der Erhalt der Langzeitgesundheit als Teil jeder Therapie. Aus Sicht der Fachleute, sind dennoch zu wenig Menschen in guten Therapien. Nach Daten des Robert Koch-Instituts 2014 tragen rund

83.000 Menschen in Deutschland das Virus in sich, ca. 70.000 wissen um ihre Infektion, davon nehmen 82 Prozent regelmäßig wirksame Medikamente. Die meisten davon sind schwule Männer. In dieser Gruppe ist der Informationsstand zum Thema hoch, das Testverhalten immer ausbaufähig, aber im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sehr gut und der Umgang mit Positiven oft entspannt und selbstverständlich. Das ist aber bei weitem noch nicht überall so. Gerade HIVpositive Frauen werden mit Stigma und Diskriminierung konfrontiert. Die Erfahrung aus der Praxis: Die alten Vorbehalte und Berührungsängste sind noch stark. Eine Konsequenz des Stigmas sind Verdrängungsmechanismen. Sie beschweren die Aufklärung und Beratung zu HIV-Therapien und beflügeln die Zahl der spätentdeckten „Latepresenter“, Frauen, die erst sehr www.mplus-magazin.de

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spät von ihrer HIV-Infektion erfahren und deren Therapiemanagement Ärzte oft vor Herausforderungen stellt. Das liegt zum einen daran, dass Patientinnen oft selbst nicht auf die Idee kommen, sie könnten sich mit HIV infiziert haben, aber auch Ärzte und Ärztinnen schlagen selten, weil HIV als mögliche Ursache einer Erkrankung bei heterosexuellen Frauen, auch aus ihrem Bewusstsein größtenteils verschwunden ist, einen HIV-Test vor. Auch das Reden über HIV in der Gruppe der heterosexuellen Betroffenen, ist schwierig: Das Stigma einer Ansteckungsgefahr, die von HIV-Infizierten ausgehen könnte, beherrscht auch heute den erlebten Alltag. Konsequenz sind das Verdrängen des Themas HIV und das Verschließen vor Test-, Beratungs- und Therapieangeboten. Die sinnvollste Präventionsstrategie überhaupt für Positive ist die Therapie. Viele Studien haben gezeigt, dass, wer unter der Nachweisgrenze ist, niemanden mehr infizieren kann. Doch Studien zeigen: 80 Prozent aller Befragten zwischen 14 und über 60 Jahren ist nicht bekannt, dass das HI-Virus bei optimaler Therapie nicht mehr im Blut nachweisbar ist. Über 50 Prozent halten selbst moderne Therapien für ausgesprochen belastend für den Körper. Hier ist noch Aufklärung nötig – und ein offener Austausch mit dem behandelnden Arzt: zum Beispiel über moderne Therapien und das Thema Langzeitgesundheit. Es ist aus Präventionssicht wünschenswert, dass Betroffene so früh wie möglich Verantwortung für die eigene Behandlung übernehmen und sich mit ihrem Arzt über die optimale Therapiewahl beraten. Dafür sind regelmäßige Tests und eine fachkundige Betreuung wichtige Ansätze. Wie man mehr Frauen dazu bewegen kann und wie schwule Männer dabei helfen konnten, wollten wir von Dr. Ivanka Krznaric erfahren, die in Berlin-Prenzlauer Berg auch HIVpositive Frauen betreut. Die Zahl der HIV-Infektionen bei Frauen steigt seit 2005 kontinuierlich an. Warum ist das so? Ich glaube, dafür gibt es eine Reihe von Ursachen. Aus den Studien des Robert-Koch Instituts wissen wir, dass es insgesamt einen Anstieg der HIV-Infektionen gibt, von dem aber nicht alle Patientengruppen gleichermaßen betroffen sind. Für den Anstieg bei Frauen ist, meiner Meinung nach, vor allem verantwortlich, dass HIV als Thema gesamtgesellschaftlich weniger sichtbar ist als in beispielsweise den 80er und 90er Jahren. Die Prävention erreicht gerade Heterosexuelle heute nicht mehr in dem Ausmaß, wie sie das früher getan hat. „Tina, was kosten die Kondome?“ kannte jeder, und hat das deswegen auch in den Alltag eingebracht.

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Hat die Veränderung im Präventionsduktus also auch zu einer Veränderung im Präventionsverhalten geführt? Diese Veränderung gibt es jedenfalls. Wenn man heute Teenager in Schulen fragt, ob sie Kondome benutzen, bekommt man die Antwort: „Ja, tun wir, um Schwangerschaften zu verhüten.“ Sexuell übertragbare Infektionen sind da in den Hintergrund getreten, das Bewusstsein dafür ist viel kleiner geworden. Ich glaube, dass man spätestens in diesem Alter mit der Aufklärung über STIs beginnen sollte, wenn Menschen ihre Sexualität entdecken und zum ersten Mal bewusst erleben. Kann man so auch die Frauen erreichen, die sich jetzt wieder häufiger infizieren? Die Zahlen des RKIs sind ja deutlich: Die meisten Infektionen finden hier zwischen 25 und 45 statt, also bei Frauen, die erwachsen sind. Das hat mit sexueller Aufklärung nichts mehr zu tun. Und man muss sich fragen: Warum wissen diese Frauen nicht, wie man ein Kondom benutzt, oder tun es einfach nicht. Und? Warum ist das so? Gute, aber schwierig zu beantwortende Frage. Experten schätzen, dass in Deutschland 2000 Frauen nicht diagnostiziert sind, sie wissen also gar nichts von ihrer Infektion. Was auch daran liegt, dass viele glauben, HIV spielt bei Heterosexuellen eben keine Rolle und die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren sei minimal. Wenn man eine Umfrage unter 20-jährigen Frauen machen würde, wie viele davon schon mal einen HIV-Test gemacht haben, wäre das Ergebnis sicher sehr niedrig. Gilt das auch für Frauen zwischen 45 und 60? Das kann man nur schwer vergleichen, die sind eine völlig andere Generation. Ich glaube allerdings, dass viele von denen ja in den 80er Jahren schon eine Zeit wahrgenommen haben, in der AIDS als tödliche Seuche dargestellt wurde und breiter Thema war. Vielleicht ist das Testverhalten deswegen in dieser Gruppe ein anderes und die Anzahl der getesteten Frauen höher als die bei den 20-Jährigen. Warum ist die Zahl der Late-Presenter unter den positiv getesteten Frauen so hoch? Viele Frauen werden spät diagnostiziert, weil niemand auf die Idee kommt, diese Frauen könnten HIV haben, auch die Frauen selbst nicht. Oft wird bei den klassischen Symptomen - Husten, Fieber und geschwollenen Lymphknoten - wochenlang auf einen Infekt hin behandelt. Es wird auch selten gefragt: „Hatten Sie vielleicht ungeschützten sexuellen Kontakt?“ Dazu kommt: Viele glauben, es könnte sie nicht treffen. Weil HIV eine Infektion ist, die mit Dingen wie Sex und Drogen in Verbindung gebracht wird. Themen, über die im Alltag vieler Menschen kaum gesprochen wird, weil sie mit Stigma verknüpft sind. HIV


sieht man ja nicht. Deswegen glauben viele, sie könnten sich bei einem One-Night-Stand, wenn der Typ doch gut und gesund aussieht, nicht infizieren. Aber ein Augenblick zur falschen Zeit am falschen Ort reicht eben. Da braucht es, denke ich, deutlich mehr Aufklärung. Wie könnte diese Aufklärung denn aussehen? Wenn Frauen ihre Sexualität ausleben wollen, und zwar ganz egal in welchem Alter, sollten regelmäßige HIV-Tests eine Selbstverständlichkeit sein. Ich habe viele junge, schwule Männer in der Praxis, die sich regelmäßig testen lassen, obwohl sie genauso regelmäßig Kondome benutzen. Das kann man eins zu eins übernehmen: Wer mit wechselnden Partnern sexuell aktiv ist, sollte sich regelmäßig testen lassen, egal welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung man hat. Können schwule Männer heterosexuellen Frauen also weiterhelfen, wenn es um Aufklärung geht? Spannende Frage. Aus meinem Praxisalltag weiß ich: Wenn Frauen hierher kommen, um einen HIV-Test zu machen, haben die ganz oft einen, oder mehrere schwule Freunde, die ihnen sagen: „Warst du mal beim Test?“ Viel seltener kommen Frauen und sagen: „Ich bin in einer neuen Beziehung und wir wollen auf Kondome verzichten. Deswegen will ich mich jetzt mal testen lassen.“ Schwule Männer scheinen da also schon ein Motor sein zu können. Wie ist das bei reiferen Frauen? Hier in Berlin haben auch sehr viele Frauen über 50 einen oder mehrere schwule Freunde, was sich aber sicher nicht verallgemeinern oder auf das gesamte Bundesgebiet übertragen lässt. Ich glaube, es wäre gut, wenn Präventionsbotschaften für diese Zielgruppe intensiviert würden. Wie könnten diese Botschaften aussehen? Erstmal muss man diese Frauen dazu bringen, überhaupt darüber zu reden, dass sie sich, nach dem Ende ihrer Ehe oder aus einem anderen Grund, jetzt noch einmal sexuell entfalten wollen. Man muss verankern, dass man beispielsweise keine „Schlampe“ ist, weil man sexuell aktiv ist, Fragen zu Sexualität hat oder neue Erfahrungen machen möchte. Scham und Stigma sind auch hier oft Probleme. Wenn dieser Schritt geschafft ist und ein offener Austausch über Sexualität stattfindet, ist der Schritt dazu, von Prävention erreicht zu werden oder deren Botschaften überhaupt wahrzunehmen auch kleiner, glaube ich. Wie versetzt man Frauen, die nicht über ihre Sexualität sprechen können oder wollen, in die Lage, sich sinnvoll zu schützen? Indem man ihnen beibringt, über ihre Sexualität zu sprechen. Langsam, behutsam, mit viel Feingefühl. Zu vermitteln: Deine Sexualität ist etwas so Selbstverständliches wie Essen, Trinken

und morgens aufzustehen, und kann auch genauso entspannt besprochen werden, ist der erste, wichtigste Schritt. Können Schwule auch hierbei helfen? Wir reden als Gruppe ja viel über Sex. (lacht) Ja, ich denke, wenn schwule Männer ihre sexuellen Erfahrungen, ihre Präventionsstrategien und den allgemein offenen Umgang mit Sexualität mit ihren heterosexuellen Freundinnen teilen, ist das sicher gut. Werden HIV-positive Frauen anders stigmatisiert als HIVpositive schwule Männer? Ja. Der Umgang mit HIV ist in der schwulen Szene inzwischen an vielen Stellen sehr entspannt. Nicht überall, natürlich gibt es auch hier Probleme, aber das ist mit der Situation heterosexueller positiver Frauen nicht zu vergleichen, die mit ihrer Infektion in den seltensten Fällen offen umgehen. Natürlich könnte man hier durch Sichtbarkeit viel erreichen. Aber kann ich der positiven Ehefrau, mit zwei negativen Kindern und einem negativen Mann raten, sich doch einfach entspannt vor den Nachbarn zu outen? Derzeit würde ich das nicht tun. Zu welchen Präventionsstrategien raten Sie positiven Frauen, die ihre Infektion lieber geheim halten wollen? Die sinnvollste Präventionsstrategie überhaupt für Positive ist die Therapie. Viele Studien haben gezeigt, dass, wer unter der Nachweisgrenze ist, niemanden mehr infizieren kann. Trotzdem rate ich Frauen, die keinen festen Partner haben, auch zu zusätzlichem Kondomgebrauch. Und zwar vor allem, damit diese Frauen sich selbst vor anderen Infektionen schützen können. Wie kann man Frauen in migrantischen Communities erreichen? Die Menschen aus Hochprävalenzländern gehen mit ihren Infektionen ähnlich um, wie die meisten heterosexuellen Frauen im deutschsprachigen Raum: sie halten sie geheim. Ein offener Umgang, wie er bei vielen schwulen Männern stattfindet, passiert hier nicht. Deswegen ist es schwer, diese Frauen zu erreichen. Es gibt aber immer wieder Versuche in diese Richtung. Daran wird gearbeitet.

Dr. med. Ivanka Krznaric ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Infektiologie/HIV/STD/Hepatitis, Hausärztliche Versorgung, Suchtmedizin und arbeitet im Zentrum für Infektiologie in Berlin/Prenzlauer Berg. Sie sammelt, nachdem Patienten angefangen haben, ihr die zu schenken, Schneekugeln und schmückt ihre Praxis damit. Im Gespräch ist sie locker, lacht viel, macht aber mehr als deutlich, wie wichtig ihr gerade Frauengesundheit ist. Ihre eigene Schutzstrategie beschreibt sie so: „Kondome und Selbstbewusstsein. So einfach ist das.“

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„ICH WILL DIE LEUTE AUFRÜTTELN“ Mit dem Roman „Dem Horizont so nah“ verarbeitete Jessica Koch ihre große Jugendliebe zu dem HIV-positiven Danny – und landete damit einen Bestseller. Ein Zufallserfolg oder ein Zeichen dafür, dass Bedarf für wahre Geschichten über HIV besteht? Wir sprachen mit der Autorin über alte Vorurteile, neue Rollenmodelle und den immerwährenden Kampf gegen Klischees. INTERVIEW: CHRISTIAN LÜTJENS

Du beschreibst im Buch Dannys selbstbestimmten Umgang mit der Infektion, der medizinische Maßnahmen weitgehend ausschloss. Stattdessen verband er einen gesunden Lifestyle mit der Vorbereitung auf einen selbstgewählten Todeszeitpunkt im Falle gesundheitlicher Verschlechterungen. Hast du darüber nachgedacht, ob dein Buch diese aus heutiger Sicht eher kritisch zu beurteilende Selbstbestimmtheit verherrlicht? Eigentlich nicht. Ich hab die Entwicklungen im Nachhinein ja 18

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verfolgt. Es besteht bis heute keine endgültige Einigkeit darüber, ob die Therapie sofort nach der Diagnose angefangen werden sollte, oder ob man warten sollte, bis sich eine Immunschwäche bemerkbar macht. Ich habe ja auch Kontakt zu HIVPositiven. Ein Mann ist seit über zehn Jahren positiv und nimmt immer noch keine Medikamente, weil es ihm ohne sie gut geht. Genauso kenne ich jemanden, der vor zwei Jahren seine Diagnose bekam und gleich danach mit der Therapie angefangen hat, weil er das so wollte. Auch ihm geht es gut. Einen Standard scheint es nicht zu geben. Das beruhigt mich im Nachhinein ein bisschen in Bezug auf Dannys selbstbestimmten Weg. Das Stigma der „Schwulenseuche“ HIV wird in deiner Erzählung am Rande thematisiert. Haben die Erfahrungen von damals dein Bewusstsein für Diskriminierung von Schwulen geschärft? Ich würde eher sagen, dass ich generell erkannt habe, dass Schubladendenken nicht hilfreich ist. Ich selbst war damals ja auch jemand, der mit vielen Vorurteilen und Klischees gekämpft hat. Aber das baut man dann doch sehr schnell ab, wenn man die Ereignisse nicht nur von außen betrachtet, sondern unmittelbar betroffen ist. Von dieser Erfahrung profitiere ich bis heute und ich hoffe, dass sie auch meine Leser weiterbringt. Ich bekomme viele Rückmeldungen von Leuten, die schreiben, dass sie sich nach dem Lesen schlaugemacht haben und HIV jetzt besser einschätzen können. Was das Schwulenvorurteil angeht, war das bei uns nicht so dominant, weil Danny meist mit zwei

FOTO: FEUERWERKE VERLAG

Jessica, deine Geschichte spielt zur Jahrtausendwende, also etwa vier Jahre nachdem 1996 bei der International AIDS Conference in Vancouver die Kombitherapie als effektive HIV-Therapie vorgestellt worden war. Trotzdem ist das Stigma vom Todesurteil HIV in deiner Erzählung ungebrochen. Kannst du das erklären? Dazu muss ich sagen, dass die Jahreszahlen im Buch nicht exakt den Originaldaten entsprechen. Ich habe das etwas verändert, damit keine Rückschlüsse gezogen werden können und die Privatsphäre einiger Leute gewahrt bleibt. Ansonsten hast du Recht, es gab die HAART-Therapie damals schon. Aber sie war noch in den Kinderschuhen, besonders in Deutschland. Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, der große Durchbruch kam 1996, aber auch in den Jahren danach war die Therapie bei Medizinern umstritten und man sprach von immensen Nebenwirkungen. Danny war damals sogar in den USA, um sich das anzuschauen. Überzeugt hat es ihn nicht.


Frauen unterwegs war. Eher war das Drogenproblem im Fokus „ICH HOFFE, DASS MEIN BUCH

tatsächlich durch das Buch zustande. Ich bekomme sehr viele Zuschriften und natürlich interessiere ich mich für die Geschichten der Leute und werde durch sie auf den aktuellen Stand gebracht. Es melden sich aber nicht nur Positive. Viele melden sich auch, weil sie ihren Partner durch Krankheit oder Autounfall verloren haben. Manche glauben, ich könnte ihnen helfen. Was ich natürlich nicht kann. Ich habe ja kein Geheimrezept, wie man mit sowas umgehen muss. Das ist sehr individuell und schwierig zu beantworten.

Bestätigt sich bei deinen heutigen DIE LEUTE WEITERBRINGT. ICH Kontakten der prozentual erhöhte AnBEKOMME VIEL RÜCKMELDUNG teil an schwulen Positiven? VON LESERN, DIE SCHREIBEN, Nein, bei den Leuten, mit denen ich DASS SIE HIV JETZT BESSER rede, ist vielleicht jeder Zehnte schwul. Von den drei wirklich engen Kontakten, EINSCHÄTZEN KÖNNEN“ die ich zu Positiven habe, sind alle hetero: Eine Frau, die sich über Drogengebrauch infiziert hat, ein junger Mann, der nach einem Unfall eine infizierte Bluttransfusion bekommen hat, und einer, der in Afrika HIV-Projekte betreut Hast du generell das Gefühl, dass die Aufgeklärtheit beim und sich durch einen One-Night-Stand infiziert hat. Thema HIV seit deiner Zeit mit Danny zugenommen hat? Haben positive Frauen andere Probleme als positive Männer? Ja, sehr. Als mein Buch rauskam und recht schnell bekannt wurDas ist für mich schwer zu beurteilen, weil der Großteil, meiner de, habe ich mich erst gewundert, dass mich so viele Leute zum Kontakte zu Positiven männlich ist. Die Frau, die ich erwähnt Kaffee eingeladen haben und mit mir in Kontakt treten wollten. habe, geht sehr locker mit ihrer Infektion um. Einen Unterschied Ich kenne das halt noch ganz anders. Wenn du den Leuten vor zehn Jahren mit so einer Geschichte gekommen bist, haben kann ich da nicht erkennen. sie dir die Tür vor der Nase zugeknallt. Sobald persönliche BeStammen deine Kontakte noch aus der Zeit mit Danny oder rührungspunkte mit HIV erwähnt wurden, machten die Leute einen Bogen um dich. Ich bin auch froh, dass ich so lange damit sind sie nach der Veröffentlichung des Buches entstanden? Ich stehe seit Jahren im Austausch mit einem Aids-Hospiz im gewartet habe, die Geschichte zu veröffentlichen. Hätte ich es Schwarzwald, für das ich spende, daher bekomme ich einige früher getan, wäre sie noch zu nah an mir dran gewesen und es Informationen. Der Großteil persönlicher Kontakte kam aber hätte mich zu viel Kraft gekostet, mich immer wieder erklären www.mplus-magazin.de

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zu müssen. Inzwischen bin ich soweit, dass es mir egal ist, was die Leute denken. Wenn jemand mit der Geschichte nicht leben kann, stehe ich da drüber. Hast du eine Erklärung dafür, warum das Thema gerade jetzt so erfolgreich ist? Weil es bei HIV immer noch großen Klärungsbedarf gibt? Ich glaube, HIV ist dabei Nebensache. Es hätte auch um Krebs oder eine andere Krankheit gehen können. Ich glaube auch nicht, dass die heutige Zeit eine Rolle für den Erfolg des Buches spielt. Die Geschichte kommt deswegen gut an, weil sie Jedem hätte passieren können. Jeder hätte in eine Situation wie meine hineinstolpern können, deshalb kann sich jeder damit identifizieren. Derzeit wird an der Verfilmung von „Dem Horizont so nah“ gearbeitet. Bist du daran beteiligt? Das Drehbuch schreiben Profis und auch sonst verlasse ich mich darauf, dass da Leute am Werk sind, die wissen, was sie tun. Ich habe ja keine Ahnung vom Filmemachen. Wir haben uns aber eine Filmgesellschaft gesucht, bei der wir das Gefühl hatten, dass sie uns mit einbezieht. Ich sehe diese Verfilmung schon als Chance. Wenn man an Filme über HIV denkt, haben viele ja immer noch das Bild des sterbenden Tom Hanks in „Philadelphia“ vor Augen. Meine Hoffnung ist, dass Danny von einem hübschen Schauspieler gespielt wird, der dieses Bild erneuert und den Zuschauern zeigt, dass Positive nicht zwangsläufig kranke, sterbende Menschen sind. Die unzutreffenden Bilder, die in vielen Köpfen festhängen, sind neben den Vorurteilen ja das größte Hindernis der Aufklärung.

Du erwähnst im Buch, dass Danny selber Vorträge an Schulen über HIV gehalten hat? Wie waren damals die Reaktionen? Ich war nie dabei, er hat nur davon erzählt. Meist lief es nicht so gut. Wenn er mit dem Vortrag fertig war, haben sich die Schüler teilweise geweigert, ihm die Hand zu geben. Es war wie überall: Die Leute gingen auf Distanz, wenn sie erfuhren, dass er HIV-positiv war. Das passiert ja bis heute. Ich weiß von einem Mädchen, das ewig auf eine Hand-Operation warten musste, weil sich viele Krankenhäuser aufgrund ihrer Infektion geweigert haben, sie zu operieren. Ein Freund von mir ist aus zwei Zahnarztpraxen rausgeflogen, weil er HIV hat. Es schockiert mich immer, dass es diese Probleme bis heute gibt. Die Danny-Trilogie ist abgeschlossen, aber du schreibst bereits einen neuen Roman. Was treibt dich beim Schreiben an? Ich möchte bei Büchern bleiben, die mit Vorurteilen und Klischees brechen. Es ist schon mein Ziel, eine Botschaft rüberzubringen, die Leute aufzurütteln und sie dazu zu bewegen nicht wegzugucken, wenn es unbequem wird. Reine Unterhaltung ist von mir eher nicht zu erwarten.

Jessica Koch und die Danny-Trilogie Jessica Koch erzählt in „Dem Horizont so nah“ schonungslos ehrlich die wahre Geschichte, wie sie sich als Teenager in den hübschen Danny verliebt, der ihre Gefühle zwar erwidert, sie aber dennoch auf Distanz hält – bis er ihr eines Abends gesteht, dass er HIV-positiv ist. Jessicas erste Reaktion: Flucht. Doch dann besinnt sie sich eines Besseren. Sie kämpft die Ängste und Vorurteile nieder, um zum ersten Mal in ihrem Leben Verantwortung zu übernehmen. So wird die Zeit mit Danny zu einer lebensverändernden Erfahrung. Missbrauchs- und Drogenschicksale erschüttern Jessicas heile Welt, Gewalt- und Verlusterfahrungen fordern ihre Widerstandskraft heraus. Der Leser begleitet sie auf ihrer Verwandlung vom unbedarften Mädchen zur starken Frau – und weint mit ihr am Schluss bittere Tränen. Zweimal schrieb Jessica Koch die Geschichte nieder. Die erste Fassung verbrannte sie vor etwa zehn Jahren, weil sie sich noch nicht reif fühlte für eine Veröffentlichung. Der zweite Anlauf führte im letzten Jahr zur wochenlangen PolePosition der Amazon-Charts und zu mehr als 200.000 verkauften Exemplaren. Die Romane „Dem Ozean so nah“ und „Dem Abgrund so nah“ komplettieren die „Danny-Trilogie“. Sie sind keine Fortsetzungen, sondern Prequels, die Dannys Geschichte vor seiner Zeit mit Jessica erzählen. Ende 2016 sicherte sich Matthias Schweighöfers Produktionsfirma Pantaleon Films zusammen mit Studio Canal die Filmrechte. www.jessica-koch.de

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JESSICA KOCH »DEM HORIZONT SO NAH« Taschenbuch, 464 Seiten Rowohlt Taschenbuch Verlag 3. Auflage ISBN: 978-3499290862 9,99 €


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8 FRAUEN Wie vielfältig die Probleme und Interessensfelder von Frauen mit HIV sind, lässt sich an den Repräsentantinnen ihrer Community ablesen. Hier kommt das internationale Heldinnen-Oktett der positiven Weiblichkeit TEXT: CHRISTIAN LÜTJENS

Nadja Benaissa Als „die Nadja von den No Angels“ wurde sie 2000 berühmt, als „die Nadja von den No Angels, die positiv ist“ wurde sie im Frühjahr 2009 von den deutschen Medien geschlachtet, als ihr HIV-Status öffentlich wurde. Der mediale Umgang mit dem „Fall Benaissa“ war beispielhaft für die Vorurteile, mit denen gerade positive Frauen zu kämpfen haben. Nadja fasste sie 2009 im M+-Interview folgendermaßen zusammen: „Ich habe mich auf eine Art diskriminiert gefühlt, von der ich nicht dachte, dass es sie in Deutschland 2009 noch gibt. Als Frau wurde ich sofort in eine Ecke gestellt: Die Schlampe ist schuld. Die geht doch mit jedem ins Bett, die Hure.“ Inzwischen ist die 35-Jährige als Solokünstlerin unterwegs, tritt aber nur selten auf. Jessica Lynn Whitbread Kunst und Aktivismus gehen bei Jessica Whitman Hand in Hand. Sie ist gleichermaßen Mitverfasserin des provokanten Manifests „Fuck Positive Women“ wie sie Kommunikationsbeauftragte der International Community of Women Living with HIV (ICW) ist. Whitman ist berühmt für ihre unkonventionelle, angstfreie Art, Diskussionen anzustoßen, bei denen sie gern ihren eigenen Körper und ihre Erfahrungen als queere Frau, die mit HIV lebt, in ihre Vorträge einfließen lässt. www.jessicawhitbread.com Maria Meija Die Latina aus Miami ist eine der wenigen lesbischen Aktivistinnen im Bereich HIV. Ihr positives Testergebnis bekam sie im Alter von 18 Jahren. Das ist inzwischen über 20 Jahre her. Über zwei Facebook-Seiten (eine auf Englisch, eine auf Spanisch) und ihren Youtube-Channel „Maria’s Journal“ klärt sie über HIV auf und richtet sich dabei schwerpunktmäßig an Migranten. Mit ihrer Frau Lisa war sie Teil der „Let’s Stop AIDS“-Kampagne der amerikanischen Gesundheitsbehörde.

Robihna Babirye Sie war bereits die zweite Gewinnerin der „Miss Y+“-Wahlen in Uganda, aber sie ist bis heute diejenige, die international am meisten Aufmerksamkeit erfuhr. Mit dem Schönheitswettbewerb für junge Positive (Y steht für „Youth“ und + für „Positive“) will der ostafrikanische Binnenstaat, in dem über ein Fünftel der Bevölkerung mit HIV lebt, Hoffnung säen und Vorbilder etablieren. Die Wahlen finden jährlich statt. Robina ist seit ihrer Geburt positiv. Über ihren Sieg im September 2015 freute sie sich mit den Worten: „Ich will den Gewinn dazu nutzen, die jungen Menschen und andere Gruppen, die von dem Stigma und der Diskriminierung, die mit der Krankheit verbunden sind, betroffen sind, von ihren Chancen zu überzeugen.“ Für diese Aufgabe werden die Teilnehmer der Y+-Wahlen zuvor eigens geschult.

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Michèle Meyer Sie ist die Frau, die 2011 mit Kunstblut beschmiert gegen den Besuch von Papst Benedikt im Deutschen Bundestag protestierte und die 2007 LHIVE gründete, die Organisation von Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz. LHIVE trug im Januar 2008 wesentlich zur Veröffentlichung des berühmten Statements der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (EKAF) bei, das konstatierte: „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös.“ Im Ondamaris-Interview sagte Meyer später darüber: „LHIVE hatte bereits im März 2007 innerhalb der nationalen HIV- und AIDS-Landschaft deutlich dazu aufgefordert die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nicht-Infektiösität öffentlich kohärent zu kommunizieren. (…) Die EKAF und das Bundesamt für Gesundheit mussten damit rechnen, dass wir nicht mehr lange warten und das Schweigen brechen würden.“ Meyer selbst bekam ihr positives Testergebnis 1994. Es war für sie weder eine Riesenüberraschung, noch das Todesurteil, das es damals noch hätte sein können. Sie kämpfte von Anfang an für ein Recht auf ein reiches und lebenswertes Leben. Sie ist Mutter zweier gesunder Töchter, „Femme“ und Aktivistin. Angelika Mincke Auf ihrem Twitter-Account charakterisiert sich Angelika Mincke als „Vision auf vier Reifen“, als Botschafterin der Welt-AIDS-Tag-Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe 2013 verkündete sie gemeinsam mit ihrem Mann Peter „Ich hab HIV – und den Rückhalt meines Partners“. In den 80er Jahren war sie heroinabhängig, seit 1985 ist sie infolge eines Unfalls querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. 2008 gründete Mincke die AIDS- und Behinderten Selbsthilfe (ABS), später den Verein Aktiv Barrierefrei Selbstbestimmt Leben e. V. Seit 2014 verantwortet sie das Info- und Beratungsportal wunderbar-positive-frauenwelt.de , wo sie nicht nur über ihre Erfahrungen mit der HIV-Therapie berichtet, sondern auch über ihr Leben mit der Behinderung.

ILLUSTRATION: MATHIAS ZILLIG FOTO: FACEBOOK (5), TWITTER (2), UNIVERSAL MUSIC (1)

Michelle Anderson „Meine größte Herausforderung als Frau, die mit HIV lebt, ist es, meine Geschichte zu einer Botschaft der Hoffnung für all jene zu machen, die im Stillen leiden“, sagte Michelle Anderson kürzlich beim Red Pump Project, einer Initiative, die Geschichten von Menschen, die mit HIV leben, im Dienste der Aufklärung verbreitet. Michelles Geschichte ist lang und schockierend. Als Tochter eines US-Offiziers zog sie in den frühen Jahren ihres Lebens ständig um, verbrachte Teile ihrer Kindheit in Deutschland. Zurück in Amerika geriet sie als Jugendliche in Texas immer an die falschen Männer, bekam mit 15 ihr erstes Kind, war mit 24 Crack-süchtig und wurde wenig später, im April 1999 HIV-positiv getestet: „Vorher hatte ich gedacht, HIV sei eine Krankheit von weißen, schwulen Männern, die ich als schwarze Frau nicht kriegen kann.“ Nachdem Michelle bei einem Drogenkauf niedergestochen wurde und fast gestorben wäre, stellte sie ihr Leben vom Kopf auf die Füße, setzte sich intensiv mit ihrem Leben und HIV auseinander und wurde zur Aktivistin – und zum Plus-Size-Model. Seit sie 2011 zur Miss Plus America gekürt wurde, hat sie den Posten der ersten und einzigen HIV-positiven Frau der USA inne, die eine Schöheitskonkurrenz gewonnen hat. Tommy Luckett Tommy Luckett ist die Stimme der positiven Transfrauen des nordamerikanischen Südens. Um das Klischee zu bannen, dass Transfrauen sich immer im Zuge riskanter Sexpraktiken HIV holen, ist es ihr wichtig zu betonen, dass sie selbst sich in der Beziehung zu einem ehemaligen Partner infizierte. Trotzdem räumt sie ein, dass noch immer viele Transfrauen in die Sexarbeit gedrängt werden, wodurch ein Großteil der Infektionen stattfinde. Manchmal auch mithilfe absurder Gesetze. „In einigen Staaten ist es rechtswidrig, eine bestimmte Anzahl von Kondomen mit sich zu führen“, so Luckett. „In solchen Fällen begünstigt das Gesetz die Verbreitung von HIV in der Transgender-Community.“ Luckett sitzt im Vorstand der Arkansas Transgender Equality Coalition und ist Beraterin der US-Gesundheitsbehörde. Sie hielt Vorträge auf allen großen HIV-Kongressen der USA.

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MONAT FÜRS MYSTERIUM

WIE SCHWUL IST HEP C?

Der Mai ist Hepatitis Awareness Month! Ein schwules Event? Wir tauchen ein in eine Institution, die bei uns zu Unrecht unterrepräsentiert ist TEXT: AXEL NEUSTÄDTER Im April machte die Meldung die Runde, dass das Robert-Koch-Institut in Berlin einen ungewöhnlich hohen Anstieg von HepatitisA-Infektionen festgestellt hat. Seit Mitte November wurden über 80 Neuinfektionen gezählt, der Großteil davon bei schwulen Männern. Die Tageszeitung Die Welt nutzte die Nachricht für die reißerische Schlagzeile „Hepatitis A grassiert unter Berliner Schwulen“, die Mediziner beeilten sich zu betonen, dass es sich um ein regionales Phänomen handele, bei Otto-Normal-Homo aber blieb letztendlich nur die ohnehin übliche Schlussfolgerung hängen: Hepatitis ist ein schwules Problem. So richtig stimmt das nicht. Zumal man zwischen den verschiedenen Hepatitisformen (A bis E) unterscheiden muss, von denen gegen die Hälfte geimpft werden kann, wobei der D-Typ sowieso nur in Kombination mit dem B-Typ vorkommt, gegen den es wiederum eine Prophylaxe gibt. Klingt kompliziert? Ist es auch. Zumindest kompliziert genug, um anzuerkennen, dass die amerikanische Tradition des Hepatitis Awareness Month (und des daran angeschlossenen Hepatitis Testing Days am 19. Mai) auch hierzulande Sinn ergäbe. Der Monat wurde 2001 vom Center for Disease Control and Prevention (CDC) ins Leben gerufen. Er dient dazu, mittels Veranstaltungen, Plakatkampagnen und aufmerksamkeitsträchtigen Social-Media-Aktionen das Bewusstsein für jenes Virus zu schaffen, von dem in den USA rund 5 Millionen Menschen betroffen sind. Wir rufen bei M+ einfach unseren eigenen Hep-Bewusstseins-Monat aus, indem wir das Rüstzeug für einen entspannten Umgang mit der vielleicht meist missverstandenen Infektion unserer Zeit liefern!

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Das hohe Bewusstsein für HIV in der schwulen Szene hat dazu geführt, dass viele automatisch denken, Schwule seien auch eine Risikogruppe für HCV. Stimmt aber gar nicht. HIV-negative schwule Männer haben kein größeres HCV-Risiko als jeder andere. Weil HCV durch Blut übertragen wird, ist es auch keine der klassischen sexuell übertragbaren Infektionen. Was das Vorhandensein von HCV-Viren in der Samenflüssigkeit angeht, widersprechen sich Untersuchungen. Manche sagen, das Virus sei im Samen nachweisbar, andere bestreiten es. Fakt ist, dass HCV sehr viel häufiger durch Gebrauch infizierter Spritzen bei Drogengebrauchern übertragen wird als beim Sex. Trotzdem hält sich die Gedankenkette härtnäckig: Schwule haben Analsex, beim Analsex kann es zu Blutungen kommen, also besteht ein erhöhtes HCV-Risiko. Studien bestätigen diese Annahme nicht. Wer Safer Sex macht, braucht sich also auch nicht zur Risikogruppe zählen. Nur wer regelmäßig ungeschütztem Analverkehr hat, ohne Handschuhe fistet oder rabiaten Sexpraktiken mit Verletzungsgefahr frönt, sollte sich einmal im Jahr testen lassen. Da HCVTests nicht zum Kanon der routinemäßigen Tests gehören, muss man sie beim Arzt ggf. konkret nachfragen.

WIE GEFÄHRLICH IST HEPATITIS NOCH MAL GENAU?

Hepatitis ist eine Leberentzündung. Je nach Typ und Ausprägung kann sie ohne gravierende Probleme von selber abheilen oder zur chronischen Infektion werden, die zu Stoffwechselstörungen führt und das Risiko von Krebs und Leberzirrhose mit sich bringt. Tödlich ist Hepatitis normalerweise nur bei älteren Menschen, aber auch bei Immunschwächeerkrankungen (z. B. HIV) ist Vorsicht geboten. Bei rechtzeitiger Erkennung wird mit gesunder Lebensführung gegengesteuert, Behandlungsmöglichkeiten sind vitamin- und proteinreiche Ernährung sowie antivirale Therapien mit Medikamenten.


Weil man gegen beide impfen kann! Und zwar als Schwuler kostenlos. Man sollte von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, selbst wenn man meint kein Risikokandidat zu sein. Eine Impfung gegen Hep A besteht aus zwei Spritzen, die innerhalb eines Jahres verabreicht werden. Bei Hep B sind es drei Spritzen innerhalb von sechs Monaten. Da Hep D nur in Verbindung mit Hep B auftritt, schützt eine Hep-B-Impfung automatisch vorm D-Typ. Auch eine Kombi-Impfung für A und B ist möglich.

WIE IST ES MIT TESTEN?

Jeder, der schon mal von den „falsch-negativen“ Testergebnissen oder den langen Zeitspannen gehört hat, die man zum zweifellosen Nachweis/Ausschluss einer Hepatitis-Infektion berücksichtigen muss (sechs Monate nach Risikokontakt), begegnet dem Thema „Testen“ mit einem gewissen Misstrauen. Dennoch steht fest: Die Testverfahren wurden in den letzten Jahren deutlich niederschwelliger gemacht. So ist inzwischen ein Schnelltest möglich, der nach 20 Minuten ein Ergebnis liefert. Dabei wird ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe abgenommen, der im Expressverfahren auf Antikörper untersucht wird. Hier kann schon sechs Wochen nach einem Risikokontakt ein positiver Status erkannt werden, der dann allerdings einer Überprüfung im Labor bedarf.

WIE GEHT EIN HEPAWARENESS-MONAT?

Die sprichwörtliche Alarmglocke wird am 19. Mai geläutet, wenn beim digitalen „Thunderclap“ die Hasthags #HepAware und #EliminateHepatitis durch die sozialen Medien gejagt werden und dabei jeder Einzelne an den eigenen Test- bzw. Serostatus erinnert wird. Im besten Fall erwachsen daraus private und öffentliche Debatten und wer sich unsicher ist, checkt die Testangebote in seiner Umgebung. Das geht auch ohne die staatliche Koordinierung, wie sie die CDC in den USA leisten. Die Informationsangebote der Deutschen Aidshilfe halten die nötigen Ressourcen berei: www.iwwit.de www.aidshilfe.de/hepatitis

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ILLUSTRATION: SHUTTERSTOCK.COM

WARUM SIND HEP A, B UND D (EIGENTLICH) KEIN PROBLEM?

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EVENT

TANZ AUF DEM VULKAN Mehr als nur Gerede! Der Wiener Life Ball meint es ernst mit seiner Neuerfindung und stellt dabei die eigenen Erfolgskonzepte infrage. Ein mutiger Schritt. Aber auch ein kluger? TEXT: CHRISTIAN LÜTJENS

E

nde November luden Life-BallGründer Gery Keszler und seine Crew ins Wiener Planetarium ein, um sprichwörtlich nach den Sternen zu greifen. Nachdem Europas größtes AIDS-CharityEvent, das normalerweise jährlich im Frühling im Wiener Rathaus stattfindet, 2016 pausiert hatte, um sich „neu zu erfinden“, herrschte beim Rendezvous im Kuppelsaal hinterm Prater-Riesenrad Aufbruchsstimmung. Alles war gekommen, was in der österreichischen Hauptstadt Rang und Namen hat – von Politprominenz wie SPÖ-Kanzler Christian Kern und Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner über TV-Stars wie Popsternchen Victoria Swarovski und Moderator Christoph Feurstein bis hin zu SzeneGrößen wie Holger „Miss Candy“ Thor und Star-Visagist Andreas Lackner. Es wurde geknipst, gelächelt und angestoßen, es wurden warme Worte gewechselt und üppige Blumensträuße übergeben und nicht zuletzt wurde im großen Stil visioniert. Die Kernbotschaften des Abends brachte allerdings ein nur knapp vierminütiger ImageFilm auf den Punkt, der auf die Projektionsfläche der Sternenkuppel projiziert wurde. Sie lauten: Nannte sich der Verein, der den Life Ball organisiert, bis jetzt AIDS-Life, so heißt er jetzt Life+. Lautete das Ziel bislang „Fight AIDS“, so lautet es nun „Together we can end AIDS“. Variierten die Life-Ball-Mottos bisher den Grundgedanken „Mehr Toleranz durch mehr Wissen“, so wollen sie ab sofort mit kon-

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Ikone als Warnung: Die „Großstadt“ von Otto Dix erwacht zum Leben

Lady in Drag: Style-Botschafterin für Wiens größtes Glamour-Event

kreten Forderungen arbeiten. Die Forderung für 2017 lautet: „Know Your Status“ – ein Appell, der die Richtung aktueller Präventionsbotschaften aufnimmt und auf der Erkenntnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO) basiert, das von geschätzten 36,7 Menschen, die weltweit mit HIV infiziert sind, nur 54 Prozent den eigenen Serostatus kennen. Die direkte Ansprache übernehmen im Kurzfilm Dita van Teese und Conchita Wurst, indem sie in einer Bluttest-Station sitzen, und in die Kamera sprechen: „I know my Status. Do you?“ Die gleiche Bluttest-Station fanden die Gäste dann im Foyer des Planetariums wieder. Von den Musikern Erich Zawinul und Doretta Carter wurde sie direkt in Anspruch genommen. Dieser konstruktive Ansatz war beispielhaft für die neue Life-Ball-Philosophie, die stärker als zuvor jeden Einzelnen auffordert, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. Das mit der Neuerfindung auch eine politischere Ausrichtung einhergeht, zeigte sich im Januar bei der Präsentation der Life Bible (früher Style Bible). Die „Bibel“ gibt seit jeher den optischen Rahmen für den Life Ball vor. Orientierte sie sich in vergangenen Jahrgängen an ästhetischen Konzepten von Hieronymus Bosch, Gustav Klimt oder orientalischen Bilderwelten, so bezieht sie sich diesmal auf den Zeitgeist der 1920er und 1930er Jahre. Die Fotografen Markus Morianz und Inge Prader haben mit Models Motive von Malern wie Otto Dix und Oskar Schlemmer nachgestellt. Damit beschwören sie den „Tanz auf dem Vulkan“, der in Europas Großstädten


zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zu einer kurzzeitigen Blüte einer liberalen, kreativen und freigeistigen Gesellschaft führte, während in Deutschland die Nationalsozialisten – mal unbemerkt, mal unterschätzt – nur darauf warteten, alledem ein jähes Ende zu bereiten. Gery Keszler erkennt in der Gegenwart viele Parallelen zu damals.

FOTO: KATHARINA SCHIFFL, JÜRGEN HAMMERSCHMID, ANA MADZIGON / LIFEBALL.ORG

„Die ideologische Spannweite in der Gesellschaft hat sich verschoben“, sagt er. „Die Zeichen der Zeit – wir kennen sie. Bereits Ende der 1920er Jahre und Anfang der 1930er Jahre konnte man die Anzeichen für das drohende Unheil spüren, auch damals versteckte es sich hinter schönen Masken und leeren Versprechungen. So wie damals sahen viele weg, manche aus Angst, manche aus Bequemlichkeit, manche aus kurzsichtigem Egoismus. Jetzt ist es an uns zu agieren.“ Dass Keszler damit auf Flüchtlingskrise, Russland, Türkei und die neuen Rechtspopulisten anspielt, versteht sich von selbst. Dass er daraus das zweite Life Ball-Motto „Recognize the Danger – Erkenne die Gefahr“ ableitet, ist folgerichtig. Denn auch die „Know Your Status“-Maxime kann nur in einer offenen Gesellschaft funktionieren, die frei ist von Stigma, Diskriminierung und der Angst vor sozialen Abstiegen. Weil derartige Phänomene zum Verschweigen und Verdrängen führen. Sie sind also gefährlich. Ihre Gefahr rechtzeitig zu erkennen, ist unser aller Aufgabe. Die Life Bible greift diesen Aspekt auf, indem sie die farbenfrohen Motive von Dix und Schlemmer mit bedrohlichen Schwarz-Weiß-Inszenierung in faschistischer Gleichschritt-Ästhetik hinterlegt und das Ganze mit provokanten Fragen wie „Who says what’s normal?“ und „Who is primitive?“ kombiniert.

Diese Beiden sind unstoppable: Conchita Wurst diskutiert mit Fotografin Inge Prader ihr Life-Bible-Motiv

Test im Planetarium: Soul-Sängerin Doretta Carter ließ sich bei der Life+-Präsentation vor Ort testen

Botschafterin des Neuanfangs: Dita von Teese sagt im Image-Trailer: „I know my Status! Do you?“

Life Ball-Papa Gery Keszler (links) bei der Präsentation der Life Bible im Januar

Es ist das erste Mal, dass die opulenten Foto-Inszenierungen der Life Ball-Bibel auf diese Weise gebrochen und gestört werden – das erste Mal, dass der schöne Schein, mit dem die Veranstaltung selbst so gerne spielt, konterkariert und hinterfragt wird. Ein mutiger Schritt. Zumal er die Gefahr von Fehlinterpretationen mit sich bringt. Aber auch darauf sind Keszler und seine Mitstreiter vorbereitet. So weißen die Vorgaben der Life Bible explizit darauf hin: „Nur die bunte, lebensbejahende Welt im Vordergrund der einzelnen Werke soll als Inspiration für die Outfits dienen. Die Uniformen und die damit einhergehende herannahende Gefahr, symbolisiert durch die schwarz-weiße Welt im Hintergrund, ist ausdrücklich kein erlaubter Style beim Life Ball 2017.“ Rein konzeptuell ist die Mission der Neuerfindung also schon mal geglückt. Jetzt bleibt abzuwarten, wie die Umsetzung bei der Wiedergeburt des Life Balls am 10. Juni aussehen wird. Letztendlich sind das Planetarium-Spektakel und die Life Bible ja nur die Vorhut der neuen Ära. Sie definieren den Rahmen für eine neue Vehemenz, mit der Life+ sich in Zukunft ganzjährig einmischen will – nicht nur in Sachen HIV, sondern auch in Sachen gesamtgesellschaftlicher Aufklärung. So wird am Tag nach dem Life Ball erstmals der „Life Ball Junior“ stattfinden, um auch Jugendliche für die genannten Themen zu sensibilisieren und eine Beratungskommission, der unter anderem Kanzlergattin Eveline Steinberger-Kern angehört, wird daran arbeiten, den Life+-Botschaften auch im Rest des Jahres und über Österreich hinaus Gehör zu verschaffen. Auf dass der Tanz auf dem Vulkan diesmal leidenschaftlich genug werde, um das schwelende Feuer auszutreten! Infos: www.lifeball.org

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MÄNNER

EVENT

2002

Nach der Währungsumstellung werden die Erlöse erstmals in Euro gerechnet. Der Betrag von 805.000 Euro ist ein erneuter Rekord. Zu den Gästen gehören Naomi Campbell, Heidi Klum, David Charvet („Baywatch“) und die No Angels.

2005

Eine Life Ball-Sonderbriefmarke kommt heraus. Sie zeigt Heidi Klum. Erstmals wird der „Life Ball Crystal of Hope“ an herausragende AIDS-Organisationen verliehen. Der Preis wird von Swarovski gesponsert und zur Premiere von Liza Minelli an das amerikanische Treat Asia Project übergeben.

2001

Eine Partnerschaft mit der Elton John AIDS-Foundation wird besiegelt. Elton John reist mit seinem Partner David Furnish zum Life Ball und hält die Eröffnungsrede. Erstmals übersteigen die Erlöse die Marke von 10 Millionen Schilling.

2006

Mobilitätsoffensive! Die Österreichische Bahn bietet einen Sonderzug namens „Ö3-Life-Ball-Express“ an,

2000

während zwischen New York und Berlin ein „Life Ball

Nach einem Rechtsruck in Österreich, zu dem u. a. Jörg Haiders FPÖ und die ÖVP beitragen, ist das Land mit EU-Sanktionen konfrontiert. Der Life Ball bekommt diese Entwicklung durch Absagen internationaler Gäste zu spüren. FPÖ- und ÖVP-Mitglieder werden ausgeladen – eine Maßnahme, die die Homosexuelle Initiative Wien (HOSI) schon seit 1995 forderte.

Flieger“ unterwegs ist.

1999

Wegen der Generalsanierung des Wiener Rathauses droht der Life Ball auszufallen, wird dann aber in die Wiener Hofburg verlegt. Zu den Gästen gehört neben Kylie Minogue auch Grace Jones, die zu zünftig feiert und deshalb vor öffentlichen Terminen unter Aufsicht gestellt wird.

1996

Nach drei erfolgreichen Ausgaben mausert sich der Life Ball zum Glamour-Großereignis. Zu den Besuchern gehören internationale Stars wie Bo Derek, Amanda Lear und Top-Model Markus Schenkenberg. Für die Modenschau zeichnet Paco Rabanne verantwortlich.

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1992/1993

Gery Keszler und Torgom Petrosian gründen 1992 den Verein AIDS Life, der im Mai 1993 den ersten Life Balls im Wiener Rathaus veranstaltet. Da Keszler als Visagist gute Kontakte in die internationale Modeszene hat, kann er für die Modenschau Thierry Mugler gewinnen.

2009

Gery Keszler bekommt nach einem zweijährigen Rechtsstreit gegen die Zeitung „Zur Zeit“ endlich eine Entschädigung wegen Beleidigung zugesprochen. Das Blatt hatte ihn 2007 als „Berufsschwuchtel“ bezeichnet. Keszler klagte gegen die Diffamierung, konterkarierte sie später aber auch selbst mit einer „Berufsschwuchtel“T-Shirt-Kampagne.


Uwe Michael Bänsch

Prakt. Arzt | Infektiologe (DGI)

Hausarzt • HIV • Hepatitis • STD‘s HIV-Schnelltest

Life Ball-Papa Gery Keszler (links) bei der Präsentation der Life Bible im Januar

Joachimstaler Straße 21 10719 Berlin Tel: 88 1 99 66 /-14 uwe-michael.baensch@t-online.de U3/U9 Spichernstraße, U9/U1 Ku‘damm, Bus 119/249

Sprechzeiten: Mo/Di 9-13 und 15-18 Mi 9-13 Do 9-12 und 15-19 n.V. Fr 9-13 Sa 10-12

2011

Bei der Eröffnung werden 30 Jahre AIDS/HIVForschung gefeiert. Redner sind u. a. Bill Clinton und Janet Jackson. Holly Johnson singt „The Power of Love“. Die Modenschau wird von den Dsquared – Machern Dean und Dan Caten ausgerichtet.

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30.10.2015 14:55:17

2015

Beim Life Ball 2015 enthüllt Gery Keszler erstmals, dass er selbst seit über 30 Jahren HIV-positiv ist.

2016

Zum ersten Mal in seiner Geschichte fällt der Life Ball aus. Keszler und sein Team wollen sich neu organisieren und die Veranstaltung auf den Prüfstand stellen. Im November wird das neue Konzept von Life+ vorgestellt.

Jacky-Oh Weinhaus Star-Transe

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MÄNNER

INFOTAINMENT

SEX-POSITIV IM NETZ

Mit der neuen Webserie „The PrEP Project” will Chris Tipton-King die Diskussion über schwule Safer-Sex-Regeln ins 21. Jahrhundert befördern. Der Titel ist zielführend. In einer Welt, in der Truvada als vorbeugende Pille gegen HIV-Infektionen funktioniert, müssen manche Regeln neu geschrieben werden. Oder wie Tipton-King es ausdrückt: „Mein Ziel ist es, die Diskussion um schwulen Sex von einem Klima der Angst in ein Klima der Aufgeklärtheit zu überführen.” Dafür hat sich der Filmemacher aus San Francisco einen illustren Cast aus Szene-Größen, Aktivisten und Porno-Prominenz an Land gezogen. Adult-Star Leo Forte ist ebenso mit an Bord wie PrEPAktivist Eric Paul Leue und Bodybuilding-Drag-Queen Rock Evans. „Dieses Thema liegt mir am Herzen”, so Tipton-King. „Weil es dabei um meine Community geht. Es geht um die Leute, die ich kenne und liebe. Ich versuche den ganzen Regenbogen der Gay-Community abzubilden. In unserem Cast sind Schwarze, Latinos, Asiaten, Dicke und Dünne, Positive und Negative dabei.” Der Trailer zur Serie, die ab Mitte Mai zunächst mit vier fünfminütigen Folgen an den Start gehen soll, spiegelt sich diese Vielfalt zusätzlich in einem sprichwörtlich bunten Mix aus Stilmitteln. Es gibt campe Schauspiel-Sequenzen, Interviews und heiße Bettszenen. Der sex-positive Ansatz der Freude am Vögeln ist dabei von vornherein spürbar. Auch dass „The PrEP Project” sich nicht vor Kontroversen scheut, zeigen schon die ersten Sekunden des Trailers. Da polemisiert PrEP-Aktivist Leue erst mal gegen den Gestank von Kondomen und ihre unangenehme Eigenschaft nach dem Orgasmus als „seltsame Ballons mit einer Flüssigkeit, die langsam kalt wird” am Schwanz rumzubaumeln. Klingt ein bisschen nach der überambitionierten Rhetorik von PrEPAktivisten, bei denen man irgendwann nicht mehr weiß, ob sie nur für PrEP oder in erster Linie gegen Kondome auf die Straße gehen – was ja dann auch wieder Blödsinn ist. Aber wenn der Regenboge n der Gay-Community tatsächlich vollständig abgebildet werden soll, müssten in „The PrEP Project” ja auch andere Meinungen vorkommen. Der sex-positive Ansatz ist zumindest schon mal spannend. www.theprepproject.tv

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FOTO:S THEPREPPROJECT.TV

Mitte Mai geht „The PrEP Project“ an den Start – eine Webserie so bunt wie der Regenbogen der Gay-Community. Ein Ausblick TEXT: CHRISTIAN LÜTJENS


DEIN ARZT HILFT. Wenn’s unten juckt, kann das ein Anzeichen für eine sexuell übertragbare Infektion (STI) sein.

www.liebesleben.de Eine Aktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), mit Unterstützung des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V., gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland.

dashochhaus.de & stefan-wirkus.de

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Ist die Viruslast der einzige Parameter fĂźr den Therapieerfolg?


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