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«Das Gröbste ist wohl überstanden»

Die Corona-Impfungen erfüllen ihren Zweck, Erkrankte vor schweren Verläufen zu schützen, nach wie vor, ist Ärztekammer-Präsidentin Ruth Kranz überzeugt. Dass die Omikron-Variante seltener zu schweren Verläufen führt, trägt ausserdem dazu bei, dass die Pandemie abflachen könnte. Einen «Tag X», an dem sie vorbei ist, könne aber niemand nennen. Interview: Heribert Beck

Frau Dr. Kranz, man hört, dass sich Geimpfte trotz Impfung anstecken und ansteckend sein können, dass sie trotzdem erkranken, dass immer neue Booster nötig sein würden … Haben die Impfstoffe doch nicht gehalten, was den Menschen versprochen wurde? Ruth Kranz: Doch, die Impfstoffe erfüllen deren Primärziel, nämlich den Schutz vor schweren Verläufen, Intensivbehandlung und Tod, mit einer bei Impfstoffen kaum je dagewesenen Zuverlässigkeit. In den seltenen Fällen, in denen ein vollständig geimpfter Mensch doch schwer erkrankt, ist in der Regel eine immunsuppressive Therapie (z. B. eine Chemotherapie) mit im Spiel, welche die Wirkung der Impfung hemmt.

Die «sterile Immunität», also der Schutz vor Infektion und dadurch die Verhinderung von Ansteckung anderer Personen ist den Mutationen zum Opfer

gefallen. Der Impfstoff wurde auf die Ursprungsvariante zugeschnitten, bei Mutationen ist der reine Infektionsschutz dann erwartungsgemäss nicht mehr so undurchdringlich, da die gebildeten Antikörper nicht mehr passgenau andocken können. Wir dürfen aber nicht vergessen: Der Impfstoff ist nicht entwickelt worden, um primär die Infektionsdynamik zu hemmen, sondern um das Individuum vor schweren Folgen, bis hin zum qualvollen Tod, zu schützen. Und hier wirkt die Impfung inkl. Booster auch bei den Mutationen weiterhin hervorragend.

Die Impfgegner führen immer wieder angeblich häufige Fälle von schweren Nebenwirkungen an. Wie viele solcher Fälle hat es Ihres Wissens in Liechtenstein gegeben und wie beurteilen Sie Nutzen und Risiko der Impfungen? Relevante Nebenwirkungen sind äusserst selten und in meinen Augen auch nicht unbedingt als schwerwiegend zu bezeichnen. Zumeist handelt es sich um thromboembolische Ereignisse bei jungen Frauen sowie Herzmuskelentzündungen bei jungen Männern, beides in der Regel vom Moderna-Impfstoff verursacht. Deswegen wird Personen unter 30 Jahren der Pfizer-Impfstoff empfohlen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass alle Nebenwirkungen, die die Impfung auslösen kann, ebenso von der Corona-Infektion ausgelöst werden können. Nur deutlich häufiger und oftmals mit gravierenderen Folgen.

Kurz vor dem Jahreswechsel haben Sie vor einem «Omikron-Tsunami», überfüllten Intensivstationen und drohenden Triagen gewarnt. Ein Blick auf die Intensivstationen legt nahe, dass dieses Szenario so nicht eingetreten ist. Der «Omikron-Tsunami» ist bereits da, die Fallzahlen bewegen sich überregional in Grössenordnungen, die man sich vor einem Jahr nicht mal vorzustellen gewagt hat und der Peak scheint noch nicht erreicht. Die Entwicklung zeigt nun aber, dass Omikron im Vergleich zu Delta grundsätzlich deutlich weniger aggressiv für die infizierte Person ist, sowohl für Geimpfte als auch für Ungeimpfte. Omikron-Fälle landen grundsätzlich deutlich seltener auf der Intensivstation, füllen aber zusehends die Normalstationen der Spitäler, was das Gesundheitswesen erneut enorm belastet. Aber auch Omikron ist kein Schnupfen, auch an Omikron sterben ungeimpfte Menschen, teilweise ohne relevante Vorerkrankungen.

Das Corona-Virus wird wohl nicht mehr komplett verschwinden, das ist mittlerweile bekannt. Aber wann wird die Pandemie in der jetzigen Form beendet sein? Das kann kaum jemand klar und mit Sicherheit beantworten, dafür sind zu viele Variablen zu beachten. Eine Pandemie dauert im Schnitt vier bis fünf Jahre und hört nicht einfach am Tag X auf, um am Tag Y als Endemie weiter zu existieren, der Übergang ist fliessend und vollzieht sich langsam, fast unmerklich. Die fortschreitende Immunisierung der Bevölkerung durch Impfung und Infektion wird der Pandemie kontinuierlich Tempo und Schlagkraft entziehen und wir bewegen uns dann sukzessive in eine Lage, die die Spitalinfrastruktur nicht mehr existentiell bedroht. Gleichzeitig entwickelt sich das Virus global immer weiter, wobei auch die Möglichkeiten des Virus mikrobiologisch nicht unendlich sind.

Was uns noch erwartet hängt also von vielen Faktoren ab, massgeblich können wir die Entwicklung auch durch unser Verhalten aktiv beeinflussen: Tragen wir das Virus nicht weiter, lassen wir uns impfen und bleiben vorsichtig, beschleunigen wir den Untergang der Pandemie und erreichen früher den gewünschten Zustand der «alten Freiheit». Das Einzige, was ich heute mit grosser Sicherheit sagen kann: Das Gröbste ist wohl überstanden und wir werden mit absoluter Garantie früher oder später unser altes Leben wieder zurückerhalten. Es ist eine Frage der Geduld, auch wenn es nach zwei Jahren schwerfällt, geduldig zu sein.

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