Bio ist, was ihr draus macht

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Bio ist, was ihr draus macht

Magazin der Wissenschaftsjournalisten an der Hochschule Darmstadt 2007



Editorial

Mein kleiner grüner Schimmel steht draußen am Balkon… Einmal das Essen vergessen – schon blüht der

Die fünf anderen Eier, die auf dem Boden landeten,

Schimmel in allen Farben, eine Schönheit im Pelz.

eine ganze Rolle Klopapier zum Aufwischen und ein

Nein, nicht wegwerfen! Als Titelmodel kommt er

verstopftes Klo. Der selbstgemachte Mozzarella aus

bei uns groß raus. Wir studieren Wissenschaftsjour-

dem Küchenexperiment sah da schon besser aus,

nalismus an der Hochschule Darmstadt und sind

Milchsäurebakterien machten es möglich. Der Ge-

neuerdings echte Schimmelfans. Das bunte Gewächs

schmack… na ja, die Katze fand ihn lecker. Wir haben

nimmt an unserem bisher größten Projekt teil: Ein

lieber den Kuchen aus Hermann-Teig verzehrt, dessen

Magazin rund um die Biotechnologie. So hieß das

Hefekulturen unsere Kommilitonin Jasmin Schreiter

Ziel für unser Journalismus-Seminar im dritten

mit Hingabe gefüttert hat.

Semester. Ein Stück von Heftplanung bis Layout, mit

Aber auch die wahre Wissenschaft haben wir er-

Reportagen, Interviews und Texten voller schräger

kundet. Dafür steckten wir Nasen und Kameras in die

Ideen. Für alle, die sich nicht vorstellen können,

Labore der Hochschule Darmstadt, an der Studenten

dass wir ohne Bakterien und Pilze verloren wären.

an eigenen Projekten forschen. Außerdem haben wir

Und die rätseln, was das lange Wort »Wissenschafts-

herausgefunden, was genmanipulierte Kartoffeln mit

journalismus« bedeutet. Schon mal vorneweg: Das

Hochglanzmagazinen zu tun haben. Und warum die

Härteste ist nicht das Schreiben – sondern der

besten Ideen manchmal in einer Handvoll Erde ste-

Selbstversuch.

cken. Neue Entwicklungen, Prognosen, Arbeitsfelder

So ist ein Tag ohne Biotechnologie wirklich haarsträubend. Für diese Horrorstory hat Autorin

– Bio ist, was ihr draus macht! An dieser Stelle ein Dank an Studentin Beranusch

Simone Müller drei Monate lang ihre Bürste nicht

Hosseinabadi-Farahani aus Darmstadt, die den Balkon

gereinigt. Stattdessen hat sie ihrem Kommilitonen

wochenlang mit ihren Essensresten teilte, bis sie

Sebastian Weissgerber ein Ei ins Haar geschlagen, als

diesen ausgewachsenen Schimmelpilz für unser Cover

Shampoo-Ersatz. Was man auf den Bildern nicht sieht:

zur Verfügung stellte.

l Das Foto-Shooting für »Ein Tag ohne Biotechnologie« war für Simone Müller und Irene Berres ein feuchtfröhliches Erlebnis. Auch Sebastian Weissgerber musste Opfer bringen – eieiei, war das glibberig! Die rest­liche Redaktionsarbeit fand zum Glück im Trockenen statt. Dennoch hatten wir dabei nicht weniger Spaß, fand zumindest Lisa Leander.

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Inhalt

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Editorial Inhalt

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Käse oder Kl0n? Unsere Umfrage: Was Menschen über Biotechnologie zu wissen glauben.

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Nachrichten

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Sprudel, blubber, kleb 16 Biotech zum Selbermachen: drei Experimente für Zuhause

Abartig! 28 Was passieren würde, wenn Biotechnologen mal so dürften, wie sie könnten.

Erfindergeist aus der Erde 18 Die Natur beherbergt Millionen unbekannter Enzyme – die chemische Industrie braucht sie, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ein Enzym in den Kinderschuhen 30 Wieso Studenten der Hochschule Darmstadt ihre stinkende Bakterienkultur so lieben.

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Die Kuh, der neue Energieträger 23 Warum die Verdauung der freundlichen Tiere unser Ressourcenproblem lösen könnte

Diagnose Zukunft 10 Wie Gen-Chips die Welt der Medizin verändern werden.

Schutzhelm im Büroschrank 24 Verfahrenstechnikerin Ulrike Maier verhilft Mikroorganismen zur Karriere in der Industrie. Ein Portrait

Frau Merkels Farbenkasten Blaue, grüne, weiße, graue Biotechnologie – sehen Sie schon rot?

Labor oder Frittenbude? 14 Auch wenn der Gründerboom vorbei ist: Die Berufschancen für Biotechnologen sind gut. Ein Interview

Dolle Knolle Der Chemieriese BASF ist auf die Kartoffel gekommen.

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Die Transzendenz des Ego 33 Was einen existenzialistischen Studenten veranlasst, selbstständig ein Forschungsprojekt zu betreuen. Zwei Tausendstel Elite 35 Die Ausbildung von zwei Elitestudenten kann sich die Hochschule nur alle paar Jahre leisten. Ein Tag ohne Biotechnologie 36 Was passiert, wenn Mikroorganismen in den Streik treten – Vorhang auf für ein Drama in fünf Akten.

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Wieso, weshalb, warum? 39 Was Biotechnologen wissen. Und Sie unbedingt wissen wollen. Wenn Bio killt 40 Bakterien und Viren als biologische Waffen Mythos Sauerteig 44 Warum ein grauer Klumpen Kinder glücklich und Mütter wahnsinnig macht – alles über Hermann, Siegfried und Co. Unsere Biotech-Chronik

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Impressum

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Umfrage

Käse oder Klon? Die Biotechnologie hat ein Vermittlungsproblem: Sie wird gerne mal mit der Bionik verwechselt – und in Sachen Gentechnik hat sie nicht den besten Ruf. Doch sie tut auch Gutes in Sachen Brot und Bier, fanden die Befragten von Katharina Zaczek.

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einer Meinung nach spricht man von Biotechnologie, wenn eine natürliche, bei der Natur abgeschaute Eigenschaft für den Menschen

nutzbar gemacht wird. Beispiele sind Hubschrauber, die Ahornsamen

M

ir fällt zunächst auf, dass das Wort eine Kombination zweier Bereiche ist: Biologie und Technologie. Die Biologie beschäftigt sich

mit dem, was »natürlich« gewachsen ist oder mit Prozessen, die in der

nachempfunden wurden, oder Schmutz abweisende Oberflächen, die man

lebendigen Natur vor sich gehen. Technologie dagegen befasst sich mit

sich bei der Lotusblüte abgeschaut hat. Aber auch die Herstellung von

der Herstellung oder Verarbeitung von Rohstoffen. Man verbindet damit

Alkohol, Käse, Joghurt oder die Produktion von Rohstoffen für die

etwas künstlich Hergestelltes.

Pharmaindustrie umfasst dieser Begriff. Niclas Ehemann, 26, studiert Technikjournalismus

Was Biotechnologie für mich bedeutet?

Anmerkung der Redaktion: Nicht Biotechnologen, sondern Bioniker schauen sich Phänomene wie etwa den »Lotuseffekt« von der Natur ab. Was Biotechnologie sonst noch kann, erklärt Christina Merkel in ihrem bunten Farbenkasten (S. 39).

Ich weiß, dass die Biotechnologie oder die Biochemie bei der Herstellung von Bier und Käse entscheidend ist. Ohne sie müssten wir zum Beispiel bei einem gemütlichen Abend auf solche Lebensmittel verzichten – und das wäre doch mehr als schade, oder? Denn auch natürlich erscheinende Lebensmittel wie Bier und Käse oder sogar Brot wachsen nun einmal nicht natürlich, sondern müssen künstlich hergestellt werden. Ohne den Einsatz der Biotechnologie in Kläranlagen hätten wir nicht einmal sauberes Trinkwasser. Andererseits fällt mir hier auch die Gentechnologie ein. Die ist ja immer noch heftig umstritten. Ich frage mich aber, ob ich denn zum Beispiel Tomaten brauche, die sich vier Wochen halten. Die

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Langzeitfolgen der Gentechnologie und ob sie schädlich für uns Menschen as ich zum Thema Biotechnologie sagen kann? Ich bin seit 23 Jah-

ist, das konnte noch nicht erforscht werden. Deshalb stehe ich ihr weiter-

ren Bäckermeister und das Einzige, was mir spontan dazu einfällt,

hin mit Skepsis gegenüber. Aber insgesamt finde ich, dass die Biotechno-

ist der Einsatz der Biotechnologie beim Herstellen von Lebensmitteln. Schon vor über 6000 Jahren haben unsere Vorfahren von der Biotech-

logie uns große Dienste erweist. Sylvie von Nida schreibt ihre Doktorarbeit im Fach Germanistik.

nologie profitiert. Durch Beobachten lernten die Menschen, bestimmte Abläufe in der Natur für die Produktion von Nahrungsmitteln zu nutzen. Diese Form der Biotechnologie beruht auf Leistungen von Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen, die seit Jahrtausenden eingesetzt werden. Ein Beispiel hierfür ist natürlich die Erzeugung von Brot. Man könnte sagen, dass ich der Biotechnologie meinen Beruf verdanke. Franz Geißner, 54 Jahre, arbeitet als Bäckermeister.

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as ich ganz sicher weiß: dass Bier etwas mit Biotechnologie zu tun hat. Da kenne ich mich aus. Bier kann man sogar selbst brauen, denn schon

mit wenigen Geräten lässt sich der heimische Keller in eine kleine Hausbrauerei verwandeln. Das Brauen ist einfacher, als man denkt. Und das würde ja auch heißen, dass jeder Heimbrauer ein kleiner Biotechnologe ist. Kann man das so sagen? Mit den so genannten BierKits, die alle notwendigen Zutaten für das Bierbrauen beinhalten, dauert das Ansetzen des Biersudes nicht einmal eine halbe Stunde. Ist der hergestellt, muss er für eine Woche in den Gärbehälter. Das Bier wird dann in Flaschen abgefüllt und muss in der Folge je nach Sorte noch sechs bis zwölf Wochen gären. Dann ist es fertig, und man kann gemeinsam mit Freunden auf das selbstgemachte Bier anstoßen. Noch Fragen? Dieter Schnellbächer, 48 Jahre und Kfz-Mechaniker

B

iotechnologie ist, glaube ich, eine Mischung aus Biologie und Biochemie mit einem technischen Nutzen, das Lernen von der Natur sozusagen.

Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gibt es da verschiedene wissenschaftliche Gebiete. Für Lebensmittel wie Käse, Joghurt, Brot oder Wein ist die Biotechnologie unerlässlich. Ich glaube, der Lotus-Effekt und die Herstellung von Antikörpern für die Medizin haben auch etwas mit Biotechnologie zu tun. Biotechnologie spielt für den Menschen eine große Rolle, da sie uns alle in irgendeiner Art und Weise betrifft. Ob jetzt durch Lebensmittel, Medizin oder anderes. Mandy Beppler ist Friseurin und Bürokauffrau.

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as mir zu diesem Thema einfällt, ist das Klonen, also der Versuch, ein menschliches Wesen zu schaffen, das genetisch mit einem anderen

identisch ist. Spätestens bei der Geburt von Klonschaf Dolly mussten wir feststellen, wie schnell Klonforschung und Gentechnik voranschreiten und wie viele der bisher gültigen Regeln von der wissenschaftlichen Realität schlichtweg überholt wurden. Die Entscheidung darüber, was verboten und was erlaubt werden soll, ist ziemlich schwierig − und ich möchte nicht diejenige sein, die diese Entscheidung treffen muss. Wo setzt man die Grenze zwischen medizinisch sinnvoller Forschung und unzulässigen, weil ethisch bedenklichen Versuchen an menschlichen Geweben oder gar Embryonen? Wo beginnt der Schutz menschlichen Lebens? Petra Gebhard, 51 Jahre alt und Köchin an der TU Darmstadt

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Nachrichten

Ethisch unbedenklich: Stammzellen aus Fruchtwasser Das Fruchtwasser von Schwangeren enthält Stammzellen, die sich möglicherweise für therapeutische Zwecke eignen. Österreichische Forscher haben 2005 erstmals Stammzellen aus Fruchtwasser isoliert. Aber es blieb unklar, zu welchen Zellarten sich die Stammzellen entwickeln können und wie groß demnach ihr therapeutisches Potenzial ist. Forscher um Paolo De Coppi und Georg Bartsch Jr. vom Wake Forest Institute for Regenerative Medicine in North Carolina haben jetzt herausgefunden, dass Stammzellen aus Fruchtwasserproben sich zu Fett-, Muskel-, Nerven-, Leber- und Knochenzellen entwickeln können. Weil diese Zellen auch in der Nachgeburt enthalten seien, stünde somit eine ergiebige und ethisch unbedenkliche Quelle für Stammzellen zur Verfügung, schreiben die Forscher im Magazin »Nature Biotechnology«. Die Zellen könnten neue Therapien

r Das Fruchtwasser von Schwangeren könnte eine ergiebige Quelle für Stammzellen sein – eine ethisch unbedenkliche dazu. Forscher aus den USA haben sie jetzt angezapft.

beispielsweise von Rückenmarksverletzungen oder Alzheimer ermöglichen. Allerdings sind die Stammzellen aus dem Fruchtwasser nicht so flexibel wie embryonale Stammzellen, die sich in alle im Körper vorkommenden Zelltypen verwandeln können. Sie sind aber wesentlich vielseitiger als adulte Stammzellen. Wurden diese etwa dem Nervengewebe entnommen, können sie sich wiederum nur zu Nervenzellen entwickeln. Die Stammzellen aus dem Fruchtwasser zeigten dagegen auch nach 250 Teilungen noch keine Alterserscheinungen und bildeten keine Tumore, was eine therapeutische Nutzung ausschließen würde. Durch Einpflanzen von Fruchtwasserstammzellen in Mäuse haben die Wissenschaftler gezeigt, dass sich aus ihnen funktionstüchtiges Nerven- oder Knochengewebe entwickelt. Sie glauben daher, dass die Zellen für Therapien von Knochen- und Nervenleiden geeignet sein könnten.

Salmonellen greifen Körper mit Guerilla-Taktik an

Salmonellen gehen im Körper ihres Opfers ähnlich vor wie Guerilla-Kämpfer. Das haben Forscher an der britischen University of Cambridge herausgefunden. Ihre Ergebnisse könnten helfen, neue Impfstoffe zu entwickeln, die eine Infektion effektiver bekämpfen, berichtet das Magazin des britischen Biotechnology and Biological Sciences Research Council. An Salmonellen sterben weltweit jährlich etwa 250 000 Menschen. Die Wissenschaftler haben Mäuse mit Salmonellen infiziert. Die meisten infizierten Mäusezellen enthielten dabei jeweils nur ein Salmonellen-Bakterium, stellten die Forscher fest. Dieses Ergebnis war überraschend, da üblicherweise in Zellkulturen einzelne Zellen mit vielen Bakterien befallen sind. Zunächst dachten die Forscher, dass das Immunsystem der Mäusezellen die Bakterien am Wachsen hindert. Doch mit Hilfe eines Computermodells konnten sie jetzt eine

o Auch wenige Kämpfer können großen Schaden anrichten, wenn sie die Guerilla-Taktik anwenden

andere Erklärung finden. Nach dem Modell dringt eine einzelne Salmonelle in die Zelle ein, wächst und vermehrt sich rasch. Ihre Nachkommen verlassen die Zelle, bevor deren Immunsystem sie vernichten kann. Sie schwärmen aus, jeder befällt wieder ein gesundes Opfer, und die neu infizierten Zellen müssen jeweils ihr Immunabwehrprogramm starten. Pietro Mastroeni, Leiter des Forscherteams, vergleicht das Vorgehen der Bakterien mit einer Guerilla-Taktik: Den Gegner zwingen, an vielen Orten gegen eine kleine Zahl von Angreifern zu kämpfen, anstatt ihm zu erlauben, an einem Ort vernichtend zuzuschlagen. Diese Taktik der Bakterien führt zu einer wachsenden Anzahl von getrennten Infektionsherden. Christian Meier

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Frau Merkels Farbenkasten

Lieblingsfarbe: bunt Rote, graue, grüne, blaue – lieber Biotechnologe, komm und schaue!

Moment, ich dachte das gibt es nur in Kinderliedern und bei Laternen? Und wo bleibt das Gelb? Gibt es keine gelbe Biotechnologie? Wie unfair, Gelb wird gemobbt. Gleich fünf verschiedene Richtungen gibt es. Gekennzeichnet durch jeweils eine Farbe: Rot, Grau, Grün, Blau und Weiß. Lieblingsfarbe bunt. Genauer schauen lohnt sich. Aber durchblicken muss nicht gleich sein, oder? Also der Reihe nach. Das Entwickeln neuer Medikamente und Heilmethoden ist Hauptaufgabe der roten Biotechnologie. Rot wie Blut. Klar. Stammzellen lautet hier das Stichwort. Sie besitzen die Fähigkeit sich immer wieder zu teilen und ganz unterschiedliche Entwicklungsrichtungen einzuschlagen, zum Beispiel zu Gewebe oder Organen. Es gibt auch Blutstammzellen im Knochenmark. Von wegen Rot und so. Ihre Möglichkeiten sind aber schon eingeschränkter. Sie werden zwar zu verschiedenen Blutzelltypen, können aber keine Muskeloder Nervenzellen bilden. Deshalb brauchen Wissenschaftler die

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Alleskönner: humane embryonale Stammzellen. An ihnen darf aber, im Sinne des EmbryonenschutzGesetztes, in Deutschland nicht herumexperimentiert werden. Da ist bestimmt manch Forscher ganz rot vor Wut. Grau entsteht, wenn es Kinder in ihrem Farbkasten zu gut meinen und alles zusammenkippen. Genau darum geht es in der grauen Biotechnologie. In Kläranlagen fließt alles zusammen und ergibt eine eklige, graue… Na gut, lassen wir das. Nur so viel: Es gibt Mikroorganismen, denen schmeckt das, und sie zerkleinern die Pampe. Damit nicht genug. Bakterien machen noch mehr graue Drecksarbeit. Sie schaffen es, auch vergiftete Böden zu reinigen. Die grüne Biotechnologie beschäftigt sich mit allem was blüht und gedeiht. Mit Pflanzen und mit Landwirtschaft. Sogar grüne Politiker kommen da ab und zu ins Spiel, da auch die gezielte gentechnische Veränderung von Grünzeug zu diesem Zweig zählt. Bekanntes Beispiel ist der Versuch, Pflanzen gegen Schädlinge oder

ungünstiges Wetter abzuhärten und so die Erträge zu erhöhen. Im Ausland gedeihen sie derzeit besser. Die grünen Politiker und die Genetik. Während Europäer genmanipulierter Nahrung skeptisch gegenüberstehen, gehören in den USA gentechnisch veränderter Mais und Soja bereits zum Alltag. Weiß ist keine richtige Farbe. Weiß ist schwer zu sehen. Auch die weiße Biotechnologie wird von uns am wenigsten wahrgenommen. Gleichzeitig ist sie überall. Wir sind ständig von ihren Errungenschaften umgeben. Genauso wie mehr Dinge um uns herum weiß sind, als wir im ersten Moment glauben würden. In Brot, Wein, Bier, Sauerkraut, Salami, Käse und Joghurt steckt jede Menge Biotechnologie. Ohne, dass es uns auffällt. Weiße Biotechnologie passiert in geschlossenen Industriehallen. Zugleich ist sie die älteste und ursprünglichste Form. Früher gewannen Apotheker Insulin aus Bauchspeicheldrüsen von Schweinen. Heute wird es mit Hilfe von Bakterien im großindustriellen Maßstab produziert.

Blau wie der Himmel, blau wie das Meer. Beim Versuch den Himmel technisch zu verändern würden Biologen wohl eher baden gehen. Dann lieber freiwillig ins Wasser. Tiefseebakterien suchen. Diese Mikroorganismen haben sich an ein Leben unter extremen Bedingungen angepasst. Starker Druck, Hitze, Sauerstoffmangel – für sie kein Problem. Wissenschaftler erhoffen sich daraus Enzyme zu gewinnen, die beispielsweise auch bei hohen Temperaturen wirksam bleiben. Kommen wir zu den Außenseitern, den Gemobbten. Kommen wir zum Gelb. Auch wenn es kaum einer weiß, es gibt sie heute tatsächlich, die gelbe Biotechnologie. Jemand hat sich erbarmt und etwas Neues entwickelt. Ihr Spezialgebiet ist das Herstellen von anorganischen und organischen Ausgangsstoffen. Ein Beispiel ist die Produktion von Ammoniak als Grundbaustein von Düngemitteln. Die gelbe Biotechnologie ist also wichtig für alle anderen. Bloß nicht gelb werden vor Neid. Christina Merkel


Diagnose Zukunft Bald analysieren Ärzte das Erbgut ihrer Patienten, bevor sie ihre Krankheit behandeln.

Gen-Chips liefern innerhalb weniger Stunden ein umfassendes genetisches Profil eines Menschen – und das auf der Fläche eines Daumennagels. Schon länger sind die Chips ein bedeutendes Instrument für die Forschung. Jetzt sollen sie auch bei der Diagnose und Therapie von Krankheiten helfen, allen voran Krebs. Der Arzt zieht rasch ein Wattestäbchen über die Mundschleimhaut. Oder er piekst mit einer kleinen Nadel in die Fingerkuppe. Ein Bluttropfen quillt aus der Haut und wird von einem Teststreifen aufgesaugt. Der Doktor schiebt ihn in ein Gerät von der Größe eines Schuhkartons. Alle 30 000 Gene des Patienten werden hier auf einen Schlag registriert – welche von ihnen sind aktiv, welche schlafen? Wie viele Kopien gibt es von einzelnen Erbgutträgern, welche Mutationen sind vererbt? Minuten später das Ergebnis: »Dieses Medikament ist für Sie geeignet. Ihre optimale Dosis liegt bei zwölf Tropfen täglich.« Dann blickt er noch einmal auf und lächelt: »Und, ach ja. Der Krebstest ist negativ.« Nur eine Zukunftsvision? Tests dieser Art benötigen heute zwar noch mehrere Stunden. Und nur Spezialisten können mit den Gen-Chips umgehen. Doch die Technik der so genannten DNA-Microarrays, die ein umfassendes Genprofil erstellen, ist längst vorhanden. Bei Tumorzellen etwa sind andere Gene aktiv als bei normalen Körperzellen. So lässt sich eine frühe Diagnose stellen – lange bevor ein Arzt auf einem Ultraschall- oder Röntgenbild einen Tumor erkennen kann. Mit dem Wissen, welche Rolle bestimmte Gene bei der Ursache von Krankheiten spielen, lassen sich Risikofaktoren bestimmen und Therapien verbessern. Weltweit analysieren tau-

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sende Forschergruppen die Funktion der Gene und entschlüsseln ihre Aufgabe rasend schnell: Allein das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg entdeckte im vergangenen Jahr sechs Gen-Signaturen, die bei der Krebstherapie relevant sind. Auch zu zwei anderen Krankheiten, einer tödlichen Herzerkrankung bei Säuglingen sowie der entzündlichen Darmkrankheit Morbus Crohn, fanden sie genetische Ursachen. Allerdings gibt es auch Rückschläge. Denn über die Hälfte der Microarray-Studien zu Krebs enthalten kritische Fehler, wie eine US-amerikanische Forschergruppe am National Cancer Institute in Maryland im Januar berichtete. Offenbar produzieren Gen-Studien solche Unmengen an Daten, dass Forscher diese leicht fehl interpretieren. Oft ist es auch schwierig die Studien zu wiederholen und damit die Ergebnisse zu bestätigen. Um solche Fehler zu vermeiden, stellten die Wissenschaftler einen Leitfaden zusammen. »Diese Richtlinien sollen die Qualität der Microarray-Analysen wesentlich verbessern«, schreiben die Forscher in der Zeitschrift ihres Instituts.

Revolution in der Medizin Die boomende Gen-Chip-Branche braucht also gesicherte Erkenntnisse, um ihre Produkte im Gesundheitsmarkt zu platzieren. Mit entsprechenden Diagnosegeräten könnten Ärzte Krebs und andere Krankheiten früher erkennen und darüber hinaus die Therapie genau an Art des Tumors oder Erregers und das Erbgut des Patienten anpassen. »Das wird nicht morgen sein«, sagt Jörg Hoheisel, Leiter der Funktionellen Genanalyse im Deutschen Krebsforschungszentrum. »Aber noch im frühen 21. Jahrhundert, im

sehr frühen sogar.« Einige wenige Chip-Tests analysieren schon heute das Erbgut von Menschen, aber auch von Viren und Bakterien, um Veranlagungen und Krankheiten zu erkennen. Immer mehr Unternehmen entstehen, große wie kleine Firmen entwickeln eigene Chiptechniken und neue Tests. »Das fängt gerade erst an, aber das wird ein großer Markt«, sagt Hoheisel. Sein Blick streift dabei kurz den Kalender an der Wand. »Wien«, »München« oder »Boston« steht da ein ums andere Mal. Die Städtenamen stehen für Tagungen, die sich allein um die verheißungsvollen Gen-Chips drehen. »Als ich vor ein paar Jahren angefangen habe, waren es vielleicht drei Kongresse im Jahr, heute kann man sie gar nicht mehr zählen.« Die EU hat die Chancen der Gen-Chips erkannt. Ihr OVCAD-Projekt (Ovarian Cancer – Diagnosing a Silent Killer) soll schnelle Diagnosen und optimale Therapien für Eierstockkrebs entwickeln. Mit einem Budget von über vier Millionen Euro ist die Initiative das größte europäische Forschungsprojekt zur Krebsdiagnose. Dabei sollen Gen-Chips zunächst die die Genaktivitäten in Tumorzellen von Patientinnen mit Eierstock-Krebs analysieren. »Uns interessieren vor allem Unterschiede zwischen jenen Patientinnen, die auf eine Chemotherapie ansprechen und jenen, bei denen diese Standardtherapie versagt«, sagt Professor Robert Zeillinger, OVCAD-Chef an der Medizinischen Universität Wien. »Die Analyse dieser Unterschiede wird es ermöglichen, Aussagen über den potenziellen Erfolg einer Chemotherapie zu treffen, und zwar zum Zeitpunkt der Diagnose, und nicht wie bisher üblich erst viele Monate und großes Tumorwachstum später.« Eine seiner Mitarbei-

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Wohnzimmertauglich: Leseger채te f체r Gen-Chips kommen im schicken Design und lassen sich 체ber den Windows-PC steuern.

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terinnen, Eva Obermayer, hat sogar schon eine Methode entwickelt, um mit Gen-Chips einzelne, verstreute Krebszellen im Körper zu finden. Damit scheint ein Schnelltest für Krebs in greifbare Nähe zu rücken. Entwickelt hat die Technik der Amerikaner Stephen Fedor Ende der 80er Jahre (siehe Infobox auf S. 13). Heute ist der Biochemiker längst Multimillionär. 1993 gründete er das Unternehmen Affymetrix, das heute Weltmarktführer in der Gen-Chip-Technik ist. Es brachte 1996 den ersten kommerziellen Chip auf den Markt – zur Erforschung des AIDS-Virus. Inzwischen stellen verschiedene Unternehmen die kleinen Glasplättchen her. Manche enthalten alle 30 000 bekannten menschlichen Gene, andere das komplette Genom von Hund oder Maus. Manche Chips konzentrieren sich auf ein spezielles Gen und hunderte seiner Mutationen. In der Lebensmitteltechnik spüren sie gentechnisch veränderte Pflanzen auf oder dienen als Bakterientest, indem sie deren Erbgut nachweisen. Um die Chips auszulesen, benötigen die Labore Lesegeräte, die so viel wie ein Mittelklasse-Wagen kosten. Die Chips sind jedoch schon für zwanzig bis einige hundert Euro erhältlich. Große Biotech-Zulieferer wie Applied Biosystems, Affymetrix oder Agilent stampfen mittlerweile weltweite Netze von »Service-Providern« aus dem Boden. Dort können Genforscher ihre Studien in Auftrag geben. So können auch Wissenschaftler mit wenig Chip-Erfahrung die Unterschiede im Erbgut aufspüren, die für Erbkrankheiten sowie Therapieerfolge bei Krebs oder Infektionen verantwortlich sind. Denn gerade da liegt das Problem. »Nur weil der Test an einem Patienten in Heidelberg funktioniert, heißt das nicht, dass das auch in jedem anderen Labor klappt«, sagt Jörg Hoheisel. In der Forschung gehört das zum Alltag, dort müssen Experimente mehrmals wiederholt werden. Aber damit Ärzte bei ihren Patienten routinemäßig Diagnosen stellen können, muss eine einzige Analyse ausreichen, erklärt der Forscher. Dazu müssen die Chips so robust sein, dass sie bei unterschiedlichsten Bedingungen verlässlich arbeiten. »Das soll nicht nur ein hoch qualifizierter Wissenschaftler, sondern auch eine medizintechnische Assistentin hinkriegen können«, sagt Hoheisel. Außerdem müsse der

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Test schnell und billig sein. Deshalb werde es auch nie den einen Chip geben, der alles kann, sondern für jede Anwendung einen eigenen. Der weltweit erste Gen-Chip für die Routinediagnostik kam bereits vor zwei Jahren auf den Markt. Mit dem Amplichip CYP450 des Pharmakonzerns Roche kann ein Arzt das optimale Arzneimittel und die richtige Dosis für seinen Patienten bestimmen. »Das ist ein enormer Fortschritt, denn Nebenwirkungen von Medikamenten sind die fünfthäufigste Todesursache in Deutschland«, sagt Professor Ivar Roots, Leiter des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Charité in Berlin. Wie gut der Körper ein Medikament verträgt, hängt bei einem Viertel aller Präparate von hauptsächlich zwei Genen ab. Sie produzieren ein Enzym, das vor allem Antidepressiva, Psychopharmaka und Schmerzmittel abbaut. Der AmpliChip CYP450-Test analysiert rund 30 verschiedene Mutationen der beiden Gene und ermittelt so, wie schnell oder langsam und im Extremfall überhaupt nicht ein Patient einen Wirkstoff abbaut.

Pharmagigant lässt warten »Rund sieben Prozent der Bevölkerung fehlt dieses Enzym komplett«, erklärt Roots. Diese Personen könnten schon bei Standarddosen starke Nebenwirkungen haben. Mit Hilfe dieses Chips ließe sich schon vorher ein anderes Präparat verschreiben. Menschen, die das Medikament hingegen zu schnell abbauen, benötigen eine höhere Dosis. Roots sagt, er glaube fest daran, dass durch den Test die Therapie billiger wird: »Wir kommen schneller zum Ziel und haben dabei weniger Nebenwirkungen.« Als Roche seinen Gen-Chip einführte, versprach der Konzern, binnen einem Jahr noch einen weiteren auf den Markt zu werfen. Dieser sollte verschieden Typen von Leukämie unterscheiden können. Bislang müssen Ärzte die kranken Blutzellen unter dem Mikroskop betrachten, um eine Diagnose zu stellen und die richtige Chemotherapie auszuwählen. Das Verfahren ist fehleranfällig und dauert sehr lange. Einige Leukämiearten töten jedoch innerhalb weniger Tage. Mit dem versprochenen Gen-Chip wäre die Diagnose sicherer und innerhalb weniger Stunden gestellt. Doch er lässt bis heute auf

sich warten. Von Roche auf Nachfrage nur dieser Kommentar: Der Chip sei noch in der Entwicklung und werde bald kommen. Auch seinen ersten Chip hat der Konzern mit Pauken und Trompeten angekündigt, dann aber nicht recht auf den Markt bringen können: Nur eine Hand voll Labore bieten den Test in Deutschland an. Und obwohl Roots von Beginn an zu den Anbietern gehörte, hat er bis heute nur einige Dutzend Tests durchgeführt. Denn Roche verlangt 500 Euro für einen Chip. Zuzüglich Laborkosten und Gewinnspanne steht am Ende das Doppelte auf der Rechnung, rechnet Roots vor. Roche habe zwar signalisiert, ihren Chip billiger anzubieten. Doch wie – das ist fraglich. Denn der Konzern hat auf die Technik des Marktführers Affymetrix gesetzt. Wer sich bei dem Hersteller individuelle Chips zusammenbauen lässt, hängt an seiner Preisvorgabe. Ein chemischer Trick macht die Chips zudem zum Einwegprodukt: Die Sonden-DNA auf dem Chip und die DNA aus der Probe verkleben durch einen Zusatz untrennbar miteinander. »Diese medizinischen Gen-Chips können nur im Niedrigpreisbereich funktionieren«, sagt Dr. Andreas Lindauer, der im medizinischen Versorgungszentrum Synlab arbeitet. Der Verbund verschiedener Labore bietet Analysen für Krankenhäuser, Ärzte, Veterinäre sowie Umwelt- und Lebensmitteldiagnostik an – auch mit Gen-Chips. »Wir sind ein Routine-Labor und müssen wirtschaftlich arbeiten«, sagt Lindauer. Er benutzt Chips von Greiner Bio-One. Die Gesellschaft bietet drei Gen-Chips an. Einer unterscheidet das Genom von acht verschiedenen Tierarten. So lassen sich Fleischsorten in Lebensmitteln bestimmen. Die beiden anderen Chips kommen in der Medizin zum Einsatz. Sie analysieren jedoch nicht das menschliche Erbgut, sondern das von Viren und Bakterien. So erkennt der ParoCheck Parodontitis, eine bakterielle Zahnfleischinfektion, die zum Zahnausfall führen kann. Der jüngste Test weist HPV nach. Das Virus verursacht Gebärmutterhalskrebs, die zweithäufigste Krebsursache bei Frauen. Es gibt über 20 verschiedene HPV-Stämme, doch nur zwei von ihnen sind für die überwiegende Zahl an Krebserkrankungen verantwortlich. Wer laut Diagnose mit einem weniger gefährlichen Stamm infiziert ist, konnte

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Wie funktionieren Gen-Chips? Die Technik nutzt aus, dass die DNA aus zwei spiegelbildlichen Ketten besteht. Verschiedene Enzyme trennen die beiden Ketten auf oder verbinden sie wieder miteinander. So lässt sich mit einem künstlichen Spiegelbild ein bekannter Abschnitt einer DNA-Kette herausfischen. Jetzt fehlt der Gen-Angel nur noch ein Schwimmer, damit die Forscher auch sehen können, ob die DNA angebissen hat. Deshalb haben sie in den Köder (das künstliche Spiegelbild) einen chemischen Schalter eingebaut, der leuchtet, sobald sich die beiden DNA-Stränge verbinden. So können sie herausfinden, ob ein bestimmter DNA-Abschnitt vorhanden ist. Deshalb heißen die künstlichen DNA-Stränge mit dem Leuchtschalter auch Sonden. Wer nach zwei verschiedenen DNA-Strängen sucht, muss seine Probe jedoch zweimal untersuchen, da er nicht unterscheiden kann, welche der beiden Sonden leuchtet. Der Amerikaner Stephen Fodor entwickelte die Technik deshalb Ende der 80er Jahre weiter, in dem er die Sonden auf eine feste Oberfläche klebte. Diese unterteilte er in Quadrate, von denen jedes andere Sonden enthält. Jedes Quadrat steht dann für ein Gen. Mit Techniken aus der Halbleiterindustrie lassen sich tausend verschiedene Proben auf der Fläche eines Daumennagels unterbringen, weshalb sich auch der Begriff »Gen-Chip« einbürgerte.

sich bisher nicht sicher sein, ob er nicht auch die Killer-Stämme in sich trägt. »Jetzt ist es erstmals möglich, Mischinfektionen nachzuweisen«, sagt Lindauer. Noch müssen Patientinnen die Vorsorgeuntersuchung selbst zahlen – je nach Umfang kostet diese zwischen 35 bis 150 Euro. Der Hersteller Greiner Bio-One ist Tochter der Greiner Holding, einem globalen Unternehmen mit mehreren hundert Millionen Euro Jahresumsatz. Aber auch kleine Firmen drängen auf den wachsenden Markt. So zum Beispiel Carpegen. Das Unternehmen wurde 2001 in Münster gegründet und beschäftigt mittlerweile sechs Mitarbeiter. Sein Gen-Chip weist Pilze im Mundoder Genitalbereich nach. Außerdem bestimmt er genau die Art der Infektion. Mit der bisherigen Methode unter dem Mikroskop ist das sehr schwierig und oft gar nicht möglich. Für die Therapie ist eine eindeutige Diagnose jedoch sehr wichtig. »Wir haben bei der Entwicklung des Chips sogar ganz neue Pilzarten entdeckt«, berichtet Geschäftsführerin Antje Rötger. Scheidenpilze seien weit verbreitet, fast jede Frau leide mindestens einmal im Leben unter einer Infektion. Der Markt ist da, und auch der Preis

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scheint zu stimmen. Der Test kostet 48 Euro. »Wir haben versucht, unsere Chips möglichst kosteneffektiv zu halten«, sagt Rötger. »Ein medizinischer Test muss schnell und billig sein.« Das Start-Up könnte zu einer Erfolgsgeschichte werden, wie schon der heutige Marktführer Affymetrix. Der Gigant muss sich indes gegen immer mehr Konkurrenz behaupten. So etwa der frühere Kooperationspartner Agilent. Der Laborgerätehersteller produzierte ursprünglich die Lesegeräte für die Affymetrix-Chips, bietet heute jedoch ein komplett eigenes System an. Auch Applied Biosystem, einer der größten Zulieferer der Life-Science-Branche, investierte in den vergangenen Jahren viel Geld, um eigene Plattformen zu entwickeln. Seine Chips sollen schon geringste DNA-Mengen nachweisen. Zudem können sie im Vergleich mit ähnlichen Geräten die Aktivitäten von fast 8 000 Genen mehr messen. So können Forscher unterschiedliche Genaktivitäten von Krebs und gesunden Zellen identifizieren, ohne dass sie vorher wissen, welche Gene sie analysieren müssen. Die Heidelberger Firma Febit hat die ChipTechnik bereits zu Prozessoren weiterentwi-

ckelt. Das vor zwei Jahren auf den Markt gebrachte Geniom stellt die Chips erst her, wenn sie der Wissenschaftler braucht. Mit einem Laser schweißt es die gewünschten DNA-Sonden an die richtigen Stellen. »So kann sich jeder seine Tests so herstellen, wie er sie gerade benötigt«, sagt Peer Stähler, Marketingleiter bei Febit. Und Geniom verfügt noch über einen weiteren Clou: Die Sonden sitzen nicht auf einer Fläche, sondern in kleinen Röhren. »Damit muss der Wissenschaftler den Chip nicht mehr in verschiedene Reagenzien tauchen und danach immer wieder abwaschen, sondern die Maschine spült einfach alles durch«, erklärt Stähler. Das spart Arbeitszeit, und auch die Materialkosten seien niedrig. »Bei hoher Auslastung kostet ein Chip nur 10 bis 20 Euro«, sagt Stähler. Noch sei Geniom nur in der Forschung anwendbar, doch das Unternehmen strebe an, das System für die Medizin zu zulassen. Gen-Chips würden sich in der Medizin in zehn bis 15 Jahren durchsetzen, sagt er optimistisch. »Da bin ich mir ganz sicher, weil eine bessere Diagnose die Kosten im Gesundheitssystem senkt.« Sebastian Weissgerber

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Interview

Labor oder Frittenbude? Die Biotechnologie erlebte Mitte der 90er Jahre in Deutschland einen Gründerboom. Um die Jahrtausendwende stagnierte die Branche aufgrund der weltweit negativen Wirt­ schaftsentwicklung jedoch auch hierzulande. Sabine Sydow ist Referentin für VFA Bio, die »Interessengruppe Biotechnologie« im Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Wir sprachen mit ihr über Möglichkeiten und Chancen für junge Biotechnologen.

Frau Sydow, was haben Sie studiert? Biologie. Als ich anfing zu studieren, gab es noch keinen eigenständigen Studiengang »Biotechnologie«. Promoviert habe ich beim Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen, wo ich im Anschluss auch eine Post-DocStelle für weitere Experimente bekommen habe. Sie waren als Forscherin und im Projektmanagement bei der Schering AG tätig. Hatten Sie mehr Freude an der Forschung oder den Aufgaben in der Indus­ trie? Das klingt vielleicht langweilig, aber mir gefällt beides. Wenn mir das Forschen heute fehlt, stelle ich mich in die Küche und ändere Rezepte. Ich backe selten einen Kuchen nach Rezept, sondern muss immer etwas Neues ausprobieren. Forschen ist etwas Wunderbares. Es ist natürlich auch unheimlich frustrierend, wenn etwas schief geht. Gerade dafür braucht man Kooperationen und Teams. Sparringspartner, die einem auch mal mit schrägen Ideen helfen. In der Entwicklung oder im Projektmanagement zu sein und unterschiedlichste Expertisen zusammen bringen, das Team auf eine

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Zielrichtung einschwören und auch in Krisensituationen zusammen halten – diese Erfahrungen möchte ich ebenfalls nicht missen. Sind Biologen für Management­ aufgaben besser geeignet als Biotechnologen? Man braucht Leute, die auf ihrem Gebiet gut sind, eine analytische, naturwissenschaftliche Denkweise haben und begreifen, worum es geht. Auch wenn sie auf diesem speziellen Forschungsgebiet noch keine Erfahrung haben, müssen sie sich schnell einarbeiten können. Das sind Fähigkeiten, die man in den breit angelegten naturwissenschaftlichen Studiengängen wie Biologie oder Chemie lernt. Und ohne Kreativität geht gar nichts. Gerade auch in der Biotechnologie wird Kreativität gebraucht und gefördert. Mussten Sie viele Bewerbungen schreiben, um an diese Jobs zu kommen? Durch meine Diplomarbeit, die auf einer ähnlichen Technik beruhte, kam ich an die Dissertation am Max-Planck-Institut in Göttingen. Danach wurde ich direkt übernommen. Ich musste mich also nicht bewerben. Nur bewähren. Bei Schering war es schon aufwendiger, aber auch da musste

ich keine hundert Bewerbungen schreiben, sondern vielleicht zwölf. Führt der Königsweg von der Forschung in die Industrie? Forschungserfahrungen sind sicherlich vorteilhaft, denn sie schärfen die wissenschaftliche Denkweise. Wir brauchen unbedingt junge und gut ausgebildete Forscher. Der andere Weg führt direkt vom Studium in die Industrie. Dort gibt es beispielsweise den Außendienst, der häufig Sprungbrett zu einem Beruf ist. Man sollte für sich vorher den besten Weg skizzieren und herausfinden, wie man tickt. Nicht jeder will an die Laborbank. Speziell in der Pharmaindustrie ist ein Einstieg in der Forschung aber hilfreich und förderlich. In welcher Biotech-Sparte sehen Sie die besten Einstiegschancen? In der Pharmaindustrie ist die Biotechnoloie gar nicht mehr wegzudenken. Eigentlich braucht jedes Medikament Biotechnologie im weitesten Sinne. Targetfindung mittels Screening geht heute nur noch biotechnisch oder gentechnisch; dabei werden aus einer Vielzahl chemischer Substanzen bestimmte Eigenschaften ermittelt,

um beispielsweise einen Wirkstoff zu ermitteln. Genauso in der weißen Biotechnologie. Enzymatische Zusätze im Waschmittel oder in Lebensmitteln sind heute an der Tagesordnung. Da gibt es sehr gute Möglichkeiten. Die grüne Biotechnologie, bei der es um gentechnisch veränderte Pflanzen, also Resistenzen gegen Schädlinge und Ähnliches geht, fängt an wichtig zu werden. In Zukunft bieten sich ganz bestimmt auch hier Möglichkeiten. Welche Softskills halten Sie für wichtig? Eine selbständige systematische, analytische Denk- und Arbeitsweise sowie Durchsetzungskraft, um Projekte auch bei Fehlschlägen verteidigen zu können. Außerdem Überzeugung, Durchhaltevermö-

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l Sabine Sydow studierte Bio­ logie und promovierte am MaxPlanck-Institut für experimen­ telle Medizin in Göttingen im Bereich Neurowissenschaften. Nach ihrer Promotion forschte sie dort als Post-Doc und suchte dann die Industrienähe bei einer Tochterfirma der Schering AG in Berlin, bevor sie ganz auf den Laborkittel verzichtete und bei Schering ins internationale Projektmanagement ging. Heute ist Sabine Sydow Referentin für VFA Bio.

gen und Geduld. Flexibilität, weil sich Rahmenbedingungen häufig und schnell ändern und Projekte meist zeitlich begrenzt sind. Oft muss man sich neuen Herausforderungen stellen oder den Wohnort wechseln. Flexibilität auch im Kopf, weil oft neue Erkenntnisse völlig neue Vorgehensweisen erfordern. Ein absolutes Muss ist Teamfähigkeit. Vielleicht selbstverständlich, aber mittlerweile wichtiger denn je: Englisch. Pharma und Biotechnologie im Allgemeinen sind sehr global und ticken Englisch. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Branche ein? Sie wird weiterhin ein Wachstumsmarkt sein. Gesundheitliche Dienstleistungen sind die Basisinnovationen des 21. Jahrhun-

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derts, sagen Zukunftsforscher. Die demographische Entwicklung stellt große Herausforderungen an Politik und Wissenschaft, so dass auf diesem Gebiet sicherlich investiert wird und die berechtigte Hoffnung besteht, dass dabei neue Arbeitsplätze entstehen. Andererseits herrscht großer Kostendruck. Kostendämpfungsmaßnahmen der Politik wirken sich auf die Personalplanung aus. Daher können nicht alle jungen Menschen eingestellt werden, die das wollen. Die guten Leute werden aber weiterhin benötigt, vor allem Spezialisten. Ist also eine Spezialisierung nötig? Es ist hilfreich, man darf aber die Breite nicht verlieren. Ein Spezialist auf seinem Forschungsgebiet muss natürlich seine Spezialisierung hinten anstellen, wenn er raus aus der Forschung in die Industrie geht und dort ein interdisziplinäres Team leiten soll. Aber ein Fachgebiet ist sicherlich von Vorteil. Welche Tätigkeiten gibt es denn konkret? Nehmen wir nur mal die Pharmaunternehmen. Man kann an der Laborbank stehen und forschen oder Forschung betreuen und steuern. Man kann in der Entwicklung arbeiten, bei klinischen Studien mitwirken oder medizinisch-wissenschaftliche Begleitung machen, also am Schreibtisch Papiere auswerten und medizinisch-wissenschaftliche Zusammenhänge bewerten. Es gibt die Zulassungsabteilung, die Patentabteilung, Marketing, Projektmanagement, die Qualitätsabnahme bei Produktion und Vertrieb. Es gibt das Business Development. Da

wird geschaut, woran wird in der Branche geforscht, was käme für das eigene Portfolio in Frage. So groß wie die Wertschöpfungskette bei der Arzneimittelherstellung ist, so groß sind auch die Chancen für Biotechnologen oder Biologen. Investieren die Firmen auch in die Ausbildung von Nachwuchs­ kräften? Das Studieninstitut Pharmazeutische Biotechnologie in Biberach an der Riss ist im Herbst 2006 eingeweiht worden und bietet Biotechnologie als Bachelorstudiengang an. Die ersten Studenten haben im Oktober angefangen. Es handelt sich um eine Public Private Partnership von Bund, Land, Kommunen und Unternehmen der Region. Boehringer Ingelheim steuert hier fast 20 Prozent der für die nächsten zehn Jahre vorgesehenen Investitionen bei. Ziel ist eine industrienahe Ausbildung, denn deutschen Hochschulen wird häufig vorgeworfen, Studenten würden praxisfremd ausgebildet. Interessant ist auch die Kooperation zwischen der Technischen Universität München und Roche. Dort gibt es jetzt den Bachelorstudiengang Molekulare Biotechnologie. Praxiseinsätze im Biotechnologiezentrum von Roche in Penzberg mit monatlicher Bezahlung sind fest in die Ausbildung verankert. Ein echtes Hand-in-Hand-Projekt: Die Uni hat einen Partner in der Wirtschaft, bei dem die Studenten Praktika machen können und vielleicht Diplomanden- oder Doktorandenstellen bekommen. Roche kann auf gut ausgebildete Nachwuchswissenschaftler zählen. Was tun Unternehmen noch für qualifizierte Nachwuchskräfte?

Viele Unternehmen haben eine eigene Abteilung für Hochschulmarketing. Das sind Anlaufstellen für Studierende und sogar Schüler, die frühzeitig ein Praktikum machen möchten. Man vergibt Stipendien, Diplom- und Doktorarbeiten, geht raus auf Naturwissenschaftlerbörsen und wirbt aktiv um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Firmen stehen genauso im Wettbewerb wie die Bewerber. Die gemeinnützige Scheringstiftung unterstützt naturwissenschaftliche Studiengänge und vergibt Stipendien für Diplomanden und Doktoranden. Regelmäßig finden Treffen von weltweit sitzenden Stipendiaten statt, die sich gerne austauschen und vielleicht auch kooperativ arbeiten. Ein Fazit: Würden Sie jungen Menschen heute immer noch zu einem Studium der Biotechnolo­ gie raten? Absolut. Das Interview führte Christoph Penter.

VFA Bio vertritt die Biotechnologie-Interessen im Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), dem weltweit 42 führende Hersteller angehören. Er bündelt die Stimmen der Mitgliedsfirmen in Fragen der Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik. Deutschland soll mit Hilfe von VFA Bio zum führenden Biotechnologiestandort Europas werden.

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Experimente f端r zu Hause

Sprudel, blubber, kleb

Lisa Leander und Simone M端ller

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Blitz-Mozzarella Das braucht man: • 0,5 l Vollmilch (3,5 % Fett) • 250 g Joghurt natur (3,5 % Fett) • Salz zum Würzen • Geschirrtuch und Sieb

So funktioniert’s: Zuerst die Milch zum Kochen bringen, ohne sie dabei anbrennen zu lassen. Dann kommen Salz und Joghurt dazu. Gut umrühren, bis die Milch beginnt auszuflocken. Das Sieb mit einem Geschirrtuch auslegen, die Masse hineingießen und abtropfen lassen. Nachdem das Ganze abgekühlt ist, noch einmal mit den Händen die restliche Flüssigkeit herausdrücken.

Das passiert: Die Bakterien, die im Joghurt enthalten sind, produzieren Milchsäure. Diese lässt das Eiweiß in der Milch ausflocken. Durch das Zusammenpressen wird aus der Eiweißmasse der feste Käse.

Ergebnis: Der Mozzarella lässt sich einfach herstellen und es ist verblüffend, wie schnell aus der Milch ein fester Käse wird. Allerdings ist er recht trocken und man sollte nicht am Salz sparen, wenn man dem Käse etwas Geschmack verleihen will. Fazit: Nicht gerade Dinner-tauglich – aber als »Notfall-Mozzarella« durchaus zu empfehlen.

So funktioniert’s: Backpulver in die Flasche füllen und Essig dazu geben. Schnell den Luftballon/das Kondom über die Öffnung stülpen – und staunen.

Das passiert: Sobald das Backpulver mit dem Essig reagiert, wird Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Dieses Gas sorgt beim Backen dafür, dass der Kuchen schön aufgeht. Im Experiment entsteht dadurch ein Überdruck in der Flasche und das überschüssige Gas bläst den Luftballon auf.

Ergebnis: Schon eine geringe Menge an Backpulver und Essig genügt, damit sich der Ballon aufbläht. Um ihn weiter zu füllen oder gar zum Platzen zu bringen, reicht der Vorrat im Haushalt leider nicht aus. Tipp: Kondome lassen sich leichter aufpusten, da die Gummiwand dünner ist!

So funktioniert’s: Die Milch bis zum Dampfen erhitzen, anschließend den Essig hineingeben und umrühren. Wenn die Milch ausflockt, alles durch ein feines Sieb gießen. Die Flocken aus dem Sieb mit dem Wasser und Backpulver gut mischen – fertig ist der Kleber.

Das passiert: Ähnlich wie beim Blitz-Mozzarella lässt die Säure im Essig die Milch ausflocken, allerdings ist das Ergebnis alles andere als genießbar. Klebrig wird die Masse durch das Haupteiweiß der Milch, das Kasein.

Ergebnis: Zunächst kommt eine zähe Masse heraus, die dem Klebstoff aus der Tube nicht gerade ähnlich sieht. Doch wenn man den Bio-Kleber zwischen zwei Papierstreifen aufträgt und ihn aushärten lässt, hält er so mancher Belastungsprobe stand.

Backpulver-Ballon Das braucht man: • 50 ml Essig • 1 Päckchen Backpulver • leere Wasserflasche • Luftballon oder Kondom

Milch-Kleber Das braucht man: • 1 Glas Milch • 3 Esslöffel Essig • 1 Esslöffel Wasser • 1 halbes Päckchen Backpulver • 1 Sieb

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Erfindergeist aus der Erde Die Natur beherbergt Millionen unbekannter Enzyme – die chemische Industrie braucht sie, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Plastikindustrie sinkt auf das Niveau von 1900 zurück, zumindest was ihren Erfindungsreichtum angeht. Die meisten Produktneuerungen bei Kunststoffen auf Erdölbasis gab es um 1950, so eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2003. Seitdem stürzt der Erfindergeist in diesem Zweig der chemischen Industrie kontinuierlich ab. Doch der steigende Ölpreis könnte das ändern. Um sich von dem schwarzen Kostenfaktor unabhängig zu machen, setzen die Chemieunternehmen auf Biotechnologie. Bakterien, Pilze und Enzyme sollen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Stärke und Cellulose neue Grundstoffe produzieren. Aus diesen werden in Zukunft herkömmliche Folgeprodukte wie Wasch- und Reinigungsmittel, Lacke oder Kunststoffe hergestellt werden. Auf diesem Weg gibt es aber noch einige Hürden zu überwinden. Während Stärke schon heute zu Tausenden von Tonnen Bioplastik verarbeitet wird, haben Biotechnologen noch keinen Weg

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gefunden, Cellulose in seine Grundbausteine zu zerlegen. Cellulose ist – wie auch Stärke – ein riesiges Kettenmolekül, das für viele industrielle Anwendungen in einzelne Zuckermoleküle zerlegt werden muss. Viele nachwachsende Rohstoffe enthalten Cellulose. »Enzyme werden zwar heute schon zum Abbau von Cellulose eingesetzt«, sagt Garabed Antranikian von der Technischen Universität Hamburg-Harburg. »Diese arbeiten jedoch nicht effektiv genug für die Industrie.« Als Mikrobiologe weiß Antranikian natürlich, dass die Evolution Enzyme hervorgebracht hat, die ihre jeweilige Aufgabe optimal lösen. Sie beschleunigen chemische Reaktionen im Stoffwechsel, manche von ihnen milliardenfach, ohne selbst dabei verbraucht zu werden. Wenn er dennoch sagt, Enzyme arbeiteten nicht effektiv, meint er: nicht effektiv unter den Bedingungen der industriellen Produktion. Um Cellulose im großen Stil in einzelne Zuckermoleküle zu zerlegen, braucht man konzen-

trierte Säure und hohe Temperaturen. Ab etwa 40 Grad Celsius lässt jedoch die Leistungsfähigkeit von Enzymen nach. Steigt die Temperatur bis etwa 50 Grad, dann können sie ihre molekulare Form nicht aufrecht erhalten – und hören auf zu arbeiten. Zumindest gilt das für die meisten. Forscher von Antranikians Institut für technische Mikrobiologie tauchen vor den Azoren und vor Japan zu 350 Grad heißen Quellen in die Tiefsee und entnehmen Wasserproben. Denn darin finden sich hitzeliebende Bakterien, die sich an diesen extremen Lebensraum angepasst haben. Obwohl diese Tiefseebakterien keine Pflanzen verdauen, bringen sie aus ihrer stammesgeschichtlichen Vergangenheit Gene mit, in denen Cellulasen – Enzyme, die Cellulose spalten können – verschlüsselt sind. Die Hamburger Forscher brachten Organismen im Labor dazu, diese Katalysatoren wieder herzustellen. Und fanden tatsächlich solche, die langkettige Kohlehydrate bei etwa 80 Grad spalten.

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o  Statt Erdöl: Mikroorganismen aus Gartenerde können Enzyme liefern, die Kunststoffe Lacke oder Medikamente herstellen.

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Die Biokatalysatoren können aber nicht nur zerlegen, sondern auch aufbauen – und dabei chemische Verfahren vielleicht sogar übertrumpfen. Denn die Grundstoffe, die aus Erdöl oder nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, gleichen Legobausteinen, aus denen komplexe Wirkstoffe zusammengesetzt werden können. »Mit Hilfe von Enzymen könnten intelligente Produkte hergestellt werden, wie sie sonst nicht möglich wären«, hofft Antranikian. Denn Enzyme sind in der Lage, aus den Legosteinen größere und komplexere Gefüge aufzubauen als durch chemische Verfahren möglich. »Solche intelligenten Produkte könnten zum Beispiel die Freisetzung von Medikamenten oder Aromastoffen steuern«, sagt Antranikian. Er denkt dabei an Moleküle, die Medikamente im Kör- per langsam oder nur an bestimmten Stellen abgeben.

Innovationen aus der Gartenerde Die europäischen Chemieunternehmen können Produktinnovationen gut gebrauchen. Sie stehen im globalen Wettbewerb mit asiatischen Konkurrenten, die Massengüter wie Essigsäure für Lebens- und Reinigungsmittel inzwischen deutlich günstiger produzieren. Nur durch ein breites Angebot neuer, hochwertiger und vor allem schwer nachzukochende Spezialprodukte können die Europäer auf dem Weltmarkt bestehen. Mit dem Griff in den Werkzeugkasten der Natur sollen Arzneimittel intelligenter, Waschmittel und Zahnpasta wirkungsvoller und Kunststoffe vielseitiger werden. Kein Wunder also, dass die Branche mehrstellige Millionenbeträge in den industriellen Einsatz der Biotechnologie investiert. Schon heute werden fünf Prozent der weltweiten Umsätze der chemischen Industrie mit Hilfe biotechnologischer Verfahren erwirtschaftet. Eine Studie von McKinsey aus diesem Jahr sagt voraus, dass es 2010 bis zu 20 Prozent sein könnten. Doch um die Werkzeuge der Natur überhaupt erst in die Hand zu bekommen, brauchen die großen Chemieunternehmen Mitspieler mit Bio-Know-How. »Viele Innovationen in der chemischen Industrie sind ohne die Partnerschaft mit kleinen Biotech-Firmen oder Forschungsein-

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richtungen nicht denkbar«, sagt Rainer Erb von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Henkel lässt zum Beispiel bei der südhessischen Biotech-Firma Brain nach neuen Waschmittelenzymen suchen, die bei Temperaturen unter 30 Grad ihre beste Wirksamkeit entfalten. Dadurch ließen sich Energie, Wasser und waschaktive Chemikalien einsparen. Die Biotechniker von Brain suchen nicht in der Tiefsee oder in der Arktis nach neuen Organismen. Sie begnügen sich mit einer Handvoll Erde aus dem Vorgarten. »In einem Gramm leben mindestens 10 000 Bakterienarten, die Gene für mehr als zehn Millionen unerforschter Enzyme enthalten«, sagt Jürgen Eck von Brain. Der Biologe weiß aber auch, dass sich nicht viel mehr als 50 dieser Bakterienarten im Labor züchten lassen. »Die Mikroorganismen sind in ihrer natürlichen Umgebung stark voneinander abhängig. Stoffe, die eine Bakterienart ausscheidet, dienen häufig anderen Arten als Spezialnahrung.« Diese Komplexität ließe sich nicht oder nur sehr bedingt nachempfinden. Brain nutzt ein zum Teil an der TU Darmstadt entwickeltes Verfahren, mit dem sich die Enzymvielfalt dennoch ins Reagenzglas holen lässt. Die Biotechniker entziehen dabei allen in einer Erdprobe enthaltenen Mikroorganismen ihr Erbgut. Alle Gene landen so in einem Topf. Das Erbgut in diesem Cocktail wird in einzelne Gene zerlegt, die jeweils den Bauplan für ein Enzym enthalten. Diese Enzym-Baupläne werden dann einzeln in das Erbgut von Mikroorganismen eingebaut, die sich im Reagenzglas leicht züchten lassen. Die Wirtsorganismen stellen daraufhin die fremden Katalysatoren her. »Durch dieses Verfahren öffnet sich die Tür zu den Mikroorganismen, die nicht kultivierbar sind«, sagt Eck. Das Unternehmen hat schon mehr als 100 Millionen unerforschter Gensequenzen gesammelt. Dabei hilft ihnen ein Roboter, die Biokatalysatoren herauszufinden, die einen bestimmten Wirkstoff herstellen. Er kann am Tag 250 000 Organismen aus der Brain-Sammlung auf einen Nährboden platzieren und prüfen, welcher von ihnen den gewünschten Wirkstoff produziert. Dass es bei dieser Suche nach einem Wunschenzym einmal nur negative Tests geben könnte, davor scheint Eck keine Angst zu haben.

»In der Bodenprobe von einem nahe gelegenen Weinberg haben wir ein Erbgut gefunden, das dem eines Mikroorganismus sehr ähnelt, der bei 80 Grad und bei einem Säuregrad wie im menschlichen Magen lebt.« Für ihn ein Hinweis darauf, dass es an jedem Standort eine große Vielfalt verschiedenster Organismen gibt, sogar Extrembakterien. Und damit eine große Menge an »biologischen Lösungen«.

Enzyme nach Bauplan Andere Biotechnologen geben sich jedoch nicht mit dem zufrieden, was die Natur bietet. Die Wissenschaftler der Biotech-Firma BioSpring in Frankfurt am Main sehen bei der Brain-Methode den Nachteil, dass der Wirtsorganismus manche der fremden Enzyme aus der Erde nur in geringen Mengen oder gar nicht herstellt. Sie suchen nicht in der Natur nach dem optimalen Enzym, sondern optimieren schon bekannte Enzyme. BioSpring ändert die Gene der bekannten Enzyme, um ihre Leistung zu steigern oder an die Bedingungen von industriellen Prozessen anzupassen. Durch den Umbau können Katalysatoren auch völlig neue Wirkungsweisen verliehen werden, die ihr Einsatzspektrum erweitern. Auch die südfranzösische Biotech-Firma Protéus setzt nicht auf die natürliche Vielfalt, sondern schafft eine künstliche. Ihr Verfahren erinnert an ein Würfelspiel: Stark vereinfacht gesagt zerlegen die Biotechniker die Gene bekannter Enzyme und fügen die Bruchstücke in zufälliger Reihenfolge wieder zusammen. Die so erzeugten Enzyme dienen einem bestimmten Zweck besser oder schlechter als das Ausgangsenzym. Die künstlich erzeugte Vielfalt lässt sich auf ähnliche Weise wie die natürliche Vielfalt aus dem Vorgarten nach Varianten durchsuchen, die sich für die Industrie eignen.

Da stimmt die Biologie Henkel kooperiert nicht nur mit Brain, sondern auch mit Protéus bei der Suche nach neuen Waschmittelenzymen. Das zeigt, dass die chemische Industrie breites Interesse an biotechnologischem Know-How hat. Der rasche Zugang zu neuen Technologien entscheidet das Rennen am Markt. Wer den Weg von der Idee zum marktfähigen Produkt am schnellsten zurücklegt, hat

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am meisten Zeit, bis zur nächsten Produktinnovation Geld zu verdienen und die Entwicklungskosten wieder hereinzuholen. Außer mit ihrem biotechnologischen Know-How trumpfen die Biotech-Firmen vor allem mit ihren Enzym-, Gen- oder Bakteriensammlungen auf, die sie mit hohem Tempo nach Kandidaten für die industrielle Anwendung durchsuchen. Das Chemieunternehmen BASF arbeitet in Sachen Biotechnologie mit mehr als 30 Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen. Mit der Berliner Biotech-Firma OrganoBalance entwickelt die BASF-Tochter BASF Future Business neue Zahncremes und Duschgels, die von Milchsäurebakterien hergestellt werden. Or-

ganoBalance sucht in seiner Bakterienbank nach Mikroorganismen, die Karieserreger bekämpfen oder Körpergeruch vermeiden. BASF entwickelt dann aus geeigneten Bakterienstämmen marktfähige Produkte. Bis 2008 will die Chemiefirma 160 Millionen Euro in die industrielle Biotechnologie investieren. Die Konkurrenz Degussa bringt die eigene Entwicklungsabteilung mit externem BiotechKnow-How zusammen: Der Konzern investiert 50 Millionen Euro in das »Science-to-BusinessCenter Bio« im nordrhein-westfälischen Marl. Ab 2007 erforschen dort 60 Degussa-Wissenschaftler gemeinsam mit Hochschulen und kleinen Biotech-Firmen neue biotechnologische

Produkte und Prozesse auf Basis natürlicher Rohstoffe. Eines der Forschungsprojekte sucht nach neuen Arzneimittelkomponenten, die zum Beispiel Aufnahme und Verteilung eines Wirkstoffes im Körper steuern. Fündig geworden sind Degussa und Brain bereits bei der Suche nach Mikroorganismen, die Verdicker aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr herstellen können. Verdicker sind Kunststoffe, die Lacken und Druckfarben, aber auch Lebensmitteln wie Pudding die gewünschte Zähflüssigkeit verleihen. Degussa testet, welcher der Mikroorganismen für die Massenproduktion eingesetzt werden kann. Derzeit werden etwa 100 000 Tonnen Verdicker pro Jahr aus

u  Die hessische Firma Brain setzt auf den Reichtum der Natur: Mikroorganismen aus der Erde entzieht sie das Erbgut und baut einzelne Gene in andere Trägerorganismen ein – die dann Enzyme herstellen.

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Erdöl hergestellt. Die Industrie will durch den Umstieg auf nachwachsende Rohstoffe in der Kunststoffproduktion vor allem Kosten sparen. Doch die neuen Kunststoffe haben manchmal auch bessere Eigenschaften. Ein aus Mais hergestellter Kunststoff zeigt nach Angaben seines Herstellers, dem amerikanischen Chemieriesen DuPont, gegenüber Erdöl basierten Pendants Vorzüge bei Verformbarkeit und Einsatztemperatur. Die japanische Kaneka Corporation will den Biokunststoff PHBH zur Marktreife weiterentwickeln. Die Eigenschaften dieses Kunststoffes, etwa seine Flexibilität, lassen sich durch unterschiedliche Mischungsverhältnisse seiner Bestandteile gezielt beeinflussen. Schon heute stellt das amerikanische Unternehmen Cargill Dow jährlich etwa 140 000 Tonnen des Biokunststoffs Polylactid (PLA) her. Der biologisch abbaubare Werkstoff wird vielfäl-

tig verwendet, beispielsweise für Verpackungen oder Textilfasern. Weil er vom menschlichen Körper abgebaut wird, werden aus PLA zum Beispiel Knochenplatten hergestellt, die nicht mehr durch eine zweite Operation entfernt werden müssen, nachdem der Bruch geheilt ist. Die Zeit, die der Kunststoff im Körper verbleibt, lässt sich durch das Mischungsverhältnis von Bestandteilen und die Länge der Molekülketten, aus denen der Kunststoff besteht, bestimmen.

Goldgräberstimmung mit einer Prise Skepsis Görge Deerberg vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen sieht im PLA zwar auch ein zukunftsträchtiges Produkt. Er weiß zudem, dass in der Industrie Konsens darüber herrscht, dass man ohne Biotechnologie nicht weiterkommen wird. Dass die Biotechnologie einmal die che-

mische Industrie beherrschen könnte, glaubt er aber nicht. »Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen können auch ohne Biotechnologie hergestellt werden.« Deerberg hält einen Technik-Mix für wahrscheinlich. So könnte ein Grundstoff biotechnologisch gewonnen und auf herkömmlichem Weg zu einem Produkt weiterverarbeitet werden oder umgekehrt. Mit Mischprodukten aus Erdöl und nachwachsenden Rohstoffen könnten sich zum Beispiel die Flexibilität eines Kunststoffs gezielt regulieren lassen. Eck ist optimistischer: »Wir haben die Tür zu der biologischen Vielfalt unter der Erde gerade erst aufgestoßen.« Er prophezeit Hemden, die Körpergeruch bekämpfen oder Joghurtbecher, die anzeigen, ob der Inhalt noch genießbar ist. »Momentan herrscht in der Branche Goldgräberstimmung.« Christian Meier u  Protéus aus Frankreich stellt Genvielfalt künstlich her: Indem man dort natürliches Erbgut zerkleinert, neu zusammenbaut und Bakterien einpflanzt. Die produzieren neue Enyzme – und womöglich zweckmäßigere.

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Angemerkt

Kühe, die Energieträger der Zukunft? Kühe setzen den Klimakiller Methan tonnenweise frei. Dieses Gas könnte als Treibstoff und Stromquelle dienen. Sind unsere netten schwarzweiß gefleckten Gefährten die wahren Klimakiller? Oder sind sie die Energieträger der Zukunft? Tatsache ist, dass Kühen etwa alle vierzig Sekunden ein Pups entfährt, der hauptsächlich aus Methan besteht – ein Gas, das 20 bis 30 mal klimaschädlicher ist als CO2. Eine durchschnittliche Milchkuh produziert davon ungefähr 150 bis 250 Liter am Tag. In Deutschland leben ungefähr 14 Millionen Kühe, sie produzieren einen Methanausstoß von 1,02 Billionen Liter pro Jahr. Dabei leben in Deutschland noch verhältnismäßig wenig Rinder, weltweit sind es circa 1,3 Milliarden. Allein die Ausscheidungen einer Kuh an einem Tag entsprechen etwa einem 0,14 Liter Benzin oder 0,12 Liter Diesel. Im Jahr wären das also 715 Millionen Liter Treibstoff, den alle deutschen Kühe produzieren. Doch wie will man das Gas gewinnen? Einer Kuh einen riesigen Luftballon an den Hintern zu hängen, ist wohl nicht die Lösung. Doch es gibt ernsthafte Versuche, dieses Gas zu gewinnen und nutzbar zu machen. Dazu werden Kuhställe hermetisch abgeriegelt und das Methan abgesaugt. Auf diese Weise Methan zu produzieren, ist nicht das Einzige, was unser heimisches Fleckvieh kann. Die Kühe sind kleine Bioreaktoren, denn sie produzieren außer Methan noch eine Menge Gülle, die richtig aufbereitet sich

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ebenfalls zu Methan umwandeln lässt. Methan besteht wie die meisten fossilen Energieträger aus Kohlenwasserstoff. Die Gülle kommt zusammen mit organischen Abfällen, zum Beispiel Maispflanzen, in einen Fermenter. Dort läuft die Methangewinnung in vier Stufen ab. Die erste Phase ist die Hydrolyse. Hierbei werden die langkettigen organischen Verbindungen, also etwa Proteine, Fette und Kohlenhydrate, durch Mikroorganismen in einfachere organische Bausteine wie Zucker oder Aminosäuren zerlegt. Bei diesen Prozess wird Wasser abgespalten und die festen Bestandteile der Biomasse verflüssigt. In der Versäuerungsphase werden die kleinen

organischen Verbindungen durch säurebildende Bakterien weiter abgebaut. Hierbei entstehen zum einen Butter- und Essigsäure und zum anderen Alkohole wie Ethanol. In dieser Phase des Prozesses fallen bereits 20 Prozent der Essigsäure ab, die man benötigt, um Methan herzustellen. In der dritten Phase werden die organischen Säuren und Alkohole durch Mikroorganismen zu Essigsäure. Nun kann aus der Säure im letzten Schritt, der Methanogenese, Methan gewonnen werden. Dies geschieht mit Hilfe von Archaeen, die bei ihrem Energiestoffwechsel Methan freisetzen. Dieser Aufwand ist durchaus lohnenswert, denn die Gülle von vier Kühen oder 32 Schweinen

reicht aus, um einen Vier-Personen-Haushalt mit Strom zu versorgen. Das hat bereits ein 780Seelen-Dorf in Deutschland dazu bewogen, sich durch die Gülle der Kühe und Schweine der Gemeinde von den großen Energiekonzernen unabhänig zu machen. Die Gülle der 1900 Tiere soll nach dem Willen der Dorfbewohner in zwei Kraftwerken zu Strom umgewandet werden. Dadurch könnte doppelt so viel Strom erzeugt werden, wie die Einwohner verbrauchen. Unsere Kühe können also mehr als nur Milch geben. Den Klimawandel werden sie nicht stoppen, aber vielleicht können sie ihn ein wenig verlangsamen. Annika Hollmann

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Portrait

Schutzhelm im Büroschrank Vom Labor aus erobern Mikroorganismen die Industrie. Doch bis die Organismen reif für die Fabrik sind, hat Verfahrensingeneurin Ulrike Maier viel zu tun. Denn vor jedem Triumphzug steht eine Odyssee: Die Organismen müssen große Mengen produzieren, bei niedrigen Kosten und ohne Allergierisiko für den Menschen – etwa, wenn es um Vitamine geht. Ulrike Maier betreut jeden Schritt und wechselt dabei ihre Garderobe so oft wie ihren Arbeitsort. Ulrike Maier hat von ihrem Büro aus eine schöne Aussicht. Sie kann direkt auf den Rhein schauen, der am Gelände des Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen vorbei fließt. Andere Mitarbeiter beneiden sie darum. Doch oft ist Maier an ihrem Schreibtisch mit Flussblick gar nicht anzutreffen. Neben Akten und Grünpflanzen steht eine Schranktür offen, dahinter leuchten gelbe Schutzhelme hervor und Allwetterjacken hängen in ordentlicher Reihe. Das entspricht nicht dem üblichem Büroinventar, für Maier jedoch gehört es zum Alltag: Sie arbeitet als Verfahrensingenieurin und ist stets zwischen ihrem Computer, Laboren und Produktionshallen unterwegs. Je nachdem trägt sie Hosenanzug, Kittel oder Jacke. Zu Ulrike Maier scheint das irgendwie alles zu passen. Sie fühlt sich in Bluse und Blazer genauso wohl wie in der schweren Jacke, die sie darüber streift. Den Schutzhelm braucht sie heute nicht. Lieber setzt Maier ein freundliches Lächeln auf, bevor sie das Büro verlässt. Wenn man nach draußen kommt, ist der Rhein nicht mehr zu sehen, dafür ein Meer von Gebäuden. Neben Naturwissenschaften gibt es bei der BASF vor allem die Wissenschaft der Hinweistafeln, der Treppen, der vielen Eingänge. Ulrike Maier läuft unbekümmert

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vorneweg. Sie arbeitet gerne bei einem so großen Konzern, der sogar einen Bäcker und einen Friseur auf seinem Gelände beherbergt. »Das Networking macht lange Wege sehr kurz«, erklärt sie, »man greift einfach zum Telefon, wenn es ein Problem gibt. Die Kollegen sind sehr bemüht und helfen professionell.« Ihr hat diese Zusammenarbeit schon gefallen, als sie während ihres Studiums hier ein Praktikum machte. Ursprünglich kommt sie aus München. In Aachen studierte sie zuerst Maschinenbau, bevor sie zu Verfahrenstechnik wechselte und schließlich in Bio-Verfahrenstechnik promovierte. Anschließend zog sie nach Mannheim – von ihrem Büro aus gesehen auf der anderen Rheinseite. Seit fünfeinhalb Jahren arbeitet sie nun bei der BASF und erzählt von den privaten Kontakten, die sie geknüpft hat. Das stellt man sich unter so vielen Kollegen schwierig vor, doch bei Ulrike Maier klingt es ganz unkompliziert. Genauso unkompliziert, wie sich im Schilderwald zu Recht zu finden. Schon öffnet sie die Tür zum nächsten Gebäude und steuert den Fahrstuhl in eines der vielen Stockwerke. In den Hallen des Biotechnikums nehmen die Irrwege kein Ende. Lange Rohre verdecken Wände und Decken, Maschinen brummen, in Metallbehältern

r Ulrike Maier begleitet Mikroorganismen vom Reagenzglas bis in die großen Produktionsanlagen. Heute braucht sie dafür ausnahmsweise einmal keinen Schutzhelm.

schwappt eine trübe Flüssigkeit. Genau darin schwimmen die eigentlichen Fabriken: Mikroorganismen produzieren Stoffe, die sich die Industrie zu Nutze macht. Dadurch lassen sich Energie und Rohstoffe einsparen. In den letzten Jahren haben Ulrike Maier und ihre Kollegen einen neuen Weg gefunden, um Vitamin B2 herzustellen. Das Vitamin wird in Nahrungsergänzungsmitteln und Tierfutter zugesetzt. Früher musste man es chemisch über ein neunstufiges Verfahren herstellen. Dank der Mikroorganismen reicht heute eine Stufe. Die BASF sucht weiter nach neuen Möglichkeiten der »weißen« Biotechnologie, auch in anderen deutschen Unterneh-

men wird intensiv geforscht (siehe Bericht Seite 18). Als Verfahrensingenieurin muss sich Maier dabei die Frage stellen, ob aus den Erfolgen der Wissenschaftler ein marktreifes Produkt werden kann. Denn vom Experiment im Reagenzglas ist es ein weiter Weg bis zu den großen Produktionsanlagen. Maier vergleicht die Bedürfnisse der Mikroorganismen mit einem Marathonläufer: »Der kann nur dann eine optimale Leistung bringen, wenn er genug Sauerstoff atmet und mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt ist.« Im Labor lässt sich das gut überwachen, doch in den umfangreichen Fermentern sollen die Organismen genauso

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l Das BASF-Firmengelände ist eine Stadt für sich – mit Bäcker, Friseur und »Feier­abendhaus«. Hinter dem Gebäudemeer versteckt sich der Rhein.

viele Stoffe umsetzen. Maier geht durch die Hallen und zeigt den Weg vom Glaskolben bis zu den riesigen Metallbehältern. Bei der BASF gibt es alles in noch größer. Einer der Behälter fasst 5000 Liter und reicht über zwei Stockwerke. »Da denkt man schon >Wow<, wenn man davor steht«, sagt sie.

Forscherdialekt Wenn das »Kochrezept aus dem Labor« in den Fermentern nicht das gewünschte Ergebnis bringt, setzt sich Maier wieder mit den Forschern zusammen. Fällt es ihr ohne Doktortitel in Chemie oder Biologie nicht schwer, sich mit den Wissenschaftlern zu unterhalten? Nein, Maier hat sich an Fremdwör-

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ter und Fachjargon gewöhnt. »Man lernt den Dialekt der Kollegen zu verstehen«, antwortet die Ingenieurin gelassen, »außerdem gibt es Seminare zur Weiterbildung.« Manchmal fragt sie aus eigenem Interesse nach, was genau zwischen Schläuchen und Rohren mit den Mikroorganismen passiert. Wenn das Verfahren erfolgreich ist, freut sie sich mit den Forschern: »Es ist ein schönes Gefühl, wenn am Ende die richtigen Stoffe aus den Röhren fließen.« Auf ihrem Weg durch das Biotechnikum kommt Maier an den Geräten vorbei, in denen die Mikroorganismen am Ende zerstört werden, um die Stoffe in ihrem Innern herauszulösen. Die

Maschinenteile aus glänzendem Metall erinnern an Küchengeräte. »Vielleicht waren deshalb immerhin ein Drittel in meinem Studiengang Frauen«, scherzt sie. Doch ob Mann oder Frau, darauf komme es laut Maier in ihrem Beruf nicht an, wichtig sei vor allem Teamfähigkeit. Das gilt nicht nur für das Gespräch mit den Wissenschaftlern – Maiers Arbeit geht außerhalb von Laboren und Biotechnikum weiter. Für neue Projekte müssen die Kosten abgeschätzt, geeignete Produktionsanlagen gefunden, sowie die Haltbarkeit und Sicherheit der Produkte geprüft werden. Außerdem muss Maier darauf achten, dass ihnen die Konkurrenz nicht zuvorgekommen ist und schon

ein Patent auf dasselbe Verfahren angemeldet hat. Es dauert mehrere Jahre, bis ein Produkt marktreif ist. Von 175 Ideen wird durchschnittlich nur eine zum Erfolg für den Konzern. Das klingt nach viel Diskussion, nach vielen Meinungen, die berücksichtigt werden wollen. Maier formuliert es positiv: »Wir haben alle das Anliegen, dass es weitergeht.« Inzwischen hat sie den Ausgang des Biotechnikums erreicht. Jetzt will sie wieder ins Büro, zurück zu Computer, Akten und Blick auf den Rhein. Vor der Tür ragen die vielen Schilder in den Himmel, aber Ulrike Maier findet den richtigen Weg von selbst. Lisa Leander

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Interview

Dolle Knolle BASF Plant Science ist auf die Kartoffel gekommen: Mit der Knolle Amflora hat sie einen vielseitig anwendbaren Rohstoff geschaffen, denn sie hat bei ihr via Gentechnik die Zusammensetzung der Stärke verändert. Das macht die Amflora zwar nicht lecker, aber gut geeignet für viele Industriezweige, die Stärkeprodukte benötigen: Baustoff- und Papierindustrie etwa. Im Interview beant­wortet Dr. Matthias Nachtmann, Business Development Manager bei BASF Plant Science, Fragen rund um die Kartoffel. Was unterscheidet die Amflora von der »herkömmlichen« Kartoffel? Sieht sie anders aus? Rein äußerlich sieht sie aus wie jede andere Kartoffel auch. Der Unterschied liegt im Inneren. Bei herkömmlichen Stärkekartoffeln besteht die Stärke zu 80 Prozent aus Amylopektin und zu 20 Prozent aus Amylose, wobei beide Bestandteile unterschiedliche Eigenschaften haben: Amylopektin verdickt, Amylose geliert. Durch das Ausschalten eines Gens produziert die Amflora ihre Stärke ausschließlich in Form von Amylopektin. Möglich wurde dies, weil Forscher das Gen identifizieren konnten, das für die Amyloseherstellung verantwortlich ist, weil es für das Enzym GBBS codiert. Wenn dieses Gen ausgeschaltet wird, kann das Enzym und damit auch die Amylose nicht mehr produziert werden.

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Was kann man aus Amylopektin herstellen? Amylopektin ist ein wasserunlösliches Polysaccharid, also ein »Vielfachzucker«, der aus mehreren Tausend niedermolekularen reaktionsfähigen GlucoseMolekülen besteht. Einige Anwendungsmöglichkeiten sind das Beschichten von Hochglanzmagazinen und das Zusetzen in Bohrschlamm. Oder im Klebstoff, der durch die Amflora-Stärke länger flüssig bleibt und dadurch besser verarbeitet werden kann. Wie konnte man bisher reines Amylopektin gewinnen? Derzeit werden die beiden Stärketypen durch chemische, physiklische oder enzymatische Verfahren getrennt, was allerdings sehr aufwändig ist. Wer hat ihr den Namen gegeben? Der Name Amflora ist aus dem

Team heraus entstanden. Anschließend musste natürlich geprüft werden, ob er international anwendbar ist. Wie schwierig ist die Zulassung? Die Zulassung ist ein lang andauernder Prozess. Nach der Forschung und Entwicklung im Labor werden die Feldversuche gestartet. Hier wird das Produkt auf Toxikologie, Umweltverträglichkeit und Allergenizitäten untersucht. Dieser Prozess läuft bei der Kartoffel schon seit zehn Jahren. Seit 2003 befindet sie sich im Zulassungsverfahren. Wir erwarten die Markteinführung zur Anbausaison 2007. Was würde passieren, wenn Mensch oder Tier eine Amflora essen würden? Sie können unsere Amflora bedenkenlos essen, sie wird nur wahrscheinlich nicht sehr gut schmecken, da sie ausschließlich für die industrielle Nutzung gedacht ist. Dennoch haben wir sicherheitshalber die Zulassung als Lebensmittel beantragt. Und die Prüfung durch die »European Food Safety Authority« hat bereits bestätigt, dass die Amflora für Mensch, Tier und Umwelt genauso sicher ist wie jede andere Kartoffel. Wie kann man sie von einer Speisekartoffel unterscheiden, wenn sie äußerlich gleich aussehen?

Durch einen einfachen Test. Mit einer Jod-Kalium Lösung färbt man die Kartoffel an. Dabei wird die Amflora rot und die herkömmliche Kartoffel dunkelviolett. Welche Risiken gibt es? Als Risiko sehen Kritiker zum Beispiel die unkontrollierte Ausbreitung. Da sich Kartoffeln aber vegetativ und nicht über Pollen vermehren und der Anbau streng kontrolliert wird, stellt das keine Bedrohung dar. So beträgt der Mindestabstand zum nächsten Acker fünf Meter. Auch eine Auskreuzung mit anderen Kartoffelarten ist nicht möglich, da es in Europa keine wildwachsenden verwandten Arten gibt. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen für Ihr neues Produkt ein? In Deutschland herrscht vor allem nach der letzten Saison Kartoffelnotstand. Wegen der extremen Witterungssituation war die Kartoffelernte nicht so ertragreich wie bisher. Die Amflora eröffnet neue Märkte für die Stärkeindustrie und Stärkelandwirtschaft und wir erwarten eine sehr positive Resonanz. Die höhere Ertragssicherheit und niedrigere Kosten für die Landwirtschaft steigern die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kartoffelwirtschaft. Die Fragen stellte Melanie Schmidt.

Bio ist, was ihr draus macht


Pflanzen aus der Industrie Nur wenige Kilometer vom Hauptsitz der BASF in Ludwigshafen liegt ihr Ableger, die BASF Plant Science in Limburgerhof. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit der grünen, also der Pflanzenbiotechnologie. Dabei geht es vor allem darum, die Gewächse widerstandsfähiger zu machen und ihren Nährstoffgehalt zu erhöhen. Prognosen für die Landwirtschaft der Zukunft besagen, dass der Bedarf an Nutzpflanzen wie Weizen oder Mais stetig steigt und der Ertrag innerhalb der nächsten 20 Jahre verdoppelt werden muss. Denn jährlich wächst die Weltbevölkerung um etwa 80 Millionen Menschen, der Wohlstand steigt und immer weniger Ackerflächen müssen immer mehr Menschen versorgen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, setzen viele Firmen ihre Hoffnungen in innovative Chemikalien für die Landwirtschaft sowie neue Entwicklungen aus der biotechnologischen Forschung. Eine dieser Firmen ist BASF Plant Science. Hier sind die Aktivitäten des Chemieriesen in Sachen Pflanzenbiotechnologie gebündelt. Das Unternehmen wurde 1998 als Tochterfirma von der BASF und dem schwedischen Saatgutunternehmen Svalöf Weibul gegründet. BASF Plant Science kümmert sich vor allem um die Verbesserung von Nutzpflanzen. Etwa 600 Mitarbeiter arbeiten nach Konzernangaben an Standorten in fünf Ländern besonders an drei Zielen: Effizientere Landwirtschaft, bessere und gesündere Ernährung und nachwachsende Rohstoffe. Neben der Forschung zur Schädlingsbekämpfung und

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Pflanzenkrankheiten in der Landwirtschaft hat BASF Plant Science bereits erste Erfolge im Kampf gegen extreme Umwelteinflüsse zu verzeichnen. Der Laborpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) konnte ein Gen für Trockenheitstoleranz, welches ursprünglich aus einem Moos stammt, ins Erbgut eingebaut werden. Durch diese Veränderung wurde sie widerstandsfähiger gegen Trockenperioden. Das nächste Ziel von BASF Plant Science ist nun, diese Eigenschaft erfolgreich auf Pflanzen wie Soja, Mais, Weizen oder Raps zu übertragen. Es wurden schon erste Feldversuche mit genveränderten Nutzpflanzen gestartet. Allerdings kann man noch keine Aussage darüber machen, wann solche Pflanzen marktfähig sind. Von einer Idee bis zur Vermarktung eines Produktes können zwischen zwölf und 15 Jahre vergehen. Ein weiteres Forschungsziel aus der Sparte Ernährung ist die Entwicklung von Pflanzen, die Omega-3-Fettsäuren bilden können. Omega-3-Fettsäuren sind ungesättigte Fettsäuren, die der menschliche Körper nicht selbstständig herstellen kann. Sie sind jedoch für eine gesunde Ernährung wichtig und haben möglicherweise einen positiven

Bisher wächst Amflora nur auf abgesteckten Versuchsfeldern. Bald könnte sie für die Landwirtschaft in der EU zugelassen werden.

Effekt auf das Herz-Kreislauf-System. Bisher gewinnt man sie überwiegend aus sehr fetthaltigem Fisch. Da aber auch manche Moose und Algen in der Lage sind, Omega-3-Fettsäuren herzustellen, forscht BASF Plant Science daran, das Erbgut von Ölpflanzen wie Raps mit Genen aus Algen oder Moosen zu optimieren. Schon heute werden viele Lebensmittel wie Joghurt oder Käse mit Omega3-Fettsäuren versetzt, was ihren Nährwert steigern soll. Die Projekte zu Trockenresistenz und erhöhtem Nährwert durch Omega-3-Fettsäuren befinden sich derzeit noch im Forschungsstadium. Das erste Produkt allerdings, das kurz vor der Markteinführung steht, stammt aus dem Bereich nachwachsende Rohstoffe und ist die gentechnisch veränderte Kartoffel Amflora (siehe Interview links). An ihr scheiden sich die Geister, denn einige Kritiker fürchten, dass die Knolle in die Nahrungskette geraten könnte. Deswegen protestieren Organisationen wie Greenpeace dagegen, dass Amflora im Freiland wachsen soll. Derzeit wartet das Unternehmen auf die Zulassung durch die Europäische Union. Anja Szerdi

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Abartig!

Die Friedhöfe der Zukunft zwischen Jupiter und Saturn

Ohropax mal anders Rohe Fleischstückchen mit Transglutaminase mischen, ins Ohr stopfen und warten: Fertig ist der Ohrenstöpsel. In der Industrie wird das Enzym dazu verwendet, Formfleisch herzustellen. Wieso nicht auch im Ohr, haben wir uns gefragt und nachgehakt: »Das ist zwar völlig abartig, aber es würde wahrscheinlich funktionieren«, meint dazu Christoph Baldauf, Biotechnologiestudent im siebten Semester an der Hochschule Darmstadt. Ist ja auch logisch: Transglutaminase vernetzt Proteine in Fleischwaren, indem es zwischen den Aminosäuren Lysin und Glutamin chemische Bindungen herstellt. Letztendlich

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»wachsen« die Fleischstückchen zusammen. Die schlechte Nachricht: Der Stöpsel ist zwar absolut schalldicht und passt perfekt, aber leider ist er auch nicht mehr so leicht rauszubekommen aus dem Ohr. Einzeln rausziehen lassen sich die Fleischstücke nämlich nicht mehr, sobald sie verbunden sind. Außerdem fängt die ganze Sache nach einiger Zeit erbärmlich an zu stinken. Da bleiben wir doch lieber beim Ohropax. Josephina Maier

Leichen braucht kein Mensch. Bis jetzt haben wir sie im Erdreich vergraben, aber bald wird es keinen Platz mehr für all die Menschenhüllen geben. Wieso also nicht anders entsorgen? Lasst sie uns doch ins Weltall schießen. Außerhalb der Erdatmosphäre würden sie dann ihre Bahnen ziehen. Da es dort oben keinen Sauerstoff gibt, könnten die im Körper enthaltenen aeroben Bakterien die Leichen nicht zersetzen. »Die anaeroben Bakterien hätten dann freie Bahn und würden zerlegen, was sie kriegen könnten«, sagt Heinrich Dirks, Physikprofessor an der Hochschule Darmstadt. Allerdings auch nur für kurze Zeit: »Die Leichen würden innerhalb einer Woche auf ungefähr -18 Grad Celsius abkühlen.« Somit würden die Leichen gefriergetrocknet und die Bakterien gleich mit.

Zudem werde der Körper weiter Wasserdampf nach außen abgeben. Dadurch würde die menschliche Außenhülle nach einiger Zeit zwar spröde und brüchig, aber solange nichts mit ihnen kollidiere, passiere nichts weiter mit den Körpern, sagt Dirks. Und falls Jahre später zum Beispiel Herr Müllers Leiche für einen Vaterschaftstest gebraucht würde, müsste man sie nur noch finden, ins Raumschiff packen und auftauen. Denn so erklärt Dirks: »Selbst nach zigtausend Jahren wird noch funktionsfähige DNA zu finden sein!« Julia Langensiepen

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How to kill my Papagei Individuell will man heute sein. Mit dem Begriff assoziiert die Mehrheit frei, anders und besser zu sein als der Rest. So wirft man sich absichtlich in skurrile Kleider, schmückt seinen Körper mit Tattoos und kauft exotische Tiere. Papageien zum Beispiel, diese farbenfrohen und intelligenten Tiere. Aber ist sich jeder über die Auswirkungen dieses Kaufs bewusst? Papageien sind nämlich keinesfalls angenehme Mitbewohner: Sie krähen, schreien und äffen einen nach – sie hauen ihre Krallen mit Begeisterung in diverse Körperteile des Besitzers – mit ihrem Schnabel sind sie in der Lage Meerschweinchen tot zu picken… Die Frage lautet also: Wie bringe ich meinen Papagei um? Die Antwort ist einfach: Hefepilze! Aspergillose ist eine Schimmelpilzerkrankung und die häufigste Todesursache bei

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Leuchttürme der Forschung Papageien. Die Krankheit kommt vor, wenn die Lebensumstände der Tiere dementsprechend passen: Es helfen zum Beispiel niedrige Luftfeuchtigkeit, ein dreckiger Käfig und verdorbenes Futter. Es kann losgehen: Die Sporen der Pilzarten wie Aspergillus niger oder A. fumigatus können nun über die Atmungsorgane in das Gewebe der Tiere gelangen. Es bilden sich unschöne Verdickungen, Knötchen und im schlimmsten, beziehungsweise für uns besten Fall: zu einer Verdickung des Lungengewebes. Die hinteren Luftsäcke der Tiere werden überdehnt – es folgen der plötzliche Erstickungstod und damit eine himmlische Ruhe in der ganzen Wohnung. Julia Langensiepen

Es ist Winter, und wer mit seinen Kindern abends noch im Dunkeln unterwegs ist, dem kann schon mal eines der lieben Kleinen abhanden kommen. Mit dem Geheule ist jetzt aber hoffentlich bald Schluss: Professor Alexander Pfeifer vom Department für Pharmazie und Professor Eckhard Wolf vom Genzentrum der LMU München ist es schon im Oktober 2003 gelungen, mithilfe eines Quallengens fluoreszierende Ferkel zu erzeugen. Das Projekt soll zwar letztendlich dabei helfen, Tierorgane in den Menschen zu transportieren, aber hier ein anderer Vorschlag: Wenn Ferkel, warum dann nicht auch Kinder? Die würden im winterlichen Dunkel weithin leuchten und nie mehr verloren gehen. Mit der Laternenbastelei an Sankt

Martin hätte es auch ein Ende. Und viele Eltern hätten endlich, was sie sich für ihr Kind schon lange wünschen: Es würde endlich mit leuchtendem Beispiel vorangehen. Josephina Maier

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Ein Enzym in den Kinderschuhen Zwei Studenten der Hochschule Darmstadt organisieren ein ganz besonderes Mutter-Kind-Projekt: Sie sind die Papas und ihr Baby ist ein schleimiges Enzym. Na dann mal los...

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Es stinkt. Undefinierbar, eklig. Es sieht auch nicht schön aus: Auf dem Nährboden gedeihen gelber Schleim und kleine, weiße Punkte. Christoph Baldauf und Daniel Minör aber riechen nichts. »Wir sind abgehärtet«, sagen sie und grinsen: »Das ist unsere Transglutaminase.« Sie laufen hin und her, bringen neue Agarplatten und erklären alle Geräte. Stolz sehen sie aus. Wie Eltern stolz auf ihre Kinder sind. Nur ist ihr Kind ein Enzym: Transglutaminase, TGase, Factor XIIIa oder Fibrinoligase – es gibt viele Namen für diese muffige Substanz. Wir sind im Biotechnologielabor der Hochschule Darmstadt. Modern ist es, aufgeräumt auch. Christoph und Daniel studieren hier Biotechnologie im siebten Semester und sind Gründer des »Student Pilot Project« – einem freiwilligen Forschungsprojekt an dem Enzym Transglutaminase. So wie Eltern für ihre Kinder, haben die beiden Studenten auch Pläne für ihr Enzym: Sie wollen die Kultur des Bodenorganismus Streptomyces mobaraensis von einer Agarplatte auf einen Schüttelkolben und anschließend auf einen Zehn–Liter–Fermenter hochzüchten. »Wir suchen einen Weg diesen Organismus in großem Maßstab zu gewinnen«, erklärt Daniel: »Als würden wir in einem eigenen Unternehmen arbeiten und neue Forschungsansätze suchen.« Und was hat das jetzt mit der Transglutaminase zu tun? Nun, dieses Enzym ist eines der Produkte, die das Bakterium Streptomyces mobaraensis herstellt. Und dazu ein besonderes: Transglutaminase ist einfach gesagt ein biologischer Klebstoff. »Wenn man Fleischstücke mit Transglutaminase versetzt, erhält man nach einiger Zeit ein großes Stück«, erklärt Daniel. Man spricht dann von restrukturiertem Fleisch. »Außerdem ist die Forschung an der Transglutaminase gerade auch wirtschaftlich hochinteressant«, erklärt Christoph. Denn momentan besitze Japan das Patent zur Herstellung des

l Alltag im Labor: Die beiden Studenten verbringen ihre Freizeit zwischen Reagenzgläsern und Petrischalen.

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Enzyms. Aber 2008 laufe es aus. Höchste Zeit also, selbst das Enzym zu züchten, meinen die Studenten: »Allein die Vorstellung, wir könnten herausfinden wie die Japaner Transglutaminase züchten, ist Grund genug für unsere Entscheidung.« Die Entscheidung ist gefallen, die Laborkittel zugeknöpft – jetzt muss es nur noch klappen. Und was da klappen muss, ist eine wirkliche Premiere. »In unserem Fachbereich gab es bisher noch nie ein freiwilliges Forschungsprojekt von Studenten«, erklärt Christoph. Und das obwohl das Labor jedem Studenten zur Verfügung stehe: »Die Studenten haben eben keine Lust, mehr zu leisten, als verlangt wird.« Zeitintensiv ist das Projekt: Bis zu 15 Stunden in der Woche verbringen die Zwei inzwischen bei ihrem »Schleim«.

Enzym fürs Fleischdesign Der Schleim – er gehört zu der Klasse der Transferasenenzyme. Diese katalysieren chemische Reaktionen, bei denen funktionelle Gruppen übertragen werden. Die Transglutaminase von Christoph und Daniel ist eine so genannte Aminoacyl-Transferase. »Unser Enzym beschleunigt eine Reaktion zwischen den Aminosäuren Lysin und Glutamin«, erzählt Daniel. Hierbei bilden sich starke Bindungen zwischen den beiden Aminosäuren. Es handelt sich dabei um Isopeptidbindungen, die zwischen den Carboxyl- und Aminogruppen an den jeweils zweiten Kohlenstoffatomen der Aminosäuren entstehen. Wenn das Enzym so beispielsweise »restrukturiertes« Fleisch herstellt, vernetzt es die aus tausenden Aminosäuren bestehenden Proteine der einzelnen Fleischstücke. Sprich: Aus lauter Fleischbrocken entsteht ein schön geformtes Stück. Eine komplizierte Angelegenheit mit einem anschaulichen Ergebnis – der entstandene Aminosäurekomplex ist sehr stabil, so dass Enzyme ihn nur schwer wieder aufspalten können. Diesen Vorteil nutzt nicht nur die Industrie, sondern auch der menschliche Körper. Der benötigt acht Transglutaminasearten. Sie spielen bei der Blutgerinnung, aber auch beim Haarwachstum eine Rolle. Zurück zum Projekt von Christoph und Daniel: Hier muss das Enzym nichts vernetzen. »Der

Mikroorganismus Streptomyces mobaraensis soll wachsen, um dann die Transglutaminase zu produzieren«, sagt Christoph. Normalerweise braucht man dafür Nährböden. Doch die Studenten wollen den Organismuss im flüssigen Medium züchten. »In der Industrie nutzt man auch flüssige Medien. Alles andere wäre Unsinn. Man bräuchte sonst hektargroße Nährböden«, erklärt Daniel. Als das Projekt begann, hatte der Transfer von der Agarplatte in den Fermenter gut funktioniert. Doch dann verstopfte der Luftfilter des Fermenters und der Organismus bekam zu wenig Sauerstoff. »Wir mussten noch einmal von vorne anfangen«, bedauern die Studenten. Trotz dieser kleineren Niederlage sind sie immer noch engagiert und motiviert: »Egal was noch kommt, wir werden mit allem fertig«, sagt Daniel. So könnten zum Beispiel die Streptomyces im Fermenter zuviel Schaum produzieren. Oder die Bakterienkultur würde aufhören zu wachsen, weil sie durch ständiges Rühren gestresst würde. Den Begriff »Studentenprojekt« sollte man also nicht gleich mit »einfach« oder »unproblematisch« assoziieren. »Viele denken, dass unser Projekt keine Schwierigkeiten bringen würde«, sagt Daniel. Aber dem ist offensichtlich nicht so. »Der Umzug von der Agarplatte zum Fermenter bedeutet für die Streptomyces das Gleiche wie für uns eine Umsiedlung von Alaska zum Aamazonas«, erklärt er.

Unterstützung Die Professoren Hans-Lothar Fuchsbauer und Hans-Jürgen Koepp-Bank unterstützen das Projekt. Beide lehren an der Hochschule Darmstadt. Fuchsbauer ist Biochemie-Professor, KoeppBank zuständig für Bioverfahrenstechnik. »Sie haben uns von Anfang an geholfen«, sagt Christoph. Beide sind sie den Dozenten sehr dankbar für ihre Hilfe: »Ohne sie würde es das Projekt nicht geben.« Denn der Fachbereich Chemie- und Biotechnologie kann das Projekt nicht komplett bezahlen. »Da sich der Fachbereich aber in einem gewissen Maß mit uns schmücken kann, sind die Zuständigen sehr locker und geben uns einzelne Substrate schon mal, ohne dass wir gleich be-

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zahlen müssen«, erzählt Christoph. Für alles andere kommt jetzt das Zentrum für Forschung und Entwicklung (ZFE) auf – die wissenschaftliche Einrichtung der Hochschule Darmstadt. Die Mitarbeiter dort bewilligen Forschungsgelder, koordinieren die Projekte und veröffentlichen später die Ergebnisse. »Für das ZFE war der ausschlaggebende Punkt, dass hier erstmals Studenten ein selbstständiges Forschungsprojekt aufbauen wollen«, erklärt Christoph. Alle Beteiligten würden damit Neuland betreten, meint er: Da ließe es sich niemand nehmen, sie zu unterstützen. Die Hilfe der Professoren Fuchsbauer und Koepp-Bank benötigten Daniel und Christoph bereits vor dem praktischen Arbeiten: Es waren die Dozenten, die den Antrag stellten und unterschrieben. Das ZFE unterstützt keine Forschungsprojekte von Studenten, sondern nur Lehrprojekte. Das ist das Student Pilot Projekt aber nicht. Aber dank ihrer Professoren bewilligte das ZFE den Antrag: Die Studenten bekommen insgesamt rund 3000 Euro. Wahrscheinlich wären sie bereits beim Ausfüllen des Antrags gescheitert, gibt Christoph zu: »Wir mussten unter anderem genau beschreiben, was wir machen wollen, was unser Ziel ist und wie viel Zeit wir dafür brauchen.« Daniel stimmt ihm zu: »Für uns war es also von Vorteil, dass unsere Professoren schon häufig solche Anträge ausfüllen mussten und Forschungsarbeiten veröffentlicht haben.« Handelt es sich also eigentlich um ein Professor Pilot Project? Fuchsbauer verneint dies heftig: »Nein, wir sind nicht Schirmherren des Projekts und wollen auch nicht so bezeichnet werden.« Fuchsbauer spricht auch stets von »dem Studentenprojekt« und betont häufig, dass er hier nur »im Hintergrund agiere«. Auch Daniel und Christoph fühlen sich nicht gekränkt, dass ihre Idee nun nicht mehr ihre sein soll: »Was soll man machen, wenn das ZFE solche Auflagen hat?«

So hilft Hans-Lothar Fuchsbauer jetzt »nur« bei der biochemischen Analyse der Ergebnisse. Von »nur« sollte aber eigentlich keine Rede sein: Seinem Engagement opfert er seine Freizeit. Fuchsbauer aber will trotz des Zeitaufwands weiterhin mitwirken: »Ich habe nicht vor, meine Aufgaben abzugeben.« Und selbst wenn er wollen würde, gäbe es niemanden, der seine Arbeit machen könnte. Neben Geld scheinen dem Fachbereich auch die Mitarbeiter zu fehlen.

Träume und Grenzen »Wir sind chronisch unterfinanziert«, klagt Fuchsbauer: »Wie soll ohne entsprechende Fachkräfte die Lehre weiterhin qualitativ gut sein?« Am Ende würden unter den Sparmaßnahmen die Studenten leiden. Denn auch wenn sich jedes Jahr eine Gruppe motivierter Studenten zu einem Projekt finden würde: »Es gibt nicht einmal Mitarbeiter, die ihnen das Labor mit den Geräten erklären könnten.« So verstaubt das Labor. »Der Fermenter wurde vor unserem Projekt ein dreiviertel Jahr lang nicht benutzt«, erzählt Daniel. Da hieß es für die Studenten: Schwämme auspacken und putzen. »Am Schluss war er so sauber – ich hätte daraus gegessen«, meint er. Diese Großputzaktion, sowie stundenlanges Lesen aller Anleitungen und anderer Literatur – für Fuchsbauer zählt es zum Lernen dazu. Der Lerneffekt eines solchen Projekts sei für ihn

das Wichtigste. Dass es keinen großen wissenschaftlichen Nutzen hat, ist für ihn daher weniger interessant: »Eine Zehn–Liter–Fermentation ist nichts Besonderes. Der normale technische Maßstab liegt zwischen 100 und 1000 Litern«, erklärt Fuchsbauer. Dennoch: »Die Studenten arbeiten verfahrenstechnisch.« Und das, weil sie anhand eines bekannten Forschungsprinzips unter unnatürlichen Bedingungen ein Produkt herstellen möchten. Der nächste Schritt ist dann ein neues Prinzip herauszufinden: So etwa eine billigere Herstellungsmethode oder ein schnelleres Verfahren. »Genauso arbeiten Verfahrenstechniker und Forscher in einem Unternehmen«, sagt Fuchsbauer. »Strategien austesten«, das sagen Christoph und Daniel dazu. Wenn sie einen Durchlauf von der Agarplatte in den Fermenter erfolgreich geschafft haben, sei das Projekt auch nicht vorbei. Dann geht es darum herauszufinden, ob weitere Substrate auf der Agarplatte zu finden sind. So zum Beispiel Piericidine oder Isocumarine. Das sind beides Naturstoffe; zum einen ein Antibiotikum und zum anderen ein Stoff, der Serin-Proteasen, also Verdauungsenzyme, hemmt. »Unser größter Traum ist es, ein Rezept zu finden«, schwärmt Daniel. Bedeutet: einen Weg Transglutaminase schnell, billig, leicht und extrazellulär herzustellen. »Aber das ist natürlich

r Keine Mondlandschaft, sondern ein Blick in die Petrischale: Diese Streptomyces-Krater produzieren Transglutaminase

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Portrait

Die Transzendenz des Ego Was einen existenzialistisch veranlagten Studenten dazu bringt, selbstständig ein Forschungsprojekt zu betreuen

Er ist einer dieser Menschen, die aussehen, als seien sie im Laborkittel auf die Welt gekommen. Das wäre in seinem Fall sogar recht praktisch gewesen, denn Daniel Minör hat die letzten Wochen hauptsächlich im Labor verbracht. Für einen Biotechnologiestudenten der Hochschule Darmstadt vielleicht nichts Ungewöhnliches – lägen seine Arbeitszeiten nicht außerhalb der Vorlesungen. Der 28-Jährige ist Mitbegründer eines studentischen Forschungsprojektes, das er mit einem Kommilitonen zusammen auf die Beine gestellt hat. Kurz gesagt wollen sie es schaffen, einen Mikroorganismus vom Schüttelkolben auf industriellen Maßstab hochzuzüchten. Es ist das erste Projekt dieser Art an der Hochschule Darmstadt, rein studentisch organisiert und freiwillig. Jemanden, der so etwas ins Leben ruft, würde man sich engagiert vorstellen, begeistert. Das ist Daniel eindeutig nicht. Er ist offensichtlich auch niemand, der seinen Werdegang anderen gerne lang und breit darlegt. »Soll ich meinen Lebenslauf schicken?« Die Frage kommt wie aus der Pistole geschossen, als er gebeten wird, seine bisherige Karriere kurz zu skizzieren. Was treibt jemanden wie Daniel dazu, selbstständig ein Biotechnologie-Projekt zu organisieren und seine Freizeit vor einem stinkenden Fermenter zu verbringen? Klar ist jedenfalls, dass er

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schon immer Freude an Biologie und Chemie hatte. In seinem Abitur waren beide Prüfungsfächer. Vor dem Studium hat er schon eine Ausbildung zum Biolaboranten gemacht und in diesem Beruf gearbeitet. Warum er jetzt noch Biotechnologie studiert? In der Abendschule hat er nebenher Techniker gelernt, was ihm aber zu viel wurde. »Dann dachte ich, wenn ich ohnehin keine Zeit mehr habe, kann ich auch den ganzen Tag an der FH herumhängen.« Das nimmt man ihm nicht ganz ab. Auch wenn er auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, statt mit Begeisterung eher mit Todesverachtung bei der Sache zu sein: Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Im Labor arbeiten inzwischen mehrere jüngere Studenten mit, denen Daniel und sein Kommilitone Christoph Baldauf die Verfahrenstechniken erst beibringen mussten, bevor die Arbeit losgehen konnte. Von Herumhängen kann also keine Rede sein. Die meisten seiner Freunde reagieren zwar mit Kopfschütteln, wenn sie hören, was Daniel in seiner Freizeit so treibt, aber offensichtlich ist er nicht unbeliebt: Auf seinem Profil in einem Online-Studentenverzeichnis haben ihm viele Kommilitonen zum Geburtstag gratuliert. Dort lässt sich auch nachlesen, was mit seinem Kind passiert, falls es später Hip-Hop hören sollte: Es kommt ins Heim. Auf seinem Foto steht er vor einem

r Daniel Minör, Biotechnologiestudent in Darmstadt, hat »Blut in seinem Koffeinkreislauf« und ein Händchen für sensible Enzyme.

undefinierbaren Fluss, grinst in die Kamera und ähnelt mit Brille und zerstrubbelten Haaren Harry Potter. Er sieht auch aus, als ob er das weiß, und mehr noch: Als ob es ihn amüsieren würde. Hesse und Sartre, schreibt er da, seien seine Lieblingsautoren, und er hat sich in einer Gruppe angemeldet, die heißt »Ich habe Blut in meinem Koffeinkreislauf«. Das Koffein führt er sich in Form von Kaffee zu – »ich nehme nur schwarz« –, deswegen weiß er auch nicht, ob es im Fachschaftsraum einen Löffel zum Umrühren gibt. Sein Kommilitone, den er auch gerne mal für sich reden lässt, findet dann doch einen. In einem knappen Jahr ist Daniel fertig mit dem Studium, davor schreibt er noch seine Diplomarbeit über »Fermentationsopti-

mierung für die Erstellung eines Enzyms«, das ist ziemlich genau das, womit er sich bei seinem Projekt auch beschäftigt. Drei Bewerbungen für die Diplomarbeit hat er an Firmen verschickt, einer musste er schon absagen, weil die andere ihn genommen hat. Auf die Frage nach konkreten Plänen danach kommt ein klares Nein, aber da macht man sich aus irgendeinem Grund keine Sorgen. Es sieht ganz so aus, als ob Daniel einer der seltenen Menschen ist, die ihren Weg von Anfang an kennen und ihn auch gehen. Auch wenn er das nicht jedem auf dem Silbertablett präsentiert. Was Daniel selbst am Ende als Motiv für seine Projektarbeit angibt, klingt zwar trocken, aber hundertprozentig glaubwürdig: »Selbstverwirklichung.« Josephina Maier

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l Gerührt, aber nicht geschüttelt: Dieser futuristische Fermenter mixt für die Streptomyceten den perfekten Cocktail aus Sauerstoff und Substraten.

utopisch«, wirft Christoph ein: »Ich denke, dass so ein eigenständiges Projekt für jeden Mitarbeiter persönliche Vorteile hat.« Dass ihnen ein Durchbruch in dem Forschungsgebiet gelingen könnte, sollte nicht ihr Hauptmotiv sein. Das wissenschaftliche Arbeiten dagegen ist ein großer Reiz für alle Projektbeteiligten. Deshalb bieten Christoph und Daniel niederen Semestern an bei dem Projekt mitzuwirken. Während des Studiums gebe es nicht viele Möglichkeiten, praktisch zu arbeiten, bedauern sie: »Wir haben wenige Laborarbeiten und Praktika.« Wenn die Studenten dann in ihr berufsorientierendes Semester geschickt würden, fehle den meisten praktische Erfahrung. Das ändert sich jetzt. Inzwischen hat sich das Zwei–Mann–Projekt zu einer kleinen Forschungseinheit entwickelt. »Wir sind sieben Leute, die bei dem Projekt mitwirken«, sagt Daniel. Da wären neben Daniel und Christoph auch Bastian und David aus dem fünften Semester, Tom aus dem dritten, Daniel aus dem ersten und Petra, die einzige Frau der Studententruppe. Sie ist Diplomandin und hat das Projekt zu ihrem Arbeitsthema gemacht.

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»Zuerst haben wir alle eingelernt und unser Vorhaben erklärt – nun läuft es fast von selbst«, meint Daniel. Er sagt »fast«, denn fermentieren könne außer den zwei Projektleitern bis jetzt niemand. »Sie helfen alle bei einzelnen Arbeitsschritten mit«, fährt Daniel fort Alles nach dem Prinzip »Learning by Doing« oder auch »Trial and Error«. Vorteil sei, dass die Studenten des fünften Semesters sowohl schon gelernt haben Ergebnisse zu analysieren, als auch Produkte einer Bakterienkultur zu isolieren. So könnten sich die noch unerfahrenen Studenten auch an Bastian und David wenden.

Zukunft Für die beiden Studenten ist diese Arbeitsteilung eine große Entlastung. Im Frühjahr nächsten Jahres beginnen beide ihre Diplomarbeit zu schreiben. In diesem Semester müssen sie alle restlichen Seminare belegen und Prüfungen schreiben. Den Bewerbungsstress haben sie glücklicherweise schon hinter sich. Christoph wird im Institut für Biochemie an der Frankfurter Universität arbeiten. »Ich werde an Proteinen forschen, die andere Stoffe durch Zellmembranen transportieren können«, erklärt

er. »Es gab viele Gründe, die mich überzeugt haben bei diesem Projekt mitwirken zu wollen.« Die Arbeitsgruppe sei sehr nett, das Thema interessant, und außerdem werde er neue Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens kennen lernen. Daniel dagegen wird weiter fermentieren: »Ich gehe zum Institut für Biotechnologie in Jülich; dort werde ich eine Fermentationsoptimierung durchführen.« Ziel dieser Arbeit sei es, durch das Fermentieren des Darmbakteriums Escherichia coli ein Enzym zu erstellen. Mit dem Ende ihres Studiums wird auch der Abschied von ihrem »Baby« kommen. »Wir suchen jetzt unsere Nachfolger«, sagt Christoph. Am schönsten für sie wäre es, wenn das Transglutaminase–Projekt noch ein bis zwei Jahre laufen könnte. Der Anfang ist gemacht: Vielleicht finden sich in ihrer Forschungsgruppe neue Freiwillige. Sonst müssten sie ihr Kind aufgeben. »Das wäre nicht in unserem Sinn«, beteuern beide. Eine andere Option haben sie sich aber inzwischen noch geschaffen: Sie bieten das Wahlpflichtfach »Aufarbeitung und Analyse von Biomassen« für Biotechnologie-Studenten an. Dieses Fach belegen neben der Forschungsgruppe noch drei weitere Studenten aus dem siebten und neunten Semester. Vielleicht findet die Arbeitsgruppe einen Weg, Transglutaminase hochzuzüchten. Das werden wir leider nicht so schnell erfahren. »Dann reden wir nicht mehr mit euch«, meint Daniel. »Stattdessen fertigen wir einen hübschen Bericht an und veröffentlichen ihn in einem Journal für viel Geld.« Wir werden sehen. So oder so, das Projekt bringt – wie Christoph gesagt hat – »für alle Mitarbeiter Vorteile.« Und das sagt er wie ein Vater, der sein Kind aufgezogen hat und nun in die weite Welt ziehen lässt. Julia Langensiepen

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Kommentar

Zweitausendstel Elite Die Ausbildung von zwei Elitestudenten kann sich die Hochschule nur alle paar Jahre leisten

Es sind zwei von tausenden Biotechnologiestudenten, die an der Hochschule Darmstadt aus Eigeninitiative ein Forschungsprojekt hochziehen. Damit sind sie die ersten – und das, obwohl der Studiengang vor sechs Jahren gegründet wurde. Eigentlich hätten sich die beiden Studenten zurücklehnen und die freie Zeit bis zu ihrem Diplom im März genießen können. Aber sie haben sich anders entschieden. Seit September verbringen die zwei viel Zeit im Labor, wo sie versuchen, einen stinkenden Mikroorganismus von der Agarplatte auf einen Zehn-Liter-Fermenter hochzuzüchten. Da schütteln anderen Studenten nur den Kopf: Ihre Vorweihnachtszeit verbringen sie lieber gemütlich auf dem Sofa oder am Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt. Es sind also zwei Stundenten, die mehr leisten, als an der Hochschule verlangt wird. Dabei lernen Christoph und Daniel auch gleich die Unabwendbarkeiten der Hochschulforschung kennen. Am Anfang hieß es erst einmal: Geräte säubern und sich die Funktionsweise der Fermenter selbst aneignen. Hier hätten sie viel Zeit sparen können, wenn sich die Hochschule einen Laboringenieur leisten könnte. Aber dazu fehlt das Geld. Das hinderte die beiden aber nicht, motiviert weiter zu forschen: Inzwischen haben sich schon Studenten aus anderen Semestern angeschlossen. Für diese

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geben sie einen Grundlagenkurs. Wie richtige Dozenten. Nachdem die ersten Ansätze schief gelaufen sind, suchen die Studenten nach analytischen Methoden in der Literatur, um die Sauerstoffzufuhr zu verbessern und den Stärkegehalt zu ermitteln. Die Studenten können ohne Zeitdruck viele Erfahrungen sammeln. Und auch wenn weitere Erfolgserlebisse vorerst noch ausbleiben, lernen sie viel darüber, wie schwierig die Praxis sein kann. Hier ist Durchhaltevermögen und Motivation gefragt. Dies sehen auch die neuen Arbeitgeber der beiden Studenten so. Ab nächstem Jahr arbeiten beide in der Industrie an ihrer Diplomarbeit. Auf jede Bewerbung gab es Nachfragen zu dem Projekt und schließlich eine Zusage. Selbstbewusst sehen die beiden Studenten in ihren weißen Kittel und Laborbrille aus: Wie Profis haben sie an alles gedacht. Sogar daran, uns Wissenschaftsjournalisten aufmerksam zu machen und eine Kooperation vorzuschlagen. Prompt kommen mehrere Artikel in ein Magazin. Es kann eben nur der berühmt werden, der auch in die Medien kommt… Hört sich das nicht auch für andere Biotechnologiestudenten viel versprechend an? Eine bessere Berufsvorbereitung gibt es nicht. Schließlich quengelt doch jeder an den Studenten herum. »Es wird nur der was, der viele Praktika

o Survival of the fittest: Daniel und Christoph haben sich ihren Evolutionsvorteil gegenüber Konkurrenten in der Berufswelt schon gesichert.

macht.« Und die Arbeitgeber nehmen Berufanfänger mit Handkuss, die schon praktische Erfahrungen vorweisen können. Doch leider – die Hochschule kann sich das nicht jedes Jahr leisten. Studenten werden erst gar nicht ermutigt, ein selbstständiges Projekt zu entwerfen, Forschungsanträge zu schreiben und Fördergelder zu beantragen, genauso, wie es die beiden Biotechnologen gemacht haben. Wer

als nächstes etwas auf die Beine stellen will, muss eben geduldig warten bis in einigen Jahren. Dann ist eventuell ein bisschen Geld übrig. Solange bleibt das Labor wieder leer. Die Apparaturen verstauben. Hoffentlich gibt es auch dann wieder zwei Studenten, die das gewisse Andere haben - Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen.

Jasmin Schreiter 35


Drama in fünf Akten

Ein Tag ohne Biotechnologie

Irene Berres und Simone Müller

Otto Normal verbraucht täglich Käse, Bier, Brot und Salami. Das alles ist für ihn selbstverständlich. Was er nicht weiß: Diese Produkte sind nicht allein das Werk von Bäckern, Bierbrauern und Metzgern. Einen Großteil der Arbeit verrichten Millionen kleiner Helfer, die Mikroorganismen. Auch in vielen anderen Situationen erleichtern sie den Alltag. Wie dramatisch dieser ohne sie wäre, lernt Otto Normal heute in fünf Akten kennen. Vorhang auf für einen Tag ohne Biotechnologie.

1. Akt: »Pffft« Der erste Gang führt Otto Normal morgens zur Toilette, der zweite nach draußem zum Briefkasten und seiner Zeitung. Aber halt! Heute ist etwas anders. Denn als er das Haus verlässt, steht er in einer stinkenden Pfütze mit Toilettenpapier. Was ist da los? Früher leiteten die Menschen ihr Abwasser über die Gosse in den nächsten Fluss oder See. Heute fließt die Brühe für uns unsichtbar in die Kläranlage. Dort wird aus ihr wieder trinkbares Wasser. Zunächst filtert Sand die festen Schwimm- und Schwebstoffe aus dem Abwasser heraus. Anschließend bauen Bakte-

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rien organische Bestandteile wie Zucker zu den anorganischen Endprodukten Kohlenstoffdioxid, Nitrat, Phosphat und Sulfat ab. Nun ist das Wasser schon fast wieder trinkbar. Die Pfütze, in der Otto Normal steht, hat jedoch nicht die geringste Ähnlichkeit mit Trinkwasser und er will sich vor lauter Ekel eine heiße Dusche mit seinem guten WeizenproteinDuschgel gönnen. Doch heute ist ein zischendes »Pffft« alles, was die Tube von sich gibt. Das gleiche gilt für sein Shampoo. Beide kommen ohne Biotechnologie nicht mehr aus: Zusatzstoffe wie die Weizenproteine versorgen Haut und Haar mit Feuchtigkeit. Um sie herzustellen, spalten Enzyme größere Eiweißstoffe zu Mikro-

proteinen. Deswegen schäumt Ottos Shampoo immer so schön – an normalen Tagen, den Tagen mit Biotechnologie… Da erinnert sich Otto Normal an die Tipps seiner Oma: Hat sie nicht immer auf Eier als Haarkur geschworen? Triefnass steigt er aus der Dusche und holt sich eines aus dem Kühlschrank. Doch als er das glibbrige Ei mit heißem Wasser ausspülen will, fängt es an zu stocken. Shampoos, merkt Otto, haben durchaus ihre Vorteile. Entnervt und mit Rührei auf dem Kopf verzichtet er auf weitere Hygiene. Nach dem Stress braucht er erst einmal einen starken Kaffee und ein Frühstück. Das Drama nimmt seinen Lauf.

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2. Akt: So ein Käse! Als Otto Normal in der Küche zur gestern noch randvollen Kaffeedose greift, ist diese leer. Bei der Kaffeefermentation helfen nämlich Bakterien, das Fruchtfleisch der Bohnen abzubauen. Dabei spaltet ein von ihnen gebildetes Enzym die Stützsubstanz der Früchte, das Pektin. Der Blick in den Kühlschrank liefert die nächste Überraschung: Um die offene Käsepackung hat sich ein Milchsee gebildet. Vom eigentlichen Inhalt keine Spur. Damit Käse entsteht, muss das Milchprotein Casein gerinnen. Dabei helfen Milchsäurebakterien und das Enzym Lab. Traditionell wurde Lab aus Kälbermägen gewonnen. Die Ausbeute ist hier jedoch so gering, dass 70 Millionen nötig wären, um den weltweiten Käsebedarf zu decken. Biotechnologen stellten das Enzym 1988 deshalb erstmals mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen her. Das so erzeugte Lab ist geschmacklich identisch und wesentlich reiner. »Lab hin oder her – dann gibt es heute eben Salami. Da sind bestimmt keine Milchsäurebakterien drin«, denkt sich Otto. Doch das stimmt

nicht. Der Lactobacillus hat auch in der Salami eine wichtige Aufgabe: Damit sich die Wurst lange hält, wandelt er Zucker in Milchsäure um. In solch einer sauren Umgebung können sich unerwünschte Mikroben nicht ausbreiten. Da bleibt ihm nur noch die Erdbeermarmelade mit einem Zuckergehalt von über 50 Prozent. So klebrig wollen nicht einmal Mikroorganismen leben! Der Belag wäre organisiert, fehlt nur noch das Darunter. Doch vom Mischbrot keine Spur. Daran ist Saccharomyces cerevisiae schuld: Die Backhefe macht den Teig locker, indem sie ihn mit Gasbläschen aus Kohlenstoffdioxid aufbläht, die beim Aufgehen des Teigs aus Zucker entstehen. Mit knurrendem Magen schreibt Otto Normal das Frühstück ganz ab. Hauptsache das Haar ist gut mit Rührei versorgt.

3. Akt: Das Stinktier Um sich abzulenken, will Otto Normal den riesigen Wäscheberg bewältigen, der sich seit Tagen im Bad auftürmt. Schließlich hat er keine saubere Jeans mehr im Schrank. Er stopft die Kleidungsstücke in die Waschmaschine. Dabei erinnern ihn Tomaten-, Obst- und Soßenflecken an den Speiseplan der letzten Woche. Wie gut, dass es Waschmittel gibt! Doch wieder blickt er in eine leere Dose. Schließlich brauchen auch moderne Fleckenteufel Biotechnologie: Während des Waschens dringen Enzyme gezielt in den Schmutz ein und spalten ihn auf. Dabei geht jedes einer bestimmten Sorte Fleck an den Kragen. Das erste wirkt zum Beispiel gegen Blut-, Milch- und Spinatreste. Ein anderes löst Stärke auf und beseitigt Verschmutzungen wie Kartoffelbrei, Schokolade oder Pudding. Otto Normals Soßenfleck lässt ein drittes verschwinden. Etwas haben die Enzyme allerdings gemeinsam: Sie sind im Gegensatz zu früheren Waschmitteln

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biologisch abbaubar und belasten weder Böden noch Gewässer. Ohne etwas Sauberes anzuziehen entscheidet sich Otto für seine muffige Jeans von gestern. Um das Schlimmste zu übertünchen, sucht er nach dem Geruchsstopper-Spray. Erneut folgt auf Knopfdruck nur ein Lufthauch. Das liegt daran, dass die Zaubermittel ringförmige Zuckerverbindungen enthalten, die so genannten Cyclodextrine, die biotechnologisch aus Stärke gewonnen werden. Sie binden unangenehme Geruchsstoffe in ihrem Inneren und halten so den Gestank fest. Mittlerweile ist es Otto Normal egal, wie er aussieht und riecht. Er will nur noch an die frische Luft. Zur Arbeit braucht er heute sowieso nicht mehr zu gehen.

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4. Akt: Auf der Flucht Im Flur will Otto Normal seine schicken braunen Lederhalbschuhe anziehen. Diese sind jedoch wie vom Erdboden verschluckt. Kein Wunder: Früher arbeiteten Gerber mit Hundekot, den inzwischen mikrobiellen Proteasen ersetzen. Das sind spezielle Enzyme, die Tierhäute enthaaren, stabilisieren und so zu Leder machen. Verzweifelt läuft Otto Normal in Socken auf die Straße. Dabei stellt er sich vor, was für ein Bild er abgeben muss: Ohne Schuhe, mit Rührei in den Haaren, fleckiger Hose,

fettigem Hemd und deutlichem Körpergeruch. Das erste Mal an diesem komplizierten Tag muss er schmunzeln. Doch es kommt wie es kommen musste: Kaum ist er zehn Minuten an der frischen Luft, fängt es an zu regnen. Bis er zu Hause ankommt, hat zwar der Regen das meiste Rührei aus seinem Haar gespült, aber wirklich wohl fühlt sich Otto noch immer nicht. Die Erkältung, mit der er seit einer Woche kämpft, macht sich wieder bemerkbar.

5. Akt: Die beste Medizin Hustend läuft Otto Normal zum Medizinschrank. Doch auch der kann ihm nicht weiter helfen: Der Hustenlöser ist verschwunden. Dieser enthält die Aminosäure Cystein, die Biotechnologen heute mit einem genetisch optimierten Bakterium gewinnen. Zum Glück: Bis vor kurzem stammte Cystein aus Haaren, Federn, Hufen oder Schweineborsten – herausgelöst mit Salzsäure. Den Husten kann Otto Normal nicht lindern, aber vielleicht hilft ihm ein kühles Bier seine Probleme zu vergessen. Doch auch dieses Vergnügen bleibt ihm verwehrt. Der Grund dafür ist, wie schon beim Brot, Saccharomyces cerevisiae. Ein Liter Bier enthält rund 10 Milliarden der Hefezellen. Otto Normal bleibt schließlich nur noch der Weg ins Bett und die Hoffnung, dass der nächste Tag besser aussieht. Schlaf soll ja bekanntlich die beste Medizin sein und morgen werden ihm die vielen Mikroorganismen bestimmt wieder durch den Alltag helfen.

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Fragen über Fragen

Wieso, weshalb, warum? Biotechnologen wissen es – und gleich wissen Sie es auch. Warum ist Käseschimmel gut und Brotschimmel Käse?

Was ist eigentlich eine K.o.-Maus?

Welche Pflanze frisst schon Blei?

Beim Wort K.o.-Maus erscheint vor dem inneren Auge sofort ein kleines Tier mit Boxhandschuhen und Veilchen (im Bild: aus technischen Gründen ein Hamster). Dabei werden nicht Mäuse ausgeknockt, sondern ihre Gene. Wissenschaftler können dann beobachten, welche Funktion ausfällt – und so feststellen, welche Aufgabe das Gen ursprünglich hatte. Hierzu übertragen Forscher einen gentechnisch veränderten DNA-Abschnitt in embryonale Stammzellen der Tiere. Das umgeformte Gen erkennt seinen entsprechenden Partner im Mauschromosom und baut sich an dessen Stelle ein. Die manipulierten Stammzellen platzieren die Wissenschaftler dann in einen frühen Mäuseembryo und implantieren diesen in eine Ammenmaus. Sie gebärt Mäuse, deren DNA eine normale und eine veränderte Version des Gens besitzt. Das gesunde Gen setzt sich durch, so dass erst in der zweiten Generation vollständige Knock-out-Mäuse mit zwei veränderten Erbfaktoren zur Welt kommen. Da fast jedes Gen der Maus sein Gegenstück in der menschlichen Erbinformation hat, lassen sich viele Erkenntnisse auf den Menschen übertragen und so Krankheiten erforschen. Ganz nach dem Motto: Heilen statt k.o. Schlagen.

Die Blume auf dem Foto versucht, mit einem Strohhalm Gift aus dem Boden zu saugen. Das ist sehr freundlich von ihr, denn: Landen Batterien und Leuchtstoffröhren im normalen Müll, wird es für den Menschen gefährlich. Schwermetalle treten aus und reichern sich im Boden an. Von dort landen Blei, Kadmium und Quecksilber dann über Gemüse, Getreide und Obst auf unserem Teller, da Pflanzen die Schadstoffe aus dem Boden aufnehmen. Die Wissenschaft macht sich jetzt genau diese Eigenschaft zu Nutze. Und hilft den Pflanzen zur Selbsthilfe: Gentechnisch veränderte Pappeln können nicht nur auf den belasteten Böden wachsen, sondern saugen die Schwermetalle aus der Erde und lagern sie in ihre Blätter ein. Damit sich das Laub und mit ihm die Schadstoffe im Herbst nicht wieder auf der Erde verteilt, überspannt man die Pappeln mit Netzen. Die Blätter werden anschließend eingesammelt und verbrannt.

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Ob Hase, Reh oder Mensch – Lebewesen wissen instinktiv, was sie essen dürfen und was sie krank macht. Auch Käseliebhabern läuft bei der Vorstellung, von einem Stück durchschimmeltem Roquefort zu naschen, das Wasser im Mund zusammen, während sich ihnen alleine beim Gedanken, eine gammelige Scheibe Brot anzufassen, der Magen umdreht. Doch warum ist Schimmel im Käse gut und im Brot schlecht? Der Grund dafür liegt bei den unterschiedlichen Schimmelarten. Es gibt Schimmelpilze, die harmlos und genießbar sind. Zu ihnen gehören die Gattungen Penicillium camemberti und Penicillium roqueforti, die im Camembert beziehungsweise Roquefort für eine besondere Reifung und ein spezielles Aroma sorgen. Auf der anderen Seite stehen für den Menschen schädliche Schimmel. Sie produzieren Giftstoffe, die Mykotoxine. Zu ihnen gehört der Pilz Eurotium herbariorum, der auf Brot wächst. Das von ihm gebildete Pilzgift kann unter anderem die Niere schädigen. Irene Berres und Christina Merkel

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Wenn Bio killt Moderne Waffen wachsen im Labor: Viren und Bakterien können als biologische Kampfstoffe eingesetzt werden. Wir identifizieren die schlimmsten Übeltäter.

Erst im 19. Jahrhundert wurden Viren und Bakterien als Krankheitserreger identifiziert. Trotzdem ist die biologische Kriegsführung keine Erfindung der Neuzeit. Schon in der Antike und im Mittelalter vergifteten Römer, Perser und Griechen die Trinkwasserbrunnen ihrer Feinde mit Tierkadavern und verwesenden Leichen. 1346 sollen die Tataren die Stadt Kaffa auf der Krim in der heutigen Ukraine belagert und ihre Pesttoten über die Stadtmauern katapultiert haben. Möglicherweise kam so die Pest, der »Schwarze Tod«, über die Bewohner. Natürlich wussten die Kriegsherren von damals nicht, dass Bakterien die eigentlichen Krankheitserreger waren. Das Prinzip der biologischen Kriegführung ist das gleiche geblieben. Allerdings entwickeln Spezialisten biologische Waffen heute in geheimen Laboratorien (s. Kasten auf Seite 43). Das Ausgangsmaterial sind noch immer tödliche Viren oder Bakterien. Hier sind drei der gefährlichsten Killer:

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Bacillus anthracis – der Milzbranderreger Der Erreger Milzbrand (englisch Anthrax) ist der Überbegriff für Haut-, Lungen- und Darmmilzbrand. Das Bakterium Bacillus anthracis verursacht Krankheiten, indem es das Zellgift Letal-Toxin bildet. Alle Formen von Milzbrand brechen ungefähr zwei Tage nach der Ansteckung aus. Die Symptome Da das Bakterium bereits durch winzige Verletzungen der Haut in den Körper gelangt, ist der Hautmilzbrand die häufigste und trotzdem harmloseste Form. Nach einiger Zeit bilden sich eitergefüllte Bläschen, die zu so genannten Milzbrandkarbunkeln verschmelzen. Gelangt der Eiter eines solchen Karbunkels in die Blutbahn, kann es zu einer Blutvergiftung kommen.

Eine seltenere Form ist der Lungenmilzbrand. Mit diesem infiziert man sich beim Einatmen. Die Erkrankten bekommen schnell hohes Fieber, Schüttelfrost, Atemnot und husten einen blutigen Auswurf. Da schon der Atem sehr viele Keime enthält, ist der Lungenmilzbrand hochgradig ansteckend. Diese Eigenschaft brachte ihn ins Visier der Kriegsherren. Zum Darmmilzbrand, der seltensten Anthraxform, kann es nur durch einen Verzehr von infizierter Nahrung kommen. Mit der Krankheit einher gehen blutiger Durchfall und eine Bauchfellentzündung. Die Therapie Auch wenn frühzeitig mit der Therapie begonnen wird, endet bei der Hälfte der Fälle die Krankheit tödlich. Nach der Diagnose von Milzbrand muss so schnell wie möglich mit einer Antibiotika-Behandlung begonnen werden. Dieses tötet jedoch lediglich die Bakterien ab – das Toxin bleibt weiterhin im Körper.

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r Eine Woche nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verschickten Attentäter die ersten Briefe mit Milzbrandsporen. In den USA herrschte Angst. Die Täter wurden nie identifiziert.

Neuere Forschungen denken deshalb in die Richtung einer Immuntherapie. Als Ausgangspunkt für sie könnten sogenannte Defensine dienen. Das sind körpereigene, antibakterielle Abwehrstoffe. In vorklinischen Studien fanden Wissenschaftler vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie heraus, dass diese das LetalToxin neutralisieren können. Sie bieten daher das Grundgerüst zur Entwicklung völlig neuer Antibiotika. Ein weiterer Ansatz beruht auf der Idee, die Rezeptoren zu blockieren, die das Toxin braucht, um in die Zelle zu gelangen. Ein solcher Rezeptorblocker wurde bereits von New Yorker Forschern entwickelt. In Tierversuchen konnten alle mit Milzbrand infizieren Ratten mit dem Rezeptorblocker geheilt werden. Wann Rezeptorblocker oder Defensine tatsächlich als Wirkstoffe eingesetzt werden könnten, ist allerdings noch unklar.

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Milzbrand und biologische Kriegsführung Da der Milzbranderreger ein Sporenbildner ist und noch kein Gegenmittel existiert, zählt Bacillus anthracis zu den potentiellen biologischen Waffen. Denn Sporen sind die winzigen Überdauerungszellen der Bakterien, die besonders widerstandsfähig sind und lange Zeit im »Schläferzustand« verharren können. Im Jahr 2001 kam es damit erstmals zu terroristischen Anschlägen: Eine Woche nach den Angriffen auf World Trade Center und Pentagon wurden über einen längeren Zeitraum Briefe verschickt, die mit Milzbrandsporen verseucht waren. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben, rund 30 000 mussten mit Antibiotika behandelt werden. Bis heute konnten die Urheber nicht identifiziert werden. Wahrscheinlich stammten die Sporen aus einem Labor in den USA.

Clostridium botulinum und das Neurotoxin Botox Der Erreger Botox ist ein Nervengift und wird von Clostridium botulinum gebildet, einem stäbchenförmigen Bodenbakterium, das nur ohne Sauerstoff existieren kann. Es vermehrt sich vorwiegend in Fleisch- und Gemüsekonserven, die nicht vollkommen sterilisiert wurden. Bei der Bildung von Botox entwickeln sich Gase, so dass eine aufgeblähte Konservendose ein Indiz für den Befall sein kann. Die Symptome Die Symptome der Vergiftung setzten zwölf bis 36 Stunden nach dem Verzehr verdorbener Lebensmittel ein. Botox blockiert die Reizweiterleitung zwischen den Nervenzellen, daher kann es je nach Vergiftungsgrad zu Störungen der Muskelkontraktion kommen. Weitere Anzeichen

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l Lungenmilzbrand ist hoch ansteckend. Da die Sporen über den Atem in den Körper gelangen, kann nur die Gasmaske schützen.

sind Übelkeit, Durchfall, sowie Doppelt-Sehen, und Lichtempfindlichkeit. Der Kinderbotulismus ist die häufigste Form des Botulismus, da schon Sporen des Bakteriums ausreichen, um Kleinkinder zu infizieren. Erst ab einem Alter von drei Monaten kann der Darm eines Menschen diese Übergangsform des Erregers abbauen und damit unschädlich machen. Der sogenannte Wundbotulismus entsteht, wenn sich die Bakterien in einer offenen Wunde ansiedeln und dort das Toxin produzieren. Die Therapie Die erste Maßnahme gegen eine Botox-Vergiftung ist eine Magen- und Darmspülung, um eventuell noch vorhandene kontaminierte Speisereste zu entfernen. Anschließend bekommt der Patient eine Kombination von Antitoxin und Antibiotikum. Das Antibiotikum tötet die Bakterien ab, während das Antitoxin das im Körper noch ungebundene Gift neutralisiert. Mit der Therapie muss innerhalb von 24 Stunden begonnen werden. Auch wenn es trotz rechtzeitiger Behandlung mehrere Monate dauert, bis die Patienten wieder vollkommen genesen sind, bleiben in der Regel keine dauerhaften Schäden zurück. Botox zur biologischen Kriegsführung: 0,1 Nanogramm Botulinumtoxin pro Kilogramm Körpergewicht reichen aus, um einen Menschen umzubringen. Mit nur 40 Gramm könnte man theoretisch die ganze Weltbevölkerung ausrotten. Der Botulismuserreger zählt daher zu den potentiellen biologischen Waffen. Dazu kommt, dass Clostridium botulinum ein Sporenbildner und aus Bodenproben leicht zu gewinnen ist. Das Toxin kann in Form eines Teilchen-Luft-Gemisches versprüht werden.

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Yersinia pestis – der Pesterreger Der Erreger Das geißellose Bakterium Yersinia pestis löst die Erkrankung aus. Alexandre Émile Jean Yersin entdeckte den Erreger 1894. Überträger sind meistens Flöhe, blutsaugende Parasiten, die durch ihren Biss das Bakterium in den Blutkreislauf abgeben. Bevor die Pest bei Menschen auftritt, sind fast immer Nagetiere betroffen. Unter den hygienischen Umständen früherer Jahrhunderte konnte sich die Pest deshalb auch ohne den Floh als Zwischenwirt übertragen. In den Slums der Metropolen Südamerikas und Südostasiens ist dies noch heute ein Grund für immer wiederkehrende Pestausbrüche. Die Symptome Nach wenigen Tagen beginnt die Beulenpest mit hohem Fieber und Schüttelfrost, Benommenheit, starkem Schwächegefühl sowie Kopf- und Gliederschmerzen. Die Lymphknoten in der Nähe der Infektionsstelle entzünden sich und schwellen unter extremen Schmerzen zu eitergefüllten Beulen an. Nur wenn man sie öffnet, können die Wunden heilen. Etwa die Hälfte der Erkrankten stirbt im Verlauf der Krankheit. Breiten sich die Bakterien aus, führt die Infektion verbunden mit starken Hautblutungen zum Schwarzen Tod. Dringt der Erreger bis in die Blutbahn vor, kann eine Lungenpest entstehen. Man unterscheidet zwischen der primären und sekundären Lungenpest. Die Symptome einer primären Lungenpest treten als unmittelbar Folge einer Tröpfcheninfektion auf. Dagegen ist die Ausweitung der Beulenpest auf die Lunge eine sekundäre Infektion. Erste Anzeichen einer

Lungenpest sind Atemnot, schmerzhafter Husten, blaue Lippen und ein hochinfektiöser Auswurf. Ohne Antibiotikum sterben die Erkrankten nach wenigen Tagen. Eine Blutvergiftung ist eine Begleiterscheinung der Beulen- und Lungenpest. Sie kann jedoch auch ohne die anderen typischen Pestsymptome auftreten und verläuft fast immer tödlich. Die abortive – also die »nicht ausgebrochene« − Pest ist am wenigsten gefährlich. Sie geht nur mit leichtem Fieber und einer Schwellung der Lymphknoten einher. Sind diese Symptome einmal abgeklungen, entwickeln die Erkrankten eine lang anhaltende Immunität gegen den Erreger. Die Therapie Wie andere bakterielle Erkrankungen heilt man die Pest mit Antibiotika. Wird die Krankheit rechtzeitig erkannt, bestehen gute Heilungschancen. Impfungen schützen lediglich sechs Monate vor der Beulenpest und sind zudem mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Ob die Impfung auch vor der Lungenpest schützt, ist unklar. Um eine Pestepidemie einzudämmen, sind verbesserte Hygiene und die Bekämpfung der Ratten nötig, vor allem auf Schiffen. Da die Flöhe nach dem Tod der Ratten ihren Wirt wechseln, müssen sich die Menschen in Pestgebieten außerdem mit Insektiziden schützen. Einsatz als biologischer Kampfstoff Viele Wissenschaftler schließen den Einsatz von Pesterregern als Biowaffe nicht aus. Durch die Tröpfcheninfektion eignet sich der Erreger besonders gut. Das Sunshine Project – eine weltweit agierende Organisation zur Ächtung von Biowaffen – vermutet, dass Militärs dem Erreger Antibiotikaresistenzen verleihen wollen. Möglich ist auch die Veränderung seiner Oberflächenstruktur (siehe Kasten rechts). Das Immunsystem des Körpers könnte dann einen Erreger nicht mehr als gefährlich erkennen. Christoph Penter und Anja Szerdi

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Was sind Biowaffen? Biologische oder bakteriologische Waffen sind schädliche Mikroorganismen oder deren Stoffwechselprodukte. Ihre Verbreitung kann Epidemien wie Pest, Typhus, Cholera oder Milzbrand auslösen. Sie alle haben eines gemeinsam: ihre hohe Effizienz. Für ihre Herstellung ist weder eine kostspielige Technologie, Infrastruktur noch umfangreiches technisches Wissen nötig. Täter können mit Geräten arbeiten, die auch die zivile Forschung verwendet. Ein Biowaffenlabor ist von einem herkömmlichen Forschungslabor kaum zu unterscheiden und kann zudem innerhalb weniger Stunden geräumt werden. Biowaffen sind international geächtet. Trotzdem vermuteten amerikanische Geheimdienste Mitte der 90er Jahre, dass mindestens 17 Staaten biologische Waffen entwickeln, darunter der Iran, Irak, Libyen, Nord- und Südkorea, China und Russland. Aber auch die USA und einige europäische Staaten, unter anderem Deutschland, forschen an biologischen Waffen. Dabei wird häufig „defensive“ Forschung betrieben, um Gegenmittel für Biowaffen entwickeln zu können. Allerdings muss auch für diese Forschungsziele der Kampfstoff vorhanden sein – er könnte also prinzipiell für offensive Zwecke verwendet werden. Biowaffen sind auch für das angreifende Land mit großen Risiken verbunden. Viren und Bakterien machen weder an Landesgrenzen halt, noch unterscheiden sie zwischen Freund und Feind. Der einzige Schutz für die Angreifer wäre eine Impfung gegen den Erreger. Das größte Hindernis bei der Bekämpfung der Biowaffenproduktion stellt ihr »dual-use«-Charakter dar: Mit dem Wissen und der Technologie, mit denen sich Kampfstoffe entwickeln ließen, kann ebenso gut sehr nützliche zivile medizinische Forschung betrieben werden.

Was lässt sich zum biologischen Kampfstoff machen? Biologische Waffen können klassifiziert werden in Bakterien, Rickettsien, Viren und Gifte. »Geeignete« Bakterien wären beispielsweise die Erreger von Milzbrand, Pest, Cholera oder Salmonellen. Rickettsien, also Bakterien der Gattung Rickettsia, leben wie Parasiten innerhalb einer Wirtszelle. Als Überträger vieler Krankheiten leben sie vor allem in Zecken, Flöhen, Milben und Läusen. Einige virale Vertreter sind das hochinfektiöse Ebolavirus, Influenza und das Pockenvirus. Die Pocken gelten seit Ende der 70er Jahre als ausgerottet; da deswegen weltweit keine größeren Vorräte an Impfstoff mehr angelegt wurden, stellen sie nun eine besondere Gefahr dar. Manche lebenden Organismen stellen als Stoffwechselprodukte Gifte her. Auch diese können als biologische Waffen dienen – etwa

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das stärkste bekannte Gift, Botulinustoxin, aber auch das weniger gefährliche Aflatoxin, das aus Schimmelpilzen gewonnen wird.

Welche Techniken nutzen Waffenlabors? Biowaffenlabors nutzen Wissen aus der Biotechnologie für ihre Zwecke. Eine Möglichkeit ist der Transfer von Antibiotika-Resistenzen in einen Mikroorganismus. Dabei wird die Widerstandskraft herkömmlicher Organismen, die man bislang mit Antibiotika bekämpfen konnte, durch eingeschleuste Resistenzgene erhöht. Eine weitere Möglichkeit versteckt sich hinter der Bezeichnung »Modifikation der Antigendomäne eines Mikroorganismus«. Unser Immunsystem erkennt einen Eindringling normalerweise an seiner Oberflächenstruktur und reagiert mit der Produktion von Antikörpern, die den Eindringling unschädlich machen. Wenn nun dem Immunsystem bekannte Mikroorganismen so verändert werden, dass es sie nicht mehr erkennen kann, dann ist der Körper auch solchen Erregern schutzlos ausgeliefert, mit denen sein Abwehrsystem üblicherweise kurzen Prozess machen könnte. 2003 lieferten australische Wissenschaftler ein ungewolltes, aber zugleich erschreckendes Beispiel für die Veränderung eines Mikroorganismus. Ursprünglich suchten sie nach einem Mittel, um Mäuse unfruchtbar zu machen. Man wollte die Bildung von Antikörpern aktivieren, welche die Eizellen zerstören sollten. In ein Mäusepockenvirus, das normalerweise eine leichte Infektion mit Schwellungen und Nekrosen der Pfoten hervorruft, wurde ein Gen für die Produktion von großen Mengen an Interleukin 4 eingebaut. Interleukin 4 ist ein Botenstoff, der eine wichtige Rolle für das Immunsystem spielt. Statt nur die Antikörperproduktion gegen die Eizelle zu erhöhen, unterdrückte das Interleukin die Aktivität von bestimmten Immunzellen. Das genveränderte Virus führte zu einer völligen Stilllegung des zellulären Immunsystems. Alle Tiere starben innerhalb von neun Tagen. Das Mäusepockenvirus ist für Menschen ungefährlich, aber mit dem für Menschen gefährlichen Pockenvirus verwandt. Mit dem Menschenpockenvirus durchgeführt, hätte dieses Experiment fatale Folgen. Biowaffen ließen sich noch mit einer weiteren Strategie erzeugen. Dabei werden Gene isoliert, die einen Mikroorganismus für den Menschen erst gefährlich machen. Ein relativ harmloser Erreger wäre dadurch schädlicher, denn das Immunsystem kann den veränderten Erreger nicht ausschalten und Impfstoffe gegen dessen natürliche Variante wirken nicht mehr. Mit Hilfe moderner Gentechnik stellen die Waffenforscher auch maßgeschneiderte Mikroorganismen aus verschiedenen Genen, vor allem dem Erbmaterial von Viren, völlig neu zusammen. Christoph Penter

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Mythos Sauerteig Schön, Sie kennen zu lernen. Ich bin Hermann, dein neues Familienmitglied! Zunächst möchte ich mich kurz vorstellen. Ich bilde eine Art Wohngemeinschaft von verschiedenen Mikroorganismen. Vier davon fühlen sich besonders wohl bei mir und breiten sich am meisten aus. Die einen gehören zur Partei der Milchsäurebakterien: Herr Lactobacillus planatarum und Frau Lactobacillus brevis. Die anderen sind Hefeangehörige: Frau Saccharomyces cerevisiae und Herr Saccharomyces minor. Gemeinsam führen die Mitbewohner eine Hauswirtschaft. Sie gewinnen Energie, indem sie die im Mehl enthaltenen Kohlenhydrate in Zucker umwandeln. Dabei vermehren sie sich. Die Hefen sind hauptsächlich für meine lockere Konsistenz verantwortlich. Denn sie setzen den Zucker in Alkohol und Kohlenstoffdioxid um. Letzteres versucht, als Bläschen zu entweichen. Doch im Teig sind auch noch Proteine enthalten: im so genannten Gluten. Dieses »Klebereiweiß« verwandelt mich zusammen mit Wasser in eine gummiartige Masse. Dabei sorgt es dafür, dass die Bläschen nicht entweichen und ich aufgehe. Meine anderen Mitbewohner, die Milchsäuren, arbeiten auch fleißig, indem sie gären. Herr Lactobacillus planatarum wandelt Zucker in Milchsäure um. Das macht er am liebsten, wenn es warm ist, am besten bei dreißig Grad. Frau Lactobacillus brevis mag es kälter. Sie arbeitet am besten bei 25 Grad. Aus Zucker produziert sie dann Milchsäure, Alkohol und Kohlenstoffdioxid. Ihren Alkohol, aber auch den ihrer Nachbarhefen, zersetzt sie dann weiter in Essigsäure. Deshalb trägt sie auch den Spitznamen: Sie ist ein Essigsäurebakterium. Weil Herr Lactobacillus planatarum es lieber wärmer und Frau Lactobacillus brevis es lieber ein wenig kälter mag, setzt sich je nach Temperatur ein anderes Milchsäurebakterium durch. Durch Frau brevis schmecke ich dann später etwas säuerlicher oder etwas milder, wenn Herr planatarum seine Lieblingstemperatur hatte. In jedem Fall machen mich die kleinen Gärer zu einem säuerlichen Teig, in dem Ester zu kräftigen Aromastoffen ausgebildet werden. Durch sie entwickle ich meinen leckeren Geschmack.

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Der Hermann-Brief Und wegen der Säure der Milchsäurenbakterien lebe ich auch so lange. Das saure Milieu hindert Schimmelpilze und andere Fäulnisbakterien daran, zu wachsen. So können sie nicht in die Wohngemeinschaft einziehen. Allerdings sind meine Bewohner ganz schön gefräßig und müssen immer wieder mit Mehl, Wasser und am fünften Tag sogar mit Zucker gefüttert werden. Dann gären sie die ganze Zeit weiter und ich werde immer größer. Eines Tages kann man mich dann vierteln, so dass vier neue Hausgemeinschaften entstehen. Jasmin Schreiter

Hier ist Hermann, dein neues Familienmitglied. An dem Tag, an dem du mich bekommst, also am ersten Tag, musst du mich füttern mit einer Tasse Mehl, einer Tasse Zucker und einer Tasse Milch. Bewahre mich in einem hohen, nicht ganz dicht verschlossenen Gefäß bei Zimmertemperatur auf. Du musst mich jeden Tag umrühren, denn ich will hoch hinaus. Füttere mich dann am fünften Tag mit der gleichen Menge wie am ersten Tag. Am zehnten Tag kannst du mich backen.

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Alternativer Hermann-Brief

Hermann ansetzen:

Eine Hommage an den kleinen Prinzen Eines Tages begegnete Hermann der Teig dem kleinen Prinzen. Hermann der Teig verstummte und schaute den Prinzen lange an: »Bitte… füttere mich!« sagte er. »Ich möchte wohl«, antwortete der kleine Prinz, »aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennen lernen.« »Man kennt nur die Dinge, die man füttert«, sagte Hermann der Teig. »Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennen zu lernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so füttere mich!« »Was muss ich da tun?«, fragte der kleine Prinz. »Du musst sehr geduldig sein«, antwortete Hermann der Teig. »Du lässt mich am ersten Tag ruhen. Die folgenden drei Tage rührst du mich um. Am fünften Tag füttere mich mit je einer Tasse Mehl, Milch und Zucker. Falls du mir nur zwei Esslöffel gibst, werde ich zu Siegfried, dem Brot. Die folgenden vier Tage rührst du mich wieder um. Am zehnten Tag schütte noch je eine Tasse Mehl, Milch und Zucker zu mir. Dann teile mich in vier gleiche Teile. Deinen Teil verarbeitest du mit einem Rezept zu Kuchen oder Brot. Die anderen verschenkst du weiter an deine Freunde.« So machte dann der kleine Prinz Hermann der Teig mit sich vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war: »Ach!«, sagte Hermann der Teig, »ich werde weinen.« »Das ist deine Schuld», sagte der kleine Prinz, »ich wünschte dir nichts Übles, aber du hast gewollt, dass ich dich füttere…« »Gewiss«, sagte Hermann der Teig. »Aber nun wirst du weinen!«, sagte der kleine Prinz. »Bestimmt«, sagte Hermann der Teig. »So hast du also nichts gewonnen!« »Ich habe», sagte Hermann der Teig, »durch Teilung bald drei neue Freunde gewonnen.« Jasmin Schreiter

Ein Hermann-Teig lässt sich auch ohne Starterkultur ansetzen. Um den Teig ohne geschenkten Vorteig anzusetzen, werden 60 g Weizenmehl Type 550, 50 g Zucker, 100 g Magermilch und 30 g Buttermilch zu einem Teig vermischt und so lange stehen gelassen, bis er anfängt zu gären (ein bis zwei Tage).

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Ein anderes Rezept: 1/2 Päckchen Trockenhefe, 1 Tasse lauwarmes Wasser, 1 Esslöffel Zucker und 1 Tasse Weizenmehl (Type 405) miteinander verrühren. Zwei Tage an einem warmen Ort zugedeckt gehen lassen, dabei mehrmals umrühren. Anschließend 24 Stunden in den Kühlschrank stellen.

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Hermann, eine Sozialanalyse Ich bin Hermann, dein neues Familienmitglied! Ein Teig als Familienmitglied? Das ist eigentlich kein so abwegiger Gedanke. Denn Hermann lebt. Oder zumindest die Bakterien in ihm. Und andere Lebewesen wie Hund oder Katze werden ja schließlich auch als Familienmitglieder betrachtet. Allein in der Größe unterscheiden sich die Mikroben von klassischen Haustieren. Ansonsten muss das Herrchen beide, den Hund und den Lactobacillus, genauso sorgsam füttern und ihnen ein behagliches Zuhause bieten. In diesem Punkt ist Hermann sogar viel anspruchsvoller als ein Hund. Der Vierbeiner frisst schließlich so gut wie alles, was man ihm hinwirft und lässt sich auch bei Wind und Wetter in der Hütte vor dem Haus halten. Zugegeben, ein paar gewichtige Unterschiede gibt es natürlich doch. Schnurrt der Teig beim Streicheln? Holt Hermann Stöckchen? Nein, sogar der Guppy im Heim-Aquarium ist aufregender als ein Teig, der wächst. Aber immerhin kommt Hermann irgendwann in den Backofen und landet als Brötchen oder Kuchen im Magen. Aber wer würde schon seinen Hund oder Meerschweinchen fressen? Allerdings gelten Hund oder Meerschwein in einigen Teilen der Erde als Delikatesse. Hingegen haben orthodoxe Juden ein sehr problematisches Verhältnis zum Sauerteig. Erinnert er doch an die ägyptische Gefangenschaft in der Bibel und ist somit ein Symbol für Sklaverei. Einige essen Hunde, andere verschmähen Sauerteig. Aber zurück zum Haustier, das in seiner Tradition nicht zum Streicheln, sondern zunächst zum Essen gehalten wurde. Auch ihre Funktion als Lastenesel oder Wachhund konnte sie nicht vor dem Kochtopf retten. So gesehen ist es eher merkwürdig, einen Hasen im Kinderzimmer nicht zum Essen, sondern nur zum Streicheln, Kuscheln, Liebhaben zu halten. Doch sind es rein menschliche Bedürfnisse, die der Hase befriedigt – sei es als Schlachtoder als Kuscheltier. Kinder spielen Familie, ob mit Puppen, Haustieren oder mit dem Tamagotchi. Diese elektronischen Plastikeier kamen vor ein paar Jahren wie eine Invasion über die

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Hermann backen: Kinderzimmer. Alle fünf Minuten piepten die Geräte nach ihrer virtuellen Flasche, die ihr unsere Kleinen per Knopfdruck geben konnten. Wer den Befehlen nicht Folge leiste, dem starb das Tamatgotchi binnen Minuten weg. Alles andere, Mittagessen, Hausaufgaben, Fernsehgucken wurde unwichtig. Aber wenn diese digitalen Nervensägen in den Rang eines Familienmitglieds aufsteigen konnten, dann kann es doch auch Hermann. So wie Kaninchen statt nur als Braten heute auch eine soziale Funktion erfüllen, ist auch der Sauerteig längst entfremdet. Denn schließlich füttern ihn die Kinder. Und wenn er groß genug ist, teilen sie Hermann und verschenken ihn an ihre Freunde. In den USA ist Hermann so auch als Amish Friendship Bread bekannt. Schon der Name zeigt an: Hier geht es nicht nur um Brot, sondern um Freundschaft. Wer verschenkt, sagt, ich mag dich. Damit ist Hermann mehr als eine Familienmitglied. Hermann verbindet Menschen. Sebastian Weissgerber

Am Backtag: Nimm eine Tasse von mir für dich ab und eine Tasse für eine Freundin, reiche dazu diesen Hermann-Brief weiter. Gib dann die etwa zwei Tassen die von mir verblieben sind in eine große Schüssel und mische folgende Zutaten darunter: zwei Eier, zwei Teelöffel Backpulver, eine halbe Tasse Zucker, zwei Tassen Mehl, ein Teelöffel Zimt, eine Tasse gemahlene Nüsse, eine Tasse Rosinen und eine halbe Tasse Öl. Rühre alles nacheinander unter, bis es gut vermischt ist. Fülle danach den Teig in eine gefettete Form, gib diese in den Backofen und backe ihn bei 180 Grad etwa 45 Minuten.

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Kommentar

Hermann muss sterben »Ich bin Hermann, dein neues Familienmitglied für die Dauer von zehn Tagen, oder länger!« Düstere Musik sollte diese Zeilen begleiten, denn Hermann ist das Anfang vom Ende. Jeder kennt, aber die Mehrheit hasst ihn: Hermann, den klebrigen Sauerteig mit eigener Persönlichkeit. Über den Erfinder des HermannTeufelkreises ist nichts bekannt. Wahrscheinlich lebt er inzwischen in einem riesigen Haus aus Sauerteig und amüsiert sich köstlich über seinen Hexenstreich. Am Tag X stand er auf dem Schulhof einer Grundschule im Niemandsland und hat jedem Schüler einen Klumpen Teig mit dem zugehörigen »Hermann-Brief« in die Hand gedrückt. Der Rest ist Geschichte: Hunderte Kinder haben ihre Mütter zum Hermann-pflegen-rührenfüttern-backen-und-verschenken gezwungen und seitdem bevölkert er die Welt! Die Beweise dazu liegen auf der Hand: Die Internetsuchmaschine »Google« findet 604 000 Einträge zum Suchauftrag »Hermann Kuchen«, die Enzyklopädie »Wikipedia« widmet ihm mehrere Einträge und Dr. Oetker verhökert HermannBackbücher. Doch damit nicht genug. Hermann hat Geschwister bekommen! Siegfried und Robert heißen sie. Somit kursieren nun auch Briefe mit der Einleitung »Ich bin Robert, der Bruder von Hermann, der für Kuchen zuständig ist« und »Siegfried ist nicht Kuchen und nicht Brot – einfach Siegfried!« durch Deutschlands Haushalte. Eine Sauerteigfamilie – damit kann es keine Mutter dieser Welt

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aufnehmen. Fiktive Situation: eine Familie mit drei Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren. Jedes Kind kommt stolz nach Hause, in der kleinen Hand eine gezüchtete Bakterienkultur namens Hermann, Robert oder Siegfried. Die Mutter schlägt ihre Hände über dem Kopf zusammen und beginnt zu weinen. Ganz sicher. Denn einen Monat Kokos-Mandel-Hermann oder Zwiebelbaguette-Robert zu essen, hat den totalen Geschmacksverlust zur Folge. Wahrscheinlich ist Hermann auch Schuld an der Kinderlosigkeit in Deutschland. Monatelang diskutierten Politiker, diverse Talkshow-Moderatoren und leider auch Eva Herman über dieses Problem. Dabei wäre die Lösung doch so einfach: Wenn Hermann, Robert und Siegfried endlich in der Hölle schmorten, müsste sich keine Frau der Welt mehr mit weinenden Kindern plagen, weil sie die Teigbatzen in den Müll geworfen hat. Familienleben würde wieder Idylle und Freude bedeuten. Die Menschen täten sich wieder zusammen und zeugten haufenweise Kinder. Also liebe Leidensgenossen: Boykottiert Hermann und sein Gefolge. Verbrennt die Kettenbriefe und löscht sämtliche Internetbeiträge. Wie gesagt: Hermann muss sterben. Julia Langensiepen

»Seit meine Kinder Hermann mit ins Haus gebracht haben, war ich nicht mehr beim Bäcker. Wenn ich mal ein paar Tage keinen Teig brauche, schmeiß ich ihn einfach in die Tiefkühltruhe. Jetzt sind die Kinder schon ausgezogen, aber Hermann ist immer noch bei mir.« Gertrud Hoffmann, 57 »Letztens hat eine Kommilitonin an der Uni Hermann mitgebracht. Ein paar Wochen später waren wir alle vom Backfieber befallen und haben an unserer Familien und Freunde wie blöd Hermann verschenkt. Das war toll, wie in der Grundschule.« Claudia Klemm, 31 »Dieses Dreckszeugs schmeckt einfach fürchterlich. Ich bin so froh, dass meine Kinder jetzt aus dem Alter raus sind. In der Grundschule haben sie ständig neuen Hermann angeschleppt. Aber füttern durfte ich ihn. Und wehe, wenn er umgekippt ist. Dann war ich die Böse.« Angelika Kaltenbach, 42

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Chronik

3000 bis 4000 Jahre

1675 identifizierte der

1860 zeigte der französische

1886 isolierte Friedrich Mie-

liegt der Ursprung der Biotech-

Niederländer Antonie van

Mediziner und Chemiker Louis

scher erstmals die chemische

nologie zurück: In Ägypten

Leeuwenhoek erstmals Bakte-

Pasteur, dass Mikroorganismen für

Substanz des Erbguts aus

entstand durch zufällige Milch-

rien. Er hatte sie mit dem von

Fäulnis und Gärung verantwort-

weißen Blutkörperchen.

säuregärung Sauerteig. Die

ihm erfundenen Mikroskop

lich sind. Dies brachte ihn auf die

Milchsäurebakterien gelangten

entdeckt. Damit konnte er auch

Idee, Lebensmittel zu erhitzen, um

mit dem Nilwasser in den Teig.

zum ersten Mal Stäbchen und

die hitzeempfindlichen Bakterien

Kokken unterscheiden.

abzutöten. Dieses Verfahren wurde später Pasteurisieren genannt.

Vor etwa 2400 Jahren

1796 impfte der englische

1876 identifizierte Robert Koch, Be-

wurde ein Bottich mit gären-

Landarzt Edward Jennar erstmals

gründer der modernen Bakteriologie,

dem Teig im Regen vergessen.

einen Jungen mit Kuhpocken-

den Milzbrandbazillus als Erreger der

Nach Tagen entstand ein

viren. Er hatte beobachtet,

gefährlichen Viehseuche. 1882 konnte

trinkbares Gebräu: das Bier der

dass Milchmägde, die sich mit

er nachweisen, dass die in »tuber-

Sumerer.

Kuhpocken infiziert hatten, nicht

kulösen Substanzen vorkommenden

mehr an den eigentlichen Pocken

Bazillen nicht nur die Begleiter des

erkrankten. Er bezeichnete das

tuberkulösen Prozesses, sondern die

Verfahren als Vaccination – latei-

Ursache desselben sind«

nisch »vacca« bedeutet »Kuh«.

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1953 entdeckten James

1983 erhielt menschliches

1994 wurde die gentech-

2001 wird im Rahmen

Watson und Francis Crick am

Insulin als erstes gentechnisch

nisch veränderte Tomate der

des Humangenomprojekts

Cavendish-Laboratorium in

hergestelltes Medikament die

Firma Calgene für den Markt

das menschliche Erbgut

Cambridge die molekularbio-

Zulassung.

zugelassen. Die »Anti-Matsch-

erstmals nahezu vollstän-

logische Struktur der DNA und

Tomate« produziert ein

dig sequenziert.

damit auch ihre besondere

bestimmtes Enzym nicht mehr

Form, die Doppelhelix.

und wird dadurch widerstandsfähiger.

1928 wurde das erste Anti-

1955 entzifferte der britische Bio-

1984 isolierte der franzö-

Am 5. Juli 1996 kam das

biotikum, das Penicillin, von

chemiker Frederick Sanger die kom-

sische Virologe Luc Montaigner

walisische Bergschaf Dolly

dem schottischen Bakterio-

plette Abfolge von Aminosäuren im

erstmals das HI-Virus aus einer

zur Welt. Es war der erste

logen Sir Alexander Fleming

Insulin. Hierfür erhält er 1958 den

Blutprobe.

Organismus, der durch ein

entdeckt. Die bakterienab-

Nobelpreis. 1977 konnte er erstmals

Klonverfahren erzeugt wurde.

tötende Wirkung fand er

die komplette Abfolge der DNA-

Dolly gebar mehrere Nachkom-

zufällig bei dem Schimmelpilz

Bausteine eines Virus sequenzieren

men und starb am 14. Februar

– die erste vollständige Entzifferung

2003.

Penicillium chrysogenum.

überhaupt.

Annika Hollmann und Melanie Schmidt

Bio ist, was ihr draus macht

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Impressum

Otto.

Irene Berres, Julia Langensiepen, Christina Merkel und Josephina Maier grübeln.

Irene Berres und Simone Müller fotografieren Haare. (Und – ja, es gab auch Männer in diesem Kurs. Aus technischen Gründen nicht im Bild.)

Texte, Fotos und Grafiken, Bildredaktion, Schlussredaktion, Dokumentation: Irene Berres, Annika Hollmann, Julia Langensiepen, Lisa Leander, Josephina Maier, Dr. Christian Meier, Christina Merkel, Simone Müller, Christoph Penter, Melanie Schmidt, Jasmin Schreiter, Anja Szerdi, Sebastian Weissgerber, Katharina Zaczek (Studiengang Wissenschaftsjournalismus, Hochschule Darmstadt, drittes Semester) Externe Bildquellen: S. 8: Pixelquelle, Gérard Chevrier, S. 9 (Käsebrot): Erk Singerhoff, S. 11/13: Affymetrix, S. 14: Sabine Sydow, S. 23: ferienwohnungen.de, S. 26/27: BASF AG, S. 41/42: Pixel-

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Die Kartoffel.

quelle/Montage C. Penter, S. 48: Brot, Bier, Kuh, Tomate, Schaf, Buchstabensuppe: Pixelquelle, Van Leuwenhooek: www.nsc.gov.tw/files/popsc/2005_ 80/9407-08-02.jpg, Pasteur: www.ihm.nlm.nih. gov/ihm/images/B/20/588.jpg, Milzbrand, weiße Blutkörperchen, HIV: Wikipedia, DNA: www.epa. gov, Fleming: mass.gov/dph/cdc/images/fleming_ alexander.gif, Sanger: www.nlm.nih.gov/.../media/ gallery/vi_a_208b.jpg, Insulinstruktur: www.fnal. gov/.../ferminews03-12-01/insulin.jpg Redaktionsschluss: 1.2.2007 Wir danken: Bertelsmann Stiftung (für die großzügige Übernahme der Druckkosten), Dipl.-Ing.

Andreas Finger, Prof. Dr. Klaus Meier (Technik), Christoph Baldauf, Prof. Dr. Hans-Jürgen KoeppBank, Dipl.-Biol. Erk Singerhoff (Dokumentation) Layout Eigenanzeige: Annette Paulus (Studiengang Onlinejournalismus) Layout: Karsten Kramarczik, Werbedesign Kramarczik, mac_kram@yahoo.de Herstellung: Hochschule Darmstadt Leitung: Prof. Dr. Annette Leßmöllmann (V.i.S.d.P.) Studiengang Wissenschaftsjournalismus Hochschule Darmstadt, Campus Dieburg Max-Planck-Straße 2 · 64807 Dieburg Tel. 06071-82 9470 · www.wj.h-da.de

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