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Kenne deine Medikamente!
from Medijuana 70
Ist es vorstellbar, dass der Anstieg des Graskonsums keine erschreckende Tendenz ist, sondern genau das Gegenteil? Kürzlich erschienene Forschungsarbeiten lassen darauf schließen, dass viele Menschen von gesundheitsschädlicheren Mitteln auf das relativ unbedenkliche Ganja umsteigen.
In den Vereinigten Staaten haben die durchgeführten Legalisierungen das früher schon rege Geschäft mit dem Gras noch mehr belebt. Innerhalb von ein paar Monaten erschienen eine Menge neuer Marken auf dem Cannabismarkt und mit dem gesetzlichen Segen ist das Kiffen nun weitgehend akzeptiert. Die mit Werbung stimulierte Kauffreude, die ausgereifteren Methoden des Kiffens und der allgemeine Hype um die Pflanze lassen den Menschen das Ganja nun als um einiges unbedenklicher erscheinen als zur Zeit des Verbots. Sébastien Béguerie, Gründer von Alpha-CAT, eines Labors, das Qualitätsproben an Cannabis durchführt, ging in seinem Vortrag auf dem Cannafest in Prag der Frage nach, ob dadurch nicht das Suchtrisiko verstärkt wird. Nach den neuesten Forschungsergebnissen stellt sich die Frage jedoch anders: Ist es möglich, dass die Verbreitung des
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Cannabisgebrauchs die Abhängigkeit von gefährlicheren Mitteln verringert?
Von der Einstiegsdroge zur Ausstiegsdroge
Bei der Beantwortung der Frage ging Béguerie von seinem Fachgebiet aus. Von den 141 aktuell bekannten Cannabinoiden im Marihuana hob er das CBD (Cannabidiol) hervor, das nach dem momentanen Kenntnisstand über die größte Palette therapeutischer Eigenschaften verfügt. Er bezog sich auf eine kalifornische Untersuchung aus dem Jahr 2009, die mit CannabispatientInnen durchgeführt wurde. Die Mehrzahl der Testpersonen benutzte Cannabis gegen Schmerzen und parallel zur Behandlung mentaler Symptome. Mehr als ein Drittel von ihnen ersetzte mit Gras die herkömmlichen Medikamente, zwei Drittel benutzten Cannabis statt Alkohol oder anderer Drogen. Zwei Drittel der PatientInnen berichteten über geringere Nebenwirkungen, ein Drittel über eine Verringerung der Entzugserscheinungen. Mit diesen Zahlen untermauerte Béguerie die schadensbegrenzende therapeutische Wirkung von Cannabis bei der erfolgreichen und risikoarmen Suchttherapie. Auf die Frage, wie die Sorten mit Cannabinoidprofil diese Ergebnisse zeitigten, fand der Fachmann für Qualitätskontrolle auch in der Fachliteratur keine Erklärung. Vermuten kann man jedoch, dass das CBD dabei eine wichtige Rolle spielt. Béguerie führte seine Forschungen fort. Im Jahr 2013 publizierte er seine Feststellung, dass heroinabhängige Ratten, die mit CBD behandelt wurden, nach weniger Heroin verlangten. Beim Abgleich mit früheren Referenzstudien über Cannabis und Suchttherapie kam er zu dem wichtigen und gleichzeitig traurigen Ergebnis, dass bisher nur 47 Personen an entsprechenden Untersuchungen teilgenommen hatten. Nicht nur die Zahl der Forschungsarbeiten sei deshalb zu erhöhen, sondern sie müssten auch breiter angelegt sein.
Ein erster Lichtblick zeigte sich bereits: In der Fachzeitschrift Drug and Alcohol Review erschien im September 2015 eine Analyse der Ergebnisse von Forschungsarbeiten aus den Jahren 2011 bis 2012, bei welchen nun zum ersten Mal nicht nur eine Handvoll Menschen teilnahm, sondern 414 Personen. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. In 80% der Fälle setzten die PatientInnen erfolgreich ihre rezeptpflichtigen Medikamente ab, in die bei – 52% der Fälle aufgrund einer Alkoholsucht, bei 32% aufgrund der Sucht nach unterschiedlichen Drogen eingenommen wurden – und ersetzten sie durch Marihuana. Denn Cannabis ist keine Einstiegsdroge, sondern eine Ausstiegsdroge, wenigstens kann man es bei unterschiedlichen Fällen des Drogenkonsums als effektives Mittel zur Schadensminimierung betrachten.
Nach Angaben von Béguerie kann man bei den Nachrichten über den Anstieg des
Cannabiskonsums davon ausgehen, dass viele Menschen gefährliche Medikamente, Alkohol und andere Drogen gegen das weniger risikobehaftete Marihuana eingetauscht und sich so nicht nur von der Sucht, sondern auch von den Nebenwirkungen befreit haben.
Kenne deine Medikamente!
Wie aber sieht es mit der Marihuanaabhängigkeit aus? Zwar sind die Entzugserscheinungen schwächer als bei rezeptpflichtigen Medikamenten oder Alkohol, dennoch steht für die Wissenschaft die Existenz einer Marihuanaabhängigkeit heute außer Frage. Hervorgerufen wird sie durch die reduzierte Wirkung des CB1-Rezeptors im Hirn. Die vom THC beim Grasrauchen ausgelösten Wirkungen schwinden, wenn die Einnahme gestoppt wird, allerdings treten Nebenwirkungen wie Angststörungen, Schlaflosigkeit, verringerter Appetit, Reizbarkeit oder Migräne auf. Ein Witz der Natur ist es jedoch, dass das im Marihuana enthaltene CBD diese Symptome wahrscheinlich ausgezeichnet lindert. Aber es sind noch zahlreiche Untersuchungen nötig, um dies zweifelsfrei zu bestätigen. Schon jetzt ist bekannt, dass CBD nicht toxisch ist, den Appetit nicht beeinflusst, Puls und Blutdruck nicht erhöht. Daher ist sein Genuss noch weniger bedenklich als der von natürlichem Cannabis.
Am Ende seines Vortrags betrachtete Béguerie die Frage der Schadensminimierung von der anderen Seite. Wie sind die unangenehmen Begleiterscheinungen des Graskonsums zu vermeiden? Hier erwähnte er den Konsum in Speisen, der wegen der langsamen Absorption eine vorsichtige Dosierung erfordert. Im Allgemeinen ist den KonsumentInnen bekannt, dass die Leber das THC abbaut, wenn es in den Magen gelangt ist, und dass daher eine größere Dosis nötig ist als beim Rauchen oder Vaporisieren, und trotzdem wird die nötige Menge oft zu hoch eingeschätzt. Als ein Vorteil der Legalisierung sind nun Lebensmittel mit standardisierten Inhalten erhältlich, was die Dosierung erleichtert und dem/der KonsumentIn erlaubt, seine/ihre persönliche Toleranzschwelle zu erkunden. Außerdem wurde die in Europa wenig bekannte „Dab“-Kultur erwähnt, bei der mit einer Wasserpfeife ein Konzentrat mit 90-prozentigem THC-Gehalt konsumiert wird. Dab verhalte sich zu Gras wie Crack zu Kokain, sagte Béguerie und merkte an, dass ein Zug von diesem Konzentrat dem Rauchen von zehn Joints gleichkomme. Es könne im Körper vollkommen ungewohnte Wirkungen hervorrufen und selbst bei einem erfahrenen Konsumenten zu Übelkeit führen. Genaue Kenntnis der Medikamente und der Cannabinoidprofile der Pflanzen, die man konsumiert, sowie natürlich der Dosierung sei erforderlich, sagte der Vortragende. Außerdem müsse man sicher sein, dass sie nicht verunreinigt sind. Firmen wie Alpha-CAT können durch Qualitätskontrollen bei Cannabis helfen, die Inhaltsstoffe zu analysieren.
Text: von Tamás Kardos