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ZAHLEN & FAKTEN

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Bis heute wurden im Rahmen der gleichnamigen Initiative 273 gestartet. In einem solchen Unternehmenszusam Energieeffizienz-Netzwerke menschluss werden der dena zufolge durchschnittlich 31.000 Megawattstunden

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Endenergie pro Jahr eingespart, vor allem in den Bereichen Beleuchtung, Wärme und Prozesstechnik. Das entspricht etwa dem jährlichen Endenergieverbrauch von 1.900 deutschen Haushalten. www.effizienznetzwerke.org

Im Jahr 2019 waren 3.960 Megajoule

Energie erforderlich, um 1.000 Euro Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt) zu erwirtschaften. Im Jahr 1991, in dem diese sogenannte Energieintensität für Gesamtdeutschland erstmalig erfasst wurde, waren es noch 6.593 Megajoule. Das entspricht den Zahlen des BDEW zufolge einer Minderung der Energieintensität von rund www.bdew.de 40 %.

Wie eine aktuelle Auswertung von 5.400 Beratungsfällen der Verbraucherzentrale NRW im Projekt „NRW bekämpft Energiearmut“ zeigt, lagen die durchschnittlichen Zahlungsrückstände bei den Grundversorgungskunden inklusive Mahnund Sperrkosten bei 713 Euro Betrachtet man nur den Strombereich, waren es 644 Euro. www.verbraucherzentrale.nrw Energiewende mit der

INTELLIGENT GRID PLATFORM

Modulares Assistenzsystem zur Digitalisierung und Automatisierung von Netzplanungs- und Netzbetriebsführungsprozessen

DATENQUALITÄT ERHÖHEN Verknüpfung, Analyse und Validierung vormals isolierter Datensysteme (z.B. GIS, ERP, Messdaten) und Erstellung rechenfähiger Netzmodelle für alle Spannungsebenen

PLANUNGSPROZESSE AUTOMATISIEREN Automatisierung von Prozessen und Arbeitsabläufen in der Netzplanung (z. B. Bewertung von Anschlussbegehren, Durchführung von Netzstudien)

BETRIEBSFÜHRUNG OPTIMIEREN Unterstützung von Systemführern durch EchtzeitInformationen zum aktuellen und zukünftigen Netzzustand.

Neu: Redispatch-Applikation a Automatisierter Datenimport a Erstellung von Netzprognosemodellen a Optimale Engpassbewirtschaftung

www.envelio.de/redispatch

REGELN IN DER FLÄCHE

Engpässe in Stromnetz zu vermeiden, lag bislang in der alleinigen Verantwortung der vier Übertragungsnetzbetreiber. Ab Oktober 2021 sind praktisch alle Verteilnetzbetreiber gefordert, im Zuge des sogenannten Redispatch 2.0 einen umfangreichen Beitrag zur Netzstabilität zu leisten.

Mit der fortschreitenden Dezentralisierung der Stromversorgung und der zunehmenden

Einbindung volatiler Energieerzeuger hat sich gezeigt, dass der aktuelle regulatorische Rahmen und die bisherigen

Verfahren des Netzbetriebs für die weitere Umsetzung der Energiewende nur begrenzt tauglich sind. Mit der Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG 2.0) am 18.05.2019 sollen wesentliche Hindernisse beseitigt und die finanziellen Belastungen für die Allgemeinheit reduziert werden.

Ein Beispiel und wichtiger Ansatzpunkt in diesem Kontext sind die Kosten, die für Maßnahmen zur Stabilisierung der Übertragungsnetze durch Einspeisemanagement oder Fahrplanänderungen bei konventionellen Kraftwerken (Redispatch) anfallen: 2019 wurden dafür insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro aufgebracht. Über den sogenannten

Redispatch 2.0 sollen die notwendigen

Planungs- und Regelungsprozesse zur

Vermeidung von Netzengpässen dezentralisiert und damit effizienter und wirtschaftlicher werden. Den Verteilnetzbetreibern, an deren Spannungsebenen der überwiegende Teil der Erzeugungsanlagen angeschlossen ist, wird dabei als

Grafik: iStock operative Schnittstelle zu den dezentralen Energiesystemen eine Schlüsselrolle zukommen. So wird praktisch jeder der über 800 VNB in Deutschland ab Oktober 2021 gefordert sein, mal mehr, mal weniger am Redispatch-Prozess teilzunehmen. Das Spektrum reicht von der Übernahme der Einsatzfahrpläne von Anlagen im eigenen Netz, dem Detektieren von Netzengpässen und dem Ermitteln des entsprechenden Redispatch-Bedarfes, bis hin zur Wahrnehmung der Pflichten eines Einsatzverantwortlichen, der Prognosefahrpläne und das zugehörige Redispatchpotenzial an den Übertragungsnetzbetreiber melden muss.

DISPATCH UND REDISPATCH HEUTE Um die neuen Anforderungen zu verstehen, die sich für die VNB aus der Gesetzesnovelle ergeben, lohnt sich ein Blick auf die bisherigen Verfahren: Diese orientieren sich an den planbaren Betriebsweisen konventioneller Kraftwerke, die noch bis vor einigen Jahren das Gros des verbrauchten Stroms lieferten. Die Betreiber planen den Einsatz dieser Kraftwerke unter Berücksichtigung der zu erwartenden

Grafik: iStock Preise am jeweiligen Absatzmarkt und melden die von ihnen am Folgetag geplanten Stromerzeugungsmengen in Form eines Fahrplans beim jeweiligen ÜNB an. Aus der Summe aller Einzelfahrpläne aus den vier Regelzonen ergibt sich so der bundesdeutsche Gesamtfahrplan für den nächsten Tag, der sogenannte Dispatch.

Via Netzberechnung überprüfen die ÜNB, ob dieser geplante Kraftwerkseinsatz zu irgendeinem Zeitpunkt zu Netzengpässen führen kann. In diesem Fall müssen die Fahrpläne angepasst und der vorgesehene Kraftwerkseinsatz geändert werden. Da die Gesamterzeugungsmenge für den Folgetag dabei gleichbleiben soll, werden Kraftwerke diesseits des Engpasses angewiesen, ihre Einspeisung zu drosseln, während Anlagen jenseits des Engpasses ihre Einspeiseleistung erhöhen müssen. Auf diese Weise wird ein Lastfluss erzeugt, der dem Engpass entgegenwirkt. Diesen Anpassungsvorgang, der aktuell nur Kraftwerke ab 10 MW Erzeugungsleistung einbezieht, bezeichnet man als Redispatch. Beim Redispatch handelt es Grafik: iStock sich um eine marktbezogene Maßnahme nach § 13.1 EnWG mit dem klaren Ziel, Netzengpässe und insbesondere auch Anpassungsmaßnahmen zu vermeiden. Diese werden erforderlich, wenn Strom oder Spannung im Netz auch durch den Redispatch nicht im vorgeschriebenen Umfang stabilisiert werden können. Dann führt der ÜNB Anpassungsmaßnahmen nach § 13.2 in Verbindung mit § 14 EnWG durch, indem konventionelle Kraftwerke abgeregelt und Erneuerbare Erzeuger beziehungsweise KWK-Anlagen im Einspeisemanagement netzdienlich ge

Bis zum 30.09.2021

DISPATCH

Ab dem 01.10.2021 DISPATCH REDISPATCH (konv. EZ > 10 MW) (§ 13 Abs. 1 Nr. 2)

ABREGELUNG KONV. ANLAGEN (konv. EZ) (§ 13 Abs. 2 EnWG)

ZEITACHS E / R EIHENFO LG E

REDISPATCH „2.0“ (alle EZ > 100 kW; jederzeit fernsteuerbare Anlagen <100 kW) (§ 13 Abs. 1 Nr. 2) Redispatch 2.0

PLANPROZESS NOTFALLMASSNAHMEN (alle EZ, EE Vorrang gilt) (§ 13 Abs. 2 EnWG)

(NAHE) ECHTZEIT

EINSMAN (EE & KWK) (§ 13 Abs. 2+3 EnWG i.V.m. § 14 EEG)

Quelle: BDEW

steuert werden. Diese Maßnahmen sind entschädigungspflichtig und summieren sich Jahr für Jahr zu höheren Kosten auf, die sich letztlich im Strompreis niederschlagen.

GRENZEN ERREICHT Allein die Kostenentwicklung zeigt, dass sich dieses Verfahren überlebt hat. Zum einen, weil die Stromerzeugung aus steuerbaren, konventionellen Großkraftwerken ein Auslaufmodell ist: Von der in Deutschland im April 2020 registrierten, installierten Erzeugungsleistung von etwas über 221 GW kamen laut Bundesnetzagentur nur noch rund 80 GW aus Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerken, bis 2022 werden diese Kapazitäten netto um weitere 10 Prozent sinken. Schon heute werden in nicht unerheblichem Maße Reservekraftwerke für die Erbringung von Redispatch-Leistungen eingesetzt, da die am Markt verfügbaren Kapazitäten nicht immer ausreichen. Zum anderen steigt mit der Zunahme der Einspeisung aus regenerativen Quellen die Volatilität der Erzeugungsleistung, was zu einem höheren Bedarf an Redispatch-Maßnahmen und einer steigenden Anzahl entschädigungspflichtiger Maßnahmen zum Einspeisemanagement führt. REDISPATCH 2.0 Das neue System des Redispatch 2.0 soll hier Abhilfe schaffen, indem das bisher getrennt geregelte Einspeisemanagement in einen gesamtheitlichen optimierten Mechanismus überführt wird. Wurden bisher nur rund einhundert große Kraftwerke zur Stabilisierung der Netze herangezogen, sollen künftig auch Speicher und Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, KWKAnlagen ab 100 kW sowie Anlagen größer 30 kW, die durch einen Netzbetreiber fernsteuerbar sind, ihren Beitrag zur Vermeidung von Netzengpässen leisten – insgesamt also wohl mehrere 100.000 Anlagen deutschlandweit.

ÜBERGREIFENDE KOORDINATION Eine deutlich komplexere Herausforderung für die VNB ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass zu den nach wie vor bestehenden Verpflichtungen zur Wahrnehmung von Anpassungsmaßnahmen (neu: Notfallmaßnahmen) nach § 13.2 EnWG (Kaskade) nun auch neue in Bezug auf marktbezogene Maßnahmen nach § 13.1 EnWG für Redispatch 2.0 hinzukommen.

Dazu muss für jede redispatchfähige Anlage ein sog. Einsatzverantwortlicher (EIV) benannt werden. Er ist derjenige, der sich gegenüber dem Übertragungsnetzbetreiber für Grafik: iStock die Anlage verantwortlich zeichnet. Einsatzverantwortliche können die Kraftwerks-/Anlagenbetreiber selbst, ein Direktvermarkter oder ersatzweise auch der Netzbetreiber sein, so dass auf die Netzbetreiber schon aus diesen Vorgaben zahlreiche neue Pflichten zukommen.

Die Fahrpläne jeder einzelnen Anlage sowie mögliche Redispatch-Potenziale, die vom EIV für den kommenden Tag bereitgestellt werden müssen, bilden künftig die Grundlage für die Planungen der ÜNB. Dazu haben die vier ÜNB in Deutschland die Plattform Connect+ aus der Taufe gehoben, an die alle EIV ihre Einsatzfahrpläne am Tag zuvor bis 14:30 Uhr hochladen und von der sie ggf. korrigierte Fahrpläne zurück erhalten.

Die Prüfung auf Netzengpässe wird nun sowohl vom ÜNB, als auch vom VNB durchgeführt. Zu diesem Zweck erhalten die Netzbetreiber alle geplanten Fahrpläne zu jeder im eigenen Netz befindlichen redispatchfähigen Erzeugungsanlage. Dabei gilt der Grundsatz: Wer in der Prognose einen Netzengpass haben kann, kümmert sich auch darum, so dass er perspektivisch behoben wird, sprich, meldet einen entsprechenden Redispatch-Bedarf an.

Das bedeutet zwangsläufig, dass Redispatch-Maß

Grafik: iStock nahmen zwischen den betroffenen Netzbetreibern koordiniert, geplant und abgewickelt werden müssen. Die VNB sind also gefordert, auf Basis von Prognosen und Planwerten den Netzzustand sowie die Wirksamkeit und Kosten möglicher Maßnahmen zu bewerten, um dann in enger Abstimmung die bestgeeignete Vorgehensweise zu bestimmen. Es ist unschwer vorstellbar, wie komplex diese Aufgabe ist – speziell aus Sicht derjenigen VNB, die selbst Netze in unterschiedlichen Regionen/Regelzonen betreiben oder den Netzbetrieb als Service für kleinere Unternehmen anbieten.

In der Regelzone des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW haben sich vor diesem Hintergrund der ÜNB mit einigen VNBs zur DA/RE-Initiative (Datenaustausch Redispatch) zusammengeschlossen und gemeinsam die Plattform DA/RE entwickelt, die die Koordination und Optimierung der Redispatch-Maßnahmen zwischen den einzelnen Netzgebieten übernehmen soll, und damit den einzel

ENGER ZEITPLAN Derzeit arbeitet die Branche an der Vorbereitung und Konkretisierung abgestimmter Vorgehensweisen. So will der VDE Ende des Jahres einen Entwurf für eine Anwendungsregel vorlegen, die dann bis Herbst 2021 finalisiert sein soll. Bei der Bundesnetzagentur laufen derzeit die Konsultationen zur Festlegung der Mindestfaktoren, weitere wichtige Rahmenbedingungen will die Behörde im Dezember 2020 definiert haben. Im Netzwerk Connect+ erarbeitet man derzeit ein Lastenheft für einen einheitlichen Datenweg zwischen Netzbetreibern und Anlagenbetreibern und gestaltet die Prozesse und Formate für den Koordinationsprozess zwischen den Netzbetreibern. Die Plattform DA/RE geht ebenfalls in die Umsetzung. nen VNB in der Regelzone entlastet. Die Pilotphase wurde inzwischen erfolgreich abgeschlossen, nun sollen die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse als Grundlage für die anstehende Entwicklung der DA/RE-Zielplattform genutzt werden. Bei diesem Verfahren bekommen die Netzbetreiber die Einsatzfahrpläne der EIV in ihrem Netzgebiet und melden nach entsprechender Prüfung ggf. einen Redispatchbedarf zurück. Alles Weitere (Aggregation, kostengünstigste Auswahl und Beauftragung über Connect+) erledigt die Plattform.

NOTFALLMASSNAHMEN UND BILANZIERUNG Die Entschädigungspflicht für Anpassungsmaßnahmen für erneuerbare Erzeugungs- und KWK-Anlagen wird aufgehoben, die Vorrangstellung der EE-Erzeugung bei der Durchführung von Notfallmaßnahmen bleibt aber weiterhin bestehen. Die realisierten Redispatchleistungen werden bei dem Netzbetreiber bilanziert, in dessen Netz sich die zur Erbringung benötigten Anlagen befinden und entsprechend ihrem Angebot entschädigt. Daraus ergibt sich für den Netzbetreiber die Notwendigkeit, künftig einen Redispatch-Bilanzkreis zu führen.

AUTOMATISIERTE KOMMUNIKATION Für die Prozesse und Systeme der Verteilnetzbetreiber haben die neuen Verfahren weitreichende Auswirkungen. Ein wichtiges Thema ist dabei der Datenaustausch zwischen den beteiligten Akteuren: So werden Netzbetreiber Tools und Verfahren benötigen, um beispielsweise die von den Einsatzverantwortlichen bereitgestellten Fahrpläne und Redispatch-Potenziale entgegenzunehmen und zu verifizieren, Redispatchbedarfe anzumelden, Planungs- und evtl. Echtzeitdaten auszutauschen, und ggf. korrigierte Fahrpläne des ÜNB entgegenzunehmen. Wichtig zu wissen: Auch Netzbetreiber, die im eigenen Netz keine Engpässe haben können, werden in der Rolle eines EIV verpflichtet sein, Einspeiseprognosen und nutzbare Flexibilitätspotenziale an den ÜNB weiterzugeben. Auch werden in der Regel Prognosen zu den Netzverknüpfungspunkten zu überlagerten Netzen zu liefern sein.

Um den Netzbetreiber zu entlasten, müssen sämtliche Prozesse in diesem Zusammenhang natürlich automatisiert auf Grundlage einheitlicher Standards ablaufen. Um dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, hat sich im Juni 2019 die Netzbetreiber-Initiative Connect+ gegründet, der neben den vier ÜNB aktuell 16 große Netzbetreiber angehören. Connect+ hat sich zum Ziel gesetzt, zum einen die Datenwege zwischen Anlagen- und Netzbetreibern zu definieren, die zur Umsetzung des NABEG erforderlich sind. Zum anderen sollen Prozesse und Formate für den Koordinationsprozess zwischen den Netzbetreibern ausgestaltet werden. Aktuell steht die Erstellung eines Lastenhefts für die technische Implementierung des erwähnten Datenwegs zwischen Netz- und Anlagenbetreibern auf der Agenda. Grundlage hierfür sind zum einen die umfangreichen Vorarbeiten zu Prozessen zwischen den Netzbetreibern im BDEW sowie zum anderen die im Rahmen von Redispatch 2.0 erarbeiteten Detailprozesse. Hierzu gehört insbesondere die Identifikation des Datenbedarfs an der Schnittstelle Netzbetreiber/Plattform(en) sowie die Erarbeitung der Modalitäten für die Bilanzierung und Abrechnung des neuen Redispatchregimes

KOMMUNIKATION ÜBER IMSYS Auf der Niederspannungsebene wird zudem die Kommunikation über das intelligente Messsystem zunehmend eine wichtige Rolle spielen – sowohl für den Abruf detaillierter Einspeise- und Verbrauchswerte als auch für die Schaltung von kleineren Anlagen über CLS-Systeme (z.B. Steuerbox). Insgesamt werden für den um

fangreichen Datenaustausch zwischen den einzelnen Akteuren und Rollen zudem angepasste Sicherheitskonzepte (ISMS) zu entwickeln sein.

NETZBERECHNUNG UND PROGNOSE Grafik: iStock Bei der Bewertung der von den EIV übermittelten Prognose-Fahrplänen auf den Netzzustand kommt der in die Zukunft schauenden Netzbetrachtung eine Schlüsselrolle zu. Diese ist zwingend erforderlich, um eventuell auftretende spannungs- oder strombedingte Netzprobleme frühzeitig zu erkennen und Redispatch-Potenziale beziehungsweise -Bedarf im eigenen Netz möglichst exakt zu ermitteln. Dreh- und Angelpunkt sind hier flexible (Netzberechnungs-)Tools, die in der Lage sind, die Einspeise- und Lastsituation im Netz für den kommenden Tag vorherzusagen, Fahrpläne für eigene Anlagen zu erstellen, Fahrpläne von anderen EIV zu evaluieren und ggf. auch die Planung optimierter Redispatch-Maßnahmen zu unterstützen. An solchen Lösungen arbeiten die Systemanbieter derzeit mit Hochdruck und erste Entwicklungen sind bereits am Markt verfügbar. Dass die Prozesse und technischen Anforderungen noch nicht in letzter Konsequenz feststehen, wird dabei in der Bran

che durchgängig nicht als grundsätzliches Problem gesehen.

Darüber hinaus empfehlen Experten den Netzbetreibern, sich nach geeigneten Prognosesystemen für Wetter und Last umzusehen, die den oben skizzierten Tools „zuarbeiten“. Auch die Digitalisierung der eigenen Betriebsmittel – Stichwort Intelligente Ortsnetzstation – sollte vor dem Hintergrund der künftigen Anforderungen diskutiert werden. Redispatch 2.0

ABWARTEN IST KEINE OPTION Angesichts des engen Zeitplans sollten Marktsondierungen und erste strategische Entscheidungen noch in diesem Jahr auf der Agenda der Verteilnetzbetreiber stehen, denn die Umsetzungsverpflichtung tritt nach heutigen Erkenntnissen tatsächlich zum Stichtag 1.10.2021 in Kraft. Übergangsfristen oder Ausnahmeregelungen sind bislang noch nicht vorgesehen. Die gute Nachricht: Alle Kosten, die bis zum Stichtag beim Netzbetreiber anfallen, können als „dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten“ (dnbK) im Rahmen der Anreizregulierung berücksichtigt und auf die Netzentgelte umgelegt werden. (pq)

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GESAMTSICHT AUF DIE PROZESSE

Mit den neuen Regelungen zum dezentralen Redispatch-Management (Redispatch 2.0) kommt auf die Verteilnetzbetreiber in Deutschland ein veritables Megaprojekt zu. Wo bislang vier Übertragungsnetzbetreiber bei Bedarf den Ausgleich von Netzengpässen mit rund 100 großen Kraftwerken organisierten, müssen künftig alle deutschen Verteilnetzbetreiber die Voraussetzungen schaffen für die kostenoptimale Regelung und den anschließenden Mengenausgleich von bundesweit über 100.000 dezentralen EE- und KWK-Anlagen sowie Speichern. Im Ernstfall müssen sie selbst regelnd eingreifen und wegfallende Einspeisemengen anderweitig beschaffen „Es ist davon auszugehen, dass die Netzbetreiber künftig selbst vorausschauende Analysen des Netzzustands durchführen müssen, um Engpässe zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu bewerten“, sagt Julian Stenzel, Geschäftsführer der IVU Informationssysteme GmbH, die als Dienstleister aktuell 85 Netzbetreiber mit rund 2,2 Millionen Endkunden betreut. Die neuen Regelungen zum Redispatch 2.0 erfordern gleichermaßen strategische Grundsatzentscheidungen wie operative Konzepte. Becker Büttner Held und die IVU GmbH erarbeiten dazu gemeinsame Beratungs- und Dienstleistungsangebote.

Auch Netzbetreiber, die selbst keine Engpässe erwarten, sind verpflichtet, dem vorgelagerten Netzbetreiber Einspeiseprognosen und Redispatch-Potenziale zu übermitteln. Neben den skizzierten leittechnischen Aufgaben fällt dem VNB künftig auch die Verantwortung für den bilanziellen und finanziellen Ausgleich sowie die Abrechnungsprozesse mit den Marktakteuren zu. Nur letzteres ist bislang aus dem EEG-Einspeisemanagement teilweise bekannt, ersteres ist neu Auch Netzbetreiber mit weniger als 100.000 Netzkunden müssen künftig einen Redispatch-Bilanzkreis führen.

VIERTE MARKTROLLE „Für die Umsetzung müssen künftig also umfangreiche Daten aus dem eigenen und den benachbarten Netzen integriert und automatisiert verarbeitet werden – bis hin zu kurzfristigen Werten“, führt Stenzel weiter aus. Es gelte, die Kommunikation zwischen den beteiligten Netzbetreibern, Einsatzverantwortlichen und Bilanzkreisverantwortlichen zu automatisieren. Die genauen Anforderungen und Prozesse befinden sich aktuell noch in der Entwicklung, sicher ist jedoch, dass umfangreiche Anpassungen in den IT-Systemen der Netzbetreiber anstehen. Betroffen sind insbesondere die Leitsysteme, die Bilanzierung und die Marktkommunikation. Last but not least müssen die Konzepte zur Informationssicherheit auf die neuen Prozesse angepasst werden. „Es wird quasi eine weitere, virtuelle Marktrolle eingeführt“, so das Fazit des IVU-Geschäftsführers.

Dementsprechend sind auch die rechtlichen Fragestellungen, die mit der Umsetzung des Redispatch 2.0 verbunden sind, vielfältig und komplex. Dr. Thies Christian Hartmann, Partner bei der auf

Gesetzliche Anforderungen zum Redispatch 2.0 BDEW: Prozesse zwischen Netzbetreibern und Markt Connect+: Datenaustausch und Formate

Umsetzungsbedarf bei allen Beteiligten (Leitstelle, IT-Systeme etc.) ZUSÄTZLICHE ANFORDERUNGEN

Netzbetreiber-interne Funktionen und Prozesse

Netzbetreiber-übergreifende Funktionalitäten

Datenaustausch zwischen Netzbetreibern untereinander und mit weiteren Marktteilnehmern

Quelle:BBH

energierechtliche Themen spezialisierten Kanzlei Becker Büttner Held, betont: „Konkret geht es hier zum Beispiel um die Ausgestaltung von Vertragswerken zwischen den beteiligten Marktpartnern, bei denen die Pflichten und Haftungen genau auszutarieren sind.“ Zudem rechnet der Fachjurist mit möglichen Konfliktfällen, etwa zwischen Bundesnetzagentur und Netzbetreibern oder Netz- und Anlagenbetreibern. Diese gelte es, möglichst im Vorfeld zu vermeiden oder frühzeitig zu klären.

Aktuell sind die Verbände und die Bundesnetzagentur mit der konkreten Ausgestaltung der Rahmenbedingungen beschäftigt, im Netzbetreiberprojekt Connect+ werden zeitgleich einheitliche Lösungen für den Datenaustausch entwickelt. „BBH beobachtet und begleitet diese Prozesse sehr genau und bereitet die erforderlichen rechtlichen Instrumentarien vor“, berichtet Dr. Hartmann.

AUFSTELLUNG PLANEN Doch was genau bedeutet Redispatch 2.0 für den einzelnen Netzbetreiber und mit welchem Aufwand muss ein Unternehmen rechnen? Diese Frage ist, so Julian Stenzel, pauschal nicht zu beantworten: „Wir haben bei den Netzbetreibern ganz unterschiedliche strategische und technische Ansätze, was den Netz- und Leitstellenbetrieb angeht“, erläutert der IVU-Geschäftsführer. Die gelte es, vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen zu evaluieren. Patentrezepte gäbe es nicht. „Größere Unternehmen würden die neuen Prozesse wohl komplett eigenständig abbilden müssen und könnten eventuell auch als Dienstleister in diesem Bereich agieren“, sagt Stenzel. Viele der Aufgaben könnten aber auch von kleineren Netzbetreibern übernommen werden. Jedes Unternehmen müsse sich überlegen, welchen Stellenwert die Prozesse im Netzstellenbetrieb in der eigenen Wertschöpfungskette haben. „Wer sich hier im Sinne der Daseinsvorsorge in der Pflicht sieht, seine Verteilnetze in eigener Verantwortung

Die neuen Prozesse müssen sowohl in den IT-Systemen als auch im

Vertragswesen abgebildet werden. (Foto: shutterstock) und mit eigenen Mitteln zu betreiben, sollte sich auch mit dem Thema Redispatch 2.0 intensiv beschäftigen.“

INDIVIDUELLE KONZEPTE Die beiden Unternehmen haben sich zum Ziel gesetzt, gemeinsame Lösungen und Dienstleistungen zu entwickeln, die jedem betroffenen Netzbetreiber einen effektiven und rechtssicheren Einstieg in das neue Redispatch-Management ermöglichen.

So plant die IVU Informationssysteme, die notwendigen Prozesse über eine integrierte Softwareplattform abzubilden, die der Netzbetreiber nach seinen individuellen Erfordernissen nutzen kann. „Dabei arbeiten wir insbesondere mit unserem langjährigen Partner Wilken eng zusammen“, ergänzt Julian Stenzel. Auch BBH ist auf die unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Netzbetreiber eingestellt. Dr. Thies Christian Hartmann: „Da die einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich aufgestellt sind, wird auch der Bedarf an begleitender Redispatch 2.0 Beratung und Projektleitung, Musterdokumenten und Dienstleistungsmodellen sehr individuell ausfallen.“

FRÜHER EINSTIEG Da viele Spezifikationen seitens der Verbände, Behörden und technischen Gremien gerade erst festgelegt werden, zögern viele Netzbetreiber, das Thema anzugehen. Beide Fachleute raten jedoch, das Projekt „Redispatch 2.0“ nicht allzu sehr auf die lange Bank zu schieben. „Die Grundsatzentscheidungen auf der Management-Ebene sollten jetzt fallen“, rät Julian Stenzel, denn daraus leite sich die Ausgestaltung der operativen Prozesse ab. „Der Zeitplan bis zur Finalisierung der Vorgaben reicht bis ins nächste Jahr. Bis dahin sollte jeder Netzbetreiber wissen, wo er hin will, denn ab dem 01.10.2021 müssen die Prozesse verpflichtend umgesetzt werden“, so der IVU-Geschäftsführer. Der Jurist Dr. Hartmann verweist auf einen weiteren wichtigen Grund, frühzeitig mit den Planungen zu beginnen: „Gesetzlich garantiert ist nur der Ersatz derjenigen Umsetzungskosten, die bis zu diesem Stichtag entstehen.“

Beide Unternehmen sehen sich gut aufgestellt, die Netzbetreiber bei den notwendigen Schritten zu begleiten. (pq)

IVU Informationssysteme GmbH, Julian Stenzel, 22846 Norderstedt, jstenzel@ivugmbh.de Becker Büttner Held, Dr. Thies Christian Hartmann, 10179 Berlin, Thies.Hartmann@bbh-online.de,

Vorausschauende Netzbetrachtungen und automatisierte Kommunikation zwischen den Beteiligten sind Kernelemente beim künftigen Management von Netzengpässen (Redispatch 2.0) durch die Verteilnetzbetreiber. VIVAVIS hat sein Leitsystem dafür ausgerüstet.

NETZBERECHNUNG

Die Stromversorgung in Deutschland hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. An die Stelle steuerbarer Großkraftwerke treten zunehmend dezentrale Erzeuger, welche die Klimabilanz der Energiewirtschaft verbessern, es aber gleichzeitig auch schwieriger machen, die

Netze stabil zu halten. „Das Risiko von Netzengpässen steigt, gleichzeitig gibt es immer weniger konventionelle Kraftwerke für den gesteuerten Ausgleich solcher Engpässe“, erläutert Peter Maas, Business Development

Manager der Unternehmensgruppe VIVAVIS.

In der Konsequenz werden immer mehr entschädigungspflichtige Ausgleichsmaßnahmen auf den unteren Spannungsebenen erforderlich. „Das führt zu steigenden

Kosten, zudem erhöht sich das Risiko, dass der sichere Betrieb der Verteilnetze durch

Redispatch-Maßnahmen der ÜNB gefährdet wird“, so der Experte weiter.

Vor diesem Hintergrund sind die kommenden Änderungen im Redispatch

Management eigentlich zu begrüßen, denn sie beziehen alle Erzeugungsanlagen > 100kW und perspektivisch > 30kW (wenn fernsteuerbar) in das Redispatch-Regime ein. Diese

Anlagen sind in der Regel am Mittel- oder

Niederspannungsnetz angeschlossen, so dass damit auch praktisch alle 800 Verteilnetzbetreiber (VNB) mehr oder weniger am am Redispatch beteiligt sind. Sie müssen die Fahrpläne der redispatch-fähigen Erzeugungsanlagen in ihrem Netz, die einen Tag im Voraus geliefert werden, bezüglich möglicher Netzengpässe prüfen und einen entsprechenden Redispatchbedarf beim ÜNB anmelden. „Die neuen Regelungen beruhen stärker auf Plandaten und Prognosen und bringen für die Netzbetreiber, aber auch für Erzeuger und Direktvermarkter neue Aufgaben mit sich, die der intensiven Vorbereitung bedürfen“, fasst Maas zusammen. Eine vorausschauende Netzberechnung spiele dabei eine Schlüsselrolle.

NETZLEITSYSTEM MIT NEUEN MODULEN VIVAVIS fokussiert auf die Zukunft digitaler Infrastrukturen und will die heutigen Netze

SYSTEMSICHT NETZBETRIEB

Foto: Fotolia

fit für morgen machen. Vor diesem Hintergrund hat man das Netzleitsystem IDS HIGH-LEIT um entsprechende Funktionsmodule und Schnittstellen zu den ÜNBPlattformen erweitert, die in mehreren Pilotprojekten erfolgreich getestet wurden. Peter Maas: „Wir werden demnächst in der Lage sein, den kompletten Redispatch-Prozess, soweit er den Verteilnetzbetreiber betrifft, nach bisherigem Stand abzubilden.“ Über die Zusatzmodule können sowohl die Aufgaben des Verteilnetzbetreibers als auch die des VNB als Einsatzverantwortlicher (EIV) für regenerative Erzeugungsanlagen abgewickelt werden.

PROGNOSEBASIERENDE LASTFLUSSRECHNUNG Die prognosebasierende Netzberechnung stellt das Kernmodul für Redispatch 2.0 dar. Es berechnet für die nächsten 36 Stunden den Netzzustand im 15-Minuten-Raster, erkennt dabei eventuell auftretende Netzengpässe und ermittelt den dazugehörigen Redispatchbedarf. Neben den geplanten Einsatzfahrplänen der EIVs werden für eine vollständige Netzberechnung auch die Prognoseprofile aller nicht vom Redispatch betroffenen Erzeuger sowie die Lastprognoseprofile benötigt. Die Lastflussrechnung findet über alle Spannungsebenen (Hoch-, Mittel- und Niederspannung) hinweg statt. Die dafür erforderlichen Daten von Leitungen und Betriebsmitteln können aus vorhandenen Geoinformationssystemen (GIS) oder anderen Datenbanken importiert werden.

SCHNITTSTELLENMODUL CONNECT+ UND DA/RE „Die Kernaufgabe des VNB besteht darin, zu prüfen, ob der von den EIVs geplante Einsatz aller am Netz angeschlossenen, redispatchfähigen Erzeugungsanlagen problemlos für sein Netz erfolgen kann“, erläutert Peter Maas. Dazu erhält er bereits einen Tag zuvor ab 14:30 Uhr über die Schnittstelle zur Plattform DA/RE (nur für die Regelzone TransnetBW) beziehungsweise Connect+ (für alle anderen Regelzonen) die Einsatzfahrpläne der Anlagen als 15-Minuten-Zeitreihe. Aus Sicherheitsgründen wird die Kopplung über einen Koppelserver geführt, der das Leitstellennetz von der Schnittstelle zur Plattform physikalisch und logisch entkoppelt.

Nach der Prüfung durch die prognosebasierende Lastflussrechnung wird über diese Schnittstelle gegebenenfalls auch der erforderliche Redispatchbedarf an die Plattform zurückgemeldet. Neben den Fahrplänen werden über diese Schnittstelle auch die Netzbetreiber- und Anlagenstammdaten ausgetauscht.

EINSPEISE- UND LASTPROGNOSEN Die prognosebasierende Lastflussrechnung benötigt für alle nicht am Redispatch beteiligten Erzeugungsanlagen am Verteilnetz ebenfalls entsprechende Prognoseprofile. Das betrifft überwiegend kleinere Anlagen. Über das Schnittstellenmodul Wind- und Sonnenprognose können diese als 15-Minuten-Zeitreihe von externen Dienstleistern importiert werden.

Neben der Erzeugungssituation muss in der prognosebasierenden Lastflussrechnung auch eine Prognose für die am Netz allozierten Lasten berücksichtigt werden. Das Modul zur Erzeugung von Lastprognoseprofilen generiert auf Basis von Standardlastprofilen die entsprechenden Lastprognoseprofile als 15-Minuten-Zeitreihe und übergibt diese an die prognosebasierende Lastflussrechnung. Redispatch 2.0

MODUL EIV Zu jeder für Redispatch in Frage kommenden Anlage muss ein sogenannter Einsatzverantwortlicher (EIV) benannt werden. In dieser Rolle ist er der primäre Ansprechpartner für den Übertragungsnetzbetreiber. „Üblicherweise ist das der Anlagenbetreiber oder Direktvermarkter der Anlage“, ergänzt Peter Maas und weist darauf hin, dass in der Praxis damit natürlich auch viele Netzbetreiber selbst Einsatzverantwortliche werden. Auch für Anlagen ohne EIV übernimmt der Verteilnetzbetreiber diese Rolle (Duldungsfall).

Das Modul EIV erzeugt für diese Anlagen in Verbindung mit dem Schnittstellenmodul Wind- und Wetterprognose die entsprechenden Erzeugungsfahrpläne als 15-Minuten-Zeitreihe und übermittelt diese an die Plattform Connect+. Eine weitere wichtige Information ist die Meldung von Nichtverfügbarkeiten von Anlagen. Sie müssen direkt bei Bekanntwerden übermittelt werden, wobei zwischen geplanten und spontanen Nichtverfügbarkeiten unterschieden werden muss.

Zusätzlich muss der EIV auch die Stammdaten der Anlagen einmalig bzw. bei Änderungen an die Plattform melden. „Redispatch 2.0 ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum digitalisierten, intelligenten Verteilnetz und ein wesentlicher Baustein für das Gelingen der Energiewende“, sagt Peter Maas. Doch noch ist nicht alles festgelegt, manche Punkte sind aktuell noch offen. VIVAVIS verfolgt diese Diskussion aufmerksam, ist teilweise aktiv daran beteiligt und passt sein Portfolio Schritt für Schritt den neuen Anforderungen und Vorgaben an. (pq)

Unternehmensgruppe VIVAVIS, Peter Maas, 76275 Ettlingen, peter.maas@vivavis.com

Bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall ist die Umsetzung von Redispatch 2.0 nur eine Anwendung eines weitgehend digitalisierten Netzbetriebs. Peter Breuning, Abteilungsleiter Netzleittechnik und Mitglied im Lenkungskreis DA/RE und Connect+, berichtet.

Die neuen Regelungen zum Redispatch ab dem 1. Oktober 2021 bringen zahlreiche neue Herausforderungen für die Verteilnetzbetreiber in Deutschland mit sich. Allein die Zahl der Anlagen sowie die Auswirkungen eines steuernden Eingriffs, der sich aufgrund der unterschiedlichen Netzzustände ergibt, verdeutlichen die Komplexität der zukünftigen

Optimierungsaufgabe. Zudem zeigt sich, dass viele der neu zum Redispatch hinzukommenden kleineren Anlagen in die Niederspannungsnetze einspeisen. Deren aktuelle Netztopologie wird zwar in den Leitsystemen mitgeführt,

Mechanismen wie Lastflussrechnungen oder

Engpassprognosen sind aber eher in der Mittelspannung oder darüberliegenden Ebenen anzutreffen.

Künftig müssen die VNB innerhalb weni

Peter Breuning, Abteilungsleiter Netzleittechnik und Mitglied im Lenkungskreis DA/RE und Connect+ (Foto: Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH) ger Minuten auf einen konkreten Redispatchaufruf mit einem umsetzbaren Leistungshub antworten. Das erfordert eine automatisierte Interaktion der Geoinformationssysteme (GIS) für die Netztopologie, der Netzleitsysteme als zentrale Drehund Angelpunkte des Datenaustauschs sowie des Prognosesystems.

DIGITALER ZWILLING Aus diesem Grund haben sich die Stadtwerke Schwäbisch Hall für die Einführung der Venios-Energy-Platform (VEP) entschieden. Die cloudbasierte Software-Lösung der Firma Venios erzeugt einen digitalen Zwilling der bestehenden NS- und MS-Netze, mit dem sich Planungen, Simulationen und Manipulationen in Echtzeit und ohne Auswirkungen auf den realen Netzbetrieb durchführen lassen.

In diesem Projekt geht es aber keineswegs nur um eine Simulationsumgebung für das Netz oder die Digitalisierung analoger Prozesse, etwa das Triggern einer Lastflussrechnung in einem Netzberechnungsprogramm. Die Einführung ist Teil der weitreichenden Digitalisierungsmaßnahmen des Netzbetriebs der Stadtwerke

Fotos: freepik (evening_tao), shutterstock

Schwäbisch Hall und geht weit über die neuen Anforderungen aus dem Redispatch 2.0 hinaus. Um die notwendigen Änderungen der Prozesse umzusetzen und die Qualität der ins System eingespielten Daten zu gewährleisten, haben die Schwäbisch Haller Stadtwerke etwa ein Jahr investiert, bis die VEP einsatzbereit war.

Die Plattform bündelt alle netzrelevanten Daten aus verschiedenen Systemen. Hierzu zählen das GIS, das Asset-Management-, das EDM-, das Netzleit- sowie das Abrechnungssystem. Darüber hinaus kann die Software weitere Messwerte aus dem Netzbetrieb, Wetterdaten sowie sozioökonomische Daten aufnehmen und verarbeiten. Das fördert die Prognosegüte der Lasten im Niederspannungsnetz. Die VEP ist durch eine Schnittstelle direkt mit dem Netzführungssystem HIGH-LEIT XW verbunden, das bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall eingesetzt wird. Übertragen werden in Richtung VEP Wirk- und Blindleistung sowie Abgangsstrom und -spannung der 0,4-kV-Seite der Ortsnetzstation. Von der Plattform werden die Ampelmeldungen direkt pro Trafostation gesetzt, somit erhält der Dispatcher die

Information über mögliche Überlastungen oder Fehler im Niederspannungsnetz.

Im Projekt wurden zunächst die Daten zur Netztopologie aus dem GIS-System übernommen. Der Fokus lag dabei auf der Datenkonsistenz zwischen dem Layer der Netzanschlüsse und der Leitungsenden, da diese im VEP zusammenlaufen und die physische Verbindung herstellen. Im Anschluss wurden die Daten zu den Netzanschlüssen um weitere Informationen ergänzt, die nicht im GIS-System hinterlegt sind – beispielsweise den Verbrauchsdaten der Abnahmestellen.

WEITERE ANWENDUNGEN Mit dieser Datengrundlage kann der digitale Zwilling des Netzes auch für andere Aufgaben als den Redispatch eingesetzt werden. So ist das System in Schwäbisch Hall Teil des Auskunftswesens, hauptsächlich bei der Planung und Genehmigung von neuen Anlagen. Diese lassen sich per Dragand-Drop in die bestehende Netztopologie einfügen. In der Netzführung unterstützt die VEP die Planung und Durchführung von Bau- und Interimsmaßnahmen. Über die Simulationen kann ermittelt werden, wie sich eine Maßnahme im Netz auf die Einhaltung der Betriebsmittelgrenzen auswirkt und wodurch einer potenziellen Überlastung entgegengewirkt werden kann. Speziell in der Niederspannung wird diese qualifizierte Anlagenprüfung vor der Installation immer wichtiger, da hier zunehmend kleine Erzeugungsanlagen, dezentrale Speicher und Lademöglichkeiten für E-Fahrzeuge angeschlossen werden. Diese Einheiten werden nicht unbedingt ein netzdienliches Verhalten aufweisen und ihre Simultanität verstärkt etwaige Netzengpässe eher.

Durch die verstärkte Integration von Leistungsmessungen in den Ortsnetzstationen oder in den Stationsabgängen von Schwerpunktstationen in der Mittelspannung kann durch die Modellrechnung in der VEP eine Anpassung der Standardlastprofile (SLP) erfolgen, die iterativ gegen physische Messwerte optimiert werden kann. Wenn die SLP detailliert angepasst und verbessert werden, führt dies im Rahmen der regulatorischen Netzbilanz des Betreibers zu einer verringerten Differenzzeitreihe – und damit zu einer direkten Ersparnis im Netzbetrieb, die sich nach ersten Simulationen und Anpassungen im Realbetrieb auf mehrere 10.000 Euro belaufen könnte.

Aktuell beschränkt sich die Nutzung der Plattform auf den eigenen Netzbetrieb in Schwäbisch Hall. Allerdings schließen die Stadtwerke nicht aus, dass sich aus den Erfahrungen weitere Dienstleistungen insbesondere für kleinere und mittlere Verteilnetzbetreiber ergeben können. Geplant ist der Roll-out auf alle 20 Mandanten, für die die Verbundleitwarte der Stadtwerke in der Netzführung tätig ist.

Die Venios-Energy-Platform bündelt und verarbeitet netzrelevante Daten aus verschiedenen Systemen. Die Berechnungen für das künftige Redispatch-Management sind nur einer von vielen Anwendungsfällen. (Foto: Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH) GRUNDLAGEN FÜR Redispatch 2.0 REDISPATCH 2.0 Zusätzlich arbeiten die Stadtwerke Schwäbisch Hall als Partner in den Projekten DA/RE und „Connect+“ an der Strukturierung des gemeinsamen Datenaustauschs der im Redispatch 2.0 beteiligten Parteien aktiv mit. Die Stadtwerke testen hier die Datenverbindungen sowie die Umsetzung der Prognosemeldungen aus einem realen Verteilnetzbetrieb heraus. Datendrehschreibe ist auch hier das Leitsystem HIGH-LEIT XW der Netzleittechnik, über das die Dispatcher die Aufrufe zum Redispatch erhalten und die Ergebnisse der Prognoserechnung über die VEP an den Übertragungsnetzbetreiber zurückspielen.

Von diesen Aktivitäten können auch andere Netzbetreiber profitieren. Das Schwäbisch Haller Unternehmen bietet unter dem Namen ASCARI aus der eigenen Querverbundleitwarte heraus verschiedene Services für Netzbetreiber an, so etwa Netzführung, Störungserfassung, Reporting, Überwachung, Netzumschaltungen und Monitoring. Als Dienstleister sowie in ihrer Rolle als Smart-Gateway-Administrator verbinden die Stadtwerke mit dem Einsatz der VEP das Ziel, netzkritische Situationen vorab zu erkennen und Maßnahmen zur Vermeidung abzuleiten.

Das Engagement als Implementierungspartner in den Projekten DA/RE und „Connect+“ stellt somit sicher, dass auch zukünftig die Anforderungen des Marktes aus der zentralen Verbundleitwarte erbracht werden können und damit die Synergien aus den Partnerschaften für die Kunden erhalten bleiben. (pq)

Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH, Peter Breuning, 74523 Schwäbisch Hall, peter.breuning@stadtwerke-hall.de

Die Fernwärmeversorgung mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) während des Einspeisemanagements sicherzustellen, wurde für die Stadtwerke Flensburg zunehmend zur Herausforderung. Im Rahmen des Verbundprojektes NEW 4.0 wurde eine Power-to-Heat-Anlage erprobt, die abgeregelten Strom in Wärme umwandelt.

WÄRME AUS ABGEREGELTEM STROM

Eine Wärmeversorgung aus regenerativen Quellen – das wünschte sich die Gemeinde Tarp etwa zehn Kilometer südlich von Flensburg bereits vor über zehn Jahren und fragte bei der Stadtwerke Flensburg GmbH an, ob eine entsprechende Erweiterung des

Fernwärmenetzes möglich sei. Zum damaligen

Zeitpunkt war dies zwar technisch machbar, jedoch wirtschaftlich unrentabel. Im Jahr 2012 war es so weit und der Energieversorger baute ein dezentrales Heizkraftwerk.

Das ursprüngliche Anlagenkonzept für die

Fernwärmeversorgung sah den Bau von zwei

Blockheizkraftwerken (BHKW) mit einer Leistung von jeweils 600 Kilowatt (kW) vor, die beide mit Biomethan befeuert und entweder für die Strom- oder die Fernwärmeerzeugung genutzt werden. Zusätzlich wurde ein Holzhackschnitzel-Kessel mit einer Leistung von 3.000 kW zur rein thermischen Erzeugung gebaut. Nach kurzer Zeit wurde ein drittes BHKW errichtet mit 800 kW Stromleistung sowie 800 kW Fernwärmeleistung, wobei die Wärme mit fossilem Erdgas erzeugt wird.

EINSPEISEMANAGEMENT BREMST WÄRMEVERSORGUNG Doch die Freude über die grüne Fernwärmeversorgung währte nicht lange: Paradoxerweise führte nämlich schon ab 2013 der Ausbau der Windenergie in der Region dazu, dass der Netzbetreiber die Anlagen zur Wärmeerzeugung im Rahmen des Einspeisemanagements (EinsMan) abregeln musste, um Netzengpässe zu vermeiden. Ab 2015 führte diese Situation zu einem massiven Problem, wie Dr. Claus Hartmann von den Stadtwerken Flensburg berichtet: „Wir waren über 2.500 Stunden im Jahr nicht mehr berechtigt, Strom einzuspeisen. Dies hatte zur Folge, dass wir mit unseren Blockheizkraftwerken weder elektrische noch thermische Energie produzieren konnten.“ In diesen Zeiten lief der Holzkessel praktisch ununterbrochen, dies war in den Wintermonaten jedoch nicht ausreichend. Zur Unterstützung kam ein Reserve-Heizölkessel zum Einsatz, ein Umstand, der Claus Hartmann in zweifacher Hinsicht ärgerte: „Zum einen hatten wir der Gemeinde Tarp versprochen, Wärme aus regenerativ erzeugten Quellen bereitzustellen. Zum anderen war Heizöl im Vergleich zu den anderen verwendeten Brennstoffen sehr teuer.“ Ab 2017 erhöhten sich die Einspeisemanagement-Zeiträume sogar auf mehr als 3.000 Stunden pro Jahr, dies entspricht über einem Drittel der Heizperiode.

(Foto: Stadtwerke Flensburg GmbH)

ELEKTROHEIZER MIT EFFIZIENTER TECHNOLOGIE Die Stadtwerke Flensburg reagierten auf das Problem, indem sie Anfang Dezember 2017 die „Begegnung von Einspeisemanagement mit Elektroheizern“ organisierten – so der Name des Vorhabens im SINTEG-Projekt NEW 4.0. Dabei wurde untersucht, ob und wie ein Elektroheizer beim Einspeisemanagement den abgeregelten Strom in Wärme umwandeln kann.

Diese Power-to-Heat-Anlage kann in den Zeiträumen, in denen Netzengpässe auftreten, den elektrischen Strom vom dritten BHKW aufnehmen. Die elektrische Leistung kann dann für die Wärmeerzeugung eingesetzt werden. „Dadurch haben wir verschiedene Freiheitsgrade gewonnen“, erläutert der Energieexperte Hartmann. „Wenn kein Strom vorhanden ist, kann das BHWK auf halber Last laufen. Dann haben wir wieder die volle Last Wärme und speisen keinen Strom ein, das ist der einfachste Fall.“ Der Elektroheizer ist ein sogenannter Durchströmungserhitzer. Im Unterschied zu früheren Elektro-

ohne EinsMan

BHKW3 800 kW

BHKW2 600 kW

BHKW1 600 kW BHKW3 850 kW

BHKW2 650 kW

BHKW1 650 kW

ALT mit EinsMan

BHKW3 800 kW

BHKW2 600 kW

BHKW1 600 kW Ölkessel 850 kW

BHKW2 650 kW

BHKW1 650 kW

NEU mit EinsMan

EHK -420 kW

BHKW3 420 kW

BHKW2 600 kW EHK 420 kW

BHKW3 430 kW

BHKW2 650 kW

BHKW1 600 kW BHKW1 650 kW

IDEAL mit EinsMan

EHK -800 kW

BHKW2 600 kW

BHKW1 600 kW EHK 800 kW

BHKW2 650 kW

BHKW1 650 kW

2000 kW Strom 2150 kW Wärme 1200 kW Strom 2150 kW Wärme 1200 kW Strom 2150 kW Wärme

Dr. Claus Hartmann, Stadtwerke Flensburg GmbH 400 kW Strom 2100 kW Wärme

kesseln erwärmt sich die Flüssigkeit bei dieser Anlage erst im zweiten Schritt, wie Claus Hartmann erläutert: „Es wird ein Metall erwärmt, drum herum fließt Wasser. Vereinfacht kann man es sich wie bei einem Elektrokocher zuhause vorstellen. In einer Rohrleitung befinden sich zahlreiche parallele Heizstäbe, das Wasser wird dann mittels einer Pumpe so schnell vorbeigeführt, dass die thermische Energie abtransportiert werden kann.“ Bei den Überlegungen zum Einsatz der Technik spielten auch die Kosten eine wichtige Rolle, denn kleinere Anlagen bis zehn Megawatt Leistung können dem Energieexperten zufolge mit dem aktuellen Verfahren kostengünstiger betrieben werden.

VIER-SÄULEN-MODELL Infolge des Einspeisemanagements (EinsMan) hatten die ersten beiden BHKWs einen Einspeisevorrang, da sie mit Biomethan befeuert wurden, das BHKW 3 musste jedoch aus- und der Ölkessel eingeschaltet werden (Grafik: ALT mit EinsMan). Im Szenario NEU mit EinsMan wird das BHKW auf Halblast gefahren. Die Stromproduktion bleibt bei 1.200 kW und der Elektroheizkessel produ-

Folgen des Einspeisemanagements in den verschiedenen Szenarien. (Grafik: Stadtwerke Flensburg GmbH)

ziert umweltschonende Wärme. Im anzustrebenden Idealfall (vgl. viertes Säulenpaar) ist das BHKW 3 komplett ausgeschaltet, der überschüssige 2 Strom wird für die Wärmeerzeugung eingesetzt. „Und im absoluten Idealfall müsste man BHKW 1 und 2 ebenfalls noch vom Netz nehmen und der installierte Elektrokessel würden den Strom direkt aus dem elektrischen Netz beziehen, so dass erst gar kein Biomethan oder Erdgas eingesetzt werden müsste“, wie Hartmann ergänzt.

VOLLLASTBETRIEB TROTZ REGULATORISCHER FUSSFESSELN Letzterem Vorhaben stehen jedoch regulatorische Hemmnisse im Weg. Selbst unter Berücksichtigung der SINTEG-Verordnung, die unter anderem die EEG-Umlage um 60 Prozent reduziert und weitere Abgaben wie Netzentgelte und Konzessionsabgaben entfallen lässt, wäre der Heizölkessel im Vergleich zum Elektroheizer immer noch günstiger. Die Stadtwerke Flensburg können jedoch auf die EEGUmlage verzichten, da über ein bestehendes Heizkraftwerk der Strom ohne diese Abgabe eingesetzt werden kann. Durch diese besonderen Umstände hat der im Dezember 2017 in Betrieb genommene Elektroheizer seitdem bereits über 3.000 Betriebsstunden in Volllast geleistet.

Das Verbundprojekt NEW 4.0 läuft noch bis zum 30. November 2020. Bis dahin ist vorgesehen, mit der Powerto-Heat-Anlage noch weitere Feldtests durchzuführen. Einen flächendeckenden Einsatz würden die im Normalfall greifenden regulatorischen Hemmnisse derzeit noch verhindern, erklärt Claus Hartmann, der die Hoffnung jedoch nicht aufgibt: „Ich bin sicher, dass die selbst angelegten Fußfesseln in einigen Jahren wegfallen und dann die Energiewende nicht nur eine Stromwende bleibt, sondern auch auf die Bereiche Wärme und Mobilität weiterentwickelt werden kann.“ (ds)

Stadtwerke Flensburg GmbH, Dr. Claus Hartmann, 24939 Flensburg, claus.hartmann@stadtwerke-flensburg.de, www.stadtwerke-flensburg.de

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