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Raoul Egeli

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Helen Fricker

Helen Fricker

Sicherung der Liquidität als zentralste Aufgabe.

Gefährlicher Dominoeffekt

Raoul Egeli ist seit 2008 Präsident der Creditreform und seit 2014 Präsident von Creditreform International. Ausserdem führt er die St.Galler Egeli-Gruppe mit acht selbstständigen Unternehmen und rund 180 Mitarbeitern aus den Bereichen Treuhand, Credit- und Debitorenmanagement, Immobilien sowie Informatik. Im «Blick» prognostizierte der Gläubigerschutzspezialist und Buchautor schon Anfang Oktober eine Konkurswelle für November. Wie schlimm wird sie sein?

Raoul Egeli, wie und in welchem Ausmass kommt die von Ihnen befürchtete Konkurswelle im November tatsächlich – jetzt, wo die «zweite Welle» da ist und der Bund seine Massnahmen verschärft hat?

Leider kommt die zweite Welle früher und intensiver als von vielen erwartet. Nun gilt es, unser alltägliches und berufliches Leben so einzuschränken, dass ein weiterer Lockdown vermieden werden kann. Das hilft den Unternehmen – aber leider nicht allen. Die Zunahme der Konkurse hängt stark von den Gläubigern ab, im speziellen von der öffentlichen Hand und von den staatsnahen Institutionen. Zudem sind die Massnahmen aus dem Insolvenzrecht am 20. Oktober ausgelaufen. Diese hatten es ermöglicht, dass Verwaltungsräte auf die gesetzlich geforderte Überschuldungsanzeige verzichten, wenn sie bis zum Jahresende aus den roten Zahlen herauskommen. Es gab auch Erleichterungen im Nachlassverfahren oder die Covid-19-Stundung. Letztere wurde aber fast gar nicht beansprucht. Diese Erleichterungen fallen nun weg, was auch zu mehr Konkursen führen wird.

«Die Bereitstellung von Geldern verhindert manche Konkurse nicht – sie zögert sie nur hinaus.»

Gleichzeitig hat der Bund aber neues Geld für die gebeutelte Wirtschaft in Aussicht gestellt. Wird dieses die Konkurswelle abflachen können?

Die zusätzlichen Kurzarbeitsentschädigungen, die der Bundesrat beschlossen hat, wird helfen. Sie sind zielführend, da sie direkt denjenigen zukommen, die Einbussen haben. Härtefälle müssen in einem klar vorgegebenen Rahmen auch abgefedert werden. Für Unternehmen, die schon vor der Pandemie Zahlungsprobleme hatten, bedeutet dies nur den «Tod auf Raten». Es darf auch nicht vergessen werden: Schulden zu machen ist einfacher, als sie zurückzuzahlen. Das gilt auch für die Staatsschulden, an denen wir und wahrscheinlich auch unsere Nachkommen noch lange nagen werden. Die Bereitstellung von Geldern verhindert manche Konkurse nicht – sie zögert sie nur hinaus.

Heisst das dann einfach: Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben? Schon beim Lockdown im Sommer wurden Firmen so am Leben gehalten, die eigentlich zahlungsunfähig waren.

Geld erhielt, wer per 31. Dezember 2010 nicht überschuldet war oder sich nicht in einer Nachlassstundung befand. Wer aber dannzumal schon in Zahlungsschwierigkeiten steckte, erhielt ungeachtet dessen den Covid-Kredit. Doch die Rückzahlung bleibt fraglich. Denn es ist nicht zu erwarten, dass nach einer Normalisierung der Wirtschaft einfach zusätzliche Umsätze erzielt werden können, um die Kredite zurückzuzahlen.

Wie wird die Welle verlaufen, wie dramatisch wird sie sein – und wann zu Ende?

Die Konkursstatistik von Creditreform zeigt für die Monate März bis Oktober im Vergleich zum Durchschnitt der drei Vorjahre einen Rückgang von über 600 Konkursen. Dieser Rückgang lässt sich nur mit Covid-19-Krediten erklären, die an nicht mehr überlebensfähige Firmen gegangen sind. Konkurse sind aber nur die Spitze des Eisberges: Damit ein Unternehmen in Konkurs geht, müssen entweder die Organe handeln oder aber die Gläubiger. Für den Gläubiger bedeutet dies, dass er das Konkursbegehren stellen muss. Nur ist dies nicht kostenlos. Der Kostenvorschuss beläuft sich für den Gläubiger schnell auf 3000 bis 5000 Franken. Das macht leider in den meisten Fällen keinen Sinn. Denn die Chancen, eine angemessene Konkursdividende als Drittklassgläubiger zu erhalten, ist äusserst gering; erfahrungsgemäss liegt diese unter fünf Prozent.

Mit dem Kostenvorschuss riskiert der Gläubiger also, auch diesen noch abschreiben zu müssen.

Genau. Damit bleibt, so betrüblich das ist, nur die Option, gleich auf eine Durchsetzung der Forderung zu verzichten. Der Konkurs des Schuldners wird damit aber nur hinausgeschoben. Es ist deshalb schwierig, eine exakte Prognose zu wagen. Die Konkurse werden aber sicherlich ansteigen. Spätestens wenn die staatlich garantierten Überbrückungskredite aufgebraucht sind, wird es nochmals eine Zunahme geben. Und solange wir alle mit Covid-19 zu kämpfen haben, ist ein Ende leider nicht abzusehen.

Welche Folgen wird diese Konkurswelle für unsere Volkswirtschaft mittel- und längerfristig haben?

An und für sich keine, denn Unternehmen, die nicht überlebensfähig sind, müssen verschwinden – es folgen ihnen in aller Regel bessere nach. Dies ist der normale Zyklus. Aus jeder Krise kann auch Neues entstehen, und möglicherweise kommt es auch zu einem Innovationsschub. Viele Firmen werden aus ihrer Not eine Tugend machen, davon bin ich überzeugt. Namentlich die Digitalisierung bietet grosse Chancen. Sorge bereiten mir aber die Schulden, die wir künftigen Generationen übergeben.

«Unternehmen, die nicht überlebensfähig sind, müssen verschwinden – es folgen ihnen in aller Regel bessere nach.»

Welche Branchen werden besonders betroffen sein?

Kurzfristig am stärksten trifft es sicher die Reisebranche, aber auch das Gastgewerbe hat schwer zu kämpfen. Nur gibt es hier grössere Unterschiede. So konnten beispielsweise Unternehmen in den Tourismusregionen in den Alpen, die für die Schweizer interessant waren, im Sommer und Herbst einiges aufholen. Gerade in Städten, die von Geschäfts- und Städtereisenden frequentiert werden und deshalb besonders auf ausländische Gäste angewiesen sind, kommt es aber bereits zu ersten Konkursen oder Hotelschliessungen. Auch Unternehmen, die im Eventbereich sind, werden Mühe haben; ihr Überleben ist nicht gesichert. Hier können wir alle unseren Beitrag dazu leisten, indem wir in Zukunft, wenn es vorbei sein sollte, nicht gleich wieder in die Flieger sitzen oder das Geld zum Einkaufen ins Ausland tragen. Wir müssen uns bewusster werden, dass – wenn wir heimische Arbeitsplätze haben wollen, die unser Einkommen sichern – wir auch hier konsumieren müssen, auch wenn etwas im Ausland günstiger sein sollte.

Mit wie vielen Konkursen pro Monat müssen wir auf dem Höhepunkt rechnen?

Ich denke nicht, dass es einfach einen kurzen, hohen Peak geben wird. Die Konkurse werden über eine längere Zeit erhöht sein. Dies hängt davon ab, wann wir die Covid-19-Fallzahlen runterbringen und wir wieder in den Normalbetrieb übergehen können. Es bleibt zu hoffen, dass die dritte Welle wie erwartet schwächer ausfallen wird. Ich rechne damit, dass es sicher zu mehreren Hundert zusätzlichen Konkursen kommen wird, als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wären. Es könnten aber, je nach Verlauf, auch deutlich mehr werden. Aber wie gesagt: Die Konkurse sind nur die Spitze des Eisberges!

Darf man, ketzerisch, auch von einer Art Flurbereinigung sprechen – oder trifft es nicht nur Firmen, die bereits vor Corona angeschlagen waren?

Ich denke, das muss man sogar, zumindest bei jenen Firmen, die schon vor der Pandemie nicht mehr überlebensfähig waren. Nur dürfte es leider auch andere treffen … Es gibt ja den Grundsatz «Spare in der Zeit, so hast du in der Not». Aber mit einer solch globalen Krise konnte niemand rechnen. Wurden aber in den letzen Jahren zuviele Mittel aus dem Unternehmen entnommen, so fehlen diese jetzt. Es kann nicht erwartet werden, dass der Staat – und somit wir alle gemeinsam – für alles einstehen müssen. Die über 135000 Kredite, die an KMU gegangen sind, waren kurzfristig notwendig, um die Umsatzeinbrüche aus dem ersten, überraschenden Lockdown zu überbrücken. Aber jetzt ist das Prinzip der Giesskanne nicht mehr angebracht. Denn die meisten Schweizer KMU waren vor der Pandemie gut bis sehr gut aufgestellt.

Haben Sie beim Gläubigerverband Creditreform schon eine Zunahme der Anfragen nach Bonitätsauskünften festgestellt?

Es kommt ganz auf die Branche an. Im Onlinegeschäft haben die Anfragen zugenommen. In anderen Bereichen sind sie aufgrund des tieferen Absatzes aber zurückgegangen.

Und nach Inkassodienstleistungen?

Hier ist die Situation ganz anders. Während des Lockdowns konnten die Privaten Geld sparen: Ferien fielen weg, man konnte nicht in den Ausgang usw. Es wurde gespart, und einige haben es genutzt, um Schulden abzubauen. Sorge bereiten mir aber die kommenden Verluste der Arbeitsplätze. Dies wird weitere Privatpersonen in arge Bedrängnis bringen.

Die Konkurswelle wird auch Firmen mitreissen, denen es eigentlich gut ging, die aber aufgrund von Kundenkonkursen Geld verlieren werden. Was empfehlen Sie als Fachmann Unternehmen in der jetzigen Situation zu tun, um solche Szenarien möglichst zu vermeiden, gerade vielleicht, wenn man Klumpenrisiken unter den Kunden hat?

Ja, das ist leider so. Dieser Dominoeffekt hat auch Auswirkungen auf Zulieferer usw. Die Sicherung der Liquidität ist für jedes Unternehmen die zentralste Aufgabe. Liquidität ist der Sauerstoff, ohne den es nicht geht. Jedes Unternehmen muss seine Kreditlimiten überprüfen und an die sich verändernde Bonität des Kunden ausrichten. Es muss sichergestellt werden, dass man selbst bezahlt wird. Das heisst: zeitnahe Rechnungstellung, stringentes Mahnwesen und die Forderung zeitnah ins Inkasso zu übergeben. Damit sichert man die eigene Überlebensfähigkeit.

«Es wird zu mehreren Hundert zusätzlichen Konkursen kommen, als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wären.»

Konkurswelle verschont die Ostschweiz – noch

Im Oktober gibt es in einigen Regionen der Schweiz tatsächlich höhere Zahlen. Ostschweizer Konkursämter verzeichnen aber eher Rückgänge: Im Kanton St.Gallen gab es bis Ende Oktober 612 Firmen- und Privatkonkurse (2019: 649), im Thurgau 295 Firmen- und Privatkonkurse (2019: 321).

Text: Stephan Ziegler Bilder: Marlies Thurnheer

Tägliche Flexibilität und Agilität

Wie schön war es doch vor ein paar Monaten, als noch alles in geregelten Bahnen verlief und die Welt noch in Ordnung war! Derzeit ist alles wieder anders. Anders als im Frühling, anders als im letzten Jahr, anders als in den vergangenen Jahren.

Gefragt sind allseitige Flexibilität und unternehmerische Agilität. Was heute gilt, kann morgen schon wieder infrage gestellt sein. So gestaltet sich der Alltag für viele Unternehmer. Ein Alltag, der kein Alltag ist, sondern eine täglich neue Herausforderung.

Wirtschaftskrise

Wir alle sehnen uns nach Gesundheit, Normalität und einer gewissen Planungssicherheit. Doch diese Normalität wird so schnell nicht zurückkehren. Die gesundheitlichen Risiken werden weiter bestehen. Auch die wirtschaftliche Krise wird uns noch längere Zeit begleiten. Die betrieblichen Reserven sind vielerorts ausgedünnt, vermehrte Kurzarbeit, Entlassungen und Konkurse drohen. Auch hierbei ist allseitige Flexibilität und Agilität gefragt.

Mut fassen und hoffen

Auch den Jungen wird sehr viel abverlangt. Sie sind in einer «heilen Welt» aufgewachsen, konnten ihre Konsumwünsche jeweils weitgehend erfüllen und erlebten bisher keine tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Krise. Für alle heisst es, Verzicht zu üben, das Beste aus der Situation zu machen und die Zukunft − trotz depressiver Stimmung − optimistisch anzugehen. Nicht aufgeben, Mut fassen und weiter hoffen, lautet das Motto!

Eine «Übung» ohne Ende

Im Raum steht die zentrale Frage: Wie lange noch? Wann ist der Spuk vorüber? Wann läuft wieder alles in den gewohnten Bahnen? Ich mag mich an zahlreiche militärische Übungen und Manöver erinnern. Dabei war eines immer klar: das Ende der Übung. Die derzeitige «Übung» hat leider ein offenes Ende. Wir wissen nicht, wann sie vorbei ist. Möge sie bald vorbei sein!

Dr. rer. publ. HSG Sven Bradke Wirtschafts- und Kommunikationsberater, Geschäftsführer Mediapolis AG in St.Gallen

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