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Queer Szene – Coming out again

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Außensicht

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QUEER SZENE

COMING OUT AGAIN

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Mitte Juni schwappt ein kleines buntes Meer aus Regenbogenfahnen durch St. Pölten. „Queer is beautiful“ und „protect trans kids“ steht auf Plakaten. Glitzer, Make-up und knappe Kleidung sind der inoffizielle Dresscode. Von der Kremsergasse bis zum Rathausplatz marschiert ein Demozug, den die Stadt so noch nie erlebt hat. Die erste Pride versammelte 200 Menschen, vor allem junge Leute aus der stadteigenen LGBTIQ-Community. An diesem Tag feierten sie ohne Scham ihre Diversität. So sichtbar waren sie noch nie.

Die Pride brachte St. Pöltens queere Szene wieder ins Rollen. Zuvor war sie an ihrem eigenen Tiefpunkt angelangt. Queeriosity, ein Verein zur Förderung von LGBTIQMenschen hatte sich aufgelöst, ebenso die St. Pöltner Beratungsstelle von Tabera. Während des Lockdowns schloss das Emily Rose seine Tore. Es war das letzte Szenelokal der Stadt. Heute blickt die Community – wenn auch mit Vorsicht – optimistisch in ihre Zukunft. Eine kleine Gruppe von queeren Stadtbewohnern versucht ihrer Szene wieder Leben einzuhauchen.

Georg Bayerl sitzt um einen Heurigentisch im Sonnenpark. Er hat Chips und alkoholfreie Getränke mitgebracht, alle sollen es gemütlich haben. Mit ein wenig Verzögerung setzen sich die ersten Menschen zu ihm. Inklusive dem Sozialpädagogen Bayerl werden es heute acht sein, die den Stammtisch der STP Queers besuchen. Die meisten etwa Anfang bis Mitte 20. Noch sind sie nicht viel mehr als eine WhatsApp-Gruppe, deren Mitglieder sich regelmäßig im Park der Vielfalt treffen und dort Filme schauen oder diskutieren. Sie sprechen über ihre Coming-out-Geschichten und warum manche ihre Sexualität bis heute nicht allen in ihren Familien offengelegt haben. So manche Großeltern würde ein Outing ins Grab bringen, scherzen sie.

Heute nicht mit dabei ist Oskar Beneder. Er war Gründer von Café Queer, einer Talk-Reihe, die sich

In St. Pölten formiert sich die queere Szene neu. MFG hat sie ein Stück ihres Weges begleitet und mit Mitgliedern über ihre bevorstehenden und vergangenen Herausforderungen gesprochen.

KONTAKTE & ADRESSEN

• Coming-Out Geschichten an st.prides@gmail.com

• STP Queers WhatsApp-Gruppe https://chat.whatsapp.com/

BiCxY0TfwFGK4esQhd2YT9

• Kontakt zum Büro

für Diversität

diversitaet@st-poelten.gv.at 02742 / 3332035

2015 im Sonnenpark formierte und Vorgänger des Queeriosity Vereins war, dessen späterer Vorsitzender Beneder wurde. Gemeinsam mit Bayerl hat er auch die neue Gruppe ins Leben gerufen. Beim Interview am Tag davor erzählt Beneder von der Gründung. Bayerl war an ihn herangetreten und wollte den alten QueeriosityVerein wiederbeleben oder gleich etwas Neues schaffen. „Das war einen Tag vor der Pride. Wir haben dann noch schnell einen Link zur WhatsApp-Gruppe erstellt, auf Flyer gedruckt und sind dann damit durch die Menge.“

Beim ersten Treffen sei der Andrang am stärksten gewesen. Sie hätten Werwolf gespielt und über aktuelle Themen gesprochen. „Der Anspruch ist einmal recht niederschwellig anzufangen. Babyschritte“, sagt Mitgründerin Alexandra Pesler. Mittlerweile pendelt sich die Mitgliederzahl pro Termin auf fünf bis fünfzehn ein. Damit seien Pesler und Beneder zufrieden. Bei Queeriosity waren sie die letzten beiden aktiven Mitglieder. „Damals haben wir zu schnell zu viel gewollt.“ Darauf einigen sich beide. „Wir wollten Anlaufstelle und Plattform für ganz Niederösterreich sein, regelmäßige Treffen bieten und ein eigenes Vereinslokal haben“, sagt Beneder. Ehrgeiz, der das Projekt als Ganzes scheitern ließ.

Auch das Engagement von jemandem wie Bayerl, der als Sozialpädagoge arbeitet, habe ihnen damals gefehlt. Manche Mitglieder hätten mehr und vor allem professionelle Hilfe gebraucht. „Wir haben unterschätzt, wie präsent das Thema psychische Krankheiten in der LGBTIQCommunity immer noch ist“, sagt Pesler, „wir sind keine Sozialarbeiter. Als Freundinnen können wir beraten, aber nicht als Verein.“ Die Zahlen geben Pesler und Beneder Recht. Im Vergleich zur heterosexuellen Gesamtbevölkerung leiden queere Menschen deutlich häufiger an stressbedingten Krankheiten. Ein Grund dafür sind Diskriminierungserfahrungen. In St. Pölten seien Beschimpfungen oder Übergriffe in der Öffentlichkeit heute eine Seltenheit.

Und dann sei da noch das „ewige Coming-out“, wie es Pesler und Beneder nennen. In jedem neuen Job, an Unis oder in der Ausbildung, die Fragen seien immer dieselben. „Seit wann weißt du, dass du lesbisch bist? Wie geht das mit dem Sex? Welche Praktiken machst du? Das wollen Kollegen im Detail wissen. Aus Naivität und Neugierde, nicht aus Bösartigkeit“, sagt Pesler. Es sind Fragen, die niemand einer heterosexuellen Person in einem Arbeitskontext stellen würde. Vielen würde schlichtweg der Bezug zu Menschen aus der LGBTIQ-Community fehlen, woraufhin sie eine „naive Faszination mit unserem Sexleben“ packe. „Ich weiß, das sind an sich tolerante Menschen. Darum sage ich immer: frag einfach. Du kannst eh keine blöde Frage mehr stellen, die ich nicht schon zehnmal gehört habe.“

Um einen Safe Space vor negativen Erfahrungen zu bieten, hätten sie damals Queeriosity und heute STP Queers gegründet. Eine Anlaufstelle, bei der sich niemand über das ewige Coming-out oder Anfeindungen Gedanken machen müsse, sagt Beneder. Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit in diesem Bereich leistet das Büro für Diversität in St. Pölten. 2012 legte die Stadt hier die Aufgabenbereiche Frauen, Behinderungen, Menschen anderer Herkunft, Weltreligionen und sexuelle Identität zusammen. Themen, die alle in sich zusammenhängen. Im öffentlichen Dienst sei das einzigartig gewesen. Drei Mitarbeiterinnen kümmern sich hier um fünf riesige Themenfelder.

Um die Stadtbewohner stärker für das Thema sexuelle Identität zu sensibilisieren, veranstalten sie Events, zeigen Filme im Cinema Paradiso und haben den AchtsamkeitsPodcast „Zeit für mich“ ins Leben gerufen. Am wichtigsten seien aber Workshops für Schulen und Unternehmen. „Für junge Leute in der Stadt ist es meistens ganz normal, dass es verschiedene Gender- und sexuelle Präferenzen gibt. Sie kennen das aus Serien und Filmen“, sagt

Der Anspruch ist niederschwellig anzufangen. Babyschritte

KOLUMNE TINA REICHL

WATTEBAUSCHERL

Ich liebe Buchstaben, Schriften und Wörter. Ich liebe sprachliche Doppeldeutigkeiten, Wortspiele und Oxymora. Wer kennt es nicht, mein Lieblingsgedicht: „Dunkel war´s, der Mond schien helle, als ein Wagen blitzeschnelle, langsam um die Ecke fuhr….“ Auch Verkleinerungsformen haben es mir angetan. Wattebauscherl zum Beispiel kann ich nicht sagen, ohne dabei zu lächeln, ist das nicht einfach süß? Gspusi und Pantscherl klingen auch so harmlos und liebevoll, was kann daran verkehrt sein? Oder Zwutschgerl und Rawuza. „Nau, du kleiner Rawuza, jetzt hab ich dich aber!“ Ich verwende aber diesen Ausdruck nicht für die Absonderungen meiner Nase, sondern als eine Art Kosenamen für meinen kleinen Schlingl, also für meinen Sohn. Also jetzt nicht mehr so oft, er ist ja auch schon größer als ich. Auch das Wort „Wattebauscherl“ hab ich schon lang nicht mehr ausgesprochen. Es gibt ja jetzt nur mehr die Wattepads! Wie schade! Genauso geht’s den Sackerln an den Kragen. Kein Mensch fragt dich heute mehr, ob du ein Sackerl willst. Zumindest ist es nicht mehr gratis! Schwammerl ist auch lieb. „Gemma Schwammerl brocken?“ Oder Lackerl. „Pfiati Lackerl!“ Wenn ich aber ein Lieblingswort nennen soll, bin ich im Wiglwogl! Ich sollte mir mal eine Liste machen und immer, wenn mir eines einfällt, es sofort notieren. Hab mir eh schon einen kleinen Taschenkalender gekauft und trage mir schon die wichtigsten Termine darin ein. Moment, jetzt weiß ich es! Mein neues Lieblingswort heißt:

Herbstferien!

STOCK.ADOBE.COM FOTO

Man muss sich ein hartes Fell anlegen.

OSKAR BENEDER

Martina Eigelsreiter vom Büro für Diversität, „diese Selbstverständlichkeit führt aber dazu, dass viele nicht verstehen, warum ein eigener Pride Month mit allem Drum und Dran notwendig ist.“

Deswegen würden Eigelsreiter und ihr Team die Geschichte über die Verfolgung der LGBTIQ-Community und der Pride erzählen und erklären, warum Solidarisierung nach wie vor notwendig sei. Aber auch in Österreich war Homosexualität bis 1971 strafbar. Erst seit 2004 ist die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung gesetzlich verboten. Dieses Wissen sei wichtig, um zu verstehen, warum die Regenbogenfahne das zweite Jahr infolge auf dem Rathaus weht.

Abgesehen von der Aufklärung vernetzt das Büro die Szene unter sich. „Für queere Menschen sind wir Ansprechstelle und versuchen sie dann an Einzelpersonen weiterzuleiten, da es ja momentan keinen Verein gibt.“ Monatlich würden sich rund zehn Personen bei ihnen melden und um Vernetzung oder Hilfe bei medizinischer Beratung bitten. Das gehe von Psychotherapie bis hin zu Geschlechtsanpassung. Früher konnten sie dem Verein Queeriosity sogar eigene Räumlichkeiten im Saal der Begegnung bieten, heute ist dort eine Teststraße.

Beschwerden aufgrund von Übergriffen würden das Büro kaum noch erreichen. Trotzdem sei St. Pölten keine Insel der Seligen, sagt Eigelsreiter. „Das Hissen der Fahne ist immer wieder ein Thema. Außerdem wollten sich lange Zeit viele nicht in St. Pölten outen, sondern in größeren Städten.“

Der Mit-Organisator der Pride, Peter Schicho, bestätigt das. Auch er stand erst zu seiner Sexualität, als er in Wien zu studieren begann. Heute fühlt er sich in St. Pölten relativ wohl, sagt Schicho. „Es gibt Räume, an denen es völlig okay ist als queere Person dort zu sein. Ich denke da an das Cinema oder den Sonnenpark. Wie es abseits dieser bildungsnahen, linken Bubble aussieht, ist eine andere Geschichte.“

Mit der Pride habe St. Pölten jedenfalls ein Zeichen gesetzt. Mehr noch, die Stadt hat einer neuen Generation von queeren Menschen die Chance geboten, sich selbstbewusst zu zeigen. Auch Schicho ist heute Teil der STP Queers. Gemeinsam organisieren sie ein Magazin über Comingout-Geschichten von St. Pöltnern. In den kommenden Monaten wollen sie die LGBTIQ-Community weiter sichtbar machen. Früher hätten sie noch mehr Bedenken über ihr Auftreten in der Öffentlichkeit gehabt, das scheint sich geändert zu haben, sagt Schicho. „Die neue Generation, die ich auf der Pride gesehen habe, gibt mir Hoffnung, dass es auch in St. Pölten irgendwann keine Rolle mehr spielt, ob wir queer sind oder nicht. Diesen Weg wollen wir jetzt weitergehen.“

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