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German Angst

habe seit dieser Zeit eine Vision! Der von mir sehr geschätzte Helmut Schmidt mag es mir verzeihen, dass ich ihm widerspreche: Ich glaube nicht, dass Menschen mit Visionen zum Arzt gehen müssen. Ich träume vielmehr davon, dass wir es schaffen, Ängste und überhöhte Sicherheitsbedürfnisse loszulassen und unsere Zukunft souverän zu gestalten. Meine Vision ist es, unserer »GermanAngst« den »German Mut« entgegenzusetzen. Diese Vision ist kein Hirngespinst geblieben, sondern Wirklichkeit geworden. Mein Projekt »Mutausbruch« soll anstecken und soll uns Menschen ins TUN bringen. Also: WIE geht eigentlich Mut?

Dieses Buch ist eine Einladung, Erfolg im beruflichen und im privaten Leben anders zu denken und neue Denkräume zu eröffnen. Oder besser: Es ist eine Aufforderung, aus der Reihe zu tanzen und Mut für eine Zukunft zu entwickeln, die lebenswerter ist, als wir uns vorzustellen trauen. Ich möchte Sie anstiften, mutiger zu sein, etwas zu wagen und sich gerade in unstabilen Zeiten mit der Kreativität und der Kraft des Lebens zu verbinden. Nur so können wir auch andere Menschen mit Mut anstecken. Wie das gehen kann? Meine Impulse und die der vielen anderen Mutanstifter, die in diesem Buch zur Sprache kommen, sind ein Anfang. Das Buch ist keine Bedienungsanleitung zu mehr Mut, es lädt aber dazu ein, Mut in Zeiten des Wandels mit-, weiter- und anders zu denken und sich privat, aber auch gesellschaftlich, d.h. in allen seinen Rollen und Beziehungen, zu reflektieren: als Individuum, als Familienmitglied, als Kollege oder als Vorgesetzter, als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer.

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So viel ist sicher, nämlich das gar nichts sicher ist. Das ist kein guter Anfang? Lassen Sie uns gemeinsam umdenken: Was ist das für eine Welt voller grandioser Möglichkeiten, in der wir leben! Wenn wir uns umschauen, scheint nahezu alles möglich zu sein. Alles ist im Wandel begriffen: Altbekannte Strukturen verschieben sich,

gleichzeitig lösen sich Grenzen und Begrenzungen auf, Machtverhältnisse verändern sich und Wahrheiten, die klar gesetzt schienen, verkehren sich plötzlich in ihr Gegenteil. Nichts bleibt wie es ist, alles wird anders. In diesem Prozess eines permanenten Wandels lösen sich aber auch gleichzeitig die uns vertrauten Sicherheiten auf, einfach so. »Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.« Das hat bereits 1789 Benjamin Franklin festgestellt. Er hat Recht. Es ist die einzige Wahrheit, die tatsächlich Bestand hat: Die permanente Veränderung ist und bleibt sicher. Das ist ein Gemeinplatz und kein wirklich neues Geheimnis. Dennoch tun wir gern so, als ob das Leben endlos in seinem alten und bekannten Trott weitergehen wird. Vielleicht leben wir aber diese Illusion auch, um die vielen Veränderungen überhaupt aushalten zu können und nicht in Angst oder Panik zu verfallen. Alles entwickelt sich mit der Zeit weiter, alles wird anders, endet und wird wieder neu. Alles scheint möglich, nichts ist sicher. Aus unserer Wahlfreiheit ist eine Wahlnotwendigkeit geworden. Das ist der Preis der Freiheit. Damit ist klar, das Leben ist nicht nur ungewiss, es ist auch gefährlich. Wir müssen uns zwei unumstößliche Fakten bewusst machen:

1. Sicherheit ist eine Illusion. 2. Change ist ein Gesetz.

Wir erleben, dass mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt, der Digitalisierung, der Globalisierung und der Agilisierung in unserer Gesellschaft Veränderungen in ganz neuen Dimensionen stattfinden. Nicht nur gefühlt verändert sich alles rasanter und drastischer als jemals zuvor. Oft passieren diese Veränderungen nicht nur bedeutend schneller, als sie uns tatsächlich lieb sind, sondern sie können auch sehr schmerzhaft sein. Gerade ist uns etwas vertraut und lieb geworden, wir haben uns daran gewöhnt, haben eine Routine entwickelt, die uns wohlig in Sicherheit wiegt, schon heißt es wieder aufs Neue: Change. Was gestern noch Wahrheit war, ist heute bereits überholt und altbacken wie die Brötchen

vom Vortag. Wie sollen wir uns in dieser neuen, so unbeständigen Welt überhaupt noch zurechtfinden? Auf welcher Basis können wir sichere Entscheidungen treffen? Und wie können wir uns noch sicher fühlen? Und warum eigentlich sicher? Dass uns Menschen Veränderungen in der Regel Angst machen, wird nur selten ausgesprochen. Darin liegt, wenn Sie mich fragen, schon der erste Fehler. Es wird Zeit, dass wir das Konzept »Sicherheit« infrage stellen oder zumindest differenzierter betrachten. In Unternehmen werden Mitarbeiter zum Beispiel als »Widerständler« beklagt, wenn sie im X. Change-Prozess nicht vor Freude im Kreis hüpfen. 9 von 10 Managern gehen mit Angst zur Arbeit. Das hat eine Langzeitstudie der Fachhochschule Köln bereits im Jahr 2000 herausgefunden. Angst ist allerdings kein Thema in öffentlichen Diskussionen. Leader, die Angst verspüren? Wo kämen wir denn da hin! Angst ist das stärkste Tabuwort im Alltag eines Managers. Im Vordergrund steht dabei die Angst vor Fehlern und dem daraus resultierenden Imageverlust. Wir Menschen sind nicht zum Heldentum geboren, sondern tatsächlich eher Bewahrende statt Veränderungswillige. Uns wohnt ein hoch ausgeprägtes Sicherheitsdenken inne. Das ist stammesgeschichtlich im ältesten Teil unseres Gehirns, dem Stammhirn (auch Reptiliengehirn genannt), so angelegt. Im modernen Menschen steckt noch heute viel Steinzeit! Von wegen, die Dinge einfach mal anders machen, wenn sich doch sowieso alles ändert? Weshalb nicht etwas Neues wagen, etwas ausprobieren? Von »einfach« kann keine Rede sein. Es ist Mut gefragt. Apropos Steinzeit: Überlebt haben nicht die Mutigen, sondern die Menschen, die vordergründig sicherheitsorientiert waren. Das wird den meisten Menschen logisch erscheinen. Insofern lieben die wenigsten Menschen Veränderungen und schon gar nicht am Stück. Wir nehmen Veränderungen oft einseitig als Bedrohungen wahr. Sicherheit ist unser fundamentales oder sogar fundamentalstes Grundbedürfnis. Warum ist das so? Unser Gehirn ist stets und ständig dabei, Gefahren zu scannen. Es sieht tatsächlich immer zuerst das Negative, denn es will unser Leben schützen. Es geht darum, die Art zu erhalten und Reproduktion zu ermöglichen. Das

Bedürfnis der Sicherheitsorientierung steht damit auch für die Kontrolle über unser Leben. In Angst können wir das Neue weder hervorbringen noch leben, wir können es nicht einmal denken. Angst lässt unseren Fokus und damit all unsere Energie auf den Kampf, die Flucht oder das Sich-tot-stellen ausrichten. Diese alten Strategien passen allerdings inzwischen gar nicht mehr zu den modernen Gefahren unseres Alltags. Weder auf dem Flur unseres Büros noch im Gebüsch unseres Gartens lauert ein gefährlicher Säbelzahntiger. Vielmehr erliegen wir dem Druck der permanenten Erreichbarkeit, der Erwartung, immer jetzt und sofort – auch schwierige oder komplexe – Entscheidungen treffen zu müssen, Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, die sich am schnellen Markt orientieren, an unserer eigenen und der gesellschaftlich konditionierten Omnipotenz … und so weiter. Der Homo Sapiens wäre aber nicht der weise, gescheite, verstehende Mensch, wenn er inzwischen nicht völlig neue Strategien entwickelt hätte. Sicherheitsstrategien wie Perfektionsstreben, Prokrastination, MachoGehabe und Widerstand sind letztlich nichts anderes als moderne und angepasste Abwehrstrategien gegen die Angst. Leider sind es keine zielführenden Strategien, die unser Agieren im Wandel befördern. Es sind schlichtweg Vermeidungsstrategien und damit Adaptionen von Flucht. Es sind Strategien gegen die Angst. Als Unternehmensberaterin habe ich vielfach beobachten dürfen, wie schwer es Unternehmen oft fällt, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen. Je größer ein Unternehmen ist, je komplexer die Sachverhalte erscheinen, desto schwerfälliger gehen Veränderungsprozesse voran. Es ist ähnlich wie beim Bergsteigen. Schritt für Schritt wird abgesichert. Man geht nur so weit man sehen kann. Nur nicht verfehlen! Diese über Jahrhunderte konditionierte Sicherheitsmaschinerie lassen wir uns heute viel Zeit und viel Geld kosten. Sicher ist halt sicher!

Keine Abenteuer, keine Kreativität, keine Innovationen. Was wäre, wenn wir dieses hohe Aufkommen an Energie für unsere überhöhten Sicherheitsbestrebungen stattdessen für unsere Veränderungen nutzen würden? Was wäre dann alles möglich? Aus

dem Grundgefühl der Angst erwächst kein entschiedenes Vorwärtsgehen, kein lösungsorientiertes Agieren oder Experimentieren. Es wird Zeit, diese lähmende Angstkultur zu durchbrechen. Der Existenzphilosoph Søren Kierkegaard sieht deshalb im Aushalten von Unsicherheit ein wichtiges Merkmal für ein erfülltes Leben. Das Gefühl von Unsicherheit auszuhalten, ist die Währung unseres Mutes. Es ist naiv und illusorisch zugleich, zu glauben, wir könnten alte Ufer verlassen und neue Kontinente entdecken, ohne Unsicherheit zu erfahren. Absicherung und Vermeidung durch »Unsicherheitstoleranz« zu ersetzen, wäre in jedem Fall eine unseren Mut stärkende Maßnahme, wenn sich alles ändert und die Welt in ihrer Komplexität dennoch nach Orientierung verlangt. What if? Was wäre, wenn?

Viele Menschen »verweilen« in einem Leben, das sie nicht lieben. Das liegt daran, dass wir nur einen Bruchteil unserer Möglichkeiten ausschöpfen. Und dies trotz unserer vielen Freiheiten. Die größten Hemmnisse liegen dabei nicht im Außen, sondern in uns selbst. Die Frage What if? lässt uns über den Tellerrand schauen, über unreflektierte Gewohnheiten, automatisierte Routinen und unsere Angst vor der Zukunft hinaus. Der Schlüssel zur Veränderung liegt folglich in uns selbst. Wann haben Sie sich zum letzten Mal getraut, sich diese Frage ganz bewusst zu stellen? Übrigens:

Wenn unsere Vorfahren es nicht gewagt hätten herabzusteigen, dann würden wir tatsächlich noch immer in den Baumkronen wohnen.

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