EDEN BAHAMAS
Ich Adam, du Eva
Foto: Carolin Saage für DIE ZEIT
Das Paradies nachspielen. Geht das? RONJA VON RÖNNE und TILMAN RAMMSTEDT beziehen eine einsame Insel in der Karibik. Mit im Gepäck haben sie ein Zelt, zwei Hängematten und die Angst vor all der freien Zeit
Ronja von Rönne und Tilman Rammstedt im Garten Eden. Der ist nur mit dem Boot zu erreichen. Es gibt auf ihrer Insel zwei Strände, eine kleine Bucht. Der Rest ist Urwald
Das biblische Paradies ist ja im Grunde kein besonders interessanter Ort: bisschen Gepflanz, bisschen Getier, ein Lebenspartner, ein verbotener Baum. Schön war es doch vor allem deswegen, weil Adam und Eva noch nicht darüber nachgrübeln konnten, wie irre öde es ist, bis in alle Ewigkeit in einem Streichelzoo herumzuhocken und ihr Leben alternativlos als monogame Hardcore-Veganer zu fristen. Und das mussten sie dann ja auch nicht, denn in einem verstörend cholerischen Erziehungsanfall hat Gott als Strafe für einen Bissen vom falschen Obst nicht nur Adam und Eva, sondern gleich der gesamten Menschheit den schlimmsten Stubenarrest aller Zeiten auferlegt: das Bewusstsein. Und so bemerkten Adam und Eva endlich nach sorglos gelebter Freikörperkultur, dass sie nackt waren, und das machte sie vielleicht einen Hauch schlauer, aber vor allem auch schlagartig unglücklich. Ausgestattet mit dem zweifelhaften Trostpreis der Intelligenz, sucht die Menschheit seitdem nach dem verlorenen Paradies, ein sehnsuchtsvolles Blättern in Reiseprospekten, schau mal: Kokospalmen, schau mal: azurblaues Meer. Das wollen wir auch. Wir wollen es plötzlich unbedingt. Manchmal bemerkt man schließlich erst nach Jahren, dass man etwas verloren hat, zum Beispiel ein Paradies, und dann vermisst man es mit Haut und Haar. Unser Redakteur ist zwar etwas vorsichtiger: »Äh, ja, Palmen gibt’s auf eurer Insel vielleicht. Und klar, Tiere. Also Mücken zumindest, aber Mückenspray lassen wir springen, kein Ding, und einen Campingkocher holt ihr euch einfach vor Ort. Wirklich gefährliche Tiere sind da kaum, also echt nur ein paar, gar nicht der Rede wert, Stachelrochen und Schwarze Witwen und manchmal ein Hai, aber das war es quasi schon. Und halt Sandflöhe. Jede Menge Sandflöhe. Echt immens viele Sandflöhe. Bah, ich hasse Sandflöhe.« Aber wir hören sicherheitshalber nicht richtig hin und reisen los. 13 Stunden fliegen wir, um das Paradies wiederzufinden oder zumindest
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eine Postkartenversion davon. Unsere Insel liegt im Norden der Bahamas und ist, wie es sich für Paradiese gehört, unbewohnt und vom nächstgelegenen Flughafen aus nur per Boot zu erreichen. Es gibt zwei Strände, es gibt eine kleine Bucht, der Rest ist Urwald. Das Motorboot setzt uns ab und lässt uns dann allein. Wir machen ein Selfie, aber an wen sollen wir das bitte schicken ohne vernünftiges Netz? So müssen sich Adam und Eva gefühlt haben. Tag 1: Vielleicht hätte man die Einsamkeit zu Hause proben sollen. So stehen wir die ersten Minuten ziemlich ratlos herum und haben das Gefühl, zu stören: den Sand, das Wasser, die Bäume, den Wind. Wir passen nicht ins Bild. Dabei ist das Paradies der ungeeignetste Platz, um eingeschüchtert zu sein. Und deshalb beschließen wir, endlich all die zahllosen Dinge zu tun, die man nur auf einsamen Inseln ungestört tun kann. Uns fallen genau zwei ein. Wir ziehen uns aus und brüllen nackt und laut am Ufer herum. Das macht ungefähr zwei Minuten lang Spaß, dann fällt dem anderen auf, dass er
nackt ist, und mir fällt ein, dass es eine Million Sandflöhe geben soll, und uns beiden fällt auf, dass wir uns zu Hause auch schon oft angeschrien haben, und so super war das eigentlich nie, und meistens hat am Ende einer geheult, und immer war der eine ich. »Zelt aufbauen?«, frage ich also, und der andere nickt. Gott war dieses Mal etwas nachlässiger mit dem Komfort, aber das ist in Ordnung, wir waren ja auch etwas nachlässig mit dem Glauben. Und das ist unser Lager für die nächsten Tage: ein Zelt am Rande des Urwalds, davor zwei Hängematten, ein Gaskocher und eine Vorratskiste. Genau wie im echten Paradies gibt es auch hier kein WLAN. Wir haben zwar ein Notfalltelefon, aber weit und breit keinen Notfall und deshalb auch keinerlei Kontakt mit der Außenwelt. Mittags schwimmen wir das erste Mal. Das Wasser ist von einem grotesken Türkis, aber leider ist der andere grotesk farbenblind, sodass er nichts davon hat. Ich verliere mich in dem unmöglichen Versuch, ihm »türkis« zu beschreiben, er ver-
R E I S E N
liert sich in dem sehr möglichen Versuch, zunehmend gereizt darauf zu reagieren. Am Nachmittag reicht es uns mit dem einfachen Leben. Wir beginnen, unser Eiland zu zivilisieren. »Das da ist das Schwimmbad«, der andere zeigt auf den Atlantik, »und außerdem das Spülbecken und das Badezimmer, und Fische dürfen auch drin wohnen.« Da uns auch das kulturelle Leben wichtig ist, eröffnet bereits kurz vor Sonnenuntergang das erste Museum der Insel: Gezeigt werden ein ziemlich schönes Stück Holz und zwei am Strand gesammelte Muscheln, auch wenn in der einen noch eine Sandkrabbe lebt und das unwillige Ausstellungsstück am nächsten Morgen eh verschwunden sein wird. Obwohl so ziemlich alles dagegenspricht, behaupten die Bahamas steif und fest, dass es auch auf ihnen gerade Winter ist, und wie zum Beweis wird es pünktlich früh dunkel. Und das mit der Dunkelheit nimmt unsere Insel furchtbar ernst. Sterne müssen hier zwar sehr billig sein, denn es gibt übertrieben viele davon, aber auch die können kaum etwas ausrichten gegen die Finsternis. Also sammeln wir Feuerholz, graben ein Loch in den Sand, und um kurz nach sechs eröffnet die erste Kamin-Bar im Paradies, im Angebot Plastikbecher mit Duty-free-Wodka. Wir sind die einzigen Gäste, das wundert uns kaum noch. Wir stoßen an. »Schön hier«, sagt der andere müde, auch wenn das nicht nötig scheint. Aber ich nicke ins Dunkel, und früh tauschen wir das Sternenzelt gegen unseres aus Polyester. Tag 2: Auch im Paradies braucht man Aktivitäten, sonst wird man verrückt und fängt an, seine Mitmenschen zu essen, und das wäre sowohl mir als auch der anderen ziemlich unangenehm, vor allem wenn man später in einer Zeitung darüber schreiben muss. Also halten wir uns an die Tätigkeiten, die uns hier zur Verfügung stehen, obwohl das nicht sehr viele sind. Man kann aufs Meer schauen und es schön finden. Man kann in den Wald schauen und ihn undurchdringlich finden, man kann in der Hängematte liegen und sich fragen, warum man nicht viel öfter in Hänge-
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