Mobil Auf Zeit

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in bis zwei Jahre im Ausland arbeiten – das ist für viele Kulturmanager ein Traum. Doch was passiert mit dem Leben der kulturellen Gastarbeiter? Welche Spuren hinterlassen sie an ihrem Einsatzort? Und was nehmen sie mit? Unsere Publikation versucht nachzuzeichnen, welche Auswirkungen Mobilität im Sektor Kulturmanagement in Europa hervorbringt – auf einer persönlichen Ebene aber auch in weiteren Bereichen. Wie arbeiten involvierte Gastinstitutionen mit ihren mobilen temporären Mitarbeitern zusammen? Wie werden Projekte gedacht, entwickelt und weiterentwickelt? Welche spezifische Berufserfahrung sammeln die mobilen Kulturmanager? Und wir fragen danach, wie sich die Rahmenbedingungen und Ausbildungssituationen gestalten. Das alles   Wir wählten exemplarisch vier Länder aus, in degeschieht vor der großen Klammer Kulturaustausch. nen junge europäische Kulturmanager arbeiteten: Wir sehen jenseits einer universell gesteuerten Ver- Deutschland, Ungarn, Rumänien und Mazedonien. mischung und diesseits einer Verlautbarung kultu- Stets war es uns wichtig, nicht an Zahlen allein Veränreller Vielfalt vor allem eines: Machbarkeitsräume. derungen aufzuspüren, sondern den Blick für Details Wir sehen Wege und Orte der Begegnung im ur- offen zu halten. Denn letztlich besteht doch Europa – und somit seine kulturelle Landschaft – aus vielen sprünglichen Sinn.   Einen Versuch, länderübergreifende Kooperatio- kleinen Momenten, Kontakten und Austauschen. nen und multilaterale Kulturarbeit zu befördern, un-   Wir wünschen uns mit dieser Publikation den Beternahm die Robert Bosch Stiftung mit ihren Kultur- ginn einer Diskussion über kulturelle Projekte und managerprogrammen. Seit 2002 fördert die Stiftung Netzwerke, über das Berufsbild der Künstler und den Kulturaustausch in Europa durch die längerfris- Kulturschaffenden aber auch über Sinn und Sinnlotige Entsendung ausgewählter Stipendiaten an Kultu- sigkeit bestehender Förderungslogiken. Wir meinen: reinrichtungen im Ausland. Ziel der Programme ist Austausch kann nur nutzbringend sein. Und dafür es, die Vernetzungsstrukturen und die interkulturel- braucht es Rahmenbedingungen und Wege, die belen Kompetenzen von Kulturschaffenden in Europa gangen werden können. zu stärken.   Wir bedanken uns bei allen Unterstützen, Förderern und Beteiligten dieser Publikation, vor allem bei Stephanie Endter, die an der Ideenentwicklung mit beteiligt war. Antje Kohlrusch und Ciprian Marinescu


Kulturelle Mobilität - Mythos und Praxis Wenige Elemente der europäischen Chemie erfreuen sich so großer Attraktion wie die Mobilität. In der großen Politik kommt Mobilität nahezu der Modus der ›Bedingung der Möglichkeit‹ der berühmten europäischen Freiheiten zu. Das Erasmus-Programm ist simpel und groß, europäisch und individuell, greift oft systemisch – auch als Agens bei der Schaffung bzw. beim weiteren Ausbau des europäischen Bildungsraums, Stichwort Bologna. Von GOTTFRIED WAGNER

Kratzer am Mythos Mobilität gibt es zuhauf, wie die berühmte Mobilität des Kapitals zeigt. Gedeih und Verderb hängen immer mehr vom sinnhaften Gelingen der raschen Zirkulation des Geldkreislaufs ab. Innovative, derivative, ja möglicherweise vollständig fiktive Börsen-Titel rufen ordnungspolitische Fragezeichen hervor: Dank Mobilität und Technik können auch faule Werte in Sekunden astronomische Vermögen bilden und zerstören.   Mobilität wird auch als demographische Bedrohung angesehen und politisch gebraucht beziehungsweise populistisch missbraucht: Migration als das Medea-Programm der Globalisierung. In der Tat, Abermillionen sind unterwegs, oft unter erzwungenen Umständen, als Flüchtlinge oder nur als Wirtschaftsflüchtlinge, und werden sich auf den Weg machen, solange Ungleichheit Mobilität nahezu herausfordert. Es gibt sie zwar auch, die tausendfachen Erfolgsgeschichten moderner Arbeitsmigration und Mobilität von den armen Rändern zu den reichen Zentren; nimmt man jedoch das elektorale Potential als Maßstab, so droht hier der Konsens zu kippen, und dies hat mit der Mobilität nach unten in den (noch existierenden) Wohlstandsgesellschaften des Nordwestens zu tun.   Zur Janusköpfigkeit moderner Mobilität gehört auch das Auseinanderdriften von Globalisierungs-/ Mobilitätsgewinnern und die breite Phalanx von Globalisierungs-/Mobilitätsverlierern. Die ideologischen Versatzstücke dazu sind Liberalismus und Autoritarismus, transnationale Vernetzung oder nationale Engführung bis hin zum Neo-Nationalismus. 2

Gegen den Fetisch Mobilität hilft die transnationale Verortung vieler Künstler und Intellektueller, ihre Er-fahrung, Mobilität inhaltlich zu lesen. Künstler sind auch noch mobil, wenn sie dort bleiben, wo sie sind; sie haben den Mut, denen zuzuhören, denen Mobilität Schicksal geworden ist; sie schaffen die Welt (neu) ohne Ansehen der Her- und Hinkünfte. Ihre Mobilität ist schon unmerklich auf eine kommende Weltgesellschaft ausgerichtet, utopisch auf das Wohl aller jenseits von Identitätskarten. Künstlermobilität (pars pro toto) wirkt mit an der post-nationalen Gemeinschaft und kritisch an den Karten der Unterdrückung. Kooperation, die so entsteht, Anregung durch das Sich-Aussetzen, macht Sinn durch das ›Werk‹ und schafft Bedeutung. Gerade die Jungen, die mit dem Prekären kämpfenden Kreativen, brauchen Ermutigung und Unterstützung: Diese sind ein gutes Investment in die Zukunft.   Lange Zeit waren es die privaten Förderer, die Mobilitätsstipendien aus solchen Überlegungen finanziert haben. Nationale Agenturen sind oft daran interessiert, mittels Kulturexport die kreative Leistungsbilanz positiv zu halten oder ihren Standort durch das Anwerben von kreativen Gastarbeitern für den Wettbewerb zu stärken. Auch solche Programme können unter der Hand Paradoxes erreichen, weil Er-fahrung klug macht.   Europäische kulturelle Mobilitäts-Programme sind erst viel später diskutiert worden. Ein Haupthindernis für ein künstlerisches Erasmus ist wohl im Fehlen vergleichbarer Institutionen (Universitäten) und ihrer Abwicklungskompetenz zu sehen und in der sys-

temimmanenten Logik, dass die EU-Administration nicht die Möglichkeiten hat, kleine Förderungen zu verwalten.   Auch private Förderer, vor allem Stiftungen, haben auf lean management und Transparenz zu achten, auf die gute Mischung aus Offenheit und programmatischen Schwerpunktsetzungen, und auf die europäische Dimension, wenn sie nicht nationale Muster wiederholen möchten.   Beliebt ist‚ Mobilität mit Dauer zu verbinden: artist in residence-Programme, summer schools, twinnings, capacity building etc. Keine Frage, residencies bieten mehr Raum für inhaltliche Kooperation, die über Anbahnung hinausgeht, und entlasten Künstler für längere Zeiträume von materiellen Sorgen; sie erlauben Tiefe und Kontinuität; europäischer Mehrwert lässt sich so besser begründen, scheint es. Eine andere Form der Schärfung von Mobilitätsprogrammen ist die regionale Fokussierung, etwa auf OstMitteleuropa, oder jüngst auf die arabischen Länder. Wichtig bleibt, den Wert von Mobilitätsprogrammen durch kontinuierliche Praxis zu demonstrieren und so eine advocacy für das Europäische voranzutreiben.   Der intrinsische Wert der kulturellen Mobilität darf nie entwertet werden. In diesem Sinne ist die vorliegende Publikation zu begrüßen, verspricht sie doch Tiefensonden im Feld einer Mobilität, die Freiheit und die Kunst der Transnationalität fördert. Kulturmanagement schafft als praktische Vernunft den Rahmen, den Kunst braucht, um (öffentlich) zu werden und zu zirkulieren; tritt hinter den eigentlichen kreativen Akt zurück, wenngleich bestimmt im doppelten Sinn durch das Wissen um den Kunden, die Medien, den Markt. Mobilität wird im Kulturmanagement, das auch Geld verdienen muss – für den Künstler und für den Manager – zum Öffnen von (internationalen) Märkten, zum Touren von Projekten, die marktfähig sind. Guten Managern ist Kunst jedoch nie nur Mittel, sondern immer auch Selbstzweck.   Mobilität von Kulturmanagern hilft, transnationale Projekte anzubahnen und den Know-how-Transfer zu realisieren – auch als zivilgesellschaftlichen Ausgleichsprozess zwischen Regionen, Häusern, Kontexten, die sich als entwickelt behaupten, und solchen,

die gerade eine Entwicklung durchmachen. Hier ist das praktische Ethos entscheidend, um nicht statt Neugier auf das Andere in kulturellen Neoimperialismus zu verfallen. Dies schließt kooperative Haltungen und Strukturen ein, die zu fördern denen gut ansteht, die es sich leisten können, Reziprozität zum Beispiel oder Förderung unüblicher, aber notwendiger Bewegung.   Um Programme der kleinen Zahlen großen öffentlichen Förderern schmackhaft zu machen, muss auf das magische Wort und die Wirklichkeit von Multiplikation gesetzt werden.   Kulturpolitische Mobilitätskonzepte sollten schließlich heute auch innerhalb der Gesellschaften greifen, als Anstrengung, die vertikale partizipatorische Mobilität derer zu verbessern, die reiche Mobilitätserfahrung anderer Art mitbringen, aber in den Regieetagen, Kuratorenzirkeln etc. noch nicht angekommen (angenommen) sind.   Mobilität als Janus: Europa ist nach eigenem Verständnis der Ort, an dem die Widersprüche rund um die Mobilität im Interesse aller demokratisch ausgehandelt werden sollten. Kluge Mobilitätsprogramme, die dem Er-fahrenden nützen und auch über das Fahren hinausgehen, stiften Er-fahrung jenseits der Grenzen im Kopf. Künstler sind kundig beim Erfahren von Bedeutung. Kluges Kulturmanagement schafft den Rahmen des Machbaren für sie.   Es ist der Publikation zu wünschen, dass in ihrem Gefolge Debatten über Mobilität und Transnationalität sich in Zukunft vom Fetisch und der Magie der Zahlen ein weites Stück wegentwickeln, auch hin zur inneren Dimension von Mobilität, und dass der Fördergeist nicht erlahmt. Der Text gibt ausschließlich die persönlichen Meinungen des Autors wieder. 3


Das Deutsche Kulturzentrum in der Hauptstadt der Revolution In der Stadt Timi oara/Temeswar brach 1989 die rumänische Revolution aus. In dieser Stadt spricht man Rumänisch, Ungarisch, Deutsch, Serbisch, Französisch, Italienisch, Spanisch. Die Stadt brachte einen kulturellen Ort hervor, in dem unter einem Dach ein rumänisch-, deutsch- und ungarischsprachiges Theater sowie eine Oper geführt wird. In diesem Umfeld existiert seit zehn Jahren das Deutsche Kulturzentrum Temeswar. Von CIPRIAN MARINESCU, Foto von ADRIAN PÎCLISAN Aus dem Rumänischen von ANDREEA DINCA

Die in den 2000er Jahren entstandenen Deutschen Kulturzentren in Timișoara / Temeswar, Sibiu / Hermannstadt, Cluj-Napoca / Klausenburg, Iași / Iassy und Brașov / Kronstadt wurden von den Rumänisch-Deutschen Kulturgesellschaften als Nichtregierungsorganisationen (NGO) gegründet, deren Mitglieder von der Universität oder den lokalen Behörden kamen. Diese sollten bei der Suche nach Räumlichkeiten Unterstützung leisten und die Gesellschaften als juristischer Träger der Kulturzentren fungieren.   In Temeswar entstand 2002 das Deutsche Kulturzentrum in öffentlich-privater Partnerschaft zwischen der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft Temeswar, dem Auswärtigen Amt, das die alltäglichen Aktivitäten des Zentrums finanzierte, und der Robert Bosch Stiftung, die die Kosten für die Leiterinnen der Zentren, die durch das Programm »Robert Bosch Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa« entsandt wurden, übernahm und teilweise auch Kulturprojekte finanzierte.   Jedes der Zentren in Hermannstadt, Klausenburg und Temeswar profitierte vom Einsatz dreier Kulturmanagerinnen der Robert Bosch Stiftung. In Temeswar waren das: Senta Höfer (2002 -05), Johanna Holst (2005 -08) und Silke Krummel (2008 - 10). Seit März 2010 leitet Alina Baciu das Zentrum, die seit der Eröffnung Mitglied des Teams war. Eine der schwierigen Aufgaben, der sich das Deutsche Kulturzentrum und alle Leiterinnen (besonders Senta Höfer, Johanna Holst und Alina Baciu) stellen mussten, war stets die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. 4

Vor 10 Jahren

Senta Höfer kam 2002 nach Temeswar, als das Kulturzentrum gerade gegründet wurde. Ihre Aufgabe war es, das Zentrum aufzubauen und es einsatzbereit zu machen. Das Zentrum nahm seine Tätigkeit unter einfachen Bedingungen im Keller der Stiftung Santa Maria Hilfe auf, in dem nur Räume für Sprachkurse zur Verfügung standen. 2003 zog das Kulturzentrum in die Augustin-Pacha-Straße im Zentrum von Temeswar. Auch wenn der Eingang etwas versteckt lag, erlaubten die Räumlichkeiten nun, eine Bibliothek einzurichten und Kulturveranstaltungen wie Ausstellungen, Lesungen und Filmvorführungen anzubieten, die von den Temeswarern gut angenommen wurden. Alina Baciu begann ihre Arbeit als Freiwillige und später als fest angestellte Kulturreferentin im KulturzentrumTemeswar. Von Senta Höfer lernte Alina, so sagt sie, wie eine Institution geleitet wird. Ein Grundstein für ihren Weg zur heutigen Leiterin des Instituts war gelegt. Ein Ansatz aus vier Perspektiven

Wenn Alina Baciu über die ehemaligen Leiterinnen spricht, stellt sie deren Agenda vor, ohne sie zu vergleichen. Über die »Senta-Höfer-Ära« meint sie, sie sei eine Ära, in der der Fokus auf der Vorstellung bekannter Künstler und eines großen Publikumskreises lag. Über Johanna Holst sagt sie, dass sie sich auf 5


die Jugendlichen konzentrierte, schließlich sei »dies derzeit die Richtung der Kulturpolitik in Deutschland: der Versuch, sich vorrangig an Jugendliche zu wenden und so ein breites Publikum zu erreichen.« Obwohl Alina nicht mit Silke Krummel arbeitete (zwischen 2006 und 2010 legte sie eine Pause ein), behauptet sie, dass es Silke – im Vergleich zu Senta und Johanna – schwer fiel, sich anzupassen: »Ich glaube, für Silke war es am schwersten zu lernen, was rumänische Bürokratie und die Gesetzgebung bezüglich des Personals und NGOs bedeuten.«

Ein Flug in die entgegengesetzte Richtung

Der finanzielle Neuanfang

Ab 2010 entsandte die Robert Bosch Stiftung keine weiteren Kulturmanager nach Temeswar. Die Leitungsstelle wurde ausgeschrieben und Alina Baciu erhielt die Chance, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Aber es bedeutete auch den Verlust zweier wichtiger finanzieller Ressourcen: das Gehalt der Leitung und ein Teil der Projektgelder, die die Kulturmanager als Stipendiaten mitbrachten.   2002 begann das Deutsche Kulturzentrum Temeswar seine Tätigkeit mit der vollen Unterstützung des Auswärtigen Amts. Hinzu kamen kleine Sponsoringbeiträge; die Einnahmen aus den Sprachkursen dienten zu Werbezwecken. Die Mittel deckten die Verwaltungskosten, aber ab 2006 war diese Unterstützung in dem Umfang nicht mehr möglich. Das Auswärtige Amt förderte nun indirekt: Projekte des Kulturzentrums über das Goethe-Institut und die lokalen Behörden über Ausschreibungen. Die Miete und die Gehälter der Angestellten mussten von nun an aus den Einnahmen der Sprachkurse bezahlt werden. Das Zentrum hatte sich selbst zu finanzieren. In dieser klammen Situation erweiterte sich die Sprachabteilung. Mit der Zeit wuchs die Nachfrage nach den Sprachkursen so sehr, dass zwischen 2008 und 2009 der Veranstaltungsraum zum Unterrichtsraum wurde und die kulturellen Veranstaltungen in

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den Hintergrund traten. »Die Übernahme des Zentrums war für mich nicht leicht«, erklärt Alina. »Hatte ich anfangs viel mit der Erneuerung der Infrastruktur und der steigenden Nachfrage an Deutschkursen zu tun, versuche ich heute alles Mögliche, den Fokus wieder auf Kultur zu legen. Ich versuche, das Zentrum auf den richtigen Weg zu bringen, aber es wird noch eine Weile dauern.« Das Zentrum bleibt im Zentrum

Vor einigen Jahren suchte man erneut nach Räumlichkeiten: Das bisherige Gebäude wies bauliche Schäden auf, Schimmel setzte den Büchern zu und es gab zu wenige Räume für Sprachkurse und Kulturangebote. Bei der Suche hatte für die Leiterin Alina Baciu oberste Priorität, dass das Deutsche Kulturzentrum in der Innenstadt bleibt. Ende September 2011 konnte das Kulturzentrum in die Dr. Liviu-Gabor-Straße 1 in der Nähe des Siegesplatzes umziehen. Mittlerweile beschäftigt das Kulturzentrum sechs Angestellte und zehn Sprachlehrer.   Aber auch hier gibt es zu wenig Platz für Kulturveranstaltungen. Deshalb finden die meisten außerhalb des Hauses statt. 2012 begeht das Deutsche Kulturzentrum Temeswar sein zehnjähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass sollen alle eingeladen werden, die das Deutsche Kulturzentrum geprägt und entwickelt haben.

Die Temeswarer Alexandru Mihăescu und Andra Vaida verbrachten 13 Monate als Stipendiaten des Programms Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa in Deutschland. Im Oktober 2007 endete Alexandru Mihăescus »deutsche Eskapade« beim Forum Freies Theater in Düsseldorf, während Andra Vaida ihr »Sabbatjahr« bei der Trans-Media-Akademie Hellerau in Dresden begann.   Für beide Temeswarer bedeutete der Aufenthalt in Deutschland die Gelegenheit, zwei Kulturen und zwei Arbeitsmethoden zu vergleichen. Andra bemerkte in beiden Ländern große Unterschiede zwischen dem öffentlich geförderten und dem privatrechtlichen Sektor. Alexandru war von »der überragenden Standardisierung der Sprache, der Methodik, der Anträge im Bereich Kulturmanagement« in Deutschland überrascht.   Andra ist in der Arbeit mit rumänischen Kulturvereinen erfahren, wo man hauptsächlich Projektarbeit leistet. Sie sieht Unterschiede in der Art, wie die Instrumente des Kulturmanagements eingesetzt werden. »In Deutschland wird die Planung und die Vorbereitung eines Projekts weitaus detaillierter und strukturierter durchgeführt. Dieser Kontrollbedarf, für mich typisch für die deutsche Gesellschaft, bringt eine größere Strenge in die Projektdurchführung, was einem mehr Sicherheit in der Arbeit gibt. In Rumänien, wo die Gesellschaft eher unbeständig ist, sind das Unvorhergesehene und der Überraschungsfaktor Alltag. Infolgedessen konzentriert sich die Arbeit auf die Lösung der Probleme, und genau das macht die Durchführung der eigentlichen Planung schwieriger.«

Alexandru stört weniger die langsame Planungsphase. Eher bedrücken ihn die schlechten Finanzierungsmöglichkeiten für die freie Szene, um in die staatlichen Strukturen hineinzukommen. Er selbst hatte sich für eine Leitungsposition an einem Theater in Rumänien beworben. Erfolglos. »Probleme gibt es in der Zusammenarbeit nicht-staatlicher Institutionen wie Vereinen und unabhängigen Künstlergruppen mit der Stadtverwaltung. Das war 2007 so und ist heute noch so. Das führt zu wenig Dynamik in der kulturellen Szene«, behauptet Alexandru. Die weitere Reise

Nach dem Ende des Stipendiums ging Andra voller Elan zurück, um in Rumänien als freie Kulturmanagerin tätig zu werden. Sie wollte nicht als Festangestellte im öffentlich-rechtlich geförderten Bereich arbeiten. Aber die Realität vor Ort sah anders aus: »In einem von der Finanzkrise völlig überraschten Rumänien hatte mein Enthusiasmus sein Ziel verfehlt. Manchmal war die Notwendigkeit der Anpassung an eine weniger organisierte und strukturierte Arbeitsweise sehr frustrierend. Ich musste verstehen und akzeptieren, dass viele Dinge einfach nicht wie in Deutschland funktionieren können. Ich sah mich gezwungen, flexibler zu werden, und das tat mir gut.« Auch Alexandru suchte weniger nach einem festen Job und arbeitet als Freiberufler. Die Zukunft bleibt offen. Es mag wieder Momente geben, in denen er eine Festanstellung bevorzugt. 7


Der Kreis um das Zentrum schließt sich

Eine Zeit für Herausforderungen

Senta Höfer, geboren in Bukarest, das sie mit 17 verließ, ist Programmleiterin des »Diplomatenkolleg« und des »International Diplomats Programme« bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP). Von 2002 bis 2005 arbeitete sie in Rumänien, wo sie als Stipendiatin des Programms Robert Bosch Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa das Deutsche Kulturzentrum Temeswar aufgebaut und geleitet hat. Von 1998 bis 2001 war Senta Höfer Projektreferentin beim UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Kroatien und beim Informationszentrum der Vereinten Nationen in Bonn.

Stefanie Hübner war von 2008 bis 2010 Robert Bosch Kulturmanagerin an der Internationalen Elias Canetti Gesellschaft in Ruse, Bulgarien. Im Anschluss war sie als Fachreferentin für kulturelle Bildung am Kultursekretariat NRW Gütersloh tätig. Seit Oktober 2011 arbeitet sie in Erfurt bei der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen e.V. als Projektkoordinatorin und ist für das Freiwillige Soziale Jahr Kultur und den Bundesfreiwilligendienst Kultur und Bildung in Thüringen verantwortlich.

Mit der Alumna sprach Ciprian Marinescu.

Warum hast du dich 2002 für das Stipendium in Rumänien beworben? Obwohl es pathetisch klingen mag, ich wollte schon immer nach Rumänien zurück, um einen Beitrag zu leisten zur Entwicklung des Landes, der aber auch mich weiterbringt. Zudem war Kultur schon immer ein Bereich, in dem ich mich gut gefühlt habe, und Aufbauarbeit ist ohnehin meine Leidenschaft. Wie hast du deine Rolle in Temeswar wahrgenommen? Was war für dich am Anfang klar, dass in drei Jahren passieren muss? Das war mir damals nicht so ganz klar. Ich hatte den Auftrag, ein deutsches Kulturzentrum aufzubauen, wusste aber nicht, was mich da erwartet. Mir wurde gesagt, die vorhandenen Räumlichkeiten seien perfekt geeignet für ein Kulturzentrum. Dem war nicht so, es waren Kellerräume. Der Empfangsraum hatte keine Fenster und die anderen zwei Räume, darunter die Bibliothek, waren feucht. Mir war schnell klar, dass ich da raus muss – das war mein erstes großes Ziel. Ich habe das Zentrum Schritt für Schritt aufgebaut und musste dabei in jeder Hinsicht sehr flexibel sein. Für mich war das eine unglaublich lehrreiche Zeit. Rückblickend bin ich zufrieden, ich hätte aber am Anfang nicht vorhersagen können, wie es in drei Jahren aussehen würde. Geht das in Rumänien eigentlich? (lacht) Vor Rumänien warst du drei Jahre in Kroatien beschäftigt. War es für dich immer ein Bedürfnis, neue Kulturen zu erleben? Ja, natürlich. Ich war da gar nicht auf Deutschland festgelegt. 8

Ist es immer noch so? Vom Gefühl her ja. Jetzt ist natürlich meine Situation eine andere; unsere Kinder sind in der Schule und hängen sehr an Berlin, aber von meiner Einstellung und meiner Grundhaltung her auf jeden Fall. Sowohl in Kroatien als auch in Rumänien waren Mann und Kinder immer dabei. Hattest du schon mal das Gefühl, dass du dich zwischen Familien- und Berufsleben entscheiden musstest und du etwas vernachlässigst hast? Ich überlege gerade, ob man diese Frage so auch einem Mann stellen würde... Für mich ist es normal. Ich kenne das nicht anders, weiß es aber trotz allem auch sehr zu schätzen. Natürlich ist es nicht immer leicht, das hängt nicht zuletzt auch mit dem Anspruch zusammen, den man selbst hat, an die Zeit mit der Familie und auch an den Job. Ich habe das Glück, dass ich einen Mann habe, der das immer mit unterstützt hat. Aber es ist leider immer noch etwas besonderes, deswegen werde ich auch so oft danach gefragt. Wie blickst du auf das Kulturzentrum zurück, jetzt, da es 10 Jahre alt geworden ist? Ich freue mich, dass es das Zentrum noch gibt, das schon mal das Erste! Dass Alina Baciu, meine engste Mitarbeiterin von damals, jetzt Leiterin ist, finde ich auch wunderbar. Natürlich könnte ich dies und das kommentieren, mir überlegen, was wer wann anders hätte machen können, aber das ist hier nicht der Punkt. Es überwiegt das positive Gefühl.

Mit der Alumna sprach Antje Kohlrusch.

Warum hast du dich damals für ein Stipendium beworben und nicht nach einem Praktikum oder einem Arbeitsplatz Ausschau gehalten? Durch mein Master-Studium der Europawissenschaften in Berlin waren mir verschiedene Mobilitätsprogramme der Auswärtigen Kultur- und Bildungsmittler bekannt. Vom Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung hörte ich zuvor, aber auch die Programme des Instituts für Auslandsbeziehungen schaute ich mir genauer an. Ich wollte nicht mehr als Praktikantin tätig sein, fühlte mich aber für den Arbeitsmarkt nicht ausreichend qualifiziert. Was hat dir nach deinem Studium gefehlt? Mir fehlte ein umfassendes Kulturmanagementwissen in Theorie und Praxis. Zwar hatte ich während meines ersten Studiums der Theaterwissenschaft und Russistik in Leipzig sowie durch Praktika Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Kulturarbeit erhalten, aber das reichte mir nicht aus. Am Programm der Robert Bosch Kulturmanager reizte mich vor allem die umfassende Unterstützung, die Reflektion eigener Fortschritte und die stipendienbegleitende kontinuierliche Aus- und Weiterbildung. Im Bewerbungsgespräch wurde dann deutlich, dass ich genau das wollte: Kulturarbeit in Theorie und Praxis, persönliche Herausforderungen und eine gezielte Begleitung. Gibt es in deiner jetzigen beruflichen Position etwas, in deiner Arbeitsweise oder in deinen Kompetenzen, was dich von nicht mobilen Kollegen und Kolleginnen unterscheidet? Was haben sie möglicherweise an Erfahrung, die du nicht teilst? Bei der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen hier vor Ort, die im Kulturbereich tätig werden wollen,

kann ich viel Empathie einbringen. Wenn ich höre, dass jemand ins Ausland will, kann ich ihm sagen, dass ich das selbst auch tat. Und das motiviert, eigene Wünsche in Pläne und Ziele umzusetzen. Meinen Kolleginnen und Kollegen fehlt manchmal das Verständnis, dass es einen weiter ziehen kann als nur bis zur nächsten Stadt. Auch bringe ich Erfahrung für Vereinsstrukturen mit, die finanzielle Unsicherheiten aushalten müssen. Improvisieren und plötzliche Ausfälle machen mich weniger nervös als meine Kollegen und stellen für mich auch nicht das organisatorische Gesamtkonzept Verein in Frage. Mit Behörden umgehen, Anträge schreiben – dafür fühle ich mich trainiert. Was bedeutet es für dich persönlich, mobil gewesen zu sein? Meine Suche nach persönlicher Herausforderung war voll und ganz erfolgreich. Dennoch: Es war eine Phase und diese ist in eine weitere übergegangen, wo stabile private und persönliche Strukturen wichtiger werden: Nähe zu Freunden und Familie, das alltägliche Umfeld. Ich entschied mich bewusst gegen eine weitere mobile Laufbahn im Goethe-Institut. Welche Spuren hast du an deinem Einsatzort hinterlassen? Ich freue mich, wenn ich auf die von mir inhaltlich gestaltete Internetseite der Canetti Gesellschaft gehe oder weiß, dass Projekte und Veranstaltungsreihen von mir weiterlaufen, ein Stück Organisationsgedächtnis von mir im Alltag in Ordnern weiter existiert und natürlich gibt es freundschaftliche Verbindungen nach Ruse. Eine Freundin aus Ruse wohnt jetzt ganz in der Nähe: in Weimar. 9


Vorteile auf beiden Seiten Als interdisziplinärer Ort verbindet sich Hellerau, das Europäische Zentrum der Künste Dresden, bewusst mit Künstlern und Kunstvermittlern aus Europa und angrenzenden Ländern. Dabei profitiert die Kultureinrichtung von den Insider-Kontakten ausländischer mobiler Kulturmanager wie des aserbaidschanischen Stipendiaten Vazeh Mustafa. Von LARS MÜLLER, Fotos von TONI KLEMM

Mit einem Kopf voller Ideen und schier endlosem Tatendrang war Vazeh Mustafa im Oktober 2011 nach Sachsen gekommen. Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste Dresden hieß sein Ziel. Doch finanzielle und konzeptionelle Zwänge einer professionell geführten deutschen Bühne bremsten den 27-Jährigen aus Aserbaidschan zunächst aus. Der Stipendiat der Robert Bosch Stiftung wurde von Produktionsleiter Andreas Lorenz erst einmal zum Zuschauen verdonnert. »Mindestens vier Vorstellungen pro Woche standen auf dem Plan«, erinnert sich Mustafa. Das war wichtig, um das Haus mit seinem Konzept – im Mittelpunkt stehen moderner Tanz und zeitgenössische Musik – kennenzulernen. Danach wurde der angehende Kulturmanager in laufende Produktionen des Festivals »Kids on Stage« eingebunden und darf inzwischen auch ein eigenes Projekt bis zum Herbst auf die Bühne bringen. »Ich habe Kompositionsaufträge an fünf junge Komponisten aus meiner Heimat vergeben«, erklärt Mustafa in perfektem Deutsch, während er sich in einer Kaffeepause eine Zigarette anzündet. Die Komponisten studieren in Westeuropa und den USA, haben sich zeitgenössischer Musik verschrieben und passen deshalb gut in den Spielplan von Hellerau. »Ich kenne die Komponisten alle persönlich aus Baku, sie haben das Zeug für eine internationale Karriere«, sagt Mustafa selbstbewusst. Der studierte Umweltingenieur, der unter anderem eine Zeitlang auf einer Ölplattform gearbeitet hat, organisierte zwei Jahre lang in seiner Heimat Kulturevents und Festivals für zeitgenössische Musik. Das sei überwiegend ehrenamtlich gewesen, sagt er.   Trotz dieser Erfahrungen musste der Quereinsteiger an dem Konzept, das er bereits vergangenen Herbst mit nach Hellerau gebracht hatte, herumbas10

teln, damit die Aufführungen in einem halben Jahr auch tatsächlich genügend Zuschauer ins Festspielhaus Hellerau locken werden. Die künstlerische Leitung des Hauses hat bei der Entscheidung grundsätzlich das letzte Wort. Schließlich soll auch die Arbeit des aserbaidschanischen Stipendiaten dem Anspruch des Hauses genügen. Sie ist im Rahmen von »Tonlagen – Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik« im Oktober 2012 geplant, dessen Wurzeln in Dresden bis 1986 zurückreichen.   Es sei eine Symbiose aus deutschen Musikern des Hausensembles Courage und den aserbaidschanischen Komponisten geplant, sagt Produktionsleiter Lorenz, der Mustafa schon vor einer Weile in Baku kennengelernt hatte. Offenbar vertraut Lorenz dem künstlerischem Gespür seines Schützlings. Letztendlich profitiert auch die Bühne von Mustafas Kontakten in die freie Kunstszene seines islamisch geprägten Heimatlands. »Eine Aufführung von Werken aserbaidschanischer Komponisten würde es ohne Vazeh in Hellerau nicht geben«, sagt Lorenz. Die freie Kunstszene sei in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion kaum ausgeprägt. Diktatorisch geführte Länder und eine konservative, an der sozialistischen Zeit orientierte klassische Ausbildung behinderten die Entfaltung der Künstlerinnen und Künstler, meint Lorenz, »Es gibt kaum Kontakte dorthin.« Es kämen bisher auch keine Angebote aus der GUS-Region, die dem künstlerischen Anspruch von Hellerau gerecht werden. Auf staatlich abgesegnete ausländische Kunst wiederum verzichte das Festspielhaus. Mustafa bestätigt die Probleme auch für seine Heimat. Zwar dürften Künstler ins Ausland reisen. Daheim allerdings blicke das Alijew-Regime kritisch auf die freie Kunstszene. Spontane Aufführungen vor Publikum könnten als 11


Kundgebungen gegen das System gewertet werden. lerau. Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste »Man ist entweder für oder gegen die Regierung«, Dresden versteht sich als ein interdisziplinäres und sagt Mustafa nachdenklich. Diese Einschränkungen internationales Zentrum für zeitgenössische Künste, führen nach Lorenz’ Beobachtungen allerdings auch in dem alle zeitgenössischen Kunstsparten vertreten dazu, dass engagierte Künstler besonders progressiv sind: Musik, Musiktheater, Tanz, Theater, Perforauftreten und sich so um die nötige Aufmerksamkeit mance, neue Medien, digitale Künste, Bildende Kunst, Literatur. Der zentrale Fokus liegt auf dem zeitgenösim Ausland bemühen.   Mit Blick auf Osteuropa erkennt der Produktions- sischen Tanz, der zeitgenössischen Musik und den leiter von Hellerau, der als Tonmeister und Journalist neuen Medien, erklärt die Sprecherin der Einrichtung, seit Jahrzehnten die europäische Kulturszene beob- Katja Solbrig. Das Haus blickt auf eine wechselvolle achtet, vor allem in der Ukraine mit Festivals in Lem- Geschichte zurück: 1911 wurde das Festspielhaus Helberg und Odessa, in Serbien sowie in Kroatien ein lerau – als Ergänzung zur Gartenstadt und den Deutvielversprechendes Aufkeimen der freien Kulturszene. schen Werkstätten Hellerau – nach den Plänen HeinDas offene Polen wiederum habe schon in der »ro- rich Tessenows errichtet. Der Mythos Hellerau speise ten Zeit« eine vielschichtige Künstlerszene hervorge- sich aus der großartigen Wirkung des Festspielhauses bracht und diese behaupte sich bis heute. Sorgenfalten – seiner Architektur ebenso wie seiner Ausstrahlung auf die Stirn treiben ihm hingegen die Entwicklungen als Kunstort der Moderne, so Solbrig. Inspiriert von in Belarus, Russland und seit kurzem auch in Ungarn. den Lebensreformgedanken des ausgehenden 19. Jahr  Mustafas erklärtes Ziel ist es, die fünf aserbaid- hunderts entwickelte sich Hellerau schnell zu einem schanischen Komponisten, deren Werke in Dresden- »Laboratorium der Moderne«. Bis zum Ausbruch Hellerau aufgeführt werden, in ganz Deutschland des Ersten Weltkriegs entfaltete das Haus mit seinen bekannt zu machen. Produktionsleiter Lorenz lässt namensgebenden Sommerfestspielen eine bis heute seinem Schützling genügend Freiraum, bundesweit andauernde Strahlkraft. Hellerau gilt heute wieder als andere Festivals, Konzerthäuser und Bühnen zu besu- Inspirationsquelle für die Architektur, den zeitgenöschen und dort Kontakte in die Kunstwelt zu knüpfen. sischen Ausdruckstanz, moderne Designformen und   Für ihre Arbeit erhalten die Nachwuchskompo- als Wiege der Rhythmikausbildung – obwohl es zwischenzeitlich unter anderem als Militärlager genutzt nisten in Hellerau zwar kein Honorar, allerdings die Chance, in Deutschland bekannt zu werden. Im Pu- worden war und der Sowjetarmee von 1945 bis 1992 als blikum sitzen gewöhnlich Musikwissenschaftler und profane Kaserne diente. Nach dem Abzug der letzten Soldaten der sowjetischen Armee begannen die ersten Kritiker. Gut möglich, dass diese die eine oder andere Partitur mitnehmen und für Folgeaufträge und -auf- Initiativen mit der kulturellen Wiederbelebung und tritte sorgen. Allerdings müssen sich die Aserbaid- Wiederaneignung des traditionsreichen Ortes. schaner in Dresden auch dem Publikum und seiner   Verschiedene Kulturinstitutionen siedelten sich auf Bewertung stellen. Direkter Kontakt zwischen Künst- dem Gelände an. Mit Mitteln des Freistaates Sachsen lern und Zuschauern ist fester Bestandteil in Hellerau, wurden zudem die Innenräume des Festspielhauses wiederhergestellt und nach zweijähriger Bauzeit im wann immer es organisatorisch machbar ist.   Vor Vazeh Mustafa hatte die Dresdner Bühne be- September 2006 wiedereröffnet. Seit 2003 ist das Tanzreits vier Stipendiaten – aus Litauen, Rumänien, Bos- theater Derevo fest in Hellerau ansässig, 2004 bekam nien und Herzegowina und der Slowakei. Alle haben die Forsythe Company hier eine feste Residenz. Seit mit eigenen Projekten Akzente im laufenden Spielplan 2009 wird das Haus nun wieder ganzjährig bespielt. setzen können, sagt Lorenz. Den Betreuungsaufwand Mit der Fertigstellung der Fassade im Oktober 2011 beschreibt der Produktionsleiter als überschaubar. Al- war die Sanierung des Festspielhauses abgeschlossen. lerdings müssen sich die Kulturmanager in das Team   Die Entwicklungslinie des Hauses scheint fest geintegrieren und dazu die deutsche Sprache beherrschen. steckt. »Hellerau knüpft nun an die Glanzzeit der   Das Festspielhaus Hellerau ist heute aus der inter- Gründerjahre an«, so Sprecherin Solbrig. Man sieht national beachteten Dresdner Kulturszene nicht mehr sich als eines der wichtigsten interdisziplinären Zenwegzudenken und positioniert sich ganz bewusst jen- tren zeitgenössischer Künste in Deutschland und seits des barocken Stils der wiederaufgebauten Alt- Europa. Die mobilen Kulturmanager tragen nicht stadt in der beschaulichen naturnahen Siedlung Hel- unwesentlich dazu bei. 12


Machtpolitik statt Kulturpolitik Inhalte und Ausrichtungen der Kulturpolitik unterliegen dem öffentlichen Diskurs und der politischen Aushandlung. Seit den 2010er Jahren werden in Ungarn die Karten nach anderen Kriterien verteilt: Die Regierung übt massiv Einfluss auf die Definition von Kunst und Kultur aus. Wie gehen international erfahrene Kulturmanager damit um? Von ÁGNES SEBESTYÉN

Es tut mir wirklich leid, dass ich nichts Positives und Hoffnungsvolles über die gegenwärtige ungarische Kulturpolitik schreiben kann: Das waren meine Gefühle, als ich versuchte, meine Meinung und die von einer Stipendiatin und einem Alumnus des Programms Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung, Katalin Erdődi und Gábor Törőcsik zusammenzufassen. Es mag zwar theatralisch klingen, aber es sieht im Moment so aus, dass die ungarische Kulturpolitik die internationale Mobilität der Akteure der ungarischen Kultur- und Kunstszene kontraproduktiv fördert, indem ihre Arbeitsbedingungen zunehmend so unerträglich und absurd werden, dass sie sich gezwungen fühlen, im Ausland eine Arbeit oder ein Stipendium zu suchen.   »Hey Europe, sorry about my minister president« stand auf einem von der Presse viel gezeigten Transparent während der Demonstrationen gegen das offizielle Inkrafttreten der neuen ungarischen Verfassung, die seit Januar 2012 nun »Grundgesetz von Ungarn« heißt und das Wort »Republik« aus dem offiziellen Namen des Landes gestrichen hat. »Helden, Könige und Heilige« heißt die Ausstellung, die mir den letzten Anstoß gab, einen unbezahlten und unbefristeten Urlaub als Mitarbeiterin der Ungarischen Nationalgalerie zu beantragen und meinem Mann in die Schweiz zu folgen. Die Ausstellung wurde aus Respekt für die neue Verfassung ins Leben gerufen: Voluminöse Öl-Hauptwerke der historischen Malerei sind mit einer Serie von 15 zeitgenössischen Kunstwerken ergänzt, die Ereignisse aus der jüngeren ungarischen Geschichte, darunter die Unterzeichnung der neuen Verfassung, darstellen. Zum Kurator ernannte der Präsident einen PR-Beauftragten der Regierungspartei und ehemaligen Theaterdirektor, der die Illustra14

tionen für das »Grundgesetz« in Auftrag gab. Abgesehen von der unaussprechlich schlechten Qualität der sogenannten Kunstwerke, hätte ihre »freie« Interpretation der Geschichte und die Art und Weise des Entstehens der Ausstellung zu einem Widerstand der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Nationalgalerie führen sollen. Aber es geschah nichts, was ich ganz unakzeptabel fand.   Was letztlich zu Protesten führte, war die im engsten Regierungskreis ohne jegliche ernsthafte Begründung oder Konsultation mit dem Fachministerium getroffene Entscheidung, die Ungarische Nationalgalerie als eigenständige Institution aufzulösen. Sie hätte ihre Existenz mit dem 29. Februar 2012 beenden sollen, aber der Tag kam und trotz des großen öffentlichen Interesses, mit dem die Geschehnisse mittlerweile verfolgt wurden, verschob man die angesagte Fusion mit dem Museum der Schönen Künste einen Tag vorher auf ungewisse Zeit. Der Direktor, Ferenc Csák, kündigte bereits vor Beginn des Jahres. Weitere Mitarbeiter wurden entlassen oder kündigten. Diese Ereignisse, die ich hautnah miterlebte, weisen meiner Ansicht nach typische Charakteristika der gegenwärtigen ungarischen Kulturpolitik auf: Eine starke Tendenz zur Zentralisierung, die Missachtung der fachwissenschaftlichen Gremien bei Verabschiedung der Gesetze oder kurzfristige und unrealistische Regierungsverordnungen, deren Umsetzung bald scheitert, willkürliches Eingreifen in die institutionellen Strukturen und Programme im Namen eines undefinierten national-konservativen Wertesystems.   »Das Theater in Eger (eine Kleinstadt im nordöstlichen Teil Ungarns) gehörte schon immer zu den spannenden regionalen Institutionen in Ungarn: Sämtliche Auszeichnungen und Kritiken bewiesen

es«, erzählt der ehemalige Robert Bosch Kulturmanager Gábor Törőcsik. »Und das lag meistens an den alten Direktoren, die 2011 mit Unterstützung der lokalen politischen Elite durch jemanden ersetzt wurden, der in kurzer Zeit den innovativen Ort in eine sogenannte klassische nationale Volksbühne verwandelt hat«, beklagt sich Gábor. Leider ist das kein Einzelfall: Man denke nur an den des Budapester Neuen Theaters, der auch in den deutschsprachigen Medien besprochen wurde, und europaweit Proteste auslöste, aber ohne jegliche Konsequenzen.   Trotz des massiven Eingreifens in das Leben der wichtigsten Kulturinstitute scheint die Kulturpolitik eine zweitrangige Rolle zu spielen. Das Kultusministerium wurde sofort nach dem Amtsantritt der neuen Regierung vor zwei Jahren aufgelöst und in ein Staatssekretariat im Ministerium für Nationale Ressourcen verwandelt, wo neben Kultur auch Bildung, Gesundheit, Sozialwesen und Sport untergebracht sind. Gleichzeitig kam es zu drastischen Budgetkürzungen, die den Kultur- und Bildungsbereich mehr als alle anderen bestraften: Staatliche Kulturinstitutionen wurden mit 20 bis 40 Prozent Kürzungen konfrontiert, wichtige städtische Institutionen willkürlich aufgelöst und notwendige Förderprogramme eingestellt. Zum Beispiel wurden circa 30 Prozent der Mitarbeiter der Ungarischen Nationalgalerie entlassen; das Ungarische Nationalmuseum konnte wöchentlich einen Tag weniger geöffnet sein; kleinere Museen mussten im Winter geschlossen bleiben, um Energie zu sparen. Nichtregierungsorganisationen der unabhängigen Kultur-und Kunstszene, deren Tätigkeit bisher auf jährlich beantragte Projektgelder basiert hatte, sind am meisten betroffen. Unter Protesten wurde zum Beispiel das unabhängige Kulturzentrum und Künstlerhaus »Tűzraktér«, dessen Tätigkeit 2006 mit dem »EUREGIO Innovationspreis« und 2010 mit dem Preis »Pro Urbe Budapest« ausgezeichnet wurde, im März 2011 geschlossen, weil die Organisatoren die unrealistisch erhöhten Mietkosten nicht mehr zahlen konnten.

Gábor Törőcsik, unter anderem Vorstandsvorsitzender des Vereins »Part« (das Ufer) mit Sitz in Eger, berichtet, dass, obwohl sie schon immer mit minimalem Budget gearbeitet haben, die Einstellung des sogenannten PANKKK Förderprogramms (Programm für Nationale Zeitgenössische Musik) sie schwer betroffen habe. Ihre Veranstaltungen, die lokale Subkulturen ansprechen, werden jetzt zumeist nur noch aus persönlichem Engagement organisiert.   Katalin Erdődi, ehemalige Robert Bosch Kulturmanagerin und Gründungsmitglied des Vereins Artopolis und Initiatorin des Projekts »PLACCC«, einem internationalen Festival für Kunst im öffentlichen Raum, erzählt, dass sie dank Projektgeldern überleben und deswegen von den aktuellen kulturpolitischen Tendenzen stark abhängig sind. »Seit 2008 haben wir an drei durch das EU-Programm Kultur finanzierten Kooperationen teilgenommen. Der dafür benötigte Eigenanteil wurde für uns beim Nationalen Kulturfonds gesichert. Es sieht so aus, dass diese bisher quasi automatische Förderung abgeschafft wird«, klagt sie. Innovative Projekte können ohne internationale Projektgelder kaum verwirklicht werden, aber die Regierung scheint keinen Wert darauf zu legen, diese Initiativen zu unterstützen. »Das Eigenteil-Förderprogramm war zwar vorbildhaft, aber es hat nur EU-Kooperationen gefördert, die nur einen Bruchteil der internationalen Möglichkeiten darstellen. Es wäre wichtig zu erkennen, dass eine komplementäre Förderung der internationalen Zusammenarbeit einen Multiplikatoreffekt auf den Kulturbereich hätte«, meint Katalin.   Leider scheint die ungarische Kulturpolitik andere Prioritäten zu setzen. Es gibt schon länger Sonderförderungen, die Kooperationen mit ungarischen Minderheiten aus den Nachbarstaaten bevorzugen, aber diese sind seit dem Regierungswechsel übermäßig in den Vordergrund gestellt worden. Das tatsächliche Ziel dieser Förderung scheint eine Sicherung der politisch Alliierten zu sein: Örtliche Pressemeldungen bestätigen, dass jene Institutionen und Organisationen bevorzugt wurden, die engste Beziehungen mit der ungarischen Regierungspartei pflegen. »Diese Tendenz verzerrt ungerechtfertigt die internationale Orientierung der Kulturpolitik und verhindert die internationale Vernetzung«, argumentiert Katalin. 15


Hauptstadt vs. Provinz: Warum weniger oft mehr ist In Ungarn, so sagt man, spielt sich das entscheidende politische und kulturelle Leben in der Hauptstadt Budapest ab. Alles andere ist Provinz. Kulturmanager entdecken in diesem Spannungsfeld Erstaunliches und berichten von kreativen Räumen und mobilen Korridoren. Von KATJA MELZER und AXEL HALLING Fotos von BÁLINT RÁDÓCZY

Jeder Nicht-Ungar, der eine Weile in diesem Land zu tun hat, wird von einigen landesbezüglichen Belehrungen seiner Bewohner nicht verschont bleiben: dass Ungarn historisch ein viel größeres und wichtigeres Land war, dass der Kräuterschnaps Unicum ein außergewöhnlich gesundes Heilmittel ist und dass alles außerhalb der Hauptstadt Provinz ist.   Auf den ersten Blick bestätigen die Zahlen das Vorurteil: Budapest hat 1,6 Millionen, die nächstgrößere Stadt Debrecen hingegen nur 200.000 Einwohner. Erst hinter Miskolc und Szeged folgt die europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2010, Pécs (dt. Fünfkirchen), mit 156.000 Einwohnern. Die Zahlen sagen aber wenig über die tatsächliche Urbanität der Städte aus. Eine ungarische Stadt von 100.000 Einwohnern entspricht gefühlt einer fünfmal so großen deutschen. Das liegt zum einen an der in Ungarn um mehr als die Hälfte geringeren Bevölkerungsdichte (ca. 107 Einwohner/ km² zu 225 Einwohner/ km² in Deutschland), welche die Bedeutung von regionalen Zentren aufwertet. Zum anderen spielt die relativ große lokale Dichte an Kulturgütern, -einrichtungen und -akteuren eine Rolle. Besonders Pécs macht seine vergleichsweise geringe Einwohnerzahl mit einer infrastrukturellen Verdichtung im Bereich der Kultur wett. Es gibt eine hohe Zahl von Mittel- wie Hochschulen, die künstlerisch orientiert sind, Museen, Theater und Kinos. Dazu aktive Interessengruppen (zum Beispiel Musik, Sport, Studenten, Kunst, Minderheiten) wie die Nähe der Stadt zu mehreren nationalen Grenzen.

Strukturelle Herausforderungen

Was spricht für und was gegen die Kulturarbeit in der Provinz? Können auf dem Land tragfähige Strukturen gegenüber der Metropole Budapest bestehen? Die offensichtlichen Nachteile: Eine kleinere Stadt hat in absoluten Zahlen ein geringeres Potential von Kulturakteuren und -institutionen als eine zehnmal größere Stadt. Es gibt weniger Möglichkeiten der Kulturvermittlung, zum Beispiel über Medien, und auch eine kleinere Menge an potentiellem Publikum beziehungsweise an unterschiedlichen Zielgruppen. Ganz zu schweigen von dem geringeren Input von außen, etwa durch organisierte Kulturprogramme, Institutionen oder Einzelpersonen. Es gibt eine kleinere Auswahl an Sponsoren und bei potentiellen Sponsoren auch weniger Verständnis dafür, dass Kulturarbeit Unterstützung braucht. Diese Herausforderung kann zum Teil durch die Dichte der kulturellen Infrastruktur in Bezug auf die Einwohnerzahl wieder relativiert werden. Nachteilig ist die hohe Fluktuation der Kulturakteure, die oft nach wenigen Jahren die Provinz verlassen. Die strukturelle Bipolarität des Landes sorgt auch dafür, dass bestimmte kulturbezogene Entscheidungen nicht eigenverantwortlich vor Ort, sondern in der Hauptstadt getroffen werden. Allerdings gibt es auch einige Vorteile.   Vorteil 1: In der Provinz können schneller Kontakte geknüpft und Projektpartner gefunden werden. Bewährte Methoden zur Kontakt-Akquise (Nutzung lokaler Informationskanäle über offizielle Stellen, 17


Medien, aber auch persönlich angewandtes Schneeball-Prinzip) wie auch die Bekanntschaft zu lokalen Kulturgrößen, die wiederum über etabliertes Beziehungskapital verfügen, können sehr schnell die richtigen Partner für die jeweiligen Aktionen gewinnen. Bei der Überschaubarkeit der Szene ist die Pflege dieser Kontakte weitaus weniger aufwändig als in einer Metropole. Jedoch muss bei der Projektpartnerwahl mehr als in der Großstadt darauf geachtet werden, ob die Interessen beziehungsweise die Qualität der angestrebten Kooperation auf gleichem Niveau liegen. In der Provinz ist das Gefälle zwischen Hoch- und Niedrigkultur automatisch steiler als in der vielfältigeren Großstadt.   Vorteil 2: Wenig Geld kann viel Ergebnis erzielen. Auch wenn nicht viele Quellen sprudeln – man braucht in der Provinz nicht unbedingt sehr viel Geld, um ein Programm zu organisieren. 100 bis 200 Euro können als Zufinanzierung manche Lücke schließen und einem Veranstalter helfen, Reisekosten zu erstatten, mehreren Gästen eine Unterkunft zu garantieren oder den Tisch eines Empfangs zu decken.   Auf lokale Arbeitsbedingungen achten: In der Kooperation mit Kulturakteuren und -institutionen müssen die Rahmenbedingungen stets neu geprüft und entsprechend berücksichtigt werden. Die Vielfalt der Kulturakteure in Europa ergibt sich aus den teils extrem unterschiedlichen konjunkturellen, finanziellen und rechtlichen Arbeitsbedingungen. Das betrifft nicht nur Künstler, die in der Provinz nicht ausschließlich von ihrer Kunst leben und darüber hinaus auch kaum anspruchsvoller Erwerbsarbeit (wie zum Beispiel Grafikdesign etc.) nachgehen können. Dies gilt häufig auch für die wenigen Kulturmanager, die sich um die Künstler bemühen, und versuchen, für diese Veranstaltungen zu organisieren. Die Mittel für Posten im Veranstaltungsmanagement sind dünn gesät, der Zugang zu den entsprechenden Einrichtungen steht in keinem Verhältnis zur Zahl der Interessierten. Künstler, Kulturmanager (und häufig auch das Publikum) verschmelzen so oft zu einer Person, produzieren jahrelang auf eigene Faust Kultur und machen diese öffentlich, aber können nie davon leben. Vorteilhaft sind in der Provinz immerhin die niedrigeren Lebenshaltungskosten. Risiko: Dies führt

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zum bekannten Dilemma der sich selbst opfernden kreativen Kulturszene, über das die Lokalpolitik ihre mangelnde Unterstützung mit dem Hinweis auf die fehlende Notwendigkeit legitimiert (»Geht doch auch so!«).   Vorteil 3: Herausforderung der übersichtlichen Zielgruppen. Für wen wird ein Kulturprogramm erstellt? Wo bietet man welche Programme an? Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass sich in europäischen Ländern Zielgruppenverhalten stark unterscheiden kann – wie die abweichenden finanziellen Möglichkeiten bei Studierenden. Und diese Zielgruppe ist zum Beispiel in Ungarn am Wochenende für Veranstaltungen nicht vor Ort – der Großteil fährt lieber nach Hause. Vereinfacht wird die Zielgruppensuche jedoch durch die enge Zusammenarbeit mit den etablierten Institutionen wie Museen, Kinos oder Künstlervereinen, die über einen gefestigten Publikumskreis verfügen, und aufgrund ihrer knappen Mittel gerne zur Veranstaltungskooperation bereit sind, wenn die Inhalte stimmen.   Vor- und Nachteil zugleich: Jeder kennt jeden. Im Vorteil heißt dies: Die Konkurrenz der Kulturakteure untereinander ist geringer, die Kulturlandschaft ist übersichtlicher. Regional wirksame Institutionen wie Mittel- und Hochschulen, aber auch regionalspezifische Institutionen (wie in Pécs zum Beispiel die Einrichtungen der ethnischen Minderheiten) können stärkere Impulse setzen. Im Nachteil bedeutet dies jedoch: Enge. Was tun, wenn Sympathien versagen, man aber trotzdem auf Partner angewiesen ist? Man wird schnell merken: Die Provinz ist anfälliger für eine Cliquen-Wirtschaft als die vielschichtigere Metropole. Und gute Beziehungen sind in Zeiten finanzieller Krisen existenziell.   Fazit: Flexible und kostengünstige Modelle wie Kulturmanagerprogramme bieten Möglichkeiten, im Interesse einer qualitativ hochwertigen und vielfältigen Kulturarbeit die Vorteile der Provinz gegenüber der Großstadt zu nutzen. Die Risiken sind ebenso offensichtlich: Für die Kulturmanager besteht eine hohe Abhängigkeit von der Gastinstitution, in den Finanzen und auch bei inhaltlichen Fragen der Kulturarbeit. Eine größere Freiheit und Flexibilität

der Kulturmanager bei der Wahl der Gastinstitution stärkt ihre Position und ihr jeweiliges Kulturprogramm. Überzogene Erwartungen der Partnerinstitution beziehungsweise inhaltliche Enttäuschungen würden vermieden.   Es stellt sich aber nicht die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Kultureinsatzes vor Ort, den die Provinz in jedem Fall verdient. Denn sie ist immer beides: Ekstase und Langeweile, Vertrautheit und Diaspora, Experimentierlabor und Banalität. Damit zu jonglieren, ist eine Herausforderung, die sich lohnt. »Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt...«

»Wir wollten einen Ort für Kunst und Musik schaffen, zu dem wir selber gern gehen würden«, sagen Ildikó Sándor und Maja Hegyi, die im Sommer 2010 mit dem »Szoba« (dt. Zimmer) einen Veranstaltungsraum für Ausstellungen, Konzerte und Präsentationen im Zentrum von Pécs eröffneten. Die beiden Frauen sind ein Beispiel für die Do-it-yourself-Mentalität unter jungen lokalen Kulturschaffenden, die immer wieder ein alternatives Programm aus ihren eigenen Interessen heraus gestalten. Berührungsängste mit der Hauptstadt gibt es nicht. Sie laden regelmäßig Budapester Künstler ein und erhalten von diesen eine durchweg positive Resonanz. Vielen Kreativen in der Hauptstadt ist sehr wohl bewusst, dass es ein kulturell spannendes Leben auch außerhalb Budapests gibt. Einzige Schwierigkeit ist hier das lokale Publikum, das sich oftmals wenig neugierig auf neue, ihnen unbekannte Künstler zeigt.   Dies bestätigt auch Ervin Gűth, Journalist beim lokalen Szenemagazin »Time Out« Pécs. Insgesamt lasse die Anzahl und Vielfalt der Kulturveranstaltungen nichts zu wünschen übrig, vor allem im Vergleich zu anderen ungarischen Städten. Jedoch mangele es teilweise an Qualität und einem größeren, interessierten Publikum, das auch bereit wäre, für Veranstaltungen Eintrittsgelder zu zahlen.   Eine Aufgabe des Kulturmanagers auf Zeit könnte also beispielsweise sein, durch partizipative Projektformate ein potentielles Nachwuchspublikum zu schaffen. Dies geschieht in Pécs vor allem durch Kooperationen mit der Universität oder Projekte, die im öffentlichen Raum, außerhalb etablierter Kulturinstitutionen, stattfinden.

Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Wirkens lokaler Kulturschaffender scheint in einer kleineren Stadt wie Pécs offensichtlich, um organisatorische und finanzielle Kräfte zu bündeln. Die Konkurrenz um das potentielle Publikum ist groß. Während die Szoba-Betreiber finden, die Zusammenarbeit mit anderen Veranstaltern verlaufe sehr positiv und die gegenseitige Unterstützung sei vorhanden, beschreibt Ervin Gűth die lokalen Kooperationen als unorganisiert und bis auf wenige Ausnahmen als nahezu unmöglich. Hier wird die Vermittlerrolle eines mobilen Kulturmanagers deutlich. Kommt man von außen in diesen Mikrokosmos mit all seinen Vor- und Nachteilen und zwischenmenschlichen Befindlichkeiten bietet dieser Status die Chance, unbefangen mit verschiedenen lokalen Partnern, wie etwa einer bestimmten Fakultät der Universität, einem Museum, einer Galerie, Konzertveranstaltern etc. zusammenzuarbeiten und Kooperationsprojekte untereinander anzuregen, um die lokale Szene zu stärken.   »Pécs ist großartig, aber manchmal muss man weg«. Dies ist ein Satz, den man häufig von jungen Kulturschaffenden und Kreativen hört. Wer die Möglichkeit hat, verbringt einige Monate im Ausland, um mit frischen Ideen und neuer Energie nach Pécs zurückzukehren. Viele, die in Pécs aufgewachsen sind oder studiert haben, fühlen sich langfristig mit der Stadt verbunden und wollen sie aktiv mitgestalten. Die ethnische Vielfalt, die sich in den kulturellen Aktivitäten der verschiedenen Minderheiten widerspiegelt sowie die zahlreichen Studenten aus dem Ausland, sorgen für ein offenes Klima in der Stadt. Dies sind gute Voraussetzungen, um erfolgreich internationale Projekte in Pécs durchzuführen. Die etablierten Institutionen verfügen in der Regel bereits über langjährige Partnerschaften im Ausland, die 2010 während des EU-Kulturhauptstadtjahrs weiter Aufschwung erhielten. Doch neueren Einrichtungen und der jungen Generation fehlt es oft an entsprechenden Kontakten und finanziellen Mitteln.   Auch hier leistet der Kulturmanager auf Zeit einen entscheidenden Beitrag. Man bringt nicht nur vorhandene Kontakte mit ein, sondern auch die Kenntnisse über entsprechende Kooperations- und Fördermöglichkeiten. So können je nach Gegebenheit neue Impulse gegeben, lang gehegte Kooperationswünsche erfüllt, die lokalen Partner vernetzt und die lokale Kulturszene insgesamt gestärkt werden. 19


Little Global Cities. Europa anders entdecken

Nach dem »Spiel« in Tetovo Die Berlinerin Silke Wittig begann 2010 als »Robert Bosch Kulturmanagerin« beim Zentrum für Balkankooperation »Loja« in Tetovo /Mazedonien zu arbeiten. Was bewegte sie dazu, auf dem Balkan leben und arbeiten zu wollen, in einer Stadt, in der ethnische Spannungen zwischen Albanern und Mazedoniern den Alltag prägen?

Weit reichende und aktive Netzwerke von Kulturmanagern können die Kulturarbeit verändern und sind für die Entwicklung großer und grenzüberschreitender Projekte wichtig. Die Buchreihe »Little Global Cities« ist hierfür ein aussagekräftiges Beispiel. Angesiedelt in zwölf Städten und zwölf Ländern im östlichen Europa hätte das Projekt ohne die Unterstützung aus den Austauschprogrammen der Robert Bosch Kulturmanager nicht realisiert werden können.

Von CIPRIAN MARINESCU, Fotos von ADRIAN Aus dem Rumänischen von ANDREEA

Von N ATALIE K RONAST

Die Idee, europäische Städte anders erfahrbar zu machen, entstand 2010 bei inter:est, einem 2006 von vier ehemaligen Robert Bosch Kulturmanagerinnen gegründeten Büro für internationale Kulturprojekte. Das Vorhaben war durchaus ein Experiment: »Little Global Cities« stellt jede der beteiligten Städte mit einem dreisprachigen Stadtbuch vor. Die Bücher sollen den Blick von Menschen wiedergeben, die in den Städten leben und arbeiten wie Literaten, Künstler oder Stadtbewohner. Um das zu erreichen, sind Kontakte zu Kulturmittlern in den Städten wichtig: Kulturmanager, die die Idee weitertragen und mit Leben füllen. Und sie wurden – nicht ausschließlich, aber überwiegend – im Netzwerk der Kulturmanager der Robert Bosch Stiftung gefunden. Es bildeten sich in jeder Stadt Koordinationsteams, die die Inhalte des Buches vorschlugen, Themen und Orte aufspürten, beteiligte Künstler und Literaten auswählten, das Material sammelten, Kontakt zu den Stadtverwaltungen aufnahmen und die ganze Stadt für das Projekt begeisterten. Dabei bewegten sich die Kulturmanager bedenkenlos in verschiedenen Welten, ausgestattet mit einem kosmopolitischen Blick auf Kunst und Kultur, gewohnt, auch interkulturellen Herausforderungen zu begegnen. »Es war uns ganz wichtig, so viele Menschen wie möglich in die Entstehung des Stadtbuches einzubeziehen. Es war natürlich eine

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Herausforderung, all die Stimmen einzufangen und die Ideen und Vorschläge zu koordinieren. Die Erfahrungen, die ich als Kulturmanagerin der Robert Bosch Stiftung gemacht habe, und das Netzwerk, das ich aufbauen konnte, haben mir hierbei sehr geholfen«, sagt Jelena Vukmanovič, Projektleiterin der Little Global Cities im serbischen Novi Sad.   Geplant war die Herausgabe von vier Büchern pro Halbjahr, die ersten sollten bereits 2010 erscheinen. Doch das Projekt wuchs in gemeinschaftlicher Arbeit; aus der Idee von Stadtkarten wurden Bücher, die einen Verlag benötigten, ein größeres Budget und mehr Zeit für die Gestaltung. So veränderte sich der Zeitplan. Auch die Situation der Städtekoordinatoren änderte sich: Aktive Kulturmanager beendeten ihr Stipendium, ehemalige, die freiberuflich arbeiteten, fanden eine Festanstellung. Doch alle blieben im Boot.   Mitte März 2012 wurden die ersten Stadtbücher – Novi Sad in Serbien, Osijek in Kroatien, Szeged in Ungarn und Temeswar in Rumänien – präsentiert. Nach einer langen Phase der Konzeption, Vorbereitung, Materialsammlung und Buchgestaltung, in der es Durststrecken ebenso gab wie zahlreiche durchgearbeitete Nächte, wurde gefeiert. Gewachsen ist ein eigenes Little Global Cities-Netzwerk, und in Vorbereitung sind acht weitere Stadtbücher.

Die mazedonische Stadt Tetovo ist tagsüber voller Menschen und wirkt deswegen größer, als sie ist. Viele Menschen aus den umliegenden Dörfern sind in der Stadt tätig. Am Abend fahren sie wieder nach Hause und die Stadt leert sich allmählich. Als ich in Tetovo ankomme, ist es spät abends. Neben meinem Hotel gibt es einige Bars, in denen nur Männer sitzen.   Am nächsten Morgen treffe ich Silke Wittig. Im Restaurant des Hotels berichtet mir die Robert Bosch Kulturmanagerin über ihren Alltag in Tetovo, die Arbeit im Zentrum für Balkankooperation »Loja« und darüber, dass das Leben für eine allein lebende Frau in Tetovo seltsame Momente bereithält.   Die Mehrheit der Bevölkerung in Tetovo besteht aus Albanern. Deshalb wird die Stadt auch als Zentrum der albanischen Minderheit in Mazedonien bezeichnet. Die eigentliche Zahl ist unklar, da die letzte Volkszählung viele Jahre zurückliegt. Es gibt zwei Universitäten in Tetovo, weil der Unterricht aber fast ausschließlich auf Albanisch stattfindet, studieren die meisten Mazedonier in Skopje. Das kulturelle Leben in Tetovo kann man als nicht existent beschreiben. Es gibt ein Haus der Kultur – so etwas findet man in jeder Stadt in Ex-Jugoslawien – wo von Zeit zu Zeit einige Veranstaltungen organisiert werden. Aber es gibt kein Kino oder Theater. Neuanfang in der Kultur

Das Zentrum für Balkankooperation Loja existiert seit elf Jahren. Die Institution gründete der Theaterregisseur Bujar Luma, der sie nach wie vor leitet. Luma erzählt mir in seinem kleinen Büro, in dem

zwei Plakate seiner Inszenierungen an der Wand hängen, wie es zu dem Namen »Loja«, auf Deutsch »Spiel«, kam. Im Jahr 1999, als der Kosovo-Krieg ausbrach, arbeitete Bujar zusammen mit fünf Schauspielern an einer Inszenierung von »Spiele auf dem Hinterhof« nach Edna Mazya. Die Proberäume lagen direkt neben einem Flüchtlingslager. Es zerriss ihnen das Herz, jeden Tag die Flüchtlinge zu sehen, die unter unhaltbaren Umständen lebten. Die Theatermacher legten das Stück zur Seite und begannen, Aktivitäten für die Kinder in den Lagern zu organisieren, um ihnen den Alltag zu erleichtern. Später nannten sie die Organisation »Loja«, nach dem Stück, das sie damals inszenieren wollten. Die ersten Projekte entstanden aus der Idee heraus, albanische, türkische, serbische und mazedonische Kinder und Jugendliche zusammenzubringen, und fanden meist in den ethnisch gemischten Dörfern um Tetovo statt. Bildung und Kultur stehen auch heute im Vordergrund sowie der Wunsch nach ethnischer Zusammenarbeit und internationaler Kooperation. Alles anders als erwartet

2010 wollte Silke Wittig raus aus dem künstlichen Berlin, wie sie sagt. Sie hatte große Lust auf den Balkan. Als sie die Ausschreibung für das Programm »Robert Bosch Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa« las, bewarb sie sich für Loja. Eigentlich wäre sie lieber nach Bosnien und Herzegowina, Serbien oder Kroatien gegangen, weil sie die Länder besser kannte, aber als Balkan-Fan war sie auch auf Tetovo neugierig. »Ich hatte Bildende Kunst studiert, und in 21


der Ausschreibung stand klar geschrieben, dass sie jemanden möchten, der Erfahrung mit Medien hat, weil die Institution Aktivitäten in diesem Bereich auf die Beine stellen wollte.«   Silke begann, Projekte des Hauses durchzuführen, eigene Ideen umzusetzen und Gelder zu beantragen. Ihr erstes Projekt war ein Workshop zu Poetry Slam mit dem deutsch-iranischen Slammer und Künstler Michel Abdollahi aus Hamburg und mit Teilnehmern aus Priština, Skopje und Tetovo – drei Städte, die nahe beieinander, aber zwischen denen Welten liegen. Es folgten Projekte in den Bereichen Fotografie, Videokunst und Theater. Silkes größtes Projekt war eine Ausstellung mit acht Videokünstlern aus Rumänien, der Republik Moldau, Deutschland, Palästina und dem Iran. »Wir wollten mit allen arbeiten, die sich mit Grenzen und deren Überwindung sowie geteilten Städten auseinandersetzen – alles aktuelle Themen in Tetovo.«

Wenn Fußballspiele stattfinden, ist die Stimmung aufgeheizt. Die Stadt ist voller Polizei. Es reicht ein falsches Wort und eine Schlägerei beginnt; sie rufen zum Beispiel »Großalbanien!«, »Nieder mit Mazedonien!« oder »Verbrennt die Huren!«. Selbst die eigene Mannschaft im Stadion wird mit Steinen beworfen. Ansonsten, im Alltag, ist alles extrem getrennt.«   Eine Besonderheit in Tetovo ist die Tatsache, dass Silke Fahrrad fährt. Sie sagt: »Ich habe bis jetzt noch keine Frau auf dem Fahrrad gesehen. Ich musste mir viele Sprüche anhören. Obwohl meine Kollegin das Gegenteil behauptet und meint, Frauen haben auch Fahrräder.«   Silke hat zwar einige tolle Menschen in Tetovo kennengelernt, richtige Freundschaften knüpfte sie jedoch nicht. Die meisten ihrer Bekannten sind Männer, weil Frauen in ihrem Alter verheiratet sind und eher zu Hause bleiben. Im Juli finden die meisten Zwei Welten auf 20 Quadratkilometern Hochzeiten in Tetovo statt, wenn die Ausgewanderten – sehr viele sind nach Deutschland gegangen – nach Silke zog nach Tetovo, ohne die Stadt vorher zu ken- Hause zurückkehren. nen. Am Anfang fand sie die Leute »unfreundlich, unkommunikativ und verschlossen«. Als sie in ihre Zurück nach Berlin Wohnung einzog, grüßten ihre Nachbarn nicht zurück. Obwohl sie »Guten Morgen« sagte, mal auf Silke wird ihre Zeit in Mazedonien im Sommer 2012 Türkisch, mal auf Albanisch, kamen ihrer Meinung beenden. Ihr Stipendium läuft aus, das sei gut so, sagt nach kritische Blicke zurück. »Ich wusste nicht, mit sie. Bis dahin organisiert sie noch ein Filmfestival wem ich auf Albanisch sprechen soll, und mit wem und sucht einen lokalen Nachfolger, der ihre Stelle auf Mazedonisch. Ich hatte das Gefühl, egal wo ich weiter existieren lassen wird. »Ich merke, wie viel ich bin, ich mache alles falsch.« Inzwischen gesteht sie, im letzten Jahr gelernt habe, wie viel ich ausprobieeher zu wissen, wie sie die Leute auseinanderhalten ren konnte«, meint Silke. »Ein Jahr relativ frei zu sein, kann. Zum Beispiel daran, in welcher Straße sie woh- eigene Ideen umsetzen zu dürfen, solche Möglichkeinen. »Eigentlich mischt es sich nicht. Es gibt viele ten hatte ich in Berlin nicht. Aber ich merke auch, wie Vorurteile übereinander und je nachdem, mit wem es mir fehlt, eine Ausstellung zu sehen oder einem man unterwegs ist, hört man, dass die Mazedonier Künstler zu begegnen. Was danach kommt, weiß die Schuhe nicht ausziehen, dass sie dreckig seien, ich noch nicht. Vielleicht mache ich Kunst.« Ihre oder über die Albaner, dass sie extrem traditionell Lust auf den Balkan ist dennoch nicht verschwunseien. Meistens sind die anderen die Bösen«, meint den. So wie sie sich kenne, ergänzt Silke, werde sie Silke. Besonders spüre man diese Völkertrennung wahrscheinlich nach einem Jahr oder höchstens zwei im Fußball. In Tetovo gibt es drei Mannschaften. Jahren wieder raus wollen aus Deutschland. »Ich finAlle drei spielen in der ersten Liga. Silke besuchte de es auf lange Sicht schöner, eine Zeit hier und eine mit einer Freundin zwei Spiele. Sie waren die einzi- Zeit da zu sein«, sagt sie. gen Frauen im ganzen Stadion. »Es war schon lus-   Ich verlasse Tetovo am späten Nachmittag und reitig. Die Leute um uns herum fanden es auch lustig. se zurück durch Skopje. Die großen Bauwerke und Monumente im Zentrum Skopjes erzählen neue Geschichten über alte Zeiten. Aber das ist eine andere Geschichte. 23


Wer ist Kultur in Mazedonien? Ähnlich wie andere Länder auf dem Balkan befand und befindet sich Mazedonien in einem Transformationsprozess, gekennzeichnet von vielen Reformen und Bestrebungen, Gesetze und Regulative an europäische Normen anzupassen. Von KSENIJA

, Fotos von ADRIAN

Mazedonien ist ein junges Land, das 1991 nach dem Zerfall Jugoslawiens friedlich seine Unabhängigkeit erringen konnte. Am 22. März 2004 stellte Mazedonien einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union und bekam im April des gleichen Jahres den Status eines Kandidatenlandes zugesprochen. Am 29. Januar 2008 unterschrieb Mazedonien das Memorandum für die Teilnahme am EU-Programm »Kultur 2007-2013«. In der Strategie der Republik Mazedonien für die Integration in die EU heißt es: »Die Kulturpolitik als Bestandteil der gesellschaftlichen Politiken im Rahmen des Reformprozesses in Mazedonien ist an der Erhaltung der Authentizität, der Förderung der kulturellen Identität und an den Standards, den Vorschriften und den Kriterien der EU ausgerichtet. Die Bestätigung und die Förderung der kulturellen Identität, die Förderung der kulturellen Vielfalt der Gemeinschaften im Land und der Kulturindustrie sind ebenso Schwerpunkte der Kulturpolitik der Republik Mazedonien wie der Schutz des kulturellen Erbes auf dem Gebiet der Republik unabhängig davon, auf welche historische Epoche und Kultur es sich bezieht.«¹   Obwohl Mazedonien nicht in die jugoslawischen Nachfolgekriege verwickelt war, flammte im Jahr 2001 ein Bürgerkrieg zwischen der ethnisch mazedonischen und der albanischen Bevölkerung auf, der nach einigen Monaten mit dem Abschluss des Rahmenabkommens von Ohrid beendet werden konnte. Dieses Abkommen erkennt an, dass Mazedonien ein multikulturelles Land ist, in dem neben den ethnischen Mazedoniern verschiedene Minderheiten leben, von denen die ethnischen Albaner mit circa 25 Prozent der Gesamtbevölkerung die größte Gruppe darstellen. Rechte und Ansprüche der Minderheiten werden durch das Rahmenabkommen geschützt. Daraus ergibt sich, dass die Kulturen der verschiedenen Ethnien 24

gefördert werden, aber ebenso das interethnische Zusammenleben, das zu mehr Verständnis und gegenseitiger Anerkennung führen soll.   In Bezug auf Gesetze und Vorschriften zeigt Mazedonien Fortschritte im Annäherungsprozess an europäische Normen. In der Praxis jedoch lassen sich wesentliche Probleme erkennen, die nicht nur mit der Durchsetzung und Deutung der Gesetze verbunden sind, sondern auch mit der Definition klarer Rollen der Akteure in Kultur und Politik. Das Kulturministerium und die politisierte Kulturpolitik

Seit 1945 war der Staat der einzige »Mentor« in der Kultur und ist es heute immer noch – er schlägt vor, er wählt aus, er schätzt ein, er finanziert – und all das ohne Plan, ohne Strategie, ohne aktuelles Programm, ohne kompetente Recherche und ohne Vision für die Bedürfnisse der Republik in Kulturfragen.²   Das Kulturministerium vergibt einmal jährlich Förderungen für »Projekte von nationalem Interesse«. Allerdings wurde die Strategie zur Definition der nationalen Interessen in der Kultur seit dem Jahr 2008 nicht mehr weiterentwickelt. Für diese Ausschreibung bewerben sich alle staatlichen und städtischen Kulturinstitutionen ebenso wie alle Nichtregierungsorganisationen sowie unabhängige Künstler. Das Kulturministerium mit seinen internen Ausschüssen entscheidet, wer wie viele Fördermittel erhält, ob ein Projekt dem nationalen Interesse entspricht und legt dabei ohne nachprüfbare Strategie fest, was das nationale Interesse in diesem Moment sein soll. Das bedeutet, dass der Staat direkt mittels Kulturförderung entscheidet, was Kultur ist und welches Kulturprojekt überhaupt verwirklicht werden kann, da es nur wenige andere Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Zudem agiert das Ministerium sehr oft selbst als Veranstalter, 25


Verleger und Auftraggeber von Kunstwerken. Somit ist die Rolle des Kulturministeriums beziehungsweise des Staates als Institution der Kulturförderung und zugleich als wichtiger Kulturakteur unklar. Die mazedonische Regierung hat mithin einen starken und direkten Einfluss auf die Ausgestaltung der Kultur im Land.   Ein zweiter Punkt ist die parteipolitische Instrumentalisierung der Kultur. Nach jeder Parlamentswahl werden üblicherweise die Leiter der staatlichen Kulturinstitutionen ausgetauscht, wobei die meisten Stellen von Vertretern der beiden größten Regierungsparteien – jeweils eine mazedonische und eine albanische – besetzt werden. Bei der Stellenbesetzung spielt Parteizugehörigkeit eine größere Rolle als Kompetenz. Zudem beeinträchtigen die häufigen Wechsel an den Spitzen der wichtigsten Kulturinstitutionen deren Nachhaltigkeit. Ebenso zahlt sich bei Projektförderungen durch das Kulturministerium oder durch kommunale Instanzen die richtige Parteizugehörigkeit aus. Andere Organisationen und Kulturschaffende bekommen meistens nur die Krumen vom Kuchen. In den letzten Jahren ist die Tendenz des Kulturministeriums festzustellen, dass jeder Antragsteller einen Teil der beantragten Summe bewilligt bekommt, damit niemand mehr einen Grund hat, das Ministerium der Parteilichkeit zu bezichtigen. Das führt einerseits zur Betonung der Quantität anstelle von Qualität und ändert andererseits nichts an der Bevorzugung politisch nahe stehender Kulturschaffender mittels höherer Zuwendungen. Skopje 2014 und die Antikisierung der Kultur

Im Jahr 2010 haben die Arbeiten für das sogenannte Projekt »Skopje 2014« begonnen. Dieses Projekt, initiiert von der konservativen Regierungspartei VMRODPMNE, hat zum Ziel, der mazedonischen Hauptstadt Skopje eine ganz neue Anmutung zu verleihen. Mehr als 20 Gebäude sollen bis ins Jahr 2014 neue Fassaden erhalten oder neu entstehen. Ihr gemeinsames Merkmal soll ein historisierender Barockstil sein. Daneben entstehen mehrere neue Denkmäler. Alle Bauprojekte konzentrieren sich im Stadtzentrum.³

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Das moderne Gesicht der Stadt entstand nach dem verheerenden Erdbeben von 1963. Der japanische Architekt Kenzo Tange hatte die Vision, Skopje als die modernste Stadt Europas wieder zu errichten. Die gegenwärtige mazedonische Regierung befasst sich jedoch nicht mit der städtebaulichen Weiterentwicklung, sondern mit der Neuerfindung der mazedonischen Geschichte mittels antikisierter Stadtplanung. Die staatliche Kulturpolitik ist dabei offensichtlich rückwärtsgewandt mit dem Ziel, eine neue mazedonische Identität zu kreieren, die angeblich in der Antike wurzelt. Die hierfür nötigen und ständig steigenden Aufwendungen fehlen zwangsläufig bei der Finanzierung der Gegenwartskultur. Die große Hoffnung: Nichtregierungsorganisationen im Kulturbereich

Nach dem Zerfall und den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien haben sich viele ausländische Stiftungen mit Fördermitteln auch in Mazedonien engagiert. Dies diente vor allem der Etablierung und Stärkung der Zivilgesellschaft. Es wurden viele NGOs auch im Kulturbereich gegründet, von denen einige weiterhin tätig sind, obwohl sich die meisten ausländischen Stiftungen mittlerweile aus Mazedonien zurückgezogen haben. Diese staatsunabhängigen Organisationen haben viel zur Öffnung der mazedonischen Kultur und deren Präsentation im Ausland beigetragen sowie ausländische Kunstschaffende nach Mazedonien eingeladen. Ihre Projekte werden weiterhin und vor allem von ausländischen Fonds gefördert und die in den NGOs Aktiven haben ein fundiertes Wissen als Kulturmanager erworben. Zurzeit wirbt in Mazedonien eine Initiative für die Gründung eines institutionalisierten NGO-Netzwerks, das mehr Einfluss und Legitimität gegenüber dem Staat ausüben und das Kulturministerium ermutigen soll, dessen Expertise für die Bestimmung der Kulturpolitik des Landes zu nutzen.

1  Nationale Strategie der Republik Mazedonien für Integration in die EU, 2004, Regierung der Republik Mazedonien, Abteilung für europäische Integration 2  Teodosievski, Zlatko (2008): Weder Kultur, noch Politik. In: Gutes Verwalten, http://gg.org.mk/index.php?option=com_ content&view=article&id=169:e-bilten-mart-2008&catid=43:ebilten&Itemid=103 3  Mehr Informationen über Skopje 2014: http://www.balkaninsight.com/en/gallery/skopje-2014; http://www.youtube.com/ watch?v=iybmt-iLysU

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Ausbildungskonzepte für internationale Kulturmanager? Ob Universität, Hochschule oder private Kurse und Weiterbildungen – die Angebote für angehende Kulturmanager sind zahlreich. Aber treffen sie auch wirklich die Anforderungen im Berufsleben? Von GESA BIRNKRAUT

Die Berufswege von Kulturmanagern bewegen sich in einer Polarität aus lokalem und globalem Markt: Arbeitet man in einem Stadttheater, das als Zielgruppe die lokalen Anwohner ohne einen internationalen Austausch hat, ist man in einem klassischen lokalen Markt. Die Kinderzirkus-Truppe, die sich ihre Anregungen auf internationalen Festivals holt und national und international tourt, bewegt sich auf dem globalen Kulturmarkt. Kulturmanager brauchen beide Kulturinstitutionen – aber brauchen die Kulturmanager die gleichen Kompetenzen?   Vom Prinzip wird es diese Unterscheidungen immer geben, allerdings ist abzusehen, dass die Schere kleiner wird und die internationalen Vernetzungen bei freien privaten sowie bei städtischen Einrichtungen von immer größer werdender Bedeutung sind.   Studiengänge und Ausbildungen von Kulturmanagern sollen auf beide Fälle vorbereiten und die Kulturmanager von morgen für interkulturelle, internationale, aber auch lokale Gegebenheiten sensibilisieren.   Die Gegenwart sieht allerdings anders aus: Nehmen wir zum Beispiel eine baltische Kulturmanagerin, die nach einem internationalen Master für ein Jahr nach Deutschland kommt. Sie sieht sich interkulturellen Schwierigkeiten im neuen Markt gegenüber, auf die selbst ein international ausgerichteter Masterstudiengang nicht vorbereitet hat. Sie wächst an diesen Herausforderungen in dem Jahr mit einer Schnelligkeit und einem Kompetenzzuwachs, der im Verhältnis zu nationalen Erfahrungen ein Vielfaches beträgt. Kehrt sie nach einem Jahr zurück, sieht sie sich erneut Schwierigkeiten gegenüber – dieses Mal 28

im eigenen Markt, unter anderem in Bezug auf die employability und professionelle Akzeptanz der eigenen Person sowie die Nutzung der erworbenen Fähigkeiten.   Wie können diese Schwierigkeiten bewältigt werden? Um spezielle Forderungen und Folgerungen für die Ausbildungskonzepte zu ziehen, hilft ein Blick auf die individuellen Karrieren und den generellen Kulturmarkt. Auswirkung auf die individuellen Karrieren der Kulturmanager

Nach wie vor ist es zumindest auf den meisten europäischen Märkten nicht immer von Vorteil, wenn man für eine längere Zeit im Ausland arbeitet. Das eigene Netzwerk im heimischen Markt erkaltet in der Zeit der Abwesenheit. Man selbst entwickelt sich in Bezug auf Kompetenzen im Zweifel schneller als die Kulturmanager, die im Land geblieben sind. Diese jedoch bewegen sich auf den Stufen der Karriere linear weiter. Der Kulturmanager kehrt mit gewachsenen Kompetenzen zurück, kann sich aber einen Platz im Kulturmarkt meist nur dort erkämpfen, wo er ihn verlassen hat, ohne Rücksicht darauf, was die Erfahrung im Ausland für seine Entwicklung bedeutet hat.   Folgerung: Junge Kulturmanager, die sich für längere Zeit in internationalen Arbeitsmärkten aufhalten, müssen noch immer bedenken, dass sie die lineare Karriereentwicklung von Kollegen, die im Heimatland verbleiben, durchbrechen. Dies birgt Chancen, aber auch Risiken für die eigene Lebensund Arbeitsplanung. Wichtig erscheint hier eine

intensive Auseinandersetzung mit den daraus entstehenden Potentialen und Hindernissen und der dementsprechenden Weiterbildung durch die Institutionen, die die internationalen Arbeitsaufenthalte ermöglichen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit den Themen Bildung und Aufrechterhaltung von Netzwerken. Auswirkung auf den Kulturmarkt

Für den Kulturmarkt als solchen bedeutet diese Entwicklung eine positive Herausforderung: Der Markt und die einzelnen Institutionen können von international erfahrenen Kulturmanager profitieren. In einer globaler werdenden Kultur mit Märkten, die auch im lokalen Bezug verstärkt mit verschiedenen nationalen Hintergründen und Migrationsthemen zu tun haben, sind Manager, die interkulturelle Erfahrungen haben, wertvolle Agenten der Veränderung. Gleichzeitig heißt dies aber auch, dass diese Manager ihre Erfahrungen eben nicht ausschließlich auf dem lokalen Markt gesammelt haben und daher eventuell Kenntnisse über lokale Gepflogenheiten erst wieder erlernen müssen.   Folgerungen: Internationale Erfahrungen müssen in den jeweils nationalen Märkten noch selbstverständlicher als eine Vervollständigung von Kompetenzen gesehen werden. Die Wertschätzung dessen durch eine schnellere Re-Integration dieser internationalen Erfahrungsträger muss geübt werden. Dies kann nur durch einen Bewusstseinswechsel der Entscheidungsträger im Kulturmarkt geschehen. Stete Diskurse und Impulse durch Thematisierung können hier eine höhere Durchlässigkeit des Marktes beschleunigen. Auswirkung auf Ausbildungskonzepte

Die Ausbildungskonzepte im Bereich Kulturmanagement haben in den letzten Jahren bereits eine Veränderung von der Ausbildung von Kulturverwaltern in staatlichen Kulturinstitutionen hin zu unternehmerisch denkenden und agierenden Kulturmanagern in durchlässigen Märkten erfahren. Dies wird durch den internationaler werdenden Markt sowie die wachsende Bedeutung der freien Projektszene und der Kultur-

und Kreativwirtschaft intensiviert. Diese Veränderung muss weiter durchgesetzt werden. Die Mischung aus internationalen Theoriebezügen und Praxiserfahrungen muss intensiviert werden. Themen wie Lobbyarbeit und Netzwerktheorien müssen in die Curricula aufgenommen werden. Eine Thematisierung von internationalen Kulturmanagementbezügen und deren Auswirkungen auf Märkte und Karrieren muss angesprochen werden.   Folgerung: Nicht nur die Inhalte müssen an die globale Entwicklung angepasst werden, sondern auch der Erfahrungshintergrund der Lehrenden dementsprechend betrachtet werden. Die erste Generation der Professoren für Kulturmanagement hatte ihren Hintergrund vermehrt in geisteswissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Bezügen; die jetzt heranwachsende Generation der Professoren und Trainer haben eine eigene Biografie als Kulturmanager in Ausbildung und Praxis. Dies muss sich langfristig auf die Ausbildungskonzepte auswirken. Das kann durch eine stärkere Spezialisierung auf unterschiedliche Märkte und / oder Gegebenheiten passieren, aber auch durch einen verstärkten Diskurs der Internationalisierung des Marktes und der Auswirkungen. Es ist fraglich, inwieweit die bestehenden Ausbildungskonzepte der Universitäten momentan mit der Herausforderung des Kompetenzsprunges durch internationale / interkulturelle Erfahrung umgehen können und wollen.   Sicher ist: So lange das Beispiel der baltischen Kulturmanagerin nicht anders erzählt werden kann, so lange besteht die Schere zwischen dem lokalen und dem internationalen Markt. Fraglich ist dabei, wie lange sich der Kulturmarkt – in Deutschland, in den europäischen Ländern – eine solche Schere noch leisten kann. 29


Kulturelle Märkte erschließen: Europas Kulturplan ab 2014 Seit Jahren fördert die Europäische Union direkt und indirekt die Mobilität der Kulturschaffenden. Nun steht die Förderung der Kreativität im Fokus. Androulla Vassiliou, Europäische Beauftragte für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend, gibt Auskunft über das kreative Europa, das neue Rahmenprogramm für den kulturellen und kreativen Sektor (2014-2020) und erläutert, welche Rolle Mobilität für Künstler und Kulturmanager spielen kann. Interview: Antje Kohlrusch und Ciprian Marinescu

»Kreatives Europa« heißt das neue EU-Programm, das sich sowohl an den kulturellen als auch den kreativen Sektor richtet. Wer aber ist, oder besser, wer wird das »kreative Europa« sein? »Kreatives Europa« spricht jene Organisationen und Personen an, deren Aktivitäten auf künstlerischen Werten beruhen, oder die künstlerisch und kreativ tätig sind. Tausende kulturelle Organisationen sollen mit diesem Programm unterstützt werden. Diese wiederum werden es über 300.000 Künstlern und Professionellen ermöglichen, über nationale Grenzen hinweg zu arbeiten. Das Programm fördert die Übersetzung von circa 5.500 Büchern und gibt so Lesern die Möglichkeit, fremdsprachige Literatur in ihrer Muttersprache zu genießen. Es soll auch Filmproduzenten, Verleiher und über 2.500 Kinos europaweit unterstützen und Mittel für den Verleih und Verkauf von über 1.000 europäischen Filmen zur Verfügung stellen. Das Programm befördert kulturelle und sprachliche Vielfalt und trägt darüber hinaus zum wirtschaftlichen Aufschwung bei, indem Jobs geschaffen, ein nachhaltiges Wachstum und soziale Integration angeregt werden. Letztlich sind wir doch alle das »kreative Europa«! Aus welchem kulturellen Bereich stammt der Begriff »Kreatives Europa«? Der Begriff »Kreatives Europa« richtet den Fokus auf Europas vielseitiges kulturelles und kreatives Potential. Unser Vorhaben schließt verschiedene Bereiche ein, so zum Beispiel Archive und Bibliotheken, Kunsthandwerk, audiovisuelle Medien (Film, Fernsehen, Videospiele und Multimedia), Kulturerbe, 30

Design, Festivals, darstellende Künste, Verlagswesen, Radio und Bildende Kunst. All diese Bereiche vereinen Kreativität, Handwerk und Talent und sie bieten Potential für neue Jobs und Wachstum, indem sie intellektuelle Fähigkeiten generieren und diese nutzen. Kreativität und Innovation – um diese Ziele zu erreichen, brauchen kulturelle Akteure die Möglichkeit sich frei bewegen und entfalten zu können. Welche Rolle spielen diese Faktoren für Sie in Bezug auf Mobilität? Mobilität verstärkt den kulturellen Beitrag zur Kreativität, indem sie breit gefächerten Zugang zu kulturellen Ressourcen fördert. Sie trägt zur Entwicklung der künstlerischen und professionellen Fähigkeiten bei, eröffnet neue Marktchancen und verbessert Karrieremöglichkeiten. Grenzüberschreitendes Zirkulieren des kreativen Potentials eröffnet mehr Möglichkeiten für interkulturelle Koproduktionen und Kooperationen. Die Mobilität der Künstler und Kulturexperten ist essentiell für die Kultur- und Kreativindustrie Europas. Außerdem kann Mobilität neue Chancen auf dem Markt schaffen, so zum Beispiel durch Projekte, welche die Exportstrategien der Kreativindustrie verbessern, internationale Arbeitsplatzvermittlung fördern oder Hilfe zur Selbsthilfe unterstützen. Bisher war die Mobilität der Kulturschaffenden eingeschränkt, aber wir arbeiten daran, Barrieren zu beseitigen. Das Programm »Kreatives Europa« wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Wie sieht die europäische Dimension von Mobilität aus? Mobilität für Künstler und Kulturschaffende war lange die Priorität der Kommission und ist jetzt ei-

nes der drei Ziele des laufenden Kulturprogramms geworden. Es gibt einen beachtlichen Wertezuwachs auf europäischer Ebene in diesem Bereich. Beispielsweise arbeitet die Kommission daran, den Zugang zu Informationen, zu Politikkoordinierung und zu den Möglichkeiten des interkulturellen Austausches, die stark zugenommen haben, zu verbessern. Welche europäischen Programme befassen sich mit der Mobilität von Kulturmanagern? Die Mobilität Kulturschaffender ist eines der drei Hauptziele des Kulturprogramms. Dank dieses Programms können jährlich rund 20.000 Künstler und Kulturfachleute bei der Entwicklung einer internationalen Karriere unterstützt werden. Zusätzlich ermöglicht das Programm jedes Jahr circa 1.000 Kulturorganisationen grenzüberschreitend zu arbeiten. Eine Studie zeigt, dass das Programm den kulturellen und kreativen Sektor gestärkt hat und die Zirkulation von Experten und Kunstwerken förderte. Gemessen am relativ kleinen Budget – ungefähr 57 Millionen Euro jährlich – ist dies ein beeindruckendes Ergebnis! Welche genauen Resultate erwarten Sie von den Mobilitätsprogrammen? Mobilität ist ein wichtiger Teil künstlerischen Schaffens und der Arbeit anderer Kulturschaffender. Sie erlaubt ihnen, neue Inspirationsquellen zu finden, ihre professionelle Karriere voranzutreiben, Partnerschaften und Netzwerke aufzubauen, neue Märkte zu erobern und ihren Publikumsradius zu erweitern. Aber wie ich schon erwähnt hatte, ist die Tragweite von kultureller Mobilität weitaus größer und reicht weit über den einzelnen Künstler und dessen Publikum hinaus – es gibt auch entscheidende Vorteile für die Gesellschaft in Bezug auf Innovation, Entstehung von Jobs und ökonomisches Wachstum. Deswegen arbeiten wir daran, nicht nur die Qualität der Mobilität für EU- und Nicht-EU-Bürger zu verbessern, sondern auch die Gesamtzahl der Kulturexperten, die die Möglichkeit haben, internationale Erfahrungen zu sammeln, zu erhöhen. »Kreatives Europa« würde Mobilitätsmöglichkeiten für hunderttausende Kulturakteure schaffen, die so in der Lage wären, ein Publikum und einen Markt außerhalb ihres eigenen Landes zu erobern. Inwieweit brauchen wir spezielle Mobilitätsprogramme für Kulturmanager?

Wie Sie vielleicht wissen, hat die Kommission bereits 2008 und 2009 ein Pilotprojekt im Bereich künstlerische Mobilität durchgeführt. Ziel dieses Pilotprojekts war es, einen Überblick über existierende Mobilitätsprogramme in Europa zu erstellen, mögliche Angebotslücken zu identifizieren und neue Ideen für die Vorbereitung von nachfolgenden Generationen des Programms auszuprobieren. Es umfasste nicht nur die Mobilität der Künstler, sondern die aller Kulturexperten, inklusive der Kulturmanager. In diesem Rahmen haben wir unter anderem zwei Ausschreibungen gestartet, um die Mobilität von Kulturschaffenden zu verbessern. Fast 140 Bewerbungen gingen bei uns ein. Eine unserer Schlussfolgerungen daraus war, dass fast alle Bewerber für unser Kulturprogramm in Frage gekommen wären. Eine radikale Umstrukturierung des Programms oder die Schaffung spezieller Angebote war also nicht notwendig, sondern dafür bedurfte es zielgerichteter Verbesserungen, um bestehende Ungleichgewichte in der Mobilität zu beheben. Wir wollten auch eher einen entwicklungsorientierten Ansatz in der Mobilität fördern sowie dem Dialog und der Interaktion zwischen lokalen Künstlern und Gemeinden einen größeren Spielraum geben. Genau darauf zielt »Kreatives Europa« ab. Es ist die kosteneffizienteste Lösung und auch diejenige, welche die größten Resultate bringen wird. Wie würden Sie Mobilität im Kontext von Globalisierung definieren? Globalisierung wird oft als Bedrohung für kulturelle und künstlerische Produktionen und Ausdrucksmöglichkeiten gesehen. Tatsache ist, dass kulturelle Mobilität ein Mittel sein kann, um auf globale Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, zu reagieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Internationale Mobilität von Künstlern und Kulturschaffenden ist für kulturelle und sprachliche Diversität sowie den interkulturellen Dialog notwendig. Die EU muss sich für die Entwicklung einer aktiveren Rolle der europäischen Kultur in internationalen Beziehungen und für die Integration von kulturellen Dimensionen als Teil der Beziehungen mit Partnerstaaten und -regionen einsetzen. In einem globalen Kontext zu arbeiten, erlaubt Künstlern ein Netzwerk aufzubauen und Partnerschaften jenseits nationaler und europäischer Grenzen zu schließen. Mit der richtigen Unterstützung kann Globalisierung für die Kultur- und Kreativindustrie von Vorteil sein. 31


Autorenverzeichnis Gottfried Wagner , Wien Von 2002 - 2009 Direktor der Europäischen Kulturstiftung (ECF) in Amsterdam; seit 2010 im Ministerium für Bildung, Kunst und Kultur Österreich (BMUKK) tätig, unter anderem Beratung im Bereich (internationale) kulturelle Strategien Gesa Birnkraut , Hamburg Professorin für strategisches Management im NonProfit-Bereich / Hochschule Osnabrück, geschäftsführende Gesellschafterin der Kulturberatung BIRNKRAUT |PARTNER, Vorstandsvorsitzende des Instituts für Kulturkonzepte Hamburg e.V.

Bildnachweis

Cover: Daniel Wiesmann Seiten 4, 22, 24, 27: Adrian Pîclişan Seiten 10, 13: Toni Klemm Seite 16: Bálint Rádóczy, Projekt: Secret Capital. 2011 Impressum

Lars Müller , Dresden Freier Journalist Ágnes Sebestyén

Robert Bosch Kulturmanagerin, 2009-2010, Nassauischer Kunstverein Wiesbaden Katja Melzer

Robert Bosch Kulturmanagerin, 2010-2012, Lenau-Haus, Pécs (Ungarn) Axel Halling

Robert Bosch Kulturmanager, 2004-2007, Lenau-Haus, Pécs (Ungarn) Ksenija Cockova

Robert Bosch Kulturmanagerin, 2008-2009, E-Werk Freiburg

Redaktion: Antje Kohlrusch, Ciprian Marinescu Übersetzungen: Cornelia Winkler (DE-EN), Andreea Dincă (RO-DE) Grafik: Hanna Zeckau (www.kiosk-royal.com) Druck und Herstellung: Druckhaus Köthen Gefördert von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Programme Robert Bosch Kulturmanager in und aus Mittel- und Osteuropa www.bosch-stiftung.de/kulturmanager www.facebook.com/kulturmanager Projektabwicklung: Osteuropazentrum der Universität Hohenheim Anmerkung der Redaktion: Zu Gunsten der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf die explizite Nennung beider Geschlechtsformen; die männliche Nennung ist demnach als geschlechtsneutral anzusehen.

Natalie Kronast

Robert Bosch Kulturmanagerin, 2002-2005, Klaipėda (Litauen) 32

MitOst Editionen 28 ISBN 978-3-9812411-9-8


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