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Die Auslegung des Merkmals „Sicherstellen“ in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV unter besonderer Berücksichtigung des Altersverifikationssystems „ueber18.de“

Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Interessenverbands Neue Medien von Prof. Dr. H. Schumann, M.C.L. unter Mitarbeit von Wiss. Mitarbeiterin Ass. A. Schumann Institut für Strafrecht und Jugendschutzrecht der Medien Universität Leipzig - Juristenfakultät


Inhaltsverzeichnis Teil 1: Vorschriften des Jugendmedienschutzrechts, die den Begriff „Sicherstellen“ verwenden: §§ 4 Abs. 2 S. 2 JMStV, 1 Abs. 4 JuSchG, 184 c StGB n. F. A. § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV

1

I. Regelung und amtliche Begründung

1

II. Literatur zu § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV

1

1. Ukrow

3

2. Nikles, Roll, Spürck, Umbach

3

3. Liesching

4

4. Sieber

5

5. Zusammenfassung

7

B. § 1 Abs. 4 JuSchG

7

I. Regelung und amtliche Begründung

7

II. Literatur

9

C. Zwischenergebnis

10

D. § 184c StGB n. F.

11

I. Regelung und amtliche Begründung

11

II. Literatur

12

Teil 2: Auslegung des Merkmals „Sicherstellen“ in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV A. Wortlaut und amtliche Begründung

12

B. Systematische Auslegung

14

I. Bedeutung des § 5 JMStV

14

I


II. Bedeutung des § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV (Totalverbot im Rundfunk)

15

III. Die Bedeutung des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und des § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG

16

1. Die Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und des § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG als Maßstab des von § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlangten Sicherheitsstandards

17

a) Herkömmliche Auslegung der §§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB, 15 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG: Zugänglichmachen für Minderjährige

18

b) Herkömmliche Auslegung der §§ 184 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2 JuSchG: Zugänglichmachen an für Minderjährige zugänglichen oder einsehbaren Orten

20

c) Ergebnis

21

2. Die Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das BVerwG und das VG München

22

a) Inhalt der Entscheidungen

22

b) Kritik

24

aa) Unvereinbarkeit mit strafrechtlichen Regeln

24

bb) Verstoß gegen Grundsätze des Jugendmedienschutzrechts

27

IV. Bedeutung des § 1 Abs. 4 JuSchG und des § 184c StGB n. F.

29

1. § 1 Abs. 4 JuSchG

29

2. § 184c StGB n. F.

30

3. Ergebnis

31

4. Strenge Anforderungen an Altersverifikationssysteme auf Grund der Entscheidung des BGH zu Automatenvideotheken ?

32

a) Inhalt der Entscheidung

32

b) Ergebnis

34

C. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte bei der Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV in den Fällen einfach pornographischer 34

Angebote I. Erforderlichkeit einer zwischen den in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Inhalten differenzierenden Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV

34

1. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JMStV: Indizierte und mit indizierten Medien inhaltsgleiche Angebote

35

2. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JMStV: Offensichtlich schwer jugendgefährdende Angebote II

35


3. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV: 36

Einfach pornographische Angebote

II. Grenzen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bezüglich der Wirkungsrisiken von Pornographie

36

III. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Pornographiebegriff der Praxis

38

IV. Die Bedeutung der EG-„E-Commerce-Richtlinie“: Verfassungswidrige „Inländerdiskriminierung“ durch den Pornographiebegriff der Praxis ?

39

V. Ergebnis

42

D. Stellungnahme zu Siebers Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV

43

I. Das Argument des erhöhten Gefahrpotentials im „Online“-Bereich

43

II. Die Forderung nach Erschwernis der Weitergabe von Zugangsdaten

46

III. Ergebnis

49

E. Gesamtergebnis

49

Teil 3: Das Altersverifikationssystem „ueber18.de“ A. Funktionsweise und Umgehungsmöglichkeiten bei Version 1

50

B. Rechtliche Beurteilung der Version 1

51

C. Ergebnis

54

III


Teil 1: Vorschriften des Jugendmedienschutzrechts, die den Begriff “Sicherstellen” verwenden: §§ 4 Abs. 2 S. 2 JMStV, 1 Abs. 4 JuSchG, 184 c StGB n. F. A. § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV I. Regelung und amtliche Begründung § 4 JMStV enthält in seinem Absatz 1 zunächst einen Katalog von Angeboten, welche einem Absolutverbot für Rundfunk und Telemedien unterliegen. § 4 Abs. 2 Satz 1 erklärt drei weitere Arten von Angeboten für unzulässig. Nr. 1 betrifft die, die in “sonstiger Weise” pornographisch sind. Da § 4 Abs. 1 Nr. 10 die Gewalt-, Kinder-, Jugendlichen- und sodomitische Pornographie erfaßt, ist damit die sog. einfache Pornographie im Sinne des § 184 StGB n. F. gemeint. Nr. 2 untersagt Angebote, die in den öffentlichen und nicht-öffentlichen Teilen A oder C der Liste nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 und 3 JuSchG aufgenommen sind. Nr. 3 bezieht sich auf die offensichtlich schwer jugendgefährdenden Angebote. Anders als in § 4 Abs. 1 JMStV gilt das Verbot des Abs. 2 S. 1 uneingeschränkt jedoch nur für den Rundfunk. Denn gem. Satz 2 des § 4 Abs. 2 JMStV sind die vorgenannten Angebote in Telemedien “abweichend von Satz 1 zulässig, wenn von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden (geschlossene Benutzergruppe).” Die amtliche Begründung des JMStV1 erklärt dazu, bei Ausnahme des § 4 Abs. 2 S. 2 müsse “sichergestellt sein, daß Kinder oder Jugendliche keinen Zugang haben, so dass diese Angebote nur Erwachsenen zur Verfügung stehen. Es muss also ein verlässliches Altersverifikationssystem die Verbreitung an oder den Zugriff durch Minderjährige hindern.” II. Literatur zu § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV Wann jedoch ein solches “Sicherstellen” gegeben ist, das heißt welche Voraussetzungen von Seiten des Anbieters geschaffen werden müssen, damit die in § 4 Abs. 2 Satz 1 JMStV genannten Angebotsinhalte nur Erwachsenen “zugänglich” gemacht werden, ist – soweit ersichtlich – aufgrund der kurzen Zeit seit Inkrafttreten des JMStV am 01.04.2003 in der Rechtsprechung bislang noch

1

Z. B. Landtag Baden-Württemberg, Drs. 13/1551, S. 19 ff., Bayer. Landtag, Drs. 14/10246.


nicht2 und in der Literatur

zum Teil mit eher allgemein gehaltenen

Formulierungen, zum Teil durch das Setzen detaillierter technischer Standards erörtert worden. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über diejenigen in der Literatur vertretenen Ansichten gegeben werden, die strenge Anforderungen an das “Sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV stellen und die das hier zu beurteilende Altersverifikationssystem als unzureichend einstufen. Vorab zu erwähnen ist, daß die Interpretation der Merkmale des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV, also vor allem das – durch den Anbieter zu gewährleistende - “Sicherstellen” der Zugänglichkeit der Angebote nur für Erwachsene, sich oft entweder darauf beschränkt, apodiktisch jene Kriterien für verbindlich zu erklären, die das BVerwG in seinem Urteil zur Frage der Zulässigkeit der Verbreitung von Pornografie im analogen Pay-TV3 aufgestellt hat4 oder die Auffassung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) zu übernehmen. Wie unten näher dargestellt wird,5 hat das BVerwG in diesem Urteil erklärt, im Interesse des Jugendschutzes

sei

eine

zweistufige

Sicherung

pornographischer

Fernsehsendungen erforderlich. Zum einen müsse in persönlichem Kontakt mit dem Kunden zuverlässig seine Volljährigkeit festgestellt werden. Zum anderen müsse (speziell bezüglich der pornographischen Sendungen) ein weiteres im System angelegtes wirksames Hindernis gegen den Zugang Minderjähriger geschaffen werden und sichergestellt sein, daß die Voraussetzungen zu seiner Überwindung nur dem erwachsenen Kunden zugänglich gemacht werden. Die KJM, die als gemeinsames Organ der Landesmedienanstalten die Einhaltung der Bestimmungen des JMStV durch die Anbieter überwacht (§ 14 Abs. 1, 2 JMStV) hat in einem Beschluß vom 18. 06. 20036 das Zwei-Stufen-Konzept des BVerwG für § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV übernommen, geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem sie verlangt, daß zusätzlich gewährleistet sein müsse, daß die dem erwachsenen Nutzer zugeteilten Zugangsdaten zu den Angeboten des § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV nicht an Minderjährige weitergegeben werden. Die Vergabe eines Nutzernamens und eines Paßworts soll daher nicht ausreichend sein.

2

Das Urteil des Kammergerichts in Berlin vom 26.04.2004 – (5) 1Ss 436/03- (4/04) - läßt die Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV ausdrücklich offen. 3 Vgl. BVerwG NJW 2002, 2966 ff. 4 So deutlich Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag/RStVKommentar, § 4 JMStV Rn. 65 allerdings vornehmlich unter dem Blickwinkel der “Unmöglichkeit perfekten technischen Schutzes” 5 S. 22 ff. 6 Wiedergegeben bei Sieber, Gutachten S. 37. 2


1. Ukrow Ukrow, der auf eine Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verzichtet, ist der Ansicht,

ein

im

Sinne

der

amtlichen

Begründung

“verläßliches”

Altersverifikationssystem müsse den in der vorgenannten Entscheidung des BVerwG

gestellten

Anforderungen

genügen.7

Er

verlangt

daher

eine

Volljährigkeitsprüfung des Nutzers durch persönlichen Kontakt sowie ein weiteres Zugangshindernis.8 Eine zureichende Alterskontrolle hält er für gegeben, wenn der Zutritt zu der geschlossenen Benutzergruppe kostenpflichtig ist, und mit der Kopie eines Personaldokuments zugleich eine Scheck-, Konto- oder Kreditkarte vorgelegt werden, die auf denselben Namen lauten.9 Daß Personaldokument und Karte auch entwendet sein könnten, sei unschädlich, da die Täuschung wegen der Abbuchungen nicht lange aufrechterhalten werden könne. Für das zweite Zugangshindernis läßt Ukrow zunächst ein individuell zugeteiltes Paßwort genügen, schließt sich im Widerspruch dazu dann aber der oben erwähnten Auffassung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) an.10 2. Nikles, Roll, Spürck, Umbach Auch Nikles, Roll, Spürck, Umbach11 sind der Ansicht, das Wort “Sicherstellen” verlange zwar ein maximales Schutzniveau, gelangen unter Berufung auf die in der

strafrechtlichen

Literatur

entwickelte

Lehre

von

der

“objektiven

(Erfolgs-)Zurechnung” jedoch zu dem Ergebnis, daß eine absolute Sicherheit nicht zu fordern sei. Der Anbieter hafte daher nicht – d.h. ein “Sicherstellen” im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV ist trotz der für Minderjährige bestehenden Umgehungsmöglichkeiten zu bejahen – wenn insbesondere Jugendliche aufgrund nicht

vorhersehbarer

Anstrengungen

in

extremen

besonderer

Kenntnisse,

Ausnahmefällen

in

der

Fertigkeiten und Lage

sind,

ein

Altersverifikationssystem zu umgehen. Da Nikles u.a. eine Zurechnung der Umgehungsmöglichkeiten eines Altersverifikationssystems somit lediglich für “extreme”

Ausnahmefälle

verneinen,

stellen

sie

im

Ergebnis

höhere

Anforderungen an das durch den Anbieter zu gewährleistende Zugangshindernis gegenüber Minderjährigen als Ukrow. Obgleich nach ihnen – wie bereits erwähnt - eine “absolute Sicherheit” vor dem Zugang durch Minderjährige nicht zu fordern 7

Ukrow, Jugendschutzrecht, 2003, Rdn. 427 m. Fn. 65. A. a. O. Rdn. 428 f. 9 A. a. O. Rdn. 430. 10 A. a. O.Rdn. 429, 431. 8

3


ist,12 kommen sie einer solchen Forderung im Ergebnis sehr nahe. Deutlich wird dies, wenn sie in Übernahme der oben genannten Entscheidung des BVerwG nicht nur die persönliche Alterskontrolle des Nutzers verlangen, sondern bezüglich des “weiteren im System angelegten wirkungsvollen Hindernisses” vorschlagen, bei jeder konkreten Nutzung des von § 4 Abs. 2 erfassten Telemediums biometrische Daten zu erfassen. Als praktische Umsetzung einer solchen “Datenerhebung” führen Nikles u.a. an, diese “könnte z.B. durch ein optisches/sensorisches Lesegerät am heimischen Bildschirm erfolgen, das beim volljährigen Vertragspartner dessen (zuvor erfassten und gespeicherten) Fingerabdruck oder die Iris-Struktur seines Auges als Zugangsvoraussetzung erfasst.”. Selbst diese Personenerkennung scheint für Nikles u.a. noch nicht ausreichend, um dem – rechtlichen - Begriff “Sicherstellen” im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV zu genügen, wenn sie kumulativ weitere Überprüfungsmodi in Aussicht stellen und verlangen.13 3. Liesching Strenge

Anforderungen

an

die

Gewährleistung

einer

“geschlossenen

Benutzergruppe” nach § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV stellt auch Liesching14. Ohne Auslegung des Gesetzes, aber unter ausdrücklicher Berufung auf die oben genannte Entscheidung des BVerwG verlangt er zwei Prüfstufen: 1. Bei der Anmeldung des Erstnutzers erfolgt eine Volljährigkeitsprüfung, welche entweder durch einen persönlichen Kontakt (Face-to-Face-Kontrolle) oder im Rahmen des Post-Ident-Verfahrens der deutschen Post durchgeführt wird (Identifizierung des Erstnutzers15) 2. Beim Zugang zu den Angeboten eine zusätzliche Kontrolle, durch die geprüft wird, ob derjenige, der Zugang verlangt, auch mit dem angemeldeten erwachsenen - Nutzer identisch ist, und die Mißbrauch durch Minderjährige zuverlässig verhindert (Authentifizierung des Nutzers16). Dafür verlangt er die “Implementierung einer Hardwarekomponente”17, welche der Nutzer vor einem 11

Jugendschutzrecht, 2003, § 4 JMStV Rn. 34 f. A.a.O. Rn. 34 13 Vgl. a.a.O., S. 207 f. Rn. 35: Neben der Erfassung biometrischer Daten könne zusätzlich ein dem Volljährigen zuvor erteilter Zugangscode abgefragt und zu “verbrauchende” PIN-Codes verwendet werden. Des weiteren sei an eine – zumeist durch die Eltern vorzunehmende – nutzerseitige Sperrung als Ergänzung zu denken. 14 In Scholz/Liesching, Jugendschutz, 2004, S. 209 Rn. 36 ff. 15 A.a.O., Rn. 37 16 A.a.O., S. 211 Rn. 41a 17 Z.B. “Ab-18”-USB-Stecker oder eine Geldkarte mit gespeicherten persönlichen Daten, vgl. a.a.O., Rdn. 41a 12

4


Online-Abruf integrieren muß. Diese Hardwarekomponente dürfe darüber hinaus nur jene Zugangsdaten enthalten, welche den Zweck haben, die in § 4 Abs. 2 S. 1

JMStV

genannten

Angebotsinhalte

abrufen

zu

können.

Eine

Hardwarekomponente, welche einen “generellen” Zugang verschafft, hält Liesching deshalb für ungeeignet, weil die Gefahr bestehe, “dass Erwachsene die Zugangsdaten an Minderjährige weitergeben in der “redlichen” Annahme der Nutzung zu jugendgeeigneten Zwecken”.18 4. Sieber Unter Aufgabe seiner früheren – zu § 184 StGB a.F. vertretenen - Ansicht19 schließt sich nunmehr auch Sieber in einem für die Coolspot Germany GmbH erstatteten unveröffentlichten Gutachten der oben erwähnten Ansicht der KJM an, das “Sicherstellen” im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlange eine Prüfung auf zwei Stufen: 1. sei bei jedem Neukunden des Anbieters eine persönliche (Face-to-Face) Alterskontrolle erforderlich und 2. müsse beim Zugang zu den Angeboten eine Authentifizierung des Nutzers erfolgen und weitgehend ausgeschlossen sein, daß der Nutzer die ihm zugeteilten Zugangsdaten zu den Angeboten anderen weitergebe. Da Sieber seine neue Ansicht in seinem Gutachten ausführlich begründet, sollen hier nur die wesentlichen Erwägungen, die er für die Revision seiner vormaligen Ansicht anführt, zusammenfassend dargestellt werden. Sieber ist der Ansicht, § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlange eine strenge Abschottung der Angebote, so daß jede Durchlässigkeit des Sicherungssystems zu ihrer Unzulässigkeit führe. Dies begründet er zum Teil mit seiner Interpretation des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV,20 teils mit den Erwägungen des BVerwG in seiner oben erwähnten Entscheidung.21 Vor allem aber führt Sieber tatsächliche Erwägungen an, indem er darauf abstellt, daß der Minderjährige, der einmal die Zugangsdaten zu den Angeboten erhalten oder das System einmal umgangen habe im Gegensatz zu demjenigen, der einmal eine pornographische Videokassette erlangt habe, über den Schlüssel zu einer Vielzahl pornographischer Angebote verfüge. Der Online-Bereich stelle daher unter dem Gesichtspunkt des 18

Vgl. a.a.O., S. 212 Rn. 41b; wie z.B. Online-Shopping oder die Freischaltung von jugendgeeigneten Video-on-Demandangeboten. 19 Dazu sogleich. 20 Gutachten, S. 21 ff. Dazu unten S. 13 f., 15 f. 5


Jugendschutzes ein wesentlich größeres Gefahrpotential dar als der OfflineBereich.22 Diese besondere Gefährlichkeit des Online-Bereichs und zudem die Möglichkeit, Zugangsdaten zu pornographischen Angeboten an beliebig viele andere weiterzugeben, veranlassen Sieber zu der weiteren Forderung, der Anbieter müsse die Weitergabe der zum Abruf der Angebote erforderlichen Zugangsdaten

durch

den

entsprechende

Vorkehrung

Nutzer des

weitgehend Anbieters

ausschließen.

auch

die

Da

Weitergabe

eine der

Zugangsdaten von Eltern an ihre Kinder betrifft, räumt Sieber zwar ein, daß seine Forderung “auf den ersten Blick sehr weitgehend” erscheine und in Widerspruch zu der “bisher herrschenden Meinung” stehe, daß es insbesondere Aufgabe der Eltern sei, dafür Sorge zu tragen, daß pornographische Inhalte Minderjährigen nicht zugänglich gemacht werden.23 Jedoch meint er, sie mit den besonderen Gefahren des Online-Bereichs rechtfertigen zu können. Darüber hinaus seien Vorkehrungen gegen die Weitergabe von Zugangsdaten auch deshalb dem Pflichtbereich des Anbieters zuzurechnen, weil der Minderjährige, der sie erhalten habe, – anders als derjenige, dem ein pornographisches Buch weitergegeben worden sei – beim Abruf der Angebote in direkten Kontakt zum Anbieter trete. Die Gefahr des Mißbrauchs gehe daher unmittelbar auf Aktivitäten des Anbieters zurück,24 ohne daß es noch des eigenverantwortlichen Handelns eines (z. B. ein Pornoheft weitergebenden) Dritten bedürfe. Davon, daß diese Argumentation - vor allem mit Blick auf die im Strafrecht entwickelten Kriterien zur Täterschaft - zweifelhaft ist, scheint auch Sieber auszugehen, wenn er seine Sichtweise nicht etwa als zwingend, sondern nur als “vertretbar”25 darstellt. Nach seiner früheren Ansicht – welche die Rechtsprechung im Bereich der klassischen Medien noch26 auf das Internet überträgt – reicht die Übersendung der Kopie eines Ausweisdokuments oder (bei kostenpflichtigen Angeboten) die Übermittlung einer Kreditkartennummer aus, um ein “Zugänglichmachen” jugendgefährdender Inhalte durch den Anbieter auszuschließen27 - dies, obgleich Sieber die verschiedenen Umgehungsmöglichkeiten derartiger Zugangs- bzw.

21

Gutachten, S. 32 ff, 43, 47. Dazu unten S.24 ff. Gutachten, S. 42 f., 46 f. Dieses Argument übernehmen Döring/Günter MMR 2004, 231, 236. 23 A.a.O., S. 46 24 A.a.O., S. 47 25 A.a.O., S. 47 26 In seinem Gutachten wendet sich Sieber – unter Berufung auf die nunmehr ergangene Rechtsprechung und den besonderen Gefahren im Online-Bereich – von einer solchen parallelen Bewertung ab, vgl. S. 42 f. 27 Vgl. Sieber in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, 2000, S. 239 Rdn. 616 f. 22

6


Altersverifikationssysteme aufführt28 und auch schon damals mit dem – freilich nicht tragfähigen29 - Argument der besonderen Gefahren des Online-Bereichs einen höheren Sicherheitsgrad hätte fordern können. Zwar weist er darauf hin, daß dieses Ergebnis wegen der noch fehlenden Rechtsprechung zum OnlineBereich nicht als gesichert anzusehen sei,30 seine jetzigen Forderungen dürften aber wesentlich der neuen “technischen Situation” zuzuschreiben sein. Rechtliche Gründe, die dazu zwingen, im Online-Bereich einen höheren Maßstab an Zugangshindernisse zu stellen, als er für die klassischen Medien verlangt wird, bestehen, wie zu zeigen sein wird, entgegen der Auffassung Siebers nicht. 5. Zusammenfassung Festzustellen bleibt, daß in Anlehnung an die für maßgeblich gehaltene Entscheidung

des

BVerwG

in

der

Literatur

zunehmend

höhere

Sicherungsmaßnahmen verlangt werden, damit der Anbieter die ihm in § 4 Abs. 2

S.

2

JMStV

gesetzlich

eingeräumte

Möglichkeit 31

jugendgefährdender Inhalte wahrnehmen kann. 32

eine “unmittelbare”

der

Verbreitung

Mit der Begründung, er schaffe

- bzw. nach dem BVerwG “mißbilligte”33 – Gefahrenquelle,

wird vom Anbieter neben der Altersverifikation bei der Anmeldung verlangt, durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen die Weitergabe der Zugangsdaten durch den Nutzer an Minderjährige auszuschließen. Der Anbieter soll mit dem von ihm verwendeten Altersverifikationssystem folglich auch Einfluß auf das Verhalten eines Dritten nehmen und es kontrollieren. B. § 1 Abs. 4 JuSchG I. Regelung und amtliche Begründung Da das gleichzeitig mit dem JMStV in Kraft getretene JuSchG in § 1 Abs. 4 den Begriff “Sicherstellen” ebenfalls verwendet, sollen auch diese Vorschrift und ihre Auslegung in der Literatur kurz dargestellt werden. Dies deshalb, weil die in § 1 Abs.

4

JuSchG

normierte

Definition

des

Versandhandels

mit

z.B.

pornographischen Medien dem gleichen Ziel dient wie § 4 Abs. 2 S. 1 i.V.m. S. 2 28

Vgl. a.a.O., S. 237 Rdn. 613 Dazu unten S. 43 ff. 30 a.a.O., S. 239 Rdn. 618 31 Letztlich wird damit eine vom Anbieter zu gewährleistende 100% Sicherheit vor theoretisch bestehenden Umgehungsmöglichkeiten durch Minderjährige zum Auslegungsmaßstab des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV: Das jeweils technisch Mögliche setzt auch den rechtlichen Standard. 32 Sieber, Gutachten, S. 47 33 BVerwG NJW 2002, 2969 29

7


JMStV, nämlich zu verhindern, daß Minderjährige jugendgefährdende Inhalte wahrnehmen können. Neben dem verbalen Gleichklang sprechen daher auch teleologische

Auslegungskriterien

dafür,

an

das

“Sicherstellen”

eines

Zugangshindernisses in § 1 Abs. 4 JuSchG dieselben tatsächlichen und rechtlichen Anforderungen zu stellen wie in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV. Wegen der großen Anonymitätsrisiken, die eine Alterskontrolle kaum zulassen, ist die Vertriebsform des Versandhandels mit jugendgefährdenden Angeboten im Bereich der sog. Trägermedien bundesgesetzlich durch das JuSchG (vgl. §§ 12 Abs. 3 Nr. 2, 15 Abs. 1 Nr. 5) grundsätzlich verboten. Hierunter fallen sämtliche Formen eines körperlichen/postalischen oder elektronischen Versands, wie der herkömmliche Katalog-Versandhandel, Online-Shopping (einschließlich InternetAuktionen), aber auch der Versand per Bestellung im Internet. In § 1 Abs. 4 JuSchG ist legaldefiniert, wann diese unzulässige Form des “Versandhandels” vorliegt bzw. unter welchen Voraussetzungen, ein “Versenden” möglich ist. § 1 Abs. 4 JuSchG lautet: “Versandhandel im Sinne dieses Gesetzes ist jedes entgeltliche Geschäft, das im Wege der Bestellung und Übersendung einer Ware durch Postversand oder elektronischen Versand ohne persönlichen Kontakt zwischen Lieferant und Besteller oder ohne dass durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, dass kein Versand an Kinder und Jugendliche erfolgt, vollzogen wird.” Soweit die Bestimmung einen Versand auch zuläßt, wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen der Versand nur an Erwachsene sichergestellt ist, beruht sie auf einer Empfehlung des federführenden Bundestagsauschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Begründung führt der Ausschuss aus: “Für einen effektiven Kinder- und Jugendschutz muss sichergestellt werden, dass der Versand nur an Erwachsene erfolgt. Dieses Ziel wird zum einen durch einen

persönlichen

Kontakt

zwischen

Lieferant

und

Besteller

erreicht.

Insbesondere beim elektronischen Versand kann dieses Ziel jedoch auch durch technische Vorkehrungen, wie zum Beispiel sichere Altersverifikationssysteme, oder sonstige Vorkehrungen erreicht werden. Um den elektronischen Versand nicht unnötig zu erschweren, bedarf es dieser Erweiterung.”34

34

BT Drs.14/4910, S. 30. 8


II. Literatur In der Literatur ist – soweit auf diese Parallele hingewiesen wird35 – zunächst anerkannt, daß die Regelungen des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV und des § 1 Abs. 4 i.V.m. §§ 12, 15 JuSchG miteinander korrespondieren36 bzw. die sich aus § 1 Abs. 4 JuSchG ergebenden technischen Anforderungen an die Sicherstellung des

ausschließlichen

Erwachsenenversandes

denen

der

“geschlossenen

Benutzergruppe” im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV entsprechen37. Da sich gerade

beim

elektronischen

Versand

ebensolche

Mißbrauchs-

bzw.

Umgehungsmöglichkeiten für Minderjährige ergeben wie bei der Verbreitung in Telemedien38 müßten – es handelt sich um dieselben jugendgefährdenden Angebotsinhalte – auch die dem Gebot des § 1 Abs. 4 JuSchG genügenden Altersverifikationssysteme denselben Sicherheitsstandard aufweisen wie er namentlich von Liesching und Sieber für § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlangt wird: nämlich eine Kontrolle auf den zwei Stufen einmal der “Identifizierung” des Nutzers durch eine Face-to-Face-Kontrolle bzw. i.R.d. Post-Ident-Verfahrens beim Bestellvorgang und zum zweiten die “Authentifizierung” bzw. hier übertragen: die nochmalige Kontrolle, ob der Besteller auch volljährig ist, bei der jeweiligen “Übergabe” bzw. Zusendung des z.B. im Internet gekauften pornografischen Films elektronisch als Datei oder postalisch als Videokassette. Eben diese bei § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV geforderte Überprüfung des Kunden auf zwei nacheinander folgenden Stufen wird jedoch für ein “Sicherstellen” nach § 1 Abs. 4 JuSchG – ohne eine Begründung für diese unterschiedliche Behandlung – nicht verlangt. So läßt es Liesching genügen, daß sowohl beim elektronischen wie

auch

beim

postalischen

Versand

eine

ausschließliche

technische

Altersverifizierung durch den Anbieter beim Bestellvorgang als hinreichende Sicherstellung des Erwachsenenversandes ausreicht.39 Eine “Authentifizierung” des Nutzers beim “Erfüllungsgeschäft”, also wenn sich die Gefahr, daß Minderjährigen das jugendgefährdende Trägermedium in die Hände fallen kann, erst konkretisiert, fordert Liesching – obwohl dies mit Blick auf seine Auslegung des Begriffs “Sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV nahe gelegen hätte – hier nicht. Beim postalischen Versand beruft sich Liesching für seine Ansicht unter 35

Sieber läßt in seinem Gutachten die Regelung des § 1 Abs. 4 JuSchG bei der Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV völlig unerwähnt. 36 So Nikles u.a., Jugendschutzrecht, § 4 JMStV Rdn. 33 37 So ausdrücklich Liesching in Scholz/Liesching, Jugendschutz, 2004, § 1 JuSchG Rdn. 22. 38 Zu den “Umgehungsmöglichkeiten” s. Sieber, Gutachten, S. 12 ff. 39 Scholz/Liesching, § 1 JuSchG Rdn. 22. I. Erg. ebenso Nikles u. a., Jugenschutzrecht, § 1 9


anderem auf die jüngste Rechtsprechung des OLG Karlsruhe,40 welche “den Versand eines pornografischen Werbeprospektes in einem verschlossenen Briefumschlag für straflos erachtet und ausdrücklich das Risiko, dass Jugendliche sich durch Aufreißen des neutralen Briefumschlags Inhaltskenntnis verschaffen, für unbedenklich erklärt” hat.41 Die sich beim elektronischen Versand ergebende Gefahr, daß bei Email-Zusendung z.B. eines Zugangs-PINCodes von Seiten des Anbieters an den Nutzer ein mißbräuchlicher Zugriff auf die Email durch Minderjährige erfolgt, nimmt Liesching kommentarlos hin. Dieses Risiko beim elektronischen Versand ist für ihn lediglich ein Argument dafür, auch beim postalischen Versendungs- bzw. Zustellungsvorgang keine weiteren Vorkehrungen für notwendig zu erachten.42 C. Zwischenergebnis Der Vergleich der in der Literatur bislang vertretenen Ansichten ergibt, daß an das “Sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV und “Sicherstellen” eines ausschließlichen – hier relevanten elektronischen – Erwachsenenversandes in § 1 Abs. 4 JuSchG unterschiedliche Anforderungen gestellt werden, obwohl aus Sachgesichtspunkten neben dem Wortlaut auch Sinn und Zweck beider Regelungen

nämlich

eine

Konfrontation

von

Minderjährigen

mit

jugendgefährdenden Medienangeboten zu vermeiden – für eine einheitliche Auslegung sprechen. Von daher ergibt sich zur Zeit in der Literatur das widersprüchliche Bild, daß ein Bundesgesetz, hier das JuSchG, scheinbar weniger

zur

Gewährleistung

des

Jugendschutzes

verlangt

als

der

landesrechtliche JMStV. Diese Unstimmigkeiten sind wohl momentan noch darauf zurückzuführen, daß beide Gesetze erst seit dem Jahr 2003 in Kraft sind und die Literatur hierauf schnell reagieren mußte. Die zu beiden Regelungen vertretenen – unterschiedlichen – Ansichten offenbaren jedoch, daß sich einseitig zu § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV die Entwicklung abzeichnet, das Merkmal “Sicherstellen” in Anlehnung an die oben genannte Entscheidung des BVerwG eng auszulegen. Die geforderte Altersüberprüfung des Nutzers erstens bei der Anmeldung für den Empfang der in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Medieninhalte und zweitens bei deren jeweiligen Online-Abruf bleibt auf diese JuSchG Rdn. 23 f. 40 JMS Report 1/2003, 59. 41 A.a.O., S. 14 Rn. 23 m.w.N. 42 Vgl. a.a.O.; deutlich in Rn. 24: Liesching beschreibt hier für die nach § 1 Abs. 4 JuSchG geforderte Sicherheit eines Altersverifikationssystems nur die 1. Überprüfungsstufe (=Identifizierung beim Bestellvorgang); die zweite Stufe (=Authentifizierung) läßt er völlig 10


Norm beschränkt. Denn die dort ebenfalls dem Anbieter auferlegte nochmalige Kontrolle auf der zweiten Stufe “Authentifizierung” wird – obwohl nach Regelungs- und Schutzzweck beider Normen eine übereinstimmende Auslegung angezeigt ist – für die Erfüllung des Merkmals “Sicherstellen” im Rahmen des § 1 Abs. 4 JuSchG nicht verlangt. Für diese unterschiedliche Handhabung sind jedoch in tatsächlicher Hinsicht (der elektronische Versand auf Trägermedien gespeicherter Dateien entspricht von seinem Ablauf her dem der Übertragung in Telemedien)

und

sowohl

aus

rechtlichen

Erwägungen

(Wortlaut

und

teleologische Auslegung nach dem Schutzzweck Jugendschutz) – wie bereits erwähnt - keine Gründe ersichtlich. Von daher bestehen erhebliche rechtliche Zweifel an der derzeitigen Interpretation des Merkmals “Sicherstellen einer geschlossenen Benutzergruppe” nach § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV. Zudem zeigt die Forderung nach einer “Hardwarekomponente” oder ähnlichen Prüfmechanismen, wie z. B. dem Abgleich biometrischer Daten, daß die Auseinandersetzung sehr von der Idee geprägt ist, den jeweils jüngsten Technikstandard zum “rechtlichen” Maßstab zu nehmen.43 D. § 184c StGB n. F. I. Regelung und amtliche Begründung Die dritte Vorschrift auf dem Gebiete des Jugendmedienschutzrechts, die den Begriff “Sicherstellen” verwendet, ist der am 01. 04. 2004 in Kraft getretene und daher in der Literatur noch nicht näher behandelte § 184c S. 2 StGB n. F.. Die Bestimmung tritt an die Stelle des § 184 Abs. 2 StGB a. F., die die Verbreitung (auch) einfach pornographischer Live-Darbietungen im Rundfunk untersagte. § 184c S. 1 StGB n. F. dehnt dieses Verbot jetzt auf Medien- und Teledienste, also Telemedien im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 JMStV, aus und verweist für die Fälle qualifiziert pornographischer Angebote im Sinne der §§ 184a und b StGB n. F. auf die dort vorgesehenen Strafrahmen. Für einfach pornographische Live-Darbietungen sieht § 184c S. 2 StGB n. F. allerdings eine Ausnahme vom Verbot des Abs. 1 vor, indem er bestimmt: “In den Fällen des § 184 Abs. 1 ist Satz 1 nicht anzuwenden, wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, daß die pornographische Darbietung Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich ist.”

unerwähnt. 11


Die amtliche Begründung44 erklärt dazu, daß ein absolutes Verbreitungsverbot in den Fällen einfacher Pornographie “über den Schutzzweck (Jugendschutz) hinaus” gehe. Deshalb stelle S. 2 klar, daß unter den dort genannten Voraussetzungen S. 1 in diesen Fällen nicht anzuwenden sei. Diese Einschränkung des Verbreitungsverbots habe dem § 184 Abs. 2 StGB a. F. zwar schon im Wege der Auslegung entnommen werden können. Im Hinblick auf “die ausdrückliche Regelung in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV” erscheine jedoch nunmehr eine gesetzliche Klarstellung erforderlich. II. Literatur § 184c StGB n. F. ist in der kurzen Zeit seit seinem Inkrafttreten in der Literatur noch nicht eingehend behandelt worden. Nach Fischer45 steht es dem Tatbestandsausschluß nicht entgegen, daß die Vorkehrungen im Einzelfall umgangen werden können. Die von Pay-TV-Veranstaltern verwendete Methode der persönlichen Altersfeststellung des Nutzers und der Vergabe eines Zugangscodes ist seiner Ansicht nach in der Regel genügend. Da er die oben erwähnte Entscheidung des BVerwG weder bei § 184c StGB noch bei § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB erwähnt, ist davon auszugehen, daß er die Zuteilung der PIN, die den Zugang zum Gesamtprogramm des Anbieters ermöglicht, für ausreichend und einen zusätzlichen Zugangscode zu den pornographischen Sendungen nicht für erforderlich hält.

Teil 2: Auslegung des Merkmals “Sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV A. Wortlaut und amtliche Begründung Die Erlaubnis des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV setzt wie bereits erwähnt voraus, daß von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, daß die in S. 1 genannten Angebote nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden. Mit dem Wort “sicherstellen” führt der JMStV – zugleich mit § 1 Abs. 4 JuSchG - einen bislang im Jugendmedienschutzrecht noch nicht verwendeten Begriff ein. Auf den ersten Blick mag dessen Bedeutung klar sein: Die Unzugänglichkeit der 43 44

So deutlich Sieber, Gutachten, S. 11; Döring/Günter MMR 2004, 231, 235. BT Drs. 15/350, S. 21 f. 12


Angebote für Minderjährige muß zu 100% und ohne jede Ausnahme gewährleistet sein. Gegen ein solches Verständnis sprechen jedoch drei Gründe: Zum einen ist allgemein bekannt, daß sich absolute Sicherheit, die unerwünschte Folgen gänzlich ausschließt, auf keinem Gebiet herstellen läßt. Selbst § 7 Abs. 1 Nr. 3 AtomG, der vor in ihrem Ausmaß unübersehbare Katastrophen

schützen

soll,

verlangt

nur,

daß

Schäden

“praktisch”

ausgeschlossen sind.46 Zum andern verlangt der JMStV - anders als § 5 Abs. 3 S. 2 des früheren GjS – nicht, daß die Kenntnisnahme durch Minderjährige “ausgeschlossen” ist, und er fordert auch nicht, wie es § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV überflüssigerweise47 tut, daß die Kenntnisnahme durch Minderjährige “unmöglich” gemacht wird. Schließlich verlangt die amtliche Begründung zu § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV als Mittel der “Sicherstellung” - lediglich - ein “verläßliches” Altersverifikationssystem. Verläßlichkeit bedeutet aber schon nach allgemeinem Sprachgebrauch keine 100%ige, absolute Sicherheit. Gleichwohl wird in der Literatur zum Teil bereits auf Grund des Wortlauts des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV eine nahezu absolute Sicherheit verlangt.48 Diese Forderung wird damit begründet, daß aus dem § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV in Klammern angefügten Begriff der “geschlossenen Benutzergruppe” auf das Erfordernis einer “strengen Abschottung” der in S. 1 genannten Angebote gegen den Zugriff Minderjähriger zu schließen sei. “Geschlossenheit” bedeute, daß “jede Öffnung sowie Durchlässigkeit des Sicherungssystems, die Jugendlichen Zugang ermöglicht, zur Unzulässigkeit des Angebots führt.”49 Diese Argumentation geht jedoch fehl. Denn nach den üblichen Regeln der Gesetzestechnik stellen die in S. 2 genannten Voraussetzungen eine Legaldefinition des Begriffs “geschlossene Benutzergruppe” dar, so daß dieser Begriff nicht – umgekehrt – wiederum zur Bestimmung seiner Merkmale verwendet werden kann. Im übrigen ist im Vorgriff auf Gesichtspunkte der systematischen Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV auf folgendes hinzuweisen. § 184c StGB n. F. läßt jetzt, wie oben erwähnt,50 einfach pornographische Darbietungen im Rundfunk sowie in Tele- und Mediendiensten in der Sache unter denselben Voraussetzungen zu, die in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV genannt sind, ohne jedoch den Begriff “geschlossene Benutzergruppe” zu 45

Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. 2004, § 184c Rdn. 7. BVerwGE 106, 115, 121. 47 Denn nach dem Wortlaut genügt auch auch eine “wesentliche Erschwernis”. 48 Sieber, Gutachten, S. 21; s. auch Bornemann, NJW 2003, 787, 789. 49 So Bornemann a. a. O., dessen Formulierung Sieber a. a. O. übernimmt. 50 S. oben S. 11 f. 46

13


erwähnen. Wäre es richtig, aus der zusätzlichen Verwendung dieses Begriffs in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV eine restriktive Auslegung der Bestimmung herzuleiten, müßten konsequenterweise an das “Sicherstellen” in § 184c StGB n. F., der ihn nicht enthält, geringere Anforderungen gestellt werden. Daß dies verfehlt wäre, bedarf keiner näheren Darlegung. Ist “Sicherstellen” im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV demnach nicht so zu verstehen, daß die in S. 1 genannten Angebote für Jugendliche absolut oder nahezu absolut unzugänglich gemacht werden müssen,51 stellt sich die Frage, welchen Grad der Sicherheit vor der Kenntnisnahme durch Minderjährige ein Altersverifikationssystem gewährleisten muß. B. Systematische Auslegung I. Bedeutung des § 5 JMStV Eine erste Antwort auf diese Frage könnte sich aus § 5 JMStV ergeben, der die bedingt

zulässigen

jugendbeeinträchtigenden

Angebote

betrifft,

die

der

Gesetzgeber als weniger schädigend ansieht als die in § 4 genannten.52 Denn für solche Angebote gilt gem. § 5 Abs. 1 JMStV die Regel, daß der Anbieter lediglich dafür Sorge tragen muss, daß Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie “üblicherweise nicht wahrnehmen”. Die Kenntnisnahme der Angebote durch Minderjährige soll also nicht den Normalfall darstellen. Das Gesetz nimmt hier also im Interesse der Meinungsäußerungs- und der Rundfunkfreiheit sowie der Informationsfreiheit Erwachsener in erheblichem Umfang das Risiko jugendbeeinträchtigender Wirkungen hin. Dem entspricht es, daß das Gesetz in § 5 Abs. 3 Nr. 2 JMStV als Mittel des Jugendschutzes die Einhaltung der in Abs. 4 näher bestimmten Sendezeitgrenzen zur Verfügung stellt, die bekanntlich von Kindern und Jugendlichen vielfach nicht beachtet werden. Die andere den Anbietern in § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV eingeräumte Möglichkeit, durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung von Angeboten durch Minderjährige der betroffenen Altersstufen unmöglich zu machen oder (nur) wesentlich zu erschweren, scheint auf den ersten Blick eine wesentlich höhere Hürde zu errichten als die der Sendezeitgrenzen. Da aber auch § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV nur eine Konkretisierung des in § 5 Abs. 1 JMStV aufgestellten Grundsatzes darstellt, können – dies ergibt sich auch aus der 51

So auch Berger MMR 2003, 773, 777. 14


amtlichen Begründung zu § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV - die Anforderungen an die “wesentliche Erschwernis” hier nur dahin gehen, daß Minderjährige sie “üblicherweise” nicht überwinden. Zudem zeigt § 11 Abs. 1 1. Alt. JMStV, daß Anbieter von Telemedien entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV eine tatsächliche Erschwernis selbst nicht schaffen müssen. Denn es genügt, daß sie ihre jugendbeeinträchtigenden

Angebote

für

ein

Jugendschutzprogramm

programmieren, dessen Installation auf dem Empfangsgerät aber dem jeweiligen Nutzer überlassen bleibt. Folglich sind jugendbeeinträchtigende Angebote bei all jenen Nutzern, die ein solches Programm nicht installieren, außerhalb der dafür vorgesehenen Sendezeitgrenzen für Minderjährige ohne weiteres zugänglich. Auch aus diesem Grund wäre es verfehlt, von dem Anbieter, der sich dafür entscheidet, die Wahrnehmungserschwernis selbst zu schaffen, mehr zu verlangen als das, was § 5 Abs. 1 JMStV fordert: daß Kinder und Jugendliche der betroffenen Altersstufen die Angebote “üblicherweise” nicht wahrnehmen. Im Ergebnis folgt daher aus dem Vergleich von § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV mit §§ 5 und 11 JMStV, daß der Begriff des Sicherstellens in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV mehr verlangt als die Regel des § 5 Abs. 1 JMStV, es also nicht genügt, daß Minderjährige die in § 4 Abs. 2 S. 1 genannten Angebote “üblicherweise” nicht wahrnehmen.53 Dementsprechend heißt es auch in der amtlichen Begründung zu § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV, daß an ein Altersverifikationssystem im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV wesentlich höhere Anforderungen zu stellen sind als an die technischen Maßnahmen im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV. Solche höheren Anforderungen stellt § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV allerdings schon deshalb, weil hier der Anbieter selbst ein Wahrnehmungshindernis für Minderjährige schaffen muß, während es im Fall des § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV - wie erwähnt - gem. § 11 Abs. 1 1. Alt. genügt, daß der Anbieter lediglich die Voraussetzungen dafür liefert, daß der Nutzer ein solches Hindernis in Form eines Jugendschutzprogramms installiert. II. Bedeutung des § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV (Totalverbot im Rundfunk) Daraus, daß die in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Angebote im Rundfunk gänzlich verboten sind, will Sieber54 – im Wege gesetzessystematischer Auslegung - herleiten, die Ausnahme des S. 2 für Telemedien sei nur in ganz 52

Amtliche Begründung zu § 5 JMStV. So auch Döring/Günter MMR 2004, 231, 234. 54 Gutachten, S. 22. 53

15


engen Grenzen zuzulassen, da andernfalls gegen die Ungleichbehandlung der beiden

Medienbereiche

“erheblichere”

verfassungsrechtliche

Bedenken

angezeigt seien. Diese Erwägung ist jedoch verfehlt. Da es für Rundfunk wie für Telemedien ausreichende technische Möglichkeiten des Jugendschutzes gibt, stellt ein Totalverbot der in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Angebote bei beiden einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungs- bzw. Rundfunkfreiheit der Anbieter und die Informationsfreiheit Erwachsener dar und ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Eben deshalb – weil es “über den Schutzzweck (Jugendschutz) hinaus” ging55 – hat, wie zuvor erwähnt, jetzt der Bundesgesetzgeber das bisher in § 184 Abs. 2 StGB enthaltene Verbot einfach pornographischer LiveDarbietungen im Rundfunk aufgehoben und durch § 184c StGB ersetzt. Nach dessen Satz 2 sind solche Darbietungen jetzt im Rundfunk und in Tele- und Mediendiensten (Telemedien i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 JMStV) in der Sache unter denselben Voraussetzungen zulässig, die § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV nennt. Daß der JMStV es gleichwohl für den Rundfunk bei dem Totalverbot des § 4 Abs. 2 S. 1 beläßt, verstößt demnach gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und stellt zugleich – unabhängig davon, wie man den Begriff des Sicherstellens in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV interpretiert – eine gegen Art. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung des Rundfunks dar. Legitimieren läßt sich dies lediglich für pornographische und schwer jugendgefährdende Angebote und zudem nur bezüglich des Fernsehens mit der EG-Fernsehrichtlinie, da diese in Art. 22 ein solches Verbot verlangt. Zu bedenken ist jedoch, daß auch diese Bestimmung wegen der vorhandenen technischen Möglichkeiten des Jugendschutzes ihrerseits einen Verstoß gegen das Übermaßverbot darstellt. Im Ergebnis bleibt daher das für den Rundfunk vorgesehene Totalverbot des § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV unverhältnismäßig und verstößt gegen Art. 3 GG. Es liegt folglich auf der Hand, daß sich aus ihm nichts für die Auslegung – und insbesondere für eine restriktive Interpretation – des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV entnehmen läßt. III. Die Bedeutung des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und des § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG Maßstäbe

zum

Grad

der

erforderlichen

Verläßlichkeit

eines

Altersverifikationssystems können sich jedoch aus den Ansichten ergeben, die in 55

BT-Drs. 15/350, S. 22. 16


der Rechtsprechung und Literatur zu den Tatbeständen des Zugänglichmachens pornographischer, indizierter und offensichtlich schwer jugendgefährdender Medien für Minderjährige bzw. des Zugänglichmachens solcher Medien an für Minderjährige zugänglichen oder für sie einsehbaren Orten vertreten werden (§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB, § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG). 1. Die Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und des § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG als Maßstab des von § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlangten Sicherheitsstandards Daß diese Auffassungen für die Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV von Bedeutung sind, liegt auf der Hand. Denn diese Vorschrift und die genannten Bestimmungen des StGB und des JuSchG dienen gleichermaßen dem Jugendschutz und sollen ebenfalls verhindern, daß Minderjährige die Möglichkeit erhalten, Medien mit potentiell jugendgefährdenden Inhalten wahrzunehmen. Es wäre

daher

widersprüchlich,

an

die

Verläßlichkeit

eines

Altersverifikationssystems im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV andere Anforderungen zu stellen als an die Wahrnehmungshindernisse, die als ausreichend angesehen werden, um die Merkmale des “Zugänglichmachens” und der “Zugänglichkeit” bzw. “Einsehbarkeit” in § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG auszuschließen. Dies gilt um so mehr, als § 184c S. 2 StGB n. F. nunmehr im ausdrücklichen Anschluß an § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV und unter – in der Sache – denselben Voraussetzungen wie dieser einfach pornographische Darbietungen im Rundfunk und in Telemedien zuläßt. Da für pornographische Live-Darbietungen unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes nichts anderes gelten kann als für pornographische Schriften, müssen an die technischen oder sonstigen Maßnahmen im Sinne des § 184c S. 2 StGB n. F. die – und nur die – Anforderungen gestellt werden, die ein Zugänglichmachen für Minderjährige oder ein Zugänglichmachen an für sie zugänglichen oder einsehbaren Orten ausschließen. Noch deutlicher wird dies dadurch, daß die in § 184c S. 2 StGB n. F. enthaltene Erlaubnis nicht auf Live-Darbietungen beschränkt bleiben kann, sondern konsequenterweise auch für aufgezeichnete Sendungen (also für Schriften) gelten muß, die unter § 184 StGB fallen. Demzufolge stellt sich jetzt bei der Ausstrahlung eines einfach pornographischen Films im Fernsehen oder in einem Mediendienst die Frage, wie sicher die technischen oder sonstigen

17


Vorkehrungen sein müssen, um die Tatbestände des Zugänglichmachens im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. und 2 StGB entfallen zu lassen. Daß an das “Sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV dieselben Anforderungen zu stellen sind, die die Tatbestände des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und der §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 2; 27 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG ausschließen, ergibt sich schließlich auch daraus, daß § 4 Abs. 2 JMStV die in S. 1 Nr. 1 – 3 genannten Angebote “unbeschadet strafrechtlicher Verantwortung” für unzulässig erklärt. Das Gesetz geht hier also davon aus, daß im Fall des “Sicherstellens” gemäß S. 2 des § 4 Abs. 2 JMStV das Merkmal des Zugänglichmachens im Sinne der genannten Straftatbestände nicht erfüllt ist.56 a) Herkömmliche Auslegung der §§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB, 15 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG: Zugänglichmachen für Minderjährige Einem Minderjährigen zugänglich gemacht im Sinne der §§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB, 15 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG ist ein Medium nach allgemeiner Ansicht, wenn der

Täter

ihm

die

tatbestandsmäßigen

konkrete

Inhalt

des

Möglichkeit Mediums

verschafft unmittelbar

hat, durch

von

dem

sinnliche

Wahrnehmung Kenntnis zu nehmen.57 Jedoch reicht nicht jede tatsächlich gegebene Möglichkeit der Kenntnisnahme zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals “Zugänglichmachen” aus. Es ist nämlich dann

nicht

verwirklicht,

wenn

der

Minderjährige

die

Möglichkeit

der

Kenntnisnahme nur durch Überwindung von Hindernissen erlangen kann, z. B. indem er einen verschlossenen Umschlag oder ein Paket öffnet.58 Ausführlich und zutreffend hat hierzu im Rahmen des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB das OLG Karlsruhe59 Stellung genommen. In dem zu entscheidenden Fall lagen im Kassen- und Verkaufsraum einer Tankstelle pornographische Hefte in unmittelbarer Nähe der Kasse zum Verkauf aus, die in dünne, leicht verletzliche Plastikfolie eingeschweißt waren. Da die Darstellungen auf der Titel- und der Rückseite der Hefte durch farbige, undurchsichtige Abdeckungen so weit 56

I. Erg. ebenso Döring/Günter MMR 2004, 231, 232. H. M., vgl. Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl. 2001, § 184 Rdn. 5. 58 Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001; § 184 Rdn. 9; Laufhütte in: LK StGB, 11. Aufl. 1995, § 184 Rdn. 21; Horn/Wolters in: SK-StGB (Stand: Oktober 2003), § 184 Rdn. 8. 59 NJW 1984, 1975. 57

18


verdeckt waren, daß die Bildteile, die ihnen einen pornographischen Charakter gaben, nicht mehr zu erkennen waren, hatten Jugendliche, die den Raum betraten nach Ansicht des OLG nicht die unmittelbare Möglichkeit, von ihrem pornographischen Inhalt Kenntnis zu nehmen. Dieser war ihnen folglich nicht zugänglich im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zwar hätten Jugendliche sich die Möglichkeit der Kenntnisnahme des gesamten Inhalts der Hefte leicht durch Aufreißen der Folie verschaffen können. Dies reicht nach Ansicht des OLG Karlsruhe zur Erfüllung des Merkmals des Zugänglichmachens jedoch nicht aus: “Denn hierdurch vermittelt sich der Jugendliche gerade selbst und dies in ausdrücklicher untersagter und rechtswidriger Weise Kenntnis vom pornographischen Inhalt der Schrift, während der Angeklagte durch das Einschweißen der Hefte und Abdecken der anstößigen Teile dieser Kenntnisnahme – wenn auch überwindbare – Hindernisse entgegensetzt.” Vorkehrungen, die “unter allen Umständen verhindern, daß Personen unter 18 Jahren in die Lage versetzt werden, sich durch eigenmächtige, ausdrücklich verbotene und rechtswidrige Handlungen Kenntnis von dem tatsächlich vorhandenen pornographischen Inhalt der Schrift zu verschaffen”, hält das OLG nicht für erforderlich. Sie seien auch im Interesse des Jugendschutzes nicht geboten: “Die ungestörte sexuelle

Entwicklung

Jugendlicher

wird

vielmehr

schon

dadurch

in

ausreichendem Maße sichergestellt, daß diese durch Abdeckung der anstößigen Teile der Schriften und Verschweißen der Hefte von der Konfrontation mit Pornographie verschont bleiben und sie auf rechtlich erlaubte

oder

wenigstens

stillschweigend

geduldete

Weise

keinerlei

Möglichkeit besitzen, den jugendgefährdenden Inhalt einzusehen. Das Risiko, daß Jugendliche pornographische Schriften betrachten oder lesen können und hierdurch Entwicklungsstörungen erleiden wird hiermit auf ein hinnehmbares Maß begrenzt, zumal durch die Aufstellung der verpackten Hefte in unmittelbarer Nähe der Kasse für den Regelfall sogar gewährleistet ist, daß Jugendliche sie überhaupt in die Hand nehmen und aufreißen. Dies gilt vor allem auch im Hinblick darauf, daß wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über schädliche Auswirkungen von Pornographie auf die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nach wie vor fehlen, die Gefahr der Verletzung des geschützten Rechtsguts also auch von daher gesehen nicht besonders naheliegt.”

19


Unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe hat das OLG Celle60 das Zugänglichmachen im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB in einem Fall verneint, in dem die in einer Tankstelle zum Verkauf ausliegenden Pornohefte ebenfalls in dünne Plastikfolie eingeschweißt und mit dem schriftlichen Hinweis versehen waren, daß der Verkauf an Minderjährige verboten sei und das Aufreißen der Folie zum Kauf verpflichte. Zur Begründung erklärt das OLG Celle, das Merkmal des Zugänglichmachens setze voraus, daß Minderjährige “ohne Verletzung rechtlicher Gebote und ohne Überwindung tatsächlicher Hindernisse” die Möglichkeit haben, den Inhalt einer pornographischen Schrift wahrzunehmen. b) Herkömmliche Auslegung der §§ 184 Abs. 1 Nr. 2; 15 Abs. 1 Nr. 2 JuSchG: Zugänglichmachen an für Minderjährige zugänglichen oder einsehbaren Orten Während § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 15 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme des Medieninhalts durch Minderjährige erfassen, betrifft die jeweilige Nr. 2 die abstrakte Möglichkeit der Wahrnehmung. Sie erfaßt Fälle im Vorfeld der Nr. 1 und soll bereits das Entstehen von Situationen verhindern, in denen es zu der in Nr. 1 beschriebenen unmittelbaren visuellen Wahrnehmung überhaupt erst kommt.61 Das Merkmal des Zugänglichmachens verlangt daher in der Alternative der “Zugänglichkeit des Orts” zwar auch die konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme des tatbestandsmäßigen Medieninhalts im Sinne der Nr. 1 für Minderjährige, nicht jedoch, daß diese auch tatsächlich Kenntnis erlangen. Bei der Alternative der “Einsehbarkeit des Orts” hingegen muß der Medieninhalt für Minderjährige, sofern sie von der Einsehbarkeit Gebrauch machen, dagegen unmittelbar zu sehen sein.62 Hinsichtlich der weiteren Merkmale der Nr. 2, der Zugänglichkeit und der Einsehbarkeit des Orts, an dem ein tatbestandsmäßiges Medium zugänglich ist, gilt das zum Zugänglichmachen im Sinne der Nr. 1 Gesagte entsprechend: Nach h. M. kommt es nicht darauf an, ob Kinder oder Jugendliche den Ort – zum Zeitpunkt der Zugänglichkeit dieser Medien – rein tatsächlich betreten oder einsehen können. Vielmehr gilt ein Ort nur dann als für Minderjährige zugänglich, 60

MDR 1985, 693. Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder § 184 Rdn. 10. 62 Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder § 184 Rdn. 12. 61

20


wenn er ohne Überwindung im allgemeinen ausreichender tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse betreten werden kann.63 Bei ansonsten frei zugänglichen Räumen, wie z. B. Ladengeschäften, genügen Minderjährigen den Zutritt untersagende Verbotsschilder zwar nur, wenn ihre Beachtung kontrolliert wird.64 Die Überwindbarkeit dieser Kontrolle, z. B. durch Täuschung, führt jedoch nicht dazu, das Zugangshindernis für unzureichend zu halten.65 Eine 100%ige oder nahezu 100%ige Unzugänglichkeit für Minderjährige wird also nicht verlangt. Entsprechendes gilt für das Merkmal der Einsehbarkeit eines Ortes für Minderjährige. Dieses ist nach h. M. nicht erfüllt, wenn der Ort, z. B. ein von Mauern umgebenes Freiluftkino, in dem pornographische Filme gezeigt werden, nur dann eingesehen werden kann, wenn hierzu auf einen Laternenmast oder Baum geklettert oder ein Fernglas zu Hilfe genommen werden muß.66 c) Ergebnis Nach

h.

M.

sind

die

Merkmale

des

Zugänglichmachens

und des

Zugänglichmachens an für Minderjährige zugänglichen oder einsehbaren Orten im Sinne der §§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG dann nicht erfüllt, wenn der Möglichkeit der Wahrnehmung “regelmäßig wirksame” Hindernisse entgegenstehen. Wie die hierfür in der Rechtsprechung und Literatur genannten Beispiele zeigen, sind damit Hindernisse gemeint, die - wie z. B. fremdes Eigentum - in aller Regel respektiert67 werden oder deren Überwindung einen nicht ganz unerheblichen Aufwand erfordert, so daß sich Minderjährige nur ausnahmsweise über die dadurch gesetzten Schranken hinwegsetzen. Da, wie oben gezeigt,68 der von dem Merkmal des “Sicherstellens” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlangte Grad der Sicherheit derselbe ist, der zum Ausschluß 63

Lackner/Kühl § 184 Rdn. 5; Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder § 184 Rdn. 11; Tröndle/Fischer § 184 Rdn. 11; Laubenthal, Sexualstrafrecht, 200, Rdn. 771. 64 BGH NJW 1988, 272, OLG Hamburg NJW 1992, 1183. 65 BGHSt 48, 278. 66 Horn/Wolters in:SK § 184 Rdn. 18;Lackner/Kühl §184 Rdn. 5; Laubenthal, Sexualstrafrecht Rdn. 772; Laufhütte in: LK § 184 Rdn. 23; Lenckner/Perron in:Schönke/Schröder § 184 Rdn. 13; Tröndle/Fischer § 184 Rdn. 11. 67 Dies verkennt das OLG Düsseldorf, Urteil v. 17. 2 2004 - III-5 Ss 143/03 - 50/03 I - , das einen Umstand, der nur auf den Willen des potentiellen Nutzers einwirkenden Umstand, also z. B. ein Verbot, grundsätzlich für unzureichend erklärt. 68 S. 17 f. 21


der Tatbestände des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und des § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG führt, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, daß der Anbieter von Telemedien der in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Inhalte Hindernisse schafft, die einen solchen Überwindungsaufwand erfordern. Damit ist auch dem

Erfordernis

genügt,

daß

an

die

Sicherheit

des

Wahrnehmungshindernisses gem. § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV höhere Anforderungen zu stellen sind als an die “wesentliche Erschwernis” in § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV. Denn nach dieser Vorschrift muß, wie oben dargelegt,69 der Anbieter, der diese Erschwernis selbst schaffen will und die Installation eines Jugendschutzprogramms nicht dem Nutzer überläßt, lediglich dafür sorgen, daß Kinder und Jugendliche der betroffenen Altersgruppen, die potentiell beeinträchtigenden Angebote “üblicherweise” nicht wahrnehmen. 2. Die Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das BVerwG und das VG München a) Inhalt der Entscheidungen Wesentlich strenger als die soeben dargestellten Ansichten sind die Auffassungen des BVerwG70 und des VG München71 zu der Frage, welche Vorkehrungen

ergriffen

werden

müssen,

damit

die

Ausstrahlung

pornographischer Sendungen im analogen Pay-TV nicht den Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB, also des Zugänglichmachens des ausgestrahlten Films an einem für Minderjährige zugänglichen Ort72 erfüllt. Nach Ansicht des BVerwG muß – in einem ersten Schritt - durch eine zuverlässige Alterskontrolle sichergestellt sein, daß der zur allgemeinen Entschlüsselung der Sendungen des Pay-TV-Anbieters erforderliche Decoder nur an Erwachsene abgegeben wird. Hierfür genüge weder die Erklärung des Vertragsinteressenten,

daß

er

volljährig

sei,

noch

die

Vorlage

der

Ablichtungen von Dokumenten, aus denen sich Name und Geburtsdatum ergeben. Denn bei der Herstellung von Kopien könne manipuliert werden. Eine zuverlässige Alterskontrolle sei dagegen z. B. anzunehmen, wenn vor oder während des Vertragsschlusses ein persönlicher Kontakt mit dem 69

S. 14 f. NJW 2002, 2966. 71 MMR 2003, 292. 72 Z.B. dem für Minderjährige offenstehenden Raum einer Wohnung, in dem das empfangsbereite 70

22


späteren Kunden stattfinde und in diesem Zusammenhang eine zuverlässige Kontrolle seines Alters anhand amtlicher und mit Lichtbild versehener Dokumente sowie der Aufzeichnung darin enthaltener Daten, namentlich der Personalausweisnummer, vorgenommen werde. Andere Verfahrensweisen der Altersfeststellung schließt das BVerwG zwar nicht aus, verlangt aber von ihnen ein eben solches Maß an Gewißheit, daß der Vertrag nur mit Erwachsenen abgeschlossen wird. Darüber hinaus fordert es, daß so weit wie möglich sichergestellt sein müsse, daß der Decoder tatsächlich auch nur an die volljährigen Kunden gelangt. Auch wenn nach diesen Regeln bereits gewährleistet ist, daß der Decoder nur Erwachsenen ausgehändigt wird, soll dies im Fall der Ausstrahlung pornographischer Programme den objektiven Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach Ansicht des BVerwG jedoch noch nicht ausschließen: “Dies ist nur dann der Fall, wenn zusätzlich zumindest eine weitere im System angelegte effektive Vorkehrung getroffen wird, die es Minderjährigen regelmäßig unmöglich macht, die in Rede stehenden Filme wahrnehmen zu können. Soweit es – wie hier – um die Strafbarkeit des Ausstrahlens auch im häuslichen Bereich empfangener pornographischer Fernsehfilme nach § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB geht, kann nämlich bei der Auslegung des Merkmals “Zugänglichmachen” nicht vernachlässigt werden, daß der Jugendschutz im Fernsehen auch dem Umstand Rechnung zu tragen hat, daß es soziale Bindungen gibt, in denen erzieherisches Handeln nicht oder nur unzureichend stattfindet (vgl. BVerwGE 106, 216 [222] = NJW 1998, 2690). Insbesondere in solchen Fällen kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, daß sich Minderjährige trotz vielfältiger Wahrnehmungshindernisse selbst visuellen Zugang zu dem Inhalt der Filme verschaffen. Erfordert die Wahrnehmung pornografischer Filme über den Einsatz allgemeiner Decodiereinrichtungen hinaus die Überwindung zumindest eines weiteren im System angelegten wirkungsvollen Hindernisses und ist sichergestellt, daß die dafür notwendigen Voraussetzungen ebenfalls nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden, ist jedoch wegen des Zusammenwirkens der Wahrnehmungshindernisse die Annahme einer ‚effektiven Barriere‘ zwischen dem pornografischen Film und dem

Minderjährigen

Wahrnehmungshindernisse

gerechtfertigt. tragen

nicht

nur

Die Defiziten

erforderlichen im

häuslichen

Fernseherziehungsverhalten Rechnung. Sie erhöhen auch in gebotenem Fernsehgerät steht. 23


Umfang die Wahrscheinlichkeit, dass Minderjährige nur mit Erlaubnis ihrer verantwortungsbewussten Eltern bestimmte verschlüsselte Filme ansehen und dass es sich dabei nicht um Filme pornographischen Charakters handelt. Der pornografische Fernsehfilme ausstrahlende Veranstalter hat diese Hindernisse zu errichten, weil er die von § 184 I Nr. 2 StGB missbilligte Gefahrenquelle setzt und deshalb die Voraussetzungen dafür zu schaffen hat, daß der Minderjährige durch eine ‚effektive Barriere‘ gehindert wird, die pornografischen Fernsehfilme wahrzunehmen.” Das VG München hat sich der Ansicht des BVerwG angeschlossen und das “weitere im System angelegte wirkungsvolle Hindernis”, welches das BVerwG zusätzlich zu einer verläßlichen Alterskontrolle des Abonnenten verlangt, in der Sache dahingehend präzisiert, daß der Zugang zu pornographischen Sendungen nicht mit der PIN möglich sein dürfe, die dem Abonnenten zur Freischaltung aller im Pay-per-View-Verfahren angebotenen Sendungen zugeteilt werde. Vielmehr sei hierfür eine zusätzliche PIN (eine sog. AdultPIN) erforderlich. b) Kritik Die Ansicht des BVerwG und des VG München ist weder mit allgemein anerkannten Regeln des Strafrechts noch mit den Grundsätzen des Jugendmedienschutzrechts vereinbar. aa) Unvereinbarkeit mit strafrechtlichen Regeln Beide Gerichte meinen, der Fernsehveranstalter verwirkliche den objektiven Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn er nicht erstens durch eine zuverlässige Alterskontrolle der Kunden dafür sorge, daß der Decoder, mit dem pornographische Sendungen zu empfangen sind, nur an Erwachsene abgegeben wird und zweitens zusätzlich eine “effektive Barriere” gegen den Zugriff Minderjähriger auf diese Sendungen errichte. Diese Ansicht ist aus mehreren Gründen unzutreffend. Den objektiven Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt der Veranstalter durch eine pornographische Sendung grundsätzlich schon dann nicht, wenn der Decoder an Erwachsene abgegeben wird. Ob und wie deren Volljährigkeit festgestellt

24


worden ist, ist ohne Belang. Denn für die Frage, ob der Veranstalter den objektiven Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht, kommt es allein darauf an, ob die Kunden tatsächlich volljährig sind. Ist dies der Fall, so liegt das, was erwachsene Nutzer danach mit dem Decoder tun, grundsätzlich außerhalb des Einfluß- und Verantwortungsbereichs des Anbieters. Denn für die Abgabe des Decoders an Volljährige kann nichts anderes gelten als z. B. für die Veräußerung eines pornographischen Buchs an einen erwachsenen Käufer.73 Der objektive Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist zwar erfüllt, wenn der Kunde den Decoder zu einer Zeit, in der eine pornographische Minderjährigen

Sendung

ausgestrahlt

zugänglichen

Raum

wird,

stehen

betriebsbereit oder

der

in

einem

Käufer

des

pornographischen Buchs dieses in einem solchen Raum liegen läßt. Als unmittelbare Täter (§ 25 Abs. 1 1. Alt. StGB) verwirklicht haben ihn jedoch, sofern das Erzieherprivileg des § 184 Abs. 2 S. 1. Halbs. 1 StGB n. F. nicht bereits den Tatbestand ausschließt, der Kunde des Pay-TV-Veranstalters und der Käufer des Buchs. Der Fernsehveranstalter und der Verkäufer des Buchs können daher den objektiven Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch die Aushändigung des Decoders bzw. des Buchs nur dann verwirklicht haben, wenn zusätzlich zu der darin liegenden Mitverursachung des Erfolgs im Einzelfall (z. B. wegen Schuldunfähigkeit

oder

Verbotsirrtums

des

unmittelbaren

Täters)

die

Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) oder die der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) – arbeitsteiliges Zusammenwirken mit dem unmittelbaren Täter auf Grund gemeinsamen Tatplans - erfüllt sind. Auf diese Situationen des § 25 Abs. 1 2. Alt, Abs. 2 StGB wollen das BVerwG und das VG München ihre Annahme der Tatbestandserfüllung durch den PayTV-Veranstalter aber nicht beschränken. Vielmehr soll sie offenbar generell und auch dann gelten, wenn der unmittelbare Täter voll verantwortlich handelt. Vertretbar wäre dies nur mit Hilfe der Konstruktion der mittelbaren Täterschaft durch einen voll verantwortlichen unmittelbaren Täter (“Täter hinter dem Täter”). Diese Form mittelbarer Täterschaft ist jedoch – auch nach der recht weitgehenden Rechtsprechung des BGH – nur unter hier offensichtlich nicht gegebenen Voraussetzungen (z. B. bei Anordnungen von Vorgesetzten

73

Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder § 184 Rdn. 15 m. w. N.; Tröndle/Fischer § 184 Rdn. 11. Im Ergebnis ebenso Laubenthal, Sexualstrafrecht, Rdn. 776. 25


innerhalb sog. organisatorischer Machtapparate) anzuerkennen.74 Auch soweit das BVerwG und das VG München ihre Ansicht damit begründen, bei der Auslegung des Merkmals “Zugänglichmachen” sei zu berücksichtigen, daß es Verhältnisse gebe, in denen Erziehung nicht oder nur unzureichend stattfinde, kann dem aus strafrechtlicher Sicht nicht gefolgt werden. Denn das Wort des “Zugänglichmachen” bedeutet, durch eigenes Handeln (§ 25 Abs. 1 1. Alt. StGB) einem anderen die konkrete Möglichkeit der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung zu verschaffen und nicht, einem anderen eine solche Handlung zu ermöglichen, zu erleichtern oder sie zu dulden. Wenn das StGB eine solche Mitwirkung zu Taten voll verantwortlicher anderer Personen als Täterschaft erfassen will, so bringt es dies in den Tatbeständen des Besonderen Teils zum Ausdruck (vgl. §§ 146, 340, 357 StGB). Das Merkmal Zugänglichmachen so auszudehnen, daß es auch das Ermöglichen des Zugänglichmachens durch andere erfaßt, stellt daher keine Auslegung, sondern einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar. Zu Recht hat daher der Umstand, daß es soziale Verhältnisse gibt, in denen Erziehung unzureichend stattfindet, bislang noch niemanden auf den Gedanken gebracht, der Verkäufer eines pornographischen Buchs oder der Vermieter einer pornographischen Videokassette mache sich gem. § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar, wenn er das Buch oder die Kassette dem erwachsenen Kunden nicht in einem z. B. mit einem Zahlenschloß verschlossenen Behältnis übergibt und dessen Kombination nur dem Kunden mitteilt. Diese Konsequenz wollen wohl auch das BVerwG und das VG München nicht ziehen. Denn sie begründen die Forderung nach der “effektiven Barriere” damit, daß der Jugendschutz im Fernsehen fehlender oder unzureichender Erziehung Rechnung tragen müsse und dies bei der Auslegung des Merkmals “Zugänglichmachen” zu beachten sei. Ein spezielles Fernsehstrafrecht, für das Art. 103 Abs. 2 GG nicht gilt, gibt es jedoch nicht. Entgegen der Ansicht des BVerwG und des VG München läßt sich die Forderung nach einer “effektiven Barriere” ferner auch nicht etwa mit der Erwägung begründen, der Fernsehveranstalter setze durch die Ausstrahlung einer pornographischen Sendung die “von § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB mißbilligte Gefahrenquelle” und sei deshalb verpflichtet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Minderjährige an der Wahrnehmung dieser Sendungen 74

Dazu Cramer/Heine in: Schönke/Schröder § 25 Rdn. 25 f. m. w. N. 26


gehindert werden. Denn diese Argumentation vermengt zum einen Aspekte des positiven Tuns mit solchen des Begehens einer Tat durch sog. Unterlassen. Hier geht es um die Frage, ob der Veranstalter durch die Ausstrahlung der Sendung, also durch positives Tun, den Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht, nicht aber darum, ob er durch die Sendung eine Gefahrenquelle schafft und daher nach den Grundsätzen des unechten Unterlassungsdelikts als Garant im Sinne des § 13 StGB für den Nichteintritt des Erfolgs des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB, das Zugänglichsein der Sendung, zu sorgen hat. Zum anderen setzt die Behauptung, der Fernsehveranstalter schaffe durch die Ausstrahlung einer pornographischen Sendung, auch wenn zuvor der Decoder nur an Erwachsene abgegeben wurde, eine “von § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB mißbilligte Gefahrenquelle”, das voraus, was durch die Prüfung dieser Norm erst festgestellt werden soll. Denn eine durch die Vorschrift des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB “mißbilligte” Gefahr begründet die Sendung nur, wenn sie deren objektiven Tatbestand erfüllt. Dies aber ist, wie gezeigt, gerade nicht der Fall. Unabhängig von den vorstehend genannten Einwänden ist schließlich noch darauf hinzuweisen, daß die Ansicht des BVerwG und des VG München, der Pay-TV-Veranstalter erfülle durch die Abgabe des Decoders an Erwachsene den Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB in jenen Fällen offensichtlich verfehlt ist, in denen das Handeln des unmittelbaren Täters wegen des Erzieherprivilegs in § 184 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 StGB n. F. bereits tatbestandslos

ist,75

Minderjährigen

eröffnete

und

daher

der

Möglichkeit,

eingetretene eine

Erfolg,

pornographische

also

die

Sendung

76

wahrzunehmen, vom Gesetz nicht “mißbilligt” wird.

bb) Verstoß gegen Grundsätze des Jugendmedienschutzrechts Die Ansicht des BVerwG und des VG München ist aber auch mit den Grundsätzen des Jugendmedienschutzrechts, zu dem § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB gehört, nicht zu vereinbaren. Denn sie verkennt, daß es zu dem durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Erziehungsrecht der Eltern gehört, darüber zu entscheiden,

welche

jugendgefährdenden

Medien

sie

ihren

Kindern

75

Dazu, daß das Erzieherprivileg auch für § 184 Abs. 1 Nr. gilt, s. Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder § 184 Rdn. 15a. 76 Dazu Lenckner/Perron in. Schönke/Schröder § 184 Rdn. 9d; Tröndle/Fischer § 180 Rdn. 13. 27


zugänglich machen wollen. Dies gilt, worauf das BVerfG77 ausdrücklich hingewiesen hat, grundsätzlich auch für solche Medien, die das Gesetz, wie z. B. im Fall von Pornographie (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 JuSchG), als offensichtlich schwer gefährdend einstuft.78 Die Grenze ihrer Entscheidungsfreiheit wird für die Eltern nur durch § 1666 BGB, § 171 StGB und durch die seit dem 01. 04. 2004 geltende Mißbrauchsklausel des § 184 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 StGB n. F. gezogen. Solange sie beachtet ist, kann daher im Rechtssinne auch keine Rede davon sein, daß Erziehung nicht oder nur unzureichend stattfinde und der Gesichtspunkt mangelhafter Erziehung – auch deshalb – nicht als Auslegungskriterium für § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB herangezogen werden. Das Jugendmedienschutzrecht soll die ungestörte Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gewährleisten.79 Da Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern das Recht gibt, diese Entwicklung zu lenken, besteht die Aufgabe des Jugendmedienschutzrechts

aber

letztlich

darin,

Störungen

dieses

grundgesetzlich gewährleisteten Erziehungsrechts durch das Eingreifen Dritter zu verhindern. Es soll gewährleisten, daß – in den genannten Grenzen – nur die Eltern darüber entscheiden, welche Medien ihre Kinder zur Kenntnis nehmen und daher Dritte Minderjährigen nur mit Zustimmung der Eltern jugendgefährdende Bücher usw. zugänglich machen können.80 Auch aus diesem Grund ist es verfehlt, wenn das BVerwG und das VG München dem § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Aufgabe zuweisen, eventuellem Mißbrauch des elterlichen Erziehungsrechts mit an Dritte gerichteten strafbewehrten Verboten vorzubeugen, letztlich also Eltern zu erziehen. Im übrigen ist das Postulat eines “weiteren im System angelegten wirkungsvollen Hindernisses” auch gänzlich ungeeignet, einen Mißbrauch des elterlichen

Erziehungsrechts

“Erwachsenen-PIN”

oder

zu

eine

verhindern. zur

Denn

auch

Entschlüsselung

eine

zweite

pornographischer

Sendungen erforderliche Hardware-Komponente können Eltern ihren Kindern bewußt oder durch Nachlässigkeit überlassen. Dieses “weitere Hindernis” erleichtert vielmehr nur denjenigen Eltern, die ihren Kindern das Ansehen des “normalen”

verschlüsselten

Programms

ermöglichen,

ihnen

aber

pornographische Sendungen vorenthalten wollen, die Durchsetzung ihrer

77

BVerfGE 83, 130, 140. Unzutreffend daher auch Erdemir MMR aktuell 2/2004, V f. 79 BVerfGE a. a. O. 80 BVerfGE a. a. O. 78

28


Entscheidung. Aufgabe des Jugendmedienschutzrechts ist es jedoch – wie erwähnt - Eingriffe Dritter in die elterliche Erziehung zu verhindern, nicht dagegen, Dritte unter Strafandrohung dazu zu verpflichten, Eltern bei der Durchsetzung ihrer Erziehungsziele zu unterstützen. IV. Bedeutung des § 1 Abs. 4 JuSchG und des § 184c StGB n. F. Trotz dieser Einwände haben die Entscheidungen des BVerwG und des VG München, wie dargestellt,81 in der Literatur zum Teil Vorbildfunktion für die Auslegung des Merkmals “sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV. Im Anschluß an die beiden Urteile werden eine zuverlässige Alterskontrolle des künftigen Nutzers der in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Angebote durch persönlichen Kontakt (“Face to Face”) verlangt. Zusätzlich wird gefordert, daß der Anbieter den Abruf der Angebote durch ein technisches Hindernis sperrt und

die

Mittel

zu

seiner

Überwindung

(eine

PIN

oder

eine

Hardwarekomponente) nur dem Nutzer zur Verfügung stellt. Darüber hinaus wird zum Teil verlangt, daß diese Zugangsmittel von einer Art sind, die ihre Weitergabe an Minderjährige weitgehend ausschließt. Dies beruht jedoch nicht nur darauf, daß die Ansicht des BVerwG und des VG München kritiklos übernommen und die hier vorgetragenen Einwände übersehen werden. Verkannt wird – und konnte zum Teil, da § 184c StGB n. F. erst seit dem 01. 04. 2004 in Kraft ist, nicht berücksichtigt werden - vielmehr auch, daß die vom BVerwG und dem VG München vertretene Auffassung jedenfalls durch die derzeitige Gesetzeslage überholt und auf ihrer Grundlage daher nicht mehr haltbar ist. Denn der Forderung nach einer zweistufigen Sicherung einer pornographischen Pay-TV-Sendung durch eine persönliche Alterskontrolle des Kunden und eine zusätzlich im System angelegte “effektive Barriere” ist durch den JMStV, das JuSchG und § 184c StGB n. F. der Boden entzogen. 1. § 1 Abs. 4 JuSchG Gemäß dem bereits erwähnten § 1 Abs. 4 JuSchG liegt verbotener Versandhandel mit indizierten oder offensichtlich schwer jugendgefährdenden Trägermedien (§ 15 Abs. 1 Nr. 3, 5, Abs. 2 JuSchG) zum einen dann nicht vor, 81

S. 1 ff. 29


wenn zwischen Lieferant und Besteller ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat, zum anderen aber auch dann nicht, wenn durch “technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt” ist, daß kein Versand an Kinder oder Jugendliche erfolgt. Wie die oben82 wiedergegebenen Erwägungen des federführenden Bundestagsauschusses bestätigen, geht der Gesetzgeber hier also davon aus, daß allein durch technische Vorkehrungen, wie z. B. ein Altersverifikationssystem, hinreichend “sichergestellt” werden kann, daß ein Versand nur an Erwachsene erfolgt.83 Dementsprechend verlangen auch diejenigen Autoren, die im Fall des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV eine zweistufiges Sicherungssystem fordern, bei § 1 Abs. 4 JuSchG nur eine technische Altersverifikation

bei

der

Bestellung

und

nehmen

das

Risiko,

daß

Minderjährige durch die Lieferung der bestellten jugendgefährdenden Medien die Möglichkeit des Zugriffs auf diese erhalten hin.84 2. § 184c StGB n. F. Die durch § 1 Abs. 4 JuSchG eingeleitete Entwicklung, bei online vermittelten jugendgefährdenden Medieninhalten auf eine persönliche Alterskontrolle des Nutzers zu verzichten und technische Altersüberprüfungen ausreichen zu lassen, hat sich mit der Einführung des § 184c StGB n. F. fortgesetzt. Das in § 184c S. 1 StGB n. F. enthaltene Verbot pornographischer Live-Darbietungen im Rundfunk und in Telemedien gilt gem. S. 2 bei der Verbreitung einfacher Pornographie dann nicht, wenn durch technische oder sonstige Vorkehrungen sichergestellt ist, daß die pornographische Darbietung Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich ist. Von einer persönlichen Alterskontrolle ist weder im Gesetz noch in der amtlichen Begründung die Rede.85 Offenbar hat der Bundesgesetzgeber, der in der amtlichen Begründung zu § 184c StGB n. F. ausdrücklich an § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV anknüpft, diese Bestimmung so verstanden, daß auch nach ihr - obwohl ihr Wortlaut dies nicht ausdrücklich besagt - technische oder sonstige Vorkehrungen für ein “Sicherstellen” der Unzugänglichkeit der in S. 1 genannten Angebote für Minderjährige ausreichend sind. Daß dieses Verständnis zutrifft, ergibt sich aus der amtlichen Begründung zu § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV. Denn dort heißt es:

82

S. 8. So auch LG Hamburg Urteil v. 9. 3. 2004 - 312 O 24/04. 84 S. 9 f. 85 S. oben S. 12 f. 83

30


“Hierbei muss sichergestellt sein, dass Kinder oder Jugendliche keinen Zugang haben, sodass diese Angebote nur Erwachsenen zur Verfügung stehen. Es muss also ein verlässliches Altersverifikationssystem, die Verbreitung an oder den Zugriff durch Minderjährige hindern.” Die amtliche Begründung erwähnt als Mittel des Jugendschutzes also nur ein verläßliches Altersverifikationssystem und verlangt nicht etwa zusätzlich, daß der Anbieter eine persönliche Alterskontrolle der Nutzer vornimmt oder vornehmen läßt. Im Ergebnis ist § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV – was die Art der Altersverifikation anbelangt - ebenso zu verstehen wie § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV, der zur Wahrung des Jugendschutzes die Wahl zwischen technischen und sonstigen Mitteln läßt. Diese Interpretation des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV ist im übrigen auch deshalb geboten, weil die Vorschrift, würde man ihr die Forderung nach einer persönlichen

Alterskontrolle

und

einem

technischen

Zugangshindernis

unterstellen, in einem Wertungswiderspruch nicht nur zu § 1 Abs. 4 JuSchG, sondern auch zu § 184c S. 2 StGB stünde. Denn dann müßte der Anbieter eines

Telemediums,

der

Angebote

einfach

pornographischer

Live-

Darbietungen durch ein technisches Altersverifikationssystem sichert, gem. § 184c S. 2 StGB straflos bleiben, weil er es im Sinne dieser Vorschrift “sichergestellt” hat, daß die pornographischen Darbietungen Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich sind. Jedoch könnte gegen ihn wegen Verbreitung pornographischer Angebote gem. § 24 Abs. 1 Nr. 2 JMStV eine Geldbuße verhängt werden, weil er mangels persönlicher Alterskontrolle hier nicht “sichergestellt” habe, daß die Angebote nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden. Daß ein solches Ergebnis widersprüchlich wäre, ist offensichtlich. 3. Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, daß § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV nur eine technische Vorkehrung, ein Altersverifikationssystem, erfordert und daß diese Vorkehrung dem Grad von Sicherheit genügen muß, der die Tatbestände des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und § 15 Abs. 1 Nr. 1, 2 JuSchG ausschließt.

31


4. Strenge Anforderungen an Altersverifikationssysteme auf Grund der Entscheidung des BGH zu Automatenvideotheken ? Im Gegensatz zu dem oben erzielten Zwischenergebnis will ein Teil der Literatur strengere Anforderungen an technische Altersverifikationssysteme stellen. Sie beruft sich hierfür auf eine Entscheidung des BGH86 aus dem Jahr 2003, in der dieser die Frage zu entscheiden hatte, ob und unter welchen Voraussetzungen auch eine Automatenvideothek, in der kein Personal anwesend ist, den Anforderungen an ein Ladengeschäft im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB87 genügt. Der BGH hat diese Frage u. a. dann bejaht, wenn der erwachsene Kunde der Videothek, dessen Alter zuvor durch persönlichen Kontakt festgestellt worden ist, sich vor der Besichtigung des zum Teil pornographischen Angebots der Videothek und dem Entleihen einer Kassette durch seinen Daumenabdruck identifizieren muß. Bei näherer Betrachtung der Entscheidung zeigt sich jedoch, daß sich aus ihr kein Argument dafür entnehmen läßt, daß Altersverifikationssysteme generell einen solchen Grad an Sicherheit bieten müssen, wie er durch den automatischen Abgleich biometrischer Daten erzielt werden kann. Denn die Entscheidung beruht, was in der erwähnten Literatur verschwiegen wird, auf den Besonderheiten einer Automatenvideothek. a) Inhalt der Entscheidung In dem zu beurteilenden Fall wurde die Volljährigkeit des Kunden der als Club betriebenen

Videothek

anhand

seines

Aufnahmeantrags

und

seines

Personalausweises geprüft. Danach erhielt er eine Chipkarte und eine PIN. Außerdem wurde sein Daumenabdruck biometrisch erfaßt und in dem Verleihautomaten gespeichert. Mit der Chipkarte ließ sich die Tür zum Automatenraum öffnen. Die Besichtigung des Angebots und das Entleihen einer

Kassette

erforderte

den

Abgleich

von

Chipkarte,

PIN

und

Daumenabdruck. Der Automatenraum war zudem videoüberwacht. Die Angestellten der Videothek überprüften die aufgenommen Bänder jeweils einen Tag nach der Aufnahme, um festzustellen, ob sich Unbefugte, 86

BGHSt 48, 278. Gem. § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB ist strafbar, wer pornographische Schriften ” im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich sind und von 87

32


insbesondere Minderjährige, im Automatenraum aufgehalten hatten. Die in § 184 Abs. 1 Nr. 3a StGB vorgesehene Ausnahme setzt u. a. voraus, daß das Ladengeschäft, in dem pornographische Schriften gewerblich vermietet werden, für Minderjährige unzugänglich ist. Bei herkömmlichen Videotheken, in denen Personal anwesend ist, werden daher Verbotstafeln, die Kindern und Jugendlichen das Betreten untersagen, sowie die Kontrolle der Einhaltung des Verbots verlangt.88 Der auf diese Weise erreichbare Grad der “Unzugänglichkeit” war bei der Automatenvideothek nicht gegeben. Denn ein Erwachsener ist hier nicht gehindert, einen Minderjährigen in den Automatenraum mitzunehmen und ihn eine Kassette auswählen zu lassen. Diese Möglichkeit war im vorliegenden Fall zwar dadurch eingegrenzt, daß der Erwachsene infolge der Videoüberwachung mit einer Strafanzeige und der Kündigung seines Vertragsverhältnisses mit der Videothek zu rechnen hatte. In einer herkömmlichen Videothek hätte das Personal einen Minderjährigen jedoch schon am Betreten des Geschäfts hindern oder, wenn es

ihn im

Geschäft entdeckt, sofort hinausweisen können. Zudem ist nach Ansicht des BGH die Hemmschwelle für einen Mißbrauch (d. h. die Mitnahme eines Minderjährigen durch einen Erwachsenen in eine Pornographie-Videothek) bei Anwesenheit von Personal größer als im Fall der Automatenvideothek, in dem nur technische Hindernisse überwunden werden müssen. Dieser Nachteil einer Automatenvideothek wird jedoch nach Ansicht des BGH “durch Vorteile, die ein technisches Sicherungssystem gegenüber einer Kontrolle allein durch Personal bietet, aufgewogen. Denn die technische Identifizierung des Kunden anhand gespeicherter biometrischer Daten bietet eine

zuverlässigere

Alterskontrolle

als

durch

Ladenpersonal,

das

menschlichen Unzulänglichkeiten z. B. infolge von Wahrnehmungsfehlern, Täuschung, Unaufmerksamkeit, Ablenkung und dergleichen unterliegt.” Daß der BGH bei einer Automatenvideothek den Abgleich biometrischer fordert, liegt also ausschließlich daran, daß sie nicht in demselben Maße für Minderjährige unzugänglich ist wie eine mit Personal betriebene Videothek, und er diesen Nachteil erst durch die erhöhte Sicherheit der technischen Identifizierung des Kunden ausgeglichen sieht. Allein deshalb gelangt er zu dem Ergebnis, daß sie unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes – wie es in der Entscheidung heißt: “insgesamt betrachtet” - ebenso sicher sei wie eine ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überläßt.” 33


herkömmliche. b) Ergebnis Zum Sicherheitsgrad von Altersverifikationssystemen in den Fällen des § 1 Abs. 4 JuSchG, des § 184c S. 2 StGB und des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV läßt sich daher aus der hier referierten Entscheidung des BGH nichts herleiten. Entgegen der in der oben erwähnten Literatur vertretenen Ansicht kann ihr insbesondere nicht entnommen werden, daß in diesen Fällen höhere Anforderungen an die Sicherung jugendgefährdender Medien gegen den Zugriff Minderjähriger zu stellen seien als die, die bisher zum Ausschluß der Tatbestände der §§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und 15 Abs. 1, Nr. 1, 2 JuSchG verlangt worden sind. C. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte bei der Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV in den Fällen einfach pornographischer Angebote I. Erforderlichkeit einer zwischen den in § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV genannten Inhalten differenzierenden Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV Hinsichtlich solcher Altersverifikationssysteme, die – wie das hier letztlich zu beurteilende – dazu verwendet werden, pornographische Angebote gegen den

Zugriff

Minderjähriger

zu

sichern,

kann

im

übrigen

aus

verfassungsrechtlichen Gründen kein höherer Grad von Sicherheit verlangt werden als der, welcher bislang auf Grund des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB gefordert

worden

ist.

Denn

gesetzliche

Regelungen

des

Jugendmedienschutzes, die die Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG einschränken und ihre Anwendung, müssen den an Grundrechtseingriffe zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Obwohl § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV die Verbreitung aller drei in S. 1 genannten Angebote davon abhängig macht, daß ihre Unzugänglichkeit für Minderjährige sichergestellt ist, ist es daher erforderlich, hinsichtlich der Anforderungen zwischen diesen Angeboten zu differenzieren. Denn § 4 Abs. 2 S. 1 JMStV nennt

drei

Medieninhalte,

die

im

Hinblick

auf

ihre

Eignung

zur

Jugendgefährdung gänzlich unterschiedlich zu beurteilen sind. 88

S. oben S. 21. 34


1. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JMStV: Indizierte und mit indizierten Medien inhaltsgleiche Angebote § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 betrifft Angebote, die in die Teile A oder C der Liste gem. §

18

JuSchG

aufgenommen

oder

mit

einem

in

diese

Listenteile

aufgenommenen Medium inhaltsgleich sind. Für die Aufnahme in die Teile A oder C der Liste reicht gem. § 18 Abs. 1 S. 1 JuSchG die Eignung zu “einfacher” Jugendgefährdung. Einfach jugendgefährdende Kinofilme können jedoch, wie sich aus dem Gegenschluß aus § 14 Abs. 4 JuSchG ergibt, gem. Abs. 2 S. 2 von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft die Kennzeichnung “Keine Jugendfreigabe” erhalten und dürfen dann gem. § 18 Abs. 8 S. 1 JuSchG nicht indiziert werden. Sie können daher gem. § 5 Abs. 2, Abs. 4 S. 1 JMStV zwischen 23 und 6 Uhr in Telemedien, z. B. im Video-onDemand-Verfahren, verbreitet werden. Kommt von einem solchen Film allerdings eine Videokassette auf den Markt, so darf diese, weil sie die Voraussetzungen für die Listenaufnahme erfüllt, gem. § 14 Abs. 4 S. 2 JuSchG nicht mit “keine Jugendfreigabe” gekennzeichnet werden und kann daher von der Bundesprüfstelle in die Listenteile A oder C aufgenommen werden. Geschieht dies, so darf der Film gem. § 4 Abs. 2 JMStV in Telemedien nur noch unter den dort genannten Voraussetzungen gesendet werden. Ob diese allein durch das Erscheinen einer inhaltsgleichen Videokassette

und

die

behördliche

Feststellung

ihres

einfach

jugendgefährdenden Inhalts ausgelöste unterschiedliche Behandlung eines Films mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und mit Art. 3 GG vereinbar ist, erscheint zumindest fraglich. 2. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JMStV: Offensichtlich schwer jugendgefährdende Angebote Keine verfassungsrechtlichen Einwände sind dagegen zu erheben, daß die in §

4

Abs.

2

S.

1 Nr.

3

JMStV

genannten

offensichtlich

schwer

jugendgefährdenden Angebote in Telemedien den Einschränkungen des Abs. 2 S. 2 unterworfen sind. Denn zu diesen zählen z. B. Angebote, die Drogenkonsum verherrlichen oder verharmlosen sowie solche, die - unterhalb der Schwelle des § 131 StGB – Gewalt als erfolgreiches und nicht zu mißbilligendes Mittel zur Lösung von Konflikten darstellen.89 Zwar ist in der 89

Liesching in: Scholz/Liesching, § 15 JuSchG Rdn. 36. 35


Medienwirkungsforschung bis heute nicht unbestritten, daß “Mediengewalt” negative Auswirkungen auf Minderjährige haben kann.90 Jedoch kommt die überwiegende Zahl der Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß sie unter bestimmten Umständen die Einstellung Jugendlicher zu Gewalt beeinflussen und ihre Bereitschaft, Gewalt auszuüben,

fördern kann.91 Daß der

Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative bezüglich der Eignung solcher Gewaltdarstellungen

zur

Jugendgefährdung

im

Sinne

dieser

Mehrheitsmeinung in der Medienwirkungsforschung ausgeübt hat, ist daher nicht zu beanstanden. Angesichts der möglichen Folgen ist für solche Angebote auch die Forderung nach einer strengen Abschirmung gegen Minderjährige berechtigt. 3. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV: Einfach pornographische Angebote Gänzlich anders liegen die Dinge dagegen bei den in § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JMStV genannten Angeboten, die “in sonstiger Weise”, das heißt einfach pornographisch92 sind. II. Grenzen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bezüglich der Wirkungsrisiken von Pornographie Bereits bei den Arbeiten zur Reform des Sexualstrafrechts durch das 4. StrRG von

1973

stellte

der

Sonderausschuß

des

Bundestages

für

die

Strafrechtsreform in seinem Bericht93 fest, daß die Mehrheit der angehörten Sachverständigen der Auffassung war, daß schädliche Auswirkungen von Pornographie nicht nachgewiesen und auch nicht nachweisbar seien und das Risiko für Kinder und Jugendliche als eher gering einschätzte. Der Gesetzgeber hat Strafvorschriften zum Schutz der Jugend vor Pornographie gleichwohl schon allein deshalb für erforderlich gehalten, weil ihre Unschädlichkeit nicht feststehe.94 Allerdings hat er angekündigt, diese Entscheidung zu überprüfen, sobald eindeutiges wissenschaftliches Material vorliege.95

90

Vgl. z. B. Merten, Gewalt durch Gewalt im Fernsehen ?, 1999, S. 159. S. dazu BVerfG NJW 1986, 1241, Liesching in: Scholz/Liesching § 18 JuSchG Rdn. 14 f. 92 S. oben S. 1. 93 BT-Drs. VI/3521, S. 58. 94 Wie Fn. 58; s. ferner BT-Drs. VI/1552, S. 10. 95 BT-Drs. VI/1552, S. 10. 91

36


Das BVerfG hat die Entscheidung des Gesetzgebers in einem Urteil aus dem Jahr 199096 gebilligt und erklärt, die Annahme, Pornographie sei geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden, liege im Bereich der ihm einzuräumenden Einschätzungsprärogative. Deren Umfang hänge u. a. von der Möglichkeit ab, sich ein hinreichend sicheres, empirisch abgestütztes Urteil bilden zu können. Hierzu weist das BVerfG darauf hin, daß die Beurteilung der bei den Arbeiten am 4. StrRG eingeholten wissenschaftlichen Stellungnahmen über mögliche Wirkungen von Pornographie durch das Fehlen systematischer Untersuchungen und Langzeitstudien erschwert worden sei. In einer solchen wissenschaftlich ungeklärten Situation sei der Gesetzgeber befugt, die Gefahrenlagen und Risiken selbst abzuschätzen und darüber zu entscheiden, ob er Maßnahmen ergreifen wolle oder nicht. Zutreffend wird jedoch darauf hingewiesen, daß es als Folge der Expansion des Videomarkts auch Minderjährige gibt, die durch Familienangehörige, Freunde oder Bekannte Zugang zu Pornographie erhalten haben, und es daher durchaus möglich wäre, anhand solcher Probanden die Frage der Wirkungen von Pornographie empirisch zu untersuchen.97 Hinzu kommt, daß es europäische Staaten gibt, in denen Medien, die nach den Maßstäben der deutschen Rechtsprechung einfach pornographisch sind, Minderjährigen insgesamt98 oder ab 1199 oder 15 Jahren100 zugänglich gemacht werden dürfen. Auch daraus ergibt sich die Möglichkeit zu untersuchen, ob Pornographie negative Auswirkungen auf die Entwicklung Minderjähriger hat. Der Gesetzgeber ist also mittlerweile in der Lage und damit auch verpflichtet, sich zumindest um ein empirisch abgesichertes Urteil über die Wirkungen einfacher Pornographie auf Minderjährige zu bemühen. Erwiese sich seine Einschätzung, auf die er das 4. StrRG gestützt hat, als unzutreffend, so müßte er die hier fraglichen Jugendschutzbestimmungen aufheben oder ändern.101 Zwar ist ihm in Fällen, in denen gesetzliche Regelungen möglicherweise auf einer Fehlprognose beruhen, nach Ansicht des BVerfG eine “hinreichende 96

BVerfGE 83, 130, 141 f. ; ebenso BVerwG NJW 2002, 2966, 2970 f. Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes und ihre strafrechtlichen Grenzen, 1997, S. 205. 98 So in den Niederlanden, s. Crans (Direktor der früheren Niderländischen Filmkeuring) in tv diskurs, Ausgabe 2 (August 1997), S. 30 f. 99 So in Schweden, s. Wallander (stellv. Direktor des Statens Biografbyra Filmcensuren) in tv diskurs, Ausgabe 6 (Oktober 1998), S. 9. 100 So in Dänemark, s. Hoedt-Rasmussen (Voritzende des dänischen Medienrats) in tv diskurs, Ausgabe 13 (Juli 200), S. 15. 97

37


Frist zuzubilligen, in der er die Möglichkeit hat, sich Gewißheit über die Entwicklung

und 102

damit

über

verschaffen.”

Die

hier

Untersuchungen

über

die

die

Richtigkeit

erwähnten Wirkungen

seiner

Möglichkeiten einfacher

Prognose

zu

empirischer

Pornographie

auf

Minderjährige bestehen jedoch schon seit geraumer Zeit, ohne daß der Bundesgesetzgeber Anstalten gemacht hätte, seine in den Materialien zum 4. StrRG gemachte Zusage der Überprüfung seiner Entscheidung einzulösen. Unter diesen Umständen erscheint es zumindest zweifelhaft, ob sich die Jugendschutzregelungen in Bezug auf einfache Pornographie nach Ablauf von nunmehr dreißig Jahren seit Einführung des § 184 StGB a. F. durch das 4.

StrRG

noch

auf

die

dem

Gesetzgeber

damals

eingeräumte

Einschätzungsprärogative stützen lassen.103 III. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Pornographiebegriff der Praxis Ein zweiter Grund, der dazu zwingt, einfach pornographische Angebote im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JMStV im Rahmen des Abs. 2 S. 2 anders zu behandeln als offensichtlich schwer jugendgefährdende Angebote im Sinne des S. 1 Nr. 3, ist der in der Praxis gebräuchliche Begriff der Pornographie. So sind nach der Definition des BVerwG Darstellungen pornographisch, wenn sie unter Hintansetzung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rücken und ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielen.104 Es geht also um Darstellungen physischer Sexualität, die so deutlich und aufdringlich sind, daß sie auf den Rezipienten sexuell stimulierend wirken und die dadurch gekennzeichnet sind, daß die dargestellten Sexualpartner keine (erkennbare) persönliche Beziehung zueinander haben, sondern miteinander nur sexuellen Lustgewinn suchen. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß dieser Pornographiebegriff auf außerrechtlichen, letztlich auf die christliche Sexualmoral zurückgehende Vorstellungen beruht, nach denen Sexualität nur innerhalb von durch Liebe oder Zuneigung geprägten menschlichen Beziehungen oder gar nur in der 101

BVerfGE 25, 1, 13; 50, 290, 335; 57, 139, 162. BVerfGE 57, 139, 162 f. - Dies verkennen Sieber, Gutachten. S. 24 f., Erdemir MMR aktuell 2/2004, V f. und Döring/Günter MMR 2004, 231, 234 f. 103 So auch Berger MMR 2003, 773, 775. 102

38


Ehe stattfinden darf. Staatlicher Jugendschutz, der Minderjährige gegen Medieneinflüsse schützen will, die ihre Entwicklung zu “eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten” gefährden können, muß jedoch weltanschaulich neutral sein und darf sich nur an den grundlegenden Wertentscheidungen der Verfassung orientieren.105 Nur diese stellen das für alle in der Gesellschaft vertretenen Weltanschauungen verbindliche sozialethische Minimum dar.106 Auf dem Gebiet der Sexualität bedeutet dies, daß staatlicher Jugendschutz sich darauf zu beschränken hat, das Entstehen von Einstellungen zu verhindern, die dem von der Anerkennung der Menschenwürde bestimmten Menschenbild des Grundgesetzes widersprechen und die dazu führen können, den Partner nicht als Subjekt und als Person zu respektieren und seine Autonomie zu mißachten.107 Demgegenüber ist es mit dem Gebot weltanschaulicher Neutralität staatlichen Jugendschutzes nicht vereinbar, Jugendlichen Medien vorzuenthalten, die einverständliche Sexualität zwischen Partnern darstellen, die keine persönliche Beziehung verbindet. Denn davon, daß solche Medien die Entwicklung Minderjähriger in eine mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbarende Richtung lenken könnten,108 kann keine Rede sein. IV. Die Bedeutung der EG-“E-Commerce-Richtlinie”: Verfassungswidrige “Inländerdiskriminierung” durch den Pornographiebegriff der Praxis ? Die in

§ 3 Abs. 2 Nr. 1 JMStV definierten Telemedien sind Dienste der

Informationsgesellschaft im Sinne der sog. E-Commerce- Richtlinie der EG.109 Diese Richtlinie soll für diese Dienste einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen schaffen und ebenso wie die EG-Fernsehrichtlinie ein hohes Maß gemeinschaftsrechtlicher Integration bewirken.110

104

BVerwG NJW 2002, 2966, 2969. Bauer JZ 1965, 41, 43; ders. JZ 1967, 167 f.; Degenhart in: Bonner Kommentar zum GG (Stand: Mai 2001), Art. 5 Rdn. 132; Vlachopoulos, Kunstfreiheit und Jugendschutz, 1996, S. 49 ff; ähnlich BVerwGE 77, 75, 82; BGHSt 37, 55, 63. 106 Bauer JZ 1965, 41, 43. 107 Schumann, Festschrift für Th. Lenckner, 1998, S. 565, 576 ff.; Laubenthal, Sexualstrafrecht Rdn. 720. Ähnlich Tröndle/Fischer § 184 Rdn. 7b. 108 So aber BGHSt 37, 55, 59 f., 63. 109 Richtlinie 2000/31/EG. Als Dienste der Informationsgesellschaft i. S. d. Richtlinie sind gem. ihrem Art. 2 lit. a die in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/ EG i. d. F. der Richtlinie 98/48/EG genannten Dienste anzusehen. 110 Erwägungsgründe (3) und (4) der Richtlinie. 105

39


Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, daß solche Dienste, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Anbieter erbracht werden, den innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den durch die Richtlinie koordinierten Bereich fallen. Zu diesem Bereich gehören auch die Inhalte von Diensten, wobei die Richtlinie hinsichtlich des Jugendschutzes allerdings keine eigenen Vorgaben macht. Gem. Art. 3 Abs. 3 dürfen die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. Abweichend davon gestattet Art. 3 Abs. 4 lit. a es ihnen, unter bestimmten, in Abs. 4 lit. b und Abs. 5 genannten Voraussetzungen, Maßnahmen gegen einen Dienst aus einem anderen Mitgliedstaat zu ergreifen, wenn dies aus Gründen des Jugendschutzes erforderlich ist, der Dienst diesen Schutz beeinträchtigt oder schwerwiegend gefährdet und die Maßnahme verhältnismäßig ist. Gem. Art. 3 Abs. 6 muß die EG-Kommission jedoch prüfen, ob eine solche Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Ist dies nicht der Fall, so fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, geplante Maßnahmen zu unterlassen oder bereits ergriffene einzustellen. Dies bedeutet, daß die Verbreitung von Diensten, deren Inhalte nach deutscher Rechtspraxis als einfach pornographisch anzusehen sind, die aber aus

einem

Mitgliedstaat

stammen,

in

dem

solche

Angebote

ohne

Einschränkung erlaubt sind, in Deutschland grundsätzlich nicht eingeschränkt werden darf. Würden auf Grund der Ausnahmevorschrift des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie aus Gründen des Jugendschutzes in Deutschland Maßnahmen gegen einen solchen Dienst ergriffen, so müßte die EG-Kommission sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht prüfen. Maßstab dieser gemeinschaftsrechtlichen Überprüfung durch die Kommission ist aber nicht, ob die Maßnahme, die das jeweilige Land ergriffen hat, seiner innerstaatlichen Praxis des Jugendschutzrechts entspricht. Entscheidend für die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht kann vielmehr nur ein gemeineuropäischer Standard des Jugendschutzes sein. Andernfalls wäre das Ziel der Richtlinie, Binnengrenzen für Dienste der Informationsgesellschaft aufzuheben und ein hohes Niveau der rechtlichen Integration in der Gemeinschaft zu schaffen, nicht zu erreichen.

40


In Bezug auf Pornographie ist davon auszugehen, daß als jugendgefährdend nur solche Darstellungen von Sexualität anzusehen sind, die die oben genannte Voraussetzung erfüllen, das heißt solche, in denen die gezeigten Personen in einer die Menschenwürde verletzenden Weise herabgewürdigt werden und diese Behandlung gebilligt wird.111 Dies hat zur Folge, daß Deutschland gegen einen nach hiesigen Maßstäben einfach pornographischen Dienst, der aus einem Mitgliedstaat stammt, der ihn uneingeschränkt zuläßt, keine Maßnahmen ergreifen und seine Verbreitung nicht beschränken darf. Demgegenüber unterliegt der deutsche Anbieter, der einfache Pornographie verbreitet, der Einschränkung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV und wird damit hinsichtlich des gleichen Sachverhalts ohne sachlichen Grund benachteiligt. Entsprechendes gilt bezüglich der Strafbarkeit: Zwar ist auf den EG-Ausländer, der den einfach pornographischen Dienst anbietet, deutsches Strafrecht und damit § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB anwendbar, da der Erfolg der Tat, das Zugänglichsein der Pornographie in Deutschland eintritt (§ 9 Abs. 1 StGB).112 Jedoch könnte dieser Anbieter nicht bestraft werden, weil für seine Angebote der gemeinschaftsrechtliche Begriff der Pornographie gilt. Der in Deutschland ansässige Anbieter hingegen, der einfache Pornographie außerhalb einer geschlossenen Benutzergruppe im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV anbietet, macht sich gem. § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar. Die Frage, ob eine solche sog. Inländerdiskriminierung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, ist in der Literatur umstritten und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Während das BVerwG113 sie bejaht, hat der VGH Mannheim114 sie verneint. Der BGH115 und das BVerfG116 haben sie offengelassen. Vertritt man die – wohl zutreffende117 – Auffassung, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei gegeben, so müßte er dadurch vermieden werden, daß auch Angebote in Deutschland ansässiger Anbieter nur dann als pornographisch gelten, wenn sie auch den gemeinschaftsrechtlichen Pornographiebegriff erfüllen. § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV 111

Ulich, Der Pornographiebegriff und die EG-Fernsehrichtlinie, 2000, S. 116; Weigend ZUM 1994, 130, 140. 112 S. dazu BGHSt 46, 212; LG Düssseldorf CR 2003, 452. 113 BVerwG DVBl 1970, 627, 628; BVerwGE 98, 296, 307. 114 NJW 1996, 72, 73 f. 115 BGHZ 108, 342, 346. 116 BVerfG AnwBl 1989, 669. 117 S. dazu Graser DÖV 1998, 1004; Hammerl, Inländerdiskriminierung, 1997, S. 179 f.; König AöR 118 (1993), 591 ff.; Osterloh in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 3 Rdn. 71; Schilling JZ 1994, 41


wäre dann – bei EG – Recht konformer Auslegung - nur auf solche Angebote anwendbar.118 V. Ergebnis Ob die bereits im Fall des 4. StRrG gegen die Mehrheit der Sachverständigen getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, Jugendschutzvorschriften gegen Pornographie

zu

erlassen,

angesichts

der

bestehenden

empirischen

Überprüfungsmöglichkeiten heute noch auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gestützt werden kann, erscheint durchaus zweifelhaft. Nicht minder fragwürdig ist, ob der von der Praxis verwendete Begriff der Pornographie mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der weltanschaulichen Neutralität staatlichen Jugendschutzes vereinbar ist. Des weiteren spricht vieles

dafür,

daß

die

Anwendung

des

in

Deutschland

vertretenen

Pornographiebegriffs auf Telemedien angesichts der E-Commerce-Richtlinie der EG zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Inländerdiskriminierung führt. Stehen somit die Jugendschutzvorschriften, die einfache Pornographie betreffen, sowie der in der Praxis gebräuchliche Pornographiebegriff und seine Anwendung auf Telemedien in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf einer fragilen Basis, so muß dieser Unsicherheit auch bei den Anforderungen, die an den Anbieter im Rahmen des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV zum Schutz der Jugend vor Pornographie gestellt werden, Rechnung getragen werden. Denn bei der Entscheidung darüber, ob ein Grundrechtseingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, kommt es u. a. auch auf das Gewicht und die Dringlichkeit der Gründe an, die ihn rechtfertigen sollen.119 Zu Recht hat das OLG Karlsruhe120 es daher für ausreichend erklärt, das Risiko, daß Minderjährige Pornographie zur Kenntnis nehmen, auf ein “hinnehmbares Maß” zu begrenzen und diese Ansicht insbesondere damit begründet, daß die Gefahr

der

Verletzung

wissenschaftlich

des

gesicherter

geschützten Erkenntnisse

Rechtsguts über

das

auch Ob

mangels

schädlicher

Auswirkungen nicht besonders naheliege.

8, 10 ff.; S. ferner auch ÖVerfGH EuZW 2001, 219. 118 S. dazu Ulich (Fn. 111), S. 134 f. 119 BVerfGE 83, 1, 19 m. w. N. 120 S. oben S. 18 f. 42


D. Stellungnahme zu Siebers Auslegung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV Wie eingangs dargestellt, ist Sieber der Ansicht, § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV verlange eine “strenge Abschottung” pornographischer Angebote vom Zugriff Minderjähriger; eine Barriere, deren Überwindung erhebliche Anstrengungen erfordert. Daher fordert er zwei kumulativ einzurichtende Schutzvorkehrungen: 1. sei bei der Identifizierung und Alterskontrolle jedes Neukunden eine persönliche

(Face-to-Face)

Authentifizierung

des

Kontrolle

Zugangs

zu

erforderlich; den

2.

müsse

pornographischen

bei

der

Angeboten

weitgehend ausgeschlossen sein, daß die erforderlichen Zugangsdaten (einer Vielzahl) anderer Personen weitergegeben werden. Soweit

Sieber

diese

Ansicht

auf

den

Begriff

der

“geschlossenen

Benutzergruppe” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV, das Totalverbot pornographischer Sendungen im Rundfunk sowie die Entscheidungen des BVerwG und des VG München zu pornographischen Sendungen im Rundfunk und die des BGH zu Automatenvideotheken stützt, ist dazu bereits oben121 Stellung genommen worden. Näherer Betrachtung bedürfen daher nur noch jene zusätzlichen Erwägungen, mit denen Sieber seine Auffassung zu begründen sucht. Hinzuweisen ist dabei zunächst darauf, daß auch Sieber122 - ohne es ausdrücklich zu sagen - davon ausgeht, daß die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV darüber entscheiden, ob der Anbieter im Fall pornographischer Angebote den Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB verwirklicht. Genügt also ein Alters- bzw. Zugangsverifikationssystem nicht seinen oben erwähnten Forderungen zu § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV, so ist der

Anbieter

pornographischer

Medien

bei

Vorliegen

der

weiteren

Strafbarkeitsvoraussetzungen nach einer dieser Vorschriften strafbar. I. Das Argument des erhöhten Gefahrpotentials im “Online”-Bereich Daß im “Online”-Bereich höhere Anforderungen an Sicherungssysteme zu stellen sind, als jene, die bislang von der h. M. zu § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB für ausreichend erachtet werden, begründet Sieber mit der besonderen Gefahr des Internet. Der Minderjährige, der die Schutzvorkehrungen hier überwunden habe, habe – anders als im Fall von Offline-Medien – Zugriff auf 121

S. 24 ff., 31 f. 43


eine Vielzahl pornographischer Darstellungen. Auch diese Erwägung vermag aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen gibt es auch im Offline-Bereich Situationen, in denen Minderjährige nach Überwindung der bisher für ausreichend gehaltenen tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse Zugriff auf eine große Anzahl pornographischer Medien haben. Auch in einer herkömmlichen Videothek, die als Club betrieben wird, hat ein Minderjähriger, der die vom BGH in der oben genannten Entscheidung123 erwähnten menschlichen Unzulänglichkeiten ausnutzt und einen Mitgliedsausweis erhält, Zugriff auf eine Vielzahl pornographischer Videokassetten.

Dasselbe

gilt,

wenn

ein

Minderjähriger

bei

einem

Erwachsenen, z. B. einem Verwandten, länger zu Besuch ist, der eine umfangreiche Sammlung von Pornographica in einem durch ein einfaches Schloß gesicherten Schrank verwahrt, und es dem Kind oder Jugendlichen gelingt, das Schloß zu öffnen. Zu Recht hat jedoch noch niemand bei besonders

umfangreichem

pornographischen

Material

erhöhte

Sicherungsmaßnahmen gegen den Zugriff Minderjähriger verlangt. Auch wenn man einfacher Pornographie Wirkungsrisiken zuschreibt, so ist es doch reine Spekulation, daß die Möglichkeit des Zugriffs auf eine Vielzahl pornographischer Darstellungen für Minderjährige ein höheres Gefahrpotential in sich berge als z. B. jene, einen oder einige wenige pornographische Videofilm(e) bzw. einzelne Szenen hieraus immer wieder zu sehen. Aber selbst wenn man in diesem Punkt Siebers Ansicht folgen wollte, so kann der Gesichtspunkt des erhöhten Gefahrpotentials des Online-Bereichs speziell des Internets - nicht dazu führen, die Vorschrift des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV eng und damit § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB – für das Internet – weit auszulegen. Denn da der Gesetzgeber bei Schaffung des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV die Gegebenheiten des Internets zweifellos kannte, kann aus eben diesen Besonderheiten nicht die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation der Bestimmung hergeleitet werden. Dies verbietet sich zudem auch deshalb, weil, wie oben124 gezeigt, das Gesetz davon ausgeht, daß im Fall des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV das Merkmal des Zugänglichmachens im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht erfüllt ist, und anzunehmen ist, daß dem Gesetzgeber die 122

Gutachten, S. 11. S. 31 ff. 124 S. 17 f. 123

44


h. M. zur Auslegung diese Merkmals bekannt war. Im übrigen ist es verfehlt, § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB je nach der Quantität des vorhandenen

pornographischen

Materials

und

der

darauf

gestützten

Risikoeinschätzung restriktiv oder extensiv auszulegen. Diese Tatbestände verbieten

es

generell

und

ohne

jede

Differenzierung,

Pornographie

Minderjährigen unmittelbar bzw. an für sie zugänglichen oder einsehbaren Orten zugänglich zu machen. Ob es sich bei dem pornographischen Material um ein einzelnes Bild oder eine große Zahl von Darstellungen, um ein Medium, das die Schwelle zur Pornographie nur geringfügig überschreitet oder um ein hochgradig pornographisches, um gedruckte Texte oder um ungleich wirkungsmächtigere bewegte Bilder handelt, ist für den Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB ohne Belang. Die Tatbestandsmerkmale des Zugänglichmachens und der Zugänglichkeit und der Einsehbarkeit eines Orts sind unabhängig von den im Einzelfall auf Grund der Quantität oder Qualität des pornographischen Materials möglicherweise bestehenden geringeren oder höheren Risiken einheitlich auszulegen. Die Unzulässigkeit einer am Grad des jeweiligen Risikos orientierten, variablen Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB ergibt sich zudem aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Denn dieses verlangt, daß die Voraussetzungen der Strafbarkeit durch den Gesetzgeber so genau bestimmt sind, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände aus dem Wortlaut erkennbar sind oder sich durch Auslegung ermitteln lassen. Damit soll sichergestellt sein, daß die Normadressaten auf Grund des für sie erkennbaren und verständlichen Wortlauts vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Ferner soll gewährleistet werden,

daß

die

Anwendungsbereich

Legislative von

und

nicht

Straftatbeständen

der

Strafrichter 125

entscheidet.

über Mit

den

diesen

Aufgaben des Art. 103 Abs. 2 GG ist eine vom Gefährdungsrisiko abhängige Interpretation des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB nicht vereinbar. Eine solche hätte zur Folge, daß die Reichweite der Tatbestände nicht mehr ex ante durch Auslegung der in ihnen vom Gesetzgeber verwendeten abstrakten Begriffe (hier: das Zugänglichmachen und die Zugänglichkeit und Einsehbarkeit eines Orts für Minderjährige) zu bestimmen wäre, sondern in einer für den Normadressaten nicht vorhersehbaren Weise ex post auf Grund einer – 125

BVerfGE 92, 1, 12; 87, 209, 223 f. 45


eventuell

mit

Hilfe

eines

Sachverständigen

vorgenommenen

Risikoeinschätzung durch die Strafgerichte festgelegt würde. Die Auslegung der Merkmale, durch die der Gesetzgeber die pönalisierten Handlungsweisen bezeichnet hat, darf aber nicht dazu führen, daß die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben und die Tatbestandsmerkmale “entgrenzt” werden.126 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die Möglichkeit des Zugriffs auf eine Vielzahl pornographischer Angebote in Telemedien und das daraus eventuell resultierende besondere Risiko keine Gesichtspunkte sind, die herangezogen werden können, um das Merkmal “Zugänglichmachen” in § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB für den Bereich des Internets anders und weiter auszulegen, als dies bisher bei “Offline”-Medien geschieht. Für den Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB, also für die Frage, ob ein Anbieter seine pornographischen Angebote Minderjährigen unmittelbar bzw. an einem für sie zugänglichen oder einsehbaren Ort zugänglich gemacht hat, sind sie ohne Bedeutung. Das heißt jedoch nicht, daß diese Gesichtspunkte strafrechtlich gänzlich ohne Belang sind: Hat der Anbieter mit diesen Angeboten einen der Tatbestände des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB verwirklicht, so ist das Gefährdungsrisiko für Minderjährige, das er (wegen der Quantität oder der Qualität der pornographischen Darbietung) durch die Tat geschaffen hat, gem. § 46 Abs. 2 StGB unter dem Gesichtspunkt der “verschuldeten Auswirkungen der Tat” bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. II. Die Forderung nach Erschwernis der Weitergabe von Zugangsdaten Seine Forderung, der Anbieter von Telemedien müsse dafür sorgen, daß die Weitergabe der Zugangsdaten zu pornographischen Angeboten (an eine Vielzahl anderer) durch den Kunden weitgehend ausgeschlossen sei, begründet Sieber zum einen mit den bereits erwähnten besonderen Gefahren im “Online”-Bereich. Zum anderen beruft er sich darauf, ein pornographisches Buch könne nur einmal weitergegeben werden, während die Zugangsdaten zu pornographischen Angeboten in Telemedien beliebig oft weitergegeben werden könnten.127 Zudem meint er, eine Verpflichtung des Anbieters, die Weitergabe der Zugangsdaten an Minderjährige zu erschweren, lasse sich 126

BVerfGE 92, 1, 16 f. 46


auch daraus herleiten, daß Minderjährige mit diesen Daten die Angebote unmittelbar beim Anbieter abrufen, während bei der Weitergabe z. B. eines gekauften Pornohefts durch den Käufer an einen Minderjährigen kein direkter Kontakt mehr zwischen diesem und dem Verkäufer bestehe. Die Gefahr des Mißbrauchs gehe bei pornographischen Telemedien also (auch) unmittelbar auf die Aktivitäten des Anbieters zurück: Sobald der Minderjährige die Zugangsdaten erhalten habe, bedürfe es – anders als im Fall der Weitergabe des Pornohefts - keines eigenverantwortlichen Handelns eines Dritten mehr, um dem Minderjährigen den Abruf der pornographischen Angebote zu ermöglichen.128 Bezüglich dieser Erwägungen ist in tatsächlicher Hinsicht zunächst darauf hinzuweisen, daß auch ein pornographisches Printmedium zwar nicht gleichzeitig, aber nacheinander an eine Vielzahl Minderjähriger weitergegeben werden und eine pornographische Videokassette gleichzeitig einer größeren Zahl Minderjähriger vorgeführt werden können. Bislang hat dies jedoch noch nicht

zu

der

Forderung

geführt,

der

Veräußerer

oder

Vermieter

pornographischer Medien müsse entsprechende Handlungen seiner Kunden erschweren. In strafrechtlicher Hinsicht gilt das oben129 zur Ansicht des BVerwG und des VG München Gesagte entsprechend: Weder die Vielzahl pornographischer Angebote, auf die Minderjährige mit Hilfe der erforderlichen Zugangsdaten Zugriff haben, noch das Risiko, daß ein erwachsener Kunde sie einer Vielzahl von Minderjährigen durch Weitergabe seiner Zugangsdaten zugänglich macht, stellt nach allgemeinen strafrechtlichen Regeln einen Grund dar, den Anbieter, der dieses Verhalten des Kunden nicht erschwert, als (mittelbaren) Täter des § 184 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB anzusehen. Ebensowenig können diese Gesichtspunkte dazu führen, diese Tatbestände unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG derart umzudeuten, daß sie nicht nur das Zugänglichmachen, sondern auch das Ermöglichen, Erleichtern oder das Unterlassen des Erschwerens des Zugänglichmachens durch Dritte erfassen. Etwas anderes läßt sich entgegen Siebers Ansicht auch nicht daraus ableiten, daß der Minderjährige, dem ein Kunde die Zugangsdaten zu einem 127

Gutachten, S. 43, 46. Gutachten, S. 47. 129 S. 24 ff. 128

47


pornographischen

Telemedienangebot

gegeben

hat,

dieses

Angebot

unmittelbar beim Anbieter abruft, während im Fall der Weitergabe eines pornographischen Buchs durch den Käufer kein solcher Kontakt mehr mit dem Verkäufer entsteht. Denn ob jemand die von ihm gemietete pornographische Videokassette oder einen Schlüssel, mit dem man unbemerkt in ein Pornokino gelangen kann, einem Minderjährigen weitergibt, ist in der Tat – wie Sieber selbst sagt130 – ein lediglich formaler Aspekt. Der sachlich entscheidende Gesichtspunkt, der es ausschließt, den Lieferanten strafrechtlich in Anspruch zu nehmen, liegt darin, daß es in beiden Fällen eigenverantwortlich handelnde Dritte sind, die Minderjährigen die Pornographie zugänglich machen. Handelt es sich bei diesen Dritten um die Eltern des Minderjährigen, so fehlt es, wenn das Erzieherprivileg des § 184 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 StGB n. F. eingreift, zudem an einem strafrechtlich relevanten Erfolg. Hinzu kommt, daß die Forderung, (auch) Eltern die Weitergabe von Zugangsdaten weitgehend unmöglich zu machen, mit Art. 6 Abs. 2 GG und der Aufgabe des Jugendmedienschutzrechts unvereinbar ist. Denn entgegen Siebers Ansicht ist es nicht die Aufgabe der Eltern, dafür zu sorgen, daß ihre Kinder pornographische Medien nicht wahrnehmen können. Vielmehr umfaßt das

elterliche

Erziehungsrecht

grundsätzlich

auch,

seinen

Kindern

Pornographie zu zeigen. Einem elterlichen Mißbrauch dieses von der Verfassung gewährleisteten Rechts durch an Außenstehende (hier: der Anbieter im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV) gerichtete strafbewehrte Veroder

Gebote

vorzubeugen,

ist

nicht

Aufgabe

des

Jugendmedienschutzrechts.131 Im übrigen steht dem Verlangen, der Anbieter müsse die Weitergabe der Zugangsdaten durch seine Kunden weitgehend ausschließen, auch die Regelung

des

§

1

Versandhandelskunde

Abs. einem

4

JuSchG

entgegen.

Minderjährigen

die

Denn

wenn

der

Entgegennahme

und

Öffnung einer Sendung mit pornographischem Material gestattet oder ihm - im Fall des elektronischen Versands - die Möglichkeit gibt, den bestellten Film abzurufen, so kommt der Minderjährige ebenfalls unmittelbar mit der Leistung des Versandhändlers in Kontakt. Da § 1 Abs. 4 JuSchG das Risiko eines solchen Verhaltens des Kunden aber hinnimmt, wäre es widersprüchlich, den Versandhändler, der es nicht weitgehend ausschließt, statt gem. § 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB nunmehr gem. § 184 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB zu bestrafen. Ein 130

Gutachten, S. 47. 48


sachlicher Grund, der es rechtfertigt, den Anbieter von Telemedien unter im wesentlichen gleichen Umständen nach diesen Vorschriften zu bestrafen, ist nicht ersichtlich. Hinzuweisen ist schließlich darauf, daß die Forderung nach Maßnahmen, die eine Weitergabe der Zugangsdaten durch den Kunden ausschließen, auch weit über das Ziel hinausgeht, das der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV erreichen wollte. Nach der amtlichen Begründung verlangt die Bestimmung ein verläßliches Altersverifikationssystem. Von weitergehenden Sicherungen ist nicht die Rede. III. Ergebnis Siebers Forderungen, pornographische Telemedien müßten gegen den Zugriff Minderjähriger streng abgeschottet werden, und der Anbieter müsse Maßnahmen gegen die Weitergabe der Zugangsdaten durch seine Kunden ergreifen, hält näherer Überprüfung nicht stand. Sie ist insbesondere mit allgemeinen strafrechtlichen Regeln und den Grenzen, die Art. 103 Abs. 2 GG der Auslegung des § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB setzt, nicht vereinbar. Da § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV die Erfüllung dieser beiden Straftatbestände präjudiziert, können die Forderungen Siebers auch im Rahmen des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV nicht anerkannt werden. E. Gesamtergebnis Insbesondere bei einfach pornographischen Angeboten hat der Anbieter die Zugänglichkeit nur für Erwachsene im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV sichergestellt, wenn er (allein) durch technische Vorkehrungen, wie z. B. ein Altersverifikationssystem, Zugangshindernisse schafft, deren Überwindung von Minderjährigen einen nicht ganz unerheblichen Aufwand erfordert und die deshalb den Ausnahmefall darstellt. Weitere Sicherungsmaßnahmen, wie z. B. eine persönliche Alterskontrolle bei Neukunden oder Vorkehrungen gegen die Weitergabe von Zugangsdaten, sind nicht erforderlich.

131

S. dazu schon oben S. 28. 49


Teil 3: Das Altersverifikationssystem “ueber18.de” A. Funktionsweise und Umgehungsmöglichkeiten bei Version 1 Das System “ueber18.de” wird von in Deutschland ansässigen Anbietern von Telemedien verwendet, um einfach pornographische Angebote gegen den Zugriff Minderjähriger zu sichern. Es existiert in zwei Versionen. In der Version 1 muß der künftige Nutzer auf der Internetseite seine Personalausweisnummer oder Reisepaßnummer und die Postleitzahl des Ausstellungsorts des Ausweises oder Passes eingeben. Anhand des in der Nummer enthaltenen Geburtsdatum überprüft das System, ob der sich Anmeldende volljährig ist, ob die eingegebene Postleitzahl mit der in der Personalausweis- oder Paßnummer enthaltenen Behördenkennzahl korreliert und die eingegebenen Ziffern und Zeichen den Regeln zur Erstellung einer Personalausweis- oder Paßnummer entsprechen. Fallen diese Prüfungen positiv aus, ist die Altersverifikation beendet. Es folgt dann die Aufforderung, eine EMail-Adresse anzugeben und ein Paßwort zu wählen. Stimmt der Nutzer den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von “ueber18.de” zu, so wird an die von ihm angegebene E-Mail-Adresse ein sog. User-ID zugesandt. Mit dem Paßwort und der User-ID kann er dann auf die durch “ueber18.de” gesicherten Angebote zugreifen.

Eine

zweite

Anmeldung

mit

der

von

ihm

angegebenen

Personalausweis- oder Paßnummer schließt das System aus. Während die Anmeldung bei der Version 1 von “ueber18.de” kostenlos ist, ist sie bei Version 2 kostenpflichtig. Zusätzlich zu den bei der Version 1 verlangten Angaben müssen daher bei Version 2 noch Name, Anschrift sowie Kontonummer und Bankleitzahl oder eine Kreditkartennummer eingegeben werden. Anhand dieser Angaben wird das angegebene Bank- oder Kreditkartenkonto dann mit einem Betrag von 4,95 Euro belastet, der auf dem Kontoauszug des Inhabers erkennbar ausgewiesen wird. Sind die Angaben falsch, wird der Nutzer durch “ueber18.de” gesperrt. Im übrigen verläuft der Anmeldevorgang wie bei Version 1. Um Zugang zu den durch “ueber18.de” gesicherten Angeboten zu erhalten, benötigt ein Minderjähriger hiernach entweder Paßwort und User-ID eines Nutzers oder eine Personalausweis- oder Paßnummer eines Erwachsenen und 50


eine damit korrelierende Postleitzahl. Zunächst kann ein Erwachsener ihm diese Angaben machen. Möglich ist ferner, daß ein Minderjähriger heimlich an die erforderlichen Daten gelangt, z. B. durch die Personalausweise seiner Eltern oder anderer Erwachsener. Eine weitere Umgehung der Sicherheitsvorkehrungen von “ueber18.de” kann sich daraus ergeben, daß nach Angaben in der Literatur132 unter diversen Internetadressen “generierte” Personalausweisnummern angeboten werden. Für eine Überwindung von “ueber18.de” ist allerdings erforderlich, daß zugleich die mit der Behördenkennzahl korrelierende Postleitzahl genannt wird. Eine derartige Umgehungsmöglichkeit wird dadurch vermindert, daß “ueber18.de” selbst, aber auch andere Anbieter mehr als zehn Personalausweisnummerngeneratoren im Internet unterhalten, die – als solche nicht erkennbare - fehlerhafte Nummern auswerfen, die daher vom Altersverifikationssystem nicht akzeptiert werden. Schließlich

können

Minderjährige

generieren.

Anleitungen

dazu

selbst

werden

eine

im

Personalausweisnummer

Internet

angeboten,

ebenso

Behördenkennzahlen mit den korrelierenden Postleitzahlen. B. Rechtliche Beurteilung der Version 1 Die

Möglichkeit,

daß

ein

Erwachsener

Minderjährigen

seine

ihm

von

“ueber18.de” zugeteilte Nutzer-ID und sein Paßwort mitteilt oder ihm z. B. seine Personalausweisnummer und den Ausstellungsort oder dessen Postleitzahl in dem Wissen nennt, damit den Zugang zu pornographischen Angeboten zu ermöglichen, ist, wie sich aus dem zuvor Gesagten ergibt,133 für die Beurteilung des Systems ohne Bedeutung. In diesen Fällen macht sich der Erwachsene, sofern er nicht bereits aufgrund des Erzieherprivileg des § 184 Abs. 2 S. Halbs. 1 StGB n. F. tatbestandslos handelt, nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB strafbar. Denkbar ist zwar auch, daß ein Erwachsener einem Minderjährigen seinen Personalausweis überläßt oder seine Personalausweisnummer zur Verfügung stellt und ihm auch den Ausstellungsort des Ausweises oder dessen Postleitzahl nennt, ohne zu wissen, daß damit der Zugang zu Pornographie ermöglicht werden soll. Eine entsprechende Bitte des Minderjährigen wäre jedoch äußerst 132

Sieber, Gutachten S. 14 f.; Döring/Günter MMR 2004, 231, 133. 51


ungewöhnlich und würde wohl auf

die Absicht einer mißbräuchlichen

Verwendung schließen lassen. Da eine plausible Erklärung, die diesen Verdacht ausräumt, schwerlich denkbar ist, setzt solches “Ablisten” der für die Anmeldung erforderlichen Daten eine besonders geschickte Täuschung voraus und dürfte einen extremen Ausnahmefall darstellen. Schließlich verbleibt die Möglichkeit, daß Minderjährige sich heimlich die Paßoder Personalausweisnummern ihrer Eltern verschaffen. Hierfür müßte sich der Minderjährige bewußt über ein elterliches Verbot hinwegsetzen und einen gravierenden Vertrauensbruch gegenüber seinen Eltern begehen, der im Fall der Entdeckung nicht ohne Sanktionen bliebe. Zu bedenken ist dabei, daß Personalausweise und Pässe in aller Regel nicht offen liegen gelassen werden, sondern in der Brieftasche etc. oder in der Wohnung an einer Stelle, z. B. in einer Schublade eines Schranks, verwahrt werden, die für persönliche Dinge bestimmt ist und die auch innerhalb der Wohnung den Kindern nicht ohne weiteres offen steht. Minderjährige, die die Personalausweise ihrer Eltern benutzen wollen, müssen also in der Regel nach den Ausweisen suchen und in eine Sphäre eindringen, die in einer Familie grundsätzlich respektiert werden dürfte. Daß Minderjährige

sich

die

Personalausweisnummern

ihrer

Eltern

heimlich

verschaffen, mag zwar realistischer sein als das zuvor erwähnte “Ablisten” einer solchen Nummer. Jedoch ist dieser Fall – solange keine gegenteiligen Erfahrungen vorliegen – als Ausnahme anzusehen. Dies gilt erst recht für den heimlichen Zugriff auf Personalausweise Fremder. Denn hierfür müßten Minderjährige, auch wenn sie lediglich einen straflosen “Gebrauchsdiebstahl” begehen, auf fremdes Eigentum zugreifen und zudem die allgemein respektierte Privatsphäre anderer verletzen. Soweit im Internet Personalausweisnummern und die mit der Behördenkennzahl korrelierende Postleitzahl angeboten werden, ist davon auszugehen, daß den Anbietern

bekannt

ist,

daß

damit

Minderjährigen

der

Zugang

zu

pornographischen Angeboten ermöglicht wird. Indem sie Minderjährigen den Schlüssel zu diesen Angeboten liefern, machen sich die Anbieter daher gem. § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB und - sofern sie gewerbsmäßig handeln – auch gem. § 4 i. V. m. § 3 Nr. 1 ZKDSG strafbar. Auf die Beurteilung von “ueber18.de” hat diese

133

S. 24 ff. 52


Umgehungsmöglichkeit

keinen

Einfluß.134

Vielmehr

müßten

die

Staatsanwaltschaften bei einem entsprechenden Verdacht gegen die Anbieter der hier fraglichen Internetseiten ermitteln. Daß Minderjährige mit Hilfe entsprechender Anleitungen aus dem Internet und der Angaben von Behördenkennzahlen und dazu passenden Postleitzahlen Zugangsdaten zu “ueber18.de” generieren, die das System akzeptiert, ist somit zwar durchaus denkbar. Jedoch erfordert es, wie die erwähnten Anleitungen zeigen, einen nicht ganz unerheblichen Aufwand. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die für die Beurteilung des Systems “ueber18.de”

relevanten

Minderjährige

allgemein

Umgehungsmöglichkeiten respektierte

Verbote

voraussetzen,

verletzen

oder

sich

daß über

tatsächliche Hindernisse hinwegsetzen, deren Überwindung einen nicht ganz unerheblichen Aufwand erfordert. Die Zugangshindernisse sind daher als “regelmäßig wirksam” und ihre Überwindung als Ausnahmefall anzusehen. Denn sie entsprechen dem Sicherheitsstandard, der nach h. M. das Zugänglichmachen im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 1 oder die Zugänglichkeit oder Einsehbarkeit eines Orts im Sinne des § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausschließen. Hierzu reicht es - wie erwähnt - aus, daß z.B. ein pornographisches Heft in dünne Plastikfolie eingeschweißt wird oder das den Zugang zu einer Videothek kontrollierende Personal getäuscht werden muß. Im übrigen kann bei der Entscheidung darüber, ob ein Altersverifikationssystem pornographische Angebote hinreichend sichert auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß im Internet eine Vielzahl solcher Angebote aus dem Ausland ohne jede Zugangssperre und auch kostenlos zur Verfügung steht. Mit der Eingabe der Wörter “free porn” erzielt man mit der Suchmaschine Google 7,6 Mio Treffer.135 Der an Pornographie interessierte Minderjährige wird daher auf diese 134

Dies verkennt das OLG Düsseldorf, Urteil v. 17. 2. 2004 -III-5 Ss 143/03 - 50/03 I. Nur am Rande sei vermerkt, daß diese Angebote die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit u. a. des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV aufwerfen. Denn entgegen Sieber (Gutachten, S. 28) und Döring/Günter (MMR 2004, 231, 235) sind Normadressaten der Bestimmung nicht nur die in Deutschland ansässigen Anbieter, sondern alle Anbieter auf der Welt, also z. B. auch die in den U.S.A.. Da der Erfolgsort des Zugänglichmachens pornographischer Angebote, der Ort ihres Zugänglichseins, Deutschland ist, gilt auch für Anbieter aus den U.S.A. deutsches Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 9 Abs. 1 StGB, § 7 Abs. 1 OWiG). Sie machen sich also gem. § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar oder begehen eine Ordnungswidrigkeit gem. § 24 Abs. 1 Nr. 2 JMStV, wenn sie § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV nicht beachten. Es ist jedoch offensichtlich, daß die Einhaltung der Bestimmung, z. B. in den U.S.A., nicht nur tatsächlich nicht durchgesetzt wird, sondern nicht durchgesetzt werden kann. Es handelt sich also um eine Regelung, deren Beachtung nur in Deutschland gewährleistet werden kann, die aber weltweite Geltung beansprucht. Insoweit ist sie 135

53


frei zugänglichen Angebote zurückgreifen, statt die Zugangshindernisse von durch “ueber18.de” gesicherten Angeboten zu überwinden. Hierzu besteht kein Anreiz.136 Denn wenn dasselbe Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann, wird – bei realistischer Betrachtung - derjenige gewählt, der den geringsten Aufwand erfordert. Hinzuweisen ist ferner darauf, daß, wie dargelegt, § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV nur ein technisches Sicherungssystem verlangt. Ein technisches System, welches neben der Volljährigkeit des (künftigen) Nutzers auch prüft, ob er es ist, der das gesicherte Angebot abruft, erforderte z.B., daß bei der Anmeldung der Personalausweis eingescannt und an das Kontrollsystem übermittelt und beim Zugang per Bildtelefon das Gesicht des Nutzers mit dem Ausweisfoto abgeglichen wird. Solche Anforderungen würden jedoch jene Anbieter und Nutzer von vornherein von der Möglichkeit des § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV ausschließen, die die entsprechende Technik – u.a. aus finanziellen Gründen – nicht zur Verfügung haben. Dies würde, was einfach pornographische Angebote anbelangt, einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG darstellen.137 C. Ergebnis Version 1 des Altersverifikationssystems “ueber18.de” entspricht daher den von dem Merkmal “Sicherstellen” in § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV gestellten Anforderungen.138 Einer Beurteilung der Version 2 bedarf es daher nicht.

Leipzig, 15. 06. 2004

Prof. Dr. Schumann

jedoch nicht durchsetzbar und damit – in sich widersprüchlich – gegenüber der großen Mehrheit der Adressaten auf Ineffektivität angelegt ist. Ein solches normatives Defizit führt aber nach Ansicht des BVerfG (Urteil v. 9. 3. 2004 – 1 BvL 17/02) zur Verfassungswidrigkeit einer Regelung. 136 So auch LG Düsseldorf CR 2003, 452; AG Tiergarten, Urteil v. 19. 11. 2003 - 273/Cs 188/03 -. . 137 S. dazu auch LG Hamburg, Urteil v. 9. 3. 2004 – 312 O 24/04 -. 138 Die in dem Urteil des KG vom 26. 4. 2004 - 1 Ss 436/03 - geäußerte Ansicht, das System verstoße gegen § 4 Abs. 2 PersAuswG und sei daher unzulässig, beruht auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen. 54


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