rechnungswesen &controlling 1·11 «Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.» Üblicherweise jammern in der Schweiz die Bauern. Neuerdings sind es aber die Wirtschaftsprüfer. Mindestens habe ich diesen Eindruck aus der Lektüre des Schweizer Treuhänder gewonnen und auch aus den in letzter Zeit zunehmend veröffentlichten Interviews mit Partnern der Big 4. Es scheint, als lasse sie das Grünbuch der EU-Kommission zur Zukunft der Wirtschaftsprüfung erblassen. Doch um was geht es in diesem Diskussionspapier? Im Wesentlichen um die generelle Rolle der Big 4, um die Unabhängigkeit, die Beaufsichtigung, die Frage eines spielenden Wettbewerbes, denn die grossen vier Player beherrschen 80% des europäischen Marktes. Heftig wehren sie sich nun gegen das Konzept von «Auditonly-Gesellschaften», welches bedeutet, dass die EU den Prüfungsgesellschaften das Beratungsgeschäft verbieten will. Voraus schicken will ich, dass ich die Schweizer Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer für kompetent und lösungsorientiert halte und sehr schätze. Als Auftraggeber, sei es als Leiter von Unternehmen oder Verwaltungsräten, habe ich in den letzten Jahren immer gute Erfahrungen gemacht. Wir haben immer gemeinsam Lösungen gefunden. Vielleicht kommt mir aber auch zugute, dass ich selbst zugelassener Revisionsexperte und Mitglied der Treuhandkammer bin. Der Stand der Wirtschaftsprüfer leidet seit Jahren unter dem Expectation Gap (Erwartungslücke). Die geschürten Erwartungen werden aus Sicht von Wirtschaft, Öffentlichkeit, Politik und Kunden nicht erfüllt. Aber was wird denn erwartet? Gut be-
schreibt dies die Headline eines kürzlich in der NZZ erschienenen Artikels: «Die Sehnsucht nach dem alles sehenden Abschlussprüfer.» Dass diese Sehnsucht nicht erfüllt wird, zeigt die Tatsache, dass auch in der Schweiz Klagen gegen Wirtschaftsprüfer in Milliardenhöhe hängig sind. Die heutigen Probleme des Standes sind meines Erachtens eng mit der unseligen Entwicklung der Rechnungslegungsstandards verquickt. Sie versprechen die absolute Wahrheit, «true and fair». Aber – vielleicht eine subjektive Wahrnehmung meinerseits – standen da nicht, zumindest am Anfang, die Wirtschaftsprüfer Pate für diese Entwicklung? Sind nicht sie in den entsprechenden Gremien (über) vertreten? Es kommt ja wohl nicht von ungefähr, dass die meisten Artikel zu IFRS aus der Feder von Wirtschaftsprüfern stammen. Die Anwender haben zum Schreiben leider gar keine Zeit. Mit dem Berufsstand bin ich der Meinung, dass der Wirtschaftsprüfer keine Prognosen über die Zukunft eines Unternehmens abgeben muss – es reicht festzustellen, ob die Anforderungen an das Going-Concern-Prinzip erfüllt sind. Denn, wenn der Stand schon keine klaren Stellungnahmen zur Vergangenheit abgeben kann (siehe beispielsweise Text der Berichterstattung der eingeschränkten Revision), wie will er das dann um Himmels willen für die Zukunft tun? Kann er klüger sein als die Märkte? Kann er es besser wissen als die Konzerne, die heute in die IFRS-Jahresrechnungen Hinweise aufnehmen wie: «Der Konzern trifft Einschätzungen und Annahmen, welche die
Zukunft betreffen. Die hieraus abgeleiteten Schätzungen werden naturgemäss in den seltensten Fällen den späteren tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.» Haben wir den Mut, keine Genauigkeit mehr vorzugaukeln und beispielsweise in unserer kurzlebigen Wirtschaftszeit ewige Renten als heisse Luft auf 2 Kommastellen genau zu diskontieren. Doch vielleicht verbindet der Laie bereits mit dem Begriff «Wirtschaftsprüfer» höchste Erwartungen, nämlich jene, dass ein Unternehmen, die Wirtschaft vom Prüfer in all seinen Facetten eingehend kontrolliert und für rechtens befunden wird? Früher hatten wir den Bücherexperten. Er testierte die Darstellung des betrieblichen Geschehens des abgelaufenen Geschäftsjahres, zusammen mit den an einem bestimmten Stichtag vorhandenen Aktiven und Passiven, und er bestätigte die RichFortsetzung auf Seite 3
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