rechnungswesen & controlling 3·12 Man muss lesen können. Manchmal passt es einfach: Auf meine Ferienzeit hin habe ich von Conrad Meyer sein neuestes Werk erhalten: Accounting – Ein Leitfaden für das Verständnis von Finanzberichten (Schriftenreihe der Treuhand-Kammer/ISBN 978-3-908159-964). Schon lange habe ich kein Fachbuch mehr von vorne bis hinten gelesen. Aber bereits der Einstieg hat mich begeistert, da ich seit Jahren selbst überzeugt bin: «Es ist eine weit verbreitete Illusion, dass Accounting eine exakte Wissenschaft sei. Die Aufbereitung der Daten ist subjektiv geprägt. Trotz anerkannter Grundsätze und Standards der Rechnungslegung verbleibt ein erheblicher Spielraum.» Das Buch ist spannend, dank den vielen illustrativen Beispielen gut verständlich und leicht lesbar. Es ist ein ausgezeichnetes Werk für den Praktiker, eine aktuelle Standortbestimmung der Rechnungslegung, ein Vergleich der wesentlichen Unterschiede von Swiss GAAP FER, IFRS und US GAAP, ein gelungener Wiederholungskurs in Konsolidierung und eine Aufbereitung fundamentaler Themen. Interessant ist auch der «kreative» Teil: Die aktive Gestaltung der Ergebnisse (earnings management) – zur Nachahmung nicht empfohlen. Für den Schweizer Praktiker, der mit internationalen Rechnungslegungsstandards noch wenig in Berührung gekommen ist, sind beispielsweise die Erläuterungen zum Eigenkapitalnachweis mit seiner wachsenden und zentralen Bedeutung und diejenigen zum Segmentreporting interessantes Neuland. Im Gegensatz dazu hat sich die Geldflussrechnung durchgesetzt, denn: Pro-
fit is an option but cash is a fact. Eine solche Rechnung korrekt zu erstellen, scheint aber nicht so einfach zu sein, liegt sie doch seit einigen Jahren an erster Stelle der Beanstandungen bei an der Schweizer Börse kotierten Gesellschaften. Cashflow-Komponenten sind übrigens auch zunehmend Bestandteile von Kennzahlen, beispielsweise wenn es um die Finanzkraft eines Unternehmens geht, Schulden in den nächsten Jahren zurückzuzahlen. Am Schluss des Buches listet der Autor akribisch erkannte Schwachstellen im Accounting kotierter Unternehmen auf; insbesondere werden die durch die SIX (Schweizer Börse) festgestellten Verstösse in der Berichterstattung dargestellt, die in der Regel mit Verweisen oder Bussen geahndet werden. Meine Empfehlung: Buch kaufen – lesen! Gerne füge ich an dieser Stelle ein paar eigene Gedanken zur Entwicklung der internationalen Rechnungslegung an. Dass es Standards für die Rechnungslegung braucht, bestreite ich nicht; sie sorgen unter anderem für wertvolle Vergleichbarkeit und Transparenz im Interesse der verschiedenen Stakeholder. Nehmen sie aber ein Ausmass wie die prinzipienorientieren IFRS mit ca. 3‘000 Seiten oder die auf Einzelfallregelungen basierten US GAAP mit über 25‘000 Seiten an, muss ich an die Aussage von Rudolf Augstein denken: «Die Zahl derer, die durch zu viel Informationen nicht mehr informiert sind, wächst.» Leider führt Regulation oftmals dazu, dass man nicht mehr denkt, sondern «funktioniert». Immerhin scheint der
Schweizer Rechnungsleger noch zu funktionieren, weist Swiss GAAP FER doch nur einen Umfang von ca. 200 Seiten aus. Kein Wunder, wechseln viele Schweizer Unternehmen, sofern sie nicht an der Hauptbörse kotiert sind, auf den einheimischen Standard, mit dem überdies noch kreativ Bilanzpolitik betrieben werden kann. Und hier sei etwas ketzerisch angefügt: Ihre unternehmerische Leistung bleibt mindestens so gut wie vorher mit IFRS – die Kosten und die Management Attention auf das Accounting sind sogar geringer. Und ich glaube auch nicht, dass für die finanzielle Führung der Unternehmen trotz einfacherem Standard Informationen fehlen – höchstens, dass die unterschiedlichen Ansätze der Bewertung zu Missverständnissen führen können.
Das offizielle Organ des veb.ch, des grössten Schweizer Verbandes für Rechnungslegung, Controlling und Rechnungswesen
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