DEUTSCH
26.11.21 - 11.09.22 26.11.21 - 11.09.22
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IRAN ZWISCHEN DEN ZEITEN Die Ausstellung umfasst eine Auswahl von 60 Fotografien die seit 2017 bei mehreren Reisen in den Iran entstanden sind. Wie bereits für sein voriges Projekt Imperium Romanum, spielt Seiland auch hier wieder mit dem Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart und dem Verhältnis der Menschen zu diesem Gegensatz. Landschaftsbilder, welche die komplexe und reiche Geschichte des Landes illustrieren, treffen auf Momentaufnahmen unverfälschter Alltagssituationen. Analoge Großbildaufnahmen, für die Seiland bekannt ist, wechseln sich ab mit spontaneren Mittelformatkameraaufnahmen, wobei die einheitliche visuelle Sprache, wie man sie bereits aus Imperium Romanum kennt, stets gewahrt bleibt. Der Fotograf fordert die Betrachter dazu auf, das in westlichen Medien oft durch Vorurteile und Klischees geprägte Bild des ehemaligen persischen Reiches neu zu sehen und dabei gleichzeitig die großen gesellschaftspolitischen Themen des heutigen Iran zu reflektieren. Um den künstlerischen Ansatz von Alfred Seiland vollständig zu verstehen sind Sie herzlich eingeladen, eine gedruckte Broschüre in der Sprache Ihrer Wahl mitzunehmen. Sie können die Broschüre auch über den QR-Code unten auf der Seite als PDF herunterladen. Die Reihenfolge, in der die Werke ausgestellt werden, weicht von der Reihenfolge ab, in der sie in der Broschüre besprochen werden. Die Nummern auf den Textschildern in der Ausstellung entsprechen jedoch den Nummern in der Broschüre, so dass Sie die Informationen über ein bestimmtes Werk immer leicht finden können.
Fotografien mit Begleittext
Fotografien ohne Begleittext
IRAN | BETWEEN TIMES ALFRED SEILAND
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ARG-E BAM
Bam, Iran, 2017
Arg-e-Bam liegt in der Provinz Kerman, zwischen Steppen und Sandwüste in einer Oase auf einer zentralen Hochebene Ostirans. Wohl von Sassaniden im 6. Jahrhundert v. Chr. gegründet und mit unterirdischen Kanats zur Bewässerung ausgestattet, wurde der Ort an der Seidenstraße ein bedeutendes Handelszentrum. Nähe zur Grenze und Reichtum bestimmten das Schicksal der Stadt: Sie wurde immer wieder von Nachbarstämmen angegriffen. Dennoch entwickelte sie sich – wie Kerman – zu einem Mittelpunkt für Textil- und Teppichherstellung. Insbesondere unter den Safawiden (1501-1722) wurde Bam zur Festungsstadt mit Zitadelle, Türmen, Schulen und Bazar ausgebaut; alle Gebäude waren aus Lehmziegeln (Adobesteinen) errichtet und verputzt. Mitte des 19. Jahrhunderts verließen die Bewohner die Stadt und gründeten nahebei das moderne Bam; der alte Ort blieb Militärlager. Ein Erdbeben der Stärke 6,6 zerstörte Stadt und Zitadelle am 26. Dezember 2003 bis auf die Grundmauern, zehntausende Menschen starben, wurden verletzt oder obdachlos. Die internationale Gemeinschaft, China, trotz gestörter Beziehungen zur iranischen Regierung auch die USA, mehr als 60 Staaten, sandten umfassende Soforthilfe oder sagten Unterstützung beim Wiederaufbau zu. Bei zunächst unklarer Zielrichtung berieten im Konsortium Recovery Project of Bam‘s Cultural Heritage u.a. Stadtplaner, Architekten, Archäologen, Ingenieure und Volkswirtschaftler lange über Noterhaltung, Aufmessung, 3-D-Modelle, Art der Wiederrichtung, Lehmbereitung, Finanzmittel, Zeitplan und nicht zuletzt Aufgabenzuteilung an die verschiedenen internationalen Teams. Erste Anläufe machten Nachbeben und ein Sandsturm zunichte. Doch Dank ca. 1,1 Milliarden US-Dollar ist der Wiederaufbau des zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Bam heute so gut wie abgeschlossen.
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Teheran, Iran 2017
Schiras, Iran, 2019
BORDSCH-E MILAD AUSBLICK Eine Planung der Schah-Zeit, aber erst nach der Islamischen Revolution als Gegengewicht zu den Prunkbauten der Pahlevi-Zeit gebaut und 2007 eröffnet, ist der vom Boden bis zur Antennenspitze 435 m messende Milad Tower das höchste Gebäude Irans, der weltweit sechsthöchste Fernsehturm. Es ist eine Stahlbetonkonstruktion über 12 Stockwerke, die durch drei Fahrstühle und eine Treppe erschlossen werden. Der Turmkorb enthält u.a. ein Restaurant für 400 Gäste und mehrere Aussichtsplattformen, von denen der Besucher insbesondere nachts ganz Teheran überblickt mit seinen beleuchteten Prachtstraßen, den hellen Stadtvierteln, mit Neonlicht angestrahlten Bauwerken und im Dunkeln liegenden Parks. Tagsüber kann man diesen Blick nur selten genießen. Denn hohe Geburtenziffer und Landflucht haben zu einem enormen Bevölkerungswachstum geführt; bei einer Volkszählung 2016 hatte die Stadt (ohne Umland) mehr als 8 Millionen Einwohner. Damit einher geht eine ungeheure Umweltverschmutzung, ein dichter Smog, der insbesondere im Winter über dem Stadtkessel liegt. Teheran ist eine der schmutzigsten Städte Asiens! Es heißt, dass 80 Prozent des Kohlendioxidausstoßes durch den Verkehr verursacht werden, insbesondere durch Motorräder und Privatfahrzeuge, und so startete die Stadtverwaltung die Initiative, von Benzinmotoren auf Erdgas umzusteigen. Auch durch „Verschmutzungsanzeigetafeln“ versucht man, die Bevölkerung zu sensibilisieren – bisher noch vergeblich. Die Hautevolee, die besonders dicke SUVs fährt, wohnt ohnehin im Norden an den Elburs-Hängen, wo Fallwinde den Smog vertreiben.
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NASIR-OL-MOLKMOSCHEE Masjed-e Surati, Rosa Moschee, nennt der Volksmund die Masjed-e Nasir-olMolk unweit der Lotf Ali Khan ZandHauptstraße. Der Name beruht auf der Verwendung rosatoniger Ziegel, rosafarbener Kacheln und insbesondere von rotem, gelbem und blauem Fensterglas. In Verbindung mit dem Widerschein der rotgrundigen Teppiche wird der gesamte Innenraum in rosa Licht getaucht; scheint die Sonne durch die Scheiben, glaubt man sich inmitten eines Kaleidoskopes. Die Moschee wurde vom KadschaernFürsten Mirza Hasan Ali Nasir al Molk 1876 in Auftrag gegeben und war 1888 fertiggestellt. Es waren die Jahre, in denen sich der Iran stark an Europa orientierte, europäische Kultur imitierte und europäische Produkte importierte. Und obgleich der iranische Architekt Mohammad Hasan-e-Memār die Moschee nach traditionellem Grundriss mit Kuppel und Iwanen baute, stattete er sie mit Kacheln aus, die nicht nur die traditionellen geometrischen, oft türkisgrundigen Muster, sondern in Anlehnung an europäische Dekore starkfarbige Blumenmotive und Landschaftsbilder zeigen, zudem mit sog. Orsi-Fenstern, unbemalten starkfarbigen Glasscheiben in Holzrahmen, die zu geometrischen Mustern geordnet sind.
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DASCHT-E LUT
Nähe Shahdad, Iran, 2017
Die Wüste Lut („karges Land“) im Iranischen Hochland zählt zu den heißesten Orten der Erde. Dort herrscht ein hyperarides Klima mit Höchsttemperaturen um 70 Grad °C, und so ist sie ein nahezu unberührter Naturraum. Durch Winderosion und Sedimentverwehungen haben sich im Norden beeindruckende Abtragungs-Felder mit wellenförmiger Felsstruktur gebildet, im Süden riesige Sanddünen. So wirkt das Fußballtor bei Shahdad am Südwestrand der Wüste wie eine skurrile Kunstinstallation im öffentlichen Raum und spiegelt doch die Fußball-Begeisterung der Iraner. Irans Fußballnationalmannschaft (Tīm-i Mellī) gehört zu den erfolgreichsten Teams Asiens und kann fünf Weltmeisterschafts-Teilnahmen verzeichnen; drei Mal qualifizierte sich der Iran für die Olympischen Spiele. Auch bei den iranischen Frauen ist Fußball populär – obgleich Frauenfußball meist in Hallen gespielt werden muss und die aktiven Teilnehmerinnen verpflichtet sind, das Hijab-Kopftuch, langärmelige Trikots und Jogginghosen zu tragen. Es herrschte sogar ein Verbot, Stadien zu betreten. Mit Mühe erstritten sich Irans Frauen 2019 beim WM-Qualifikationsspiel gegen Kambodscha erstmals den Zutritt ins Teheraner Asadi-Stadion. Auf vier separaten Tribunen mit weiblichen Ordnern, durch Zäume abgeschirmt, verfolgten ca. 4000 Iranerinnen das Spiel, fordern nun Familientribünen und
06 | STRASSENBOUTIQUE Qaemiyeh, Iran, 2017
08 | TOTSCHAL AUSBLICK
Nähe Teheran, Iran, 2019
Als 1970 nahe einer Quelle an einer schwer zugänglichen Felswand bei Qaemiyeh das Sarab-e Qandil-Relief entdeckt wurde, war die wissenschaftliche Forschung begeistert. Es zeigt nämlich nicht eine Schlacht, einen Königstriumph oder eine Jagd wie die meisten sasanidischen Felsreliefs, sondern ein seltenes Sujet, eine Frau, eine Königin oder Göttin, vor einem König und einem Prinzen, vielleicht Bahram II. (276-293) und seinem Sohn. Sie überreicht ihm eine Lotosblüte. Im heutigen Qaemiyeh haben die Menschen andere Probleme ‒ und lösen sie kreativ und souverän. Geschäftstüchtig bauen sie an Kreuzungen, an staubigen Straßen open air-Geschäfte auf, aus Getränkekisten, Stühlen, Kartons. Sie verkaufen alles, was sich verkaufen lässt, insbesondere an junge Käufer das, was amerikanische und deutsche Kultmarken der anspruchsvollen LaufKundschaft zu bieten haben, zum absoluten Dumpingpreis. Ein Schelm, wer diese Ware für Piratenkopien hält.
Im zentralen Elburs-Gebirge, unmittelbar nördlich von Teheran, erhebt sich der Totschal bis auf 3.964 m Höhe. Sein Gipfel und die Hänge sind fast ein halbes Jahr lang mit echtem Schnee bedeckt. Um Smog und Hitze zu entfliehen, wegen der zahlreichen (Winter)sportmöglichkeiten und wegen des grandiosen Ausblicks über die Stadt ist der Totschal bei Einwohnern ein beliebtes Wochenend-, für Touristen während der iranischen Arbeitswoche ein ideales Ausflugsziel. Die 1977 gebaute, 12 km lange Gondelbahn mit vier Stationen kann in 30 Minuten 15.000 Schneefreunde auf 3740 m Höhe bringen. Hier beginnen die Skipisten, für geübte Skiläufer nicht besonders schwierig, ideal für Langlauf. Es gibt einen Snowboardpark mit Halfpipes, man kann rodeln oder auf gespurten Loipen Schneeschuhwandern. Die tiefer gelegenen Stationen weisen ein Hotel, ein Restaurant, eine Sommerschlitten- und eine Achterbahn auf; im Sommer empfehlen sich Kletterpfade und Bergwanderwege. Gut angenommen werden die auf weiten Plätzen installierten Fitnessgeräten aller Art, für jedes Bedürfnis, für jede Altersstufe. Auf vielfältige Weise trainieren iranische Männer ihren Körper und versuchen, sich durch Kraftsport und Übungen in Form zu halten, und so wurde im Corona-Lockdown sogar kritisch hinterfragt, warum Moscheen offenbleiben, Fitnessstudios aber nicht.
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09 | HOF DER IMAM MOSCHEE Isfahan, Iran, 2019
Der Imam-Platz in Isfahan gilt als einer der schönsten Plätze weltweit. Er ist vom Ali Qapu-Torpalast, der Imam-Moschee und der kaiserlichen Shaikh LotfollahPrivatmoschee eingefasst, Prachtbauten, die der safawidische Shah Abbas I. im Zug des Erneuerungskonzeptes des Areals im frühen 17. Jahrhundert erbauen ließ. Die Fassaden des Torpalastes und der Moscheen, aber auch die Arkaden der den Platz umgebenden Iwane sind über und über mit herrlichen Fliesen verkleidet, die teppichartig mit Ornamenten und Blumenmustern in den Grundfarben Blau, Türkis und Ockergelb überzogen sind. Im Hof wird der staunende Besucher nicht selten insbesondere von jungen Iranern angesprochen und zum Gespräch eingeladen, beispielsweise in ein farbig mit der Umgebung harmonierendes Zelt. Vielfach sind es Studenten, die in gutem Englisch versuchen, das im Ausland auch durch die Medien verbreitete Bild vom Iran zu revidieren. Denn die im 19. Jahrhundert noch guten Beziehungen zum Westen und den Vereinigten Staaten sind mehr als gespannt durch Islamische Revolution, die Geiselnahme von Teheran 1980, den Golfkrieg, die Terroranschläge 9/11, die Urananreicherungsprojekte oder auch die Tötung des Generals Soleimani. Für den Gottesstaat ist die Ablehnung des Westens Teil der Identität, auch wenn die Bevölkerung im abgeschirmten, privaten Raum westlichen Lifestyle, Musik- und Modetrends lebt und durch Mangel beispielsweise an Medikamenten unter den Sanktionen und Bankrestriktionen leidet.
10 | KRIEGSDENKMAL Arvand Kenar, Iran, 2017
Schatt al-Arab, „Küste der Araber“, nennen die Iraker den Fluss, den die Iraner mit Arvandrud bezeichnen. Er entstand durch den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, sein südlicher Teil bildet die Grenze zwischen beiden Staaten. Zwischen 1823 und 1937 war die Nutzung des Flusses immer wieder vertraglich festgelegt worden - vorbehaltlich einer genauen Grenzziehung. Erst 1975 einigten sich der Iran und der Irak. Doch bald beanspruchte Saddam Hussein die volle Souveränität über den Schatt al-Arab, es kam zum ersten Golfkrieg. Er war auf beiden PAGEn durch extreme Brutalität gekennzeichnet und forderte ungezählte Tote - die Grenzen freilich blieben am Ende des Krieges unverändert. Ein besonderes Kuriosum der Kriegsführung war das Köpfen der in Ufernähe wachsenden Dattelpalmen, um dem Feind jede Möglichkeit der Deckung zu nehmen. Inzwischen sind auch sie Teil einer nationalen Gedenkstätte. Das Grenzland am Euphrat (der ursprünglich direkt in den Persischen Golf mündete) war bereits in der Antike immer wieder Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen. 116 n. Chr. hatte Kaiser Trajan den Tigris überschritten, Ktesiphon eingenommen und war bis zum Persischen Golf vorgedrungen. Nach einer Überlieferung bei Cassius Dio (Buch 68) äußerte er sogar den Wunsch, von der Golfküste aus bis Indien zu segeln - das zuvor nur Alexander der Große erreicht hatte - und ließ nur aus Altersgründen von diesem Unternehmen ab. Kein römischer Kaiser war je so weit nach Osten vorgedrungen! Doch der jüdische Aufstand zwang den Kaiser bereits ein Jahr später zur Aufgabe der Provinz; nie wieder erreichte das Imperium Romanum im Osten eine solche Ausdehnung.
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11 | ZIKKURAT
DUR-UNTASCH Tschogha Zanbil, Iran, 2017
Die Zikkurrat von Tschogha Zanbil in der heutigen iranischen Provinz Chusestan unweit des Flusses Dez ist wohl der eindrucksvollste Tempelturm des Alten Orients. 40 km südlich der alten Residenz Susa hatte der mittel-elamitische König Untash-Napirisha (1275-1240 v. Chr.) bei Regierungsantritt seine neue Hauptstadt Dur Untash errichten lassen. Im Zentrum lag ein ummauerter Tempelbezirk für Napirisha, den auf Erden herrschenden Gott der Wasserläufe und der Weisheit, und für Inshushinak, die göttliche Herrin von Susa. Die Zikkurrat mit einer Grundfläche von 105x105 m und ursprünglich ca. 50 m hoch, ist über einem Flachtempel erbaut. Vier Terrassen, aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet und mit blaugrün glasierten Ziegeln und knopfartigen Keramikplatten verkleidet, trugen den Hochtempel. Der Zugang erfolgte über Treppen im Inneren, nicht, wie üblich, über eine Außenrampe; Stier- und Greifenfiguren flankierten die Portale. 640 v. Chr. wurde Elam vom assyrischen König Ashurbanipal erobert, Dur Untash zerstört und verlassen. Tempeltürme wie die Zikkurrat von Tschogha Zanbil sind Hintergrund der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel. 1925 bei einer geologischen Überfliegung entdeckt und zunächst von einem französischen Archäologenteam unter Roman Ghirshman ausgegraben, ist Tschogha Zanbil heute als UNESCOWeltkulturerbe registriert.
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12 | GUNDESHAPUR Nähe Schahadad, Iran, 2017
Dürftige parallele Mauerzüge und einige Brunnenreste markieren in einem riesigen Areal voll kleiner Tells die spärlichen Ausgrabungen von Gundeshapur, das einst die berühmteste medizinische Schule des Nahen Osten beherbergte. Der Sassanidenkönig Shahpur I. (240/42–270) hatte die Stadt nach seiner Eroberung der römischen Metropole Antiochia am Orontes wohl im Jahr 253 als Winterresidenz gegründet. Als es ihm drei Jahre später gelang, bei Edessa (heute Sanliurfa in der Türkei) das römische Heer vernichtend zu schlagen und Kaiser Valerian gefangen zu nehmen, deportierte er einen Großteil der Militärs, wohl 70.000 Soldaten, aber auch ihre Offiziere, Tribune, Praefecten, Architekten und das technische Versorgungspersonal, in die südwestliche Persis, u. a. nach Gundeshapur. Die im Bauhandwerk geübten gemeinen Soldaten bauten dort Straßen und Häuser in der gewohnten Weise, die erfahrenen Ingenieure wurden mit Planung und Errichtung anspruchsvoller Bauwerke wie Brücken und Staudämme betraut. Großkönig Chosrau I. (gest. 579) baute Gundeshapur zu einem Zentrum der Medizin und Wissenschaften aus, mit Lehrkrankenhaus, Bibliothek und Akademie; die jungen Mediziner wurden ganzheitlich, auch in Philosophie und Theologie, ausgebildet. Gelehrte übersetzten persisches, griechisches und indisches Wissen, Werke über Astronomie, Mathematik und Kräutermedizin und nicht zuletzt das Fabelbuch Kalila wa Dimna.
13 | STRASSENGALERIE Yazd, Iran, 2017
14 | BEI DEN TÜRMEN DES SCHWEIGENS Nähe Yazd, Iran, 2017
Die Oasenstadt Yazd, am Rande der Wüsten Dascht-e Kavir und Dascht-e Lut im Schatten des Zagrosgebirges gelegen, ist eine der ältesten Städte des Iran. Sie war ein Zentrum der vom Propheten Zarathustra verbreiteten zoroastrischen Religion, wovon noch Feuertempel und „Türme des Schweigens“ in Stadt und Umgebung zeugen. Oasen wie Yazd waren zu allen Zeiten unerlässlich als Stützpunkte für die Karawanen, die Luxusgüter aus dem fernen Osten in den Mittelmeerraum brachten - im Austausch u. a. gegen Rohstoffe, Halbfabrikate oder Glas. Durch die Züge Alexanders des Großen war das geographische Wissen erheblich erweitert, waren Handelsrouten ausgebaut worden. Die Römer nutzten die Wege und Kontakte und importierten, vielfach über mehrere Mittelsmänner, Seide aus China, Lapislazuli aus dem nördlichen Afghanistan, Gewürze aus Indien und vieles mehr. So klagte der römische Offizier und Schriftsteller Plinius bereits in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.: „Nach den niedrigsten Schätzungen entziehen Indien, die Serer (Chinesen) und die Halbinsel Arabien unserem Staate alle Jahre 100 Millionen Sesterzen: soviel kosten uns Luxus und Frauen“, (nat. hist.). Heute wird das Stadtbild von Yazd durch traditionelle Lehm- und Rohziegelbauten und türkisfarbene Glasurziegel an Kuppeln und Minaretten bestimmt. Seit 2017 gehört die Altstadt zum Weltkulturerbe der UNESCO. Pfiffige Händler nutzen Weltaufmerksamkeit und den neuen Tourismus auf ihre Weise: Sie verkaufen Teppiche nicht nur mit Koranversen oder Blumen, sondern auch mit Rokoko-Szenen oder Wagenrennen im römischen Zirkus - obgleich kaum ein Römer Yazd jemals erreicht haben wird.
„Schöpfer, wohin sollen wir den Körper der toten Menschen tragen, wo niederlegen?“ - „Auf die höchsten Stellen, Spitama Zarathustra, dass ihn am ehesten die aasfressenden Hunde und Vögel gewahren. Dort sollen die Mazda-Anbeter den Toten befestigen an seinen Füßen und seinen Haaren mittels Eisen oder Stein oder Rohr, auf dass nicht die aasfressenden Hunde oder Vögel von seinen Knochen welche zu Gewässern oder Pflanzen verschleppen.“ Diese Sätze aus dem Avesta, dem heiligen Buch der Zoroastrier, sind der Hintergrund für die Dachma, die Türme des Schweigens. Da den Parsen die Elemente heilig waren, verboten sich Bestattungen durch Feuer oder in der Erde, um diese nicht mit dem unreinen Körper des Verstorbenen zu beflecken. Man wählte die Himmelsbestattung, zunächst in Ummauerungen, später auf Türmen an wasser- und pflanzenloser erhöhter Stelle, wo insbesondere Geier die Weichteile des Leichnams fraßen; die Knochen wurden anschließend in Gruben beigesetzt. Die Dachma bei der Wüstenmetropole Yazd lag einst weitab vor der Stadt. Das kreisrunde, nach oben offene Bauwerk ist im Innern in drei Ringe gegliedert. Im äußeren Ring wurden die Leichname verstorbener Männer, im mittleren die der Frauen, im engsten die von Kindern niedergelegt; die blanken Knochen warf man schließlich in eine Grube im Zentrum. Aus hygienischen Gründen – da Anwohner der enorm gewachsenen Stadt sich über gelegentlich von Geiern fallen gelassene menschliche Glieder beschwerten – wurde diese Art der Bestattung in den 1970er Jahren untersagt. Die Zoroastrier von Yazd bestatten ihre Toten heute in Zementkästen am Fuß des Berges.
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15 | NaqsCH-E Rostam
16 | BAND-E KAIsar
17 | ROTES DORf
Vier Kilometer nördlich der altpersischen Residenz Persepolis liegt Naqsch-e Rostam. Hier ließ Großkönig Dareios I. (549–486 v. Chr.) in eine steile Felswand sein Felsgrab meißeln, bestehend aus drei verbundenen Kammern und einer kreuzförmig angelegten reliefgeschmückten Fassade. Der Eingang in der Mitte wird von vier Säulen flankiert. Inschriften berichten auf Altpersich, Elamitisch und Babylonisch über die Regierungszeit des Großkönigs und gelten als sein Testament. Das Relief über dem Eingang zeigt Dareios, der von Ahura Mazda den Ring der Herrschaft erhält; der König steht auf einem Podest, das Vertreter von 28 Völkern des Reiches tragen. Die Nachfolger, Xerxes I., Artaxerxes I. und Dareios II., kopierten Dareios’ Königsgrab. Vielleicht zur Legitimation seiner Herrschaft ließ sich auch der erste Sassanidenkönig Ardaschir I. an derselben Wand ebenfalls beim Empfangen des Rings der Herrschaft abbilden, doch reitend und auf Augenhöhe mit dem Gott. Das wohl bekannteste Relief der Anlage allerdings zeigt Schahpur I. triumphierend über den römischen Kaisern Philippis Arabs und Valerian, verbunden mit der stolzen Inschrift: „Im dritten Feldzug, als Wir gegen Karrhai und Edessa vorstießen und Karrhai und Edessa belagerten, da marschierte Kaiser Valerian gegen uns, und es war mit ihm eine Heeresmacht von 70.000 Mann. Und auf der jenseitigen PAGE von Karrhai und Edessa hat mit Kaiser Valerian eine große Schlacht für Uns stattgefunden, und Wir nahmen Kaiser Valerian mit eigenen Händen gefangen und die übrigen […] alle diese ergriffen Wir mit den Händen und deportierten sie in die Persis“.
Opus caementitium, der wasserfeste römische Beton, ist der Grund für die ungeheure Stabilität des Band-e Kaisar, eines Brückenwehrs über den Karun, des wasserreichsten und einzig schiffbaren Flusses im Iran. Das ca. 500 m lange, sich schlängelnde Bauwerk ist eine Kombination von Stauwehr und Bogenbrücke. Persischer Überlieferung nach wurde es von den römischen Kriegsgefangenen errichtet, die Schahpur I. nach Schuschtar abkommandiert hatte. Zweck war, das Hinterland effektiv und anhaltend bewässern zu können, um große Anbauflächen zu schaffen: Die Erfahrung römischer Ingenieure wurde im Feindesland für zivile Infrastruktur, beispielsweise Brückenbau, eingesetzt. Für den Band-e Kasar leiteten sie zunächst den Karun um, anschließend wurde das fast 10 m starke Wehr errichtet. Es ist das Auflager für die mehr als 500 m lange Brücke auf ca. 40 Bogenarkaden in der Straße, die Pasargade im Zagrosgebirge mit Ktesiphon am Ufer des Tigris verband. Fundament und Pfeiler der Brücke sind mit Sandsteinblöcken verkleidet, die Pfeiler flussaufwärts als Wellenbrecher gestaltet, das Flussbett ist zudem mit großen Steinplatten ausgelegt. Kein Wunder, dass das Brückenwehr bis ins späte 19. Jahrhundert nahezu unversehrt blieb. Seit 2009 gehört Band-e Kaisar zum UNESCOWeltkulturerbe.
An der östlichen Gebirgsflanke des Kulz-e Karkas liegt auf ca. 2500 m Höhe Abyaneh, das „rote Dorf“. Seinen Beinamen trägt es nach der Farbe der Häuser, die sich kaum von den umgebenden Hügeln abheben; ein hoher Anteil Eisenoxyd im Lehm bewirkt diesen Farbton. Die Wohnhäuser liegen an steilen Gassen, überwiegend nach Osten ausgerichtet, und sind so gestaffelt, dass das Dach des unteren den Hof des jeweils darüber liegenden bildet. Sie sind in alter Tradition sehr einheitlich in Fachwerktechnik aus Holz und Lehmziegeln mit Strohbeimengung gebaut, viele besitzen Erker und hölzerne Fenstergitter. Die Türen mit ihren unterschiedlich geformten Klopfern für Männer und Frauen sind vielfach mit Schnitzwerk - Koranversen oder Gedichten - verziert. Die Bewohner sprechen ein altertümliches parthisches Pahlavi (Mittelpersisch). Auch in der Tracht bewahren sie Traditionen: Die Frauen tragen Charghads, weiße, mit roten Rosen bedruckte oder bestickte Schultertücher, über bunten Kleidern und schwarzen Unterkleidern, die knapp bis unters Knie reichen, dazu enganliegende Hosen, zunehmend weniger Männer noch die ursprünglich übliche schwarze Weste zu sehr weiten Hosen. Doch das ist nicht alles, was Abyaneh zu bieten hat. Zeugnisse seiner langen Geschichte sind u.a. die Reste eines zoroastrischen Feuertempels, drei Forts der Sassanidenzeit, die seldschukische Freitagsmoschee, weitere Moscheen aus der Zeit der Ilchane, Häuser der Kadscharenzeit. Es ist zu hoffen, dass notwendige Reparaturarbeiten so sorgsam ausgeführt werden, dass der besondere Charakter des Dorfes noch lange erhalten bleibt.
Nähe Marvdasht, Iran, 2017
Schuschtar, Iran, 2017
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Abyaneh, Iran, 2017
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18 | KasHGAN
19 | FLUSSSEITIGER
Nähe Kuhdasht, Iran, 2017
Dezful, Iran, 2017
BRÜCKe
Mit elf Spitzbögen überspannte die alte Brücke bei Kuhdasht den Kashgan – heute sind noch vier erhalten. Spitzbögen erlauben große Spannweiten, allerdings ist der PAGEnschub, der vom jeweils nächsten Bogen aufgefangen werden muss, erheblich. Daher war es eine gute Entscheidung des Ingenieurs, das eine Ende der nahezu 190 m langen Brücke dicht an eine hohe Felsterrasse zu setzen. Das hatte zudem den Vorteil, dass die Brücke von dort begangen und befahren werden konnte, ohne dass eine Steigung zu überwinden war, während auf dem anderen Ufer neun Pfeiler gestaffelter Höhe notwendig waren, um die Brückenhöhe zu erreichen. Die Pfeiler der Brücke sind aus gebrannten Ziegeln in drei Schichten errichtet. Der Bauinschrift in kufischen Zierlettern ist zu entnehmen, dass mit dem Bau der Brücke auf Befehl von Badr Ebne Hosnooyieh Al Hossain im Jahr 388 Anno Hegirae (999 n. Chr.) begonnen wurde; bis zur Fertigstellung vergingen neun Jahre. Etwa hundert Meter entfernt querte bereits zur Zeit der Sassaniden eine Brücke den Kashgan. In unmittelbarer Nähe ist nun eine moderne Brücke mit acht Rundbögen erbaut worden, die auch dem heutigen Schwerlastverkehr standhält. Allerdings füllt der Fluss, der das Wasser aus dem Zagrosgebirge in die ariden Ebenen Westpersiens führt, das Bett nur selten völlig aus.
20 | DeZFUL BRÜCKe
LADEN
Dezful, Iran, 2017
Einheimische und Touristen – beide mag der Verleih der shisha, der traditionellen orientalischen Wasserpfeife, am Ufer des Dez ansprechen. Als Räumlichkeit nutzt der Laden den Sockel einer Wassermühle des 3. Jahrhunderts v. Chr.; nicht immer ist er trockenen Fußes zu erreichen. Von den ursprünglich fast 60 Mühlen, die den Getreidereichtum der bewässerten Gegend um Dez bezeugen, sind heute allerdings kaum noch 20 Ruinen erhalten. Der Dez zählt zu den größten Nebenflüssen des Karun. Bereits in vorgeschichtlicher Zeit wurde er zur Bewässerung des Umlandes genutzt. Zur Zeit der Sassaniden legte man zu beiden PAGEn des Flusses ein dichtes Netz aus Bewässerungskanälen an, die freilich nach Eroberung des geschwächten Reiches durch die Araber verfielen oder während der Mongoleneinfälle zerstört wurden. In den 1960er Jahren, noch zur Regierungszeit von Mohammad Reza Pahlavi, initiierte die iranische Regierung am Dez ein Bewässerungsprogramm, als dessen Krönung der Dez-Staudamm vorgesehen war. Der massive Eingriff in Besitzverhältnisse und Traditionen führte zu mancherlei Konflikten.
Wie der Staudamm in Shushtar wurde die Brücke von Dezful von römischen Ingenieuren geplant und von Soldaten erbaut, die der Sassanidenkönig Schahpur I. nach seinem Sieg über das Heer Kaiser Valerians I. 260 n. Chr. in Gefangenschaft geführt hatte. Vermutlich ruhen die Pfeiler auf älteren, elamitischen Fundamenten. Vierzehn große Spitzbögen wechseln mit dreizehn kleinen, die nicht bis zur Wasseroberfläche reichen. Dank der opus caementiciumTechnik, mit Bruchsteinen vermischtem wasserfestem Mörtel in einer Schale aus handlichen Hausteinen, erlangte man ein Maximum an Stabilität. Nach vielfältigen Reparaturen, u.a. mit gebrannten Ziegelsteinen, fällt es heute schwer, die einzelnen Erneuerungsphasen konkret zu bestimmen – abgesehen von den modernen Ergänzungen aus Stahlbeton. Da der Teil der Altstadt von Dezful, der an die Brücke grenzt, Ghal’eh – Schloss – genannt wird, steht zu vermuten, dass hier eine Festung die strategisch bedeutsame Brücke sicherte. Zum Schutz der historischen Brücke besteht seit 2010 ein Nutzungsverbot für Kraftfahrzeuge.
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22 | OPERATION
25 | BÜRO (EHEMALIGE
26 | TEHERAN UND
Arvand Kenar, Iran, 2017
Tehran, Iran, 2017
Teheran, Iran, 2017
VALFAJR-8 #2
Wehende Fahnen, ein gigantisches Transparent mit Widerstandsparolen unter den Porträts der Religionsführer Khomeini und Khamenei, die Reste einer Pontonbrücke: Auf dem linken Ufer des Arvandrud demonstriert der Iran seine Präsenz. Auch in Form einer Gedenkstätte für seine gefallenen Märtyrer, es ist einer der brisantesten Schauplätze der Zeitgeschichte. Im ersten Golfkrieg war der Irak, die fünft-größte Ölnation der Erde, 26 Monate lang weitgehend vom Meer abgeschnitten. Auslöser dafür war die Operation „Valfajr-8“ „Morgenröte 8“, diese gilt als eine der größten Errungenschaften des Iran in dieser Auseinandersetzung. Der Name wurde gewählt, weil der Einsatz lang vor Sonnenaufgang begann. Dabei schafften es die Iraner, unter Einsatz einer Armada von Froschmännern und nachfolgenden Booten, das gegenüberliegende al-Faw innerhalb von 24 Stunden einzunehmen, auch weil sie den Gegner durch einen Ablenkungsangriff auf das nördlicher gelegene Basra in die Irre geführt hatten. In den folgenden Monaten entstand eine Pontonbrücke aus 5000 Rohren, über die Panzer den Fluß überqueren konnten. Erst mehr als zwei Jahre später gelang es der hochgerüsteten irakischen Armee, unter zwischenzeitlich massivem und illegalem Einsatz von Giftgas, die Halbinsel al-Faw zurückzuerobern. Nun wird ein Großteil des wertvollen Exportgutes Öl vom Irak wieder von dort aus verschifft, denn Basra, 80 Kilometer flussaufwärts gelegen, lässt sich nicht von Hochseeschiffen anfahren und die Nutzung von Umm Qasi westlich des Flusses ist durch vorgelagerte Inseln Kuwaits eingeschränkt.
US-BOTSCHAFT)
Als Protest gegen die Aufnahme des gestürzten krebskranken Schah Mohammed Reza Pahlavi durch die USA unter Jimmy Carter demonstrierten im Herbst 1979 wochenlang Studenten „von der Linie des Imam“ vor der Teheraner US-Botschaft und verlangten seine Auslieferung. Am 4. November stürmten sie die Botschaft und nahmen Diplomaten und Mitarbeiter in Geiselhaft. Die USA lehnten die Auslieferung ab, ein Befreiungsversuch im April 1980 schlug fehl; erst nach dem Tod des Schah, dem Amtsantritt von Ronald Reagan und der Rücknahme von Sanktionen zu Beginn des Golfkrieges, nach 444 Tagen, kamen die (verbliebenen) 52 Geiseln frei. Bis heute laufen diplomatische Beziehungen zum „Todfeind“ ausschließlich über Drittländer. Das US-Botschaftsgebäude ist inzwischen Museum, bewahrt quasi „eingefroren“ den Zustand von 1979/1981. Es ist nur an wenigen Tagen im Jahr zu besichtigen. „Ehemalige US-Botschaft“ heißt die Bushaltestelle vor dem Gebäude, dessen Umfassungsmauer in den iranischen Farben bemalt ist. Im 1. Stock können Besucher den ehemals abhörsicheren Kommunikationsraum mit den damaligen Installationen und Gerätschaften besuchen – sie wirken wie aus der Zeit gefallen. Trostloser als die leeren Büroräume mit den antiquierten Fotokopierern, altväterlichen Schreibmaschinen und angestaubten Karteikartenkästen kann kaum etwas sein.
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ELBURS-GEBIRGE
Als Agha Mohammed Khan die Macht im Iran übernommen hatte, bestimmte er 1789 aus strategischen Erwägungen die safawidische Provinzstadt Teheran im Norden des Reiches zu seiner Hauptstadt. Der an den Hängen des Elburs-Gebirges gelegene Ort entwickelte sich unter den Kadscharenherrschern rasant: Die Befestigungsmauer wurde erneuert, Moscheen, Medresseen und Paläste errichtet, so Golestan, Saadabad und Niavaran, das Stadtgebiet auf des Fünffache erweitert. In den 1930er Jahren formte Reza Shah Pahlevi durch Abreißen zahlreicher historischer Bauwerke Tehran zu einer modernen Metropole mit geometrischem Straßennetz und zentraler, kilometerlanger Stadtautobahn um, unter Schah Mohammad Reza erhielt die Stadt in den 1960er und 1970er Jahren zahllose Hochhäuser und eine leistungsfähige Infrastruktur. Auch das Regime der Islamischen Republik punktet durch Errichtung ungewöhnlicher Bauwerke. Die Metropolregion erstreckt sich nun über fast 19.000 Quadratkilometer. Mit Stolz wirbt die Stadt heute mit ihren historischen wie den hypermodernen Monumenten: den alten kaiserlichen Palästen und prunkvollen Gartenanlagen, dem historisierenden Stadttheater des Architekten Ali Sardar Afcham, der TabiatFußgängerbrücke, dem zur Erinnerung an das 2500-jährige Jubiläum der iranischen Monarchie geplanten, inzwischen zum Freiheitsturm erklärten Azadi-Monument, nicht zuletzt mit dem Bordsch-e Milad, dem 435 Meter hohen Fernsehturm. Er ist der Blickfang Teherans und bietet Ausblick über die gesamte Stadt.
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29 | MÄRTYRER
SEKTION, BEHESCHT-E ZAHRA FRIEDHOF Teheran, Iran, 2019
Behescht-e Zahra, der Zentralfriedhof Teherans, ist der größte Friedhof des Iran und mit 424 Hektar Fläche nach dem Wadi as-Salam im Irak die größte Begräbnisstätte weltweit. Er ist so ausgedehnt, dass die Hinterbliebenen mit dem Bus fahren müssen, wenn sie die Gräber ihrer Angehörigen besuchen wollen. Schah Mohammad Reza Pahlavi hatte ihn 1971 südlich der Stadt anlegen lassen; damals galt er als Friedhof der Armen und der im Gefängnis verstorbenen politischen Häftlinge. Als aber Ayatollah Chomeini nach Rückkehr aus dem Pariser Exil dort seine erste Rede hielt und die Bestatteten als Stolz und Ehre des Landes und Märtyrer bezeichnete, wurde der Friedhof ungeheuer aufgewertet und erhielt den Beinamen „Ewige Ruhestätte der Märtyrer“. Das Glück, als Märtyrer zu sterben, hatten im Iran-Irak-Krieg Tausende junger Männer – zumindest wurden sie dahingehend belehrt, bevor man sie an die Front schickte. Für diese Gefallenen ist auf dem Behescht-e Zahra eine eigene Abteilung eingerichtet. Man sieht unendlich lange Reihen von Grabmalen mit Koranversen und den Fotos junger Männer oder auch Halbwüchsiger, die mit dem Versprechen auf ein Leben im Paradies beispielsweise als Minenauslöser in die vorderste Front kommandiert worden waren. Ganz vorne liegen führende Persönlichkeiten der ersten Stunde der Revolution und Mitglieder des Revolutionsrates. Die Verstorbenen der Nationalen Front fanden ihre letzte Ruhestätte in einer eigenen Abteilung, die Gräber der als Feinde des Islam Hingerichteten sind lediglich mit Nummern gekennzeichnet. Und mitten im Areal erinnert ein verlassener Panzer an die schrecklichen Kriegsjahre …
30 | TacHT-E SULeiman Tazeh Kand-e-Nosrat Abad, Iran, 2017
31 | GroSSE MAUER VON GORGAN MArkierung Nähe Aq Qala, Iran, 2017
Der „Thron des Salomon“ in Aserbaidschan ist einer der geologisch spannendsten, landschaftlich schönsten und historisch interessantesten Orte des Iran. Als Rest ehemaliger vulkanischer Tätigkeit steigt dort in 2200 m Höhe aus einer Quelle calciumbicarbonathaltiges Wasser mit einer konstanten Temperatur von ca. 21 Grad auf und bildet einen großen und sehr tiefen Quellsee. Am Rand des Sees versinterte der im Wasser enthaltene Kalk, so entstand ein Hügel, der sich durch überfließendes Wasser verbreiterte; überschüssiges Wasser wurde später in Rinnen abgeleitet. Um den Quellsee hatten die Sasaniden im 5. Jahrhundert aus Lehmziegeln eine große Tempelanlage mit Umfassungsmauer gebaut. Sie ersetzten sie im 6. Jahrhundert durch eine Steinmauer mit großem Tor und verlegten das zentrale zoroastrische Feuerheiligtum Atur Guschnasp (Feuer des Hengstes) an den See, es blieb hier bis ins 10. Jahrhundert in Funktion. Es bestand aus einem Umgangstempel mit quadratischem Kuppelsaal für das heilige Feuer, ein zweiter Tempel besaß zudem eine dreischiffige Halle und weitere Säle. Auch der Palast der Großkönige ließ sich nachweisen. Eine zweite Blüte erlebte der Kegel unter dem mongolischen Ilchan Abaka (1265-82), Enkel des Dschingis Khan, der seinen in den Ruinen erbauten Jagdpalast Soqurluq über und über mit stern- und kreuzförmigen Kacheln, mit Schrift- und Bildfriesen und Stuckdekor ausstatten ließ. Erst ein Jahrhundert später verband man die auffälligen Landschaftsmerkmale mit dem Namen Salomons: der nahegelegene Sinterkegel mit Siedlung und Heiligtum wurde Zendan-e Soleiman (Gefängnis Salomons) genannt, der benachbarte Berggipfel Kuh-e Bilqius (nach der Königin von Saba), das Bergmassiv im Südwesten Tavile-ye Soleiman.
195 km windet sich die „Rote Schlange“ vom Kaspischen Meer durch die Tiefebene, bis sie sich in den Pishkamar-Bergen verliert. Doch obgleich die Große Mauer von Gorgan fast doppelt so lang ist wie der Hadrianswall in Nordengland und viel älter als die Lange Mauer der Ming-Dynastie nördlich von Peking, ist sie kaum bekannt. Das liegt an ihrem traurigen Zustand. Die 6 bis 10 Meter breite Mauer war mit gebrannten Ziegeln aus eisenoxydhaltigem Ton erbaut, die jahrhundertelang von den Bewohnern des Umlandes als billiges Baumaterial geraubt wurden. Dank vereinter Bemühungen eines iranisch-britischen Archäologenteams und moderner Methoden gelang es, wesentliche Forschungsdesiderate zu klären: Die Mauer wurde von einem fünf Meter tiefen Kanal begleitet, der nicht nur ein weiteres Annäherungshindernis war, sondern auch Wasser für die Bautrupps, die Ziegelbereitung und die militärische Besatzung herbeiführte; gespeist wurde er u.a. über einen Damm vom Fluß Gorgan. Mehr als 30 Kastelle entlang der Mauer boten in langen Baracken ca. 30.000 Soldaten Unterkunft; nach den zahlreichen Tierknochenfunden waren sie nicht nur temporär hier stationiert. Vor allem aber wurden viele Brennöfen für die Ziegelherstellung entdeckt. Die Radiocarbon-Analyse der Holzkohle und die Thermolumineszenz-Untersuchungen der Öfen ergab, dass die Mauer wohl im 5. oder 6. Jahrhundert erbaut wurde, vielleicht auf Anordnung von König Peroz (459-484 n. Chr.) als Schutzwall gegen Hunnen oder Hephthaliten; der byzantinische Geschichtsschreiber Prokop berichtet jedenfalls, Peroz habe sich mehrfach in Gorgan aufgehalten. Es zeigte sich auch, dass die Mauer noch ein ganzes Stück ins Kaspische Meer hineinreichte, dessen Spiegel damals tiefer lag.
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32 | BAHNÜBERGang Nähe Aq Qala, Iran, 2017
Schienenverkehr gilt als umweltfreundliches und kostengünstiges Massen- und Güter-Transportmittel. Im Iran hatte und hat der Schienenausbau freilich gegen topographische, technische, finanzielle und politische Hindernisse zu kämpfen. Die Transiranische Strecke zwischen Kaspischem Meer und Persischen Golf musste das Zagrosgebirge überwinden, was zahllose aufwändige Ingenieurbauten wie Tunnel und Brücken erforderte. Der Umbau der in den beiden Weltkriegen unter Federführung Russlands bzw. der Sowjetunion erbauten Breitspurbahn in den westlichen und nördlichen Grenzregionen zu den Normen des europäischen Regelspurnetzes erforderte erhebliche Anstrengungen. Und das preisgünstig zu Verfügung stehende Erdöl bietet heute keinen Anreiz, die Bahn zu elektrifizieren. Mindestens so gravierend sind die politischen Schwierigkeiten. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts scheiterten iranische Bahnprojekte an Interessenkonflikten und wechselseitigen Blockaden der Großmächte. In neuerer Zeit verlangsamte sich der Schienenausbau aufgrund der Islamischen Revolution und des Golfkrieges. Andere Projekte leiden an Differenzen zwischen Armenien und Aserbaidschan bzw. der politischen Lage im Irak. Nicht unerheblich tragen heute Sanktionen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Unterbrechungen und Verzögerungen bei. Und schließlich ziehen sich Unternehmen wie die Deutsche Bahn aus dem Iran zurück – da sich internationale Banken weigern, Geldgeschäfte mit dem Iran auf direktem Wege abzuwickeln. Kein Wunder, dass mal eine Autobrücke über Bahnschienen unvollendet bleibt. Das größte Problem ist allerdings die mangelnde Akzeptanz des Schienenverkehrs zugunsten der Straße, sowohl im Güter- wie insbesondere im Individualverkehr.
33 | SIEDLUNGSKOMPLEX UND BERG DER GÖTTER Bisotun, Iran, 2017
Bilinguen sind das Glück der Sprachforscher – übertroffen nur von Trilinguen, Schriftdokumenten, die Versionen desselben Textes in drei Sprachen enthalten. Sie sind entscheidend für die Erforschung unbekannter Sprachen. Eine solche Trilingue von 1200 Zeilen in Altpersisch, Elamitisch und Neubabylonisch ist im Westen des Iran, 30 Kilometer östlich von Kermanshah, beim Dorf Bisotun in einen steilen Felsrücken eingemeißelt, den „Berg der Götter“. König Dareios I. ließ sie dort anbringen, um an einer Haupthandelsroute seinen Thronanspruch zu bekunden, den er nach der Überwindung des Usurpators Gaumata in 19 Schlachten erkämpft hatte. Ein gut drei mal fünf Meter großes Relief zeigt ihn mit dem Bogen in der Hand, einen Fuß auf dem Bauch seines Gegners, während ihm die „Lügenkönige“ gefesselt zugeführt werden. Über der Szene schwebt die geflügelte Sonnenscheibe des Ahura Mazda. Etwas oberhalb wurde 148 v. Chr., in seleukidischer Zeit, die fast vollplastische Statue eines gelagerten Herakles mit Becher in den Felsen gehauen. Dahinter befinden sich Reliefs parthischer Zeit: Vier Satrapen vor König Mithridates II.; König Gotarzes II. zu Pferd, einen Feind – den Gegenkönig Mehredates? – mit dem Speer durchbohrend. Beim Einmeißeln der Inschrift hatten die Steinmetzen des Darius Wasserrinnen im Felsen ausgespart. Diese haben sich inzwischen vertieft; mit einem internationalen und interdisziplinären Programm werden Schutz und Erhalt von Felsreliefs und Inschrift versucht. Gegen moderne Wohnsiedlungen allerdings kämpfen auch Götter vergebens.
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34 | ARG-E RAyen Rayen, Iran, 2017
Vor 150 Jahren von seinen Bewohnern verlassen, hat Kastell Rayen heute den Charakter eines Museums – es wirkt wie Arg-e Bam im Kleinformat. Wie dieses liegt es in der Provinz Kerman, an den Hängen des bis 4500 m aufsteigenden Kuh-e Hazar, des zweithöchsten iranischen Berges. Dank einiger Bäche, die als Wasserfälle von den Felsen stürzen, können hier am Rand der Wüste sogar Obstgärten bewässert werden. Die von einer Umfassungsmauer geschützte Stadt mit ihrer Zitadelle ist vollständig aus Lehmziegeln erbaut. Letztere enthielt die Räume der Königsfamilie, die zu betreten Rangniedrigen streng verboten war. Zugänglich war sie durch ein einziges Tor; von der darüber liegenden Plattform aus wurden Militärparaden für die 1300 Soldaten Rayens abgenommen. Im Stadtgebiet sind außer Wohnhäusern auch eine Moschee, eine Schule, eine Kaserne und wohl eine Seuchenstation nachgewiesen. Nicht nur durch Handel, auch durch Herstellung qualitätvoller Metallarbeiten wie Schwerter und Messer kamen die Bewohner Rayens zu Reichtum. Nach allen PAGEn hin gut zu sichern, galt Kastell Rayen als uneinnehmbar – bis das Erdbeben es
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35 | IM VAKIL-BAsar Schiras, Iran, 2019
Mit 21840 m2 Fläche ist der Vakil-Bazar in Schiraz wahrhaftig ausgedehnt. Es wird vermutet, dass im 10. Jahrhundert im Auftrag der Buyiden mit seinem Bau begonnen wurde; die sichtbare Architektur spricht eher für einen Bau oder eine umfassende Erneuerung in der Regierungszeit von Karim Khan Zand (1760–1779). Man steigt sechs Stufen hinunter: Der Bazar ist in den Boden eingetieft, wodurch er im Sommer kühl, im Winter warm bleibt. 74 Ziegelbögen stützen hohe Windkuppeln, von denen einige mit Fenstern versehen sind, so dass für Belüftung gesorgt ist. Eine überwölbte Kreuzung trennt den Hauptbasar von seinem Ost- und Westflügel. Angeboten wird alles, was das Herz begehrt – und mehr. Teppiche, Stoffe, Lederwaren, Kupfergerät, Silber, Schmuck, Antiquitäten. Hier riecht es nach Safran und den Gewürzen von Tausend-undeiner-Nacht, dort locken persische Schirini, Baklava und Nohodchi, da kann man Tee oder Kaffee trinken. Integriert ist ein traditionelles Bad; Imamzadehs und die Vakil- Moschee befinden sich gleich nebenan. Die Moderne hat freilich auch im VakilBazar Einzug gehalten mit geschmacklosen Einbauten, und einige Gewölbe wurden bei der Verlängerung der Zand Avenue zerstört.
36 | Am GAHVAREH DID Schiras, Iran, 2019
37 | Beim TACHARA-
PALAST, PERSEPOLIS Nähe Marvdasht, Iran, 2017
Schiraz, auf einer weiten Ebene am südlichen Zagros-Gebirge in ca. 1550 m Höhe gelegen, nennt man den „Garten des Iran”. Die Stadt ist für ihre Rosenzüchtungen berühmt, für ihre wunderschönen Gartenanlagen wie den Bagh-e-Eram, den Bagh-e AfifAbad und den Bagh-e Narandschestan (Orangengarten), ihren Wein - und für ihre Dichter. Dort lebte und schrieb Hafis seine Ghasele über unerwiderte Liebe und Sehnsucht, Saadi den Bustan (Duftgarten) und den Golestan (Rosengarten). Nach Ausweis von Tontafeln ist die Stadt elamitischen Ursprungs; Feuertempel in der Ebene lassen auf sasanidische Besiedlung schließen. Die Saffariden machten Schiras zu ihrer Hauptstadt, als Zentrum der Provinz gewann es rasch an Bedeutung und war im 10. und 11. Jahrhundert Residenz der Buyiden, die es mit einer festen Mauer umgeben, Paläste, Moscheen und eine große Bibliothek errichten ließen und die Textilherstellung förderten. Auch die Salghuriden residierten in Schiraz. Seuchen und Überfälle der Mongolen beeinträchtigten die Stadt, die turkmenischen Eroberer schonten sie allerdings als Wirkungsort des Hafis. Den Niedergang bewirkten eine Überschwemmung und Einfälle der Afghanen. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts gelangte die Stadt zu neuer Blüte, wovon die Zitadelle und die Vakil-Moschee des kurdischen Stammesführers, später Königs Karim Khan Zand zeugen. Im 19. Jahrhundert litt Shiraz mehrfach unter Erdbeben. Den besten Blick über die heutige Millionenstadt hat man vom Gahvareh Did aus, einem schlichten Vier-SäulenKuppelbau. Unter Adud-ad Dawla (982983) gebaut, war er ein Wachhaus und ermöglichte die Kontrolle der gesamten Stadt. Von hier aus konnten mittels Rauchsignale, reflektierender Spiegel, Signalhörnern, oder, nachts, Feuersignalen, in unglaublichem Tempo Nachrichten verbreitet und Notfälle gemeldet werden.
„Stadt der Perser“ nannten die Griechen die neue Residenz, die Großkönig Dareios I. um 520 v. Chr. am Fuß des Kuh-e Mehr hatte anlegen lassen. Auf einer 15 ha großen künstlichen Terrasse, so hoch, dass sie nur im Osten von einer Mauer geschützt werden musste, wurden unter ihm und seinen Nachfolgern mehr als 14 Bauwerke errichtet. Der Zugang erfolgte über eine Doppeltreppe von hundertelf niedrigen Stufen, die zum „Tor der Länder“ führte, einem Eingangsgebäude mit drei Portiken; zwei davon durch Stier- bzw. Sphingenskulpturen geschützt und geschmückt. Von hier aus gelangten die zu Audienzen Zugelassenen entweder zum erhöht gelegenen Apadana oder über eine Prozessionsstraße in den Hundert-Säulen Saal. Im Apadanapalast stand der Thron des Herrschers. Die beiden äußeren Aufgänge waren mit sprechenden Reliefs verziert: In einer lange Prozession werden Repräsentanten von 28 Ländern vor den Großkönig geleitet und bringen ihm zum Neujahrsfest typische Gaben ihrer Länder. Großkönig Xerxes I. ließ hier umbauen, u.a. ein Relief ersetzen, das ihn noch als Prinzen zeigte. Dieser Großkönig begann auch mit dem Bau des Hundert-Säulen-Saales, des größten Saales der Alten Welt, dessen Dach von zehn Reihen à zehn Säulen getragen wurde, bekrönt von doppelköpfigen Stierprotomen. Reliefs in mehreren Registern flanktieren die Portale und visualisieren Macht und Stärke des Herrschers. Am besten erhalten ist der Tachara, Darius‘ Winterpalast direkt südlich des Apadana. Die strukturgebenden Elemente, insbesondere Tür- und Fensterrahmen, sind aus tonnenschweren Steinmonolithen erbaut, die Oberfläche glänzend poliert. Auch hier schmücken Reliefs die Wände: am Haupteingang der Großkönig mit Zinnenkrone, ferner Lanzenträger, Zeremonienmeister, Vertreter der Provinzen mit Tributen, ein Held im Kampf mit Löwe und Monster. 330 v. Chr. steckten die Truppen König Alexanders des Großen Persepolis in Brand, was man später als Rache für die Zerstörung der Athener Akropolis deklarierte. Wüstensand deckte und schützte die Ruinen. Für die Pahlavi-Dynastie wurde Persepolis zum Ort der Identifikation.
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38 | bERRESTE
DER 2.500 JAHRFEIER ZELTSTADT, PERSEPOLIS Nähe Marvdasht, Iran, 2019
Ein Wald an Zeltstangen zeugt heute in der Ebene von Persepolis von einem der größten Spektakel in der jüngeren Geschichte des Iran. Mohammed Reza Schah Pahlavi hatte eine 2500-Jahr-Feier der Iranischen Monarchie initiiert, um den Gründer des Persischen Reiches, Kyros II., zu ehren, die Leistungen der Dynastie herauszustellen und das internationale Ansehen des Iran zu stärken. Geplant waren wissenschaftliche Kongresse, Ausstellungen, Buchveröffentlichungen. Im Oktober 1971 kam es zu einem grandiosen Fest. 69 ausländische Staatsgäste, gekrönte Häupter und Präsidenten, hatten sich angesagt. Das Pariser Maison Jansen lieferte Zeltrahmen in Rohrkonstruktion mit Kunststoffabdeckung, als Luxusappartements ausgestaltet; Maxim‘s übernahm die Verköstigung. Außer einem Iranistenkongress in Shiraz mit 500 Wissenschaftlern gab es ein Festbankett für 600 Gäste, am Geburtstag der Shahbanu Farah einen Staatsempfang, einen historischen Festzug und eine Lichtinstallation der Ruinen von Persepolis. Regimegegner hatte man „vorsorglich“ verhaftet. Die westliche Presse berichtete überschwänglich. Doch von Paris aus erklärte Ajatollah Chomeini die Festteilnehmer zu Feinden des Islam. Generell kritisierte man die ungeheuren Festkosten, von 100, 200, 300 Millionen Dollar war die Rede; die nachhaltigen Investitionen wie 3200 Grundschulen, eine Moschee, Straßen, Flugplätze und Hotels wurden allerdings nicht erwähnt. Bis 1978 stand die Zeltstadt unversehrt, 1982 wurde sie Militärcamp für die Soldaten des Iran-Irak-Krieges und die schusssicheren Scheiben für Schießübungen genutzt. Heute ziehen die nackten Gestänge der Zeltstadt sensationslüsterne Touristen an oder sind Modell für Kunst-Installationen.
39 | BEIM ANahita TEMPEL
Bishapur, Iran, 2017
Kaum ein Besucher Bishapurs versäumt, die sechs in einer nahen Schlucht in die Felswand gehauenen Reliefs zu bestaunen, mit denen die sasanidischen Herrscher Schapur I., Bahram I. und Schapur II. ihre Taten feierten. Die Stadt selbst wird seltener besucht und ist nur teilweise erforscht. Über einer verlassenen älteren Ortschaft hatte Schapur I. um 266 n. Chr. seine Hauptstadt anlegen lassen, nach hippodamischem System gegliedert und mit einem großartigen Palast, dessen Thronsaal er mit Mosaiken und Statuen schmücken ließ. Im Norden lag ein Feuertempel; dort brannte, von den Strahlen der Sonne geschützt, Tag und Nacht das Feuer. Im Baukomplex westlich daneben führen steile Stufen zu einem sieben Meter unter Laufniveau gelegenen Raum hinab. Sein Boden ist eingetieft, so dass ein Bassin entstand. Korridore in den vier Raumwänden standen mit dem nahen Fluss in Verbindung. Daher wird das Gebäude als Heiligtum der Anahita gedeutet. In der ursprünglich abstrakten zoroastrischen Religion wurde Anahita als mächtige Göttin verehrt, unter deren Obhut das Wasser stand, als unbefleckte Spenderin von Fruchtbarkeit, als Vergöttlichung des Weltflusses, der den Ozean speist. Das Avesta beschreibt sie als schönes starkes Mädchen mit Sternenkrone, Goldschmuck und Zweigbündel. Ihr Wesen wird hauptsächlich aus jüngeren Schriftquellen erschlossen, die sie der babylonischen Astarte und der griechischen Artemis gleichsetzen.
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40 | ZENDAN-E
SULEIMAN UND TOURISTENBUSSTATION Pasargadae, Iran, 2019
„O Mensch, ich bin Kyros, der die Herrschaft der Perser begründete, Asiens König! Neide mir nicht dieses Denkmal!“ soll, nach einem Bericht des Historikers Arrian, Alexander des Großen Geschichtsschreiber Aristobul von Kassandreia die Keilschrift-Inschrift im Grab des Perserkönigs gelesen haben, als er es auf Wunsch des Königs besuchte. Auf einem Plateau im Zagrosgebirge hatte der Achämenidenkönig Kyros II. (559-529 v. Chr.) sein Heerlager aufgeschlagen und Pasargadae gegründet. Seine Paläste, seine Säulenhalle, die Pavillons und der Feuertempel waren von großen Gärten umgeben, die durch ein ausgeklügeltes unterirdisches Grabensystem bewässert wurden. Die Anlage gibt bis heute Rätsel auf. Knapp zehn Jahre nach seinem Tod verlegte Darius I. die Residenz nach Südwesten, sie wurde als Persepolis berühmt. Unklarheit herrscht auch über einen Zendan-e Suleiman, Gefängnis des Salomon, genannten Turm aus massiven Quadern in der Nähe. Nach der Bauweise ist man sich einig, dass er ins 6. Jahrhundert v. Chr. gehört. Er scheint unfertig, und es bleibt Streitpunkt gelehrter Diskussion, ob er als Grab, als Schatzhaus oder Tempel geplant war – oder für einen völlig anderen Zweck.
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41 | TERASSENAUSBLICK (TAKHT-E MADAR-E SULEIMAN) Pasargadae, Iran, 2019
Im Koran werden König Salomon – unter dem Namen Suleiman – übernatürliche Kräfte zugeschrieben: Er kann mit Tieren und Dämonen sprechen, Schätze aus dem Meer beschaffen oder den Teufel zwingen, schwere Arbeiten wie den Bau des Jerusalemer Tempels zu verrichten. Nach einer Legende besaß er einen Talisman, auf dem der wahre Name Gottes stand und mit dem er alles beherrschen konnte. So ist es kein Wunder, dass von der islamischen Bevölkerung unerklärliche Bauten mit König Salomon in Verbindung gebracht wurden. Takht-e Madar-e Suleiman, Thron der Mutter Salomons, wird eine Anlage aus großen, einst geklammerten Steinquadern genannt, nach der Bauweise einer Stützmauer des 6. Jahrhunderts. Von dort hat man eine weite Sicht über die Ebene in Richtung Persepolis. Seit einigen Jahren sieht man zwischen den Ruinenstädten den Sivand Damm. Die Befürchtungen der Archäologen, das gestaute Wasser könne bald Persepolis und vor allem Pasargadae überfluten, scheinen unnötig, denn die Dammkante liegt unterhalb der Ruinenhöhe. Gleichwohl ist völlig unbekannt, wie sich die vermehrte Feuchtigkeit auf die Monumente auswirkt.
42 | STRASSEN-
43 | ASRABAD
VERKAUFSLADEN
WASSERRESERVOIR UND WINDTÜRME
Sarch, Iran, 2017
Traditionell verbindet man den Warenverkauf im Orient mit Basaren. Oft sind es Stiftungen von Herrschern, Veziren oder reichen Bürgern, großartige historische Gebäude wie in Shiraz und Isfahan, von Kuppeln überdacht, ausgekleidet mit bunten Fliesen. Laden reiht sich an Laden, Boutique an Boutique, Gleichartiges wird in unmittelbarer Nachbarschaft angeboten, in freundschaftlicher Konkurrenz. Nicht verwunderlich, dass der Westen seine mondänen Kaufhäuser seit langem gern “Basar” benennt, “Au petit Bazar” Dresden, “Grand Pazar” Antwerpen, “Bazar Hotel de Ville” in Paris zum Beispiel. Große historische Basare stehen im kleinen Städtchen Sarch bei Yazd kaum zu Verfügung. Doch die geschäftstüchtigen Kaufleute wissen sich zu helfen. Direkt an den vielbefahrenen Ausfallstraßen lassen sie einfache funktionale Häuser bauen, kubisch, schlicht, mit einfachsten Materialien. Wie auf großen europäischen Bahnhöfen erhält der Reisende dort alles, was er für die Fahrt braucht, und noch viel mehr. Er kann eine Pause machen und Tee trinken, sich Proviant besorgen, letzte Mitbringsel, das Auto waschen. Und oft wirbt man mit leuchtend roter Farbe weithin um Kunden.
Ashkezar, Iran, 2017
Sauberes Wasser ist ein kostbares Gut – ganz besonders in ariden Gebieten. Nicht ohne Grund verehrten in Zentralpersien, auf der Hochebene zwischen ZagrosGebirge und den Wüsten Dasht-e-Kavir und Dasht-e-Lut, die Zoroastrier seit jeher die Göttin Anahita, die Schützerin des Wassers. Zu allen Zeiten wurden große Anstrengungen unternommen, Wasser zu sammeln, zu bewahren und kühl und rein zu halten. Einen besonderen Wasserspeicher ließ Mozafareddin Shah (1896–1907) aus der Kadscharen-Dynastie beim heute verlassenen Ort Asrabad an der Straße von Yazd nach Mashad anlegen. Der ab anbar (Wasserspeicher) besteht aus zwei quadratischen unterirdischen pashirs (Zisternen) von ca. 6 m Tiefe. Sie sind mit Kuppeln aus Lehmziegeln überwölbt, die innen mit einer Mischung aus Kalk, Sand und Asche bestrichen wurden und im Lauf der Zeit versinterten. Eine breite Treppe führt hinab zum pansheer, der ca. 1m über dem Zisternenboden gelegenen Plattform, von wo das Wasser gezapft werden konnte. Niemand hatte direkten Zugang zum Wasser, so bliebt es sauber. Die Kühlung des Wassers erfolgte nach dem Prinzip des Luftaustausches durch Zirkulation mittels WindfangTürmen. Allein der Wasserspeicher von Asrabad besitzt sieben Türme mit je vier Öffnungen, die den Wind aus jeweils vier Himmelsrichtungen einfangen. Zu recht stolz ließ Mozafareddin Shah über den Eingängen Inschrifttafeln anbringen, auf denen in Silber sein Name eingelegt war und das Gründungsdatum 1321 nach islamischem Kalender.
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44 | SI-O-SE-POL
45 | SÜSSWAREN-
Isfahan, Iran, 2017
Isfahan, Iran, 2017
BRÜCKe
Die Si-o-se-pol Brücke verbindet zwei zentrale Stadtviertel Isfahans. Ihr Name reflektiert die Zahl der Spitzbögen in der unteren Bogenreihe: 33. Darüber liegt ein Fußgängerpfad, der beidseitig von Arkaden schmalerer Spitzbögen eingefasst wird. Pfad und Nischen sind ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen zum Flanieren, Sich-Treffen, Ausruhen. Die Brücke wurde unter der Regierung des safawidischen Reformers Shah Abbas I. (1587 bis 1629) in nur drei Jahren erbaut, als er seine Hauptstadt von Qazvin nach Isfahan verlegte. Fast 14 m breit und 297 m lang ist das aus Kalksteinblöcken und gebrannten Ziegeln errichtete Bauwerk die prominenteste der elf Brücken Isfahans. Die Brücke überspannt den Zayandeh Rud, der für Shah Abbas Anlass für die Verlegung seiner Hauptstadt war. Korrekter gesagt: überspannte. Denn der „lebenspendende“ Fluss aus dem Zagros-Gebirge, einst der wasserreichste des Iran, ist weitgehend ausgetrocknet. Dürre, Wasserentnahme für Staubecken, illegale Brunnenbohrungen und ineffektive Bewässerung haben dazu geführt, dass die Wasserreserven im Westiran in beängstigendem Maß erschöpft sind – bis hin zum Grundwasser. Es wird ungeheurer Anstrengungen bedürfen, das Missmanagement in der Wassernutzung zu stoppen und eine Wasserkrise zu verhindern. Dass die Tretbötchen auf dem Trockenen liegen, ist fast das kleinste Übel.
GESCHÄFT
Die geballte Süße des Orients. Unfassbar, wie viel Honig, Mandeln, Rosenwasser, Kardamon und kostbarer Safran verarbeitet sind. Das leistet nicht das Sacher in Wien, nicht das Maison Pierre Hermé in Paris. Ein Augenschmaus, eine Freude für Nase und Gaumen. Ein Kerngeschäft sind die üblichen Bonbons und Zuckerwaren. In vielen Formen und Farben, milchweiß, gelb, orange, rot, grün, mit Zitrone, Orange, Pfirsich oder Minze leuchten sie in den Gläsern, insbesondere von Kindern begehrtes Naschwerk. Kenner wie Touristen tun sich schwer bei der Wahl unter den vielen Spezialitäten. Da gibt es Gaz, bekannt als persisches Nougat, eine Isfahaner Besonderheit aus Honig und geschlagenem Eiweiß, wahlweise mit Nüssen oder Pistazien. Da lockt Nan Berenji, Kurdistans Reismehl-Gebäck mit Safran und Kardamon. Das Aard Nokhodchi, das traditionelle Gebäck zum Nowruzfest (Neujahr), ist so butterreich, dass es beim Kosten im Mund zerschmilzt. Das persische Baklava mit Mandeln, Pistazien und Rosensirup klebt viel weniger als die arabische oder türkische Variante. Man erhält auch Qottab, ein frittiertes mondförmiges Walnussgebäck, ursprünglich aus Yazd. Kermans Spezialität Kolompeh, ein Dattelgebäck, kann man problemlos transportieren, es eignet sich auch als Souvenir für die Zuhause Gebliebenen – wenn man es nicht vorher vernascht. Ein Schlaraffenland, ein Vorgeschmack auf die Freuden des Paradieses.
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47 | Im GROSSEN BASar Isfahan, Iran, 2019
„Isfahan ist die Hälfte der Welt“ lautet ein persisches Wortspiel. An der Südroute der Seidenstraße gelegen, hat die Stadt eine parthische, achämenidische, sasanidische und persische Vergangenheit. Es war Hauptstadt der westlichen Seldschuken, wurde mongolisch, schließlich turkmenisch. Eine erste Blüte erlebte es unter dem Safawiden Abbas I. (1587-1629), der Handwerker und Künstler aus allen Landesteilen nach Isfahan holte. Ihm ist auch der erste Ausbau des großen Bazars an dem riesigen Naqsch-e Dschahan („Abbild der Welt“) Meidan zu verdanken (heute: Platz des Imam); Platz, Bazar, Palast und Moscheen fügten sich zu einem kommerziellen, kulturellen und geistigen Stadtmittelpunkt. Heute ist der Bazar insbesondere für seinen Teppichhandel und das einheimische Kunstgewerbe berühmt. In den Gewölberäumen hat sich Kleingewerbe angesiedelt, so dass man überall Kupferschmieden, Kesselflickern, Buchbindern oder Schustern über die Schulter schauen kann.
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48 | BeiM
PETROCHEMISCHEN ENTSALZUNGSBECKEN Nähe Mahshahr, Iran, 2017
Mahshahr, nahe der Grenze zum Irak, gehört zu den wichtigen Hafenstädten Irans am Persischen Golf. Von hier aus werden Gas und Öl der nur 95 km entfernten Raffinerie Abadan, dem Zentrum der iranischen Erdölindustrie, exportiert. In ökonomischer und technologischer Hinsicht ist die Petrochemische Industrie Mahshahrs Irans Vorzeigeprojekt. Doch der Fortschritt hat seine KehrPAGE, eine Umweltverschmutzung gewaltigen Ausmaßes. Mit dem Wachsen der Industrie, u.a. der Produktion von Flüssiggas, Plastik, synthetischen Fasern und Pestiziden, stieg der Ausstoß ungereinigter Abgase; in Wasser, Luft und Erde werden hier signifikant höhere Mengen an Schwermetallen wie Cadmium, Nickel oder Toluolen gemessen. Lecke Pipelines führen zu Bodenverschmutzung und Ölteppichen im Persischen Golf. Und im gigantischen petrochemischen Entsalzungsbecken bei Mahshahr werden täglich viele Kubikmeter hochkonzentrierter Salzlauge erzeugt; ein Großteil wird einfach ins Meer geleitet. Die Zehntausende Beschäftigten, vom spezialisierten Ingenieur bis zum ungelernten Arbeiter, müssen mit widrigsten Bedingungen zurechtkommen, mit Kurzzeitverträgen, fehlender Versicherung, überlangen Arbeitszeiten, schlechter Unterkunft. Und gleich zweimal kam Mahshahr 2019 zu trauriger Berühmtheit: am 8. November durch den Abschuss einer „fremden“ Drohne, acht Tage später durch ein Massaker an Demonstranten gegen eine Benzinpreiserhöhung.
49 | STROMTRASSEN
50 | AM STRAND
Strommasten mit kilometerlangen Hochspannungsleitungen über ausgedörrtem Land – das Bild wirkt harmund trostlos zugleich. Doch immer wieder stand das zugehörige Atomkraftwerk bei Buschehr in den Schlagzeilen, zuletzt im Juni 2021, als es wegen eines “technischen Fehlers” heruntergefahren wurde. Man argwöhnte, dass aufgrund internationaler Sanktionen notwendige Ersatzteile nicht beschafft werden könnten. Das Atomkraftwerk war im September 2011 in Betrieb genommen worden. Es ist ein Hybrid-Reaktorsystem mit zwei unterschiedlichen Baulinien. Ursprünglich eine Planung von Siemens AG und AEG mit Druckwasserreaktoren, wurde es mit einem neu entwickelten 1000-MWWWER-Reaktor als Prestigeobjekt des Iran und Russlands fertiggestellt. Während der Bauzeit stand es immer wieder im Fokus der Medien aufgrund des Verdachtes, der Iran betreibe ein geheimes Kernwaffensystem. Nun gibt es Anstrengungen, das Kernkraftwerk um zwei Blöcke zu erweitern. Die nahegelegene Stadt blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Es gibt Spuren von Besiedlung elamitischer, seleukidischer, parthischer und sasanidischer Zeit. 1736 von dem Afschariden Nadir Schah neu gegründet, wurde Buschehr nacheinander Handelsposten der niederländischen und der britischen Ostindien-Kompanie, Sitz des britischen Residenten und im AngloPersischen wie in beiden Weltkriegen britisch besetzt. Die junge Generation kennt die Stadt vermutlich als Geburtsort des Nationalspielers Mehdi Taremi.
Bandar Abbas ist heute eine Stadt der Superlative: Strategisch günstig an der engen Straße von Hormuz gelegen, gegenüber den Inseln Hormuz und Qeshm, ist es der wichtigste Übersee-Hafen des Iran, über den fast drei Viertel der Importe laufen, Basis der iranischen Marine, Endpunkt der Autobahn und eine Stadt mit gewaltigem Bevölkerungszuwachs. Die historischen Nachrichten sind spärlich. Ein Vorgängerhafen lag wohl östlich der heutigen Stadt und war zur Zeit Darius I. Ausgangspunkt für Reisen nach Indien und ans Rote Meer; zur Zeit Alexander d. Großen war er als Hormirzad bekannt. Im 16. Jahrhundert wurden Hafen und Stadt Gamrun genannt, vielleicht abgeleitet von dem türkischen Wort gümrük, Zoll. 1514 eroberten die Portugiesen die Insel Hormuz, begünstigten den dortigen Hafen und nannten ihn Comorão, was im Englischen zu Gamron wurde. Als 1615 der Safawiden-Schah Abbas I. mit Hilfe der East India Company den Portugiesen die Insel entreißen konnte, verlegte er den Hafen wieder aufs Festland und gab der Hafenstadt seinen – den heutigen – Namen. Der Aufstieg war mühsam: Belutschen plünderten die ausländischen Niederlassungen, die Afschariden-Dynastie bevorzugte Bushehr, zeitweilig fiel Bander Abbas an Oman; er gelang erst unter den Dynastien der Kadscharen und der Pahlevi. Neben dem riesigen Handelshafen ist das 1966 eröffnete preisgekrönte Fernsehgebäude heute Wahrzeichen der modernen Stadt.
Nähe Buschehr, Iran, 2017
Bandar Abbas, Iran, 2017
IRAN | BETWEEN TIMES ALFRED SEILAND
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53 | HISTORISCHER DAMM GURAN Qeschm, Iran, 2017
Qeschm an der Straße von Hormuz, mit 136 Kilometer Länge die größte Insel des Iran, stellenweise nur knapp zwei Kilometer vom Festland entfernt, reizte aufgrund ihrer strategischen Lage seit der Steinzeit nahezu alle Völker und Stämme Persiens zu Eroberung oder Besuch, aber auch Kaufleute, Abenteurer, Reisende vieler europäischer Seefahrernationen. Hier findet man Spuren der Elamiter, Achämeniden, Sasaniden, Umayyaden, Abbasiden, Buyiden, Dailamiten; griechische und römische Autoren erwähnten die Insel; Briten, Portugiesen und Niederländer wetteiferten um ihren Besitz. Im Westen, in den Avicenna-Wäldern, beim heutigen Ort Guran, hatten die Achämeniden einen Staudamm errichtet, um ihre Siedlungen ganzjährig mit Wasser zu versorgen; die Notwendigkeit solcher Vorsorge in heißen Sommern ist nur zu offensichtlich. Mangrovenwälder und das kristallklare Wasser locken heute Besucher. Man kann seltene Vögel in der freien Natur beobachten, Pelikane und Flamingos, anderenorts nahezu ausgestorbene Reptilien und Schlangen. Oder man unternimmt Bootsfahrten zu Austernbänken und Korallenriffen und sieht beim Tauchen buntschillernde Fische, Delphine, kleine und große Buckelwale, die die Küstennähe lieben, manchmal auch einen kleinen, ungefährlichen Hai. Seit 1991 ist Qeschm Freihandelszone mit ungewöhnlich großem wirtschaftlichem und politischem Freiraum, einschließlich des Rechtes zur Förderung von Öl und Gas.
56 | Beim
57 | PERSISCHE
Kisch, Iran, 2017
Nähe Marvdasht, Iran, 2019
griechischen Schiffswrack 20 km vor dem Festland liegt im Persischen Golf die Insel Kisch. Für Iraner ein Luxusort und Winter-Ferienziel mit kristallklarem Wasser, weiten Sandstränden und Korallenriffen, ist sie dem Jetset gut bekannt als Freihandelszone, als ein einziges großes Einkaufszentrum. Hier kann bis tief in die Nacht geshopt werden – Steuern oder Zölle gibt es nicht. Bürger der EU dürfen über Dubai ohne Visum einreisen. Reza Schah Pahlavi hatte Kisch einst als seine Ferieninsel ausgewählt. Noch im Geist der Pahlavi-Dynastie wurde im Osten der Insel vom Unternehmer Hossein-Sabet das Dariush Grand Hotel entwickelt, angelehnt an die Architektur von Persepolis, ein 5-Sterne-Hotel mit 185 Zimmern. Der Bau einer Ferienanlage mit 7-Sterne Hotel, Flower of the East, als Konkurrenz zum Burj al Arab in Dubai, wurde 2007 abgebrochen. Viele Feriengäste schätzen es, weit ins warme Meer hinaus zu waten, wo auf der dem Festland zugewandten InselPAGE das Wasser über weite Strecken einen Meter nicht übersteigt, zu tauchen oder mit dem Glasbodenschiff zu den Korallenbänken zu fahren. Auch das „Griechische Schiff“, Wrack des 1943 in Port Glasgow als Empire Trumpet gebauten, 1966 auf Grund gelaufenen Dampfschiffes Khoula F, ist ein Besuchermagnet. Die unterirdischen Qanate und Zisternen, eine regelrechte Tunnelstadt, unter dem alten Ort Harireh, ehemals Umschlagplatz für Perlen, sind seltener Touristenziel. Dabei tritt in den Hintergrund, dass auf Kisch striktes Alkoholverbot herrscht, Frauen nur in abgetrennten, umzäunten Bereichen baden dürfen und man bar bezahlen muss.
IRAN | BETWEEN TIMES ALFRED SEILAND
MONUMENTE, NAQSCH-E ROSTAM Es gibt wohl kaum eine touristische Reise nach Schiras und Persepolis, die darauf verzichtet, eine Tour nach Naqsch-e Rostam anzubieten. Dem Problem der Touristen, nach Rückkehr in die Heimat die Reise zu schildern und Familie, Freunde und Kollegen durch Mitbringsel zu erfreuen, hat sich die Branche gestellt. Vor Ort bietet sie Hunderte von Kühlschrankmagneten an. Kostengünstig, zollfrei, handgepäckgeeignet und nicht völlig nutzlos werden sie zu Dutzenden erworben und verbreiten weltweit die Wunder von Architektur und Kunst des Iran, quer durch die Zeiten und Provinzen.
KURATOR Ruud Priem, unterstützt von Lis Hausemer und Anouk Bernard
GRAFISCHE GESTALTUNG A Designers’ Collective
DANKSAGUNG Wir danken allen, die an der Verwirklichung dieses Projekts mitgewirkt haben, vor allem Herrn Alfred Seiland.
Arg-e Bam, Bam, Iran, 2017 © Alfred Seiland