derMoment17: Sonntag - Ausgabe 4

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Der Tag

Zeitung zum Kongress

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Der Tag

Inhalt

Service is our success - alles was ihr noch wissen müsst

DIE FEMINISTISCHE ZUKUNFT Hanna Herbst spricht mit derMoment über Journalismus, das Matriachat und das erwartete Fehlen des Lichtermeers. ... mehr auf Seite 4 & 5

DIE LINKE NATION? Wie die Katalonien-Frage eskaliert und welche Unsicherheiten sie mit sich bringt - auch für die politische Linke. ... mehr auf Seite 6 & 7

SOZIALE UNGLEICHHEITEN An Österreichs Hochschulen stellt die Umsetzung sozialer Durchlässigkeit noch immer ein Problem dar. ... mehr auf Seite 10 & 11

Die Wetterprognose für Hallstatt: Am Montag fallen die Temperaturen auf 1 bis 6 Grad. Weil das nach Schnee klingt und Momentum 2017 ohnehin vorbei ist, kommen hier die Abreisezeiten für Sonntag: Der Momentum Bus verlässt Hallstatt um 12:30 Uhr Richtung Linz/Wien, der Zug Richtung Linz geht um 12:32, Richtung Graz (über Obertraun) um 12:48.

IMPRESSUM: Momentum - Verein für kritische Wissenschaft und Politik Redaktion: Moritz Ablinger (MA), Elisabeth Hofer (EH), Philipp Stadler (PS), Max Schwarzenbacher (MS) Layout: Susanne Aichinger | Fotos: Clemens Sauerwein. Ansonsten wie angegeben

Und zum Schluss spenden wir euch auch noch ein bisschen Trost, damit ihr beim Heimfahren nicht so traurig sein müsst: Nächstes Jahr findet der Momentum Kongress von 18. bis 21. Oktober statt. Das Motto für 2018 lautet „Klasse“. In zehn Tracks werden dann Klassengesellschaft, Hegemonie im digitalen Zeitalter, die Verteilungsfrage und viele andere Themen diskutiert.


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Rückblick auf 10 Jahre MOMENTUM

„Das Momentum lässt niemandeN zurück“ derMoment: Barbara, du warst bereits am allerersten Momentum 2008 dabei – was hat sich seither verändert? Barbara: JedeR neue HauptorganisatorIn setzt andere Akzente. Da kann es schon mal vorkommen, dass in dem einen Jahr ganz Hallstatt mit Momentum-Plakaten übersäht ist, während im nächsten Jahr der Schwerpunkt der Plakatierung auf dem Kongresshaus liegt. Im Ernst: Die vielen HelferInnen leisten seit zehn Jahren großartige Arbeit. Das Momentum schafft es, eine Verküpfung zwischen Wissenschaft und Politik, eine Schnittstelle herzustellen. Das macht den Kongress einzigartig.

Gab es auch mal Hoppalas? Das gehört dazu. Ich kann mich an eine Anreise aus Wien erinnern. Ich hatte die Betreuung für den Bus übernommen und bin, nachdem alle Mitreisenden am Wiener Westbahnhof, dem Treffpunkt, in den Bus gestiegen waren, noch eine große Runde im und um den Bahnhof gegangen, um ja niemandeN zu vergessen. Als wir dann schon auf der Autobahn waren kam der Anruf: “Ihr habt mich vergessen.” Bei der nächsten Ausfahrt sind wir abgefahren, haben uns zurück nach Wien gestaut und unseren Anrufer abgeholt. Wir sind dann zwar mit Verspätung nach Hallstatt gekommen, aber das Momentum lässt halt niemandeN zurück.

KOLUMNE KONGRESSTEAM

Hast du schon vom Gerücht gehört, die diesjährige Zeitungsredaktion sei die bisher beste? Barbara: (lacht) Du kannst es aber nicht ausschließen, dass das so ist? Nein, natürlich nicht.

Das Tanzcafé Momentum öffnete auch 2014 seine Pforten.

Manche Menschen sehnten sich 2012 nach einem Schluck Kaffee.

Gebt dem Schwan ja keinen Kaffee, auch nicht 2014.

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Der Tag

Hanna Herbst ist seit 2016 CoChefredakteurin der „liga“, der Zeitschrift der Österreichischen

Über traurige DiscoBurschenschaftler Hanna Herbst bestreitet heute die Abschlussmatineé. derMoment sprach mit ihr über Vielfalt im Journalismus und das zukünftige österreichische Matriachat.

derMoment: Wie steht es mit der Vielfalt der österreichischen Medienlandschaft?

Liga für Menschenrechte. Ein Abo könnt ihr übrigens unter abo@liga.or.at bestellen.

Hanna: Österreich wird sehr stark vom weißen alten hetero-Mann dominiert. Das sind die Opinion-Leader, deren Meinung zählt. Frauen sind unterrepräsentiert in Spitzenpositionen, aber es gibt auch wenige, die kommentieren, du siehst viel zu selten Frauen in Diskussionssendungen. Und über Menschen mit anderer Herkunft brauchen wir nicht diskutieren, geoutete Journalist_innen an der Spitze fallen mir gerade gar keine ein. Unterscheidet sich VICE dahingehend? Natürlich ist VICE nicht vollkommen anders, aber wir wol-

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ßer Teil lebt in Wien. Unsere Redaktion ist da sehr ähnlich: Wir kommen zwar aus sämtlichen Bundesländern, sind zum Studieren aber alle nach Wien gekommen und geblieben. Aber Content für die Bundesländer funktioniert oft super, obwohl so viele unserer LeserInnen in Wien leben. Es gab beispielsweise einen Text über die Landjugend in Kärnten, der strahlte auch vor Ort stark aus, weil das für junge Leute dort Foto: Tom Linecker eine riesige Rolle spielt. len auf Dinge aufmerksam machen, die in anderen Medien VICE betreibt einen starken weniger Platz haben. Wir haben Gonzo-Journalismus, die Auseit einigen Monaten das FortorInnen und ihre subjektiven mat „10 Fragen an“, in dem wir Eindrücke spielen eine zentrale mit Personen aus gesellschaftRolle. Was macht diese Art von lichen Randgruppen sprechen, Journalismus gerade bei jungen wie beispielsweise einer PerLeuten so populär? son mit Down-Syndrom oder einer Sexarbeiterin. Der Sinn Es wird immer gesagt, Jugendlidahinter ist, dass wir gegen che interessieren sich nicht für Berührungsängste ankämpfen. Politik, aber junge Leute sind Wir versuchen, auf das gesamte sehr politikinteressiert, sie inSpektrum der Gesellschaft aufteressieren sich oft nur nicht für merksam zu machen. Politikberichterstattung, wie sie jetzt gemacht wird und wie VICE wird häufig als Medium sich auch schon in den letzten für die Jugend wahrgenommen, Jahrzehnten gemacht wurde. Jugendliche sind aber keine hoUnd hier können wir mit unmogene Gruppe. Könntest du serer Art des Journalismus eine euer Zielpublikum stärker einSchnittstelle sein. Das habe grenzen? ich beim Akademikerball ganz stark gemerkt, den ich besucht Unsere Zielgruppe ist zwiund darüber berichtet habe. schen 18 und 35 und ein groIch hab von dort getwittert und


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sehr viele haben mitgelesen. Wenn du als Journalistin in so ein Feld reingehst, dann ist das für deine Leser_innen ein ganz anderes Erleben. Da merkt zum Beispiel Strache, dass man da ist und macht ein FacebookPosting und du machst Fotos von fünf Burschenschaftlern, die traurig in der Disko stehen und jeder bekommt es direkt mit – nicht erst in einer Reportage am nächsten Tag. Das bietet Einblicke, die man sonst nicht bekommt. Du bist Mitorganisatorin des Frauen*volksbegehrens. Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Baustellen am Weg zu einer feministischen Gesellschaft? Da gibt es ein paar Punkte, zum Beispiel die Karenz. Nur 17 Prozent der Väter sind in Karenz. Oder Teilzeitjobs, die zu fast 50 Prozent von Frauen* erledigt werden. Wir müssen auch über AlleinerzieherInnen reden, weil die übergroße Mehrheit der Alleinerziehenden Frauen* sind. Es gibt viele Baustellen, aber diese drei Punkte sind besonders wichtig. Und auf den Journalismus umgelegt? Gibt es eine feministische Forderung, die du formulieren könntest? Ich habe schon überlegt, ob man einfach Workshops halten sollte, in denen Frauen lernen, weniger vorsichtig zu sein. Ich hätte so einen Workshop gebraucht, in dem mir gesagt wird, wenn du eine Gehaltserhöhung willst, dann sag das einfach. Ich habe das selbst gelernt, aber viele Frauen sind bei diesen Themen sehr unsicher.

Ihr versucht dezidiert, die Vielfalt weiblicher Lebensrealitäten* in eure Forderungen einzubeziehen. Was bedeutet für dich Vielfalt in diesem Kontext und inwiefern spiegelt sich das in den Forderungen wider? Wir wollen kein Frauen*volksbegehren für weiße privilegierte Frauen*, unter dem Motto: „Ihr könnt auch in Spitzenpositionen kommen.“ Stattdessen haben wir nach Forderungen gesucht, von deren Umsetzung viele Frauen* profitieren würden. Wir wollen ein Volksbegehren machen für jeden Menschen, der sich als Frau* sieht, niemand soll ausgeschlossen werden. Und jene, die sagt, sie braucht kein Frauen*volksbegehren, soll auch inkludiert sein. Habt ihr das schon geschafft? (Schnauft) Das kann man nie schaffen. Du kannst nicht 100 Forderungen aufstellen - das müsstest du aber, wenn du die Lebensrealitäten aller Frauen* abdecken willst. Aber wir haben versucht, möglichst viele gesellschaftliche Bereiche abzudecken, damit für möglichst viele etwas dabei ist. In der „liga“, dem Magazin der österreichischen Liga für Menschenrechte, schreibst du über das österreichische Matriachat 2037. Siehst du optimistisch in eine feministische Zukunft? Gerade in Hinblick auf die Nationalratswahl ist meine einzige Hoffnung, dass das Ergebnis den Journalismus spannender macht. Und vielleicht, dass es anspornendes Feuer für das Frauen*volksbegehren gibt.

Aber die feministische Zukunft in Österreich sieht in naher Zukunft ganz ehrlich scheiße aus. Wenn eine schwarz-blaue Regierung kommt, wird es zum Beispiel im Hinblick auf Reproduktionsrechte, Selbstbestimmung, Freiheit zu dramatischen Einschnitten kommen.

Das Frauen*volksbegehren 2.0 ist an das Frauenvolksbegehren 1997 angelehnt. Bis 2018 soll es auf die Beine gestellt werden. Das Interview wurde bereits vor dem Sonntag der Nationalratswahl aufgenommen.

Glaubst du nicht, dass es als Reaktion auch zu einer Repolitisierung der Zivilgesellschaft kommen kann, wie in den USA mit dem „Women‘s March“? Ich habe das Gefühl, und vielleicht irre ich mich, dass so etwas wie das Lichtermeer nicht mehr passieren wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass Menschen nach dieser Wahl zu Hundertausenden auf die Straße gehen. Ich denke eher, dass sich eine Resignation einstellen wird, wenn Schwarz-Blau kommen sollte. (MS)

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Der Tag

Auf dem Mosaik-Blog schreibt Marcel Andreu unter dem Titel „Die Chance eines unabhängigen Kataloniens“ über das Unabhänigkeitsreferendum und das Spezifische des katalanischen Nationalismus.

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Wo sich linke Geister scheiden Die Situation in Katalonien verschärft sich. Der Riss zwischen Katalonien und Zentralspanien ist tief. Aber auch unter Linken ziehen sich tiefe Brüche.

Was bisher geschah Es ist die maximale Eskalation. Gestern leitete die spanische Zentralregierung unter dem konservativen Premier Manuel Rajoy die Absetzung der katalanischen Regierung ein. Innerhalb der nächsten sechs Monate soll es regionale Neuwahlen geben. Zu dieser drastischen Maßnahme führten die Vorkommnisse der letzten Wochen. Am 1. Oktober stimmten die KatalanInnen über ihre Unabhängigkeit ab, was nach spanischem Recht verfassungswidrig ist. 90% stimmten für eine Abspaltung Kataloniens vom Rest Spaniens, die Wahlbeteiligung lag jedoch nur bei 40%.

Gründe sowohl für die niedrige Wahlbeteiligung als auch für das Abstimmungsergebnis, können im Vorgehen der spanischen Zentralregierung und der Guardia Civil gesehen werden, die im Vorfeld und am Tag des Referendums mit teils brutalen Mitteln das Referendum verhindern wollten. „Sie kümmerten sich nicht um die Sicherheit der Menschen, sie schlugen sie einfach und wollten sie vom Wählen abhalten“, sagt Carlos Domingo. Er lebt seit sieben Jahren in Barcelona, arbeitet im öffentlichen Dienst und ist politischer Aktivist. „Aber wenn sie mich nicht wählen lassen, werde ich wählen, und ich werde für die Unabhängigkeit stimmen“, erklärt Domingo das Wahlergebnis. Er weiß nicht, ob die katalanische Bevölkerung überhaupt mehrheitlich für die Unabhängigkeit wäre, und glaubt, dass das Referendum auch zu einer Abstimmung über das Recht einer Abstimmung wurde. Ökonomische oder identitäre Frage? Der Bruch zeichnet sich dabei schon lange ab. Miguel Morillo, nationaler Koordinator der „Associació d‘Estudiants Progressistes“, einer progressiven Studierendenorganisation in

Barcelona, sieht die Ursprünge in vergangenen Jahrhunderten: „Der Konflikt zwischen Katalonien und Spanien existiert bereits seit dem Ende des spanischen Erbfolgekriegs 1714“. Die katalanischen Truppen waren unter den Letzten, welche die Herrschaft Phillip V. nicht anerkannten. Der 11. September, an dem 1714 die Besatzung Barcelonas endete, ist heute noch Nationalfeiertag in Katalonien. Dieser Konflikt zieht sich bis heute, auch während der Franco-Diktatur war Katalonien ein Hort des republikanischen Widerstands, worauf sicher ein starker Teil der katalanischen Identität aufbaut. Auch für Marcos Domingo resultiert der Wunsch nach Unabhängigkeit „großteils aus einer Frage nach Identität und Respekt“. Diese identitätspolitische Dimension ist für KritikerInnen jedoch höchstens eine Teilerklärung, auch die ökonomischen Interessen Kataloniens müssten einbezogen werden. Georg Feigl, Ökonom der AK, der in Madrid zur spanischen Krise geforscht hat, meint, dass das Streben nach der Unabhängigkeit mit dem Wunsch zusammenfällt, kein Geld mehr nach Madrid zu schicken. Diese Argumentation kommt auch


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häufig von politisch Linken, die nach ihm in Katalonien eine strukturelle Mehrheit hinter sich haben. „Da heißt es dann zugespitzt auch ‚Unser Geld für unsere Leute‘“, sagt Feigl. „Aber in Katalonien heißt das eben Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen und ein besseres Bildungssystem.“ Nationalismus und soziale Bewegungen Feigl sieht hinter der aktuellen Polarisierung aber auch den strategische Interessen der Regierenden in Katalonien. „Die Foto: Martin Abegglen katalanische Regierung muss linker AktivistInnen in Katanicht über mehr Verfehlungen lonien, jedoch nicht in partiund Korruption in Katalonien kularen Partei- oder ökonoreden, sondern kann alles auf mischen Interessen. Miguel Spanien schieben“. Die PolariMorillo sieht den Anfang des sierung liege auf der anderen gesellschaftlichen Aufbruchs in Seite aber ebenfalls im Interessozialen Bewegungen und zivilse der konservativen Regierung gesellschaftlichen Organisatioin Madrid, die die Debatte auch nen, die vor allem versuchten, nationalistisch auflädt: „Wer Hoffnung zu artikulieren: „Die für Spanien ist, muss für uns Hoffnung auf ein besseres, sound gegen Katalonien sein.“ zialeres und souveränes Land.“ Hingegen führt der katalaniÜberall Unklarheit sche Nationalismus in Zusammenhang mit den UnabhänZur Zeit aber dominiert die gigkeitsbestrebungen zu einer Unklarheit. Mit der Übereigenartigen Einheit jenseits nahme der Regierungsgewalt sozialer und politischer Konin Katalonien untersteht die flikte. Bei der katalanischen Landespolizei und das regioParlamentswahl 2015 erreichnale Fernsehen rechtlich der te das Wahlbündnis „Junts pel Madrider Regierung. Der kaSí“ (übers. Zusammen für Ja) talanische Regierungschef knapp 40% der Stimmen, das Carlos Puigdemont hat für Bündnis von konservativen, Samstagabend, nach Redakliberalen und linken Parteien tionsschluss, eine Fernsehanregiert seitdem mit Unterstütsprache angekündigt, Großdezung der postautonomen CUP. monstrationen sind geplant. „Das einzige worauf sie sich eiUnklar ist, wie die rechtliche nigen können, ist die UnabhänSituation aussieht. Manuel gigkeit“, sagt Feigl. Rajoys Vorgehen zumindest beruht auf Artikel 155 der spaDie Ursprünge der jüngeren nischen Verfassung, der die Unabhängigkeitsbewegung Zentralregierung zu „erforderfinde sich nach Ansicht vieler lichen Maßnahmen“ ermächtig

„die autonome Gemeinschaft zur zwingenden Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten“. Ebenfalls unklar dürften die ökonomischen Auswirkungen sein - nicht zu sprechen von möglichen Folgen einer tatsächlichen Abspaltung Kataloniens. „Ökonomisch wäre das für Spanien eine Katastrophe“, sagt Georg Feigl.

CUP

steht

für

„Candidatura

d’Unitat Popular“, auf Deutsch „Kandidatur der Volkseinheit“ und wurde 1986 gegründet.

Und die Linke? Linke Gretchenfragen gibt es ja genug. „Na sag, wie hast du´s mit der SPÖ?“ wäre wohl das klassisch österreichische Beispiel. Die Katalonien-Frage fällt in eine ähnliche Kategorie. Ist die katalanische Unabhängigkeitsbestrebung eine soziale Bewegung von unten, die zu einem kategorischen Bruch mit der post-franquistischen Verfassung führt? Oder lenkt sie von der sozialen Frage ab und führt zu einer Destabilisierung des linken Lagers? Zumindest im Rest Spaniens ist das bereits der Fall „Die Linke wird in dieser Auseinandersatzung vollkommen zerrieben, weil es nur mehr um die katalonische Frage geht“, sagt Feigl. (MS) SEITE 7


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Der Tag

Über den weißen Elefanten sprechen Barbara Blaha diskutierte mit Maria Maltschnig, Milo Tesselaar und Sigrid Maurer über mögliche Fehler im Wahlkampf und wie es ab nun für die jeweilige Partei weitergehen soll. „Zumindest in der Flüchtlingsfrage war unsere Position, die ganz klar antirassistisch war, kein Fehler“, sagte sie.

10.160 haben gefehlt, um den Grünen den Einzug in den Nationalrat zu ermöglichen. Mit deren Ausscheiden verlieren 110 MitarbeiterInnen ihren Job.

„Den weißen Elefanten zum Thema machen“, so formulierte Barbara Blaha das Ziel der Podiumsdiskussion am Samstagabend. Thema war die Nationalratswahl vom 15. Oktober und welche Bedeutung sie für linke Kräfte haben wird. Zunächst aber stand ein Blick zurück auf dem Programm. „Die Strategie der SPÖ war entlang der sozialen Frage ausgerichtet und nebenbei hat es den Versuch gegeben, zu signalisieren, dass wir zuhören“, sagte Maria Maltschnig. „Als wir in den letzten beiden Wochen des Wahlkampfes dann klar Kante gegenüber ÖVP und FPÖ gezeigt haben, hat sich eine gute Dynamik entwickelt.“ Dennoch räumte Maltschnig ein, dass es nicht gelungen sei, den zentralen Diskurs zu beeinflussen. Das sah Sigrid Maurer für ihre Partei ähnlich.

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Ansonsten ging die noch-Abgeordnete mit ihrer Partei hart ins Gericht. Der Außenauftritt der Grünen habe sich zwar in den letzten Jahren stark professionalisiert, zugleich habe sich aber eine politische Führungslosigkeit eingestellt. Sie riet der SPÖ dabei auch, sich nicht zu viel von der Wirkung besserer Kampagnen zu erhoffen, dies könne über politische Leere nicht hinwegtäuschen. „Bei uns es hat soweit gereicht, dass PR-Teams inhaltliche Entscheidungen getroffen haben“, sagte Maurer. „Dann haben wir auf Positionen verzichtet, weil sie nicht mehr auf ein Facebooksujet gepasst haben.“ Wunden lecken Tesselaar, der zuvor schon Irmgard Griess’ Wahlkampf managte, attestierte den Grünen mangelnde Effizienz. Im Vergleich zu jenen 4,5 Mllionen Euro, die die Grünen zur Verfügung gehabt hätten, wäre die Liste Peter Pilz mit knapp 300.000 Euro ausgekommen. Er musste allerdings auf Nachfrage eingestehen, dass der Boulevard am Einzug Pilz’ eine gewichtige Rolle gespielt habe.

„Mich hat das nicht gestört, so ehrlich muss ich sein.“ Doch es waren nicht nur die Boulevardmedien, die den Wahlkampf beeinflussten. Die etablierten Zeitungen hätten, noch viel stärker als bisher, Partei ergriffen, stellte Maltschnig fest. „Wir müssen uns einfach darauf einstellen, in Zukunft andere Kanäle zu verwenden“, sagte sie. „Ohnehin kann man viel von diesem Wahlkampf lernen.“ Bis dieses Wissen aber in einer Wahlkampage genützt werden kann, wird es dauern. In der unmittelbaren Zukunft wird es darum gehen, gegen Schwarz-Blau Widerstand zu leisten. „Die Grünen waren die einzigen im Parlament, die sich in aller Deutlichkeit von der rechtsextremen FPÖ abgegrenzt haben“, sagte Maurer. „Das müssen wir in Zukunft außerparlamentarisch organisieren.“ Auch sie selbst werde sich zivilgesellschaftlich engagieren, sobald sie sich von dem Schock des Wahlergebnisses erholt habe. Die Aufgabe der SPÖ wäre es hingegen, den Start nicht zu verpassen und jetzt von Anfang an Oppositionsarbeit zu leisten, meinte Maltschnig. Wie sich die Liste Pilz in Zukunft positionieren werde, ließ Tesselaar weitgehend offen. (MA)


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Vielfalt, das sind 6.290 Speibsackerl In der Wohnung meiner Großmutter steht neben dem Esstisch ein dunkler Kasten, der sich mit einem rauen Griff an der linken Seite öffnen lässt. Darin befinden sich kleine Alkohol-Fläschchen, viele davon. Keines fasst mehr als zehn Zentiliter. Manche sind voll, manche halbvoll, manche leer. Alle sind ordentlich aufgestellt. Wieso stehen diese Dinger da? Es gibt viele verschiedene Dinge und noch mehr verschiedene von denen, die eigentlich dieselbe Funktionalität besitzen. Da sind zum Beispiel diese meist rechteckigen, etwa vier Quadratzentimeter großen Papierstücke. Es gibt abertausende verschiedene Motive, mit denen sie bedruckt sind. Sie hatten früher alle denselben Verwendungszweck: Abschlecken und auf den Umschlag kleben. Briefmarken verkörpern heute wie kein anderer Gegenstand das Sammeln. Niemand braucht derart viele Ausfertigungen davon und trotzdem versuchen einige, möglichst viele davon zu besitzen. Halt, funktioniert so nicht unsere ganze Welt? Wie auch immer. Klaus Keilhofer sammelt Bäume. Mehrere Hundert verschiedene davon stehen auf seinem Privatgrundstück. Darunter befinden sich auch einige von ihm importierte Baumarten wie der Kalifornische Mammutbaum oder das Chinesische Rotholz. Tonje sammelt benutzte Kon-

dome. Sie bietet 70 Euro pro gebrauchtem Präservativ und hat mittlerweile 1.921 Stück in ihrer Sammlung. Lisa Courtney sammelt Pokemon-Artikel – und zwar alle davon. Seit 17 Jahren versucht sie, jedes von Pokemon produzierte Produkt in Besitz zu bekommen. Ihre Sammlung umfasst mehr als 16.000 Gegenstände. Christoph Aumüller sammelt, losgelöst vom Materiellen, Erinnerungen. Er ist Groundhopper und versucht, möglichst viele Fußballspiele in verschiedenen Stadien und Ländern zu besuchen. Auf seiner Website führt er eine genaue Statistik über alle seine Grounds, 897 verschiedene Stadien hat er bisher betreten. Niek Vermeulen ist auch Sammler. Er hat sich auf etwas spezialisiert, das in den Niederlanden „Prullenzakjes“, in der Schweiz „Chotz-Büteln“ und in gepflegtem Österreichisch „Speibsackerl“ genannt wird. Gemeint sind die kleinen Papiertüten, die in jedem Flugzeug in den Sitzen stecken und verwendet werden, wenn der Magen schon vor der Landung auschecken möchte. Gespieben wurde schon immer: 1925 soll das erste derartige Sackerl im Einsatz gewesen sein. Niek Vermeulen ist mit 6.290 verschiedenen Speibsackerl Rekordsammler – nicht übel. Wieso macht Niek Vermeulen das? Wieso sammeln wir alle irgendetwas, sei es Bücher, Schlüsselanhänger, Münzen,

KOLUMNE ZEITUNGSTEAM

Städtetrips oder Speibsackerl? Denise Wilde versucht darauf durch die Befragung von SammlerInnen Antworten zu finden, die über den Erklärungsversuch des Sammelns aufgrund von Produktvielfalt hinausgehen. Die Wissenschaftlerin konstatiert, dass Sammeln eine besondere Kommunikationskultur ist, die Wissen weitertragen kann. Aber was ist die Ursache unserer Sammellust?

Über Vielfalt in unterschiedlichen Kontexten könnt ihr in unserer täglichen Kolumne lesen.

Einer der interviewten Sammler beschreibt Sammeln als „Ruheort für die Erkenntnisse“. Wenn ich also den dunklen Kasten neben dem Esstisch in der Wohnung meiner Großmutter öffne, dann kommt da weder eine Erkenntnis rausgesprungen, noch finde ich eine da drinnen, irgendwo zwischen den kleinen Fläschchen. Das ist auch mal schön. SEITE 9


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Der Tag

„Es ist ein permanenter Legitimitätskonflikt“ derMoment hat beim Mittagessen mit Iris Schwarzenbacher, Eva Schiessl und Elisabeth Springler über sozialie Durchlässigkeit an den österreichischen Hochschulen gesprochen. dieser Gruppe häufiger zu Studienabbrüchen kommt. Wieso? Iris: Gerade Menschen aus einem bildungsferneren Umfeld sehen sich permanent mit den Fragen „Ist das das Richtige für mich?“ „Kann ich das?“ und „Sollte ich nicht doch lieber arbeiten gehen?“ konfrontiert. Das ist ein Legitimitätskonflikt, der sich durch massive Unsicherheiten im Studium äußert.

Iris Schwarzenbacher ist Sozioökonomin und arbeitet in der Bildungspolitik-Abteilung der AK Wien. Ihr Paper behandelt Mechanismen und Wirkung sozialer Ungleichheiten im Studienalltag und - verlauf.

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derMoment: Unter welchen Bedingungen reproduzieren sich heute soziale Ungleichheiten an den Hochschulen? Iris: Ein wichtiger Faktor ist die Frage, wer überhaupt an der Uni oder FH landet. Reproduktion von sozialer Ungleichheit gibt es schon in früheren Bildungsstufen aber im Studium werden vor allem jene bevorzugt, denen eine Akademische Laufbahn schon in die Wiege gelegt wurde. Diejenigen, bei denen es quasi eine abweichende Entscheidung war, an die Uni zu gehen, werden an der Uni auch weiterhin eher mit Widerständen konfrontiert sein. Das führt dazu, dass es in

Eva: Die Zahlen spiegeln das auch wider. Wir haben heute einen höheren Anteil an „sozial schwächeren“ Schichten in den berufsbegleitenden Studiengängen. Dort sind aber auch höhere Abbruchraten sichtbar. Neben den Selbstzweifeln geht es hier auch um Probleme finanzieller Natur, Vereinbarkeitsfragen, Probleme mit den ArbeitgeberInnen, die das nicht unterstützen, oder der Workload wird insgesamt als zu viel empfunden. Kann man die soziale Durchlässigkeit durch spezielle Aufnahmeverfahren erhöhen? Elisabeth: Wir machen Kategorieaufzeichnungen, sodass immer die besten aus jeder Kohorte aufgenommen werden.

Das heißt, dass BewerberInnen aus der AHS und BHS zum Beispiel getrennt ausgewertet werden und sie nur mit gleich Ausgebildeten konkurrieren. Die Idee wäre also da, die Ausgestaltung ist eine andere Frage. Eva: Es hat sich herausgestellt, dass der Hochschulsektor insgesamt durchlässiger geworden ist und Studieren in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Man sieht, dass, auch mit den FHs, eine andere soziale Schicht an den Hochschulen dazugekommen ist. Die Themen Internationalität und Frauen hat das aber eher nicht berührt. Außerdem haben 93 Prozent der Studierenden keinen migrantischen Hintergrund. Das hat sich durch die Fachhochschulen nicht verändert. Aber wir haben jetzt Hochschulzugangsquoten von 50 Prozent in Ostösterreich. Das heißt, dass 50 Prozent einer Alterskohorte ein Studium beginnen. Die großen Unterschiede machen sich aber bei den Abschlüssen bemerkbar. Elisabeth: Es hat sich da vieles verschoben. Früher war die Frage: wer geht ins Gymnasium und wer geht in die Hauptschule. Jetzt ist die Frage nicht, wie viele studieren, sondern wer es fertig macht.


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Iris: Ich möchte nicht widersprechen, aber schon ergänzen, dass die Selektionsmechanismen von früher nicht weggefallen sind, sondern einfach neue dazukommen. Elisabeth: Ja, es kommt ja sogar schon darauf an, in welchen Kindergarten du gehst. Iris: Und gerade der Übergang zwischen Volksschule und Hauptschule oder AHS-Unterstufe determiniert ganz stark, wo man später einmal landen wird und ob man ein Studium anfängt oder nicht. Elisabeth: Im Hochschulsektor geht es dann nicht nur um die Zulassungsmodi. Wir müssten uns eigentlich überlegen, wie wir sozial Schwächere auffangen. Unser bildungspolitischer Auftrag ist aber ein anderer, nämlich alle bestmöglich für die Wirtschaft auszubilden. Da besteht ein Spannungsverhältnis. Iris: Da widerspreche ich. Ich glaube es ist ein Auftrag von Hochschulen, Studierende auf das Arbeitsleben vorzubereiten aber ich glaube auch, dass Hochschulen eine soziale Verantwortung haben und sich bewusst werden müssen, dass sie eine Studierendenschaft haben, die sehr divers ist. Und sie haben auch eine Verantwortung, gerade jene mit weniger privilegiertem Hintergrund genauso zum Abschluss zu bringen.

Studienanfang stehen. Und die bezeichnen den Studieneingang als ganz schwierige Phase, teilweise als Schock oder Trauma. Und da war ein ganz wesentlicher Punkt, dass sie diese Anonymität auf der Universität, gerade nach dem Übergang aus der Schule, als extrem schmerzhaft erfahren haben. Dass man da keinen Kontakt zu Personen hat, dass man eine Nummer ist, dass es im Wesentlichen allen egal ist, was man tut. Und da hat sich ganz klar gezeigt, dass das Studierende mit bildungsfernem Hintergrund viel massiver trifft. Deswegen ist eine gar nicht so schwere Ableitung, dass man den Studienanfang weniger anonym gestalten müsste.

Was sind denn mögliche politische Ableitungen, um mehr soziale Durchlässigkeit zu erreichen?

Eva: Und die Entdichtung des Curriculums, damit wir mit einer Art Teilzeitstudium die Studienzeit verlängern können. Das kann glaube ich vielen Menschen helfen. Einfach zu sagen: Ok, ich muss jetzt nicht 30 ECTS in einem Semester schaffen.

Iris: Ich habe Interviews geführt mit Studierenden, die am

Elisabeth: Wir haben am Ende auf der FH auch zwei Ba-

chelorarbeiten, nicht nur eine. Das führt dazu, dass bei uns der Leistungsdruck nochmal kumuliert am Ende ist. Wir fangen mit einer recht guten sozialen Durchlässigkeit an und enden dann in unseren AbsolventInnenzahlen andersherum.

Elisabeth Springler ist Studiengangsleiterin an der FH des bfi in Wien. Eva Schiessl ist in der Geschäftsführung der FH des bfi in Wien. In den Papers der beiden geht es um den Beitrag des österreichischen Fachhochschulsektors zur Durchlässigkeit am tertiären

Iris: Das zeigt sich auch auf der Uni. Da gibt es viele Studierende, denen nur mehr eine Prüfung oder die Abschlussarbeit fehlt, diese aber dann nie zu Ende bringen. Ich glaube, dass das ein Auftrag ist an die Hochschulen, dass man diese Studierenden identifiziert. Wenn man draufkommt, die sind eigentlich fertig mit dem Studium, nur die Abschlussarbeit kommt nicht daher seit zwei Jahren, da kann´s dann schon reichen, mal eine Mail zu schreiben. „Wie schaut´s aus, geht´s dir gut? Kann man dich unterstützen?“ Man muss auch den Blick darauf schärfen, dass man die Leute nicht verliert, nur weil niemandem auffällt, dass sie nicht mehr da sind.

Bildungssektor.

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