Momentum15: Kritik, Donnerstag

Page 1

1

Der Tag

Zeitung zum Kongress

15

Kritik


15

Kritik

Willkommen bei Momentum15! Auch heuer ringen wieder 300 TeilnehmerInnen im UNESCO-Weltkulturerbeort Hallstatt um das beste Argument. Die Kongresszeitung derMoment wird das Leben am Kongress begleiten und dabei auch den ein oder anderen Einblick rund um Hallstatt bieten. Das Programm der nächsten Tage: DONNERSTAG, 22. 10. 2015 14:00 Pre-Conference Workshops 18:30 Eröffnung von Momentum15: Kritik Keynote von Anatol Stefanowitsch „Kritische Sprache und Kritik von Sprache“ ab 20:30

FREITAG, 23. 10. 2015

SAMSTAG, 24. 10. 2015

SONNTAG, 25. 10. 2015

09:00 – 12:00 Track Session I

09:00 – 12:00 Track Session III

ab 9:30

14:00 – 18:00 Track Session II

14:00 – 16:00 Track Session IV

Frühstück

19:00 – 20:30

16:00 Kaffeepause

10:30 – 11:30

Konzert von Christoph & Lollo

16:30 Tracks; Concluding Session

Abschlussmatinee mit Robert Misik

„Das ist Rock’n’Roll“

19:00 – 20:30 Ideenforum

„KAPUTTALISMUS“

ab 20:30

ab 20:30

ab 11:30

Abendessen im Kongresshaus

Abendessen im Kongresshaus

Feedbackrunde, Schlussworte und

ab 21:30

Ausblick 2016

Buffet und Musik im Kongresshaus

Cocktails und Party im Kongresshaus

Brechen mit alten Strukturen Anatol Stefanowitsch lehrt Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin und forscht zu sprachlicher Diskriminierung. derMoment: Funktioniert die Beteiligung an der Gesellschaft tatsächlich vor allem über die Sprache? Anatol Stefanowitsch: Natürlich. Ohne Sprache gibt es keine Gesellschaft: Wir verwenden Sprache, um die Regeln zu formulieren, nach denen unsere Gesellschaften funktionieren; wir verwenden Sprache, um miteinander die Zukunft unserer Gesellschaften auszuhandeln. Wer die Sprache einer Gesellschaft nicht beherrscht, kann mit etwas Glück ein Bier bestellen, aber keinesfalls am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Tatsächlich können wir ohne Sprache nicht einmal Zweisamkeit herstellen.

Handeln Eltern, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, also unverantwortlich, wenn sie mit ihren Kindern zu Hause eine andere Sprache sprechen? Nein, denn Kinder können problemlos zwei, drei oder mehr Sprachen nebeinander erwerben. Sie können zu Hause die Sprache ihrer Eltern sprechen und Deutsch im Kindergarten, in der Schule und auf der Straße lernen. Eltern würden erst dann unverantwortlich handeln, wenn sie ihre Kinder aktiv von der Sprache der umgebenden Gesellschaft fernhalten. Zahlt es sich aus, sich intensiv mit der Bildung neuer Begriffe auseinanderzusetzen und dis-

IMPRESSUM: Momentum - Verein für kritische Wissenschaft und Politik Redaktion: Flora Eder (FE), Anna Ellmer (AE), Vanessa Gaigg (VG), Johanna Griesmayr (JG), Amina Lehner (AL) Layout: Susi Aichinger, Fotos: Org-Team, Clemens Sauerwein

kriminierende Ausdrücke aufzudecken? Einerseits haben wir natürlich die Möglichkeit, über unsere Sprache zu reflektieren, sie sozusagen aus der Distanz zu betrachten. Wir können das, was wir hören, gedanklich umformulieren und ein großer Teil unseres Denkens funktioniert ganz ohne Sprache. Insofern kann Sprache unser Denken nicht determinieren. Andererseits läuft Sprachverarbeitung meistens unbewusst und automatisch ab, wir hinterfragen also tatsächlich die Perspektive nicht, die in einer bestimmten Formulierung steckt. Kann Sprache das Denken und die gesellschaftliche Realität


15

Kritik

wirklich in so großem Maße beeinflussen? Wenn wir zum Beispiel das Wort Terrorist hören, weckt das andere Assoziationen als das Wort Freiheitskämpfer, auch wenn wir bei genauerem Nachdenken erkennen, dass beide Wörter je nach Blickwinkel dieselbe Person beschreiben können. So ist es auch mit diskriminierender Sprache: Sie ruft bestimmte Assoziationen hervor, die durch ständige Wiederholung auch unsere Vorstellungen über die so bezeichnete Gruppe prägen, und damit auch unseren Umgang mit ihr. Sie setzen sich dabei unter anderem mit der Entstehung von euphemistischen Begriffen wie „Asylkritik“ oder „besorgte Mitte“ auseinander. Wo liegt die Gefahr bei der Verwendung derartiger Begriffe? Diese Wörter vermitteln unbewusst eine bestimmte Perspektive. Im Fall von „Asylkritik“ zum Beispiel, dass es sich um eine rationale Position handelt, über die man zumindest diskutieren kann. Wenn das Wort verwendet wird, um Menschen zu bezeichnen, die sich vor Flüchtlingsheime stellen und Hassparolen skandieren, verdeckt man damit die irrationalen Ressentiments, die hinter diesem Verhalten stehen. Political Correctness avancierte zuerst im US-amerikanischen Raum, später auch im Deutschsprachigen, zu einem politischen Kampfbegriff. Warum wird „PC“ fast ausschließlich von Konservativen und Rechten kritisiert? Wie kam es dazu, dass ein Instrument zur

Regulierung von Sprache auf dem politischen Programm der Linken landete? Zum einen ist gerechte Sprache, was auch immer man von ihren einzelnen Ausprägungen halten mag, inhärent progressiv: Es handelt sich oft um neue Formen, die bewusst mit dem althergebrachten Wortschatz und mit jahrhundertealten grammatischen Strukturen brechen. Das kann Konservativen nicht gefallen. Zum anderen ist die Idee der Gleichwertigkeit aller Menschen etwas, das viele Konservative schlicht nicht verstehen. Sie sind derart fest in Fiktionen von Heimat, von Tradition, von einer natürlichen Ordnung verhaftet, dass sie keinen Blickwinkel außer ihrem eigenen einnehmen können. Deshalb erscheint ihnen gerechte Sprache im besten Falle befremdlich, im schlimsten Falle bedrohlich. Was ist gutes Sprechen? Das ist die Eine-Million-EuroFrage. Wir haben eine lange Ideengeschichte von moralphilosophischen Theorien guten Handelns, aber was gutes Sprechen ist, darüber haben wir bislang auf einer allgemeineren Ebene nur wenig nachgedacht. Als Ausgangspunkt für ein solches Nachdenken könnte man vielleicht die goldene Regel auf die Kommunikation übertragen: Rede über andere so, wie du willst, dass sie über dich reden. Mit dieser Regel wäre schon viel gewonnen. Aber die Sache ist sehr viel komplizierter, denn Reden findet unter Bedingungen einer sehr ungleichen Machtverteilung statt, und diese Machtverteilung ist an vielen

Foto: Ben Stefanowitsch

Stellen fast untrennbar mit den Strukturen unserer Sprache verwachsen.

Anatol

Stefanowitsch

gründe-

te 2007 den ersten deutschen Sprachwissenschaftsblog und betreibt heute gemeinsam mit ande-

Beinhaltet Political Correctness die Gefahr, euphemistische Bezeichnungen zu kreieren?

ren

Sprachwissenschaftlerinnen

den Blog „www.sprachlog.de“. Die AutorInnen des „sprachlogs“ schreiben über sich selber: „Im

Bei gerechter Sprache muss es immer darum gehen, diskriminierende Bedeutungen und Strukturen zu identifizieren und durch nicht-wertende Beschreibungen zu ersetzen. Es darf aber nicht der Versuch gemacht werden, verklärende Bezeichnungen zu finden, die eher dazu dienen, dass die Nicht-Betroffenen sich besser fühlen. Sonst kommen Formulierungen heraus wie „Menschen mit besonderen Fähigkeiten“. Die Formulierung wird von den so bezeichneten Menschen mit Behinderungen generell abgelehnt und dient nur dazu, dass die Gesellschaft nicht mehr darüber nachdenken muss, wie die Barrieren, die es für Menschen mit Behinderungen überall gibt, abgebaut werden können. (VG)

Sprachlog schreiben Linguistinnen und Linguisten über Sprache und Sprachen, und über das Sprechen über Sprache – lehrreich, unterhaltsam,

leidenschaftlich,

fachkundig und immer mit Style.“

SEITE 3


15

Kritik

Rätselspaß: Kritik Den ersten drei, die die den korrekten Lösungen für akRed Rätselspaß beim nt tionsteam von derMome ise! Pre e toll ken win abliefern, g sta Annahmeschluss: Sam g! Vormitta

1. Theodor und Max begründeten diese Schule nicht, um uns dort die Praxis des (Wiener) Würstelseins zu lehren, ganz im Gegenteil! 2. Sport: Rote Karte für Kritik. Denn ihre Entscheidungen sind Tatsachenentscheidungen. 3. Mit den richtigen Pneus unterwegs zu kulinarischen Sternen 4. Wird’s jetzt kritisch? Oder „ist das wieder so ne ...?“, fragen die Lassie Singers unisono mit besorgten Eltern. Geht doch auch beides gleichzeitig! 5. „Die Refugee-Bewegung ist die Bewegung des 21.Jahrhunderts,“ sagte eine, die abgesehen vom Vornamen eher wenig mit der deutschen Kanzlerin teilt. Wir kennen sie für Knastkritik, kommunistische Umtriebe und radikalen Feminismus. (gesucht: Nachname) 6. Ganz aktuell: Rechte gegen Menschenrechte oder Euphemismus für Rassismus. Denn:„Das wird man ja wohl nochsagen dürfen, dass das Boot voll ist.“ 7. Schenkt man den Namen von Papst Marcel (Antwort 7) und Päpstin Elke (Antwort 8) Glauben, ist Literaturkritik nur was für Reich(e). 8. Schenkt man den Namen von Papst Marcel (Antwort 7) und Päpstin Elke (Antwort 8) Glauben, ist Literaturkritik nur was fürReich(e). 9. Spieltheoretisch Fahrradfahren für Veränderung? (englisch, 2 Wörter) 10. “When a man gives his opinion, he‘s a man. When a woman gives her opinion, she‘s a bitch,” stellte die Hollywoodschauspielerin fest,

deren Augen Kim Carnes in ihrem 80er-Jahre-Nummer-1-Hit besang. Nachnamensvetterin von Frage 5 (gesucht Vorname) 11. Des Folkmusikers Apell an Eltern in sich ändernden Zeiten:„Don’t criticize what you can’t understand“. (2 Wörter) 12. Seine drei Kritiken gelten als Startschuss der modernen Philosophie. 13. „Man kann sich ja auch mal irren“, sagte der Sir und begründete den Kritischen Rationalismus. (2 Wörter) 14. „Kritik. Muss man üben“, hat der nihilistische Neinsager gezwitschert. (2 Wörter) 15. Spöttisch lachend kritisieren. Ob die das mit oder ohne Einschränkung darf – darüber wird immer wieder mal gern gestritten. 16. „Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche.“ Das hat kein Blumenkind geschrieben, sondern dieser dialektische Materialist. (gesucht: Nachname) 17. Feedbacktechnik aus dem Rhetorik-Zauberkasten: Kritik als leicht verdaulicher Imbiss? 18. Postkoloniale Infragestellung von Bleichgesichtern als unmarkierte Norm. (Englisch, 2 Wörter)

SEITE 4


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.