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Der Tag
Zeitung zum Kongress
Emanzipation
Emanzipation
Das beste Argument Auf gleicher Augenhöhe ringen heuer wieder knapp 300 TeilnehmerInnen um Ideen und Konzepte zur Entwicklung einer emanzipierten Gesellschaft.
Mittlerweile zum siebten Mal versammeln sich Interessierte aus Wissenschaft und Forschung, Politik und Praxis in Hallstatt, um gemeinsam an der Idee einer besseren, gerechteren und heuer besonders: Einer emanzipierten Gesellschaft zu arbeiten. Wenn dabei Studierende, WissenschafterInnen, Arbeitende aus dem Kultur- oder
Sozialbereich und politische AktivistInnen aufeinandertreffen, enstehen nicht nur Diskussionsfelder, die sich im alltäglichen Leben meist nicht auftun, sondern werden oft Grundsteine für eine weitere Zusammenarbeit über den Kongress hinaus gelegt. Hallstatt als Kongressort wurde vom Organisationsteam dabei nicht zufällig gewählt: Der UNESCO-Weltkulturerbeort stößt zwar jedes Jahr auf’s Neue an die Grenzen seiner Kapazitäten, um den Momentum-Kongress fassen zu können, bietet jedoch eine Atmosphäre, die Möglichkeiten zum Forschen und Diskutieren abseits des hektischen Alltags mit seinen Sachzwängen schafft. Und nicht umsonst kommen besonders viele kriti-
sche Köpfe aus dieser Region des Salzkammerguts. Beste Voraussetzungen also, um Thesen und Konzepte gegen den neoliberalen Mainstream zu entwickeln. Einer der wesentlichen Unterschiede zu anderen wissenschaftlichen Kongressen bleibt seit sieben Jahren der Gleiche: Was zählen soll, ist nicht der Titel oder akademische Grad der TeilnehmerInnen, sondern das beste Argument. Die Kongresszeitung derMoment wird dabei das Leben am Kongress begleiten und die eine oder andere Hintergrundinformation zum Geschehen liefern. Für die zeitnahsten Informationen bitte die Twitterwall im Kongresshaus beachten. Insofern: Willkommen bei Momentum14! (VG)
Das Programm Auf Momentum14 wird ein abwechslungsreiches Programm mit einer Mischung aus Diskussion, Workshop und Performance und Party geboten. Hier ein kleiner Überblick über die kommenden Tage: DONNERSTAG, 16. 10. 2014
FREITAG, 17. 10. 2014
SAMSTAG, 18. 10. 2014
SONNTAG, 19. 10. 2014
14:00
9:00
9:00
9:30
Pre-Conference Workshops
Diskussionen in den Tracks
Diskussionen in den Tracks
Frühstück im Kongresshaus
19:00
16:00 Kaffeepause
10:30
18:30 Eröffnung
von
„Momentum14:
Performance: von Monika Klengel
16:30 Tracks; Concluding Session
Abschlussmatineé mit
Emanzipation“ mit Kathrin Hart-
ab 20:30
19:00 Ideenforum
Klaus Werner-Lobo
mann
Abendessen im Kongresshaus
ab 20:30
11:30
Abendessen im Kongresshaus
Schlussworte und Ausblick
ab 20:30 Buffet und Musik im Kongresshaus
ab 21:30 Cocktails und Party im Kongresshaus
IMPRESSUM: Momentum - Verein für kritische Wissenschaft und Politik Redaktion: Theresa Aigner (TA), Anna Ellmer (AE), Vanessa Gaigg (VG), Bettina mühleder (BM) Layout: Susi Aichinger, Fotos: Org-Team, Clemens Sauerwein
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„Wir müssen Reichtum bekämpfen“ In ihrem Buch „Wir müssen leider draußen bleiben – Die neue Armut in der Konsumgesellschaft“ geht Kathrin Hartmann der Frage nach, warum es nur einem immer kleineren Teil der Gesellschaft vorbehalten ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Momentum: Sie beschreiben in ihrem Buch, dass Armut zunehmend als selbstverschuldeter Zustand wahrgenommen wird und die Solidarität mit den Betroffenen immer geringer wird. Welche Umstände haben dazu geführt? Kathrin Hartmann: Das ist eine direkte Folge der neoliberalen Politik, die in den 90ern der Gesellschaft vermittelt hat, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss. Mit der damals postulierten Eigenverantwortung gingen auch die Privatisierung öffentlicher Leistungen und eine Beschneidung der Arbeitnehmerrechte einher. Es hieß, dass wir uns die angeblich überbordenden Sozialsysteme nicht mehr leisten können. Das hat dazu geführt, dass die Mittelschicht Angst bekommen hat, zu jenen zu gehören, die abstiegsgefährdet sind. Indem man sie als „Leistungsträger“ tituliert hat, wurde eine vermeintliche Selbstversicherung geschaffen, die besagt: „Wer wirklich leistet, dem kann so was nicht passieren“. Deswegen tritt die Mittelschicht nach unten. Wann ist die Diffamierung der Armen salonfähig geworden? In Deutschland passierte das vor allem durch die Einfüh-
rung der Agenda 2010. Indem unser damaliger, sogenannter Sozialdemokrat und Bundeskanzler (Gerhard Schröder, Anm.) deren Vorstellung mit einer Diffamierungskampagne gegen Armut verbunden hat. Er hat damals gesagt: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“. Damit unterstellt er, dass diejenigen, die keine Arbeit haben, finden oder von ihrer Arbeit nicht leben können, selber schuld und faul sind. Das ist jetzt schon einige Jahre her. Wie konnte sich diese Sichtweise weiter etablieren? Danach habe ich beobachtet, dass diese Sichtweise in den Mainstream übergegangen ist und dazu haben auch die sogenannten seriösen Medien stark beigetragen. Was bösartig und ordinär formuliert in der „BILD“-Zeitung steht, war genauso bösartig, nur mit schöneren Worten versehen, plötzlich auch in der „Zeit“ oder in der „FAZ“ zu lesen. Da habe ich eine Verrohung und intellektuelle Verwahrlosung des Bürgertums und der Mittelschicht festgestellt, die auch vor den Medien nicht Halt gemacht hat. Sie haben den Profiteuren nach dem Mund geschrieben und so die gesellschaftliche Spaltung und Entsolidarisierung weiter befeuert.
Warum kann sich der Mythos der Leistungsgesellschaft überhaupt so hartnäckig halten?
Kathrin Hartmann ist Journalistin und Buchautorin, sie lebt und arbeitet in München. In ihrem erstes Buch „Ende der Märchenstunde - wie Industrie die
Auch das ist ein Verdienst der Mainstream-Medien. Wenn dort Arme oder Langzeitarbeitslose vorkommen, dann geht es nicht um die Lebensrealität dieser Menschen, sondern sie werden über einen Kamm geschoren und als diejenigen dargestellt, die wir uns nicht mehr leisten können. Deswegen funktionieren ja auch „Hurra-Botschaften“, dass die Arbeitslosenzahl gesunken sei, so gut. Obwohl das totaler Quatsch ist. Denn dieses permanent beschworene Jobwunder hat allein damit zu tun, dass ein unglaublich menschenrechtsverletzender und entrechtender Niedriglohnsektor geschaffen wurde, der Deutschland zu einem Exportvorteil verhilft und andere europäische Länder in die Armut stürzt. Gleichzeitig müssen aber eine ganze Menge Menschen bei der Stange gehalten werden. Und so wird die Angst vor Diffamierung dazu genutzt, eine Drohkulisse für all jene zu errichten, die vom Abstieg bedroht sind.
Lifestyle-Ökos und Lohas vereinnahmt“ geht Hartmann der Frage nach, ob Menschen die sich durch vermeintlich ethisches Konsumverhalten ein besseres Gewissen erkaufen, die Welt tatsächlich besser machen. Ihr neues Buch trägt den Titel „Wir müssen leider draußen bleiben die neue Armut in der Konsumgesellschaft“.
Müsste nicht insbesondere in der Mittelschicht ein Bewusstsein für diese Spaltung SEITE 3
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und Entsolidarisierung geschaffen werden, um einem selbstbestimmten Leben näher zu kommen? Ein wesentliches Problem ist, dass dieser emanzipative Gedanke in der Diskussion gar nicht existiert. Dass Armut das Gegenteil von einem selbstbestimmten Leben ist, das kommt nicht vor. Auch die Mittelschicht, die sich an ihre Jobs klammert und sich alle möglichen Frechheiten, etwa Lohnkürzungen, gefallen lässt, lebt nicht selbstbestimmt. Das gelingt nur mehr einer sehr kleinen Schicht, die über Macht, Geld und Einfluss verfügt. Deshalb müssen wir Reichtum viel stärker hinterfragen. Braucht es nicht auch andere Mittel – solche, die über klassische Umverteilungsinstrumente wie etwa die Besteuerung von Vermögen hinausgehen? Es muss natürlich darüber hinaus etwas geschehen. Aber solange nicht anerkannt wird, dass Reichtum und Armut zwei Seiten derselben Medaille sind, wird sich langfristig nichts ändern. Das Gegenteil passiert. Armut wird abgekoppelt von Reichtum diskutiert, es wird nach sogenannten „Lösungen“ gesucht und dann kommen so wahnwitzige Sachen wie die Tafeln (dabei werden überschüssige Lebensmittel an Bedürftige abgegeben, Anm.) ins Spiel.
Die Leute sind gerne bereit, solche einfachen, pragmatischen Lösungen zu akzeptieren – die aber in Wirklichkeit die Strukturen verhärten, anstatt sie in Frage zu stellen. Es gibt eine Weigerung seitens der Mittelschicht anzuerkennen, dass Reichtum ein Problem für uns alle ist. Dass wir Reichtum bekämpfen müssen, denn Reichtum ist immer auf Kosten anderer zustande gekommen. Wenn wir das nicht einsehen, ist es schwierig, überhaupt auf einen Gerechtigkeitsbegriff oder zu einer solidarischen Idee davon, wie wir miteinander leben wollen, zu kommen. Wo soll man nach den emanzipatorischen Kräften suchen, die das einfordern? Im Grunde wären das Institutionen wie die Gewerkschaft. Aber die vertreten inzwischen auch nicht mehr so viele Menschen und es sind insgesamt viel mehr Akteure am Start. Deshalb wird es immer schwieriger. Und sehr viel mehr Akteure tun genau das Gegenteil. Da haben wir die Philantrokapitalisten und Stiftungen, Stichwort: Bill Gates Stiftung. Leute, die ein unfassbares Vermögen angesammelt haben und sich jetzt als Weltretter aufspielen. Das sind Figuren, die durch Geld sehr viel Macht und auch Möglichkeiten, sich darzustellen, haben. Deswegen ist eine wichtige Frage: Wer stellt hier die Gegenöffentlichkeit?
Foto: Privat
Und wer stellt sie? Es gibt Organisationen wie Attac, die Teil davon sind. Aber letztlich kommt es darauf an, dass Bündnisse entstehen, dass möglichst viele Menschen in unterschiedlichen Bereichen mobilisiert werden. Es ist ja nicht hoffnungslos – wenn man daran denkt, dass es eine erfolgreiche Bürgerinitiative gegen die Wasser-Privatisierung gegeben hat oder an den aktuellen Versuch, eine Bürgerinitiative gegen das TTIP-Abkommen auf die Beine zu stellen. Aber die Gegenakteure sind sehr mächtig, da sollten wir uns nichts vormachen. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Macht verstehen und uns gegen sie wehren. (TA)
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