sam. Sachsen-Anhalt-Magazin, Ausgabe November 2009

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BERICHTE AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

Hart im Nehmen Wunderhelm von Formel-1-Pilot Felipe Massa kommt aus Sachsen-Anhalt Seite 20

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Aus meiner Sicht

es gab da kürzlich ein Erlebnis auf einer Reise quer durch Sach-

Der Titel des Magazins ist dabei durchaus Programm. Sachsen-

sen-Anhalt. Ein Journalist aus Nordrhein-Westfalen saß neben

Anhalt, seine wirtschaftliche Entwicklung und die Menschen, die

mir im Bus - gerade hatten wir die Lutherstadt Wittenberg, Bern-

diese Prozesse gestalten, stehen im Mittelpunkt des Sachsen-

burg und Köthen hinter uns gelassen - und schwärmte gerade-

Anhalt-Magazins. Und ich bin davon überzeugt, dass es zwischen

zu von diesen Städten, ihren Menschen mit ihren Ideen und den

A wie Arendsee und Z wie Zeitz viel mehr zu entdecken gibt, als

Veränderungen der vergangenen zwanzig Jahre. „Das wird mir

wir Macher des Magazins heute ahnen.

keiner glauben,“ sagte er mit einem fast melancholischen Blick aus dem Fenster in die herbstlich gefärbte Landschaft, „dass hier

Schon bei unseren ersten Recherchen sind wir so vielen Men-

so viel passiert. Das weiß ja keiner.“

schen begegnet, die ohne viel Worte um ihre eigene Person mutig, ideenreich und engagiert dabei sind, neue Wege zu gehen. Eini-

Spätestens hier wusste ich es wieder, dass es wohl - bei aller Be-

gen davon werden Sie in diesem Heft begegnen.

scheidenheit - nötig ist, immer wieder, immer wieder neu und immer wieder anders über Sachsen-Anhalt zu reden.

Ich lade Sie ein, mit diesen Menschen Bekanntschaft zu schließen, einen neugierigen Blick hinter die Kulissen zu werfen und

So will unser neues Magazin da weitermachen, wo andere meist

so Sachsen-Anhalt besser kennen zu lernen.

aufhören: bei Zusammenhängen, Hintergründen und vor allem diesen interessanten Geschichten, die aus subjektiv ausgestreuten Puzzle-Teilen erst ein objektives Gesamtbild entstehen lassen. Ich möchte, dass Sie neugierig werden auf dieses Bundesland und diese unbändige Lust verspüren, sich Ihre Meinung selbst zu bilden.

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Und erzählen Sie‘s später auch weiter. Damit es jeder weiß.

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In diesem Heft

Interview Im Gespräch mit Prof. Dr. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank……….................6

Logistik An das Ost-Kreuz Europas Transportdienstleister Wolter Koops fährt von Magdeburg aus in die Welt..................10 Tourismus Mit Wein das Brot verdienen „Saale-Unstrut“ ist für Winzerpaar Frölich eine Marke mit Verpflichtung...................14 Motorsport Hart im Nehmen In jedem Helm von Schuberth steckt ein Stückchen Formel 1.................................20 Biotechnologie Erfolgreich geimpft IDT Biologika ist Spitze bei Herstellung von Impfstoffen und Pharmazeutika………........…….....23

„Für den Forschungsstandort sollte sich das Kämpfen lohnen“

Seite 6

„Weder alter Stolz noch Subvention bewahren vor Rezession oder Herausforderungen durch neue Konkurrenten“, äußert Norbert Walter im Interview mit dem Sachsen-Anhalt-Magazin. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank sieht dagegen für flexible Unternehmen mit einer speziellen Marktausrichtung gute Chancen, die Probleme der weltweiten Wirtschaftskrise erfolgreich zu meistern. Als möglichen Ansatzpunkt nennt er zum Beispiel die zielgerichtete Entwicklung von Produkten, mit denen die Energieeffizienz gesteigert werden kann.

Medienwirtschaft Bunte Träume in Serie Von Halle aus erobern Trickfilme und ihre Macher die Welt..............………………….….........26 Chemieindustrie Sonnenschein aus Abfall BNT Chemicals nutzt Vorteile des ChemieParks Bitterfeld...............…………………...........32 Geschichte Dreieinhalb Steinwürfe durch die Ewigkeit Erkundungen im ehemaligen Grenzgebiet......36

„Saale-Unstrut“ ist für das Winzerpaar Frölich eine Marke mit Verpflichtung

Seite 14

Heute erstreckt sich das Saale-Unstrut-Qualitätswein-Anbaugebiet über Flächen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg und umfasst insgesamt 684 Hektar bestockte Rebflächen. In Sachsen-Anhalt leben inzwischen 25 Winzerfamilien wie die Frölichs im Haupterwerb vom Weinanbau.


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Fahrzeugbau Mit der Kraft des Doppelherzens In Stendal verleiht Alstom alten Lokomotiven neue Puste……………………..…..............40 Kultur Der Erzbischof wollte es französisch Gotik-Landesausstellung in Magdeburg….........42

Forschung Zwergenaufstand mit viel Energie Modellregion Dardesheim………..............................46

Impressum:

Bunte Träume in Serie

Seite 26

„Platz für gute Leute ist immer. Und was zu tun gibt es auch.“ Schon diese unorthodoxe Stellenausschreibung lässt ahnen: Bei der halleschen Firma MotionWorks hält man sich nicht lange mit Krisen auf. Hier werden digitale Träume produziert. Und zwar in Serie.

HERAUSGEBER SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Geschäftsführer: Michael Scholz, Wolfgang Preuß KONTAKT SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Schilfbreite 3, 39120 Magdeburg Tel. 0391 63136-45, Fax 0391 63136-47 info@st-magazin.de www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de

Auf Spurensuche

Seite 36

Zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall hat die deutsche Gegenwart die deutsch-deutsche Vergangenheit vielfach aus dem Bewusstsein verdrängt. Alles ist so, als ob es nie anders gewesen wäre: Sommersdorf und Hohnsleben liegen noch immer gut dreieinhalb Steinwürfe voneinander entfernt – der eine Ort in Sachsen-Anhalt, der andere in Niedersachsen.

REDAKTIONSLEITUNG Ute Semkat redaktion@st-magazin.de ANZEIGEN Ralf Harms Tel. 03943 5424-27 anzeigen@st-magazin.de FOTOGRAFIE Michael Uhlmann DRUCK Harzdruckerei GmbH Wernigerode Schutzgebühr: 4,00 EUR Das Sachsen-Anhalt-Magazin erscheint vierteljährlich. Das Magazin und alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit schriftlicher Genehmigung und Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keinerlei Gewähr übernommen. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. 1. Jahrgang 2009 ISSN 1868-9639

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Interview

„Für den Forschungsstandort Sachsen-Anhalt sollte sich das Kämpfen lohnen“ Im Gespräch mit dem Sachsen-Anhalt-Magazin ermuntert Deutsche Bank-Chefvolkswirt Prof. Dr. Norbert Walter ostdeutsche Unternehmen zu Flexibilität und Selbstbewusstsein

Zunächst eine persönliche Frage: Seit Monaten hören die Bürger,

Wenn Sie in der Kreditabteilung einer Bank sitzen würden, wür-

sie sollen viel konsumieren, damit der Aufschwung in Gang

den Sie einem Unternehmer in der jetzigen Zeit einen Kredit für

kommt. Was haben Sie sich zuletzt Schönes gekauft?

eine Investition gewähren?

Norbert Walter: Die Bürger sind nicht für die Konjunktur zuständig.

Norbert Walter: Es ist offenkundig, dass es im Interesse von

Ihre Entscheidungen sollten ihren Bedürfnissen und ihren finanzi-

Banken liegt, Kredite zu geben. Dies ist neben der Anlage-

ellen Möglichkeiten entsprechen. Dass seit Sommer 2007 der Boom

beratung eine der wichtigsten Funktionen, die wir Banken

in der Weltwirtschaft vorbei ist und jeder spontane Kauf durch In-

wahrzunehmen haben. In der jetzigen Krise ist es sehr schwer

vestoren und Konsumenten willkommen wäre, soll nicht bestritten

geworden, Finanzmarktgeschäfte, die für Banken Provisions-

werden. Viele Güter und auch Dienstleistungen werden derzeitig

einnahmen ermöglichen, im bisherigen Umfang fortzufüh-

günstig angeboten. So etwa muss ein deutscher Bürger heute

ren, vor allem die komplexeren Geschäfte. Deshalb drängeln

einen weniger als halb so hohen Anteil seines Einkommens zur

sich jetzt mehr Banken im traditionellen kommerziellen Bank-

Kreditbedienung für ein Eigenheim ausgeben als 1995. Trotzdem

geschäft. Dennoch ist es freilich so, dass nach den verlust-

werden derzeit weniger neue Häuser gebaut als jemals zuvor in der

reichen Jahren, die hinter vielen Banken liegen, die Sorgfalt

Nachkriegsgeschichte. Auch die Autoverkäufer umwerben die Kun-

größer denn je ist, keine neuen verlustbringenden Geschäfte

den mit Rabatten und gutem Service wie kaum je einmal. Da aber

abzuschließen. Da eine Reihe von Wirtschaftssektoren dra-

die Beschäftigungs- und Lohnperspektiven ungünstig sind, scheu-

matisch gelitten hat – zum Beispiel die Autoindustrie und der

en sich viele Verbraucher, von solch günstigen Angeboten Gebrauch

Schiffbau – und viele Unternehmen von Absatzmangel be-

zu machen.

troffen und zum Teil vom Konkurs bedroht sind, sind Banken

Ich selbst habe in den letzten Jahren aus Zeitmangel ganz wenig

in einigen Fällen bei der Kreditvergabe zurückhaltend und/

gekauft. Vieles im Haus, im Schrank und in der Garage ist höchst

oder verlangen in solchen Fällen entsprechende Sicherhei-

überfällig. Aber nach meinem Ausscheiden aus der Bank wird das

ten oder vereinbaren Risikozuschläge bei den Kreditzinsen.

anders.

Also, um Ihre Frage zu beantworten: Ich würde wie jeder gute Berater zukunftsorientierte Projekte unterstützen. Aber

Kein neues Auto mit der Abwrackprämie?

es macht allerdings keinen Sinn, Investitionen zu finanzieren, die eine Pleite nur verzögern.

Norbert Walter: Nein, kein neues Auto in 2009. Obwohl ein ausrei-

Das hilft niemandem, besonders nicht den Beschäftigten,

chend altes Auto da ist. Zeitmangel stand auch hier im Wege. Oder

denen unhaltbare Perspektiven vorgegaukelt werden.

vielleicht war es auch so, dass meine Frau das Auto viel zu sehr liebte, als dass sie es für die Schrottpresse hätte freigeben wollen.

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Interview

Jetzt hört man oft das Wort „Kreditklemme“. Fällt der Mittelstand im Moment bei den Banken hinten runter? Norbert Walter: Die Kreditvergabe ist derzeit sehr differenziert zu beurteilen. Die massive Investitionszurückhaltung hat zur Schwäche der Kreditnachfrage geführt. Gleiches gilt für Konsumentenkredite und für Baukredite. Solvente Firmenkunden mit guten Sicherheiten erhalten weiterhin problemlos und preisgünstig Kredit. Großkredite sind wegen der Klumpenrisiken und der nach wie vor nicht wiederhergestellten Vertrauensgrundlage zwischen den Finanzinstitutionen recht schwierig. Sektoren mit dramatischem Rückgang ihrer Kapazitätsauslastung - wie etwa Lastwagenproduzenten und ihre Zulieferer – haben tatsächlich Probleme, derzeit Kredite zu erhalten. Vor der Krise wurde die vergleichsweise geringe Exportquote ostdeutscher Unternehmen als Nachteil kritisiert. Jetzt erscheint sie als Vorteil, weil die Firmen weniger abhängig von den globalen Märkten sind. Was empfehlen Sie Unternehmen? Wohin sollte der Blick gehen? Norbert Walter: Es gibt für Unternehmen kein Patentrezept.

Fallen Ihnen auf Anhieb Wirtschaftsunternehmen in Sachsen-

Für oder gegen das Wetter zu sein, das macht auch keinen

Anhalt ein?

Sinn. Ein Friseur hat eine lokale Kundschaft, aber der Hersteller eines höchst spezialisierten Produkts, bei dem Werbungs-

Norbert Walter: Aber natürlich. Und ich bin mit ihnen auch schon

und Transportkosten keine Rolle spielen, sollte eher weltweit

lange verbunden. Da ist nicht nur Q-Cells in Thalheim. Auch

als lokal anbieten. Viele deutsche Produkte haben einen

das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle kommt mir in

Weltmarkt und sollten deshalb dort angeboten werden.

den Sinn. Mit all seinen Chefs – Herrn Wegener, Herrn Pohl und

Dass es dann, wenn es der Weltwirtschaft schlecht geht, für

Herrn Blum – habe ich gute und freundschaftliche Beziehungen.

die deutschen Hersteller eine Krise gibt, ist kein Anlass, die Unternehmensstrategie zu ändern. Was man braucht, sind

In den ostdeutschen Ländern fehlen Konzernzentralen. Kann sich

finanzielle Polster und rasche Reaktionsmöglichkeiten, um

ein Land mit diesem Manko dauerhaft gut entwickeln?

mit der Krise umzugehen. Da die deutschen Unternehmen vor allem Stärke bei der Herstellung von Investitionsgütern

Norbert Walter: In Frankreich oder England käme man nicht

beweisen, bedarf es der Wiederbelebung der Investitions-

auf die Idee, dass eine Konzernzentrale an einem anderen

konjunktur, um den deutschen Export anzuschieben. Da die

Platz als Paris oder London sein könnte. Deutschland mit sei-

Kapazitätsauslastung derzeit und wohl noch für eine Weile

ner Kleinstaaterei im Staate hat die Vorstellung, dass alles

niedrig bleibt, wird Dynamik beim Export wohl noch bis 2011

im Raum verteilt sein sollte. Das ist eine Illusion. Es kommt

auf sich warten lassen. Bis dahin muss man mit spezieller

darauf an, Zentren und Peripherie intelligent zu vernetzen.

Marktausrichtung auf Asien und auf Produkte, die Energie-

Dann ist Erfolg möglich.

effizienz steigern oder im Bereich der Erneuerbaren Energie liegen, zu punkten versuchen.


Interview

Q-Cells in Thalheim: „Neue Firmen sollten auf Energieeffizienz und Energieberatung setzen.“

Als Produktionsstandort wird Sachsen-Anhalt wohl Federn lassen. Für den Forschungsstandort sollte sich das Kämpfen lohnen. Neue Firmen sollten auf Energieeffizienz und Energieberatung für die internationalen Märkte setzen. Wir stehen mitten im demografischen Wandel. Die besten jungen Ingenieure gehen in die alten Bundesländer, auch zahlenmäßig wird es mit Facharbeitern „dünn“. Sie engagieren sich bei diesem Thema: Haben Sie eine Lösung für den erwarteten Fachkräftemangel parat? Norbert Walter: Der demographische Wandel ist eine der zentralen Herausforderungen für Deutschland. Die Lösung ist nur mit vielen Tabubrüchen – Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, höheren Erwerbsquoten für Frauen, selektiver Foto: Q-Cells SE

Einwanderung in unser Bildungs- und Arbeitssystem – zu erreichen. Die neuen Länder haben zudem die Risiken der internen Abwanderung. Über die Attraktivität der tertiären Bildungseinrichtungen und die Bewerbung reizvoller Wohnund Lebensmöglichkeiten sollte dem entgegengesteuert werden. Weibliche MDR-Mitarbeiter sollten von den schöNorbert Walter: Die Talente, die Q-Cells in Thalheim braucht,

nen Wohnmöglichkeiten an Saale und Elbe schwärmen, das

können mit dem ICE abends von Bitterfeld nach Berlin und

öffnet vielleicht auch den jungen Männern die Augen für die

morgens zurück fahren. So sind Forschung, Kultur und Ge-

Attraktivität des Ostens!

schäft erfolgreich zu verbinden. Zum Schluss noch etwas Persönliches: Sie sind gerade 65 geIn Sachsen-Anhalt gibt es mit der Solarindustrie und dem Be-

worden. Könnten Sie sich vorstellen, mit 65 noch eine Firma zu

reich Automotive Vorzeigebranchen mit hohem innovativen Po-

gründen?

tenzial. Beide sind jetzt von der Krise angeschlagen. Wie sehen Sie die Chancen, auch hinsichtlich Neugründungen von Firmen

Norbert Walter: Am Jahresende scheide ich aus den Diensten

in diesen Bereichen?

der Deutschen Bank aus. Die Firma für die Zeit danach ist schon gegründet und die Vorbereitung für Walter + Töchter-Consult

Norbert Walter: Panta rhei – alles fließt, sagten schon die al-

schon sehr weit fortgeschritten. Das wird Investition und Kon-

ten Griechen. Deshalb sind auch erfolgreiche Cluster wie die

sum anregen!

Auto- oder Solarindustrie am deutschen Standort herausgefordert. Weder alter Stolz noch Subvention bewahren vor Rezession oder Herausforderungen durch neue dynamische Konkurrenten, jetzt sind es die Chinesen bei der Photovoltaik. Die beiden nächsten Jahre werden hart nach so vielen Jahren großer Dynamik und günstiger Einkommensentwicklung.

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Für das Sachsen-Anhalt-Magazin fragte Ute Semkat

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Logistik

An das Ost-Kreuz Europas Der holländische Transport- und Logistikdienstleister Wolter Koops fährt von Magdeburg aus in die Welt Von Cornelia Heller

sich Wolter Koops, „als eine Tür im Gemeindeamt noch halb geöffnet war. Ich habe die Mitarbeiter vorsichtig nach einem Prospekt vom Gewerbegebiet gefragt, wohlgemerkt nicht nach einem Termin beim Bürgermeister. Ich glaubte, das würde dann so sechs bis acht Wochen dauern.“ Noch heute lacht er darüber, wie jemand einfach Bürgermeister Erich Wasserthal auf dem Handy anrief. Und der war in fünf Minuten für

Es war im Jahr 2000, als Wolter Koops wie so oft auf dem Rück-

Wolter Koops da. „Er sagte: Steig ein! Und zeigte mir alle Flä-

weg von Berlin ins niederländische Zeewolde war – und sich

chen, die er zu verkaufen hatte.“ Und noch überraschter war

für Magdeburg als neuen zentralen Standort für eine Zweig-

Koops, als der agile Bürgermeister kurze Zeit später bei ihm

niederlassung in der Mitte Deutschlands entschied. „Direkt

im holländischen Zeewolde vorbeischaute und alles mit Hand-

an die Autobahn“ wollte er mit seinem Transport- und Logis-

schlag besiegelt werden konnte. „Solche Leute findet man nicht

tikunternehmen, „nicht weit von Berlin, Dresden und Leipzig“,

oft“, sagt Wolter Koops anerkennend und weiß jetzt: So einfach

an die „Kreuzung des Ostens“, nur ein paar Stunden bis Po-

und unbürokratisch kann Wirtschaftsansiedlung in Sachsen-

len, nur ein paar bis Tschechien. „Vielleicht nach Magdeburg-

Anhalt sein.

Rothensee“, dachte der Holländer. Hier gab es schon viele Ansiedlungen. Osterweddingen bei Magdeburg mit seinem

Weit spannt sich der Himmel über dem Tal an der Sülze, nur

Gewerbegebiet Sülzetal, ganz dicht an der A 14, stand außer-

einen Steinwurf in südwestlicher Richtung von Magdeburg

dem zur Wahl. „Es war nachmittags halb vier Uhr“, erinnert

entfernt. Die Gemeinde Sülzetal wirbt für sich als „einer der


Logistik

fügung stehen. Der knackige Begriff „Cross docking“ umreißt dabei die schnelle Umschlagsart, bei der die Ware vorkommissioniert ankommt und kaum länger als einen Tag im Lager bleibt. Hoch und weiß staffeln sich heute die Lager- und Verteilerhallen in die weite Bördelandschaft, dabei sind beileibe noch nicht alle Flächen vom Familienbetrieb genutzt. Eine blühende Wiese hat man sogar als Koppel für Pferde vermietet, ein skurriles Bild inmitten von Industrie vor der Autobahn. Die weißen Rolltore an den Hallen tragen große Ziffern: 14, 15, 16... 66 sind es insgesamt bei Koops, eine enorme Umschlagskapazität. Routiniert docken die Fahrer rückwärts einparkend an die Laderampen an. Hier werden die Hänger mit den Paletten bestückt. Was genau geladen wird, bleibt für den Betrachter draußen vor dem Tore unsichtbar. Alles geht schnell und sicher vor sich, schon ist der Lkw wieder unterwegs. Mittlerweile arbeitet die Niederlassung in Osterweddingen mit 260 Mitarbeitern unabhängig vom holländischen Stammsitz. Seit 2000 stehen die europaweiten Sammeltransporte von Tiefkühlkost und Frischewaren unter Leitung von Henk, einem der Söhne Koops. Henk selbst kennt das Geschäft genau. Schon früh hat er im väterlichen Betrieb mitgearbeitet, mit 19, wie sein Vater, seinen ersten Lkw gefahren und das, wie er im Grundton der Überzeugung sagt, gern: „Wir haben einen engen Familienzusammenhalt.“ Im Hochregal-Kühlhaus herrschen knackige minus 23 Grad Celsius. Eisblumen sind an der blauen Schotttür gewachsen, kleine Kristalle glitzern im hellen Hallenlicht. Ein Vorgeschmack auf den Winter mitten im spätsommerlichen Sülzetal. 14 Meter in die Höhe muss man schauen, um das Ende der gestafünf großen Industrie-Leuchttürme in Sachsen-Anhalt“. Und

pelten, schmucklos grauen, fest mit Plastikfolie ummantelten

das ist keineswegs Übertreibung. 560 Firmen bieten heute

Kartons in der sechsten Etage des Riesenkühlschranks zu er-

8000 Menschen einen Arbeitsplatz ganz dicht an der A 14

kennen. Allein ein Streifen Papier mit Strichcode verrät ihren

in der Nähe des Autobahnkreuzes Magdeburg, der B 71 und

Inhalt: Hähnchen, Pizza mit Rucola oder Schwarzwälder Kirsch.

81, dem Verkehrslandeplatz Magdeburg, dem Hafen und nicht zuletzt der Deutschen Bahn. Von hier aus ist der Weg

Henk Koops erklärt die optimale Funktion der riesigen Ver-

in die Welt ganz leicht. Mit diesen Pfunden wuchert die

schieberegale, ein Gabelstapler bestückt gerade das oberste

Gemeinde und konnte dabei so manchen Globalplayer für

Geschoss. Als sich ein weiteres Hydrauliktor öffnet, schockt

sich gewinnen – auch den internationalen Logistiker Koops.

der Temperaturwechsel zu angenehmen 16 Grad Celsius plus. Die Brille beschlägt und es duftet nach Weihnachten. Reste

Der mietete sich zunächst ein Objekt im Sülzetal und bebaute

der Nachtverladung warten, Koniferen mit dem weihnacht-

2004 den ersten, 2006 den zweiten und in diesem Jahr den

lichen Aroma, außerdem Heidekraut und Farn, aber auch

dritten Abschnitt des gekauften Grundstücks mit Bürogebäu-

Mangos, Tomaten und Gurken. Was am nächsten Tag im Le-

de, mehreren Kühl- und Lagerhäusern, teils mit vollautoma-

bensmittelmarkt um die Ecke und im Baumarkt am Stadtrand

tisch arbeitenden Hochregallagern, sowie mit einem neuen

frisch zum Verkauf angeboten werden soll, wird hier wie von

Verteilzentrum für Lebensmittel. Insgesamt sind es 20 000

Heinzelmännchen des Nachts umgeschlagen. Da füllen sich

Lagerstellplätze – berechnet auf eine standardisierte Euro-

die Hallen und leeren sich wieder, Transporte werden zusam-

palette, 33 von ihnen passen in einen Lkw – die heute in Oster-

mengestellt, und die Fahrzeuge machen sich auf den Weg zu

weddingen für die Warenlagerung und den Umschlag zur Ver-

ihrem Bestimmungsort.

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Logistik

Ein gigantisches logistisches Unterfangen, „eine tägliche Heraus-

Begonnen hat die internationale Karriere des Wolter Koops

forderung mit Routine“, lächelt Henk Koops die enorme Ver-

mit einem einzigen Lkw, einem Volvo, den er sich 1961, da-

antwortung weg. Zurück in seinem Büro zeigt er auf einer

mals 18-jährig, kaufte. Und mit Kakaolieferungen von Holland

Europakarte in seinem Laptop, wo die Fahrzeuge gegenwärtig

nach Westberlin, „sechs Kontrollen bis Drei Linden, zwei Tage

unterwegs sind.

bis Helmstedt, heute nicht mehr vorstellbar.“ Dass daraus ein derart großes Transport- und Logistikunternehmen wachsen

Ungezählt viele Lenkräder, jedes steht für einen Lkw, touren auf

würde, überrascht und erfüllt den Gründer bis heute mit

den Karten von Deutschland, Frankreich, Spanien... Die Liste liest

Freude.

sich wie das Inhaltsverzeichnis eines Europaatlas. GPS und die

67 ist er jetzt und noch immer jeden Tag im Büro. „Er kann nicht

aktuellen Eingaben in den Bordcomputer jedes Lkws machen

ohne“, sagt Henk mit einem Lächeln. Für Wolter Koops ist mit

es heute möglich, dass man in der Zentrale stets weiß, wo wel-

der Ansiedlung im Sülzetal und nicht zuletzt mit der Übergabe

cher Fahrer unterwegs ist, wo er Ware ausliefert, wann er zu

des Unternehmens in die Hände der Kinder „ein Wunschtraum

erwarten ist. Rund 200 Fahrzeuge fahren für Osterweddingen

in Erfüllung gegangen. Wir hätten sonst nicht wachsen kön-

europaweit, dazu gibt es Subunternehmer – eine große Fami-

nen.“ Vier Söhne, zwei Töchter schenkte ihm seine Frau Hetty,

lie, friedliche Kreuzfahrer Europas, die in königsblauen Buch-

fünf der Kinder arbeiten heute in der Firma, die nicht nur im hol-

staben den Namen „Wolter Koops“ auf ihrem Lkw tragen.

ländischen Zeewolde und deutschen Magdeburg, sondern auch

„Wir fahren komplett oder auch nur eine Palette, ganz wie der

Niederlassungen in Polen und Frankfurt/Main hat.

Auftraggeber es wünscht“, ergänzt Geschäftsführer Erik Flokstra in perfektem Deutsch mit sympathischem Akzent. „Und wir fah-

Und die Kreuzfahrt geht weiter. Für 2010 ist der Bau

ren in allen Temperaturbereichen. Denn, das ist unsere Stärke

weiterer Verteilzentren im Ruhrgebiet und drüben in England

als Familienbetrieb: Ein ‚Nein’ kennen wir nicht.“ Seit der Firmen-

geplant.

niederlassung 2001 wohnt er in Osterweddingen, seine Kinder gehen hier zur Schule, „Ja, hier ist Zuhause.“

www.wolterkoops.com



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Tourismus

Mit Wein das Brot verdienen „Saale-Unstrut“ ist für das Winzerpaar Frölich eine Marke mit Verpflichtung Von Kirsten Hoffmann

Am meisten mag Winzer Volker Frölich an seinem Beruf, dass

Bei den Frölichs machen Dornfelder, Cabernet Dorsa, Portu-

er so abwechslungsreich ist, kein Arbeitsgang länger als acht

gieser und Spätburgunder insgesamt 15 Prozent der ange-

Wochen dauert. „Die Hochsommerzeit August – September“,

bauten Rebsorten aus.

sagt er, „ist das große Durchatmen vor der Weinlese. Eine relativ ruhige Phase im Jahr des Weinbauern, ,nur‘ ausgefüllt

Gäste treten in den Schankraum der Frölichs. Auf seiner Wein-

mit Laub- und Bodenarbeiten.“ Die Reben müssen gut be-

reise durch die „Toskana des Nordens“ ist das Ehepaar auch

schnitten Spalier stehen für die späten Sonnenstrahlen, die

dem Wegweiser nach Rossbach bei Naumburg zum Weingut

jede Traube in ihr goldenes Licht tauchen.

Frölich-Hake gefolgt und wird hier sofort umsorgt und beraten. Es gilt, unter würzigen oder fruchtigen, erdigen oder

Die Früchte in den Weinbergen des Winzer-Ehepaares Sandra (39)

spritzigen Weinen auszuwählen. Tagtäglich steht Besuchern

und Volker (38) Frölich entwickeln bis zur Reife die typische

die Tür zum Gutsausschank offen. Seit vier Jahren läuft das

Note von Weiß- und Grauburgunder, Müller-Thurgau, Silva-

Geschäft mit der Verkostung. Und belebt auch das Geschäft

ner, Kerner oder Riesling. Aber auch Rotweine aus dem nörd-

mit dem Weinverkauf, versichern die Winzer. Weinausschank

lichsten Qualitätswein-Anbaugebiet Deutschlands werden

über das ganze Jahr und ebenso kulinarische Themenabende

immer beliebter. Schon jeder vierte Liter Wein, der an Saale

wie „Rotwein am Kamin“, „Spargel und Wein“ oder „Fisch und

und Unstrut gekeltert wird, ist ein roter.

Wein“ haben sich als Besucher-Magnete etabliert.


Tourismus

„Strategisch gesehen, hätte unser Betrieb parallel mit die-

Heute erstreckt sich das Saale-Unstrut-Qualitätswein-An-

ser guten Vermarktungsidee starten müssen“, meint Volker

baugebiet über Flächen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und

Frölich. Aber er und seine Frau – jung und mittellos damals

Brandenburg (Werder) und umfasst insgesamt 684 Hektar

– wollten auf solidem Fundament bauen. Soll heißen: Sie

bestockte Rebflächen. In Sachsen-Anhalt leben 25 Güter wie

wollten sich nicht haushoch verschulden. Die Privatkredite

die Frölichs im Haupterwerb vom Weinanbau, 22 im Neben-

beider Familien nahmen sie als Starthilfe für den Schlepper

erwerb.

zum Beispiel, der mit dazugehörigen Geräten stolze 59 000 D-Mark kostete. So lernte der Betrieb langsam und Schritt

Sandra Frölich hat für ihre Gäste zur Verkostung ein Tablett

für Schritt laufen, wie es für Kinder gesund ist.

mit Flaschen und Gläsern bestückt. An Saale und Unstrut wird traditionell trocken ausgebaut. Das heißt: vollkommen

1997 hatten Volker und Sandra, sie damals noch unter ihrem

durchgegoren mit einer knackigen Säure. „Süße und Säure

Geburtsnamen Hake, den Weinanbaubetrieb gegründet –

stehen im Einklang“, sagt Volker Frölich. Das Winzerehepaar

auf einem Vier-Seiten-Hof, 1850 von den Vorfahren Frölich

hat einen hohen Anspruch an sein Produkt. Darum kommt

errichtet. Nach und nach wurde der Bauernhof, wo neben

nur in die Flaschen, was auch vor dem eigenen Geschmack

der Drei-Generationen-Familie auch Hühner, Schweine und

besteht. Was diesen Geschmack betrifft, sagen sie, werden

Schafe lebten, in einen modernen „Weinbauerhof“ umge-

sie sich immer einig. Es ist eine Gemeinschaftsentscheidung

wandelt. Dass die Tiere abgeschafft wurden, aus dem Keller

am Ende einer riesigen Gläserpalette – nach zweisamen

die Glasballone der Hobby-Winzer-Zeit verschwanden, sich

Verkostungen und intensiven Beratungen an den Edelstahl-

der umgebaute Schafstall mit Edelstahlfässern füllte und

tanks im heimischen Keller, wo sie ihre Weine von der Gä-

der Hof mit fremden Leuten, verfolgte Volkers Großvater mit

rung bis zur Abfüllung ganz genau beobachten.

wachem Interesse. Er war seinerzeit Hobby-Winzer, wie in der

Keineswegs, da widersprechen sie landläufiger Meinung,

DDR-Vergangenheit viele Landwirte an Saale und Unstrut.

müsse ein guter Wein immer eine trockene Angelegenheit sein. Viele Kunden sagen nur nicht offen, dass sie einen

„Ende der 1980er Jahre“, sagt Volker Frölich, „wurde in der

Tropfen mit gewisser Süße bevorzugen. Dass es aber so ist,

Region auf etwa 350 Hektar Wein angebaut. Der war haupt-

merken die Frölichs an den telefonischen Bestellungen.

sächlich für den Eigenverbrauch bestimmt – oder zur Belieferung von Interhotels.“

Zur Weinlese an den 30 000 Rebstöcken haben, je nach Ertrag, zehn bis 15 Helfer alle Hände voll zu tun.

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Tourismus

Sandras Elternhaus steht in Freyburg. Auch von den Hakes

Mit 30 000 Rebstöcken auf acht Hektar Anbaufläche in

wurde Landwirtschaft und Hobby-Winzerei betrieben. Doch

sechs unterschiedlichen Weinbergen hat das Gut heute eine

Sandra zog es mehr zur schreibenden Zunft. Der Abschluss

mittlere Betriebsgröße erreicht und bietet Arbeitsplätze für

ihres Journalistik-Studiums in Leipzig fiel in die Nach-Wen-

zwei Angestellte und einen Lehrling. Zur Weinlese kommen

de-Zeit, die ihr viele zuvor ungeahnte Möglichkeiten eröff-

zehn bis 15 Helfer.

nete. Sie ging nach Mainz, arbeitete dort in der Pressestelle des Deutschen Weininstituts und als Redakteurin beim

Rund 350 Besucher zählte das Winzer-Ehepaar 2008 zu den

Deutschen Weinmagazin.

kulinarischen Weinabenden. Konzipiert und durchgeführt

Die Krönung: Sandra bestach durch ihr fachliches Wissen

gemeinsam mit Vertretern der gehobenen Gastronomie,

und wurde zur Weinkönigin des Saale-Unstrut-Gebietes

sind sie zu einem wichtigen wirtschaftlichen Standbein ge-

gewählt, 1993 gar zur Deutschen Weinkönigin. Sie kam viel

worden – nicht nur für das Weingut Frölich-Hake. Buchun-

herum in jener Zeit – deutschlandweit und über die Gren-

gen in der Pension im Ort sind auch auf die Veranstaltungen

zen hinaus. So oft es ging, war Freund Volker mit von der

im Weingut zurückzuführen. Das gegenwärtige Kundenver-

Partie. Der hatte die berufliche Tradition in seiner Familie

halten, den Einkauf des Weines gern mit einem Aufenthalt

fortgeführt und eine landwirtschaftliche Ausbildung absol-

in der Region zu verbinden, kommt allen Gewerken zugute,

viert. Die vielen Gespräche mit den Winzern aber weckten

die mit dem Weinanbau verbandelt sind.

in ihm den Wunsch, selbst edle Rebensäfte zu kreieren. 1997 bestand er an der Fachschule für Weinbau in Bad Kreuznach

„Wir Winzer betrachten uns als einander wohlgesonnene

seine Prüfungen zum Techniker für Weinbau und Kellerwirt-

Konkurrenz, die das Geschäft belebt. Da muss sich jeder von

schaft. Noch im gleichen Jahr pachtete das Paar Frölich-Hake

uns etwas Besonderes einfallen lassen“, sagt Volker Frölich.

zum Weinberg des Großvaters noch Flächen hinzu und grün-

Der guten Qualität wegen zügelt er seinen Ertrag auf

dete mit 7,5 Hektar das eigene Weingut.

6 000 Liter pro Hektar. Damit jede Traube optimal versorgt wird von den etwa 1 600 Sonnenstunden im Jahr und mit Nahrung, die der Rebstock aus den Muschelkalk- und Bunt-


Tourismus

sandsteinböden zieht, geht Winzer Frölich im Frühjahr durch seine Weinberge und bricht überzählige Triebe aus. Noch im Spätsommer trennt er sich von dem Zuviel an Trauben. Die

Genussvolle Reife auf Sachsen-Anhalts Sonnenseite

ausgereiften Früchte wandern bei den Frölichs in eine moderne Kelteranlage mit geringem Druck, die Kerne und Stiele nicht beschädigt und darum keine Bitterstoffe auspresst. Sandra kredenzt ihren Gästen jetzt Müller-Thurgau aus zwei verschiedenen Jahrgängen, einen nach der Umstellung auf

-

samt 581 Betriebe auf ca. 611 Hektar bestockter Rebfläche über 30 Weinsorten an. -

bestockter Rebfläche und 22 Betriebe im Neben-

Stammkundschaft reißenden Absatz“, freut sie sich über

erwerb mit Selbstvermarktung auf insgesamt

das Ergebnis. Für die 2008er Jahrgänge von Riesling Spät-

ca. 15 Hektar.

lese und Silvaner erhielt ihr Weingut in diesem Jahr bei der -

Das Landesweingut Kloster Pforta bewirtschaftet ca. 48 Hektar Rebfläche.

ler-Thurgau und Grauburgunder Spätlese. -

Acht Agrarbetriebe mit Obst- und Weinanbau-

-

Fünf Traubenerzeuger im Haupt- und 520 im

bestocken insgesamt ca. 243 Hektar.

Nicht nur der eigene Qualitätsanspruch der Winzer sorgt für einen mengenkontrollierten Anbau von Rebstöcken, auch

Davon arbeiten 25 Betriebe im Haupterwerb mit Selbstvermarktung auf insgesamt ca. 175 Hektar

die langsame, gekühlte Vergehrung. „Der findet bei unserer

Landesweinprämierung eine Silbermedaille, Gold für Mül-

Im Weinbaugebiet Sachsen-Anhalts bauen insge-

das von der EU auferlegte Pflanzrecht. Eine Reb-Quote soll

Nebenerwerb bewirtschaften eine Rebfläche von

verhindern, dass europaweit zu viel Wein produziert wird.

insgesamt ca. 131 Hektar und geben ihre Früchte

Der Freigabe des Pflanzrechtes spätestens ab 2018 sieht

samt Vermarktung an die Winzervereinigung Freyburg ab.

Volker Frölich mit gemischten Gefühlen entgegen. „Bislang begutachtet eine Kommission von Meteorologen, Geologen,

-

1994 umfasste die bestockte Rebfläche im Anbau-

Umweltschützern und Weinfachleuten die zu vergebenden

gebiet 433 Hektar. Das langjährige Mittel der ver-

Flächen. Wenn jeder Wein anbauen kann, so viel und wo er

gangenen 15 Jahre beträgt 57,1 Hektoliter je Hektar,

will, womöglich auf Flächen, auf denen die Rebe nicht die

2008 waren es rund 86.

optimalen Bedingungen findet, leiden die Qualität und der

-

Von der Erntemenge insgesamt waren 2008

gute Name unserer Weinregion. Seit der Wende gewinnt sie

etwa 36 Hektoliter bestimmt für Tafelwein, ca. 44

im Reigen der 13 deutschen Weinbaugebiete stetig an An-

für Qualitätswein und ca. sechs Hektoliter für

sehen“, ist die Sorge des Winzers und der einstigen Wein-

Qualitätswein mit Prädikat.

königin an seiner Seite. Sandra Frölich füllt Kartons mit den Weinflaschen, für die sich ihre Gäste entschieden haben. 60 Prozent des jährlichen Verkaufs laufen über den Hof, fünf Prozent über den Fachhandel. Mit den übrigen „Prozenten“ versorgen die Frölichs die Gastronomie in den traditionellen Urlaubsregionen in Ostdeutschland. Besonders im Spreewald und an der Ostsee ist man den Saale-Unstrut-Weinen treu geblieben. Anders, als es in Gründer-Generationen vor ihnen üblich war, denken die Frölichs nicht hauptsächlich daran, dass ihre zwei Töchter das Lebenswerk der Eltern fortführen mögen. Volker und Sandra wissen allzu gut, dass die Zeiten heute andere sind als bei den Großvätern Frölich und Hake. Viel dynamischer, unvorhersehbarer. Das junge Winzerpaar schöpft die Motivation für seine Arbeit aus der großen Freude daran, aus dem Erfolg im Beruf.

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Tourismus

„Für den Eintritt ins Rentenalter“, sagt Volker Frölich, „lagert schon ein guter Eiswein Jahrgang 2003 im Regal.“ – „Eiswein hält sich ewig“, fügt Ehefrau Sandra lächelnd an. Auch 2009 ist eines in der Reihe der guten Jahre. Es beschert ein gesundes Lesegut. Die Fröste im Frühjahr walteten in den Weinbergen der Frölichs nicht so streng wie anderswo. Den Silvaner haben sie schon mal probiert und sind guter Dinge. Süße und Säure mischen sich ganz nach dem Sinn des Winzerpaares. Wohl jedes Jahr zur Weinlese spüren es Sandra und Volker Frölich besonders deutlich: Am Rebstock reift der Sinn des Lebens. www.weingut-froelich-hake.de www.saaleunstrut.com

Ein guter Wein muss keine trockene Angelegenheit sein. Mit viel Freude an der Arbeit und einem hohen Qualitätsanspruch trägt das Winzerpaar Frölich-Hake zum guten Ruf des Rebsaftes aus der „Toskana des Nordens“ bei.


Mitten im Nationalpark finden Sie in Schierke mit seinem ursprünglichen Charme unsere Hotels “Brockenscheideck”, “Hotel König” und “Bodeblick”, in denen Sie die überall berühmte Harzer Gastlichkeit erleben werden. Von unserem in Norddeutschland höchstgelegenen Gipfel, dem sagenumwobenen Brocken (1.142 m), haben Sie bei guter Sicht einen einzigartigen Blick auf den Harz und weit darüber hinaus. Unser besonderes Arrangement für zwei Personen Zwei Übernachtungen in einem der Schierker Hotels des Brockenwirts und als Krönung eine traumhafte Nacht auf dem Brocken, im Brocken­ hotel inkl. Frühstück, Gesamtpreis 240,00 Euro

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Motorsport


Motorsport

Hart im Nehmen In jedem Helm von Schuberth steckt ein Stückchen Formel 1 Von Cornelia Heller

Vier Sekunden zuvor hatte Rubens Barrichello in seinem Brawn problemlos die Kurve vier des Hungaro-Rings passiert. Qualifying zum Großen Preis von Ungarn, ein Rennen von vielen, ein Rennen wie keines. Es ist eine Stahlfeder, gut 800 Gramm schwer, die sich in eben diesem Augenblick vom Fahrzeug des Italieners löst. Mit 240 Kilometer pro Stunde prallt sie auf den Helm des nachfolgenden Ferrari-Piloten Felipe Massa. Als das Fahrzeug wie fremdgesteuert mit 170 Sachen schnurgerade in einen Reifenstapel rast, ist das Entsetzen grenzenlos. Erleichterung, als man hört: Felipe Massa ist zwar zunächst bewusstlos und schwer verletzt. Aber er lebt. Dank eines Helms. „Massas Wunder-Helm kommt aus Deutschland“ titeln weltweit Zeitungen und Online-Nachrichtendienste im Juli 2009 und feiern das Überleben und Genesen eines Mannes, der wie seine Kollegen bei jedem Formel-1-Rennen sprichwörtlich und immer aufs Neue seinen Kopf hinhält. Und manchmal steht da auch der Name der Stadt geschrieben, in der der WunderHelm produziert wurde: Magdeburg an der Elbe, SachsenAnhalts Landeshauptstadt. Ganz nah an der Autobahn A2 Richtung Berlin hat die Schuberth GmbH im Gewerbegebiet Rothensee ihren Sitz. Auch Fahrtwind fängt sich in der fassadengroßen Plakatwand mit dem Star der Produktion: dem C3. Den trägt heute, wer als Motorradfahrer auf zeitgemäße Sicherheit setzt. Und die wird nicht nur dort groß geschrieben. Helme von Schuberth finden sich in überraschend vielen Bereichen: Arbeitsschutz, Feuerwehr, Polizei und Militär, überall steht Schuberth drauf, ist Schuberth drin. Natürlich auch in den Helmen für die Formel 1. Marcel Lejeune, deutschsprachiger Belgier und seit 1. Januar 2008 Geschäftsführer, sagt, Schuberth würden viele nur über die Sportaktivitäten kennen, aber man sei für weit mehr Berufsgruppen engagiert, die permanent unterschiedlichen Gefahren wie Schlägen, Feuer oder Beschuss ausgesetzt sind. Ein gutes Klima im Innern der Helme sei für alle wichtig, ein Wohlgefühl, Komfort, Belüftung und Leichtigkeit. Diese Vielfalt an Details würde hier bei Schuberth bedacht, entwickelt und getestet. Dreißig Entwickler stehen dafür auch mit externen Partnern wie dem Fraunhofer Institut für Werkstoffforschung in Halle in engem Kontakt.

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Motorsport

zusammenzubringen. Seit 1. April 2009 sind alle Aktivitäten, Entwicklung, Vertrieb und Produktion, hier in Magdeburg gebündelt.“ Vor der Fertigungshalle rasen die Autos auf der A2 zwischen Berlin und Hannover vorbei, im Innern überrascht die Ruhe. Es ist ein geschäftiges Wispern, ein konzentriertes Treiben in Schuberthblauen T-Shirts und werksweißen Kitteln. Hier darf beileibe nicht jeder rein, alle Entwicklungen unterliegen strikter Geheimhaltung. Rund 200 Mitarbeiter sind an den Fertigungslinien beschäftigt, 6 000 Helme täglich entstehen. Schuberth, das ist ein fast traditioneller Produktionsbetrieb alter Schule mit starker Belegschaft und keine sterile, Menschen entleerte Science-fiction-Raumstation. Bis heute werden fast 85 Prozent aller Arbeitsgänge von Hand begleitet.

Ein Blick ins Prüflabor lässt erahnen, wovon er spricht. Fünf Kilo-

Und das unterscheidet den Helmproduzenten maßgeblich von

gramm wiegt der Testkopf-Dummy mit einem Schuberth-Helm

anderen Herstellern auf dem Markt. Dieses „Made in Germany“

bekrönt, auf den aus großer Höhe unterschiedlich geformte

treibt Lejeune an. Darauf ist er stolz und verteidigt die Vision

Stahlkörper, eckige, spitze, flache fallen. Der Horror zum Schluss:

mit Nachdruck: „Wir möchten auch weiterhin alle unsere Pro-

ein drei Kilogramm schwerer Stahlnagel stürzt aus fünf Metern

dukte in Deutschland produzieren.“ Denn, „Made in Germany“

herab. All das muss der Helm aushalten. Ein anderes Szenario,

steht auch für die Technologie als Garant für Sicherheit, Quali-

filmisch festgehalten: Über einen Helm wird flüssiger Stahl ge-

tät, Komfort und Präzision. Mit einer Optimierung der Prozesse,

gossen, man sieht, wie die Glut an ihm herunterläuft. Doch er

einer besseren Effizienz „wird es gelingen, uns dem Challenge

beginnt nicht zu brennen, das Feuer verlischt ohne Nahrung.

der Konkurrenz zu stellen, nein, nicht nur in punkto Preis, aber

Als die verkrustete Schale umgedreht wird, ist sie im Innern wie

auch in punkto Performance.“ Spätestens hier hört man sicher

neu. „Und ein Formel-1-Visier unterliegt demselben Testschema

heraus, auf welchem Parkett der Mann sich bewegt.

wie unsere Polizei- und Militärhelme. Seine Kugelsicherheit ist eine Referenz, die sich beim Unfall von Felipe Massa bewährte,

Die Zusammenarbeit mit der Rennwelt begann 2000, also lan-

wo der Einschlag der Feder vor allem vorn das Visier und teil-

ge vor Lejeunes Zeit, zuerst im Kontakt mit Nick Heidfeld, dann

weise den Helm traf“, sagt Marcel Lejeune und klappt das Visier

kamen die Schumacher-Brüder auf Schuberth zu. „Sie waren

des Rennhelms in seiner Hand behutsam zu. „So steckt in allen

beeindruckt von der Arbeitsweise der Firma und eine wunder-

Helmen, die wir hier in Magdeburg entwickeln und produzieren,

bare technische Zusammenarbeit entwickelte sich.“ Schuberth

ein kleines Stückchen Formel 1 – und umgekehrt.“

ist heute der Entwicklungspartner von Ferrari, unabhängig vom Fahrer, der für den italienischen Rennstall auf der Strecke unter-

Weltweit und als Marktführer in Deutschland agiert Schuberth

wegs ist. Lejeune kennt so inzwischen auch die Rennfahrerelite

heute, die Wurzeln liegen im Braunschweig des Jahres 1922, im

persönlich, weitaus wichtiger aber ist ihm sein Mitarbeiter Sven

Ursprung – man glaubt es nicht – als Zulieferer für eine Brauerei.

Krieter, der Formel-1-Spezialist bei Schuberth. Er gehört zum

Jetzt ist Schuberth eine Firma in Magdeburg. Dem ging eine

„intimen Kreis“ mit direktem Kontakt zu den prominenten

Teilverlagerung im Jahr 2004 von Braunschweig in die Elbe-

Kunden und gibt die technische Assistenz auf der Rennstrecke.

stadt voraus, die Entwicklung und der Vertrieb blieben zunächst

„Sven Krieter kennt sie alle“, lächelt Lejeune. „Er streichelt ih-

im Mutterhaus. Bis zum März 2009, „als wir die Entscheidung

nen jede Woche über den Kopf.“

getroffen haben“, sagt Lejeune, „die Firma an einem Standort www.schuberth.com


Biotechnologie

Erfolgreich geimpft: Gesunde Firma erobert sich Märkte IDT Biologika ist Weltspitze bei der biotechnologischen Herstellung von Impfstoffen und Pharmazeutika Von Kirsten Hoffmann

Seit Herbst 2008 ist es offiziell: Die Bundesregierung hat

gen Fuchstollwut und dem weltweit ersten Lebendimpfstoff

Deutschland frei von Fuchstollwut erklärt. Unsere heimischen

gegen die Salmonella-Infektion „köderten“ die Wissenschaft-

Füchse sind immun gegen den tödlichen Virus. Diesen Erfolg

ler des Impfstoffwerkes neue Kunden auf dem europäischen

führt Dr. Ralf Pfirmann auf die Verdienste der IDT Biologika,

Markt.

ehemals Impfstoffwerk Dessau-Tornau, zurück. „Impfköder gegen Tollwut“, sagt er, „waren für das Unternehmen das Auf-

Heute ist der Standort von IDT Biologika ein Groß-Cluster des

bruchgeschäft nach der Wende.“

Landes Sachsen-Anhalt. Ralf Pfirmann steht seit Januar 2008 an der Spitze des Unternehmens. Dessen Namenswechsel hat

Damals sahen die Überlebenschancen für das einstige Kom-

der marketingerfahrene Geschäftsführer mit einer werbe-

binat für Veterinärimpfstoffe noch düster aus. Anfang der

trächtigen Botschaft verknüpft. „IDT Biologika GmbH“ sage

1990er Jahre waren der Export in die osteuropäischen Länder

mehr aus über die Spezialisierung der Firma, die bei 100 Millio-

und mit dem Niedergang der hiesigen Landwirtschaftlichen

nen Euro Umsatz im Jahr angekommen ist. Die IDT ist ein füh-

Produktionsgenossenschaften (LPG) auch die einheimischen

rendes Unternehmen bei der biotechnologischen Herstellung

Absatzmärkte zusammengebrochen. Mit dem Impfstoff ge-

von Impfstoffen und Pharmazeutika.

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Biotechnologie

Hier werden beispielsweise Proteine und Antikörper produ-

Tierställe gehören zu jedem dieser Firmen-Kapitel. Heute

ziert, die unter anderem bei der Behandlung von Blut-, Krebs-

sind sie modern und haben internationale Bewohner: Skunks,

und Nierenerkrankungen eingesetzt werden.

Waschbären, Fledermäuse – schließlich kommen die hier entwickelten Impfstoffe weltweit zur Anwendung. „Unsere

Derzeit laufen viele Patente aus, da wächst das Geschäft mit

Schweine“, sagt Pfirmann, „leben in den sterilsten Ställen der

biologischen Medikamenten. „Man muss aufmerksam beob-

Welt.“ Aus gutem Grund: Bei IDT ist auf der Basis von klonier-

achten, wie sich die Märkte bewegen, sonst funktioniert ein

ten Antigenen ein Impfstoff gegen Schweine-Influenza er-

Geschäftsmodell bald nicht mehr“, weiß der Experte Pfirmann.

funden und entwickelt worden. Der steht als weltweit erster

IDT hat in diesem Jahr eine erste Tochtergesellschaft des Unter-

kurz vor der europäischen Zulassung. „Und ist der am besten

nehmens in den USA gegründet, dem größten Pharma-Markt

verträgliche“, ist sich Ralf Pfirmann sicher. Ob der Impfstoff

der Welt. Immerhin geben die Amerikaner 40 Prozent des ge-

auch beim Menschen gegen die so genannte Schweine-Grippe

samten Weltbudgets für Medikamente aus. „Die ,Corporation’

wirkt, werde er oft gefragt. „Das ist noch nicht getestet wor-

hat bisher nur zwei Angestellte, aber eine große Wirkung auf

den und wird auch kaum funktionieren“, erwidert Pfirmann.

die Kunden vor Ort“, sieht sich der Geschäftsmann bestätigt. Die alten verfallenen Ställe müssen demnächst einem neuen Tiergesundheit, Humanimpfstoffe und Pharmazeutika sind

Kapitel der Firmengeschichte weichen – einem biopharma-

mittlerweile die drei großen Geschäftsfelder des Unterneh-

zeutischen Industrie-Park. Im anderthalb Quadratkilometer

mens. Die biopharmazeutische Qualitätskontrolle entwickelt sich derzeit zu einem vierten Geschäftsfeld. Ihre Dienstleistungen bauen auf den Fähigkeiten der eigenen innovativen Forschung, Entwicklung und Fertigung auf. Über zwölf Prozent

Im Herzen Europas

des Umsatzes werden wieder in die eigene Forschung investiert. Kunden sind die USA und etliche andere Industriestaa-

Der Pharmapark Dessau-Tornau liegt etwa auf halber

ten, die hier ihre Staatsreserven für Notfallimpfstoffe herstel-

Strecke zwischen Berlin und Leipzig – mitten im Herzen

len lassen. Deutschland und England zum Beispiel haben sich

Europas. Ziel eines biotechnologischen Pharmaparks ist

bei IDT versorgt.

es, Synergien angesiedelter Unternehmen und Gesellschaften zu nutzen und den Biologika-Standort weiter

Für die klinischen Erprobungen von Impfstoffen unter ande-

auszubauen. Dafür stehen erschlossene Flächen bereit.

rem gegen Aids, Malaria und Tuberkulose kann IDT Prüfmuster

Ein zukunftsorientiertes Standortmanagement ist für

herstellen. Dabei werden neue Technologien entwickelt – in

die Wirtschaftlichkeit des Pharmaparks entscheidend.

riesigen gläsernen Fabriken. Eines dieser beeindruckenden Häuser wurde mit dem internationalen „Facility of the Year

Hervorragende wirtschaftliche Bedingungen

Award“ gekürt. Das Besondere: Verschiedene virale Erreger

Mit günstigen Verkehrsanbindungen und einer sehr gu-

können in ein und demselben Gebäude unter streng vonein-

ten Infrastruktur sind hervorragende wirtschaftliche

ander getrennten Bedingungen produziert werden.

Bedingungen dafür gegeben. Auf dem etwa 120 Hektar großen Firmengelände der IDT haben sich in den vergan-

Der Weg zu diesem Neubau von 2007 führt vorbei an verlas-

genen Jahren mehrere Pharmaunternehmen angesiedelt.

senen Ställen aus den Gründerzeitjahren. Sie gehören zur fast

Dazu gehören die Oncotec Pharma Produktion GmbH und

90-jährigen Geschichte des Impfstoffwerkes, das sich 1939 auf

das Biotechnologie-Werk der Merz GmbH & Co. KGaA.

der Domäne Tornau ansiedelte. Wenn Geschäftsführer Pfirmann zur Historie des Unternehmens gefragt wird, erzählt er von der

Standortversorgung gesichert

Gründung des Bakteriologischen Instituts 1921 in Dessau, das

Für die Standortversorgung der Unternehmen ist die

1930 zum Anhaltischen Serum-Institut wurde, von der Neu-

Technik-Energie-Wasser Servicegesellschaft mbH ver-

firmierung 1954 als Forschungsinstitut für Impfstoffe und

antwortlich. Das Leistungsspektrum beinhaltet eine

von der Errichtung des Kombinates für Veterinärimpfstoffe in

firmeneigene Trinkwasserbereitstellung und Abwasser-

Dessau-Tornau 1985. Nicht zu vergessen natürlich das rettende

aufbereitung, Energie- und Medienversorgung sowie die

Nach-Wende-Jahr 1993, als der Familienunternehmer Hartmut

Abfallwirtschaft.

Klocke das Werk von der Treuhand übernahm.


Biotechnologie

großen Pharmapark sollen sich miteinander kooperierende Unternehmen ansiedeln. „Biopharmazeutische Firmen sind hochwillkommen, auch Technologie- und Fertigungsfirmen“, sagt Pfirmann, „und überhaupt sämtliche Investoren, die in unser Konzept passen. Sie alle können unseren unternehmenseigenen Versorger und Dienstleister TEW in Anspruch nehmen. Eine Erschließungstrasse ist vorhanden, die Mitarbeiter stehen in den Startlöchern.“ Der Vorteil von „eingekauften“ Dienstleistungen liege darin, dass sich jeder einzelne Betrieb auf sein Kerngeschäft konzentrieren könne, sich beispielsweise nicht um Wasser- und Stromversorgung oder um aufwändige Zulassungsverfahren kümmern müsse. „Auch die Qualitätskontrolle und -sicherung könnte die IDT für andere Firmen übernehmen. Unser Qualitätsmanagement ist Spitze“, betont der Unternehmensleiter und fügt stolz hinzu: „Schließlich ist das Sicherheitskonzept der IDT von der US-Regierung abgenommen worden.“ Einige Fremd-Ansiedler haben sich schon im Pharmapark eingerichtet. Oncotec zum Beispiel stellt Generika für die Krebstherapie her, und die Firma Merz produziert Botox. Zu allgemeinem Bekanntheitsgrad ist das Mittel durch die Schönheitsspritze gelangt. In die Muskeln injiziert kann es Verkrampfungen lösen, wird darum auch in der Medizin eingesetzt. Die Kombination von Flexibilität und Schnelligkeit ist für Geschäftsführer Ralf Pfirmann eine der Erfolgsformeln. Auf Pandemien, sagt er, könne die Produktion der IDT Biologika GmbH schnell reagieren. Nicht nur auf Grund modernster Technik. Der Chef lobt die hohe Qualifikation seiner 740 Mitarbeiter starken Belegschaft: „Alles aufgeweckte Leute, schließlich sind wir hier im Land der Frühaufsteher.“ Helle, kluge Köpfe – von denen kann die IDT nicht genug bekommen. Das Unternehmen sucht weiterhin nach Pharmazeuten, Biochemikern, Tierärzten... www.idt-biologika.de

Geschäftsführer Dr. Ralf Pfirmann: „Auch die Qualitätskontrolle und -sicherung könnte die IDT für andere Firmen übernehmen. Schließlich ist das Sicherheitskonzept von der US-Regierung abgenommen worden.“

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Medienwirtschaft

Sieht nur aus wie Müll: Wegwerfartikel, die sich derzeit in den MotionWorks-Studios stapeln, sind das Rohmaterial für die neue Bastelshow „Artzooka“, eine Koproduktion mit der kanadischen Firma CCI Entertainment.


Medienwirtschaft

Bunte Träume in Serie Von Halle aus erobern nicht nur Trickfilme, sondern auch Trickfilmer die Welt Von Frank Pollack

„Platz für gute Leute ist immer. Und was zu tun gibt es auch.“ Schon diese unorthodoxe Stellenausschreibung auf der Homepage lässt ahnen: Bei der halleschen Firma MotionWorks hält man sich nicht lange mit Krisen auf. Hier werden Träume produziert. In Serie! Eine Firma, in der Trickfilme wie „Mullewapp“ entstehen, die stellt man sich wohl gern ein bisschen so vor wie den Bauernhof, auf dem die drei Helden von Kinderbuchautor Helme Heine - der Gockel Franz von Hahn, das Schwein Waldemar und der Mäuserich Johnny Mauser - zu Hause sind: eine kleine, abgeschlossene Welt, in der Zeit und Muße herrschen zu tun, wozu man Lust hat. Zum Beispiel malen. Tony Loeser aber reißt solche Luftschlösser beherzt nieder: „Im Grunde sind wir so etwas wie eine Schraubenfabrik“, schockt der Chef und Gründer der halleschen Firma MotionWorks schon mal Bewerber, die an seine Tür klopfen, „nur dass am Ende keine Schrauben heraus kommen, sondern Filme.“ Andere falsche Erwartungen erledigen sich spätestens beim Rundgang durch die Studios im Mitteldeutschen Multimediazentrum (MMZ), wo das Unternehmen seit 2007 zu Hause ist: Wer hier Unmengen von Papier, Bleistiften oder Farbtöpfchen erwartet, wird bitter enttäuscht sein. Trickfilme, gleich welcher Art, entstehen heute fast komplett am Computer. „Trotzdem ist das praktisch reine Handarbeit“, relativiert Michael Reichert, der gerade mit Hilfe von digitalem Zeichentablett, elektronischem Stift und Computermaus eine Zeitmaschine durch die Welt der Dinosaurier streifen lässt: „in den vergangenen Jahren wurden nur die Werkzeuge gewechselt“. Der Animator sitzt in einem hellen Großraumbüro, vier Stockwerke über der Saale. Mit etwa 15 Kollegen arbeitet er hier gemeinsam an einer 26-teiligen Serie namens Artzooka, einer deutsch-kanadischen Koproduktion, die bald auf Nickelodeon zu sehen sein soll. Im Raum nebenan feilt ein noch etwas größeres Team an einer umfangreichen Produktion für den Kinderkanal. Zwei Türen weiter entstehen neue Folgen von „Kallis Gute-Nacht-Geschichten“ für das Sandmännchen.

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Medienwirtschaft

Bei MotionWorks wird projektorientiert gearbeitet. Was bedeu-

nahmen Studios in Italien, Frankreich, Lettland und Brasilien.

tet: Bei jedem Auftrag organisiert sich das Unternehmen mit

Die Reinzeichnungen wurden in China gefertigt, der Ton im

dem flinken blauen Gecko als Wappentier ein Stück weit neu.

Ruhrgebiet gemischt.

„Die Stammbelegschaft besteht aus 15 Mitarbeitern“, rech-

Das Resultat dieser weltumspannenden zweijährigen Ko-

net Loeser vor. Außer ihm als Geschäftsführer gehören dazu

operation indes wirkt, als hätte Buchautor Helme Heine das

je zwei Herstellungs- und Produktionsleiter, mehrere Produk-

Abenteuer höchst selbst auf die Leinwand gezaubert. Um

tionsassistenten, Büromitarbeiterinnen und ein Computer-

ein solches Resultat „aus einem Guss“ entstehen zu lassen,

experte.

„braucht man nicht einfach nur talentierte Zeichner“, räumt Loeser mit einem weiteren verbreiteten Irrglauben auf. Die

Für jedes neue Projekt stellt das Management ein maßgeschnei-

Schlüsselqualifikation eines guten Animators liege vielmehr

dertes Team aus internen und externen Spezialisten zusammen,

darin, „Bilder und Figuren anderer adaptieren zu können - eine

„mit denen sich das betreffende Vorhaben optimal umsetzen

hohe Kunst; an der viele sehr gute Leute scheitern“.

lässt“, wie der Firmenchef es formuliert. Das sei kaum anders als

Weil qualifiziertes Personal entsprechend schwer zu finden

in der übrigen Filmbranche auch, „nur dass wir keine Schauspieler

ist, regte der in Manchester geborene, in Berlin aufgewach-

casten, sondern Animatoren“. Im Durchschnitt beschäftige Moti-

sene und in Babelsberg ausgebildete Trickfilm-Enthusiast

onWorks ständig rund 40 bis 60 freie und befristete Mitarbeiter

bereits 1998 die Einrichtung einer Talentschmiede in Mit-

und kooperiere mit Dutzenden externen Dienstleistern.

teldeutschland an. Erst kurz zuvor hatte er mit Partnern aus

Für Tony Loeser funktioniert seine Traumfabrik ähnlich wie eine Schraubenfirma – „nur dass am Ende Filme rauskommen.“

Das bislang umfangreichste Projekt „Mullewapp - Das große

der Filmbranche die MotionWorks GmbH in Leipzig gegründet.

Kinoabenteuer der Freunde“, das MotionWorks im Juli in die

Dass dieses Unternehmen wenig später ins benachbarte Halle

Lichtspielhäuser brachte, war sogar das Werk von mehr als

umzog, hatte auch mit der „Animation Masterclass“ zu tun, die

500 Mitwirkenden auf drei Kontinenten. In Halle arbeiteten

1999 erstmals hochbegabte junge Künstler in die Saalestadt

oft bis zu 50 Frauen und Männer gleichzeitig an der Sieben-

lockte. „Die Landesregierung Sachsen-Anhalts und die Stadt ha-

Millionen-Euro-Produktion. Außer Drehbuch und Storyboard

ben uns - nicht nur in diesem Punkt - gut unterstützt. Außerdem

entstanden im Mitteldeutschen Multimediazentrum unter

überzeugte uns das Entwicklungskonzept für den Medienstand-

anderem die Hintergründe und Farbwelten sowie gut ein

ort“, begründet der Filmemacher seine Entscheidung für die Saa-

Drittel der Trickszenen. Den übrigen Teil der Animation über-

lestadt, die er ursprünglich gar nicht auf seiner Rechnung hatte.


Medienwirtschaft

„Inzwischen ist Halle in der Film- und Multimediabranche

bis hin zum Sound Design. „Besonders profitierten wir von

weithin ein Begriff“, bescheinigt Oliver Rittweger, Pressespre-

den stets offenen Türen bei MotionWorks und dem riesigen

cher der Mitteldeutschen Medienförderung. MotionWorks

Erfahrungsschatz unserer Dozenten“, erinnert sich Michael

habe daran mit einer Fülle erfolgreicher Produktionen wie

Reichert: „Das waren allesamt Menschen vom Fach“. So zählte

„Der kleine Eisbär“, „Lauras Stern“ oder „Mullewapp“ großen

2008 auch Jesper Møller zu seinen Ausbildern. Der Däne, ne-

Anteil. Aber auch Spielfilme wie „Luther“ oder technische Neu-

ben Tony Loeser Regisseur von „Mullewapp“, hatte unter an-

erungen wie das Video-on-demand-System „nowtilus“, mit

derem schon bei „Asterix und die Wikinger“ Regie geführt und

dem heute Videoportale von Microsoft MSN bis myvideo. com

für das Storyboard von „Tarzan II“ verantwortlich gezeichnet.

betrieben werden, hätten als Produkte hallescher Unternehmen den Standort bekannt gemacht. Nicht zu vergessen der

Seit 2005 gehören zusätzliche Reisen zum Pflichtprogramm

„Forward2Business“-Kongress, zu dem seit 2002 alljährlich

der Meisterschüler. „Sie besuchen eine weitere Animations-

führende Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker in die

schule im europäischen Ausland, lernen verschiedene Studi-

Saalestadt kommen, um Lösungen für die Medienwelten von

os kennen und schnuppern Festivalluft“, umreißt IAMA-Leiter

übermorgen zu diskutieren.

Riemenschneider den Tourneeplan. Das Erlernte werde auch

Dieses kreative Umfeld nutzt MotionWorks ebenso wie die

dabei stets in Praktisches umgesetzt, „denn im Laufe der Aus-

gute Infrastruktur, die das Multimediazentrum bietet. „Im

bildung produziert jeder Absolvent einen eigenen Animati-

MMZ steht zum Beispiel eine Tonmischanlage, die als erste in

onsfilm.“

Deutschland die Dolby-Premier-Studio-Licence, also die derzeit höchste Weihe, erhielt“, lobt Loeser, „Außerdem profitie-

Diese Meisterstücke, kombiniert mit dem Abschlusszertifikat

ren wir von der Zusammenarbeit mit Firmen vor Ort, insbe-

der EAM, sind offenbar überzeugende Türöffner in der Bran-

sondere bei der Postproduktion“.

che: Durchschnittlich zwei Kursteilnehmer jedes Jahrgangs

So wurden viele MotionWorks-Fernsehproduktionen von der

bleiben in Halle, um weiter für MotionWorks zu arbeiten.

Firma Popella Sound vertont, zu der die Trickfilmer mit dem

Absolventen der vergangenen Jahre sind heute für andere

Fahrstuhl fahren können. Die zu großen Teilen auf diesem

namhafte Studios tätig, wirken bei internationalen Produk-

„kurzen Dienstweg“ realisierte Kinderserie „I got a Rocket“,

tionen mit oder lehren an Hochschulen in verschiedenen

eine deutsch-australische Koproduktion, gewann 2008 einen

Ländern. „Zugleich stellen wir immer wieder fest: Die Meister-

Emmy Award. Die gute Vernetzung am Standort spiegelt sich

schüler behalten Halle in guter Erinnerung,“ freut sich Tony

auch in der International Academy of Media and Arts (IAMA)

Loeser über einen erhofften Nebeneffekt, denn „das macht

wider, an der seit 2005 die von Loeser mit initiierte European

es leicht, Kooperationen zu knüpfen oder den einen oder

Animation Masterclass (EAM) beheimatet ist. Zu den Mitglie-

anderen wieder hierher zurück zu holen.“ So wie zum Beispiel

dern des Trägervereins zählen neben der Stadt Halle und der

Michael Reichert. Als der Hohenloher Franke im Frühjahr das

Hochschule für Kunst und Design „Burg Giebichenstein“ auch

Angebot erhielt, bei „Artzooka“ mitzuarbeiten, musste er nicht

Unternehmen aus der Filmbranche, von der MDR-Tochter

lange überlegen. „Das Projekt gefiel mir. Und nach Halle, zu

Saxonia Media bis zur MotionWorks-Mutter Bavaria Film.

MotionWorks zu kommen, das war fast wie eine Heimkehr.“

„Wohl nirgends sonst kann man in so kurzer Zeit so viel in

www.motionworks-halle.com

Sachen Trickfilm lernen wie in der Masterclass“, zeigt sich

www.halle-academy.de

Michael Reichert begeistert über das exklusive Ausbildungs-

www.mmz-halle.de

angebot. Er hatte während seines Mediendesign-Studiums

www.mdm-online.de

an der Fachhochschule Schwäbisch Hall von dem Intensivprogramm erfahren. Nach einer erfolgreichen Bewerbung wurde er Anfang 2008 an der halleschen Akademie aufgenommen – zusammen mit acht jungen Leuten aus Italien, Irland, England, Estland, den USA und Deutschland. In neun Monaten lernen die Kursteilnehmer „das Handwerk des Animationsfilmers sowohl von der künstlerischen, als auch aus der wirtschaftlichen Perspektive kennen“, bringt Mike Riemenschneider von der IAMA das Konzept auf den Punkt. Der Lehrplan reiche von der Produktionsplanung über das Story Telling

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Menschen

Der Bitterfelder Dr. R체diger Newe machte sich 1998 selbstst채ndig. Sein Unternehmen f체r Zinnchemie hat inzwischen einen solch guten Ruf, dass die Kunden auf ihn zukommen. Denn er macht Sonnenschein aus Abfall.

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Chemieindustrie

Sonnenschein aus Abfall

Zinn sei eben ein Teufelszeug, aus dem man unheimlich viel

BNT Chemicals sitzt an der „Röhre“ und nutzt die Vorteile des ChemieParks in Bitterfeld

stoffexperte war erstmals vor zwei Jahrzehnten mit dem wei-

Von Ute Semkat

Das war noch im Chemiekombinat Bitterfeld. 1998 gründete er

machen könne, schwärmt der promovierte Ingenieur. Der Werkßen Schwermetall, Ordnungsnummer 50 im Periodensystem der chemischen Elemente, beruflich in Berührung gekommen. dann mit 13 Mitarbeitern sein heutiges Unternehmen für Spe-

Ach wo, hier leidet niemand an Bluthochdruck. Das Tablet-

zialchemikalien auf Basis von Zinn und Alkylchloriden. Mittler-

tenröhrchen gehört in die Mustervitrine. „Ein Pharmaher-

weile hat er 75 Frauen und Männer auf der Lohnliste und mehr

steller setzt ein Produkt von uns für die Herstellung eines

als 20 Millionen Euro in den Kapazitätsausbau investiert, drei

Bluthochdrucksenkers ein. Wir nehmen ihm die verbrauchte

Projekte liefen allein in diesem Jahr. Der 57-Jährige ist inzwi-

Zinnchemikalie dann wieder ab und haben ein Verfahren ent-

schen der Seniorchef bei BNT, in der Geschäftsführung steht

wickelt, daraus einen Basisrohstoff für andere Anwendungen

ihm Sohn Daniel, Diplombetriebswirt, zur Seite. Auch Frau und

zu gewinnen. Zum Beispiel für die Solarindustrie“, erklärt Dr.

Tochter arbeiten im Unternehmen.

Rüdiger Newe, Geschäftsführer der Bitterfelder BNT Chemicals GmbH, den medizinischen „Fremdkörper“ in seiner

Produziert wird einige hundert Meter vom Verwaltungssitz

Firma. Und fügt lächelnd hinzu: „Bei uns lebt Zinn zweimal

entfernt im ChemiePark Bitterfeld Wolfen. Die Chemiebranche

– erst für ein Herzmedikament, und dann bringt es noch

sorgt in Stadt und Region schon mehr als ein Jahrhundert für

Sonnenschein fürs Herz.“

den Broterwerb vieler Familien.


Chemieindustrie

Auf dem sanierten Gelände des früheren DDR-Kombinats haben sich seit den 1990er Jahren zahlreiche kleinere Unternehmen

ChemiePark Bitterfeld Wolfen

angesiedelt. Mittendrin, im Areal C, stehen die mehrstöckigen Produktionsanlagen von BNT. Typisch Chemie: Geschlossene Aggregate und Rohrbrücken lassen den Laien in vager Erinnerung an den schulischen Chemieunterricht höchstens

Fläche:

rund 1 200 ha

Noch verfügbar:

150 ha

ahnen, wie reaktionsfreudig es im Inneren läuft. Gesteuert

Derzeit ansässige

von einem Prozessleitrechner, geht Zinn mit Chemikalien wie

Unternehmen:

360 (davon mehr als

Chlor, Natronlauge und Salzsäure sehr spezielle Verbindun-

60 Chemiefirmen und

gen ein.

rund 300 in den Bereichen Dienstleistung,

Dr. Rüdiger Newe zeigt nacheinander auf die einzelnen An-

Ver- und Entsorgung, Bau,

lagenteile und benennt das jeweilige Produkt. Er könnte das

Bildung, Handel)

wohl auch mit geschlossenen Augen, obwohl keinerlei Gerüche einen Hinweis geben. Zinn sei übrigens völlig ungif-

darunter:

Akzo Nobel, Bayer, Evonik

tig, versichert er, weshalb schon die Menschen im Altertum

Degussa, Guardian,

dieses weiche Metall für Geschirr und Trinkbecher zu nutzen

IPI Heraeus,

wussten.

Kesla Linde, Miltitz Aromatics, Solvay, SÜD-Chemie

Für die heute weitaus breiter gefächerte Anwendungspalette lassen sich nur Beispiele nennen: Als Beschichtungsmit-

Arbeitskräfte:

ca. 11 000

tel für Hohlglas ermöglicht Zinn in der Getränkeindustrie

Standortgesellschaft:

P-D ChemiePark Bitterfeld

die wiederholte Nutzung von Glasflaschen und unterstützt

Wolfen GmbH

damit das Mehrwegesystem; bei Autolacken wie auch Silikondichtmassen bewirken Zinnkatalysatoren die schnelle Aushärtung;

Zinnverbindungen stabilisieren PVC-Fenster-

profile, damit sie viele Jahre der Witterung widerstehen kön-

Besonderheiten: -

(seit 1893)

nen. Auch beim Perlglanz mancher Autos und sogar in Haarsprays spielen die Spezialchemikalien eine Rolle.

einer der ältesten Chemiestandorte in Europa

-

Industrieprofil geprägt durch Chlor-, Phosphor-, Farbstoff-, Pharma-, Quarzglaschemie, Fein- bzw.

Die Solarzellenindustrie profitiert wiederum von den halbleiterähnlichen Eigenschaften dotierter Zinnoxidbeschich-

Hightech-Chemie sowie Metallurgie -

tungen auf Flachglas. Viele seiner Spezialitäten hat BNT

sanierte Flächen, modernste Produktionsanlagen, voll ausgebautes Straßen-, Schienen- und Rohr-

selbst bis zur Marktreife entwickelt. Oft würden sie nur „in

leitungsnetz

homöopathischen Mengen“ in die Produkte der Kunden einfließen, vergleicht Dr. Newe, bei einigen liegt die anteilige

-

eigenes Klärwerk

Prozentangabe weit hinter Nullkomma…. Für einen großen

-

gemeinsame Nutzung der Infrastruktur,

Chemiekonzern wäre dieses Geschäft nicht wirtschaftlich.

z.B. Benutzung von Rohrbrücken für Rohstoffund Produktleitungen, Versorgung mit Trink-

In Europa verarbeitet nur eine Handvoll Wettbewerber das

und Brauchwasser/ Entsorgung von Rein- und

aus dem Erz der Zinnsteingruben in China, Indonesien oder

Abwasser

Südamerika gewonnene Metall zu Chemikalien. Der Zinnpreis an der Londoner Metallbörse sei durch Spekulationsgeschäfte starken Schwankungen unterworfen, kritisiert Dr. Newe: „da muss man mit den Kunden spezielle Preisvereinbarungen treffen.“ BNT Chemicals liefert direkt oder über Händler in etwa 40 Länder, rund 75 Prozent des vorjährigen Umsatzes von gut 28 Millionen Euro kamen aus dem Exportgeschäft.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 01/09

-

Nutzung einer Werkfeuerwehr

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Chemieindustrie

„Wir haben inzwischen einen Bekanntheitsgrad erlangt,

wie Chlor und Chlorwasserstoff wäre die Anlieferung sonst we-

bei dem man von Kunden empfohlen und angesprochen

gen der hohen Sicherheitsauflagen sehr teuer. Unsere Einspa-

wird – auch von denen mit großem Namen“, erzählt der Un-

rungen liegen pro Jahr im fünfstelligen Bereich“, überschlägt Dr.

ternehmer, „aber wir sitzen deshalb nicht still.“ Auf Wachs-

Newe den Nutzen für BNT. Als guten Service des ChemieParks

tumsraten beim Umsatz von jährlich 15 bis 20 Prozent hat

nennt er außerdem die zentrale Abwasserbehandlung und

sich der Unternehmenschef, der auch ein kluger Rechner ist,

Energieversorgung, wahlweise Erdgas oder Dampf. Er hält das

nie ausruhen wollen. Zum einen hat das mittelständische

Dienstleistungsmodell noch für ausbaufähig, zum Beispiel in der

Unternehmen mit eigenem Know-how kostengünstige Her-

Zusammenarbeit mit weiteren Servicepartnern und Behörden.

stellungsverfahren entwickelt, zum anderen werden dem

Im Jahr 2009 hat BNT sein Wachstum zum ersten Mal nicht

Kunden Paket-Lösungen offeriert – Service inklusive. „Wir bie-

fortgesetzt, die Wirtschaftskrise erreicht das Unternehmen

ten unseren Kunden Dienstleistungen zur Entsorgung von

über seine Kunden. Ruhig Blut bewahren, heißt es bei Firmen-

Abprodukten an, die bei der Nutzung unserer Produkte ent-

chef Dr. Newe: „Solange es Glas gibt, wird es auch die Zinn-

stehen. Oder – mit Blick auf die Arbeitssicherheit – spezielle

chemie geben.“

Lösungen bei den Verpackungsmaterialien, oder auch Absorbersysteme zur Luftreinhaltung. In solchen Fällen setzt sich

www.bnt-chemicals.de

unser Preis aus Produkt, Service und Sicherheit zusammen.“

www.chemiepark.de

Die Ansiedlung im ChemiePark zahlt sich auch dadurch aus, dass wichtige Ausgangsstoffe per Rohrleitung kommen, die Lieferanten sitzen in der Nachbarschaft. „Bei Gefahrenstoffen


Chemieindustrie

Glasklares Verfahren: Zinn ermöglicht die Mehrfachnutzung von Getränkeflaschen.

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Geschichte

Dreieinhalb Steinwürfe durch die Ewigkeit Erkundungen im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet 20 Jahre nach dem Mauerfall Von Harro Kress

Hier war einmal die Welt zu Ende. Zwar sind die beiden kleinen Dörfer nur gut dreieinhalb Steinwürfe voneinander entfernt, doch zwischen ihnen lag eine Ewigkeit, von der kaum jemand glaubte, dass sie je enden würde. Sommersdorf war Osten, Hohnsleben war Westen – dazwischen ein mit deutscher Gründlichkeit bewachtes Niemandsland, das die einen Todesstreifen nannten, während die anderen von der „Staatsgrenze West“ sprachen. Es hat alles, um in guter Erinnerung zu bleiben. Der Frühling 1952 kündigt einen Sommer an, wie Schriftsteller ihn gern für fröhlich-bunte Bilderbuchgeschichten wählen. Schnell schiebt die Sonne am Morgen den dunstig-weißen Schleier beiseite, der sich in der Nacht zwischen die Anhöhen um Sommersdorf gelegt hat. Das kraftvolle Grün der Wiesen und Felder scheint wie von Meisterhand gemalt und verspricht reiche Ernte. Und wenn der Regen nicht ausbleibt, hört man selbst die Bauern in der Gegend schon sagen, könnte es ein richtig gutes Jahr werden. Wäre die Neuigkeit nicht in Windeseile über den „Buschfunk“ verbreitet worden, hätte Gustav-Adolf Müller hinter dem Verkaufstresen seines kleinen Lebensmittelladens in Sommersdorf wohl nicht einmal mitbekommen, was da vor sich geht. Nur einige hundert Meter von seinem Heimatort entfernt, entstehen im Mai 1952 die ersten Teile eines Bauwerks, das später als „Eiserner Vorhang“ in die europäische Geschichte eingehen und das kriegsbesiegte Deutschland für fast vier Jahrzehnte in der

„Und plötzlich hatte die Bedrü-

Mitte teilen soll.

ckung ein Gesicht bekommen: das eines DDR-Soldaten, dem die

„Von heute auf morgen war die Grenze zwischen der eng-

Flucht in den Westen gelungen

lischen und der russischen Besatzungszone plötzlich eine be-

war, und der dafür einen anderen

festigte Trennlinie, über die man nicht mehr so ohne weiteres

jungen Grenzer erschossen im

hinüber huschen konnte“, erzählt der 76-Jährige.

Todesstreifen zurückgelassen hat.“

Davor war es zwar auch verboten, die „Grüne Grenze“ ohne amtliche Genehmigung zu passieren, aber auch nicht sonderlich schwer, das Verbot zu unterlaufen. Doch dieser Mai soll alles verändern. „Jetzt war uns allen klar, dass andere Zeiten angebrochen sind“, erinnert sich Gustav-Adolf Müller an die Gedanken, die ihm und vielen anderen Einwohnern des kleinen Bördedorfs damals durch den Kopf gehen.


Geschichte

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Geschichte

Drei Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland

selbst erlebt habe, sagt er. Wie das damals war? „Wenn die Leute

am 23. Mai 1949 und der Deutschen Demokratischen Republik

auf dem Acker die Rüben gehackt haben, mussten sie vorher im-

am 7. Oktober 1949 beginnt 1952 auf sowjetischen Befehl hin der

mer die Ausweise abgeben, wurden zwischen den Sperrzäunen

systematische Ausbau der deutsch-deutschen Grenze. Damit

eingeschlossen und von den Posten genau beobachtet.“ Müller

einher geht die Schaffung eines fünf Kilometer breiten Sperrge-

holt tief Luft und schüttelt den Kopf. Irgendwie schizophren sei es

bietes entlang der rund 1 400 Kilometer langen Ost-West-Trenn-

alles gewesen. „Aber das“, meint er, „war im Vergleich zu den 60er

linie ebenso wie die tausendfache Zwangsaussiedlung vermeint-

und den 70er Jahren fast noch harmlos.“

licher Gegner des DDR-Systems. Das verschärfte Grenzregime, zu dem jetzt auch der Gebrauch von Schusswaffen gehört, macht

Am 13. August 1961 schließt die DDR in Berlin das letzte Schlupf-

fortan jeden Versuch zu einem lebensgefährlichen Wagnis, von

loch zwischen Ost und West. Die Errichtung des „antifaschis-

Deutschland nach Deutschland zu kommen.

tischen Schutzwalls“, wie die Berliner Mauer von der DDRPropaganda genannt wird, markiert zugleich den Beginn für

Gustav-Adolf Müller schließt die Augen und faltet die Hände vor

die ständige Perfektionierung der deutsch-deutschen Grenze.

seinem Gesicht. „Mein Gott...“ seufzt er leise. Seine Gedanken

Stacheldraht, Metallgitterzaun, Kontrollstreifen, Signalgeber,

wandern zurück in eine vergangene Zeit, in der es Alltag war, dass

Fahrzeugsperren, Minen, Selbstschussanlagen... Kein Aufwand

sich ein paar Hundert Meter hinter dem Gartenzaun ein Minen-

ist dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ zu groß, um seine Bürger

feld befand. Niemand könne sich das vorstellen, der das alles nicht

an der Flucht gen Westen zu hindern. Im Bereich von 29 grenz-


Geschichte

nahen Ortschaften werden auf einer Länge von gut 100 Kilo-

desrepublik Deutschland. Aber wenn die Flucht scheitert, wird

metern massive „Grenzmauern mit Griffabweisern“ errichtet –

man ihn mit besonderer Härte bestrafen. Klaus Degner wagt es

der Kilometer aus hochwertigen Betonfertigteilen für stolze

schließlich doch. Und bei der Flucht in den Westen tötet er sei-

300 000 Ost-Mark. Seit 1970 werden so genannte Selbstschuss-

nen Postenführer.

anlagen an der DDR-Grenze zur Bundesrepublik installiert. Bei Auslösung einer SM 70 durchsieben rund 100 Stahlwürfel das

„Der junge Mann ist direkt nach Hohnsleben in den Ort rein-

Opfer. Bis zum Abbau 1983 sind auf 440 Kilometer Länge rund

gerannt“, weiß Ernst-Heinrich Wietfeld zu berichten. Wie trau-

60 000 SM-70-Geräte im Einsatz. Die Montage lässt sich die fi-

matisiert sei er durch das Dorf gelaufen, bis ihm jemand die

nanziell sonst so klamme DDR je Kilometer etwa 100 000 DDR-

Tür geöffnet und den Bundesgrenzschutz benachrichtigt habe.

Mark kosten. Wietfeld lässt seinen Blick hinüberschweifen zu jenem Feld„Ein mulmiges Gefühl hatte ich immer“, erzählt Ernst-Heinrich

rand, an dem einst der Grenzzaun entlanglief. Und seine sonst

Wietfeld. Nach dem Studium übernimmt der heute 52-Jährige

so kraftvolle Stimme wird ganz leise: „Mit dieser Flucht und ih-

in den 1980er Jahren den Hof seines Vaters in Hohnsleben. Der

ren tragischen Begleitumständen hatte die Bedrückung, die ich

gut 90 Hektar große Landwirtschaftsbetrieb reicht auf einer

über all die Jahre immer verspürt habe, nun plötzlich auch ein

Länge von zwei Kilometern bis an die deutsch-deutsche Gren-

Gesicht bekommen – das eines DDR-Soldaten, dem die Flucht

ze heran. Und immer wenn der Landwirt seinen Acker bestellt

in den Westen gelungen war, und der dafür einen anderen

oder die Ernte einfährt, stehen die uniformierten Zuschauer mit

jungen Grenzer erschossen im Todesstreifen zurückgelassen hat.“

unbeweglicher Miene, um den vermeintlichen West-Provokateur mit Fernglas und Fotoapparat genau zu beobachten und sein Tun

Es heißt, die Bewertung von Schuld speise sich immer aus ei-

akribisch zu dokumentieren. Denn ab und zu passiert es, dass der

nem ganz persönlichen Blickwinkel. Deshalb mag sie sehr unter-

Pflug oder ein anderes Gerät beim Wenden in den spitz zulaufen-

schiedlich ausfallen. Am Ende aber bleibt – egal, aus welcher Per-

den Ecken den Grenzzaun schrammt. Heute kann Ernst-Heinrich

spektive man Geschichte betrachtet – ein bitteres Fazit, zu dem

Wietfeld darüber sogar schmunzeln, aber „damals ist mir in sol-

nur eine ungenaue Zahl existiert: Mehr als 850 Menschen haben

chen Situationen fast das Herz stehen geblieben.“

von 1949 bis 1989 an der Trennlinie zwischen den Systemen ihr Leben verloren – die meisten davon ostdeutsche Flüchtlinge, aber

Dabei hat es ihm Vater Heinrich schon als Kind eingebläut: Halt´

auch 28 DDR-Grenzpolizisten und Grenzsoldaten.

dich bloß fern von der Wirpke! Der kleine Bach, unmittelbar hinter dem Hof der Wietfelds gelegen, ist die Grenze. Dort kann das

Der Blick zurück verliert sich heute zwischen grünen Wiesen und

wilde Räuber-und-Gendarm-Spiel schnell tödlich enden. Ernst-

goldgelben Getreidefeldern. Nur im nahe gelegenen Hötens-

Heinrich versteht das damals nicht, aber er hält sich an die Er-

leben erinnert ein original erhalten gebliebener Grenzabschnitt

mahnung des Vaters. Meistens. Erst später begreift er, dass der

noch an die 37 Jahre währende Ewigkeit vor dem November

Vater nicht übertrieben hat.

1989. Zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall hat die deutsche Gegenwart die deutsch-deutsche Vergangenheit vielfach aus

Bis in ihre letzten Tage hinein bestreiten die DDR-Machthaber

dem Bewusstsein verdrängt. Alles ist so, als ob es nie anders ge-

die Existenz eines Schießbefehls. Doch inzwischen ist durch Zeit-

wesen wäre: Sommersdorf und Hohnsleben liegen noch immer

dokumente historisch belegt, dass Erich Honecker schon 1974 in

gut dreieinhalb Steinwürfe voneinander entfernt – der eine Ort

einer Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates fordert, dass

in Sachsen-Anhalt, der andere in Niedersachsen.

Grenzdurchbrüche unbedingt zu verhindern seien und dabei „von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden“ müsse. Und wieder ist es Mai, ein Mittwoch, der Kalender zeigt den 5.5.1982 an. Gemeinsam mit seinem Postenführer patroulliert Soldat Klaus Degner (Name geändert) im Grenzabschnitt zwischen Sommersdorf und Hohnsleben. Der junge Mann ist nervös. Wieder und wieder hat er sich in den vergangenen Tagen gefragt, ob er es tun soll: Einfach abhauen rüber in den Westen? Ein paar Meter nur trennen ihn vom Hoheitsgebiet der Bun-

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Aber beide in Deutschland.

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Fahrzeugbau

Mit der Kraft des Doppelherzens Traditionsbetrieb in der Altmark gibt alten Dieselloks neue Puste Von Andreas Müller

Pensionierte Dieselloks träumen von Stendal im Norden SachsenAnhalts. Wer es von ihnen im hohen Alter noch auf das Abstellgleis der Alstom Lokomotiven Service GmbH schafft, dem winkt bald ein zweites Leben. Der über 100 Jahre alte Traditionsbetrieb am Flüsschen Uchte ist selbst für über 40 Jahre alte Schienen-Methusalems ein Gesundbrunnen. Sie alle verlassen das moderne Werk wieder mit neuem Innenleben und leistungsfähiger als sie je waren. Und einige davon rollen dann sogar besonders umweltfreundlich, leise und sparsam mit der Kraft zweier Energiequellen durch die Welt. Sie dürfen sich Hybridlok nennen. Alstom-Ingenieure aus Stendal und vom Mutterkonzern haben diese zukunftsträchtige Rangierlok entwickelt. Weil sie besonders leise daherkommt, wird sie scherzhaft schon „Flüsterlok“ genannt. Doch vor allem macht das Schienenfahrzeug mit seinen Verbrauchs- und Abgasparametern Schlagzeilen. Der Prototyp in den Alstomfarben Blau-Weiß-Rot wurde auf dem Stendaler Betriebs-

Für die Umwelt ein Segen und

stand und kürzlich im Härtetest im Hafen von Rotterdam erprobt.

für Verkehrsunternehmen eine Sparbüchse – Hybridloks aus

Geschäftsführer Klaus Hiller berichtet stolz, was die akribisch

Stendal benötigen nur halb so

dokumentierte zweimonatige Bewährungsprobe in Holland

viel Diesel.

gebracht hat: „Unsere Hybridlok kommt im Vergleich zu anderen Rangierloks mit 56 Prozent weniger Diesel aus. Die abgegebene Schadstoffmenge wurde um 60 bis 80 Prozent redu-

Dazu kommt ein intelligentes Energiemanagementsystem.

ziert.“ Angesichts dieser Werte nennt der Stendaler Chef die

Es setzt die benötigte Anfahrzugkraft im Bedarfsfall aus

Hybridlok einen „Segen für die Umwelt und langfristig eine

hochleistungsfähigen Batterien frei, die einen zusätzlichen

Sparbüchse für die Verkehrsunternehmen“. Hinzu komme ein

Elektromotor antreiben.

erheblich reduzierter Wartungsaufwand für das Schienenfahrzeug aus der Altmark. Kenner sehen sofort, dass es sich bei

Aufgeladen werden die Akkus wiederum durch den relativ

dieser Zugmaschine im Grunde um eine der alten V 100 aus

kleinen Diesel immer dann, wenn die Lok ohnehin im Leer-

dem brandenburgischen Hennigsdorf mit neuem Innenleben

lauf steht. Im normalen Rangierbetrieb macht das immerhin

handelt. Sie ist um bis zu 15 Dezibel leiser als eine herkömmli-

drei Viertel der gesamten Arbeitszeit aus. Die Hälfte der Ein-

che Dieselrangierlokomotive.

satzzeit ist der Generator sogar ganz abgeschaltet, und die Loks fahren ausschließlich im Batteriebetrieb.

Ermöglicht hat das ein völlig neues Antriebssystem. Die Hybridlok kommt mit einem 270-Kilowatt-Diesel-

Die Stendaler Lokomotivbauer setzen darauf, dass ihre Ent-

motor aus. Ihr Vorgänger hatte mehr als die dreifache

wicklung demnächst auch im regulären Eisenbahnbetrieb in

Leistung. „Und trotzdem gerät unsere Rangierlok beim

Europa Einzug hält. Die Hybridlok für den Rangierbetrieb soll

Anfahren mit Last nicht ins Stocken“, berichtet Geschäfts-

wie die anderen modernisierten Veteranen aus Stendal ver-

führer Hiller. Die Lok wird durch Elektromotore angetrieben.

kauft oder vermietet werden.


Fahrzeugbau

Alstom hat für dieses nachhaltige Projekt tief in die Tasche gegriffen und laut Geschäftsführer Hiller dafür bislang keine Förder-

Der französische Alstom-Konzern gilt als eines der führen-

mittel in Anspruch genommen. „Jetzt suchen wir Betreiber und

den Unternehmen im Energie- und Transportbereich. Er

Partner, die die umweltfreundliche Zugmaschine weitsichtig mit

ist mit rund 6 350 Mitarbeitern an über 15 Standorten in

uns zusammen in Fahrt bringen möchten. Wir sind bereit, eine

Deutschland tätig. Im Jahr 2002 übernahm Alstom durch ein

erste kleine Flotte davon zu bauen“, sagt der Geschäftsführer.

Joint Venture mit der Deutschen Bahn AG das damals vom

Damit könnten die Standhaftigkeit der Lok und ihre Parameter

Aus bedrohte Reichsbahn-Ausbesserungswerk (RAW) in

langfristig getestet und weiter verbessert werden. Hiller wünscht

Stendal. Die heutige Alstom Lokomotiven Service GmbH hat

sich, dass sich ein Bahnunternehmen findet, um die Hybridlok

rund 160 Beschäftigte. Das Unternehmen hat mehr als sechs

gemeinsam zur Serienreife bringen zu können. „Wir haben den

Millionen Euro in die teils denkmalgeschützten Hallen und

Prototyp. Jetzt brauchen wir die Nullserie. Die werden wir auf

Produktionsmittel investiert. Es modernisiert alte Diesel-

Herz und Nieren prüfen. Und dann könnte die Hybridlok in

lokomotiven und wartet oder repariert moderne Triebwa-

Serie gehen.“ Auf dem Abstellgleis in Stendal warten schon jetzt

genzüge aus der Produktion des Schwesterunternehmens

Dutzende alter Dieselloks auf den Tag, an dem auch in ihnen die

in Salzgitter. Neu aufgebaute Dieselloks aus der Altmark

Kraft der zwei Herzen schlägt.

laufen im gesamten Bundesgebiet sowie in den Niederlanden und sind seit kurzem auch in Österreich zugelassen.

www.alstom.de

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Kultur


Kultur

Der Erzbischof wollte es französisch In Magdeburg wurde der Grundstein für die Moderne des Mittelalters gelegt Von Ute Semkat

Was mögen die Menschen im mittelalterlichen Magdeburg

in der Mitte des 13. Jahrhunderts die Architekten vom bloßen

wohl über diesen Kathedralbau gedacht haben, der anno 1209

Ausmessen und Abstecken des Baugrundes zum Zeichnen ei-

auf der Brandruine ihres alten Doms empor wuchs? Weder sei-

nes Entwurfs auf dem Papier übergingen - und wie sich damit

nen Grundriss noch die kühnen Spitzbögen hatte er mit den

ihr Berufsbild vom Handwerker zum „Ingenieur“ und Künstler

runden Formen des ottonischen Vorgängers gemein. Waren die

wandelte.

Magdeburger fasziniert? Oder haben sie verwundert die Köp-

Die Kunstliebhaber unter den Ausstellungsbesuchern können

fe geschüttelt, so wie wir das heute manchmal tun angesichts

Portalfiguren aus Sandstein und Goldschmiedearbeiten be-

„neumodischer“ Architekteneinfälle? Modernisierer im mittel-

wundern, kostbare Handschriften und Buchmalereien. Unter

alterlichen Magdeburg war ausgerechnet ein Erzbischof, Alb-

dem Schutz einer Glasvitrine liegt die älteste erhaltene Bil-

recht II.. Wie viele Geistliche hatte er an den neugegründeten

derhandschrift des Sachsenspiegels. Diese berühmte Schrift-

Universitäten in Bologna und Paris studiert und an der Seine

fassung des Rechts aus dem Mittelalter formulierte der Ritter

den Bau der Kathedrale von Notre Dame bewundert. Der neue

Eike von Repgow wahrscheinlich auf Burg Falkenstein im Harz,

Baustil imponierte ihm, er war so viel filigraner, schlanker, spit-

im heutigen Sachsen-Anhalt.

zer als bei den gedrungenen romanischen Kirchenhäusern daheim in Deutschland – einfach erhabener.

Gar so rückständig, wie oft geschildert, kann das 13. Jahrhundert nicht gewesen sein. Unter Historikern gilt es vielmehr als

Albrecht brachte den französischen Stil – viel später erst go-

Zeit des Aufbruchs und einer Welt im Umbruch. Wiewohl die

tischer genannt - direkt bis an die Elbe. Und eben nicht nur bis

bäuerliche Mehrheit unter der Willkür ihrer weltlichen und

an das andere Ufer des Rheins, wie die Magdeburger immer

geistlichen Landesherren litt, reisten Adel und Klerus, Kauf-

wieder gern vor ihren Besuchern betonen: Ja, in Magdeburg und

leute und Kreuzfahrer kreuz und quer durch Europa. Weil

nicht etwa in Köln steht die erste nach gotischem Vorbild errich-

Reisen bildet, wuchs das Wissen über die Welt beträchtlich –

tete Kathedralkirche auf deutschem Boden.

und verbreitete sich „explosionsartig – auch ohne Internet“, lobt Museumsdirektor Professor Dr. Matthias Puhle schmun-

In diesem Jahr jährt sich die Grundsteinlegung zum 800. Mal.

zelnd unsere Vorfahren. Vor allem die geistliche Bildungselite

Diesem Anlass widmet sich noch bis zum 6. Dezember die Lan-

spann Länder übergreifende Netzwerke der Wissenschaften

desausstellung Sachsen-Anhalt 2009: „Aufbruch in die Gotik

lange vor Gründung der Europäischen Union. Magdeburg war

– Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit“. Im Kultur-

ein Knotenpunkt dieses Netzwerks, seit der Kaiserkrönung

historischen Museum, nur einen Steinwurf vom Dom entfernt,

Ottos im Jahre 962 über Jahrhunderte ein einflussreiches kul-

spannt sie mit rund 400 originalen Sachzeugen einen großen

turelles und geistiges Zentrum sowie Impulsgeber für Europa.

Bogen von der Architektur über die Kultur bis zum städtischen

Wegen dieser historischen Bedeutung Magdeburgs möchte

Leben im Hochmittelalter. Die Leihgaben kommen aus elf Län-

Professor Puhle in der heutigen Landeshauptstadt Sachsen-

dern. Genauso international ist das Publikum. Junge Architek-

Anhalts ein „Zentrum für Mittelalterausstellungen“ einrichten.

turstudenten stehen staunend vor einer Tuschezeichnung der

Der Dom am Hochufer über der Elbe, alles überragendes

Westfassade des Straßburger Münsters. Sie ist eine der frühe-

Machtsymbol aus Stein, ist seit acht Jahrhunderten das städ-

sten noch erhaltenen Bauzeichnungen und macht sichtbar, wie

tische Wahrzeichen. Zu Bauzeiten war er auch ein wichtiger

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Kultur

Brotgeber, weil er der Handwerkerschaft Arbeit brachte und de-

Liebe. Im vorjährigen November hatten Archäologen die Grab-

ren Salär wiederum das Geschäft der Händler florieren ließ. So

lege im Chorumgang des Doms entdeckt, verborgen in einem

erwachte städtisches, frühes bürgerliches Bewusstsein. Viele

Sandsteinsarkophag, der wiederum erst aus dem 16. Jahrhun-

Magdeburger waren sich der großen Vergangenheit ihrer Hei-

dert stammt und bis dahin als Scheinsarg (Kenotaph) gegolten

matstadt lange nicht bewusst. Solches „Selbst-Bewusstsein“

hatte. Doch unter dem zerkratzten Deckel des inneren Bleisargs

war mit dem Verlust des historischen Stadtbilds untergegan-

von lediglich 77 Zentimeter Länge fanden sich Knochen und

gen, das in zwei barbarischen Kriegen 1631 und 1945 nahezu

Gewänderreste. Die noch andauernden Untersuchungen be-

ausradiert wurde. Unter dem Bombenhagel des Weltkriegs

stätigen immer mehr die Vermutung, dass es sich tatsächlich

zerbarst auch die Hauptorgel im Dom, jedoch die stolze Ka-

um das umgebettete Grab der angelsächsischen Gemahlin des

thedrale selbst blieb wie durch ein Wunder erhalten. Heute bil-

späteren Kaisers Otto I. handelt. Vielleicht kann der unter Histori-

det sie zusammen mit dem romanischen Kloster Unser Lieben

kern als sensationell geltende Fund auch endgültig klären, warum

Frauen eine wieder ansehnliche historische „Meile“. Das Kloster

Magdeburgs gotischer Dom „schief“ steht. Möglicherweise muss-

beherbergt eine Konzerthalle sowie ein Kunstmuseum, und im

te seine Achse gegenüber dem Vorgängerbau um sieben Grad

Dom lockt seit 2008 wieder eine neue Königin der Instrumente

verschwenkt werden, damit die Begräbnisstätte in den Chorraum

mit ihrer hoch gelobten Klangqualität Organisten aus aller Welt

des Neubaus einbezogen werden konnte.

nach Magdeburg. Nachsatz: Zur sehenswerten Domlandschaft Sachsen-Anhalts Noch einmal zurück zur Gotik-Ausstellung. Ihr zeitlicher Rah-

gehören auch die Sakralbauten in Havelberg, Halberstadt, Halle/

men beginnt genau genommen schon drei Jahrhunderte frü-

Saale, Merseburg, Naumburg und Zeitz. Im Halberstädter Dom be-

her, im 10. Jahrhundert. Denn im Museum wird erstmals der

findet sich eine der bedeutendsten Domschatzkammern Europas.

mutmaßliche Bleisarg von Königin Editha präsentiert, der ersten Frau Ottos des Großen – und der Legende nach seine große

www.gotik2009.de



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Forschung

Zwergenaufstand mit viel Energie Dardesheim will mit Wind, Sonne und Wasserkraft ein Vorbild für regenerative Speichertechnologien schaffen Von Ute Semkat

Dardesheim sollte keiner unterschätzen. Auch wenn die dritt-

Seit der Wirt die Schnitzel mit Sonnenenergie brät, hat der Gast-

kleinste Stadt in Sachsen-Anhalt nicht einmal ganz 1000 Einwoh-

hof den Ausstoß von ungefähr 40 Tonnen CO2 vermieden, das

ner zählt, auch wenn in Ermangelung wirklich hoher Berge kein

als Klimakiller gilt. Diese Menge zeigt das Display am Eingang

Harzwanderer bis hierher kommt. Aber während manche große

zusammen mit der Zahl der gerade erzeugten Kilowattstunden.

Stadt nur viel Wind um sich macht, macht Dardesheim aus dem

Über die Umweltfreundlichkeit regenerativer Energie braucht

Wind ein Geschäft.

Bartelt niemanden mehr aufzuklären, wenngleich man im Gespräch mit ihm spürt, dass der Windpionier noch vor einigen

Das Städtchen und der Harzkreis sind seit 2008 eine von sechs

Jahren unermüdlich Überzeugungsarbeit leisten musste. Dass

so genannten „E-Energy-Modellregionen“ des Bundes mit dem

heute sogar große Energiekonzerne mit am Tisch der Modell-

Anspruch, ein Pilotmodell für Deutschlands künftige Energiever-

region-Macher sitzen, erklärt er so: „Die haben gemerkt, dass

sorgung zu schaffen. Sicher, wirtschaftlich und umweltfreundlich

sie ein Problem mit ihren Atommeilern haben, ein Problem

soll diese Zukunft sein. Und das Kraftwerk dafür müsse nicht erst

mit der herkömmlichen Energieversorgung.“ Jetzt wollten die

erfunden werden, schwärmt Projektkoordinator Heinrich Bartelt:

Energieunternehmen in der Harzregion schauen, ob es auch

„Unser Zukunftskraftwerk ist das Wetter“, verweist er auf Wind,

anders geht.

Sonne und Wasser. Die Harzer setzen als einzige Modellregion ausschließlich auf erneuerbare Energien und wollen damit schon

„Anders gehen“, das heißt: Die heimischen Energieerzeugeranla-

in wenigen Jahren die knappe Viertelmillion Einwohner im Land-

gen aus Wind, Sonne, Biomasse sowie Wasserkraft sollen im „Rege-

kreis komplett versorgen.

nerativen Kraftwerk Harz“ (RKWH) vernetzt werden, in einem virtuellen Kombikraftwerk mit einem gemeinsamen Fahrplan. Wenn

Auch Heinrich Bartelt sollte keiner unterschätzen, wenn er

starker Wind oder Sonne mehr Energie liefern, als augenblicklich

hemdsärmelig und mit flottem Basecap auf den ersten Blick ge-

benötigt wird, könnte mit diesem Überschuss im 30 Kilometer ent-

nauso wenig nach einem Unternehmenschef aussieht wie sein

fernten Pumpspeicherkraftwerk Wendefurth Talsperrenwasser in

Projektbüro nach Innovation und Fortschritt. Man betritt diese

das Oberbecken befördert und so als Wasserenergie gespeichert

„Schaltzentrale“ durch den Hintereingang des „Dardesheimer

werden. In Spitzenlastzeiten oder bei längerer Windflaute wür-

Geschäftshauses“, vorn ist der Dorfkonsum. Aber der 54-jährige

de das Wasser durch zwei Turbinen 130 Meter tief zurück in den

Unternehmer kommt mit seinen Ideen keineswegs durch die

Stausee schießen und neuen Strom liefern. Dieser Verbund von

Hintertür.

ausschließlich „grünen“ Energien könnte zugleich das Speicherproblem der unsteten „Lieferanten“ Wind und Sonne lösen helfen.

Seit er aus dem westfälischen Ibbenbüren nach Dardesheim zog, weht hier ein anderer Wind. Auf dem Druiberg, dem Haus-

Aber wird das Kombikraftwerk auch wirtschaftlich sein? „Wir

berg der Dardesheimer, drehen sich 33 Windräder mit ins-

sind ja selbst Geschäftsleute“, beschwichtigt Heinrich Bartelt

gesamt 62 Megawatt Leistung. Die von Bartelt gegründete

die Skeptiker, „und wir werden ausprobieren, wie wir die erneu-

Windpark Druiberg GmbH & Co KG erzeugt im Jahr rund 130

erbaren Energien konkurrenzfähig machen.“ Er ist schon jetzt

Millionen Kilowattstunden und damit vierzigmal soviel Strom,

vom Erfolg überzeugt: „Das funktioniert. Die Branche kann

wie das Städtchen verbraucht. Man könnte sich vorstellen, wie

weltweit zu einer der stärksten Industrien werden, mindes-

die Rotorblätter oben im Windpark langsamer kreisen, wenn

tens so stark wie die Automobilbranche.“ Vorausgesetzt, die

unten im Städtchen alle Familien gleichzeitig den Fernseher

Technologien und Ausrüstungen werden massenproduktions-

zum Bundesligaspiel anstellen. Aber natürlich wird auch die

tauglich und damit preiswerter. „Die Kosten für fossile Ener-

Energie aus Dardesheim nur ins Überlandnetz eingespeist.

giequellen dagegen steigen immer weiter, je knapper diese werden“, ergänzt Bartelt und verschränkt die Arme zu einem

Nach dem Wind hat der Ort auch die Sonne in seine Diens-

Kreuz - ein Arm zeigt nach oben, der andere nach unten. Ir-

te genommen. Eine der größeren Solaranlagen glänzt seit

gendwann werde die gegenläufige Preisentwicklung zum

dreieinhalb Jahren auf dem Dach des Gasthofs „Zum Adler“.

Schnittpunkt führen.


Forschung

Heinrich Bartelt bringt neuen Wind in den Harz: „Wir werden ausprobieren, wie wir die erneuerbaren Energien konkurrenzfähig machen.“

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 01/09

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Forschung

Wenn sich die 80 Millionen Euro-Investition in den Windpark Druiberg amortisiert hat - „bis vielleicht 2015“ - muss Bartelt den Windstrom für sechs Cent die Kilowattstunde produzieren. Heute vergüten die Netzbetreiber für jede eingespeiste Kilowattstunde aus neuen Windkraftanlagen 9,2 Cent. Die Dardesheimer allerdings bezahlen wie alle Kunden des regionalen Energieanbieters E.ON avacon aktuell einen Tarif von rund 24 Cent. Das bewirkt schon mal Unverständnis. Deshalb möchte der Windpark mittelfristig einen Teil des Netzes kaufen und dann als Netzbetreiber den Harzbewohnern den hier erzeugten regenerativen Strom günstig anbieten. Weil der Windpark innerhalb der Region den Strom über eigene Mittelspannungsleitungen und ein eigenes Umspannwerk beziehen kann, könnten die Preise für die Verbraucher geringer ausfallen. „Allein durch die dadurch gesetzlich mögliche Einsparung der Ökosteuer und der EEG-Umlage“ schätzt Bartelt das Einsparpotential auf „mittelfristig über drei Cent pro Kilowattstunde, also mindestens zehn Prozent.“ „Aber wir kappen hier keine Stromleitung“, weist RKWH-Projektmanager Ralf Voigt den aufkommenden Verdacht zurück, Dardesheim wolle eine Insel der Glücksseligkeit werden. „Ein autarkes Netz für den Harzkreis funktioniert nicht, ein stabiles System braucht immer ein großes Netz, in das man überschüssige Last abgeben und bei Bedarf Last einspeisen kann“, erklärt der Ingenieur, den die Dardesheimer auch zu ihrem ehrenamtlichen stellvertretenden Bürgermeister gewählt haben. Und er verweist auf die zweite Seite der Regenerativen Modellregion: „Wir stellen nicht nur die Erzeugung in den Vordergrund, sondern wollen auch

Der Dardesheimer

den Verbrauch anpacken.“ Der Bürger habe es selbst in der Hand,

Wirt brät die Schnit-

Wasserboiler oder Waschmaschine dann anzuwerfen, wenn viel

zel mit Solarenergie,

und preiswerte Energie im Netz ist.

und die Bauern haben die erneuerbaren

Dabei soll ihm ein „Bemi“ helfen, das ist die Abkürzung für Bidi-

Energien als neue

rektionales Energiemanagement Interface und ein intelligenter

Einnahmequelle

Strommanager, der kostengünstige Verbrauchszeiten erkennt.

entdeckt.

Ein solches „IKT-basiertes Energiesystem“, also der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie, ist ein

über die Pacht mehr ein, als die landwirtschaftliche Nutzung ein-

ganz bedeutender Teil des Projekts Modellregion, an dem meh-

fahren würde. Die Stadt wiederum erhält einen festen Prozent-

rere wissenschaftliche Partner mitarbeiten. Ein umsichtiger Ver-

satz der Jahresumsätze des Windparks, dieses Geld geht in kom-

braucher muss allerdings auch über den Energiepreis stimuliert

munale Bauprojekte und an die Vereine wie Stadtorchester und

und belohnt werden, plädiert Voigt dafür, „dass auch über ein

Schützengilde. Auch dem Kirchturm verschafften die finanziellen

neues Tarifsystem nachgedacht werden muss, so wie es früher

Segnungen des Windes ein sturmsicheres neues Dach. In einigen

den preiswerteren Nachtstromtarif gab.“

Jahren wird der Windpark dann der größte Steuerzahler in Dardesheim und der Einheitsgemeinde Aue-Fallstein sein.

Dennoch profitieren die Dardesheimer heute schon von soviel Energie. Einige haben Beteiligungen am Windpark Druiberg

Am Kirchplatz, genau vor dem RKWH-Büro, wurde im Sommer

erworben, was ihnen acht Prozent Mindestrendite bringt – in

2008 die erste regenerative Stromtankstelle Sachsen-Anhalts in

günstigen Windjahren gab es auch schon zehn Prozent. Andere

Betrieb genommen. Seitdem hat ein mittelständischer Elektro-

nehmen als Besitzer der Äcker, auf denen sich Windräder drehen,

motorenbauer aus der Region mehrere Autos auf Elektrobetrieb


Forschung

umgerüstet, der Vorzeige-Twingo verbraucht bei einer Reichweite

Ulrich Narup gibt die technische Erläuterung: „Die Autos erhalten

von 120 Kilometern nur ein Viertel der Energiekosten eines „Ben-

eine bidirektionale Schnittstelle, die auch eine kontrollierte Rück-

ziners“. Jetzt kommt diese Initiative richtig in Fahrt. Der Bund will

speisung aus der Batterie ins Netz ermöglicht, wenn das Auto nicht

Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität entwickeln und

benötigt wird und steht – was es sowieso die meiste Zeit tut.“

hat zu den zehn Millionen Euro Förderung für die Regenerative Modellregion Harz noch sieben Millionen für ein zusätzliches Pro-

Wollen die Dardesheimer schaffen, was den deutschen Autokon-

jekt „Harz. Erneuerbare Energien-mobility“ draufgepackt.

zernen noch immer nicht so richtig zu gelingen scheint? Ralf Voigt lächelt leise und antwortet: „Über unseren Zwergenaufstand

In den nächsten zwei Jahren soll eine Flotte von 25 Audi A2 zu

wollen wir die großen Autohersteller dazu bringen, endlich etwas

Batterieautos umgerüstet und getestet werden, außerdem wer-

mehr zu tun.“ Die Dardesheimer sollte keiner unterschätzen.

den im Harzkreis bis zu 50 öffentliche Ladestationen aufgestellt. Der Charme liegt darin, dass auch im Elektroauto Speichermöglichkeiten für Wind- und Sonnenenergie stecken. Projektleiter

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www.energiepark-druiberg.de

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Fraunhofer-Expertin Dr.-Ing. Ina Ehrhardt entwickelt kluge Technologien für die Biomasselogistik. Zur Identifikation der verschiedenen Resthölzer lassen sich beispielsweise luminiszente Nanopartikel einsetzen.

Foto: Viktoria Kühne / Fraunhofer IFF

Foto: pixelio.de/R. Sturm

Lösungen zur Biomasse-Logistik

Eine Chance für die Gewinnung regenerativer Energie bietet die Verwertung sogenannter Restbiomasse. Innovative Lösungen für die logistischen Herausforderungen werden derzeit am Magdeburger Fraunhofer IFF entwickelt. Die Schwierigkeit liegt in der oft weitflächigen Streuung der zum Teil immer nur recht kleinen Aufkommen solcher Restbiomassen. Sie zu finden, zu strukturieren, einzusammeln und einer effektiven Verwertung zuzuführen, ist die anstehende Aufgabe. Eines der vielen Probleme hierbei liegt in den unterschiedlichen Besitz- und Kleinstrukturen, mit denen man zu tun hat. Wenige große und eine Vielzahl kleiner Produzenten der Restbiomasse stehen einer jeweils standortabhängigen Zahl von Transportdienstleistern und potenziellen Endabnehmern, wie zum Beispiel Biomasse-Heizkraftwerken, gegenüber. Das Fraunhofer IFF sieht eine Hauptaufgabe in der Beurteilung und Spezifizierung der zur Verfügung stehenden Datengrundlage wie Menge, Qualität oder geografische Lage der anfallenden Biomasse. Diese wird dann um logistikrelevante Faktoren, zum Beispiel Infrastruktur, Technikanforderungen und Kosten ergänzt. Das Ziel ist, den Weg vom Ort des Aufkommens bis hin zur Verarbeitung so effizient und kostengünstig, aber auch ökologisch vertretbar zu gestalten. In der Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer finden die neuesten Forschungsergebnisse den Weg in die unternehmerische Praxis. Damit Sachsen-Anhalts Unternehmen gute Fahrt in Richtung Zukunft aufnehmen.


Die Industriebau Wernigerode GmbH - ein starker Partner für die Öffentliche Hand Die Industriebau Wernigerode GmbH hat sich im Laufe der Jahre zum Generalunternehmer im Schlüsselfertigbau entwickelt und

BBS Otto von Guericke

IGS Regine Hildebrandt

konzentriert sich immer stärker auf die Realisierung von Bauvorhaben im Rahmen von Public-Private-Partnership-Projekten, kurz PPP-Projekte genannt. Ein ganz aktuelles Thema ist die bundesweite Sanierung von Schulen. Die sich weiter verschlechternde Situation der öffentlichen Haushalte lässt befürchten, dass marode Schulen auch weiterhin den Alltag in deutschen Kommunen bestimmen werden. Umso aufmerksamer werden deshalb Versuche betrachtet, mit neuen Konzepten Schwung in die Sanierung unserer Bildungseinrichtungen zu bringen. Daher ist die Entscheidung der Landeshauptstadt Magdeburg, 20 Schulen in 4 Paketen im Rahmen eines PPP-Projektvertrages von einem privaten Investor sanieren bzw. neu errichten und über einen Zeitraum von 20 Jahren betreiben zu lassen, Richtung weisend. Die Stadt ist somit in der Lage, ihren Schulbestand innerhalb von wenigen Jahren effizient, in hoher Qualität und zu festen Konditionen auf den neusten Stand zu bringen. Das schafft die Voraus-

Grundschule Friedenshöhe

Grundschule Weitlingstraße

Industriebau Wernigerode GmbH Dornbergsweg 22 38855 Wernigerode www.industriebau-wernigerode.de

Werner-von-Siemens-Gymnasium

setzungen für ein gutes Bildungsniveau und damit langfristig für eine gute und stabile wirtschaftliche Entwicklung. Weiterhin trägt ein hoher Bildungsstand zur Sicherung des Universitätsstandortes bei. Die 5 Schulen aus dem Paket 1 wurden durch die Projektgesellschaft Schulen Magdeburg Paket 1 GmbH, bestehend aus den Gesellschaftern Industriebau Wernigerode GmbH, MBN MontageBau GmbH Magdeburg, Wilhelm Wallbrecht GmbH & Co. KG und der NORD/LB, realisiert. Zurzeit werden in gleicher Konstellation 5 Schulen aus dem Paket 3 realisiert. Nach nur 15 Monaten Bauzeit herrschte an der Elbe Feierstimmung. Die ersten fünf Schulen wurden nach erfolgreicher Sanierung einer glücklichen Schülerschar übergeben. Alle Beteiligten sind mit dem erreichten Ergebnis sehr zufrieden. Die Industriebau Wernigerode GmbH kann auf weitere Referenzen im PPP-Bereich verweisen, so z. B. die Sanierung und Erweiterung eines Gymnasiums in Vechelde, den Neubau von Bädern in Cottbus, Burgstädt, Flensburg und Bad Orb. Die Vorgehensweise, öffentliche Bauten in Zeiten knapper Finanzmittel über PPP zu sanieren bzw. weiter zu entwickeln, stellt sich als eine Möglichkeit dar, überhaupt noch im öffentlichen Bereich Fortschritte zu erzielen, ohne sich weiterhin exorbitant zu verschulden. Um bei der Umsetzung als Kommune erfolgreich zu sein, sind stabile Partner erforderlich, die über nötige Sicherheiten, Erfahrungen und Konzepte verfügen und es verstehen, die Belange der öffentlichen Hand entsprechend umzusetzen.

Ansprechpartner: Peter Schmidt Hauptgeschäftsführer Telefon: 03943/565-115 Telefax: 03943/565-116 peter.schmidt@industriebau-wernigerode.de


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