BERICHTE AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
ReifeZeit f端r Wandel In Tangerm端ndes Exempel-Schlafstuben geht man hinter jeder T端r auf Zeitreise Seite 38
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Aus meiner Sicht
natürlich hat er recht, der Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes.
Wir brauchen Reservekraftwerke für die Versorgungssicherheit,
reden. Wenden setzt Richtungsänderung voraus. Ein Schwer-
Kilometer neue Leitungen verlegt werden, damit Strom vom
Außer: man tut es.“ Eine Energiewende lässt sich nicht herbei-
punkt dieser Ausgabe ist das Thema Bauen und Energiewende in Sachsen-Anhalt. Da zeigen sich tatsächlich Erfolg versprechende Kurswechsel. Alle Anerkennung dafür, es geht doch.
Schaut man sich im Land um, kommen allerdings eher Zweifel auf, dass die Wende in kürzester Zeit gelingt. Da ist durchaus viel Wille, insgesamt aber wird eher viel geredet und wenig getan. An entscheidenden Stellen hakt es gewaltig.
Was Hans-Peter Villis, Chef des Energieriesen EnBW, in einem Gespräch mit der „Zeit“ kritisiert, klingt düster: „Bisher haben
wir 16 verschiedene Energiewenden, in jedem Bundesland eine. Im Süden wissen wir noch nicht sicher, ob der Norden die Hoch-
spannungsnetze schnell genug baut, damit der Strom aus den
Windparks vor der Küste zu uns transportiert werden kann. Zudem hat jede Landesregierung eine andere Strategie. BadenWürttemberg setzt auf Windkraft an Land, Norddeutschland
wenn Wind und Sonne fehlen. Bis 2020 müssen rund 3 500 Norden, wo mehr erzeugt und weniger verbraucht wird, in den
Süden fließt, wo der Verbrauch am höchsten ist. Woher das Geld
dafür kommen soll, ist noch ungeklärt. Nur eines ist längst klar: Für uns Verbraucher driften die ohnehin schon arg belastenden Energiepreise ins Unerträgliche ab.
Das ist vielleicht die größte Gefahr für die Energiewende. Noch finden rund zwei Drittel der Deutschen die Energiewende rich-
tig. Nur ein Drittel aber ist bereit (und in der Lage), sie mit 100 Euro jährlich zu unterstützen. Wenn die Deutschen erst einmal begreifen, wie tief sie für die Wende in die Tasche greifen müs-
sen, könnte die Wende nicht nur an handwerklichen Fehlern
scheitern, sondern auch daran, dass sie keiner mehr akzeptiert. „Budjet“, sagt der Russe, es wird schon werden. Es muss werden. Der Welt bleibt keine Wahl.
baut vor den Küsten. Andere fördern Biomasse oder das Energiesparen. Nichts davon ist koordiniert. Und gar nichts wird europäisch abgestimmt.“
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
Rainer Lampe, Autor
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In diesem Heft
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Interview
„Ja, eine andere Welt ist möglich!“ Seite 6
Die regenerative Stadt Im Gespräch mit dem World-Future-Council Director Stefan Schurig…………………………………………… 6
... sagt Stefan Schurig und hat dabei die „regenerative Stadt“ als Modell im Blick. Über nichts Geringeres als die Zukunft unserer Erde sprach der Hamburger Klima- und Energiedirektor vom World Future Council mit dem SAM. Weltweit berät er Städte, Regionen, Länder in Sachen Umwelt und ab sofort auch Sachsen-Anhalt im neu gegründeten Kompetenzzentrum Stadtumbau.
Wirtschaft
Neue Energie für alten Tagebau Joint-Venture GERO-Solarpark auf Tagebauhalde Amsdorf in Betrieb gegangen………………..…………. 10
Tradition
Vom Weingenießer zum Winzer Ältester Sektkeller Deutschlands aus dem Dornröschenschlaf erweckt………………………………… 14
Medizin
Ein Test mit großem Nutzen Krankenkasse sensibilisiert Ärzte und Patienten für Nieren-Früherkennungs-Screening………….... 18
Erfolgsgeschichte
Am Markt behauptet ÖSA Versicherungen können auf zwei erreignisreiche Jahrzehnte zurückschauen…………………… 24
Visionen
Renaissance urbaner Landwirtschaft Autorenbeitrag des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag André Schröder….………..…………………… 28
Sonderveröffentlichung
Ein Teil des Ganzen Paritätischer Sachsen-Anhalt geht im Altenpflegesektor neuen Weg……………………....... 30
Porträt
Jugendmühle als Jungbrunnen IFA-Rotoring-Chef Heinrich von Nathusius hat ein Herz für junge Haldensleber….………..……. 33
Tourismus
Schlafen wie ein Kaiser Tangermünder Exempel Schlafstuben bieten Übernachtung mit antikem Charme………………. 38
Zeit zum Testen
Seite 18
Seit die AOK Sachsen-Anhalt Versicherte und Hausärzte für ein Früherkennungsscreening der Niere sensibilisiert hat, wächst eine neue Patientengruppe in den Nephrologie-Praxen des Landes – früherkannt, therapiert und im günstigsten Fall vor der Dialyse bewahrt. Andere Kassen und Bundesländer sehen den Erfolg und wollen folgen.
In diesem Heft
Geburtstagskind auf sicheren Pfaden Seite 24
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Impressum: HERAUSGEBER SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Geschäftsführer: Michael Scholz, Wolfgang Preuß
Zum Jubiläum Grund zum Feiern: Thomas Lippold lebt seinen Lebenstraum in Sachsen-Anhalt. Vor 20 Jahren wagte er den beruflichen Neuanfang bei der gerade gegründeten Öffentlichen Versicherung SachsenAnhalts (ÖSA). Eine Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf.
KONTAKT SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Schilfbreite 3, 39120 Magdeburg Tel. 0391 63136-45, Fax 0391 63136-47 info@st-magazin.de www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de REDAKTIONSLEITUNG Christian Wohlt redaktion@st-magazin.de ANZEIGEN Tel. 0391 63136-45 anzeigen@st-magazin.de FOTOGRAFIE Michael Uhlmann DRUCK Harzdruckerei GmbH, Wernigerode Schutzgebühr: 4,00 EUR Das Magazin und alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit schriftlicher Genehmigung und Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keinerlei Gewähr übernommen. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. 4. Jahrgang 2012 ISSN 1868-9639
Wiederholter Wohltäter
Seite 33
Heinrich von Nathusius ist 69 und schwärmt von einem Jugendclub. Für ihn ist die „Jugendmühle Althaldensleben“ einer der schönsten Clubs in Deutschland. Das ist sehr stark Nathusius und seiner IFA-Rotorion Holding Haldensleben zu verdanken. „Wir müssen was für die Jugend tun“, sagt er. Was die IFA-Gruppe tut, haben wir uns in Haldensleben angeschaut.
Zeitreise im Schlaf
Seite 38
Im 4-Sterne-Hotel „Exempel Schlafstuben“ beginnt hinter jeder Zimmertür eine Zeitreise. Im originalgetreuen Interieur mit vielen originellen Details wird jeweils eine andere Begebenheit aus der tausendjährigen Geschichte der Hansestadt Tangermünde im Norden Sachsen-Anhalts erzählt.
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
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Interview
Interview
„Hier in Sachsen-Anhalt ist etwas machbar!“ Im Gespräch mit Stefan Schurig, Klima- und Energiedirektor beim World Future Council, über regenerative Stadtentwicklung
Herr Schurig, in Vorbereitung auf unser Treffen ging mir die Lied-
phäre, Temperaturanstiege etc. Die Ursache für drastische Ex-
ten“... Erkennen Sie sich darin wieder?
suchen wie veränderte Erntemuster in der Landwirtschaft. Ins-
zeile von Tim Bendzko im Kopf herum: „Nur noch kurz die Welt ret-
Stefan Schurig (schmunzelt): Na, ich glaube, er hat da noch was anderes gemeint...
Ihnen ist aber schon bewusst, dass Ihnen der Hauch eines
„Weltenretters“ anhaftet? Mit Ihrem Thema einer „regenerati-
ven Stadtentwicklung“ sind Sie als Vertreter des World Future
tremwettereignisse der vergangenen Jahre ist darin ebenso zu gesamt hat die beschleunigte Industrialisierung zu einer beschleunigten Verstädterung der Welt geführt. Schon jetzt lebt
die Hälfte aller Menschen in Städten und alle Prognosen spre-
chen von einem steigenden Trend. Und obwohl Städte nur drei bis vier Prozent der Landfläche der Erde bedecken, verbrauchen sie 80 Prozent aller Ressourcen.
Council (WFC) global unterwegs und raten Städten, Regionen,
Daraus resultiert Ihr Fokus auf die Stadt?
heutigen Welt eine Zukunftsperspektive geben kann. Wie sieht
Stefan Schurig: Ja, und schauen wir genauer hin: Die Stadt von
Ländern zu einer Strategie, die – konsequent verfolgt – unserer die aus?
heute ist ein Organismus mit einem Stoffwechsel, dem man
Stefan Schurig: Es geht um die Frage, wie es gelingt, die Stadt
sourcen hineingegeben, auf der anderen Seite kommen, meist
der Zukunft als ein nachhaltiges System zu gestalten. Der Be-
griff „Nachhaltigkeit“ hat sich im allgemeinen Verständnis
mittlerweile etabliert, beschreibt unser Anliegen jedoch unzureichend. Deshalb hat sich die „Expert Commission on Cities and
Climate Change“ des WFC, ein Gremium von 20 Experten aus
internationalen Organisationen, zu dem Begriff „Regenerative
als linear bezeichnen kann – auf der einen Seite werden Res-
in Form von Abfällen, Ressourcen wieder heraus. Der Kreis wird nicht geschlossen. Zurück bleiben degradierte Böden, verschmutzte Luft und verschmutztes Wasser. Unser Ziel ist ein
Organismus mit einem zirkularen, also einem geschlossenen Stoffwechsel.
Cities“ verständigt.
Das erfordert ein scharfes Umdenken.
..., der was genau meint?
Stefan Schurig: Es ist die Rückbesinnung auf das naturgege-
Stefan Schurig: Es geht nicht um die Wahrung eines Status, der
Steinzeit ankommen zu müssen. Das ist auch nicht das Ziel.
bene Kreislaufprinzip, ohne dabei zwangsläufig wieder in der
mehr oder weniger nachhaltig ist, sondern um das Ziel, dass der
Das Ziel ist es, die Errungenschaften unserer modernen Welt –
die Rohstoffe wieder regeneriert werden bzw. durch den rege-
charta, internationale Abstimmungsprozesse – zu sichern, aber
Ort, wo Rohstoffe aufgenommen werden, auch der Ort ist, wo neriert werden, der sie verbrauchte. So ist „regenerative Stadt“
die treffende Beschreibung für das, was uns letztlich unser Überleben in der Zukunft sichern soll.
Das hört sich dramatisch an. Was läuft falsch? Stefan Schurig: Unsere heutige industrialisierte Welt ist teilweise zu 100 Prozent auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe aufgebaut – mit den bekannten Folgen für unser Klima: einer
hohen, teils unkontrollierten Schadstoffemission in die Atmos-
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ob Demokratiebildung, neue Medien, die Menschenrechtsihre ruinösen und zerstörerischen Bestandteile, wie die Ener-
giegewinnung aus fossilen Brennstoffen, hinter uns zu lassen. Eine Botschaft, die ankommt? Stefan Schurig: Durchaus, denn die gute Nachricht ist doch: Wir wissen, welche Herausforderungen vor uns liegen, wir ha-
ben die Technologie und kennen die politischen Mechanismen.
Jetzt geht es darum, wie wir diese Prozesse gestalten. Denn: Ja, diese andere Welt ist möglich! u
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Interview
Das würde heißen: Zukunft ist jetzt. Sie haben aber selbst an an-
dafür passende politische Mechanismen, sprich Gesetze, identifi-
kommen, sei weniger eine technologische Herausforderung als
andere Länder, andere Parlamentarier als Möglichkeit aufzuzei-
derer Stelle eingeschränkt: Den Klimawandel in den Griff zu bevielmehr eine psychologische und politische. Ein weites Feld also... Stefan Schurig: Keine Frage. Denn so wurde es jahrelang kommuniziert: Wir brauchen die großen Kohle- und Atomkraftwer-
ke, sonst bricht alles zusammen und es naht der Untergang des Abendlandes. Wir sind gerade erst im Prozess des Begreifens – ob in der Politik oder bei den Menschen auf der Straße –, dass
wir erneuerbare Energien im großen Stil zu nutzen in der Lage
zieren. Wir nennen sie die „Best Policies“, „Beste Politiken“. Sie für gen und anwendbar zu machen, sehen wir als unsere Aufgabe. Der World Future Council ist sozusagen „Steigbügelhalter“ für
zukunftsfähige Gesetze – und so, wie wir aufgestellt sind, wohl einzigartig.
Können Sie eine solche „Best Policy“ nennen, die neue Türen geöffnet hat?
sind und es teilweise schon mit großem Erfolg tun! Es ist weder
Stefan Schurig: Die Einspeisegesetze in Deutschland oder Spani-
sogar in der oberen Liga. Und natürlich ist es möglich, innerhalb
brachten. In meiner Präsentation habe ich immer eine Folie mit
Zukunftsmusik noch Science Fiction. Deutschland spielt dabei
der nächsten Jahrzehnte auf 100 Prozent das Land auf erneuer-
bare Energien sowohl bei Wärme als auch Strom umzustellen. Davon bin ich überzeugt. Und die Widerstände? Stefan Schurig: Wir haben weltweit ein seit Jahrzehnten und
en beispielsweise, die den Einstieg in die erneuerbaren Energien weltweit guten Beispielen regenerativer Stadtentwicklung dabei, egal, ob ich die Ehre habe in China oder Indien zu sprechen. Und eine Folie darin zeigt das Beispiel Dardesheim. Sie meinen Dardesheim in Sachsen-Anhalt?
Stefan Schurig: Ja genau. Der sachsen-anhaltische Ort produziert
Jahrhunderten etabliertes System der Energieerzeugung auf
mit seinem Windpark direkt vor seinen Toren mehr Energie als er
kannten fatalen Folgen für Natur und Umwelt. Wenn man ein
Regionen auch vorgehen können.
der Grundlage der Verbrennung fossiler Brennstoffe mit den besolch etabliertes durch ein anderes System ersetzen will, gibt es
natürlicherweise Widerstand. Das ist nicht nur in Deutschland so oder auf regionaler Ebene. Das ist ein weltweites Problem. ..., dem sich der World Future Council stellt? Stefan Schurig: Der WFC genießt als Nichtregierungsorganisati-
on, sagen wir, eine gewisse „Narrenfreiheit“ und unterliegt nicht
selbst braucht. Das ist ein ganz spannender Ansatz, wie andere
Beachtlich: Sachsen-Anhalt in einer Vorreiterrolle. Die nahm das Land bereits mit seiner Internationalen Bauausstellung IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 mit preisgekröntem Ergebnis ein. Als
Folgeeinrichtung wurde jetzt ein „Kompetenzzentrum Stadtumbau“ ins Leben gerufen, in dessen Beirat sie mitarbeiten. Mit welchem Ziel?
unmittelbar dem Zwang eines politischen Mandats, alle Bürger-
Stefan Schurig: Ähnlich wie bei meiner gegenwärtigen Mitarbeit
uns auf ein Thema konzentrieren und ausleuchten, was möglich
um einen internationalen Expertenblick in Sachen Stadtentwick-
interessen gleichmäßig berücksichtigen zu müssen. Wir können
ist. Dabei denken wir durchaus realpolitisch, aber auch realis-
tisch: Was lässt uns die Welt noch für Spielräume, ehe es auf dem Planeten richtig große Probleme für die Spezies Mensch gibt?
im Beirat der IBA Hamburg geht es hier in Sachsen-Anhalt explizit
lung. Ich bringe zudem unsere Stadtexpertise ein und hoffe bei der Gestaltung der Prozesse beratend helfen zu können.
Von diesen Überlegungen leiten wir unsere „Rezepte“ ab, die wir
Warum Sachsen-Anhalt? Warum nicht Sachsen oder Thüringen?
nationalen, nationalen oder regionalen Mandatsträgern teilen.
Stefan Schurig: Sehr gute Frage. Weil es aus Thüringen oder Sach-
Wie sieht diese Beratungstätigkeit konkret aus?
dem ist es wichtig, dass man nicht bei den Ergebnissen der IBA
dann gern durch direkte oder indirekte Beratungsarbeit mit inter-
Stefan Schurig: Um Veränderungen herbeizuführen, braucht es
drei Schritte: 1. Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit für Proble-
me schaffen, 2. Lösungen aufzeigen und 3., der wichtigste Schritt,
sen eine derart „hoch“ aufgehängte Anfrage bisher nicht gab. Zustehenbleibt und zum Alltag übergeht. Wenn Sie auf internationalen Städtekonferenzen nach den geschwindigkeitsbestim-
menden Faktoren für nachhaltige Stadtentwicklung fragen, ist es neben dem Geld immer die Frage nach der Kontinuität. Die ist mit
Interview
„Mich reizt die Verantwortung für die Gestaltung von Lebensräumen“, sagt Stefan Schurig, Architekt
und Energieexperte, heute Klima- und Energiedirektor beim World Future Council, der weltweit einzigen gemeinnützigen Stiftung, die sich mit zukunftsfähigen Gesetzgebungen beschäftigt.
dem Kompetenzzentrum gegeben, das hat mich gereizt. Und ich
darin mitarbeiten zu dürfen. Der große UNO-Gipfel in diesem
unbedingter Veränderungswille und ein Veränderungsbedarf da
großen Entwicklungsziele vorgegeben. Das Thema „Städte“
bin überzeugt: Hier in Sachsen-Anhalt ist etwas machbar, weil ein sind, weil man sich einer veränderten demografischen Struktur
anpassen muss, weil man Trends aufhalten oder umkehren will... Das birgt mehr als eine Chance.
..., die fürs erste wie aussehen könnte? Stefan Schurig: Die Arbeit in Beirat fängt gerade erst an, ich
freue mich auf die Zusammenarbeit und es ist mir eine Ehre,
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
Jahr hat die „Nachhaltige Stadtentwicklung“ als eines der ist also fixiert und der Startschuss gefallen. Und es liegt auf der Hand: Jene Städte, die sich innerhalb der nächsten Jahre
sowohl in ihrem Handeln als auch in ihrem Marketing dahin positionieren, werden gegenüber anderen zweifellos Wettbewerbsvorteile haben.
Das Gespräch führte Cornelia Heller.
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Wirtschaft
Sonnenwende im Tagebau GERO-Solarpark erhellt die Zukunft einer alten Bergbauregion und bringt neue Energie Von Ute Semkat
Ganz oben auf der Halde, wo der Mensch der Sonne noch ein
Stück näher ist, verschmelzen alte und neue Welt vor dem Auge. Rechts auf dem Kraftwerksschornstein steht der Schriftzug RO-
von der Halde der Sonne entgegen. Der Braunkohletagebau Amsdorf hat sich dem Energiewandel geöffnet.
MONTA aufrecht wie ein Ausrufezeichen, darüber verliert sich
Das Abbaufeld, auf dem im April nach nur sechs Wochen Bau-
der Abraumkippe linkerhand zeigen Windräder viel Schwung.
land ans Netz gegangen ist, wurde 1959 erschlossen. Bis Mitte
ein weißes Wölkchen aus dem Schlot in den blauen Himmel. Auf
Die unterhalb der Böschung glitzernden Gewässer werden von den Bergleuten „Wasserhaltung“ genannt und sammeln das
Grubenwasser. Deshalb bekommt auf den zwei eingeebneten
Brachflächen, auf denen in diesen Vorfrühlingswochen eifrig
hantiert wird, niemand nasse Füße. Rammen stemmen Reihe für Reihe Trägerprofile in den Lehmboden. Das Ziel dieser Arbeit
ist bereits auf einer dritten Fläche oben auf dem Hügel erkenn-
bar: Ein lückenloses Feld von Photovoltaik-Paneelen reckt sich
zeit einer der vielleicht letzten großen Solarparks in Deutschder 1980er Jahre hatten hier die Bagger Braunkohle heraus „ge-
kratzt“, erzählt Tagebauleiter Jürgen Biermann. Die Kohle in der Oberröblinger Braunkohlenmulde zwischen Halle und Eisleben ist aus einem ganz besonderen „Stoff“, der zudem weltweit
nur hier in lohnenswerten Abbaumengen vorkommt. Die riesigen Ölpalmen, die vor etwa 25 Millionen Jahren im Sonnenlicht
wuchsen, dann abstarben, im Moor versanken und in der fol-
genden Eiszeit unter Luftabschuss und dem Druck eines starken
Wirtschaft
Die Braunkohle im Tagebau Amsdorf ist von weltweit
einzigartiger Qualität und wird zum Montanwachs
verarbeitet. Im Jahr 2030
wird Schluss sein, dann ist
das Vorkommen erschöpft.
Eispanzers zu Braunkohle gepresst wurden, hinterließen einen
den. Die Vorräte unmittelbar vor der „Tür“ sollen noch bis zum
Deshalb ist diese Braunkohle zu schade zum Verstromen und wird
einfach sagen, jetzt schließen wir das Tor zu“, antwortet Stiebe-
besonders hohen Wachsgehalt in dem fossilen Energieträger. seit genau 90 Jahren in Amsdorf zu Montanwachs veredelt. Der
Unternehmensname ROMONTA steht für „Rohmontanwachs“. Müßig, die Vielzahl der Wachsprodukte aufzuzählen, die in mehr als 60 Länder verkauft werden. Von der traditionellen Verwendung in Schuhcremes und Polituren bis zu wasserabweisenden
Emulsionen und Dispersionen für Baustoffe werden sie vor allem in der Chemie, Asphaltherstellung und in Gießereien ein-
gesetzt. Nicht zu verwechseln mit synthetischem Wachs. „Der kann vieles nicht, was unser Naturwachs kann“, bekräftigt Uwe
Stieberitz, Vorstandsmitglied der ROMONTA Bergwerks Holding
Jahr 2030 ausreichen. Und danach? „Danach können wir nicht
ritz knapp. Also ist der Bauingenieur für die Standortentwicklung zuständig. Und deshalb drehen sich die Windräder über
der Kippe, deshalb wird in zwei Dampferzeugern aus Siedlungs-
abfällen Energie erzeugt. Für die Energiewende wiegen sich in einem Wäldchen auf ausgekohltem Tagebau schnell wachsende
Pappeln. Sogar an einen Hähnchenmastbetrieb auf dem Revier
hat das Unternehmen Fläche verkauft – Gülle bringt Biomasse. Und jetzt zapft der Braunkohleveredler selbst die Sonne an. Dafür wurde gemeinsam mit der GETEC green energy AG das Joint venture GERO Solarpark GmbH gegründet.
AG. „Wir sind weltweit die einzigen stofflichen Verwerter von
GETEC green energy mit Sitz in Magdeburg hat sich aus einer
wollen es weiterentwickeln.“
nen“ Schwester der GETEC AG formiert und wächst seitdem
Braunkohle in Größenordnung, wir haben das Know-how und
Für die Jahresproduktion von rund 18 000 Tonnen Wachs müs-
sen fast 500 000 Tonnen Kohle gefördert und verarbeitet wer-
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
Unternehmensabteilung Ende 2010 zur selbstständigen „grükräftig. „Bei den erneuerbaren Energien decken wir alle Bereiche
ab“, bestätigt Vorstandssprecher Chris Döhring: Bioraffinerien, Windparks, Solarparks. Als Teil einer im Energiegeschäft u
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Wirtschaft
Nach der Kohle kommt die Sonne und verändert die Landschaft.
breit und stark aufgestellten Unternehmensgruppe können von
geben. Amsdorf bringt 28 Megawatt. „Wir waren plötzlich von
zur Vermarktung von Strom und Gas alle Dienstleistungen aus
den drohenden Verlust gerutscht“, beschreibt Döhring die bri-
der Konzeption und Planung über Bau und Betriebsführung bis einer Hand angeboten werden. Das erleichtert Unternehmen, Kommunen, Land- und Forstwirten in der Region, in solche komplexen Projekte einzusteigen. Den Strom, der aus der zuvor ent-
wachsten Kohle im Amsdorfer Grubenheizkraftwerk gewonnen wird, verkauft ebenfalls GETEC – „die machen das zu besseren
Preisen, als wir das könnten“, ist ROMONTA-Vorstand Stieberitz überzeugt.
In den GERO Solarpark wurden fast 50 Millionen Euro investiert. Die Grundsteinlegung in diesem März stand allerdings unter keinem guten Stern. Einen Tag zuvor hatte die Bundesregierung
vorgezogene Kürzungen der Solarförderung verkündet – für Anlagen von mehr als zehn Megawatt soll es keinen Cent mehr
einer zum Zeitpunkt der Projektplanung vertretbaren Rendite in sante Situation, ohne dass seine Stimme die Anspannung jener Tage erkennen ließe. Ohne die gesetzlich festgelegte Einspeise-
vergütung hätte der am freien Markt erzielbare Strompreis von
derzeit 5 bis 6 Cent pro Kilowattstunde die Refinanzierung der Investition unmöglich gemacht. „Wir haben dennoch begonnen, in der Hoffnung auf Rechtssicherheit.“
Wochen später hält Döhring die Bestätigung in der Hand, dass der Solarpark in Amsdorf unter Bestandsschutz fällt, weil Start und Fertigstellung vor dem jeweiligen Stichdatum erfolgt sind. Das
heißt, für die Kilowattstunde Solarstrom gibt es 18,76 Cent und „damit können wir leben“, bestätigt auch Stieberitz. Zu Projekt-
beginn im Jahr 2011 sollten es allerdings noch gut 22 Cent sein.
Wirtschaft
Um die 28 Megawatt-Leistung zu erreichen, müssten jährlich
Wie Biermann wohnen viele Betriebsangehörige in Sichtweite
nenenergie vermeidet den Ausstoß von 15 000 Tonnen Kohlen-
Seegebiet Mansfelder Land zusammengeschlossen wurden.
30 000 Tonnen Kohle verstromt werden. Die Nutzung der Sondioxid übers Jahr.
Exakt 122 640 Solarmodule wurden montiert, sie würden eine
Fläche von gut 20 Hektar bedecken. Einige leere Modul-Kartons
hat der Wind an den Rand des Baufelds verweht. Die Aufschrift: Q-Cells. Mit Q-Cells als beauftragtem Generalunternehmer habe man sich bewusst zur Region bekannt, betonen Stieberitz
und Döhring unisono. Mitten in der Bauzeit musste der Solar-
zellenhersteller aus Bitterfeld-Wolfen Insolvenz anmelden. Den
des Werksschornsteins in einem der Dörfer, die zur Gemeinde Das Unternehmen ist einer der größten Arbeitgeber in der Regi-
on, die ihre „rote Laterne“ in der Erwerbslosenstatistik Sachsen-
Anhalts nicht los wird. ROMONTA, das ist auch unverzichtbares Sponsoring für das Gemeindeleben, für Sport und Kultur. Da ver-
wundert nicht die Aufgeschlossenheit der Kommunalpolitiker, wenn neue Geschäftsfelder wie der Solarpark ein Stück Zukunft
sichern helfen. Die Gemeinderatsbeschlüsse waren laut Vorstand immer einstimmig.
Auftrag hat das nicht beeinträchtigt. GETEC-Mann Döhring
Unter der Überschrift „Standort hier“ hat ROMONTA ein öf-
sammenarbeit mit Q-Cells fort.“
Arbeitsplätze über das Ende der Kohle hinaus abgegeben. „Das
blickt schon weiter: „Natürlich setzen wir die erfolgreiche Zu-
Tagebauleiter Biermann findet „einen Energiemix ja ganz in Ordnung“. Wenn er den Jeep durch den aktiven Tagebau auf der anderen Seite des neuen „Sonnenhügels“ lenkt, Flöze und
Kohlebagger erklärt, meint man sein Herz für die Kohle schlagen zu hören. Die ganze Familie habe mit dem Bergbau zu tun, der
Sohn ist „E-Steiger“ bei ROMONTA, erzählt der Elektroingenieur, der 1974 als Elektriker-Lehrling im Tagebau begann. 1991 über-
trug man ihm die Verantwortung für den Tagebau, und als die
fentliches Bekenntnis zur langfristigen Sicherung der rund 450
sind wir den Mitarbeitern schuldig“, meint Stieberitz. „ROMONTA unendlich“, nickt Biermann. Dazu gehört eben auch, Endlichkeiten zu akzeptieren und dafür zu sorgen, dass nach der Kohle
die Sonne zum Arbeitgeber wird. Gemeinsam mit Partnern wie GETEC green energy. n
Ö www.getec-greenenergy.de Ö www.romonta.de Ö www.q-cells.com
von der Treuhand eingeleitete erste Privatisierung mit lautem
Knall scheiterte, gehörte Jürgen Biermann zu den zwölf Rettern. Das Management hat das Unternehmen im Jahr 2001 auf eigenes Risiko übernommen.
Unter der Überschrift „Standort hier“ hat ROMONTA ein öffentliches Bekenntnis zur langfristigen Sicherung der rund 450 Arbeitsplätze gegeben „Das sind wir den Mitarbeitern schuldig“.
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Tradition
„1 000 Zufälle haben aus mir einen Winzer gemacht“ Ältester Sektkeller Deutschlands seit zehn Jahren wieder belebt Von Sabine Tacke „Wenn ich etwas später kommen sollte, probieren Sie doch ein-
Vor uns liegt ein kleiner Schankgarten mit über 100 Jahre alte Ei-
ist doch mal eine nette Einladung. Man muss ja schließlich wis-
glitzert der helle Wein. Fast ein bisschen Italien. Andreas Kirsch
fach mein Weinsortiment“, sagt Andreas Kirsch am Telefon. Das sen, worüber man schreibt.
Wir sind unterwegs in die Naumburger Wein & Sekt Manufaktur, dem ältesten Sektkeller Deutschlands. Es ist ein überra-
chen. Zu unseren Füßen murmelt die Saale, in unseren Händen
kommt und sieht auch ein bisschen italienisch aus. Braungebrannt, lässiges Hemd, an seinen Füßen perfekt gearbeitete Schuhe. Nicht der typische Winzer.
schend warmer Maitag. Tief einatmen! Die Luft riecht so frisch
„Ich war geschäftlich unterwegs“, sagt der Inhaber der Manu-
Henne begeleitet uns die Saale. Doch die belebte Hauptstraße
sich zu uns, freut sich, dass uns sein Wein schmeckt. Noch eine
nach Frühling. Das letzte Stück des Weges bis nach Naumburglässt noch nicht vermuten, dass wir mitten im idyllischen Saale-
Unstrut-Tal sind. Ein kleiner Weg führt nach links und wir finden uns vor einem herrschaftlichen Gutshaus wieder, eingebettet
zwischen dem Fluss und den Weinbergen. Angekommen! Der
Chef sei noch nicht da, heißt es. Wie versprochen, wird uns ein
kalt beschlagenes Glas mit köstlichem weißen Burgunder kredenzt. Auf der Freitreppe sitzen wir inmitten von bepflanzten
Terrakotta-Töpfen auf geschwungenen Bänken in der Sonne.
Das 1856 errichtete herr-
schaftliche Gutshaus vor den Toren der Domstadt
Naumburg ist das Haupt-
haus der Naumburger
Wein & Sekt Manufaktur. Hier sind die Pension und
der Verkauf untergebracht. Das Haus ist Ausgangspunkt der Führungen
durch das Weingut .
faktur. Nun, das erklärt den feinen Zwirn. Gut gelaunt setzt er
kleine Pause, dann will er vom Wein und von seiner Manufaktur erzählen. Zehn Jahre besitzt er sie jetzt. „Ich hab sie aus dem Dorn-
röschenschlaf geweckt.“ Und dann entrollt er seine Geschichte. Kirsch kommt eigentlich aus Süddeutschland. Auch da gibt’s viele berühmte Weinanbaugebiete. Doch damit hatte er nie
was zu tun. „Ich bin eigentlich Kfz-Sachverständiger. 1 000 Zufälle haben aus mir vor zehn Jahren einen ostdeutschen Winzer gemacht.“
Tradition
Der Jurist ist erfolgreich in seinem früheren Beruf. Trotzdem gibt er auf dem Höhepunkt seiner Karriere alles auf und fängt
noch mal von vorn an. Einer der 1 000 Zufälle war die Wende. „Das ist mir damals so unter die Haut gegangen. Ich wollte unbedingt in den Osten.“ Dresden sollte es sein, die Heimatstadt
seiner Eltern. Gelandet ist er in Bad Kösen, auch durch Zufall. Die Gegend gefällt ihm. Er kauft ein Haus, um seine Familie aus Nürnberg an die Saale zu holen. Und wieder führt ihn das Schicksal näher zu seinem neuen Leben. Das Bauernhaus, das er kauft, liegt ganz in der Nähe der Manufaktur. „Ich bin mit
dem Hund spazieren gegangen, da hab ich das alte Gut ent-
deckt, völlig überwuchert aber wunderschön. Und da hab ich mir gedacht, dass ich eigentlich genug kaputte Autos in meinem Leben gesehen hab. So bin ich vom Weingenießer zum Winzer geworden.“
2002 kauft er das Weingut und legt los. Statt jahrelanger Erfahrung bringt er Enthusiasmus und Mut mit. Und er hat eine Vision, will die alte Sektkellerei wieder aufleben lassen. „Wenn
man einen Wunsch hat, muss man alles dafür tun, dass er auch in Erfüllung geht. Ich hab heute keinen Beruf, sondern meine Berufung gefunden.“ Der Tag ist nicht mehr in Job und Freizeit
eingeteilt. Alles dreht sich nur noch um den Wein, dem selbst
sein Familienleben zum Opfer fiel. Nur die Tochter hat sich von
der Leidenschaft des Vaters anstecken lassen, studiert Wein-
bau in Geisenheim am Rhein und wird wohl den väterlichen Betrieb später einmal übernehmen.
Ein gut gehendes Unternehmen. 17 Leute bewirtschaften 23 Hektar. „Wir hatten mal geplant, 50 000 Flaschen jährlich zu
machen. Da liegen wir jetzt weit drüber.“ Er zeigt uns seinen fast 1 000 Jahre alten Gewölbekeller. Hier ruhen in langen, sich im Dunkeln verlierenden Gängen edle Flaschen bis unter die
Decke. Sektflaschen stecken schräg in schulterhohen Rüttelpulten, wo sie täglich von Hand gedreht werden, so lange, bis sich
die Trübstoffe im Flaschenhals gesammelt haben. Was später in den Gläsern perlt, ist eben nicht irgendein Sekt. „Das Thema Sekt nehmen wir sehr ernst. Wir sind eine Manufaktur, haben
hier nach beinahe 100-jähriger Unterbrechung eine Tradition
wieder belebt. Uns macht aus, dass der Sekt bis zum Schluss nur handgerüttelt wird.“ Mindestes 18 Monate wird der Sekt so gelagert, normal sind acht. Denn je länger er liegt, desto mehr
Zeit hat die Kohlensäure, sich mit dem Wein zu verbinden und er wird feinperliger, wie Champagner. Genau so edel wie der Sekt
ist der Wein der Manufaktur, vorrangig Burgunder, die klassische Sekttraube. Aber auch Traminer, Kerner, Riesling, Portugieser oder Dornfelder wachsen auf den Hängen. u
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Tradition
Winzer Andreas Kirsch im Herzen seiner Manufaktur, dem alten Gewรถlbekeller.
Tradition
Der Keller, den Georgenmönche einst durch den Berg getrieben
Und das zauberhafte Umland tut das Seinige. Durch das Gebiet
Flaschen. „Alte Jahrgänge. Aber die werden nicht geöffnet. Das
Weinstraße schlängelt sich 60 Kilometer an Unstrut und Saale
haben, birgt noch andere Schätze: einige mit Staub gepuderte ist meine Schatzkammer“, sagt Kirsch stolz.
Sorgfältig dreht er noch ein paar Sektflaschen in den Holzbö-
cken. Was man liebt, das behandelt man schließlich pfleglich.
Lange Reihen von Fässern sucht man in dem Gewölbe vergeblich.
Der Wein lagert in großen Tanks in einem Neubau auf dem Hof. Vor Vergleichen mit der Konkurrenz braucht Andreas Kirsch, ei-
ner der jüngsten Winzer der Region, sich nicht zu scheuen. Der Neuling aus der Autobranche schreibt seine eigene Erfolgsge-
schichte. „In einem der großen Weinanbaugebiete im Westen hätte ich den Schritt vermutlich nie gewagt. Da ist die Kon-
kurrenz riesig. Aber wir sind hier ein sehr kleines Anbaugebiet. Wer da keinen Wein verkaufen kann, ist selbst Schuld.“
In dem 735 Hektar großen Weinanbaugebiet Saale-Unstrut
gibt es tatsächlich nur rund 50 Weingüter. Eine überschauba-
re Zahl. Dennoch hat der Weinbau an Saale und Unstrut eine lange Tradition. Schon die Ottonen betrieben hier vor mehr als
1 000 Jahren Weinbau. Heute wird das kleine Juwel im Osten Deutschlands von Genießern gerade erst entdeckt. Der Muschelkalkboden verleiht dem Wein ein elegantes, fruchtiges Bukett mit mineralischen Nuancen. Auch wenn der 51. Grad
nördlicher Breite nicht gerade südländisches Klima verheißt, gibt es doch immerhin rund 1.600 Sonnenstunden im Jahr. Außerdem zählt die Region zu den niederschlagsärmsten in Deutschland. Und schließlich ist noch jeder Winzer, ob im Norden oder Süden, vom Wetter abhängig.
Auch Andreas Kirsch kann sich an schlechte Jahre erinnern. „2009 hatten wir nur die Hälfte des erwarteten Ertrags. Da kamen die Eisheiligen zur Weinblüte. Das war für uns kritisch. Da-
für war die Qualität des Weins ausgezeichnet. Aber da spielen
immer viele Dunge zusammen – Feuchtigkeit zur rechten Zeit, genügend Sonne. Wein ist nun mal ein Naturprodukt.“
Auf dem Rückweg begrüßt Kirsch freundlich ein paar Touris-
ten, die fröhlich Wein im Gutshaus verkosten. Dort hat er auch eine Pension untergebracht und den Verkauf. 80 Prozent seines Weins verkauft er im Haus. „Mir war schon klar, dass ich hier Gäste herholen muss. Das ist jetzt ein Erlebnisweingut
geworden. Im Gewölbekeller kann ich bei Veranstaltungen bis zu 100 Leute unterbringen. Der ist immer gut besucht.“
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
führen gut ausgebaute Rad-, Wander- und Wasserwege. Die entlang. Burgen und Schlösser, die Straße der Romanik, Naum-
burg mit seinem berühmten Dom sind beliebte Ausflugsziele. Die Leute kommen nicht nur aus Sachsen-Anhalt, sondern auch aus Leipzig, Berlin, Kassel, Fulda oder Chemnitz.
Das Konzept des Winzers, Tourismus und Wein miteinander zu
verbinden, ist aufgegangen. Kirsch ist schließlich Geschäfts-
mann, sitzt auch heute noch meist im Büro. Verändert hat ihn
der Wein dennoch. Während er früher schnittige Zweisitzer fuhr, fährt er jetzt einen flotten Einsitzer, seinen Traktor. „Das ganze
Leben ändert sich. Es richtet sich nach der Natur.“ Und außer-
dem hat er jetzt immer einen guten Tropfen im Keller. Prost! Auf dass es wieder ein guter Jahrgang werde. n
Ö www.naumburgerweinundsekt.de
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Medizin
Medizin
Zeit zum Testen Die AOK Sachsen-Anhalt sensibilisiert Ärzte und Patienten zur Früherkennung von Nierenerkrankungen Von Cornelia Heller Die Betten sind leer, die Dialysegeräte abgeschaltet und die
beiden Männer haben auch keine weißen Arztkittel mehr an. Kurzärmlig sitzen sie mir an diesem schwülen Frühsommertag gegenüber: gelb kariert das von Dr. Jörg-Detlev Lippert, einfarbig hellblau jenes von Dr. Thomas Langer. Beide sind Ärzte und
leidenschaftlich einem Thema verpflichtet: Der menschlichen Niere. Lippert und Langer sind Nephrologen. Das Wort leitet
sich von der griechischen Übersetzung nephros ab. Nephrologen sind Fachärzte für Innere Medizin, spezialisiert in der Diagnose und Behandlung des lebenswichtigen entgiftenden
Körperorgans, insbesondere jedoch in der Verwalterrolle der Blutwäsche-Therapie bei Menschen mit akuter Niereninsuffi-
zienz, besser bekannt unter dem Namen Dialyse. Doch genau dort beginnt sich Erstaunliches zu ändern. Seit nämlich 2008
die AOK Sachsen-Anhalt ihr Früherkennungsprogramm für Nierenerkrankungen ins Leben gerufen hat.
Das Dialysezentrum in Eislebens Innenstadt ist dienstags kurz
nach 15 Uhr geschlossen. Feierabend für Patienten, Arzthelfer, Ärzte nach einem anstrengenden Alltagsprogramm. „Das Ge-
bäude ist ein ehemaliges Kaufhaus“, erzählt Thomas Langer und
führt entspannt durch die von Technik geprägten Räume der Gemeinschaftspraxis. Alle groß und mit weiten Fenstern einem
Krankenhaus ähnelnd, sie geben den Blick in einen Himmel frei, der heute gern Gewitter verspricht. 25 Betten zähle ich, „für 80 bis
90 Patienten, die hier drei Mal die Woche für vier bis fünf Stunden
ihre Dialyse absolvieren“, ergänzt Langer. Derweil reinigt und ent-
wässert eine große Maschine ihre fünf Liter Blut, ein Prozedere, das sich unausweichlich für die Betroffenen in beständiger Regel-
mäßigkeit wiederholt. Für manche sei es quälend, andere finden hier ein „zweites Zuhause“, spannt der Arzt einen Bogen von Empfindungen, die für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar sind. Dialyse ist ein hartes Urteil, heißt „lebenslänglich“, heißt
keine Chance mehr auf Heilung. Und trotzdem: „Die Niere ist das einzige menschliche Organ, das heute maschinell routinemäßig ersetzt werden kann.“ Dabei zeigt er auf einen der 25 blautürkis-
farbenen Kästen, den Dialysegeräten, die mit ihren hängenden Schlaucharmen wie eingeschlafene mechanisierte Wachposten die augenblicklich leeren Krankenliegen flankieren. u
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
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Medizin
Es war ein Niederländer, der Mediziner Willem Kolff, der im Jahr
übergekommen, wo er seine eigene Praxis samt Dialysezentrum
wickelte, im Prinzip einer Waschtrommel nachempfunden, die im
dergelassener Nephrologen e.V. und beide engagieren sich für das
1943, also vor gleich 70 Jahren, als erster eine künstliche Niere ent-
Zusammenspiel von Lösungsmitteln und einem Filtersystem der blutreinigenden Wirkung der menschlichen Niere künstlich nacheiferte. Seither hat sich die Dialyse im Gleichmaß des Fortschritts
ständig weiterentwickelt, perfektioniert und standardisiert, sie sei „die Weltraumfahrt“ in der Medizin, schmunzelt Langer vielsagend und meint damit wohl auch das, was menschlicher Wille zu erreichen
imstande ist. „Wir verlängern Leben“, schließt er den Praxisrundgang ab, und wieder sitzen mir beide Mediziner gegenüber: gelbkariertes Hemd Jörg-Detlev Lippert, einfarbig hellblau Thomas Langer.
Langers Kollege Lippert ist wie ich nur Gast in der Eislebener Gemeinschaftspraxis. Er ist von Köthen für unser Gespräch her-
betreibt, beide kennen sich von ihrem gemeinsamen Verein nieFrüherkennungsprogramm, das die AOK Sachsen-Anhalt ange-
schoben und damit eine neue, eine dialysefreie Patientengruppe in die Nephrologie-Praxen des Landes geführt hat. Denn: Die Nie-
re, so lerne ich, ist ein geduldiges Organ. Nierenschäden machen
dem Menschen keine Schmerzen, es gibt keine Symptome wie bei
kranken Herzen oder kranken Gallen. „Und dabei wäre es besser, sie würde schreien“, sagt Jörg-Detlev Lippert. Denn die Erkrankung ist heimtückisch und verläuft schleichend. „Wenn sie offenkundig und zum Notfall wird, ist es oft zu spät.“ Diese „Zuspätgekommenen“ sind jene, die bisher die Praxen des Landes füllen. Bundesweit
seien es um die 67 000 Betroffene, in Sachsen-Anhalt rund 2 600. Und jeder Fall, das liegt auf der Hand, ist ein Fall zu viel.
Medizin
Inzwischen hat es in Eisleben zu regnen begonnen. Tropfen rin-
Das ist in Gefahr, wenn die Niere streikt. „Dabei ist es ganz ein-
gen und die beiden Doktoren fachsimpeln, während ich bemerke:
mahnt Nephrologe Lippert und entnimmt einer runden Plastik-
nen über die großen Scheiben. Dabei duftet es nach Sommerre-
Mein Schulwissen über die Niere ist blass. Später erst werde ich klüger sein. Paarig ist sie rechts und links der Wirbelsäule ange-
legt, rotbraun gefärbt, bohnenförmig, in ihrer gekrümmten Form jede eher an einen Boxhandschuh erinnernd. Ihre Größenmaße 4x7x11 brachten ihr zudem den Namen „4711-Organ“ ein, was aber
nur als „Eselsbrücke“ für Anatomiestudenten zum gleichnamigen Eau de Cologne aus Köln dienen mag. Das viel zu oft unterschätzte Organ erfüllt vielfältige Funktionen und wichtigste Aufgaben für Stoffwechsel und Hormonhaushalt des Menschen und ist
zudem das „Klärwerk“ des Körpers. In der traditionellen chinesischen Medizin gilt die Niere gar als „die Wurzel des Lebens“.
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
fach, Nierenerkrankungen im Frühstadium zu diagnostizieren“, dose einen der schmalen Teststreifen, dessen pastellgefärbte
Quadratabfolge an Farbfächer für Wohnraumfarbe erinnern. „Ein einfacher Urintest genügt, um hiermit beispielsweise erhöhte Eiweißwerte nachzuweisen. Dieses Eiweiß ist ein wichtiger Risikomarker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ So gilt Bluthochdruck zu etwa 20 bis 30 Prozent als möglicher Auslöser für Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus mit 30 bis 40 Prozent als
ein weiterer. Unkontrollierte, schädigende Medikamentenein-
nahme sowieso. Genau hier setzte 2008 das Engagement der Krankenkasse an. Und die Geschichte dazu erzählt sich so: u
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Medizin
Es kann so einfach sein: Ein Test genügt, um
Risiken für die Niere
schnell und sicher zu
erkennen und Therapien
einzuleiten – bevor es
zum Notfall kommt.
Es ist der AOK-Fachreferent Andreas Goldmann, der im Früh-
Der Erfolg hat alle überrascht. 2 000 AOK-Versicherte nahmen
Vereins niedergelassener Nephrologen e.V. in Sachsen-Anhalt,
programm teil, über 11 000 haben sich seither in das Programm
jahr 2008 Kontakt zu Dr. Lippert, gleichzeitig Vorsitzender des
aufnimmt. Unverbindlich schlägt Goldmann ihm vor, einen Vor-
stoß in Sachen Früherkennung zu versuchen. Erste Gespräche mit Arztkollegen und Vereinsmitgliedern folgen, bereits Ende
2008 ist der von Krankenkasse und Verein, der Kassenärztlichen
Vereinigung Sachsen-Anhalt sowie unter Beteiligung der Deut-
schen NephroNet VerwaltungsGmbH geschlossene „Vertrag zur Integrierten Versorgung von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz“ unterschrieben.
Für den Vorstand der Krankenkasse stand von Anfang an der Nutzen für die Versicherten im Vordergrund: „Durch die rechtzei-
tige Feststellung und Behandlung soll die Nierenersatztherapie
bereits im ersten Jahr 2009 am kostenlosen Früherkennungseingeschrieben. Und bei mehr als 20 Prozent konnte seither die
Erkrankung im Frühstadium diagnostiziert werden. Sie setzen nun auf die Kunst der Nephrologen, die bei frühzeitiger Behand-
lung eine Funktionsverschlechterung des Organs verhindern oder verlangsamen und einen möglichen Nierenersatz weitge-
hend nach hinten verschieben können. „Unser Patientenstamm
hat sich seitdem komplett gewandelt. Wir behandeln wieder!“, begeistert sich Lippert. Und Langer ergänzt: „Früher waren die
Dialysepatienten die größere Patientengruppe in unseren Praxen. Heute sind es jene, denen wir so lange wie möglich vorher helfen können. Ein gutes Gefühl.“
so lange wie möglich hinausgezögert und im günstigsten Fall
Die AOK Sachsen-Anhalt hat mit ihrem bundesweit ersten Früher-
Der Gewinn für alle im Solidarpakt gleichermaßen Versicherten
resse fragen andere Bundesländer nach dem Programm, weitere
sogar vermieden werden. Denn das ist medizinisch möglich.“ berechnet sich in zweierlei Währung: Rund 50 000 Euro kostet
die Behandlung eines Dialysepatienten im Jahr, eine Ausgabe, die sich bei rechtzeitiger Diagnose spart, aber gleichzeitig ein
deutliches Plus an Lebensqualität für die Betroffenen bringt.
Das Angebot zielt insbesondere in die Praxen der Hausärzte.
„Sie sind sensibilisiert und ihre Aufklärungsarbeit wird vergütet, um die Patienten auf die Möglichkeit eines Früherkennungs-
Screenings hinzuweisen“, erklärt Lippert, noch immer den Teststreifen in der Hand. „Bei einem Erstverdacht folgt dann
die Überweisung zum Nephrologen. Wir können Risiken schnell und sicher erkennen und Therapien einleiten. Eben ehe es zum Notfall kommt.“
kennungskonzept für Niereninsuffizienz Furore gemacht. Mit Inte-
Krankenkassen wollen in den bestehenden Vertrag eintreten. „Das ist eine gute Entwicklung“, sind sich Langer und Lippert einig. Wie übrigens auch der gerade abgeschlossene Kooperationsvertrag mit
dem Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Dabei geht
es um den so genannten „Shunt“, „eine für die Dialyse notwendige Verbindung zwischen Vene und Arterie“, erklärt Lippert und zeigt
auf seine Armbeuge. „Man nennt sie auch die ‚Lebensader’. Sie ga-
rantiert den Patienten, von Spezialisten gelegt, ein leichteres Leben
an der Dialyse.“ Plötzlich wird es hell in den Räumen, die Sonne schiebt sich hinter den abziehenden Gewitterwolken hervor. Und beleuchtet einen Zustand in der Eislebener Praxis, wie ihn sich eigentlich alle und überall für die Zukunft erträumen: Die Betten sind leer und die Dialysegeräte abgeschaltet. n
Ö www.aok.de/sachsen-anhalt
Wir sind
Sachsen-Anhalt
„Ich mag Sachsen-Anhalt, weil man da sein Glück finden kann” Eine Gemeinschaftsaktion von Sachsen-Anhalt-Magazin und radio SAW. www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de www.radiosaw.de www.wir-sind-sachsen-anhalt.de
Sigmar Gabriel (52) ist Vorsitzender des Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Sein Heimatort ist Goslar. Seit kurzem wohnt er mit seiner Lebensgefährtin, die aus Sachsen-Anhalt stammt, hauptsächlich in Magdeburg. Die gemeinsame Tochter kam im April zur Welt. Im August ist die Hochzeit geplant.
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Erfolgsgeschichte
„Glücksgriff und vernünftige Entscheidung“ Seit 20 Jahren gibt es die Öffentlichen Versicherungen Sachsen-Anhalt Von Christian Wohlt Über 200 Gäste in edlem Zwirn sitzen im prächtigsten Saal des
ihre Gültigkeit verloren, setzte ein wahrer Ansturm ein, der kaum
lich. Der Ehrengast preist das Geburtstagskind. Er selbst half vor
Gebäude-, Lebens- oder Unfallversicherung hinzu. Wie heute, mal
traditionsreichsten Hotels in Magdeburg. Die Stimmung ist feier20 Jahren dabei, es auf die Welt zu bringen. Der Mann, von Hause aus Gynäkologe, war damals Finanzminister und wurde später Landesvater. Verbraucherfreundliche Versicherungsdienstleis-
tungen erwarte man von dieser Neugründung, natürlich die Schaffung qualifizierter und zukunftssicherer Arbeitsplätze so-
wie eine positive Möglichkeit von Steuereinnahmen für das Land,
zu bewältigen war. Nach und nach kamen andere Themen wie schnell eine E-Mail schreiben oder auch nur kurz anrufen – da-
mals undenkbar. Die meisten Menschen hatten kein Telefon, und
um durchzukommen waren Geduld und Nervenstärke gefragt. „Wenn wir mit der Zentrale in Braunschweig telefonieren wollten, fuhren wir nach Helmstedt“, berichtet Lippold schmunzelnd.
hatte er zum offiziellen Geschäftsstart am 2. April 1992 an genau
gleicher Stelle gesagt. „Die Gründung der Öffentlichen Versiche-
rungen Sachsen-Anhalt war ein Glücksgriff und eine vernünftige Entscheidung“, bilanziert Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident a.D., nun sichtlich zufrieden.
„Eine richtige Entscheidung...“, denkt sich auch Thomas Lippold unten im Saal. Als Mitarbeiter der ersten Stunde und regionaler
Interessenvertreter seiner Kollegen für die Region Magdeburg-
Haldensleben ist er beim großen Festempfang dabei. Seine Gedanken schweifen in die Anfangstage, als er lediglich mit
Auftragsblock und Stift „bewaffnet“ die Kunden aufsuchte. Heute ist er mit Laptop nebst mobilem Drucker unterwegs. Die
Anfangstage, das war für ihn 1990, als der Diplomingenieur für
Landtechnik – wie fast alle früheren DDR-Bürger – beruflich am Scheideweg stand.
Dass es mit seinem damaligen Betrieb kein gutes Ende nehmen
wird, schwante dem Werkstattleiter einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), als alle Mitarbeiter auf „Kurzar-
beit Null“ gesetzt wurden. Eigentlich als Warteschleife gedacht, bis sich ein Unternehmen konsolidiert hat, war dieses Beschäf-
tigungsinstrument jedoch zumeist die Vorstufe zur Entlassung. Darauf wollte der damals 30-Jährige nicht warten, und so verließ
Ziehen an einem Strang:
er sich auf den Rat eines guten Freundes aus Braunschweig, der
Die Freiwilligen Feuerwehren
rung Braunschweig, die damals ihre Fühler nach Sachsen-Anhalt
der ÖSA-Versicherung zählen.
im Versicherungsgewerbe tätig war. Die Öffentliche Versicheausstreckte, war dann auch Lippolds erster Arbeitgeber, genauer gesagt Geschäftspartner, denn er ist von Anfang an auf freiberuflicher Basis tätig.
Die erste Zeit war abenteuerlich, das Versicherungsgewerbe für
den gebürtigen Letzlinger so neu und ungewohnt wie für seine Kunden. Als ab dem 1. Januar 1991 alle Ostdeutschen ihr Auto
neu versichern mussten, weil die Verträge der alten „Staatlichen“
können auf die Unterstützung Als Mitglied des Feuerwehrvereins Haldensleben, hat
Thomas Lippold den heißen
Draht zu den dortigen
Kameraden.
Erfolgsgeschichte
Mit dem am 11. Juli 1991 vom Landtag in Magdeburg beschlos-
das Anfang 1992 seinen Geschäftbetrieb aufnahm. Das grüne
sicherung und der Öffentlichen Lebensversicherung Sachsen-
Agentur. Viele Kunden waren anfangs skeptisch, erinnert sich
senen Gesetz über die Errichtung der Öffentlichen FeuerverAnhalt zeichnete sich eine erneute Wende für den inzwischen
zum Versicherungskaufmann Qualifizierten ab. Gemeinsam
mit den sachsen-anhaltischen Sparkassen und den VGH Versicherungen Hannover stieg die Öffentliche Versicherung
Braunschweig als Kapitalträger des neuen Unternehmens ein,
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
ÖSA-Schild prangte von nun an auch an der Haldenslebener
Lippold. „Schon wieder eine neue Versicherung und dann noch eine aus dem Osten...“ Heute ist genau das das Markenzeichen
der zur Sparkassen-Finanzgruppe gehörenden ÖSA und ihr Erfolgsrezept. u
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Erfolgsgeschichte
Foto: ÖSA Versicherungen
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Haldenslebens Stadt- und Ortswehrleiter Frank Juhl (li.) und Versicherungsexperte Thomas Lippold begutachten die Ausrüstung, die mit Unterstützung der ÖSA komplettiert wurde.
„Unser Land. Unsere Versicherung.“ Der Markenslogan scheint
Die beschränkt sich für ihn nicht auf das klassische Kunden-
in Sachsen-Anhalt wohl. Ernsthafte Gedanken weg zu gehen
das gesellschaftliche Leben, fördern freiwillige Feuerwehren,
Thomas Lippold auf den Leib geschrieben zu sein. Er fühlt sich
habe er nie gehabt. „Ich bin geblieben, um es mir gemütlich zu
machen“, sagt er. Gemütlich, richtig idyllisch ist es in seinem Zuhause in Letzlingen. Hier hat er mit seiner Familie ein Haus
gebaut, mit weitem Blick in die herrliche Landschaft der Colbitz-
Letzlinger Heide. Hier ist er im Heimatverein aktiv, arbeitet er in der Kirchengemeinde mit.
Im Bundesverband der Versicherungskaufleute setzt er sich dafür ein, dass die strengen Verhaltensregeln der Branche umgesetzt
werden. Schwarze Schafe verderben das Ansehen des Berufsstandes, weiß Lippold. Für ihn gilt: „Das Versicherungsgeschäft ist
etwas Bodenständiges. Wer es richtig macht, ist ein Leben lang
dabei.“ Grundvoraussetzung sei ein hohes Maß an Vertrauen. Obwohl sich vieles in seinem Berufsalltag verändert habe, „die Arbeit mit den Menschen ist die gleiche geblieben“, sagt er.
geschäft. Die ÖSA Versicherungen unterstützen vielfältig Sport-, Kultur- und soziale Vereine jährlich mit einigen zigtausend Euro. Arbeiten im „Interesse der Versicherungsnehmer und des gemeinen Nutzens“, so hält die Satzung der ÖSA diese
Verpflichtung fest. Jede Agentur wirkt auf ihre Weise mit. Stolz berichtet Lippold von den Fahrradturnieren, die er gemeinsam mit der Verkehrswacht an Grundschulen organisiert. Mehrere hundert Kinder nehmen jedes Jahr daran teil, eine Mannschaft
hat es sogar schon bis zum Bundesausscheid gebracht. Im Feuerwehrverein Haldensleben engagiert sich der Geschäfts-
stellenleiter nicht nur für den vorbeugenden Brandschutz, sondern kümmert sich auch um die Belange der Kameraden. Das gehört zur ÖSA-Philosophie.
Mit einer zusätzlichen Altersversorgung können Kommunen in Sachsen-Anhalt das ehrenamtliche Engagement ihrer frei-
Erfolgsgeschichte
Das Ausmaß der Schäden im südlichen Sachsen-Anhalt an Wohngebäuden und Autos durch Gewitter, Großhagel mit über 8 cm, orkanartige Böen und einzelne Tornados am 11. September 2011 war enorm. Die ÖSA konstatierte einen Schadenaufwand von über 25 Millionen Euro und das verheerendste Ereignis ihrer 20-jährigen Geschichte.
willigen Feuerwehrleute und Katastrophenschützer würdigen.
Die neben der Sparkassenversicherung Sachsen einzige Versi-
bundesweit innovatives Produkt. Ebenso wie der ÖSA-Copilot
nicht nur am Markt behauptet, sondern die Entwicklung
Diese Feuerwehr-Rente von den ÖSA Versicherungen ist ein für Autos. Ein winziges Gerät, das bei einem Unfall automatisch den Notruf auslöst und die Rettungsleitstelle informiert. Eine solche Technik war vor 20 Jahren noch blanke Utopie.
Zurück in den Festsaal, wo Vorstandsvorsitzender Peter Ahlgrim
die jüngste Vergangenheit Revue passieren lässt. „Unser 20. Geschäftsjahr war ein Jahr der Superlative“, sagt er. Die Bei-
tragseinnahmen stiegen auf nun 228,5 Millionen Euro. Davon entfielen 92,6 Millionen Euro auf die Sach- und Unfallversi-
cherungen und 135,9 Millionen Euro auf den Bereich Leben. Die gute Bilanz ist umso beachtlicher, weil 2011 dramatische Schadenereignisse wie zwei Hagelstürme im Harz und im
Süden des Landes zu verbuchen waren. Ahlgrims Resümee: „Auch im dritten Jahrzehnt sind die ÖSA Versicherungen in Sachsen-Anhalt auf Wachstumskurs.“
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
cherungsneugründung Ostdeutschlands nach 1990 hat sich
Sachsen-Anhalts mitgeprägt. Inzwischen fast 830 000 Ver-
sicherungsverträge privater, kommunaler und gewerblicher
Kunden zeugen vom Vertrauen, das die öffentlich-rechtlichen Versicherungen im Lande genießen. Zudem entrichtet das Un-
ternehmen hier seine Steuern und vergibt seine Aufträge an einheimische Unternehmen. Ohne engagierte Mitarbeiter und das enge Zusammenwirken mit den Sparkassen wäre der Erfolg nicht denkbar, weiß auch Vorstands-Chef Ahlgrim. Mit über
500 direkt und mittelbar Beschäftigten zählt die ÖSA zu den großen Arbeitgebern im Land. Als einer der Agenturleiter, die die
20 ÖSA-Jahre miterlebt und mitgestaltet haben, sitzt Thomas Lippold im Festsaal des Herrenkrug-Hotels. n
Ö www.oesa.de
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Visionen
Im Land der Dichter und Dämmer Von André Schröder, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt
Man muss kein Prophet sein, um zu wissen: Energie wird teu-
rer und die Mobilität wird es auch. Die Zukunft unserer Städte, Dörfer und Siedlungen wird deshalb zunehmend von ihrem Energiebedarf abhängen. Der jeweilige Aufwand für die Gebäude, aber auch die Mobilität der Bewohner wird ein wesent-
liches Kriterium. Was energetisch nur aufwendig nutzbar ist, droht im Kontext der Schrumpfung brach zu fallen. Darüber
hinaus werden Distanzen eine immer wichtigere Rolle spielen. Kompakte, nutzungsgemischte Siedlungsformen oder einfa-
cher gesagt, kurze Wege, werden ein immer größerer Vorteil. Baustoffe oder schwere Güter werden wieder vermehrt in der
Nähe ihres Verwendungsortes gewonnen oder hergestellt. Manche sprechen sogar von einer Renaissance urbaner Landwirtschaft.
Darüber hinaus wird die energetische Optimierung zur Existenzfrage. Während für einige Gebäude Energieverluste ma-
ximal zu reduzieren sind, wird es auch alte Gebäude geben, in denen der Aufwand der Optimierung in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen wird. Das Thema Bauen und Energie kann
so auch unter dem Blickwinkel neuer lokaler Wachstumsprozesse behandelt werden. Unsere Lebensstile werden sich verändern, ohne dass wir daraus einen Verlust an Lebensqualität
ableiten müssen. Die Frage könnte lauten: Bleiben wir in diesem Prozess ein Volk der Dichter und Denker oder werden wir zu einem Volk der Dichter und Dämmer?
Im Rahmen aller Städtebauförderprogramme flossen in Sachsen-Anhalt bisher 2,6 Milliarden Euro. Die privaten In-
vestitionen betragen im gleichen Zeitraum ein Vielfaches
dieser Summe. Besonders der Wohnungsbereich hat in den zurückliegenden 20 Jahren in Sachsen-Anhalt einen grundlegenden Wandel erfahren. Alle Aufholanalysen bescheinigen
uns beim Thema Wohnqualität und Wohnstandard eine Er-
folgsgeschichte im Aufbau Ost. In unseren Wohnungen gab es eine nahezu hundertprozentige Umstellung von der Kohle als Brennstoff, hin zu modernen Gas- oder Ölheizungen. Mit
den Sanierungen wurde auch die Wärmedämmung von Häusern und öffentlichen Gebäuden deutlich verbessert. Trotzdem existiert in diesem Bereich nach wie vor ein großer InFoto: Christian Wohlt
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Visionen
vestitionsbedarf. Ich begrüße, dass die Bundesregierung auch künftig das Dämmen von Hauswänden sowie den Austausch
Geboren am 21. April 1969 in Sangerhausen, evangelisch,
von alten Heizkesseln und Fenstern fördert. Im Mietbereich
verheiratet, zwei Kinder.
gen nur moderat auf die Mieter umgelegt werden. Bei der
Ausbildung und beruflicher Werdegang
zur Verbesserung der Energieeffizienz ist insbesondere bei der
1987:
Erweiterte Oberschule Geschwister Scholl,
die vorgegebenen Standards nicht hemmend auf das Investiti-
1995:
Universität Leipzig, Magister der Philosophie
gen aus den einzelnen Bundesländern durch die Bundesebene
2008/2011: Staatssekretär im Ministerium für
ist darauf zu achten, dass die Kosten für derartige SanierunGesetzgebung, als auch bei der Förderung von Investitionen
1985:
Sanierung von Bestandsgebäuden darauf hinzuwirken, dass
onsverhalten wirken. Diesbezüglich sollten auch die Erfahrun-
1996/2002: Referent der CDU-Landtagsfraktion
berücksichtigt werden. In Sachsen-Anhalt haben wir die Woh-
der Investitionsbank nutzen. Für zeitgemäßen, energieeffizien-
Politische und gesellschaftliche Funktionen
Verfügung. Darüber hinaus sollten Anreize für energetische
2004/2008: Mitglied des Kreistages
für den Eigentümer gebunden werden. Ordnungsrechtliche In-
Energien im Gebäudebereich einfach nur vorschreiben, sehe
nungsbauförderung verstetigt, indem wir revolvierende Fonds
Polytechnische Oberschule Ernst Thälmann Abitur
Landesentwicklung und Verkehr
ten Wohnraum stehen so dauerhaft zinsgünstige Kredite zur
1996:
Eintritt in die CDU
Sanierungsmaßnahmen an die tatsächliche Wirtschaftlichkeit
seit 2007:
Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes
strumente, wie das EEWärmeG, die den Einsatz erneuerbarer
seit 2011:
CDU-Fraktionsvorsitzender
ich hingegen kritisch.
Einige Häuslebauer oder Haussanierer mögen sich in letzter Zeit verdutzt die Augen gerieben haben. Damit meine ich nicht
die Rechnungen der Handwerker, sondern die innovativen Bau-
weisen und veränderten Baumaterialien, die immer stärker zum Einsatz kommen. Bauen und Energie, das bedeutet auch
ein unglaublicher Modernisierungsschub in unseren Unternehmen. Darüber hinaus ist das Thema Klimawandel auch
ein immer stärker werdendes Betätigungsfeld der Stadtentwicklung. Meine Fraktion hat maßgeblich zur Initiierung eines
„Kompetenzzentrums Stadtumbau“ beigetragen, in dem auch dieser Aspekt eine Rolle spielen wird. Nach der erfolgreichen Internationalen Bauausstellung (IBA 2010) sollen nicht Projekte, wohl aber wichtige Ideen weiter entwickelt werden. Dieser Prozess der Moderation ist für die Städte in Sachsen-Anhalt äußerst wichtig und sollte fortgeführt werden. n
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
Mansfeld-Südharz
Mitglied des Landtages der 4. Wahlperiode,
der 5. Wahlperiode (ausgeschieden am 16. September 2008) und seit der 6. Wahlperiode
29
30
Sonderveröffentlichung
PARITÄTISCHER Sachsen-Anhalt auf neuem Weg
Selbstbestimmt leben im Alter Mitglieder des Bereiches Altenpflege beeindruckten mit erfolgreicher Kampagne Von Maren Sieb
Mit Offenheit und Toleranz setzen sich der PARITÄTISCHE Sach-
Cornelia Dag als Einrichtungsleiterin der habilis gGmbH ant-
vielfältige soziale Hilfen in Sachsen-Anhalt ein. Die Mitarbeiter
Schauen Sie sich, gemeinsam mit den Eltern, einige Einrichtungen
sen-Anhalt und seine mehr als 320 Mitgliedsorganisationen für
und Ehrenamtlichen tun das täglich mit Herz und Kompetenz. Viele Lebenserfahrungen, viele freudige Ereignisse, aber auch
Schicksale und das Mühen um Individualität im Alter bestimmen
ihre Arbeit. Altern gehört dazu – für jeden von uns. Der PARITÄTISCHE sorgt täglich dafür, dass Bewohner und Klienten ihren All-
tag sicher, selbstbestimmt und gut versorgt genießen können.
wortete: „Hallo, Carla, ein schwerer Schritt, den Sie vor sich haben. an und zeigen Sie ihnen Möglichkeiten. Wichtig ist, dass Ihre Eltern die Hilfe, die sie benötigen, gemeinsam mit den Pflegekräften
kompensieren können. Fragen nach Gewohnheiten, Ritualen oder Bedürfnissen sollten möglich sein. Zeigen Sie Ihren Eltern, dass zu
jeder Zeit Hilfe da ist. Eigenes Mobiliar und persönliche Dinge sind oft wichtig für ältere Menschen, auch das sollte möglich sein.“
Jeder soll an der engagierten Arbeit teilhaben und erfahren,
Die Mitgliedsorganisationen aus dem Bereich Altenhilfe und
der PARITÄTISCHE mit seinen Mitgliedsorganisationen.
Perspektiven im sozialen Bereich.
dass niemand in schwierigen Situationen allein ist. Dafür steht
Gerade für den Bereich Altenpflege ist die öffentliche Anerkennung und Wertschätzung zu wenig ausgeprägt. Oft sind Berichte in den Medien negativ gefärbt. Aber die Wirklichkeit trägt
ein anderes Gesicht. Hier arbeiten engagierte und motivierte Menschen. Jeder wird diese Hilfe einmal brauchen.
Diese Kampagne auf dem Privatsender radio SAW ist den Men-
schen hinter der Hilfe näher gekommen. Das Konzept zu radio
SAW Spezial stammt von Maren Sieb (ISA_i_motion), die als bekannte Radiofrau auch die Moderation übernahm. In zweistündigen emotionalen und informativen Live-Sendungen standen auch die Experten Rede und Antwort.
Pflege informierten ausführlich über das Berufsfeld und die Hier meldete sich im Forum beispielsweise Ingolf, der die Hin-
weise der Fachleute dankend hörte: „Lob an alle Beteiligten!
So werden jungen Leuten auch Perspektiven in schwierigen Berufen eröffnet.“
In der Pflege arbeiten deutschlandweit mehr Menschen als in der Autoindustrie, hier werden auch künftig junge, engagierte Fachkräfte gebraucht.
Die nahbare, sehr informative und emotionale Kampagne hat nicht
nur soziale Themen in den Mittelpunkt gerückt, sondern auch
dem PARITÄTISCHEN als Verband mehr Bekanntheit verliehen. Perspektive auf einen Blick:
Arbeit wurde hörbar! Konzepte in der Pflegearbeit für ältere Men-
Der PARITÄTISCHE Sachsen-Anhalt hat jüngst
ist der Besuchshund Bodhi in der Altstadtresidenz Wernigerode.
herausgegeben, in der
schen wurden in Vor-Ort-Beiträgen vorgestellt. Ein Beispiel dafür
Viele Hörer nutzten die Möglichkeit, ihre Fragen am Telefon oder im Internetforum zu stellen. Kann ich den Pflegenoten im Internet trauen? Wie ist eine Pflegestufe zu beantragen oder welche
Schulnoten werden für einen Beruf mit Perspektive im sozialen Bereich gebraucht? Auch hier wurde klar: Der Informationsbedarf ist groß.
Zum Beispiel fragte Carla, 51, Jahre: „Wie bringe ich meinen Eltern
bei, dass der Umzug in ein Heim das Beste für sie ist, dass sie ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen?“
eine Informationsbroschüre ausführlich alle Berufe im sozialen Bereich vorgestellt werden.
Die Broschüre ist auch im Internet zu finden unter:
Ö www.parität-lsa.de
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Marcel Kabel, Referent Altenhilfe bei den PARITÄTISCHEN (re.), begleitet die Sendevorbereitung.
Wie ein Vor-Ort-Beitrag für die Kampagne „Hilfe, die wirkt“ entstand
Achtung, Aufnahme! radio SAW zu Gast in der PARITÄTISCHEN Sozialstation Egeln „Und außerdem haben wir einen schönen, jungen Fahrer…“, sagt
In der Sozialstation entsteht heute einer von vielen Beiträgen
erwidert das Lachen herzlich, denn der junge, schöne Fahrer, der
Die Einrichtungen zeigen, wie Hilfe für ältere Menschen organi-
Elisabeth Hellie, 85, und lacht verschmitzt. Marlene Hofmann bei Bedarf für die Damen da ist, ist ihr Ehemann Gerhard.
Marlene Hofmann ist mit Leib und Seele Pflegedienstleiterin
im Rahmen der Kampagne „Hilfe, die wirkt“ des PARITÄTISCHEN. siert wird und sie möchten die Menschen vorstellen, die hinter der Hilfe stehen.
der Sozialstation Egeln. Freundlich kommt sie dem Team von
Für Marlene Hofmann ist ihre Tätigkeit viel mehr als nur Beruf,
Kaffee geht das Mikrofon an und Redakteurin Astrid Wessler
war sie Gemeindeschwester. Der Kontakt zu den Angehörigen
radio SAW an diesem Morgen entgegen. Nach einem frischen stellt ihre Fragen über den umsorgten und sicheren Alltag von elf Tagesgästen in der Sozialstation.
SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 08/12
sie ist Berufung. Menschen liegen ihr am Herzen, schon früher ist ihr und ihrem Team äußerst wichtig, regelmäßig gibt es in
der Sozialstation Egeln Abende für Angehörige. Hier wird sich ausgetauscht und auch getröstet. u
Sonderveröffentlichung
Foto: ISA _ i _ motion (2)
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Marlene Hofmann, Pflegedienstleiterin der Sozialstation Egeln (li.), im Interview.
Wie die Gäste in die Tagespflege kommen, möchten Modera-
die in jeder Situation ein Lächeln bereit hat. Nur einmal füllen
ist sehr viel Mundpropaganda“, ist Marlene Hofmann stolz
wonnene Gäste nicht mehr wiederkehren. Auch das ist Teil des
torin Maren Sieb und Redakteurin Astrid Wessler wissen. „Das auf den guten Ruf der Einrichtung. Liebevoll kümmert sich
das dreiköpfige Team um medizinische Bedürfnisse, um Hilfe
sich ihre Augen mit Tränen, denn es sei schwer, wenn liebgeAlltags in einer Einrichtung für ältere Menschen.
und auch um die Freizeitwünsche der Gäste. Frühstücken
Maren Sieb hat das Mikrofon inzwischen wieder ausgestellt,
Auswahl. „Suppen werden hier am liebsten gegessen“, sagt die
hat sich gelegt. Jetzt freuen sich alle auf die Sendung. Und
kann jeder, was er gern mag. Am Mittag stehen zwei Essen zur Leiterin und Mimi Vehlhut (85) nickt zustimmend. Zwischen 70 und 90 Jahre alt sind die Gäste, die am Tage die Angebote in
Egeln genießen. Familienanschluss haben sie alle, aber die Kinder würden eben arbeiten müssen, wirft Elisabeth Hellie ein.
Was rät Marlene Hofmann jungen Leuten, die sich für Arbeit
mit Menschen interessieren? „Es macht einfach Spaß und jeder
ist eingeladen, bei uns ein Praktikum zu machen, um unsere
Aufgaben näher kennenzulernen“, sagt die erfahrene Frau,
alle Fragen sind beantwortet. Die Aufregung unter den Gästen wie an jedem Tag wird der „schöne, junge Fahrer“ auch heute
Nachmittag Elisabeth Hellie und die anderen Gäste der Tagespflege Egeln wieder sicher nach Hause bringen. n
Portrait
Einst Wassermühle, jetzt einer der schönsten Jugendclubs Heinrich von Nathusius und die Familientradition – ein Gewinn für Haldensleben Von Rainer Lampe
„Jugendmühle Althaldensleben“ steht am Backstein-Fach-
schwänglich begrüßen wie einen guten Bekannten, hat
dem Haus nicht anzusehen. Ganz im Gegensatz zu den Frau-
rich von Nathusius geht auf die 70 zu, aber „ohne ihn und
sie sind unverkennbar raus aus dem Jugendalter, aber sie sind
Dihle und Stefanie Cyprian „nun mal Fakt“. Das meinen Caro
werkhaus. Es war mal eine Wassermühle, doch das Alter ist
en, die sich am frühen Mittwochnachmittag dort treffen. Gut, fitter als manch Junger. Schließlich treiben sie hier wöchentlich Sport. Die „Jugendmühle“ als Jungbrunnen.
Auch der seriöse Herr, den die beiden „Chefinnen“ des Althaldensleber Jugend- und Freizeitzentrums gerade so über-
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schon gelebt, als Elvis und die Beatles zu Stars wurden. Hein-
die IFA gäbe es die Jugendmühle nicht“. Das ist für Carolin und Steffi in doppeltem Sinn: Ohne Nathusius wäre die alte Wassermühle wohl heute noch im Zerfall, und ohne Finanzspritzen aus seiner Privatkasse und aus dem IFA-Konsortium
wäre der Jugendclub im wahrsten Sinn des Wortes oft ziemlich arm dran. u
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Porträt
Der erste Industriekonzern Deutschlands Für Heinrich von Nathusius sind Kloster Althaldensleben mit
benachbarter Wassermühle Familiengeschichte. Sein Ururgroß-
vater , der Magdeburger Kaufmann Johann Gottlob Nathusius
eine „Kinderbewahranstalt“, die heutigen Neinstedter Anstalten, später kamen ein „Knabenrettungshaus“ für schwer erzieh-
bare und sozialgefährdete Jungen sowie eine Mädchenschule hinzu.
(1760-1835), hatte das säkularisierte Kloster und das Klostergut
Was Nathusius für die Stadt getan hat, haben ihm die Haldens-
stetig wachsendes Firmengeflecht in und um Haldensleben
Der Familienfriedhof in Althaldensleben durfte weiter als Be-
1810 erworben. Hier wohnte er, und von hier aus lenkte er ein
und Magdeburg: Gärtnerei und Baumschule, Tabak-, Rübenzu-
cker-, Porzellan-, Stärke- und Maschinenfabriken, eine Brauerei, Ziegeleien, Steinbrüche. Es war der erste Industriekonzern in
Deutschland. Aufgrund seiner Verdienste um die Entwicklung der Landwirtschaft, des Handels und der Industrie sollte er in den Adelsstand gehoben werden. Er lehnte dies jedoch – nach
Familienüberlieferung – mit der trockenen Bemerkung ab: „Besser, man zeichnet sich aus, als dass man sich auszeichnen lässt“.
leber nie vergessen. Selbst die DDR-Oberen respektierten das. gräbnisstätte der Familie gepflegt und genutzt werden, durchaus kein selbstverständliches Privileg für einstige Großgrund-
besitzer. Heinrich von Nathusius sorgte sich um den Friedhof, wenigstens einmal jährlich war er hier. Aber erst Anfang der Neunziger, bei einem Vortrag über Gottlob Nathusius, begriff er welch hohes Ansehen seine Familie bei den Haldenslebern ge-
nießt: „Der Saal war rappelvoll, über 100 Leute, auch viele junge, und alle hochinteressiert.“
Besonders sein soziales Wirken zeichnete den „alten Nathusius“
Ifa-Rotorion europaweit Marktführer bei Gelenkwellen
liche Baudarlehen und die Lieferung von Baumaterialien zum
Dieser Tradition sieht sich Heinrich von Nathusius verpflichtet,
und Steingutfabrik. In Althaldensleben ließ er einen Lustgarten
leben abkaufte. Von den einst 1 000 Mitarbeitern blieben zum
aus. Neben Spendengaben gewährte er auch niedrigverzinsSelbstkostenpreis. Er gründete eine „Spar-Casse“ der Porzellan-
anlegen, der dann ab 1820 als Landschaftspark mit dem Schloss-
garten Hundisburg verbunden wurde. In dieser Tradtion wirkten auch seine Nachfahren. Philipp von Nathusius und seine Frau Marie zum Beispiel gründeten in Neinstedt bei Thale zunächst
seit er 1992 der Treuhand das IFA-Gelenkwellenwerk in HaldensNeustart 100. Heute ist das Werk europaweit führender Anbie-
ter von Gelenkwellen; auch der Marktanteil in den USA ist stark wachsend. „Längswellen sind schwer zu bauen. Selbst die Verpackung ist ein Problem. Eine kleine Erschütterung, schon hat
Der Lehrlingsanteil an
der Belegschaft liegt bei
IFA-Rotorion konstant um die zehn Prozent. Gute
Leistungen garantieren
die Übernahme in einen festen Job, versichert
Heinrich von Nathusius.
Die Ausbildung in eigener Halle ist praxisnah.
Sascha Mettner, hier mit Lehrausbilder Eckhard
Becker, wird gerade an
einer halbautomatischen Werkbank ausgebildet.
Porträt
Einfach mal die Beine hochlegen und fernsehen – warum nicht? Typisch für den Jugendclub sind allerdings Aktivitäten wie der Hip-Hop-Zirkel (nächste Seite).
die Welle eine leichte Unwucht und das Auto bei hohen Tou-
Das junge Treiben passt gut ins alte Haus. Zur Jugendmühle
Indien, sicher bald auch in China. 2009 hat IFA die Rotorion
Couch, Billard und Tischtennis, eine Küche, die auch mal Feiern
ren“, erklärt er. Heute ist IFA weltweit aufgestellt, in den USA, in
GmbH Friedrichshafen aufgekauft. Die Produktion wurde vom Bodensee nach Haldensleben verlegt. Heute beschäftigt die IFARotorion-Gruppe schon mehr als 1 500 Mitarbeiter.
gehören Volleyballfeld und Fußballecke, ein Fernsehraum mit
im Haus versorgt, ein großer Bastelbereich eine Lese-Bibliothek und vor allem der große Raum für Sport, Tanz und alle denkbaren Veranstaltungen.
Eine Firma von diesem Gewicht ist überall erster Ansprechpart-
Wer durchs Haus geht, kommt ins Staunen. Zweckmäßige Ein-
erwehren, Behindertenverbänden und anderen Vereinen und
und ein Schuss Gemütlichkeit, den wohl nur altes Gemäuer
ner für Sportvereine, Schulen, Kindergärten, freiwilligen Feusozialen Netzwerken, die allesamt sehr rührig, aber oft finanzschwach sind. „Wir verschließen uns solchen Bitten nicht“, sagt
von Nathusius, „und wenn es mal schwierig sein sollte, überweise ich auch schon mal was vom Privatkonto“.
Als das ehemalige Klostergut vom Kreis zur Berufsschule ausgebaut wurde, versprach von Nathusius: „Wir bauen die alte Mühle zur Jugendmühle aus.“ Heute spricht er voller Stolz von
„einem der schönsten Jugendclubs in Deutschland“. In der Tat:
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richtung, originelle Details, einladende Kuschelecken, viel Platz vermitteln kann. Keine Schmierereien, kein Verdrecken, nichts Kaputtes. Alles in eigener Pflege, jeder weiß, wie er sich zu be-
nehmen hat, was geht und was nicht. Conny und Steffi und
ihre Mitstreiter(innen) setzen Akzente. Respektvoller Umgang, Handlungskonzepte gegen Rechts, auch mal – mit IFA-Unter-
stützung – eine längere Busfahrt. Diesmal nach Auschwitz. Klar
kommt Geld für den Club von mehreren Stellen, aber Kreis und Kommune tun sich von Jahr zu Jahr schwerer. Ohne IFA könnte die Jugendmühle nicht in der Oberliga spielen. u
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Porträt
„Wir müssen was für die Jugend tun“ Das hier ist kein Eliteclub. Die Jungs und Mädchen, die hierher kommen, sind vorwiegend aus Familien, die sozial eher benachteiligt sind. Für sie ist die Jugendmühle die zweite Heimat. „Die Jugend hatte es nach der Wende am schwersten. Verunsicherte
Eltern, eine ungewisse Zukunft, und kaum jemand, der sich um
diese Generation kümmert“, konstatiert Heinrich von Nathusius. „Wir müssen was für die Jugend machen“. Als ihn eine junge Leh-
rerin, Britta Meyer, 2005 bat, die Gründung einer evangelischen Sekundarschule in Haldensleben zu unterstützen, hatte sie sofort seine Zusage. Nicht nur für finanziellen Beistand. Gemeinsam mit
ihr unterzeichnete Nathusius Hunderte von Briefen an Betriebe aus dem Kreis. Viele sagten Unterstützung zu, mit kleinen, aber auch großen Spenden.
„Wenn wir gute Leute von weither ins Unternehmen holen
wollen, fragen sie nicht zuerst nach Geld. Sie wollen wissen, was hier kulturell los ist, was die Umgebung bietet – und vor
allem, auf welchem Niveau ihre Kinder ausgebildet werden“,
weiß von Nathusius und denkt ungern zurück, wie schlecht der
Ruf der hiesigen Sekundarschulen war. 2007 wurde die evangelische Sekundarschule gegründet, inzwischen hat sie 140 Schüler, berichtet Schulleiterin Pia Kampelmann. „Auch die anderen
Schulen sind inzwischen richtig gut geworden“, freut sie sich. IFA hatte für diese Schule im ersten Jahr die komplette Lohn- und Finanzbuchhaltung übernommen, half mit Computertechnik
und -technikern, informiert – wie in der „Jugendmühle“ – über Job-Bewerbungschancen und Bewerbungsschreiben. Nathusius hat ja so Recht: „Wer gut ausgebildete Lehrlinge, wer verantwortungsbewusste und leistungsbereite Fachkräfte fordert, der muss auch was dafür tun.“
Auch im eigenen Unternehmen, das schon seit Jahren eine starke Lehrausbildung hat und speziell dafür eine praxisnahe Ausbildungsstätte eingerichtet hat. Der Lehrlingsanteil an der Belegschaft
liegt konstant um zehn Prozent. Vorbei sind allerdings die Zeiten, da auf jeden Ausbildungsplatz fünf bis zehn Bewerber kamen. Wer nicht mehr sicher ist, dass er die Besten binden kann, muss eben reagieren, meint der IFA-Chef. Ein Lehrausbilder gibt Nachhilfeun-
terricht in Deutsch und Mathe für jene, die da so ihre Lücken haben. Der alte Nathusius würde es mit Wohlwollen sehen, wie seine Nachfahren seinen Kurs halten. Die alten Damen, die zum Sport
in die Jugendmühle kommen, denken da weniger an Traditionen
denn an die guten Räumlichkeiten. Auch das war gewollt: Dass
dieser Ort, die „Jugendmühle“, offen ist für alle, für Alt und Jung. Sie vertragen sich gut. Sie sind ja alle Haldensleber. n
Portr채t
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Einmal schlafen wie ein Kaiser – im mittelalterlichen Tangermünde wird dieser Traum wahr.
Bettgeschichten zwischen Räuberhöhle und Kaisergemach Wiederholungstäter schlafen sich in Tangermünde durch alle Exempel Schlafstuben Von Ute Semkat Einmal schlafen wie ein Kaiser! Und zuvor noch ein wohliges
flochten. Und von der Blümchentapete mit Vogelmotiven im
zeit genießen. Wer einmal für eine Nacht auf Zeitreise gehen
zu den rußigen Lehmwänden in der „Brandruine Grete Min-
Bad im Holzzuber mitten im Gemach und eine deftige Mahlwill, der bettet sich gut in den Exempel Schlafstuben im tausendjährigen Tangermünde. Da kann man was erleben.
Mit jeder Tür, die sich öffnet, betritt der Gast eine andere
Königin Luise Salon sind es nur ein paar Zimmernummern bis des“. Das arme Mädchen war des verheerenden Tangermünder
Stadtbrandes anno 1617 beschuldigt worden und landete auf dem Scheiterhaufen.
Zeit und Welt. Am Kleiderhaken zur „Räuberhöhle derer von
Das sind so die Bettgeschichten, die Tiemo Schönwald gern
betten in „Wallensteins Lager“ wurden aus Weidenholz ge-
Eigentümer und Ideengeber des Hotels. Jedes der 18 Zimmer,
Quitzow“ hängt eine Ritterrüstung. Die spartanischen Feld-
den Gästen verrät. Er und seine Nichte Stine Schönwald sind
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Bettwäschewechsel in den Exempel Schlafstuben. An frischen Ideen fehlt es Hotelier Tiemo Schönwald (im Bild mit Schwester Ute) ebenfalls nicht.
die sie liebevoll und mit einem kleinen Augenzwinkern ein-
Räuberhöhlen-Flair neben Biedermeier-Chic, Fontanes Biblio-
auf. So bekam das Gemach des deutschen Kaisers Karl IV., der
wird es keinem Gast passieren, dass er versehentlich im fal-
gerichtet haben, schlägt ein anderes Kapitel Stadtgeschichte im späten 14. Jahrhundert die Burg hoch über der Mündung
des Tangers in die Elbe zu seiner Nebenresidenz ausbauen ließ, einen goldenen Thron als Toilette. An einen Schiffskapitän aus Tangermünde, der es in den Befreiungskriegen gegen Napoleon zu Ruhm und Ehre brachte, erinnert die Kajüte von Käpt`n
Kolle: maritim und sehr gemütlich eingerichtet, mit Blick durch
thek neben Mannes Maleratelier. In diesem Vier-Sterne-Hotel schen Bett landet. Und weil es so unvergleichlich viel zu entdecken gibt, kann der obligatorische Fernseher im Hotelzimmer
eigentlich abgeschaltet bleiben. Auf Dusche und Internetan-
schluss muss der Gast aus dem 21. Jahrhundert natürlich auch nicht verzichten.
ein Bullauge in die Badkabine.
Die Schönwalds sind eine große Familie vom brandenbur-
Aber wofür braucht eine Kuh ein Zimmer und verleiht ihm so-
in den 90er Jahren ein Haus gesucht, um ihre gesammelten
gar den Namen? Das legendäre Tangermünder Kuhschwanz-
Bier wird dem Gast beim Hopfenbade gern ausgeschenkt, die amüsante Geschichte gibt’s gratis dazu.
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gischen Elbufer. „Oma“ Erika, pensionierte Lehrerin, hatte altertümlichen Schulmöbel unterzustellen. In Tangermünde in der Altmark wurde sie im früheren Schulhaus fündig und
eröffnete bald darauf inmitten des nostalgischen Mobiliars u
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das Restaurant Exempel Gaststuben. Wenn die einkehrenden Touristen Hunger und Durst gestillt hatten, fragten sie nicht
selten nach einer Übernachtungsmöglichkeit mit historischem Flair.
Dieser Anstoß genügte, um die kreativen Schönwaldschen
Gene zur Hochform auflaufen zu lassen. Sohn Tiemo, diplomierter Kaufmann, wäre an einem Schreibtisch als Buchhalter
wahrscheinlich ohnehin nicht glücklich geworden. Enkelin Stine hatte Hotelfachfrau gelernt und Betriebswirtschaft stu-
diert. Beide besaßen ganz genaue Vorstellungen, wie ihr Hotel aussehen soll und gaben dem Architekten dafür handgezeich-
nete exakte Anweisungen. Auf den Brachen, die sie mitten im
historischen Stadtzentrum erwerben konnten, hatte nur ein einziges Fachwerkhaus die Zeiten überlebt, von dem auch nur
die windschiefe Fassade zu retten war. Aber der Neubau sollte sich diskret in das mittelalterliche Stadtbild aus Backsteinbauten und Fachwerkhäusern einfügen.
Mit einer Außenfront aus drei Giebeln und unterschiedlichen Fachwerkfassaden entsteht der Eindruck, das Hotel bestehe aus aneinander grenzenden Einzelhäusern. Innen dagegen bildet das Erdgeschoss mit dem Bistro einen einzigen großen
Raum, im hinteren Teil liegt ein Souvenirladen. Die bodentie-
fen Fenster signalisieren Gegenwart, eine unverputzte Wand dagegen entblößt altertümliches Bauhandwerk aus Lehm.
Bei einem Bauvorhaben kann es immer Überraschungen geben. Nachdem der Kellerausbau viel mehr Geld verschlungen hatte
als vorgesehen, klaffte kurz vor der Fertigstellung 2010 eine Finanzierungslücke. Aber die ersten Gäste hatten schon reser-
viert. „So ein Schock. Ein Baustopp war undenkbar“, spürt Stine Schönwald noch einmal der Dramatik jener Wochen nach.
Vor allem schnell musste es gehen. Als die Bürgschaftsbank
Sachsen-Anhalt binnen weniger Wochen zusagte, für den zu-
sätzlichen Kreditbetrag die Sicherheiten zu stellen, hätte man die schweren Steine von der Brust der Neu-Hoteliers plumpsen hören können. u
Im Kaiser Karl-Gemach darf natürlich die Krone nicht fehlen.
Den Charme der Hotelzimmer machen die stimmigen und mitunter
witzigen Details aus, die aus der jeweiligen Zeitetappe stammen und
den Gast sofort in eine andere Welt eintauchen lassen.
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Ein Neubau erst
auf den zweiten Blick: Das Hotel
fügt sich lückenlos in die historische Silhouette ein,
weil die Außenfront mit drei Giebeln und
unterschiedlichen Fassaden anein-
ander grenzende Einzelhäuser
vermuten lässt.
In den Exempel
Gaststuben kann
man in der „guten Stube“ schön
plüschig dinieren. (li.). Ursprünglich war hier die alte
Schule, von der ein
Klassenraum museal erhalten wurde.
Inzwischen haben sich die Exempel Schlafstuben bundesweit
einen Namen gemacht. Wer sich als Hotelgast für ein Zimmer
entscheiden muss, erleidet manchmal die Qual der Wahl. Oder er wird zum „Wiederholungstäter“, wie Schönwalds diese gu-
ten Gäste nennen, die jedes Mal ein anderes Zimmer buchen. Reisegruppen wiederum seien nach dem Einchecken häufig erst einmal damit beschäftigt, sich noch vor dem ersten Stadtbummel gegenseitig auf den Zimmern zu besuchen.
Zur Ruhe betten können sich Stine und Tiemo Schönwald noch
lange nicht. Und sie haben noch viele Ideen für Bettgeschichten. n
Ö www.exempel.de