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DIE BAHNREISE

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Deutschland in einem Waggon vierter Klasse zu durchqueren, bedeutet eine unvorstellbare Tortur. Wir sehen sie hier in Antwerpen ankommen – Waggons, die vollgestopft sind mit Emigranten, die auf ihrem Gepäck sitzen. Es gibt nicht genug Bänke für sie, nachts kein Licht und kein Wasser, mit dem sie ihren Durst löschen können.

— Eugène Venesoen, belgischer Kommissar für die Emigration, 1913

Die Auswanderer, die in Antwerpen das Schiff nehmen wollen, haben bereits eine lange und beschwerliche Bahnfahrt hinter sich.

In der vierten Zugklasse, säuberlich geschieden von den betuchteren Passagieren, sitzen sie in ungeheizten Waggons auf hölzernen Bänken. Sie können sich nicht waschen und werden regelmäßig auf Läuse und anderes Ungeziefer kontrolliert. Auch ihr Gepäck wird desinfiziert.

Aber auch davor gab es schon manches Hindernis zu überwinden. Bevor die Emigranten überhaupt in den Zug in Richtung Westen steigen können, müssen sie in Russland und anderen osteuropäischen Ländern eine Ausreisegenehmigung erhalten haben. Die Prozedur ist äußerst kompliziert, weshalb sich Tausende von Auswanderern

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entschließen, die Grenze illegal zu überqueren. Dazu gehören viele junge Männer, die sich der Wehrpflicht entziehen wollen. Menschenschmuggler profitieren von ihrer Lage.

Am Ende des Ersten Weltkriegs und kurz nach dem Krieg ist die Reise nach Antwerpen noch beschwerlicher. Die Emigranten ziehen – häufig ohne Geld und Papiere – durch einen verwüsteten Kontinent. Viele sind Monate oder sogar Jahre unterwegs.

Im 19. Jahrhundert ist Antwerpen von ganz Europa aus dem Zug erreichbar. Die längste ununterbrochene Bahnstrecke verläuft ab 1913 von Odessa nach Antwerpen. Unzählige Russen steigen im Städtchen Brody an der österreichisch-russischen Grenze in den Zug. Durch Österreich- Ungarn, Deutschland und die Niederlande fahren sie nach Belgien.

Strecke: 1834 km Reisedauer: zwei Tage Länder: Russland, Österreich-Ungarn, Deutschland, die Niederlande, Belgien

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DIE BAHNREISE DURCH EUROPA

Brody – österreichische Grenze

Am Grenzübergang Brody werden die Pässe der Auswanderer kontrolliert. Reisende ohne Pass überqueren zu Fuß die „grüne Grenze“ zwischen Russland und Österreich-Ungarn. Oft helfen ihnen Schmuggler, die die Gegend gut kennen. Und auch bestechliche russische Grenzwächter.

Myslovitz – deutsche Grenze

In Myslovitz müssen die Auswanderer ihre Reisepapiere vorlegen. Sie werden auch zum ersten Mal während der Reise ärztlich untersucht und ihr Gepäck wird desinfiziert. Diese Maßnahme geht auf die Cholera-Epidemie in Hamburg zurück, die mehr als 8000 Todesopfer forderte. In der Grenzstation gibt es einen Wartesaal mit einer einfachen Gaststätte. Getränke sind dort nach Aussage von Zeitzeugen ausreichend vorhanden, aber es gibt kaum Essen.

Leipzig – Deutschland

Die Emigranten werden in geschlossenen Eisenbahnwaggons durch Deutschland transportiert. Sie haben keinerlei Kontakt mit den anderen Passagieren. Der Zug hält in Leipzig, wo die Auswanderer abermals kontrolliert und registriert werden. Wer sich bisher den Kontrollen entziehen konnte, der geht den Behörden spätestens hier ins Netz.

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Hamont-Achel - belgische Grenze

Ab ca. 1890 müssen die Auswanderer bei ihrer Ankunft in Belgien über Schiffspapiere verfügen. Sie müssen auch genug Geld dabei haben, um in Belgien niemand zur Last zu fallen. Jedoch sind die Kontrollen an der deutsch-belgischen Grenze eher nachlässig. Die belgischen Behörden verlassen sich darauf, dass die Auswanderer bereits in Deutschland gründlich überprüft wurden.

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