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EDITORIAL
DIE DRITTE FÜNFTE
Fünf fünfte Sinfonien hat sich Thomas Zehetmair mit dem Musikkollegium Winterthur für diese Saison vorgenommen. Den Anfang machte er zur Saisoneröffnung mit Beethovens populärer Fünfter. Nach Nielsens lässt er nun Bruckners kolossale Fünfte folgen.
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Das Musikkollegium Winterthur und Bruckner-Sinfonien – alles andere als eine naheliegende Selbstverständlichkeit. Jedenfalls gehören sie nicht zum Kernrepertoire, wie das bei den gross besetzten Sinfonieorchestern mit ihren pompösen Konzertsälen der Fall ist. Der Winterthurer Stadthaussaal ist akustisch doch leicht limitiert und reagiert auf allzu bombastische Klangekstasen mit einer gewissen Abwehrhaltung – was dem musikalischen Erlebnis nicht immer förderlich ist. Zudem ist das Musikkollegium Winterthur mit seiner «mittleren» Besetzungsstärke nicht unbedingt für die späte Grossromantik, also für Bruckner oder Mahler, prädestiniert.
Indes, Thomas Zehetmair lässt sich davon nicht beirren. Denn er ist überzeugt, dass man Bruckner statt in philharmonischer Grossbesetzung auch schlanker und durchsichtiger spielen kann und das künstlerische Ergebnis dadurch möglicherweise sogar noch intensiviert wird. Ende Oktober 2013 machte er die Probe aufs Exempel mit Bruckners erster Sinfonie. Ein durchschlagender Erfolg. Also liess er anderthalb Jahre später Bruckners Zweite folgen, mit der man sogar im Theater Chur gastierte. Wiederum begeisterte Reaktionen. Im April 2018 setzte Zehetmair dann Bruckners Dritte aufs Programm, und mit dieser Aufführung hatte es eine besondere Bewandtnis: Erstens fand sie in der Stadtkirche Winterthur statt, und zweitens wurde sie für eine CD-Produktion aufgenommen.
«Die Frische und die Emotionalität des Klangs sind packend», schrieb Christian Berzins, der bei einer Probe mit dabei war, in der «NZZ am Sonntag». Auch Peter Hagmann, ehemals Musikkritiker der «NZZ», zeigte sich angetan von der «frischen, auf Tempo und klangliche Transparenz ausgerichteten Interpretation … Allein schon die Besetzung, sie war kammermusikalisch gedacht, liess den Bläsern ganz selbstverständlich Raum und sorgte damit für strukturelle Klarheit.»
Und nun also am 11. November Bruckners Fünfte mit ihrem gigantischen Umfang von sage und schreibe 1505 Takten. Ein Werk, das damals alle traditionellen sinfonischen Konventionen sprengte und sich wie ein erratischer Block in der Musiklandschaft ausnahm. Wir sind gespannt, wie sich dieses kolossale Werk den interpretatorischen Intentionen von Thomas Zehetmair fügen wird.
Werner Pfister
Abonnementskonzert MI 11. NOV 19.30 Uhr
«ICH BIN SÜCHTIG NACH MUSIK»
Er wird als «spannendster Jung-Trompeter» gefeiert – als «Trompetissimo», dem scheinbar alles gelingt, was er sich vornimmt. Dass sich Simon Höfele für die zeitgenössische Moderne ebenso interessiert wie für die Klassiker des Trompetenrepertoires, hebt ihn von möglichen Konkurrenten auffällig ab. Obwohl, Konkurrenz hat Simon Höfele eigentlich gar keine.
Die Trompete war reiner Zufall – dank eBay. Denn Simons Vater erstand dort eine kleine, alte Fanfaren-Trompete, um sie im Wohnzimmer an die Wand zu hängen. «Zu reinen Dekorationszwecken», betont Höfele. «Doch das Instrument hatte es mir sofort angetan. Allerdings musste ich noch zwei Jahre warten, bis ich mit dem Unterricht beginnen konnte, denn ausgerechnet damals fielen mir die Schneidezähne aus. Und ohne diese Zähne ist es schwierig, mit dem Trompetenspiel anzufangen.» Als es dann endlich so weit war, machte sich der Junge mit doppeltem Eifer an die Sache. Jedenfalls erscheint es so im Rückblick, denn bereits mit 14 Jahren wurde Simon Schüler der deutschen Trompeten-Legende Reinhold Friedrich. «Seine Einspielungen kannte ich von meinem ersten Trompetenlehrer, der ein grosser Fan von Friedrich war. Das hat natürlich auf mich abgefärbt. Letztlich hätte mir kaum etwas Besseres passieren können als genau diese Fügung: bei Friedrich studieren zu dürfen.» Und das mit grossem Erfolg: Mit nur 16 Jahren gewann er den Sonderpreis U21 beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD, was ihm Türen und Tore geöffnet hat. «Wettbewerbe sind natürlich toll», sagt Höfele. Gleichzeitig aber verhehlt er nicht, dass er sich damit letztlich doch etwas schwer tue. «Ich bin der Meinung, dass der sportliche Charakter nicht zur Musik passt. Wenn ich irgendwo drei Meter weit springe und ein anderer zehn Zentimeter weiter, dann ist er klar besser. Aber mich stört es, diese Art von Sportlichkeit auf die Musik zu übertragen. Man kennt die Folgen: Da spielt einer besonders schnell und bekommt deswegen besondere Resonanz. Das aber sagt noch lange nichts über die künstlerische Qualität seines Spiels aus.»
Was bedeutet für ihn Kunst? «Kunst ist für mich das Gefühl, jedes Mal aufs Neue eine Freiheit zu entdecken und diese mit anderen zu teilen. Bei der Musik sehe ich das ganz ähnlich: Musik muss ein Gefühl vermitteln und darf sich nicht in schönen Melodien erschöpfen. Musik muss etwas zu sagen haben, und dann ist es auch ganz egal, was für eine Musik das ist – E oder U, Barock oder Zeitgenössisches.» Damit ist das Stichwort gefallen, denn für zeitgenössische Musik interessiert sich Simon Höfele ganz besonders. «Neues wagen» heisst seine Maxime, und so gehören Uraufführungen und die intensive Zusammenarbeit mit Komponisten genauso zu seinem musikalischen Alltag wie das klassische Trompetenrepertoire von Haydn, Telemann, Tartini oder Hummel. «Zeitgenössische Musik hat für mich einen besonderen Stellenwert», betont Höfele, «weil ich mit Komponisten zusammenarbeiten kann. Es herrscht eine grossartige musikalische Diversität in der heutigen Epoche, wie man sie sonst wohl nirgends findet. Jedes Mal, wenn ich ein neues Werk einstudiere, merke ich, wie facettenreich und bunt die Musik von heute ist. Für mich ist das ein Zeichen, dass die Musik wirklich über allem steht und die Menschen – egal, wie verschieden die Musik auch sein mag – miteinander verbindet.» Kein Zweifel, Simon Höfele ist ein musikalisches Kommunikationstalent. Ob im Amsterdamer Concertgebouw oder
am Schleswig-Holstein Musik Festival, ob in der Elbphilharmonie oder im Herkulessaal in München, überall scheint der Funke zu springen, überall jubelt ihm das Publikum zu.
Zur Entspannung fotografiert Höfele. «Fotografie ist für mich sehr wichtig. Sie ist für mich wie ein Ruhepol oder eine Oase, wo ich Kraft tanken kann.» Er besitzt mehrere Kameras, sogar alte aus den 1950er Jahren. Die Filme entwickelt er in einer eigenen Dunkelkammer. Was er denn so fotografiere? Menschen porträtiert er – Menschen, die sich aktiv für die Erhaltung von Kunst und Kultur einsetzen. Und was denkt er, wenn er in Fachzeitschriften liest, dass er zu den spannendsten Trompetern der jungen Generation gehört? «Ich denke dann immer: Das hört sich doch gut an. Denn der Satz stammt ja nicht von mir ...»
Abonnementskonzert
MI/DO 09./10. DEZ 19.30 Uhr Werner Pfister
LOKALHELD IM RÜCKSPIEGEL
Das Violinkonzert von Hermann Goetz (1840 – 1876) besticht mit seinem melodischen Reichtum und seiner formalen Machart. Mit der Aufführung des selten gespielten Werks würdigt das Musikkollegium Winterthur den Komponisten, der sich in Winterthur einen Namen machte – als einer von vielen «(Lokal-)Helden im Rückspiegel».
«Ich glaube nicht, dass ich sobald von hier fortgehe. [...] denn wenn Winterthur auch nur 8000 Einwohner zählt, so ist es im Verhältnis dazu doch auffallend wohlhabend. Dabei hat es eine reizende Lage, eine äusserst gesunde Luft und überaus regen Eisenbahnverkehr nach allen Richtungen ...» Was klingt wie eine Werbung für Winterthur, schrieb der glückliche Hermann Goetz im Jahr 1868, als er sich beruflich und persönlich in der Stadt an der Eulach etabliert hatte. Fünf Jahre zuvor war der Musiker, der aus dem preussischen Königsberg stammte, im Alter von 22 Jahren hierhergekommen, um die Organistenstelle an der
Stadtkirche in der Nachfolge von Theodor
Kirchner (1823–1903) auszuüben. Mit der Verpflichtung von Goetz gelang Winterthur ein
Coup, da dieser als sehr begabter Künstler galt:
Nicht nur wurde ihm beim 1862 erfolgten Abschluss des erst 1850 gegründeten Stern’schen
Konservatoriums in Berlin ein «glückliches
Kompositionstalent» attestiert; auch der schon damals angesehene Dirigent und Pianist Hans von Bülow (1830–1894) bescheinigte ihm, dass er
«zu den wenigen» gehöre, die er «froh und stolz» sei, «unterrichtet zu haben».
ZWISCHEN HEIMWEH UND GRENZENLOSER LIEBE Der Anfang in der Schweiz allerdings war harzig gewesen. «Fort, fort, fort von Winterthur» wollte Goetz noch zwei Jahre nach Stellenantritt, vor allem aufgrund der Reserviertheit des Winterthurer Publikums, dem er sich aber mit «eisernem Mut und eisernen Fin-
gern» stellte. Der Durchhaltewillen sollte sich lohnen, denn mit dem Ankommen in der Gesellschaft stellte sich Besserung ein. So traf er im Gelehrtenkreis namens «Sonntagskränzchen», den er regelmässig aufzusuchen begann, auf viele inspirierende Persönlichkeiten – und lernte seine zukünftige Frau, Laura Wirth, kennen, die er bereits im Herbst 1868 heiraten sollte.
In dieser glücklichen Situation hatte Goetz im Sommer zuvor sein Violinkonzert in GDur geschrieben, und zwar im Prättigauer Luftkurort Seewis. «Der liebevolle Charakter» von Laura und ihr «lebensfrohes Wesen» beflügelten seine Schaffenskraft, sodass das Werk in nur vier Wochen entstanden ist – nota bene unmittelbar nach einer ambitionierten Sinfonie in e-Moll und seinem Klavierkonzert op. 18. Im Violinkonzert zeigt sich einerseits Goetz’ Talent für sehr lyrische, bisweilen schwelgerische Melodien. Andererseits gestaltete er das Werk formal mit der damals sehr modernen «Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit» aus, die etwa Franz Liszt (1811–1886) erprobt hatte. In dem einen Satz des «romantisch verwobenen» Violinkonzerts sind verschiedene Teile auszumachen; diese wiederum stehen für drei einzelne «Sätze», deren erster der Einheitlichkeit wegen im dritten wiederaufgegriffen wird.
Nach der Komposition liess Goetz sein Violinkonzert erstaunlicherweise liegen – vielleicht, weil er solistisch (er gehörte etwa zu den gefragten ersten Solisten der in jenem Jahr 1868 gegründeten Tonhalle-Gesellschaft Zürich) und kompositorisch sehr eingespannt war. In seiner Zeit in Zürich, wohin er 1870 aufgrund des dort besonders lukrativen Klavierunterrichts gezogen war, nahm ihn dann die Vervollständigung seines erfolgreichsten Werks, der noch in Winterthur begonnenen und häufig gespielten Oper «Der Widerspenstigen Zähmung», stark in Anspruch. Für die Gesundheit von Goetz, der seit langem Tuberkulose hatte, war dies alles aber zu viel, sodass er 1876, im Alter von nur 36 Jahren, starb. Sein Violinkonzert wurde erst 1880 herausgegeben.
Lion Gallusser
Hauskonzert
FR 06. NOV 19.30 Uhr