20 Jahre Helios

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Ist HELIOS eine Sekte? Francesco De Meo

Was für eine absurde Frage. Natürlich nicht! Und doch bleibt das Rätsel: Wer kommt denn auf solch eine Idee? Vor allem aber: Warum diese Frage? Dazu eine Geschichte (s. Kap. 6.1), dann der Versuch einer Erklärung (s. Kap. 6.2).

6.1

Eine Geschichte

der Wahrheit entsprach. Nur woher kam eigentlich damals dieser Verdacht? Es war ein Generalverdacht gegen alle Bieter. Gespeist aus anonymen Verdächtigungen, die bereits anlässlich früherer Privatisierungsverfahren – zunächst gegen Asklepios – erhoben worden waren, schon Mitte der 90er-Jahre. Damals mit dem Ziel, eine Privatisierung per se zu verhindern. Später wur-

Mit dem Sektenvorwurf wurde ich zum ersten Mal anlässlich des Privatisierungsverfahrens um das Klinikum Berlin Buch konfrontiert. Damals mussten alle Bieter in den Verträgen eine Stan-

de der Verdacht auf alle Klinikprivatisierer ausgeweitet, jedenfalls wurde uns das bei allen Verfahren so gesagt. Und stereotyp wurde uns von Verfahren zu Verfahren die gleichlautende Er-

darderklärung zum Thema Scientology abgeben.

klärung zur Unterzeichnung vorgelegt. Der Spuk

Fünf magere Zeilen, in denen wir erklärt haben,

ging dann, wie er kam. Irgendwie war dann plötzlich knapp zwei Jahre später Scientology

dass wir natürlich keine Scientologen sind. Auf meine Frage, worin der echte Wert dieser Erklärung liege, wurde mir dann von Scientolo-

kein Thema mehr. Es wurden keine Erklärungen mehr eingefordert. Also Ende gut, alles gut?

gy-Beauftragten erläutert, dass kein Scientologe jemals solch eine „selbstverleugnende“ Erklärung unterzeichnen würde. Mit der Unterzeichnung selbst wurde der Gegenbeweis erbracht. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, die Evidenz dieser Gedankengänge zu überprüfen. Die Erklärung war leicht zu unterschreiben, da sie

6.2

Der Versuch einer Erklärung

Nicht alles gut. Denn die Geschichte hat sich fortgesetzt. Nicht mehr religiös verpackt. Intelligenter gemacht. An die Stelle des Sektenvorwurfs

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Ist HELIOS eine Sekte?

sind moderne Fanale getreten. Die unisono verlautbarten Pranger lauten heute in etwa: Ausgliederung, Tarifflucht, Personalausbeutung, Qualitätsverlust, Rosinenpicken, Profitgier, das Böse. Worum ging es damals wie heute? Um die Ängste der Menschen vor Veränderungen, vor

Der Begriff Sekte leitet sich vom lateinischen Ausdruck „secta“ (Lehre, Gefolgschaft) ab. Im wissenschaftlichen Sinn bezeichnet er eine durch ein Schisma entstandene Abspaltung von einer etablierten Religion. In diesem Sinn wäre das Christentum ursprünglich eine jüdische Sekte.

dem Neuen, vor dem Anderen. Es werden dabei nicht die hinterfragt, die durch allgemein bekannte Versäumnisse ihre Kliniken in das insolvente Abseits manövriert haben. Es werden stattdessen die angegriffen, die das nun wieder herrichten sollen. Am Pranger stehen damit die, die den Kliniken eine Zukunft geben, und wieder – wie sich nachweisen lässt – Sicherheit für die Patientenversorgung schaffen. Wie verkehrt das ist. Kaum mit Argumenten

Im Alltagsgebrauch bezeichnet „Sekte“ eine Gruppierung mit Konfliktpotenzial. Auch friedliche Gemeinschaften, die im Allgemeinen als Irrlehre betrachtet werden, können im Volksmund jedoch so bezeichnet werden. Ähnlich, wenn auch leicht differenzierter, lautet die Umschreibung für Sekte in Wikipedia beispielsweise:

erklärbar. Während man dem Vorwurf der Sektenzugehörigkeit durch eine schlichte Erklärung entgegentreten konnte, ist der Umgang mit den heutigen Vorwürfen diffiziler. Ähnlich wie der Sektenvorwurf aber weiterhin wenig differenziert. Weil Tatsachen und Emotionen vermengt, weil Vorurteile und Ängste bedient werden. Weil die Rollen klar zugeschrieben sind, die der Guten und Bösen. Weil es schwer ist, mit Argumenten zu punkten, die mit dem allgemeinen Weltbild nicht vereinbar sind. Und damit sind wir also wieder beim Thema

Sekte (von lateinisch secta ‚Partei‘, ‚Lehre‘, ‚Schulrichtung‘) ist eine Bezeichnung für eine religiöse, philosophische oder politische Richtung und ihre Anhängerschaft. Sie bezieht sich auf Gruppierungen, die sich durch ihre Lehre oder ihren Ritus von vorherrschenden Überzeugungen unterscheiden und oft im Konflikt mit ihnen stehen. In erster Linie steht Sekte für eine von einer Mutterreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaft, der Begriff wird jedoch auch in einem weiten Sinn für weltanschauliche Gemeinschaften mit intensiver Indoktrination verwendet.

Sekte. Einem Attribut für das „Andere“, für Andersdenkende, für Menschen, die sich eigentümlich anders verhalten. Wenn wir auf die Entstehung des Begriffs Sekte, dessen Bedeutungswandel in der Zeit und die sektenbildenden Begriffsmerkmale blicken (s. Kap. 6.2.1),

Der Begriff „Sekte“ war wohl ursprünglich wertneutral. Er hat erst über die Zeit jedenfalls im deutschsprachigen Raum eine negative Konnotation erhalten. In wenigen Worten beschreibt Wikipedia das etwa wie folgt:

dann wird das Attribut „Sekte“ vielleicht erklärbarer. Allerdings sei bei weiterer Differenzierung auch die Rückfrage erlaubt: Sind vielleicht am Ende die anderen eine Sekte (s. Kap. 6.2.2)?

6.2.1 Begriff, Bedeutungswandel, Attribute Focus beschreibt in der Online-Ausgabe des Focus Campus vom 9. Dezember 2007 den Begriff Sekte wie folgt:

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Der ursprünglich im Lateinischen wertneutrale Ausdruck Sekte hat aufgrund seiner Geschichte und Prägung durch den kirchlichen Sprachgebrauch einen meist abwertenden Charakter erhalten und wird seit den 1960er-Jahren verstärkt mit negativen Konnotationen verknüpft. Dazu gehört die mögliche Gefährdung von etablierten religiösen Gemeinschaften oder Kirchen, Staaten oder Gesellschaften. Oft wird auch die Sozialisation der Mitglieder einzelner Gruppen negativ beurteilt.


6.2

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Der Versuch einer Erklärung

Ins Mittelhochdeutsche entlehnt wurde das lateinische Wort in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der älteste deutsche Beleg bezieht sich auf die damals als Häretiker verteufelten Arianer. Der deutsche Wortgebrauch im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit entsprach im religiösen Kontext dem lateinischen; secte oder sec(k)t wurde mit Vorstellungen wie „Rotte“, „Aufruhr“, „Spaltung“ und „Zwietracht“ assoziiert. Nach der Reformation pflegte man in Deutschland religiöse Gruppen ohne reichsrechtliche Anerkennung Sekten zu nennen. Neben dem in der Regel abwertenden Wortgebrauch in religiösen Zusammenhängen gab es ab dem 16. Jahrhundert im Lateinischen und im Deutschen auch eine wertneutrale, aus antiken Texten übernommene Begriffsverwendung zur Bezeichnung philosophischer und medizinischer Schulrichtungen.

keiner in all diesen Fällen ernsthaft von Sekten sprechen. Die Begriffsmerkmale des Lehrers und der Gefolgschaft sind nicht sektenprägend. Bleiben die – traditionell religiöse – Abspaltung von einer größeren Gruppe und das Thema Indoktrination. In der Tat war und ist HELIOS anders als andere Träger, vor allem öffentliche. Nur das gilt auch für die anderen privaten Träger und für freigemeinnützige, sowohl im Verhältnis zueinander als auch jeweils untereinander. Allein das Anderssein vermag also keine Sekte zu begründen. Kein wirklich ganz überzeugendes Argument, um nun gerade HELIOS für eine Sekte zu halten. Also bleibt noch der Vorwurf einer Indoktrination. Nur was ist damit gemeint? Ist denn unser Leitsatz, wonach Qualität und Wirtschaftlichkeit zusammengehören, bereits eine

Während im Deutschen „Sekte“ auch in der Moderne sehr häufig in einem negativen, oft stark abwertenden Sinn verwendet wurde und wird, hat das englische Wort sect einen eher wertneutralen Sinn. So wird in englischsprachiger buddhistischer Literatur sect als wertneutraler Ausdruck zur Bezeichnung von angesehenen Schulrichtungen verwendet. Dem deutschen pejorativen Ausdruck „Sekte“ entspricht der englische Begriff cult als polemische Fremdbezeichnung.

Art der Indoktrination? Oder das Führen mit Zielen und Benchmarks? Haben die Lehrsätze von Parteien, deren Programme oder auch das Menschen- und Gesellschaftsbild von Gewerkschaften nicht auch einen ähnlich indoktrinierenden Charakter? Am Ende führt also auch dieses Merkmal wohl zu wenig Klarheit. Vielleicht geht es dann aber um zwei Attribute, die mit Indoktrination meist verbunden werden. Dem Setzen von Regeln. Und dem Ver-

Sekten haben also Lehrer, eine Gefolgschaft, sind in der Regel eine Abspaltung von einer anderen Gemeinschaft, ursprünglich religiös mo-

lust an Individualität. Beides indes ein Aspekt des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Beides auch unvermeidbar bei der Organisation

tiviert, irgendwie indoktriniert. Wer war der Lehrer bei HELIOS? Vermutlich

von Unternehmen. In der Tat haben wir früh-

Lutz Mario Helmig, der Gründer. Aber allein die

verbindlich festgelegt. Das Verbot von Sponso-

Existenz eines Gründers macht ein Unternehmen nicht zur Sekte. Sonst wäre Facebook eine Sekte, und Apple, oder Microsoft. Womöglich

ring etwa. Oder die Pflicht zur Transparenz, sowohl bei Interessenkonflikten als auch in Qualitätsfragen. Wir haben die Mitarbeiter

auch politische Bewegungen, deren Parteien

aufgefordert, Fehler offenzulegen und sich da-

und Gewerkschaften, da auch sie alle in der Re-

für zu entschuldigen. Und wir haben Standards

gel auf einen Gründer und dessen Ideen zurück-

gesetzt, nicht nur im Marketing, sondern vor

zuführen sind. Alle Genannten haben auch Gefolgschaft,

allem auch inhaltliche, etwa für die Verwendung von Checklisten, oder auch fachbezogen

manche in der modernen Zeit fast wieder im Cha-

über die Beschlüsse der jeweiligen medizini-

rakter von Jüngern. Und dennoch würde wohl

schen Fachgruppen. Macht uns das alles nun

zeitig für das Gesundheitswesen neue Regeln

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Ist HELIOS eine Sekte?

zu einer Sekte? Geht dadurch tatsächlich die

Es ist ein gutes Zeichen, dass HELIOS seit

Individualität in einem nicht mehr akzeptab-

Jahren nicht mehr mit diesem Stempel ver-

len Ausmaß verloren? Eine Individualität, die im Gesundheitswesen ganz oft auch mit dem

sehen wird. Eine motivierende Entwicklung.

Begriff „Therapiefreiheit“ gleichgesetzt wird?

„Stempel“ als solche zu entlarven. Den Kontext

Das mag jeder für sich selbst bewerten. Und das

zu Sachargumenten herzustellen. Um deutlich

am Ende gut oder schlecht finden. Hieraus je-

zu machen, was wirklich anders an uns und

doch über uns das Zerrbild einer „Sekte“ zu pro-

durch uns ist. Und was eben nicht. Zugleich

jizieren, das scheint – jedenfalls heute – selbst

erklärend, warum das so ist. Wir haben einen

für die schärfsten Kritiker von Standards weit hergeholt. Der „Sektenvorwurf“ ist daher ver-

langen und in Details oft schmerzhaften Dialog

schwunden. Möglicherweise spielt es hierbei auch eine Rolle, dass viele der von uns angesto-

„Schwarz-Weiß“, den Stempelkissen der Vorurteile, hin zu der Erkenntnis, dass die Wahr-

ßenen Themen mittlerweile zu trägerübergrei-

heit nicht auf der einen oder der anderen Seite liegt, eher dazwischen. HELIOS ist keine Sekte. Auch die anderen – Verbände, Fachgesellschaften, Kassen, Parteien, Gewerkschaften – sind keine Sekten. Es ist

fend anerkannten „Trends“ geworden sind.

6.2.2 Sind die anderen eine Sekte?

Für die Zukunft wichtig ist es, auch die neuen

begonnen. Wir wollen weg vom alten Muster

nicht fair, all diejenigen, die einen anderen Bleibt am Ende eine einzige Erkenntnis: Eine

kommt. In der Regel benutzt man diesen Be-

Standpunkt vertreten, im Raster Gut und Böse zu stigmatisieren, in die „Sektenrolle“ zu stellen. Es geht gerade heute darum, den Dialog da-

griff gern für die anderen. Für die anders Denkenden. Die uns Angst machen. Die mit ihren Ideen und mit ihrem Handeln über die Zeit er-

rüber zu suchen, was im Gesundheitswesen den Patienten nutzt, und wie wir das unter schwierigen Rahmenbedingungen erreichen

folgreich sind, andere zunehmend für sich und

können. Das bedeutet mehr, als fünf Zeilen zu

ihre Ideen gewinnen. Was der Mehrheit nicht

unterschreiben, mit denen man die Zugehörig-

mehr ganz geheuer ist. Sekte ist dann, wer Un-

keit zu einer Sekte verneint. Es bedeutet sehr

geheuerliches denkt, sagt und sogar tut! In der Tat ist HELIOS insoweit eine „Sekte“. Aber auch Parteien oder Gewerkschaften sind

viel mehr, als reflexhaft Schubladen zu ziehen. Es gehört schließlich mehr dazu, als die vor-

dann „Sekten“; eigentlich ist das dann wohl jeder, der für etwas steht, was ihn von anderen

instrumentalisieren. Es braucht viel Mut, eine große Portion Augenmaß, die ehrliche Bereit-

unterscheidet, und seine Ideen offensiv lebt,

schaft zum offenen Dialog, zum Austausch von

um damit perspektivisch was zu verändern. In Wahrheit ging es also nie – auch bei der hier aufgeworfenen Frage – um den Begriff der „Sekte“, sondern um den pejorativen Stempel

Argumenten, auch wenn man sie nicht teilt

dieses Begriffs. Um das Stigma, welches mit

verteufeln. Den Versuch, am Ende doch mit Ar-

diesem Stempel verbunden wird.

gumenten zu überzeugen.

Sekte ist man nicht. Zu einer Sekte wird man. Indem man diesen Stempel aufgedrückt be-

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handenen Ängste und Sorgen der Menschen zu

oder gar nicht mehr anhören will. Wir nennen diese Haltung den Gesunden Dialog, ein Konzept, um zu verstehen und zu erklären, anstatt zu


6.2

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Der Versuch einer Erkl채rung

Francesco De Meo Vorsitzender der Gesch채ftsf체hrung (CEO) der HELIOS Kliniken GmbH und Mitglied des Vorstands der Fresenius Management SE.

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