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Bei HELIOS gehen Kaufleute auch in OP’s, um ihren Betrieb zu steuern André Trumpp
Mit diesem Kapitel möchte ich Sie einladen, an einem praktischen Beispiel mitzuerleben, welche Möglichkeiten ich als Klinikgeschäftsführer (KGF) habe, Prozesse in der Klinik zu etablieren oder zu verändern. Entsprechend erwartet Sie hier keine Abhandlung allgemeiner wirtschaftswissenschaftlicher Theorien – das haben bereits namenhafte Autoren sehr detailliert und mit jeweils eigenen Schwerpunkten getan. Der Klinikalltag bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich, die sich zuweilen zu echten Problemen entwickeln können. Mal sind diese größer, mal kleiner und wirken sich dabei unterschiedlich stark auf den Klinikalltag und die Prozesse aus.
jeweils eigenen Struktur existieren. Hierbei gibt es aber auch Schnittmengen. Im Klinikbereich ist gerade dieses Ineinandergreifen von Systemen spannend und gleichermaßen problemanfällig, da es systemübergreifender Prozesse bedarf. An dieser Stelle zeigt sich, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit keine leere Worthülse bleiben kann, um eine funktionierende Gesamtorganisation zu gestalten. Die bestehenden Organisationsstrukturen (z.B. in Form von Rollen- und Kommunikationsstrukturen) haben Einfluss auf das Handeln ihrer Mitglieder, indem sie Handlungsspielräume abgrenzen und aufzeigen. Diese sind wichtig,
8.1
Das Krankenhaus als System
um für bestimmte Situationen auch entspre-
Krankenhäuser sind stark strukturierte Syste-
chende regelgeleitete Handlungsmuster abbilden zu können. Wie bereits angedeutet, ist es in großen Or-
me mit hochkomplexen sozialen Gebilden.
ganisationen unerlässlich, dass die unter-
Grafisch ließe sich dies wie in Abbildung 1 veranschaulichen.
schiedlichen Systeme zusammenarbeiten. Damit dies möglichst reibungslos gelingt, ist es
Die Abbildung verdeutlicht, dass im Gesamt-
notwendig, dass die einzelnen Bereiche ein
system „Krankenhaus“ Subsysteme mit einer
Wissen über die Vorgänge in den jeweils ande-
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Bei HELIOS gehen Kaufleute auch in OP’s, um ihren Betrieb zu steuern
Krankenhaus als Gesamtsystem
Subsystem 1 Kommunikationsbrücken
Kommunikationsbrücken
OP Subsystem 3
Subsystem 2
Kommunikationsbrücken
Abb. 1
Das System Krankenhaus
ren Systemen haben. Dieses Wissen muss keinesfalls so umfänglich sein, dass immer jedem alle Vorgänge bekannt sind. Es reicht aus, ein Verständnis für den anderen zu entwickeln und damit die Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen. Es bedarf also „kommunikativer Brücken“ zwischen den einzelnen Systemen. Henry Ford formulierte diesbezüglich treffend: „Das Geheimnis des Erfolgs ist es, den Standpunkt des Anderen zu verstehen.“
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Selbst Ford, der auf Grundlage der von Taylor durchgeführten Analyse daran interessiert war, Arbeitsprozesse zu optimieren (z.B. Einführung der Fließbandarbeit), sah es als notwendig an, sich der Perspektive des anderen anzunehmen. Damit dies gelingen kann, muss man mit seinem Gegenüber in Kontakt treten und hier heißt das Schlüsselwort: Kommunikation. Sie ist zentrales Element jeder Organisation, ohne die ein reibungsloser Ablauf nicht möglich ist. Gleichzeitig ist Kommunikation nicht gleich Kommunikation, was sich im weiteren Beispiel noch zeigen wird.
8.2
8
Der OP-Beginn – ein Problem aus dem Krankenhausalltag
Die Bedeutung von Kommunikation auf die
stark das Problem Einfluss auf das gesamte Sys-
Effektivität und Effizienz eines Unternehmens
tem oder einzelne Subsysteme hat. Danach
ist nicht zu unterschätzen. Als KGF liegt die He-
richten sich auch die einzuleitenden Maßnah-
rausforderung darin, das „Gesamtsystem“
men. Das heißt, auch zu entscheiden, ob ich
Krankenhaus (sog. Makroebene) als Ganzes im
als KGF direkt in das Geschehen eingreife (wenn
Blick zu haben, um das Haus im Spannungsfeld
sich ein Mitarbeiter mit einem Problem persön-
zwischen gesellschaftlichem Auftrag, huma-
lich an mich wendet, stellt sich diese Frage ver-
nistischer Verantwortung und Wirtschaftlich-
ständlicherweise nicht) oder ob ich es zunächst
keit verantwortungsbewusst zu führen. Gleich-
an die Führungskräfte des jeweiligen Bereiches
zeitig bedarf es für bestimmte Entscheidungen
abgebe. Meine Rolle als KGF verlangt es, ein-
auch Kenntnisse von Prozessen in den einzel-
schätzen zu können, wann eine Führungskraft
nen Subsystemen oder zwischen diesen (sog. Mikroebene). Die hier getroffenen Entschei-
selbst einen Prozess verändern und so das Problem lösen kann und wann nicht. Entspre-
dungen wirken sich letztlich wieder auf die Ma-
chend muss ich ihr dann auch das Vertrauen
kroebene aus.
entgegenbringen und einen Handlungsspielraum gewähren. Im genannten Beispiel jedoch war das Vor-
8.2
Der OP-Beginn – ein Problem aus dem Krankenhausalltag
gehen nicht ganz einfach, da sehr viele Akteure – unter ihnen auch Führungskräfte – in diesen Prozess involviert sind. Um ein möglichst objek-
In der HELIOS Klinik Blankenhain gibt es verbindliche Rahmenbedingungen für den OP in
tives Bild zu erhalten, gehe ich selbst vor Ort.
Form eines Statuts. Alle Strukturen und Prozes-
mag es bequemer und vermeintlich einfacher
se sind darauf ausgelegt, dass grundsätzlich um
sein, vom „grünen Tisch“ aus zu entscheiden.
8.00 Uhr die ersten Schnitte in allen Sälen erfolgen. Entsprechend ging ich davon aus, dass
Wenn ich dies beim vorliegenden Problem getan
die bestehenden Regelungen beachtet werden –
te Situation und deren Rahmenbedingungen.
soweit zur Theorie. In der Praxis zeigte sich je-
So betonte etwa die Kulturhistorikerin und Lei-
doch eine andere Situation. In einigen Sälen
terin des Berliner Max-Planck-Instituts in einem
beginnt der reguläre OP-Betrieb immer wieder
Interview der Zeitschrift Psychologie heute (41. Jhg. Heft 4), dass der Kontext essenziell ist, um Handeln zu verstehen, und fordert nachgerade die Disziplinen auf, die sich mit dem Menschen als soziales Wesen und seinem Handeln beschäftigen: „Macht euer Bild komplexer!“
weit nach 8.00 Uhr. In der Folge verschiebt sich das gesamte geplante OP-Programm. Als KGF erlange ich auf unterschiedliche Weise Kenntnis von Problemen und Schwierigkeiten im Haus. Mal sind es Gespräche, in denen eine bestimmte Thematik zufällig zur
Sicherlich kostet es etwas Zeit und zuweilen
hätte, dann jedoch ohne Wissen um die konkre-
Aus meinen Beobachtungen direkt vor Ort
Sprache kommt. Dann sind es unterschiedliche
und einigen Gesprächen zu diesem Thema
Reports des Controllings, die mich auf Probleme bei Prozessabläufen aufmerksam machen. Oder Mitarbeiter suchen das direkte Gespräch
konnte ich die Auswirkungen, die das Problem
mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten oder mit mir. Egal, wie ich die Information erhalte, meine Aufgabe als KGF ist es, Probleme umfassend zu analysieren und einzuschätzen, ob und wie
„OP-Schnittzeiten werden nicht eingehalten“ auf die Klinik hatte, herausarbeiten. Hier ein kleiner Auszug: 1. Verschobene OP-Programme führen zu Überstunden beim Personal. 2. Überstunden verursachen Arbeitsunzufriedenheit und Demotivation.
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Bei HELIOS gehen Kaufleute auch in OP’s, um ihren Betrieb zu steuern
3. Die Behandlungsqualität durch längere Narkosen wird schlechter.
arbeiten müssen, ist dies kaum realisierbar. Da jede Unregelmäßigkeit in diesem Bereich zum
4. Die Zufriedenheit der Patienten durch gege-
Teil erhebliche medizinische und ökonomische
benenfalls verschobene Operationen sinkt. 5. Verschobene Operationen verlängern die
Auswirkungen auf die Gesamtorganisation
Verweildauer des Patienten in der Klinik.
hat, wäre ein solches Vorgehen nicht verantwortbar und schied entsprechend aus.
Wie sich zeigt, wirken Veränderungen im OPPlan in unterschiedlichste Bereiche der Klinik
Alles hört auf mein Kommando …
hinein. Entsprechend ist hier eine Prozessanpassung beziehungsweise ein Nachhalten bereits
Ein anderer Weg wäre, das Problem im Rahmen
etablierter Regelungen zwingend notwendig.
meiner mir übertragenen Gesamtverantwortung und damit verbundenen Weisungsbefugnis zu lösen. Denkbar wären hier Anweisun-
8.2.1 Problem erkannt – und nun?
gen, dass die Schnittzeiten im OP ausnahmslos einzuhalten sind, beim KGF täglich ein ent-
Bekanntlich führen viele Wege nach Rom oder
sprechendes Protokoll abzugeben ist und Zuwi-
zur Lösung des Problems, so auch in diesem Fall. An dieser Stelle möchte ich drei verschie-
derhandlungen Sanktionen zur Folge haben. Ein solcher Führungsstil folgt einer straffen
dene Strategien besprechen und aufzeigen,
Hierarchie (Top-Down) mit zweifelsfreier Kom-
welche sich aus meiner Sicht am besten eignet.
petenzverteilung. Die Beteiligten am OP-Prozess erhielten eine schnelle und nicht diskutierbare Anweisung. Das Ziel als solches wäre er-
Abwarten …
reicht.
Sicherlich die bequemste Lösung wäre, die
innere, dass ich als KGF sowohl Makro- als auch
Dinge einfach weiter laufen zu lassen und da-
Mikroperspektive im Blick behalten wollte,
rauf zu hoffen, dass die Selbstregulierungspro-
stellt sich die Frage: Was erreiche ich mit dieser
zesse des Systems das Problem schon irgendoder besser Nicht-Führens mag für einen Teil der Mitarbeiter durchaus positiv sein. Sie kön-
Art von Führung und wo bleiben dabei die Beteiligten? Letztlich überlasse ich die Regulierung des Prozesses wieder den Mitarbeitern vor Ort, in-
nen frei agieren und haben wenig oder keine
dem ich diesmal jedoch den „Druck“ erhöhe.
Einflussnahme durch übergeordnete Hierarchien zu erwarten. Andere Mitarbeiter, und zwar diejenigen, denen durch spätere Schnitt-
Ich hoffe, dass durch das Androhen von Sanktionen die „Selbstheilung“ eintritt. Es mag im Klinikalltag Situationen geben,
zeiten Nachteile (zum Beispiel Überstunden)
die ein solches autoritäres Vorgehen rechtferti-
erwachsen, werden über diese Art der Lösung nicht erfreut sein.
gen und eine sinnvolle Strategie darstellen. In
Doch spätestens, wenn ich mich daran er-
wann lösen werden. Diese Form des Führens
der überwiegenden Zahl der Fälle, so die hier
Wie bereits erwähnt, können in sich ge-
vertretende These, ist ein solches Vorgehen, für
schlossene Systeme sich durchaus selbst hei-
die Arbeitswelt im Allgemeinen und das Kran-
len. In einem komplexen System wie dem OP, mit seinen unterschiedlichen und zum Teil hie-
kenhaus im Speziellen, nicht mehr zeitgemäß. Beide Strategien lassen eines vermissen: die
rarchisch voneinander unabhängig agierenden
Kommunikation, verstanden als dialogischer
Mitarbeitern, die Hand in Hand zusammen-
Interaktionsprozess.
54
8.2
8
Der OP-Beginn – ein Problem aus dem Krankenhausalltag
Gesunder Dialog oder Führen in der heutigen Zeit …
deutung gewinnen. Mittlerweile sind Schulz von Thuns (1981) „Vier-Seiten-Modell“ einer Nachricht oder Watzlawicks (2011) Kommuni-
Gesamtgesellschaftliche Veränderungen wirken
kationsaxiome fast jeder Führungskraft ein Be-
auch auf unternehmerische Strukturen. Ent-
griff. Das Problem hierbei ist, dass ein Wissen
sprechend sind die Führungs- und damit einher-
darüber längst nicht ausreicht, um in der Pra-
gehend Kommunikationskultur an die sich
xis und gerade in problematischen Situationen
wandelnden Bedingungen anzupassen. Okun
auch adäquat zu handeln. Der Verhaltensfor-
und Hoppe sprechen in diesem Zusammenhang
scher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz hat
von zwei Welten: Die Welt 1 ist vor allem geprägt
hierzu treffend zusammengefasst:
von Strukturen, klaren, nacheinander stattfindenden Abläufen und Rollenzuschreibungen. Die heutige Arbeitswelt, die Welt 2, zeichnet
„Gesagt heißt nicht immer gesagt, gesagt heißt nicht immer gehört, gehört heißt nicht immer verstanden, ver-
sich durch eine hohe Innovationsdichte aus, die
standen heißt nicht immer einverstanden, einverstanden
ein hohes Maß an Flexibilität verlangt und immer wieder komplexe Situationen schafft, die
heißt nicht immer angewendet, angewendet heißt nicht immer beibehalten.“
einem zunehmenden Abstimmungs- und Anpassungsbedarf bedürfen. Diese Beschleunigung der Prozesse führt dazu, dass Aufgaben
Entsprechend bin ich als Führungskraft aufgefordert, auf diese neue Welt mit ihren spezifi-
immer mehr auch parallel statt nacheinander
schen Herausforderungen zu reagieren und mir
und in immer engeren Zeitfenstern erfolgen
entsprechende Kommunikationswerkzeuge an-
(vgl. Okun u. Hoppe 2014: 6ff.). In der Folge ver-
zueignen, die mich situationsadäquat handeln
ändern sich auch die Handlungssituationen der
lassen.
Menschen. Während es in der Welt 1 klare Abgrenzungen und damit einhergehend auch klare Regeln gab, die für eine bestimmte Situation
Was bedeutet diese Erkenntnis nun für das Praxisbeispiel oder anders gefragt, wie könnte
Gültigkeit besaßen, werden die Handlungskon-
einmal muss ich mir als Führungskraft über die drei nachfolgenden Aspekte bewusst sein:
texte in der Welt 2 immer komplexer und die bis-
eine entsprechende Strategie aussehen? Zunächst
her gekannte eindeutige Reglementierung ist in diesem Maß nicht mehr überall gegeben. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es gerade in Organisationen, wie es das Krankenhaus eine ist, nach wie vor bestimmte Situationen (zum Beispiel Notfälle) und mit diesen einhergehende Regeln gibt, die nach wie vor Gültigkeit besitzen und die auch nicht zur Diskussion stehen. In vielen Bereichen jedoch wird die Bedeutung, die aufgrund dieser Veränderungen
kkk
Erstens: Wir müssen wesentlich mehr und effiziErste enter miteinander kommunizieren als vorher. Zweitens: Was nicht kommuniziert wird, wird nicht bearbeitet, was schlecht oder falsch kommuniziert wurde, wird auch schlecht oder falsch bearbeitet. Was überkommuniziert wird, bekommt viel zu viel Energie.
der internen Kommunikation in einem Unternehmen zukommt, oftmals noch unterschätzt. Doch gerade in einer Welt, in der Prozesse einem ständigen Wandel unterliegen, ist die Kommunikation ein zentrales Führungselement. Entsprechend wundert es nicht, dass Kommunikationstrainings immer mehr an Be-
Drittens: Das Wichtigste, was wir heute kommunizieren, lässt sich weder anweisen noch einfach durch Information lösen. Es geht um effiziente Überzeugungsarbeit in komplexen Situationen. (vgl. Okun u. Hoppe 2014: 32ff.)
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Bei HELIOS gehen Kaufleute auch in OP’s, um ihren Betrieb zu steuern
Diese geforderte kooperative Art der Führung
nochmals vor Augen führen, dass unsere Hand-
setzt ein hohes Maß an sozialer Kompetenz bei
lungskontexte heute nicht mehr so klar defi-
der Führungskraft voraus. In dem dargestellten
niert und durch feste Regeln strukturiert sind,
Fall bin ich so vorgegangen, dass ich mit den
so sind wir heutzutage immer intensiver gefor-
am Prozess involvierten Personen gesprochen
dert, Situationen richtig und schnell einzu-
habe. Im ersten Schritt geht es hierbei darum,
schätzen. Entsprechend stehen „Menschen, die
die Informationen und die jeweils subjektiven
sich gerade in einer Situation befinden, […] vor
Sichtweisen der Beteiligten zu erfahren. Dies
der Frage: Was geht hier eigentlich vor?“ (Goff-
gelingt jedoch nur, wenn ich ihnen einerseits
mann 1977: 16). Selbst wenn dies banal klingt
wertschätzend und interessiert begegne und
und wir zumeist das Gefühl haben, immer recht
zum anderen in der Lage bin, ihren Ausführun-
genau darüber im Bilde zu sein, was gerade pas-
gen aktiv zu folgen – denn genau in diesem Moment gilt: Reden ist Silber, aktiv Zuhören ist
siert, so erlange ich erst durch das Beobachten in situ zu einem Wissen darüber, wie Menschen
Gold.
in diesen Situationen handeln. Ich schotte mich
Gleichzeitig bedeutet ein kooperativer Füh-
also nicht in meinem Büro ab, sondern beginne
rungsstil keineswegs, dass es grundsätzlich nur
damit, die Organisation „Krankenhaus“, durch
demokratische Entscheidungsfindungen gibt.
aktive Partizipation zu leiten, neudeutsch: Ma-
Auch hier existieren klare Hierarchien und
nagement by walking around.
Weisungsbefugnisse, die Mitarbeiter werden
Das Vorortgehen und Erleben der Situation
jedoch aktiv in den Problemlösungsprozess ein-
hilft mir, den Sachverhalt in seiner Gänze zu
gebunden. Die Kommunikation über ein auf-
erfassen und entsprechend zu bewerten. Füh-
tretendes Problem führt nämlich häufig dazu,
rungskräfte benötigen eine gute Beobachtungs-
dass dieses besser greifbar wird. Mögliche Stell-
gabe für die Banalitäten des Alltags, insbesondere des beruflichen, denn
schrauben zur Verbesserung können dialogisch erkundet werden und damit die Bereitschaft der Beteiligten steigern, problematische Strukturen tatsächlich zu beseitigen. Doch das Problem ist an dieser Stelle noch längst nicht gelöst. Es ergibt sich aus den Ausführungen meist ein immer wieder auftretendes Phänomen, sozusagen des Pudels Kern. Ich könnte mir nun aus den gesammelten Informa-
„was sich unter Menschen abspielt, ist zum größten Teil banal […]. Aber das Banale, das 90% dessen ausmacht, was im Leben des Menschen der Fall ist, darf, so uninteressant es ist, nicht vergessen werden. Es gehört zum Gesamtbild. Wird es vergessen oder vernachlässigt, weil es nicht interessant ist, dann ist das Gesamtbild schief, d.h. falsch.“ (Bahrdt 1996: 11)
tionen, die ich durch die Mitarbeiter mit ihrer je eigenen Sichtweise erhalten habe, meine
Auf diese Weise durchdringe ich das Problem-
persönliche Definition der Situation gestalten.
feld wirklich und schaffe mir so meine Argu-
Auf dieser Grundlage könnte ich anschließend
mentationsgrundlage. Im Rahmen meiner Re-
eine Entscheidung darüber treffen, wie das Pro-
cherchen, Beobachtungen und Gespräche
blem zu lösen ist. Ist das aber wirklich gut und klug? Und worin würde sich dann dieser Füh-
konnte ich feststellen, dass das Problem nicht
rungsstil vom zuvor genannten unterscheiden? Mir fehlt das Erleben der Situation sui gene-
Die Anästhesisten nahmen regelmäßig erst 10 bis 20 Minuten nach Dienstbeginn ihre Tätig-
ris. Letztlich ist auch hier, wie weiter oben schon angedeutet, der Kontext, in dem Handeln
keit im OP auf. In der Narkoseeinleitung verloren wir dadurch bereits wertvolle Zeit. Die
stattfindet, kein optionales Extra, sondern be-
Operateure schätzten notwendige Lagerungs-
stimmt das Handeln der Akteure. Wenn wir uns
zeiten für Patienten häufig falsch, das heißt
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technischer, sondern menschlicher Natur war.
8.2
8
Der OP-Beginn – ein Problem aus dem Krankenhausalltag
kürzer ein, als diese tatsächlich waren. Darü-
sunde“ Fehlerkultur zu betreiben. Hierbei geht
ber hinaus erledigten die Operateure zu Dienst-
es nicht darum, die Fehler der Anderen zu su-
beginn vorrangig andere Aufgaben in der Klinik (zum Beispiel Durchführung von Visiten, Be-
chen, um sie dann an den Pranger zu stellen. Fehler können auftreten, niemand ist frei da-
sprechungen). Diese Handlungen führten
von. Der Umgang mit diesen ist entscheidend,
ebenfalls zu teilweise erheblichen Zeitverzöge-
denn sie bieten auch das Potenzial, dass wir aus
rungen beim OP-Beginn.
ihnen neue Erkenntnisse schöpfen. Aus einer
Beide Gruppen teilten sich damit eine ge-
vermeintlichen Schwäche erwächst so eine
meinsame Grundproblematik. Sie hatten einen
Führungsstärke. Entsprechend dürfen wir uns
pünktlichen OP-Beginn nicht im primären Fo-
nicht scheuen, wenn wir einmal einen Weg
kus und damit eine andere Priorisierung, als es
eingeschlagen haben und dann erkennen, dass
die Organisationsstrukturen vorsehen. Dies war der Punkt, wo ich als Führungskraft an-
dieser nicht der richtige ist, diesen aufgrund unseres nunmehr neuen Wissenstandes zu
setzte und zwar, die Beteiligten über die Anfor-
hinterfragen und entsprechend anzupassen.
derungen der Organisation aufzuklären. Erst
Führungskräfte müssen also bereit sein, sich
wenn ich ein Wissen über die bestehenden Strukturen voraussetzen kann, kann ich als
selbst ehrlich und kritisch zu reflektieren. Im Praxisbeispiel zeigte sich exemplarisch,
KGF auch ein adäquates Handeln einfordern.
dass sowohl Anästhesisten als auch Operateure
Im geschilderten Fall war es in der Tat so,
ihr Verschulden am verspäteten OP-Beginn oft
dass nicht allen Beteiligten bewusst war, dass
nur unzureichend reflektierten – mal waren die
es einen verbindlichen ersten Schnitt um
einen unpünktlich, mal die anderen und mal
8.00 Uhr gibt. Bereits hier wurde deutlich, wie wichtig es ist, klare Prozesse zu etablieren und
beide gleichzeitig. Dies war ein Grund dafür,
diese dann auch entsprechend zu kommunizie-
wirklichen Problem heranwachsen konnte, so-
ren. In diesem Fall hätte es nicht gereicht, ein-
dass viele Führungskräfte inklusive ich als KGF
fach nochmal das OP-Statut zu verteilen und
darin involviert waren. Gleichermaßen war es
dann davon auszugehen, dass sich die Beteilig-
wichtig, den Beteiligten zu verdeutlichen, dass
ten dieses nochmals durchsehen und dann ent-
es nicht um die Schuldfrage geht, sondern da-
sprechend handeln. Die Konsequenzen, die ein
rum, Lösungsansätze zur Behebung des gesam-
Nicht-Befolgen mit sich bringt, waren ihnen in
ten Problems herauszuarbeiten. An dieser Stelle sei jedoch auch vermerkt, dass Fehlerkultur
der Form nicht bewusst.
warum dieses Thema letztendlich zu einem
nicht zu verwechseln ist mit „Alles ist möglich“, denn gerade im Klinikalltag gibt es be-
8.2.2 Fehlerkultur als Führungsstärke
stimmte Abläufe, die keine Fehler dulden. Die hier angesprochene Fehlerkultur bezieht sich
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs zur Fehlerkultur in Unternehmen gestattet. Ein ver-
vielmehr auf die Handlungsebene des Prozessmanagements.
altetes, aber oftmals noch verbreitetes Rollen-
Zurück zum Praxisbeispiel: Nachdem die
bild von Führungskräften zeigt sich im Um-
Gründe für das Problem benannt waren, fand eine Anpassung der Prozesse in den Organisationsstrukturen der beiden Gruppen statt. Die
gang mit Fehlern. Vielen Führungskräften und auch Mitarbeitern fällt es immer noch schwer, sich Fehler einzugestehen und sie zu akzeptieren, da sie diese häufig als persönliche Schwä-
Kommunikation und Etablierung dieser Veränderungen wurde den Führungskräften der je-
che ansehen – und wer ist schon gern schwach?
weiligen Bereiche anvertraut. Als KGF ist es
Heutzutage heißt führen aber auch, eine „ge-
wichtig, die Führungskräfte in die Entschei-
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Bei HELIOS gehen Kaufleute auch in OP’s, um ihren Betrieb zu steuern
dungs- und Veränderungsprozesse mit einzu-
zessen bleibt es nicht aus, dass es immer mal
binden und ihnen entsprechende Handlungs-
wieder bei dem ein oder anderen hakt. Die
kompetenzen zu geben. Auf diese Weise wer-
Gründe können hierbei verschiedenartig sein.
den sie befähigt, ihre Bereiche selbst zu verwal-
Dass dies passiert, ist kein Anlass zur Sorge,
ten. Im Umkehrschluss sind sie dann natürlich
birgt es doch auch die Chance, Optimierungs-
als Verantwortliche vor Ort dazu verpflichtet,
potenziale zu erkennen oder die vorhandenen
notwendige Änderungen entsprechend zu kom-
Strukturen an sich verändernde Rahmenbedin-
munizieren und zu realisieren. Gerade deshalb
gungen anzupassen. Würde dies ausbleiben, so
ist es wichtig, Veränderungen in Strukturen
könnte sich eine Organisation auch nicht wei-
und Prozessen im kommunikativen Austausch
ter entwickeln. Wichtig ist jedoch, dass ich in
zu generieren. Erst wenn ich dies als KGF aktiv
meiner Funktion als KGF diese Probleme erken-
vorlebe, kann ich es auch von meinen Führungskräften und diese wiederum von ihren
ne und mein sich anschließendes Handeln lösungsorientiert ist. Dazu gehört auch zu erken-
Mitarbeitern erwarten.
nen, welche Person oder welcher Personenkreis
Im geschilderten Fall konnte durch einfache Änderungen im Zeitmanagement der jeweili-
hierfür in Frage kommt. Wie anhand des Beispiels dargestellt, nimmt die Kommunikation
gen Organisationsbereiche ein pünktlicher Be-
einen hohen Stellenwert ein und ist ein wesent-
ginn im OP erreicht werden. Die Chefärzte der beteiligten Bereiche haben ihre Strukturen an-
licher Schlüssel zum unternehmerischen Er-
gepasst. Die eingeteilten Anästhesisten für den
Hierzu zählt auch, unterschiedliche Perspekti-
OP begannen ihren Dienst nunmehr direkt im
ven wahrzunehmen und den Handlungskon-
OP. In den operativen Einheiten wurden zum
text zu beachten. Um letztgenannten zu ge-
einen die Lagerungszeiten neu definiert. Zum
währleisten, ist es notwendig, den Schreibtisch
anderen passten sie die Visiten- und Teambe-
zu verlassen und sich ein Bild vor Ort zu ma-
sprechungszeiten an und fixierten diese zeitlich so, dass die eingeteilten Operateure nun-
chen. Führen bedeutet heutzutage nicht mehr nur Entscheidungen zu treffen und diese dann
mehr ebenfalls rechtzeitig im OP sein konnten.
anzuweisen, sondern Veränderungsprozesse zu
So einfach die Lösung des Problems am Ende
moderieren und die Beteiligten aktiv in diese
der Analyse scheint, so umfangreich war der
mit einzubeziehen. Nicht zuletzt drücke ich da-
Weg, der bis dahin zu gehen war. Maßgeblich
mit meine Wertschätzung aus, schaffe die Basis für eine gute Zusammenarbeit, was nicht zu-
hierbei war es, die Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie standen und dahin mitzunehmen, wo
folg. Es gilt, die Mitarbeiter aktiv zu führen.
letzt auch den Patienten zugutekommt.
sie stehen sollten. Dies gelang im kommunikativen Austausch über die Problemlage vor Ort und Transparenz über getroffene Entscheidun-
Literatur
gen der Organisation.
8.3
Fazit
In großen Organisationen, wie es das Krankenhaus eine ist, gibt es zahlreiche Handlungsabläufe, die automatisch und ohne Probleme vonstattengehen. Wäre dies nicht so, würde das System nicht überleben. Bei der Vielzahl an Pro-
58
Bahrdt HP (1996) Grundformen sozialer Situationen. Eine kleine Grammatik des Alltagslebens. Beck Verlag, München Goffman E (1977) Rahmen-Analyse. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Okun B, Hoppe J (2014) Professionelle Führung in Welt 2. Von Führungsfrust zu Führungslust. Springer, Wiesbaden Schulz von Thun F (1981) Miteinander reden: Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Rowohlt, Reinbek Watzlawick P, Beavin JH, Jackson DD (2011) Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Huber, Bern
8.3
8
Fazit
André Trumpp Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten. Studium in den nichttechnischen gehobenen Verwaltungsdienst. Studium der Wirtschaftswissenschaften in Hamburg. 1993–2009 Tätigkeit bei einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. 2009 Assistent der Geschäftsführung in der HELIOS Klinik Schwelm. 2011 Klinikgeschäftsführer HELIOS Klinik Leisnig. 2012 Klinikgeschäftsführer HELIOS Klinik Blankenhain. 2014 Klinikgeschäftsführer HELIOS Klinikum Aue.
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