9783939069089_leseprobe

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1.

Einleitung

Die Nutzung moderner Informationstechnologien in der Medizin wurde – ob bewusst genutzt oder unmerklich eingesetzt – in den letzten Jahren zur scheinbaren Selbstverständlichkeit und ist aus dem klinischen und wissenschaftlichen Alltag nicht mehr wegzudenken. Die „modernen Informationstechnologien“ haben die Medizin aber keineswegs erst jetzt „im Sturm erobert“. Der Literaturdienst PubMed1 der National Library of Medicine2 lässt recherchieren, dass sich bereits in mehr als 1000 Titeln und Abstracts biomedizinischer Publikationen des Jahres 1968 das Wort „computer“ findet, sogar das Wort „multimedia“ kann bereits in einer Arbeit von 1968 gefunden werden. 1991 ist die erste Veröffentlichung erfasst, die das Wort „Internet“ in dieses medizinische Publikationsverzeichnis einführt3. Nicht zuletzt ist „PubMed“ selbst eine computergestützte Datenbank mit Zugriffsoption über das Internet. Obwohl – resultierend aus deren zunehmenden Bedeutung – immer wieder gefordert wird, den Umgang mit den Methoden der Informationstechnologie zu professionalisieren und ihre Nutzung zum integralen Bestandteil der medizinischen Aus- und Weiterbildung zu machen4, geschieht dies dennoch nur in Ansätzen. So unterscheidet sich die Realität der Nutzung elektronischer Medien in der Medizin von den gebotenen technischen Möglichkeiten ebenso deutlich wie von den euphorischen Einschätzungen, die – getragen von beeindruckenden technologischen Entwicklungen in diesem Bereich – schon vor Jahren den uneingeschränkten „Aufbruch ins Netz“5 prognostizierten. Die Hoffnung, in kürzester Zeit werde die medizinische Welt ihr gesamtes Wissen um Patienten und Krankheiten logisch vernetzen und dieses an jedem Platz der Erde zu jeder beliebigen Fragestellung zur Verfügung stellen um daraus wiederum neues, unerschöpfliches Wissen zu generieren, konnte so auch bis heute nicht erfüllt werden.

1.1. Historie Eine der wohl ersten geschichtlich belegten „telemedizinischen Behandlungen“ wurde bereits im Jahr 1666 durchgeführt. Ein Arzt behandelte einen Pest-Patienten, indem er Behandlungsanweisungen über einen Fluss, der zwischen beiden lag rief, um so sein eigenes Erkrankungsrisiko zu minimieren6. Freilich kamen hier noch keine aus heutiger Sicht „modernen“ Informationstechnologien zum Einsatz. Doch auch die elektronisch gestützte Fernübertragung medizinischer Informationen hat in Deutschland lange Tradition, so zum Beispiel im Bereich der Hochseeschifffahrt. Nach Inbetriebnahme der ersten Seefunkverbindung im Jahr 1899 wird bereits seit 1931 eine kontinuierliche funkärzt-

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1. Einleitung

liche Beratung für die auf hoher See befindlichen Mannschaften und Passagiere von Cuxhaven aus angeboten7. Auch die erweiterte Nutzung der elektronischen Kommunikation im Dienste der Medizin ist kein Kind der digitalen Revolution. So wurde beispielsweise bereits 1966 das „Telefon-EKG“ in Form einer analogen Signalübertragung über konventionelle Telefonleitungen beschrieben8. Heute umfasst der Einsatz moderner Informationstechnologien in der Medizin viel mehr als den bloßen Austausch von behandlungsrelevanten Daten zwischen räumlich getrenntem Arzt und Patient. Die daraus resultierende Funktionen- und Methodenvielfalt hat aber auch zu einem Wirrwarr unterschiedlicher Bezeichnungen für diese Sachverhalte geführt.

1.2. Begriffsdefinitionen Begriffe von Telekonsultation bis Cyber-Medicine werden mit dem Einsatz moderner Informationstechnologien in der Medizin in Zusammenhang gebracht. Einheitliche und verbindliche Definitionen dieser Schlagworte existieren nicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)9 mit ihrem Department Essential Health Technologies (WHO.EHT)10 hat die aus ihrer Sicht wichtigsten Begriffe charakterisiert (siehe Tabelle 1): Gesundheitstelematik („health telematics“)

Gesundheitstelematik ist eine zusammengesetzte Bezeichnung für gesundheitsbezogene Tätigkeiten, Dienstleistungen und Systeme, die unter Zuhilfenahme von Informations- und Kommunikationstechniken über größere Distanz durchgeführt werden und den Zwecken der globalen Gesundheitsförderung, der Krankheitsbekämpfung und der Gesundheitspflege, sowie auch der Ausbildung, dem Management und der Forschung im Dienste der Gesundheit dienen.

Telemedizin („telemedicine“)

Telemedizin beschreibt das zur Verfügung Stellen von Diensten im Sinne der Gesundheitspflege, bei denen der räumliche Abstand ein kritischer Faktor ist. Diese Dienste werden dabei von Mitarbeitern des Gesundheitswesens genutzt bzw. erbracht, indem sie sich zum Informationsaustausch in Bezug auf Diagnostik, Behandlung, Krankheits- und Verletzungsprävention, zur Forschung und Auswertung oder auch zur Weiterbildung von Mitarbeitern des Gesundheitswesens – im Interesse Verbesserung der Gesundheit von Einzelpersonen und ihren Gemeinschaften – moderner Informations- und Kommunikationstechniken bedienen.

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1.3. Rahmenbedingungen

E-Health

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E-Health beschreibt die kombinierte Nutzung von elektronischen Kommunikations- und Informationstechnologien (Daten werden digital übertragen, elek-tronisch gespeichert und dargestellt) im klinischen Einsatz im Gesundheitswesen, zu Ausbildungs- oder administrativen Zwecken. Der Einsatz der genannten Technologien kann hierbei sowohl lokal wie auch auf Distanz erfolgen.

Definitionen der WHO zu Fachbegriffen der Informationstechnologie in der Medizin (modifiziert nach 11)

Auch der Begriff der „modernen Informationstechnologie“, mit der sich diese Arbeit beschäftigt, ist nicht definiert. Als „moderne Informationstechnologie“ können Verfahren vom Handy, das den Arzt beim Hausbesuch erreichbar macht, bis hin zu der von Hochleistungscomputern errechneten, dreidimensionalen Rekonstruktion anatomischer Strukturen mit angebundener intraoperativer Navigationshilfe verstanden werden. Die in Medizingeräten eingesetzten, hardwaregebundenen, elektronischen Verfahren sollen jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Unter dem Begriff „moderne Informationstechnologie in der Medizin“ sollen hier jene softwarebasierten Verfahren zusammengefasst werden, mit denen im medizinisch-wissenschaftlichen Umfeld Informationen gesucht, erfasst, bearbeitet oder übermittelt werden und deren produktiver Einsatz im Kontext E-Health erfolgt.

1.3. Rahmenbedingungen Bei jeglicher Arbeit im Bereich der Wissenschaft, insbesondere auch im Bereich der Informationstechnologie, ist es wichtig, existierende Lösungen und Standards vor Arbeitsbeginn sorgfältig zu studieren, um redundante, fehlerhafte Entwicklungen sowie die Produktion von „Insellösungen“ bereits vorab weitgehend zu vermeiden. So ist die Entwicklung „eigener Methoden“ im Bereich der Informationstechnologie in Bezug auf deren weitere Nutzbarkeit und Vernetzbarkeit in Unkenntnis vorhandener Standards kontraproduktiv. Technische und inhaltliche Standards werden in der Medizin wie in der Informatik mehrheitlich von nationalen und internationalen Organisationen geschaffen und publiziert. Die Kenntnis von Standards und Empfehlungen der nachfolgend aufgeführten Organisationen sind bei Arbeiten im Bereich der medizinischen Informationstechnologie daher – sowohl aus arbeitsökonomischen Gründen wie auch um die Interoperabilität der geschaffenen Lösungen zu gewährleisten – unverzichtbar. Wenn Lösungen für die Nutzung im Bereich des Internets erarbeitet werden, gibt es – unabhängig von medizinischen Belangen – ein übergeordnetes Gremium, dessen Normen und Empfehlungen beachtet werden

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sollten: das World Wide Web Consortium (W3C)12. Das W3C wurde im Oktober 1994 gegründet, um zu helfen, das Potenzial des Internets möglichst umfassend nutzbar zu machen und anhaltende „Web interoperability“ zu gewährleisten. Es hat weltweit über 350 Mitgliedsorganisationen und genießt durch die Veröffentlichung frei verfügbarer, nicht proprietärer Standards für Web-Sprachen und Protokolle internationale Anerkennung. Die Arbeiten des W3C werden vom MIT Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory (CSAIL)13 in den USA, der Keio University14 in Japan und vom European Research Consortium for Informatics and Mathematics (ERCIM)15 mit Sitz in Frankreich koordiniert. Während sich das W3C die Funktionalität des elektronischen Netzes zur Aufgabe gemacht hat, betreibt eine weitere Organisation „OASIS“ (Organization for the Advancement of Structured Information Standards)16 als internationale, gemeinnützige Organisation die Entwicklung, Zusammenführung und Verabschiedung von Konventionen für die technische Basis von Industriestandard-Software. Die International Organisation for Standardization (ISO)17 ist eine internationale Standardisierungsbehörde, die internationale – vor allem technische – Standards verbindlich festlegt und definiert. Sie nimmt Entwicklungen der o. g. Organisationen auf um sie aus offenen Standards zu Normen weiterzuentwickeln. Naturgemäß gibt es – ähnlich den medizinischen Fachgesellschaften – Überschneidungen zwischen den Empfehlungen beider vorgenannter Organisationen, solche Überschneidungen kamen aber bei keinem der im Folgenden angesprochenen Projekte zum Tragen. Da die Interpretation des frei formulierten Wortes (die sog. „Klartextrecherche“) durch EDV-Verfahren auch heute noch fehlerbehaftet bzw. unergiebig ist, ist die semantische Auszeichnung medizinischer Inhalte für die elektronische Bearbeitung medizinischer Daten von großer Bedeutung. Hierzu werden kontrollierte Vokabularien, d. h. Klassifikationen und Thesauri, benötigt, deren Pflege sehr aufwändig ist. Die Nutzung solcher Klassifikationen und Thesauri in der Medizin ist althergebracht, erste Bemühungen, Krankheiten aus statistischen Gründen systematisch zu erschließen sind bereits aus dem 18. Jahrhundert bekannt18. Heute haben sich im internationalen Feld besonders die WHO und die National Library of Medicine (NLM)2 große Verdienste um die Erstellung und Pflege zahlreicher international verwendeter Klassifikationen und Thesauri erworben. In Deutschland werden einige dieser primär in englischer Sprache verfügbaren, für die Informationstechnik in der Medizin besonders relevanten Vokabularien vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI)19 übersetzt und gepflegt.

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1.4. OpenSource

1.4. OpenSource Im Bereich der Softwareentwicklung ist eine Patentierung, zumindest in Deutschland, nicht möglich, wohl aber gelten weltweit die Regeln des Urheberschutzrechtes. Dies ist aber nur ein scheinbarer Schutz, da das Urheberschutzrecht die Idee einer Softwareapplikation selbst nicht schützen lässt. Nur wenn Teile eines geschützten Sourcecodes, d. h. Teile der Formulierungen in der jeweils eingesetzten Programmiersprache, „abgeschrieben“ wurden, können Urheberrechtsbrüche verfolgt werden. Um wenigstens solche Urheberrechtsbrüche zu vermeiden, die nur sehr schwer nachverfolgbar sind, wurden Programmcodes früher streng geheim gehalten und erst nach ihrer Übertragung in den für Menschen kaum lesbaren Maschinencode an die Benutzer weitergegeben. Aus dieser den wissenschaftlich akademischen Gepflogenheiten deutlich zuwiderlaufenden Geheimhaltungsstrategie resultierte die Schwierigkeit, Softwareprodukte unterschiedlicher Hersteller zueinander kompatibel zu machen oder sie durch andere als den Hersteller selbst weiterentwickeln zu können. Demgegenüber zeichnet sich sog. OpenSource-Software, deren Autoren sich u. a. in der OpenSource Initiative (OSI)20 und der Free Software Foundation Europe (FSFE) 21 zusammengeschlossen haben, dadurch aus, dass der Programmcode für jedermann einsehbar gemacht wird, was die Programmierung von Schnittstellen und Erweiterungen deutlich erleichtert und den akademischen Weiterentwicklungsprozess nachhaltig fördert. Die Definition von OpenSource Software schließt u. a. die nachfolgenden Bedingungen zwingend ein freie – und damit kostenlose – Weitergabe der Software ist zulässig freie Einsicht in den Sourcecode der Software ist zu gewähren n Modifikation der Software ist zulässig n n

Nicht jedoch dürfen Informationen zur Autorenschaft oder zum Versionsstand einer Software entfernt order verfälscht werden, ggf. vorgenommene Änderungen müssen nachvollziehbar sein. Der Gedanke der OpenSourceNutzung von Software kommt so dem klassischen Gedanken des uneingeschränkten Austausches von wissenschaftlichen Errungenschaften zur freien Weiterentwicklung in der forschenden Gemeinschaft nahe.

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Abb. 1 „mission statement“ der OpenSource Initiative (OSI)

Die Entwickler solcher OpenSource Software finanzieren sich nicht aus Lizenzgebühren für ihre Entwicklungen, sondern in der Regel über die Dienstleistung der Beratung und Konfektionierung eben dieser Software für individuelle Nutzer, die selbst nichts zur Weiterentwicklung der Software beitragen können und selbst kein eigenes Fachwissen in diesem Bereich haben. OpenSource Software hat sich durch die oben genannten Freiheiten rasant verbreitet. Zahlreiche OpenSource-Produkte sind nicht zuletzt durch den nahezu „darwinistischen“ Entwicklungsprozess in Form weltweiter sowohl geplanter als auch spontaner Entwicklerkooperation zu Standardanwendung geworden und wurden – wo möglich – in den nachgenannten Projekten eingesetzt.

1.5. Datenschutz Eine grundsätzlich andere Form des „Datenschutzes“ vor Missbrauch ist abseits der Entwicklerrechte beim Einsatz moderner Informationstechnologie in der Medizin besonders zu berücksichtigen. Immer dann, wenn patientenbezogene oder patientenbeziehbare Daten verarbeitet werden, muss der strenge Schutz dieser Daten gegenüber missbräuchlicher Nutzung bedacht werden. Während die Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht eine Selbstverständlichkeit ist, kann diese durch den unsachgemäßen Ge-

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1.6. Bedarf

brauch technischer Methoden leicht, vor allem von Arzt und Patient unbemerkt und damit unkalkulierbar, unterlaufen werden. Unter dem Wort Datenschutz ist in der Medizin aber nicht nur der Schutz der Daten vor fremdem Zugriff gemeint, sondern besonders wichtig auch der Schutz der Daten vor Verwechslungen oder vor der fehlerhaften Verwendung, d. h. der Schutz vor der ggf. unbewussten Nutzung falscher Daten. Jegliche Datenverfälschung kann in Patientenversorgung und Forschung zu fatalen Resultaten führen. Verlangt werden muss daher – allgemein formuliert – ein Schutz vor Umständen, die geeignet sind, dem Zweck der jeweiligen Datenprozessierung entgegenzuwirken, d. h. ein Schutz vor Schaden durch den Einsatz der modernen Informationstechnologien. So gesehen ist auch der „Schutz“ medizinischer Fachinformationen im elektronischen Medium ein wichtiges Anliegen, da die fehlerhafte Übermittlung zu Fehlentscheidungen und nachhaltig schädigenden Auswirkungen auf den Behandlungsprozess führen kann. Ein Datenschutzkonzept ist in diesem weit gefassten Sinne ein Sorgfaltskonzept, das bei jedem Einsatz von modernen Informationstechnologien in der Medizin zumindest hilfreich wenn nicht sogar erforderlich ist.

1.6. Bedarf Das Wissen in der Medizin verdoppelt sich nahezu alle zwei Jahre. Durch diese Informationsflut wird es für Ärztinnen und Ärzte zunehmend schwerer, alle relevanten und aktuellen Fachinformationen, die für ihre klinische Arbeit nötig sind, jederzeit aktiv bereitzuhalten. Das ärztliche Berufsrecht verpflichtet zur Fortbildung, solange die ärztliche Tätigkeit ausgeübt wird22, und es obliegt den Ärztekammern die Aufgabe, diese Fortbildung zu zertifizieren23. Bücher und selbst Fachzeitschriften werden allerdings von den medizinischen Entwicklungen oftmals schon vor ihrem Erscheinen überholt. Das Angebot an medizinischen Fachinformationen im Internet ist demgegenüber zwar vielfältig, doch bei speziellen Fragestellungen auch heute noch dürftig24. Vor diesem Hintergrund ist der zielgerichtete Einsatz geeigneter Medien, sowohl im Bereich der Informationsbereitstellung und -recherche als auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung wegen seiner technischen Möglichkeiten von großer Bedeutung. Aber nicht nur in Bezug auf die Informationsrecherche und -präsentation besteht Bedarf an geeigneten Lösungen für die Medizin. Im Bestreben, das medizinische Wissen noch schneller mit noch aussagekräftigeren Ergebnissen zu mehren, schließen sich immer mehr Wissenschaftler zu zahlreichen, rasch an Zahl und Größe zunehmenden Forschungsnetzen zusammen25. Gemeinsames Ziel all dieser Netze ist es, u. a. die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, behandelnden Ärzten und Patienten zu

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1. Einleitung

optimieren. Auch hier bieten sich die modernen Informationstechnologien als Hilfsmittel zur Kanalisierung und Bewältigung der resultierenden Datenflut an. Die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitssystem, allen voran die Einführung der DRG-basierten Abrechnungssysteme in Deutschland, macht insbesondere für stationären Behandlungen eine zusätzliche, ausführliche Dokumentation von durchgeführten Prozeduren sowie von gestellten und behandelten Diagnosen erforderlich26. Zudem bestehen neben der Dokumentationspflicht für die ärztlichen Beobachtungen und Maßnahmen im engeren Sinne noch weitere zeitaufwändige für die Organisationsverpflichtungen, wie die Organisation des Personaleinsatzes, den Geräteumgang und die gesetzlichen und behördlichen Auflagen, deren Erfüllung nicht nur eine im Rahmen des Behandlungsvertrags zu erfüllende Pflicht, sondern einen unverzichtbaren Schutz vor unberechtigten Ansprüchen und Vorwürfen darstellt27. Eine Untersuchung des Deutschen Krankenhausinstituts hat ergeben, dass für Dokumentationsaufgaben im Fachbereich Inneren Medizin im Krankenhaus heute je Arzt und Arbeitstag durchschnittlich rund 3¼ Stunden aufgewandt werden, davon entfallen alleine zweieinhalb Stunden auf die patientenbezogene Dokumentation28. Auch wenn die Ergebnisse dieser Studie in der Höhe umstritten sind, hat sich der enorme, administrative Aufwand doch auf jeden Fall zum „ständigen Ärgernis“ im Klinikalltag entwickelt29. Hier ist die moderne Informationstechnologie gefordert, Lösungen beizutragen, die nicht nur der technisch-formalen Umsetzung von Dokumentationspflichten in Form der Entwicklung immer neuer Dokumentationsprogramme dienen. Hier müssen, unter Nutzung der medientypischen Vorzüge der elektronischen Verfahren, Dokumentationslösungen geschaffen werden, die lückenlos in den Klinikalltag integriert, prozessunterstützend statt prozesserweiternd und -komplizierend eingesetzt werden können.

1.7. Vor- und Nachteile Auch wenn der Bedarf des Einsatzes moderner Informationstechnologien in der Medizin scheinbar klar erkennbar ist, so sind EDV-basierte Verfahren dennoch nie ohne Bedacht sinnvoll einsetzbar. Es bedarf der Berücksichtigung der typischen Vor- und Nachteile dieser Technologien, bevor die Entscheidung gefällt wird, ob Papier, Bildschirm oder ein anderes Medium geeignet sind, zur Lösung einer gestellten Aufgabe beizutragen. Wichtige Vorteile EDV-basierter Verfahren gegenüber anderen Medien sind:

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1.7. Vor- und Nachteile

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die überprüfbar fehler- und verlustfreie Übertragung von Informationen von und an nahezu beliebige Orte, die einfache Kopierbarkeit und Bearbeitungsfähigkeit digitaler Medien die Option des zeitgleichen Zugriffes mehrerer Benutzer auf identische, zentrale, konsistent pflegbare Informationen, die schnelle Sortier- und Recherchierbarkeit großer Datenbestände die Option zur virtuellen Verknüpfung unterschiedlicher Medientypen

Diese Vorteile müssen den typischen Nachteilen EDV-basierter Verfahren gegenübergestellt werden. Von Nachteil kann sein, dass digitale Medien, oftmals um ihre Vorteile überhaupt nutzbar zu machen, einen besonderen Umgang mit den zu bearbeitenden – medizinischen – Daten erfordern. Dieser „besondere Umgang“ kann aber zumindest bei der Einführung solcher Systeme einen nicht unerheblichen Mehraufwand verursachen, der die erwünschten Vorteile zumindest kurzfristig in den Hintergrund drängt. Auch die Bindung der EDV-basierten Verfahren an Funktionsfähigkeit und Verfügbarkeit geeigneter Hardware ist in bestimmten Situationen von Nachteil. Papier ist universeller verfügbar als jedes technische Gerät. Auch sind es die trotz aller rasanten Entwicklungen noch immer eingeschränkten Möglichkeiten der Hardware, die die universelle Nutzbarkeit digitaler Verfahren beeinträchtigen. Verglichen mit einem Bildschirm der Auflösung von heute typischerweise 1280 x 1024 oder sogar nur 1024 x 768 Bildpunkten kann ein Blatt Papier deutlich mehr Informationen auf der gleichen Fläche präsentieren, was das häufig geklagte Problem der im Vergleich zu Papier mangelnden Übersichtlichkeit elektronisch dargestellter Informationen einfach erklärt.

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1. Einleitung

Papierbasierte Intensiv-Kurve, größere Übersicht, „freie“ Gestaltungsmöglichkeiten, schlechtere Leserlichkeit

EDV-basierte Intensiv-Dokumentation, geringere Übersichtlichkeit, klare Lesbarkeit Abb. 2 Papierbasierte vs. EDV-basierte medizinische Dokumentation

Wichtigster Nachteil beim Einsatz moderner Informationstechnologien in der Medizin ist aber die vielfach mangelnde Verfügbarkeit einfach zu bedienender und an die Bedürfnisse der Medizin optimal angepasster Software, deren Nutzen sich, wie oft versucht, nie alleine anhand der Auflistung zahlreicher Funktionen beurteilen lässt. Zusammenfassend erscheint der Einsatz der EDV-basierten Verfahren daher erst dann gelungen, wenn – bei in ausreichender Zahl vorhandener und geeigneter Hardware – die entsprechende Software nach sorgfältigen

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