Christian von Ferber
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Das Gesundheitswesen – ein neuer Hoffnungsträger für Soziale Gerechtigkeit?
Soziale Gerechtigkeit bezieht sich auf Bürgerrechte Bei den Reformen der sozialstaatlichen Leistungssysteme spielt „Soziale Gerechtigkeit“ eine wichtige Rolle. Den Reformern dient sie als Zielvorgabe für ein „Mehr“ an Sozialer Gerechtigkeit, den Bewahrern des Status quo bezeichnet sie eine Widerstandslinie, hinter der der Sozialabbau einsetzt. Die Doppeldeutigkeit in der Verwendung des ethischen Wertes „Soziale Gerechtigkeit“ ist jedoch kein Anzeichen für Beliebigkeit. Vielmehr signalisiert die Gegensätzlichkeit in seiner politischen Deutung eine Unsicherheit in einer für die Bürger entscheidenden Frage. Geht es doch bei der Gestaltung der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge nicht allein um die Frage, wer soll die finanziellen Lasten tragen? Wir sollten die Bedeutung Sozialer Gerechtigkeit bei der Beantwortung dieser Frage keineswegs unterschätzen. Primär verfolgt staatliche Daseinsvorsorge jedoch das Ziel, Soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten im Verhältnis zwischen Starken und Schwachen, zwischen Menschen, die von gesellschaftlichen Risiken betroffen sind und solchen, die es nicht sind. In Verfolgung dieses Zieles richtet sich die sozialstaatliche Daseinsvorsorge auf so wesentliche Ressourcen jedes Bürgers wie Einkommen und Gesundheit. Auf Soziale Sicherheit ist der Bürger angewiesen gerade dann, wenn Eigenvorsorge und Selbsthilfe versagen. Die Gewährleistung von Einkommen und Gesundheit durch die politischen Organe der Gesellschaft und durch die Rechtsordnung schafft das Ver-
trauen in Soziale Sicherheit. Diese garantiert dem Bürger Ressourcen in einer Lebenssituation, in der wesentliche Risiken gesellschaftlich bedingt sind. Das Vertrauen in Soziale Sicherheit ist im Bewusstsein der Bürger nur insoweit begründet, wie ihre Garantien ihm auch in der kleinen Münze des Alltags begegnen. Die Verbürgung sozialer Leistungen durch eine Rechtsordnung garantiert dem Bürger nicht nur die aktuelle Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse im Hier und Jetzt, sondern bildet eine entscheidende Grundlage seiner Lebensplanung. Soziale Sicherheit enthält eine wichtige Bedingung der Selbstbestimmung und wird damit zu einer notwendigen Bedingung persönlicher Freiheit. Die juristische Unterscheidung der Bürgerrechte nach freiheitlichen und sozialen Grundrechten und ihre Zuweisung zu Rechtsquellen unterschiedlicher normativer Geltung wie Grundgesetz (Grundrechtskatalog) und Sozialgesetzbuch (SGB I) erfüllt neben der rechtssystematischen Klarstellung eine wichtige politische Funktion. So beschränkt sie den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in Bezug auf die Freiheitsrechte und erweitert ihn in Bezug auf eine situationsadäquate rechtliche Modellierung der Ansprüche an die sozialstaatliche Daseinsvorsorge. Freiheitliche Grundrechte ebenso wie die rechtliche Verbürgung sozialer Ansprüche im Sozialgesetzbuch verfassen die Position des Bürgers und mit dieser die Bürgergesellschaft als eine „Gesellschaft freier und gleicher Bürger“ (Rawls 2003). Ihre ethische Begründung verweist auf Wertvorstellungen, die in den Gesellschaften
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