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Aufgaben des Gesundheitsmanagements

1. 1 Zusammenfassung

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Das Berufsfeld Ber Gesundheitsmanagement umfasst Aufgaben der Planung, Organisation, Steuerung und Evaluation von Gesundheitsdienstleistungen sowie die Führung von entsprechenden Institutionen und Einrichtungen der Krankenversorgung, der Rehabilitation und der Pflege. Es setzt sozialmedizinische und gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse und Prinzipien unter den jeweils geltenden politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in praktische und real erlebte Versorgungswirklichkeit für Menschen um, die der Hilfe bedürfen (Patienten) oder „Wellness“ als Konsumgut kaufen (Kunden).

Der Begriff Gesundheit und seine vielfältigen Assoziationen sind unbestimmt und mit Erwartungen nahezu beliebig besetzt. Eine Verständigung über den Inhalt von auf „Gesundheit“ bezogenen Aufgaben ist deshalb unumgänglich. Das Gesundheitsmanagement meint hier und nachfolgend das Management von Gesund-

heitsdienstleistungen für und am Menschen und damit Dienstleistungen, die durch vielfältige Voraussetzungen und Merkmale von anderen Dienstleistungen und Werte erzeugenden Produktionsprozessen unterschieden sind:

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Ge GGesundheitsdienstleistungen sind humane Dienstleistungen für, an und mit Menschen, die zeitweilei lig oder dauerhaft der Hilfe Dritter bedürfen und deshalb von diesen in unterschiedlichem Ausmaß abhängig sind.

Gesundheitsdienstleistungen sind ein Segment der Gesundheitswirtschaft insgesamt. Diese „Branche“ wird hinsichtlich ihrer künftigen „Marktexpansion“ von erheblichen wirtschaftlichen Erwartungen getrieben. Diese Erwartungen richten sich u. a. auf fünf Dienstleistungssegmente: 1. Aufgaben der Hilfeleistung für kranke, behinderte und pflegebedürftige Menschen 2. Angebote zur individuellen Prävention 3. Aufgaben bei der Rehabilitation

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4. 5.

Angebote der sog. alternativen oder auch komplementären Medizin Angebote, die als „Versprechen“ vielfältige modische Attitüden bedienen

Vor diesem Hintergrund wird hier auch eine Abgrenzung angestrebt: Das Gesundheitsmanagement sei auf Dienstleistungen eingegrenzt, die einer speziellen und staatlich überwachten Berufskunde und Zulassung bedürfen, Handlungsnormen unterworfen sind und deren Ergebnisse einem öffentlichen Evaluationsdruck unterliegen. Es handele sich partiell um Dienstleistungen innerhalb eines etablierten Systems der Gesundheitssicherung und Gesundheitsversorgung unter dem Dach einer Rechtsaufsicht. Hier und nachfolgend sollen sich die Aufgaben des Gesundheitsmanagements vor allem auf die ersten drei Aufgabenfelder beziehen. Das Management eines solchen Leistungsfeldes verlangt:

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Kenntnisse über die Besonderheiten humaner Dienstleistungen, die Fähigkeit zur Bewertung des Wandels solcher Dienstleistungen und zur Ableitung von Folgen für notwendige Versorgungsstrukturen, konzeptionelle und organisatorische Fähigkeiten bei der Ausgestaltung von Gesundheitsdienstleistungen sowie deren Vernetzung, Umgang mit den Methoden der Steuerung und Regulation solcher Dienstleistungen, hierunter mit den sozialrechtlichen Grundlagen, Beherrschung der Schnittstellen zwischen den Besonderheiten von Gesundheitsdienstleistungen zu den personal- und betriebswirtschaftlichen Prozessen, Kenntnisse über die Bewertungsprobleme von Gesundheitsrisiken, Kenntnisse über die Anforderungen an eine undiskriminierte Zugänglichkeit von Versorgungsleistungen und zu Hilfen für die Bewäl-

tigung von Krankheitsfolgen sowie über die wirkenden Steuerungsmechanismen der Zugänglichkeit und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen und die Interessenlagen der Akteure.

Solche Kenntnisse lassen sich mehr oder weniger präzise der Sozialmedizin und dem Public Health zurechnen oder können allgemeiner auch als gesundheitswissenschaftliche Grundlagen bezeichnet werden.

1. 2 Risikomanagement

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Risiken für die Gesundheit sind nach vielfältigen Merkmalen in der Bevölkerung ungleich verteilt.

Gesundheitsrisiken müssen ermittelt (monitoring) und bewertet (assessment) werden, um künftigem Hilfe- und Unterstützungsbedarf gerecht werden zu können. Die Schwierigkeit besteht in der Vorhersage (Prädiktion) von Bedarfsgrößen und in der Ableitung geeigneter Angebote. Das Risikomanagement bezieht sich im Kern auf zwei Handlungsstrategien: auf die Abwehr, bzw. Vermeidung von Risiken, die Versorgungsbedarf und Abhängigkeit von Hilfe erzeugen können (Prävention) auf das Angebot von Versicherungsleistungen für den Fall des Eintritts eines Bedarfs Die Vermeidung von gesundheitlichen Störungen und Beeinträchtigungen sowie ggf. die finanzielle Absicherung von Versorgungsbedarf lassen sich nach vielfältigen Prinzipien des individuellen und des kollektiven Risikoschutzes ausgestalten.


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1.2 Risikomanagement

1. 2. 1 Prävention

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Prävention setzt die Vorhersehbarkeit eines ErPräven eignisses und seine Abwendbarkeit voraus. Strategien der Prävention gründen folglich auf dem jeweiligen Wissensstand zur Prognose unerwünschter Ereignisse und auf der Bewertung ihrer Vermeidbarkeit bzw. der Bewertung unterschiedlicher Optionen zu ihrer Vermeidung. Bei unvorhersehbaren, unvermeidbaren oder im Ergebnis von Interessenabwägungen, ggf. auch bei zu akzeptierenden Risiken, ist die soziale, besonders die finanzielle Vorsorge gegenüber möglichen Risikofolgen, die wichtigste Prävention.

Individuelle Vorsorge Individuelle Vorsorge ist an die Vorhersehbarkeit und die Gestaltungsfähigkeit des eigenen Lebensverlaufs gebunden. Sie ist deshalb von individuellen Ressourcen ebenso abhängig wie von den jeweiligen sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen. Das Schlüsselproblem der Vorsorge ist die individuelle und soziale Ungleichverteilung der Vorsorgefähigkeit und die zumeist nur begrenzte Vorhersehbarkeit und begrenzte Verfügbarkeit über den eigenen Lebensverlauf. Leitbilder für das eigene Leben, Bildung und wirtschaftliche Sicherheit, die Selbstbestimmungsfähigkeit und eine an Ziele gebundene vorausschauende Lebensgestaltung unterstützen die individuelle Vorsorgefähigkeit positiv. Im Mittelpunkt der individuellen Vorsorge steht die Eigenhilfe. Sie ist allerdings an Bedingungen geknüpft, die durch das einzelne Individuum in der Regel umso weniger selbst gestaltet und beherrscht werden können, je erheblicher die Gesundheits- und Versorgungsrisiken sind.

Kollektive Vorsorge Kollektive Vorsorge ist an die Vereinbarung gemeinsamer Ziele gebunden, setzt also übergreifende Interessen und Wertekonsense voraus. Die wichtigsten Motive kollektiver Vorsorge sind die Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit und die Sicherung von sozialem Frieden als Voraussetzung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prosperität. Im Besonderen der Ausgleich sozialer Unterschiede ist immer wieder neu Ausgangspunkt sozialpolitischer Konflikte zwischen den Polen einer möglichst weitgehenden oder einer möglichst begrenzten kollektiven Sicherung. Diese Auseinandersetzungen sind Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit und bestimmen den Gestaltungsrahmen für das Management von Gesundheitsdienstleistungen mit. Dieser Rahmen betrifft auch die gesellschaftlich vereinbarten Regeln für die Ausgestaltung der Vorsorge und ihres Managements. Ein solches kollektives Risikomanagement setzt voraus: die Schaffung von Systemen der Erfassung und Bewertung von Gesundheitsrisiken (monitoring), die Vermittlung von Kenntnissen über solche Risiken und ihre Vermeidung (Risikokommunikation, Gesundheitsberichterstattung), die Konsentierung von Normen und ihre Kontrolle sowie die Sanktionierung von Normverstößen (Regeln) und die Professionalisierung des Risikomanagements und die Schaffung entsprechender Managementstrukturen und -kompetenzen (Angebote). Solche kollektiven Präventionssysteme spiegeln die vorherrschenden impliziten wie expliziten gesundheitspolitischen Konzepte, sind typischerweise Teil der Sozialpolitik und verhaltens- und verhältnispräventiv orientiert. Ihre Wirksamkeit wird weitgehend davon be-

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stimmt, ob es gelingt, sozial- und zukunftspolitische Präventionserfordernisse gegen finanzund wirtschaftspolitische Interessen durchzusetzen oder diese Interessen zumindest hinreichend zu harmonisieren.

1. 2. 2 Versicherung

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Die Nichtvorhersehbarkeit Nic eines individuellen Bedarfsfalls, die Ungleichverteilung (Inhomogenität) der Risiken und die regelhafte individuelle Überforderung im Falle des Eintritts eines Hilfebedarfs machen die finanzielle Vorsorge unabweisbar.

Hierzu kommen drei unterschiedliche und einander regelhaft ergänzende Konzepte in Frage: die individuelle Vorsorge auf der Basis der Eigenverantwortung, die kollektive Vorsorge auf der Basis solidarischer Selbsthilfe der Mitglieder einer Versichertengemeinschaft und die steuerfinanzierte Vorsorge auf der Basis eines vom Staat garantierten Rechtsanspruchs.

Die individuelle Vorsorge Individuelle Vorsorge wird von der Fähigkeit und Bereitschaft getragen, für den Fall gesundheitsbezogenen Hilfebedarfs für sich selbst Vorsorge zu treffen. Da sowohl die hierzu verfügbaren Möglichkeiten als auch die individuelle Bereitschaft zwischen den Menschen und innerhalb des Lebensverlaufs erheblich variieren, sind solche Vorsorgesysteme vor allem für jene wenig oder gar nicht wirksam, die den größten Bedarf haben oder haben werden und bei denen die individuelle Überforderung die Regel ist. Neben der freiwilligen und der rechtsverbindlichen individuellen finanziellen Vorsorge, können auch soziale Bindungen und Netzwerke Teil solcher Vorsorgestrategien sein.

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Da die Möglichkeiten hierzu zumeist nur begrenzt und in Abhängigkeit von sozialen Voraussetzungen gegeben sind, sind individuelle Vorsorgesysteme typischerweise durch eine hohe gesellschaftliche Ineffektivität gekennzeichnet. Je nachdrücklicher Menschen auf die individuelle Vorsorge verwiesen werden, desto größer ist der Bedarf an ergänzenden steuerfinanzierten Leistungen. Werden diese nicht vorgehalten, kann soziale Verelendung resultieren, die dann wiederum karitativ oder mit öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden muss. Die typische Form der individuellen Vorsorge ist der Kauf eines Versicherungsproduktes (Privatversicherung). Die Gestaltungsprinzipien von Privatversicherungen sind international zumeist (unterschiedlich wirksam) durch Akkreditierungs- und Ausführungsbedingungen rechtlich reguliert. Das Prinzip besteht darin, dass der Leistungsanspruch dem gekauften Versicherungsprodukt äquivalent ist (Äquivalenzversicherung). Die Spannbreite solcher Vorsorgeformen reicht von freiwilligen Zusatzversicherungen bis zu kapitalgedeckten individuellen Pflichtversicherungen (z. B. sog. Medical Savings Accounts). Individuelle Haftpflichtversicherungen dienen zusätzlich der Abwehr individueller Haftungsfolgen, sofern der Versicherte der Verursacher eines Gesundheitsschadens Dritter ist.

Die kollektive Vorsorge Kollektive Vorsorge wird von der gesellschaftlichen Fähigkeit und Bereitschaft getragen, für den Fall des Hilfebedarfs aller oder eines Teils der Bevölkerung Vorsorge zu treffen. Da sowohl die hierzu verfügbaren Möglichkeiten als auch die Bereitschaft der gesamten Bevölkerung oder ihrer politisch jeweils durchsetzungsfähigen Teile erheblich variieren, sind solche Vorsorgesysteme vor allem dann wirksam, wenn soziale Kohärenzziele und übergreifende soziale Verant-


1.2 Risikomanagement

wortungsbereitschaft gesellschafts- und politikprägend sind. Kernprobleme kollektiver Vorsorgesysteme für den Fall allgemein gesundheitsbezogener und speziell medizinischer Versorgungsrisiken sind: die Inhomogenität in der Verteilung der Risiken, die soziale Reziprozität von individuellem Versorgungsbedarf und individueller Vorsorgefähigkeit, die Unmöglichkeit, bei anerkanntem und zu gewährleistendem Vorsorgeanspruch, kausale Prinzipien wirken zu lassen, die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Interessenlagen an einer allgemein zugänglichen gesundheitlichen, speziell medizinischen Versorgung und die ethischen und praktischen Schwierigkeiten bei der Normierung von Leistungsansprüchen. Eine ursprüngliche Form der kollektiven Vorsorge ist die Selbsthilfe. Sie gründet zumeist auf Zusammenschlüssen von Personen mit ähnlichen (homogenen) Versorgungsrisiken und -interessen. Die Organisationsformen reichen von informellen Vereinigungen, über Vereine bis zu fest etablierten und rechtlich ausregulierten gemeinnützigen Organisationen (gemeinnützige Vereine und Verbände, non-profit-organizations) sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts (Korporatismus). Die nicht erwerbswirtschaftlich organisierte und von den Mitgliedern in eigener Verantwortung getragene Vorsorge ist das wichtigste Merkmal des Absicherungstyps „Selbsthilfe“. Das Merkmal „Eigenverantwortung“ ist das Gestaltungsprinzip der Selbsthilfe. Wegen ihrer übergreifenden öffentlichen Bedeutung stehen solche Prinzipien zumeist unter einem besonderen rechtlichen Schutz und werden seitens des Staates oft steuerlich privilegiert. Die Finanzierungsbasis solcher Selbsthilfen sind re-

1 gelhaft mitgliedergetragene Umlagen, an denen sich freiwillig oder per Gesetz auch Dritte beteiligen können, so zum Beispiel die Arbeitgeber und die Kommunen. In der Bundesrepublik werden solche Umlagen durch an das Einkommen aus direkter Erwerbstätigkeit gebundene und innerhalb einer Krankenkasse gleiche Beitragssätze gespeist. Die absoluten Beiträge variieren also allein nach dem individuellen Arbeits- bzw. Renteneinkommen (Solidaritätsprinzip). Eine weitere typische und international weit verbreitete Form der kollektiven Vorsorge sind staatliche und damit steuerfinanzierte Vorsorgesysteme für die gesamte Bevölkerung oder nur für Teile der Bevölkerung (staatliche Gesundheitssysteme). Inhalt und Ausgestaltung, speziell auch die Setzung von Leistungsnormen und ihre Kontrolle liegen hier in der Hand der Legislative sowie staatlicher Institutionen. Solche Vorsorgeformen sind zumeist so organisiert, dass mittels kollektiver Normensetzung (gesamtstaatlich oder auch nur kommunal) entschieden wird, ab wann im Allgemeinen oder im Einzelfall Vorsorgebelastungen durch den Einzelnen nicht oder nicht mehr getragen werden können und hier dann die Gemeinschaft (der Steuerzahler) aus übergeordneten Interessen in die Vorsorgepflicht eintritt (Subsidiaritätsprinzip). Kollektive Haftungsversicherungen sind hingegen Vorsorgeformen, die strikt an die Voraussetzung einer ursächlich begründeten Haftungsverantwortung gebunden sind. Sie sind demzufolge von dem die Haftung Verantwortenden zu tragen. Ein typisches Beispiel sind Versicherungen gegen Haftungsfolgen bei beruflich bedingten Gesundheitsschäden, soweit sie nach dem Willen des Gesetzgebers in der Haftungsverantwortung der Arbeitgeber liegen. Ein Beispiel hierfür ist die deutsche gesetzliche Unfallversicherung.

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1. 3 Versorgungsmanagement

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Das Ve Versorgungsmanagement bezieht sich auf zwei verschiedene Aufgabenkreise: zum einen auf die Bewältigung eines konkreten bevölkerungsbezogenen Versorgungsproblems, zum anderen auf die Absicherung der Arbeitsfähigkeit einer speziellen Versorgungsinstitution. Es ist dementsprechend hinsichtlich seiner Wirksamkeit für eine Zielbevölkerung (Effektivität) oder hinsichtlich seines Erfolges für eine Anbieterinstitution (Effizienz) zu beurteilen.

Zwischen diesen beiden Perspektiven können sich erhebliche Widersprüche auftun und zwar immer dann, wenn Effektivitäts- und Effizienzziele der Öffentlichkeit und der Anbieter von Dienstleistungen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Dem Versorgungsmanagement lassen sich folgende Aufgaben zuordnen: das Management von Versorgungsstrukturen, das Management von Versorgungsprozessen, das Qualitätsmanagement und die Evaluation von Dienstleistungsergebnissen.

1. 3. 1 Versorgungsstrukturen

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Versorgungsstrukturen umfassen die materielle Versorg und technische Basis der Gesundheitsversorgung hinsichtlich der unmittelbaren patientenwirksamen Versorgungseinrichtungen und der zur Sicherung ihrer Arbeitsfähigkeit erforderlichen Sekundärstrukturen.

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Makromanagement Die materielle Basis der gesundheitlichen Versorgung ist die Gesamtheit der regionalen Versorgungseinrichtungen. Die allgemeine Forderung nach bedarfsadäquaten Versorgungsstrukturen setzt die Vereinbarung von Bedarfsvariablen und -größen voraus. Der Inhalt der Bedarfsadäquanz kann dabei über das Anbieterinteresse und über das jeweilige Nutzer- sowie Kostenträgerinteresse mit sehr unterschiedlichen und konfligierenden Ergebnissen beschrieben werden. Die Frage ist jeweils, von wem und nach welchen Maßstäben über die Bedarfsadäquanz der Versorgungsstrukturen entschieden wird und wer die Entscheidungshoheit hat. Managementaufgaben im Zusammenhang mit der Vorhaltung adäquater Versorgungsstrukturen sind ein vielfältiges Konfliktfeld. Dieses bezieht sich z. B. auf: die Normierung des Versorgungsbedarfs und die Zugänglichkeit der Versorgung, die räumliche Verteilung der Versorgungsangebote und ihre fachliche Struktur, die als erforderlich erachteten Versorgungskapazitäten, die Versorgungsplanung und die „anbietergerechte“ Kapazitätszuweisung und die Vermeidung von Über- und Unterversorgung. Wegen der zentralen Bedeutung des Begriffs „Bedarf “ für die Ausgestaltung von Versorgungsstrukturen besteht die Notwendigkeit, diesen im jeweils geltenden Sozialrecht, bzw. in Versicherungs- wie Versorgungsverträgen zu normieren. Dies kann in Form unbestimmter Rechtsbegriffe erfolgen (in diesem Fall bedarf es geeigneter Institutionen, Mechanismen und professioneller Verantwortungszuweisungen, um den Bedarfsbegriff jeweils konkret zu explizieren) oder in Gestalt expliziter Vorgaben für den Einzelfall, die dann für den professionellen, z. B. den ärztlichen und pflegerischen Leistungserbringer pflichtgemäß bindend sind.


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1.3 Versorgungsmanagement

Mikromanagement

Eine der Schlüsselverantwortungen des Versorgungsmanagements ist die Etablierung

Jede einzelne Versorgungseinrichtung bedarf eigener und auf den Typus der Versorgungsangebote und -leistungen abgestimmter Versorgungsstrukturen. Diese vorzuhalten, zu pflegen und weiterzuentwickeln, ist die Aufgabe des Mikromanagements. Dieses muss im Kern sichern, dass alle vertraglich gebundenen Leistungen auch rechtskonform und vertragstreu erbracht werden können. Von Bedeutung sind insbesondere: das Vertragsmanagement, die Aufnahme, Versorgung/Betreuung und Entlassung der Patienten, ggf. verbunden mit einem sozialen Unterstützungsmanagement, die Erbringung, Dokumentation und Abrechnung der Leistungen gemäß den geltenden rechtlichen und vertraglichen Bedingungen, die Qualifikationsgerechtigkeit des Personaleinsatzes und die Aus-, Weiter- und Fortbildung des Fachpersonals und die strategische Personalentwicklung.

zielorientierter Versorgungsprozesse. Es geht hierbei vor allem um die Sicherung einer rechts-, vertrags- und erwartungskonformen Leistungserbringung für den Dienstleistungsnehmer.

1. 3. 2 Versorgungsprozesse

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Gesundheitsdienstleistungen sind bei ihrer ErGesund bringung regelhaft und in wachsendem Maße räumlich, zeitlich und hinsichtlich der Vielzahl der beteiligten Träger und Anbieter hoch komplex. Da die unmittelbar an der Versorgung Beteiligten oft immer weniger in der Lage sind, solche Versorgungsprozesse zu planen, zu organisieren, zu steuern, zu evaluieren, zu bewerten und zu optimieren, wird das Management von Versorgungsprozessen zu einer eigenständigen professionellen Leistung, die maßgeblich über die Effektivität und die Effizienz der Leistungserbringung mitentscheidet.

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DDie zentralen Aufgaben des Versorgungsmanagements zielen auf: me die patientenorientierte Integration aller arbeitsteiligen Leistungsprozesse, das Qualitätsmanagement, das case management und care management, das Rehabilitationsmanagement, das Pflegemanagement und das Unterstützungsmanagement. Eine wachsende Bedeutung gewinnen Managementaufgaben im Zusammenhang mit: der Kontrolle und Pflege von Vereinbarungen und Verträgen (Produktmanagement), dem Management des Leistungsportfolios, z. B. auf der Basis eines Vorsorgemanagements (prospective modelling) für die fachliche und wirtschaftliche Ausrichtung des Leistungsportfolios, dem Personalentwicklungs- und Bildungsmanagement, dem Akquisemanagement für Patientenzuweisungen und Leistungsverträge, dem Management besonderer Versorgungsformen, dem Management der Arznei- und Hilfsmittelversorgung (siehe z. B. das Pharmaceutical Benefit Management) und dem Management der betrieblichen und wirtschaftlichen Prozesse.

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1. 3. 3 Qualitätsmanagement

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Die Qualität Qua eines Produktes oder einer Dienstleistung ist die Summe aller Eigenschaften des Produktes bzw. einer Dienstleistung. Qualität ist ein wertneutraler Begriff, da ihm jegliche Qualität, bzw. jegliche Eigenschaftsvielfalt zugerechnet werden kann. Der Wunsch nach einer bestimmten und normierten Qualität setzt deshalb die Vereinbarung entsprechend gewünschter Eigenschaften voraus.

Ziel des Qualitätsmanagements ist es, die explizit vereinbarten und zu fordernden, bzw. sinnvoll forderbaren Merkmale und Eigenschaften eines Produkts zu sichern. Das Leistungsziel kann also nur soweit Gegenstand eines Qualitätsmanagements werden, wie die Produkt- und Dienstleistungseigenschaften allgemein vorgegeben oder speziell vereinbart sind. Die jeweiligen sozialrechtlichen Normen oder versicherungsvertraglichen Vereinbarungen, also nicht einfach nur Absprachen zwischen Leistungsempfänger und -erbringer, bilden in der Regel den Normenrahmen für die Qualität und damit auch für das Qualitätsmanagement. Im Zusammenhang mit dem wachsenden politischen Willen, die Ausgestaltung der Gesundheits- bzw. der Krankenversorgung wettbewerblich, also differenziell und in direkter Vereinbarung zwischen Käufer (z. B. Krankenkassen) und Anbieter (z. B. Krankenhauskonzerne) zu gestalten, wächst das Bedürfnis nach konkreten und spezifischen vertraglichen Vereinbarungen über die Eigenschaften der zu „kaufenden“ bzw. zu „verkaufenden“ Produkte und Dienstleistungen. Vor diesem Hintergrund ist das Qualitätsmanagement ein unmittelbarer Bestandteil der Vertragserfüllung. Es ist ggf. zwischen den Leistungspflichten der Anbieter allgemeiner gesundheitlicher (z. B. komplementäre Medizin, Wellness) und medizinischer Dienstleistungen zu unterscheiden. Soweit die Leistungsnehmer selbst kaufende Kunden sind (z. B. sog. Individueller Gesundheitsleis-

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tungen) oder Patienten, die mit von Dritten gekauften Maßnahmen versorgt werden, beziehen sich die Qualitätsnormen jeweils auf private Vereinbarungen oder auf ausdefinierte sozialrechtliche oder versicherungsvertragliche Normen. Qualitätssicherung und -management beziehen sich also ggf. auf ein komplexes und widersprüchliches Geflecht von Patienten-, Anbieterund Kunden-(Käufer-)Interessen. Die Qualität sollte sich aus der Sicht des Patienten immer als ein Gesamtergebnis der beteiligten Akteure darstellen, ohne dass die einzelnen zuzurechnenden Teilaufgaben zu unterscheiden wären. Die Gewährleistungen der versicherten Ansprüche ist ein einheitlicher Prozess. Sowohl die Qualität als auch die Steuerungskompetenz von Qualitätszielen geraten dann in Konflikt, wenn die Ziele der Akteure nicht oder nur begrenzt in Übereinstimmung zu bringen sind. Die Lösung wird dann entweder durch die Normensetzung gemeinsamer Gremien (z. B. Gemeinsamer Bundesausschuss) oder durch vertragsbindende Vorgaben von Leitlinien und Standards angestrebt. Dies kann dann zu – auch rechtlichen – Konflikten führen, wenn die Feststellung eines Versorgungsbedarfs und seine Befriedigung, (ggf. auch haftungs-)rechtlich bindend einer Berufsgruppe eindeutig zugewiesen ist oder zugewiesen sein muss. Unstrittig ist, dass die Sicherung der Qualität eines spezifischen Managements bedarf, das sich professions- und verantwortungsintegrierend auf die Trias (Donabedian’s Trias) von Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität gründet. Da aus der Sicht des Nutzers die Ergebnisqualität immer eine Gesamtqualität ist, ist es auch unverzichtbar, die zu dieser Ergebnisqualität hinführenden Strukturen und Prozesse gemeinsam zu bewerten. Zwar gibt es in Deutschland in der Zwischenzeit Qualitätsberichtspflichten für einen Teil der Akteure auf der Seite der Leistungserbringer, aber praktisch keine


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1.3 Versorgungsmanagement

auf der Seite der Versicherer. Besonders für die Gesetzliche Krankenversicherung sind hier zwar Qualitätsmerkmale implizit und explizit formuliert, sie sind aber bislang nicht berichtspflichtig. Das betrifft Qualitätsmerkmale wie: die sozial undiskriminierte und freie Zugänglichkeit, die Finanzierungsübernahme für alle zugesicherten Leistungen im individuellen Bedarfsfall, die sozial ausgleichende Wirkung des Versicherungsrechts, im Sinne einer von den Beitragshöhen unabhängigen Leistungsgewährung, die Unabhängigkeit der Leistungsgewährung von den wirtschaftlichen Zielen der Versicherung und die Kontrollfähigkeit der Krankenversicherung durch ihre Mitglieder, also die öffentliche Kontrollfähigkeit der Leistungsentscheidungen und Finanzgebaren der von den Mitgliedern beauftragten Vorstände der einzelnen Gesetzlichen Krankenkassen. Bezüglich der Leistungserbringer sind solche Qualitätsnormen analog zu beachten und möglichst nachzuweisen, ergänzt um die besonderen Aspekte der Versorgungsqualität. Sozialrechtliche Vorgaben für die Qualität von Gesundheitsdienstleistungen existieren – so z. B. im deutschen Sozialrecht – in der Regel als Mindest- oder Grundnorm. Zu ihrer Beschreibung dienen unbestimmte Rechtsbegriffe, wie z. B. der Begriff der „Notwendigkeit einer Leistung“, einer Leistung, die das Maß des „Erforderlichen“ nicht überschreiten darf und/oder einer Leistung, die sich dem Gebot der „Wirtschaftlichkeit“ nachordnen soll (§ 12 SGB V). Für die Gesetzliche Krankenversicherung in der Bundesrepublik gilt in der Regel, dass das Maß des Notwendigen jeweils durch den als allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft bestimmt wird, also alle nach dem konsentierten Stand der Wissenschaft möglichen Leistungen auch verfügbar sein müssen.

1. 3. 4 Evaluation

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Die Vereinbarung Ve von Versicherungs- wie von Versorgungszielen ist nur sinnhaft, wenn die Ergebnisse auch systematisch, unabhängig und öffentlich nachvollziehbar überprüft, bewertet und im Falle von Verstößen sanktioniert werden. Die möglichst systematische Evaluation von Gesundheitsdienstleistungen sollte regelhaft träger- und erbringerübergreifend erfolgen und als eine spezifische Aufgabe des Managements neutral gegenüber Wettbewerbsinteressen etabliert sein.

Die Evaluation von Angeboten, Verträgen und Leistungen als einheitlicher Prozess schließt aus der Nutzersicht immer die Versicherungsleistungen und die Versorgungsleistungen ein. Es ist deshalb problematisch, wenn in wettbewerblich organisierten Versorgungssystemen mit tendenziell freien Gestaltungsmöglichkeiten für vertragliche Vereinbarungen solche Evaluationen nur Teil innerinstitutioneller betrieblicher Organisation sind oder die Evaluation selbst nur Teil der Beziehungsgestaltung zwischen den Akteuren ist. Solche Evaluationen bedürfen geeigneter unabhängiger Institutionen, die für den Geltungsbereich der jeweiligen sozialrechtlichen Vorschriften solche Evaluationen nach geregelten Verfahren, wettbewerbsneutral, nachvollziehbar und praktikabel durchführen. Solche Regeln würden für die jeweils spezifischen Rahmenbedingungen der Vorsorgesysteme (selbstverwaltend, öffentlich-rechtlich, gemeinnützig oder privatrechtlich) speziell anzupassen bzw. auszulegen sein. Ein besonderes Problem ist die Bewertung von Versicherungs- und Versorgungsleistungen hinsichtlich der Zurechenbarkeit der Ergebnisse zu einzelnen Akteuren. Versicherte sind, beginnend mit der individuellen Entscheidung über eine Inanspruchnahme von Leistungen

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bis zum Endergebnis der jeweils zugänglichen

des Mitwirkungsbedarfs der Betroffenen und

Dienstleistungen nicht nur passiver Leistungsempfänger. Sie sind in vielfältiger Weise sehr oft auch maßgebliche Koakteure der Ergebnisse, verfügen jedoch für diese Mitwirkung über individuell sehr unterschiedliche Motivationen und Ressourcen. Entsprechend sind Evaluationen eher weniger für die Bewertung von zurechenbaren Ergebnissen zu einzelnen Dienstleistern sinnvoll nutzbar, als für eine fortlaufende Diskussion über die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an den Dienstleistungsprozess insgesamt.

ihrer Umwelt in ihrer Wirksamkeit oft maßgeblich von der Koordination aller Leistungen abhängig und können dementsprechend eine aufwendige Managementaufgabe sein. Es ist dann das übergeordnete Ziel, die Teilhabe (Partizipation) am gesellschaftlichen Leben möglichst uneingeschränkt zu ermöglichen. Neben Maßnahmen der medizinischen und psychologischen Rehabilitation dienen hierzu insbesondere berufsbildende Maßnahmen, sozialer Support und die Unterstützung durch technische Hilfsmittel.

1. 4 Krankheitsfolgenmanagement

1. 5 Integration von medizinischem Versorgungs- und betriebswirtschaftlichem Management

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Krankheit und Behinderung können auch noch Krankh nach Abschluss einer medizinischen Versorgung zeitweilig oder dauerhaft zu weitreichenden psychischen, körperlichen oder sozialen Folgen führen. Das Management zur Unterstützung im Falle länger dauernder Krankheitsfolgen ist eine wichtige Aufgabe, da ein Selbstmanagement den Patienten oft erheblich überfordert. Das Krankheitsfolgenmanagement dient nicht allein der entsprechende Verluste ersetzenden Hilfe, sondern maßgeblich der Unterstützung bei der Wiedererlangung der Fähigkeit zur Eigenhilfe.

Dauerhafte oder auch nur zeitweilige psychische, physische oder soziale Krankheitsfolgen können weitaus gravierender sein als die auslösende Krankheit selbst. Unter solchen Umständen ist dann das Management zur Beseitigung oder Begrenzung solcher Krankheitsfolgen (Rehabilitation) oder zur Kompensation des eingetretenen Verlustes der Selbstständigkeit (Pflege) eine Dienstleistungsaufgabe, die über die medizinischen Interventionsleistungen deutlich hinausreicht. Leistungen zur Bewältigung von Krankheitsfolgen sind hinsichtlich der Vielfalt der Leistungen, der beteiligten Kostenträger und

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Das Ma Management von Gesundheitsdienstleistungen ist in wachsendem Maße eine Integrationsaufgabe von Teilprozessen, wie z. B. der direkten medizinischen Versorgung, nachfolgender Rehabilitation und Krankenpflege, der Ausgestaltung betriebswirtschaftlicher Prozesse, der Personalentwicklung oder der Profilierung der Leistungsangebote. Die erfolgreiche Verflechtung von medizinischen und betriebswirtschaftlichen Prozessen wirkt unmittelbar auf die Patientenversorgung zurück.

Die Integration von medizinischen und betriebswirtschaftlichen Managementkonzepten ist vor dem Hintergrund mehrerer Entwicklungen von z. T. erheblicher Folge für die Zukunft der Gesundheitsdienstleistungen. Diese Entwicklungen betreffen weltweit u. a.:

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die Fall- und Produktpauschalierung von Dienstleistungen, die prospektive versichertenbezogene Pauschalierung von Vergütungen (capitation, prospective payment systems),


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