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1 Arzt – Patient – Werbung Werbung im eigentlichen Sinne ist etwas Alltägliches, dem man sich kaum mehr entziehen kann. In sämtlichen Medien wird ein erheblicher Teil der Präsentation der Werbung zur Verfügung gestellt, um Kunden1 für Produkte zu interessieren. So ist es zwischenzeitlich selbstverständlich, dass Hersteller von Waren aller Art versuchen, durch Trailer, Zeitungsannoncen oder möglichst einprägsame Schlagworte das Interesse der fokussierten Zielgruppe zu wecken. Im Hinblick auf die finanziellen Interessen, die sowohl der Werbende mit seiner Aktivität verbindet, als auch auf das Medium, das einen Großteil seiner Einnahmen durch den Verkauf von Werbung erzielt, ist die Omnipräsenz der Werbung nicht weiter verwunderlich und ist die Normalität. Es ist daher nur konsequent, dass man zwischenzeitlich von Werbewirtschaft spricht. Umso mehr überrascht es auf den ersten Blick, dass speziell die medizinischen Dienstleister bislang nur mit größter Zurückhaltung Werbung für ihr „Angebot“ betreiben. Es mutet nach wie vor ungewöhnlich an, wenn vereinzelt Werbespots für Informationstage von Kliniken aus dem Radio erklingen oder man vom behandelnden Arzt eine Einladung für eine Vernissage in den Praxisräumen erhält.

1.1 Das Arzt-Patienten-Verhältnis Die Scheu, mit der man allgemein wohl auf klassische Werbung des Arztes reagiert, mag darauf beruhen, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis besonders und daher nicht mit der normalen Geschäftsbeziehung zwischen Auftragnehmer und Kunden zu vergleichen ist.

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im folgenden Text die maskuline Form angegeben. Diese Schreibart schließt die feminine Form mit ein.

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1 Arzt – Patient – Werbung

Der Einfluss des Arztes auf das Leben seiner Patienten ist außergewöhnlich. Denn die ärztliche Tätigkeit berührt nahezu alle Lebensabschnitte eines Menschen. Vereinzelt fängt die Einflussnahme des Arztes schon vor dem Beginn des Lebens an, nämlich vor der Zeugung eines Kindes mit der genetischen Beratung.2 Die Beziehung zwischen Arzt und Patient wird nicht durch ein Produkt, das verkauft werden soll, geprägt, sondern vielmehr durch Fürsorge, Vertrauen und Verständnis. Es handelt sich um eine der elementarsten menschlichen Beziehungen, die wie nahezu keine andere von Intimität und Komplexität beherrscht wird. Der Patient begibt sich hilfesuchend zu einem Arzt, von dem er Heilung seines Leidens, zumindest Linderung, erhofft; er vertraut ihm seine intimsten Angelegenheiten und seine wichtigsten Rechtsgüter, seine Gesundheit und sein Leben, an. Auch wenn man daher bei der Arzt-Patienten-Beziehung von einer Partnerschaft sprechen kann und muss, denn beide benötigen den jeweils anderen, um die wechselseitigen Ziele zu erreichen, so ist dies eine ungleiche und höchst sensible Partnerschaft.3 Die in diesem Verhältnis bestehende Asymmetrie zeigt sich darin, dass Hinfälligkeit, existenzielle Betroffenheit, manchmal Scham, Angst und schüchterne Befangenheit, meistens Unwissenheit und Hilflosigkeit des Patienten der fachlichen Kompetenz, dem Sachverstand, Macht und Autorität des Arztes beziehungsweise der ärztlichen Einrichtung gegenüber stehen.4 Dieses bestehende Gefälle zwischen Arzt und Patient wird bereits durch die Begrifflichkeiten deutlich. Das Wort „Patient“ leitet sich aus dem lateinischen „patiens“ duldend, leidend und dem griechischen „pathos“ Leiden, Unglück her.5 Die Bezeichnung „Arzt“ leitet sich hingegen aus dem spätlateinischen „archiater“ und dem griechischen „archiatros“ Oberheilkundiger ab.6 Es erscheint daher auf den ersten Blick unerträglich, wollte man diese sensible Beziehung zwischen Arzt und Patient dadurch stören, dass die eine Seite für die angebotenen Leistungen in marktschreierischer Art und Weise versucht, Aufmerksamkeit zu erregen. Andererseits nimmt gerade in jüngster Zeit auch die Berichterstattung über vermeintlich fehlerhafte Behandlungen durch Ärzte oder medizinisches Personal in den Medien (insbesondere im Fernsehen) zu. Immer häufiger diskutieren Laien über die Qualität der medizinischen Versorgung, wobei die Art und Häufigkeit der Berichterstattung dazu beiträgt, dass die Anzahl von Behandlungsfehlern überschätzt wird. In Versicherungskreisen wird daher schon von einer „Krise der Arzthaftung“ gesprochen.7 Dies ist sicherlich übertrie-

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Müller (2004): Gesundheitsrecht (GesR) 3. Jahrgang, 257. Francke (1994): S. 24. Katzenmeier (2002): S. 5. Katzenmeier (2002): am angegebenen Ort (a. a. O.). Brockhaus: (1996): 2. Band, S. 179. Krumpaszky: Versicherungsrecht (VersR) 48. Jahrgang, 420.


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1.1 Das Arzt-Patienten-Verhältnis

ben, sind wir doch trotz aller negativen Prognosen noch weit von amerikanischen Verhältnissen entfernt. Im Vergleich zu manchen Staaten in den United States of America (USA), wo fast jeder fünfte Arzt jährlich einem Behandlungsfehlervorwurf ausgesetzt ist, sind deutsche Ärzte in erheblich geringerem Ausmaße betroffen.8 Auch wenn das Problembewusstsein der Patienten sicher zunimmt, so kann von einer Inflation der Arzthaftungsprozesse (noch) nicht gesprochen werden.

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So war waren im Jahr 1990 etwa 7 % aller Ärzte in Deutschland dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers ausgesetzt. 9 Behan

Die statistische Auswertung der Schadensmeldungen durch die DBV-Winterthur-Versicherung ergab für 2005 sogar nur eine Zahl von 3,75 %. Da immerhin 122.000 Versicherte ausgewertet wurden, ist diese Zahl repräsentativ, so dass rein prozentual gesehen die Zahl der Haftungsfälle eher rückläufig ist10 Fest steht, dass die veränderte mediale Präsenz des „Heilens“ zu einer starken Erwartungshaltung geführt hat, die oft das Übermenschliche fordert und im Falle des Misserfolges eine entsprechend große Enttäuschung hervorruft.11 Die Medienberichte über Fälle vermeintlicher Behandlungsfehler haben aber natürlich auch dazu geführt, dass sich der Patient von seiner Rolle als passiver Bittsteller entfernt hat und nunmehr sein Selbstverständnis als Kunde, der eine einwandfreie Leistung erwartet, ausweitet.12 Je mehr der Patient aber den Eindruck von dem ihn behandelnden Arzt als „Halbgott in Weiß“ verliert, desto deutlicher wächst seine Erkenntnis, dass ein Arzt eben auch nicht mehr ist als ein fehlbarer Mensch. Die Medienlandschaft hat das Übrige dazu getan, dass sich der Patient gewissermaßen emanzipiert. Ob die Erkenntnis der Fehlbarkeit des ärztlichen Berufsstandes dem kranken, hilfesuchenden und Heilung erhoffenden Menschen in seiner Situation nützlich ist, darf bezweifelt werden; denn wer wünscht sich nicht im Bewusstsein einer (schweren) Erkrankung, dass er unbedingte Hilfe erhält. Aus diesem dringenden Wunsch heraus, geheilt zu werden, resultiert ein vielleicht irrationaler Vertrauensvorschuss für den Arzt, der aber dann wiederum erst die Heilung bedingt. Es ist eine Tatsache, dass so genannte Placebos helfen, wenn man nur fest genug daran glaubt.13 Woran aber soll man glauben, wenn einem das bedingungslose Vertrauen zu dem Menschen fehlt, dem man sich anvertraut und in gewisser Weise auch ausgeliefert hat?

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Krumpaszky: a. a. O. Krumpaszky: a. a. O. Weidinger (2006): Medizinrecht (MedR) 24. Jahrgang, 573. Troschke (2003): Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW) 128. Jahrgang, 2610. Oftmals beginnt dieser Wandel des Selbstbewusstseins sicher erst nach der Behandlung. Blech (2007): Der Spiegel 61. Jahrgang, 136.

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Die wohl wichtigste Säule der Arzt-Patienten-Beziehung, das Vertrauen, gerät durch eine immer bedingungslosere und realistischere Berichterstattung über das ärztliche Handeln, insbesondere mögliche Misserfolge desselben, ins Wanken. Die ethische Basis allen ärztlichen Handelns, der hippokratische Eid gerät dabei insbesondere im Bewusstsein des Patienten immer mehr ins Hintertreffen.

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Der hippokratische Eid lautet D Ic Ich schwöre, Apollon den Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen aufrufend, dass ich nach bestem Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Verpflichtung erfüllen werde; den, der mich diese Kunst lehrte, meinen Eltern gleich zu achten, mit ihm den Lebensunterhalt zu teilen und ihn, wenn er Not leidet, mitzuversorgen; seine Nachkommen meinen Brüdern gleichzustellen und, wenn sie es wünschen, sie diese Kunst zu lehren ohne Entgelt und ohne Vertrag; Ratschlag und Vorlesung und alle übrige Belehrung meinen und meines Lehrers Söhnen mitzuteilen, wie auch den Schülern, die nach ärztlichem Brauch durch den Vertrag gebunden und durch den Eid verpflichtet sind, sonst aber niemandem. Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht. Ich werde niemandem, auch nicht auf eine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten. Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben. Heilig und rein werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. Auch werde ich den Blasenstein nicht operieren, sondern es denen überlassen, deren Gewerbe dies ist. Welche Häuser ich betreten werde, ich will zu Nutz und Frommen der Kranken eintreten, mich enthalten jedes willkürlichen Unrechtes und jeder anderen Schädigung, auch aller Werke der Wolllust an den Leibern von Frauen und Männern, Freien und Sklaven. Was ich bei der Behandlung sehe oder höre oder auch außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, werde ich, soweit man es nicht ausplaudern darf, verschweigen und solches als Geheimnis betrachten. Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht verletze, möge mir im Leben und in der Kunst Erfolg zuteil werden und Ruhm bei allen Menschen bis in ewige Zeiten; wenn ich ihn übertrete und meineidig werde, das Gegenteil. (Hippokrates circa 460–370 v. Chr.).

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1.1 Das Arzt-Patienten-Verhältnis

Letztlich darf nicht vergessen werden, dass das Vertrauen wohl das einzige Mittel ist, um das bestehende Gefälle zwischen Arzt und Patient zu überbrücken.14 Fehlt es an Vertrauen, so verschiebt sich das ohnehin bestehende Ungleichgewicht noch mehr zum Nachteil des Patienten. Denn beide Parteien begegnen sich zunächst auf der Ebene des Vertrauens. Die Medienlandschaft und die Sensationsgier mögen dazu beitragen, dass von der Einschätzung Karl Jaspers, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patient der Idee nach der Umgang zweier vernünftiger Menschen ist, wobei der Wissenschaftlich-Sachkundige dem Kranken hilft, oftmals nicht mehr viel übrig ist als nur noch die Idee.15 Es drängt sich der Verdacht auf, dass Laufs Recht hat, wenn er eine gewandelte Einstellung der zunehmend anspruchsvollen und technikgläubigen Patienten dafür verantwortlich macht, dass die Bereitschaft des heutigen Patienten verloren geht, zwischen Unrecht und Unglück, zwischen Schuld und Schicksal zu differenzieren und dass das Schicksal inzwischen als einklagbarer Rechtsanspruch angesehen wird. 16 Klar ist jedenfalls, dass das oftmals bedingungslose Grundvertrauen des Patienten verloren gegangen ist. Das eingangs erwähnte Unbehagen, mit dem man einer allzu reißerischen Werbung eines Arztes für seine Dienstleistungen begegnen mag, wird durch die vorstehenden Überlegungen sicherlich etwas abgeschwächt. Man kann vielmehr sogar von einer Notwendigkeit der sachlichen Information über das Leistungsspektrum der medizinischen Heilberufe ausgehen. Es bedarf zwingend eines Gegenpols zur Berichterstattung in den Medien über ärztliche Misserfolge. Darin werden mit nahezu schonungsloser Härte Einzelfälle herangezogen, um lauthals einen ganzen Berufsstand anzuprangern. Oftmals gelingt es nur mittels erheblichem juristischen Druck, die Anonymität des betroffenen Arztes zu sichern. Es ist daher auch im Interesse der Waffengleichheit geboten, dass die medizinischen Leistungserbringer nicht nur im Eigeninteresse in sachlicher Art und Weise auf das Leistungsspektrum, auf die Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft und letztlich auch auf die jeweilige Qualifikation hinweisen. Die bestehende äußerst sensible Beziehung zwischen Arzt und Patient scheint angesichts der bestehenden Schieflage durchaus ein wenig Unterstützung durch sachliche Information zu benötigen. Denn sofern der Patient um Information nachfragt und diese in objektiver, inhaltlich richtiger Form ohne jede Übertreibung erhält, wirkt sich das positiv auf das Arzt-Patienten-Verhältnis aus.17

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Katzenmeier (2002): S. 9. Jaspers (1967): S. 111. Laufs (2002): S. 998. In: Laufs/Uhlenbruck Herausgeber (Hrsg.). So auch Jäger (2003): MedR, 21. Jahrgang, 264.

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1 Arzt – Patient – Werbung

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Ei Missverhältnis oder gar ein Widerspruch zum Berufsethos und dem EEin zwischen Arzt und Patienten notwendigen Vertrauen kann durch die zw Werbung des Arztes nicht hergeleitet werden. Vielmehr ist Werbung im Sinne einer sachlichen Information ethisch wünschenswert.18

Insbesondere, da der Patient sich zunehmend selbstbewusster gegenüber dem behandelnden Arzt beziehungsweise der Einrichtung geriert, sollte sein umfassendes Selbstbestimmungsrecht anerkannt und ihm eine eigenständige Entscheidung über seine Gesundheit ermöglicht werden.19

1.2 Der Begriff der Werbung Die vorstehenden Ausführungen zum schlichten Informationsbedürfnis des Patienten durch Werbung mögen relativiert werden, wenn man den Begriff der Werbung im klassischen Sinne betrachtet. Werbung leitet sich aus dem althochdeutschen „hwerban“ sich drehen, sich umtun oder sich bemühen ab. Erst im 20. Jahrhundert wurde der Begriff der Werbung auch im Sinne des „Kunden werben“ gebraucht, wohingegen früher Werbung meist im romantischen Sinne „um eine Frau werben“ oder aber auch im militärischen Sinne „zum Militärdienst anwerben“ verstanden wurde.20 Man versteht daher heute unter Werbung im allgemeinen Sprachgebrauch jede Darbietung von Botschaften mit dem Ziel, Einstellungen und Handlungen der Adressaten zum Vorteil des Werbetreibenden zu steuern.21 Vergegenwärtigt man sich dann noch, dass Werbung zwischenzeitlich mit Reklame gleichgesetzt wird und insbesondere im Zusammenhang mit politischen Parteien auch der Begriff der Propaganda nicht selten ist, so zweifelt man ein wenig, ob diese Art der Werbung der Heilberufe tatsächlich erstrebenswert ist. Die Hoffnung, dass beispielsweise das ärztliche Standesrecht hier einen anderen hehreren Werbebegriff kennt und somit für Klarheit sorgt, muss im Keim erstickt werden.

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Ei Legaldefinition der Werbung im medizinrechtlichen Sinne gibt es EEine ni nicht.

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Tscheulin/Helmig (1996): Krankenhausumschau (KU), 714. Ehlers (1999): Das Bild des Arztes in der Öffentlichkeit, S. 540. In: Ahrens (Hrsg.) FS für Erwin Deutsch. Brockhaus (1996): 24. Band, S. 73. Brockhaus, a. a. O.


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1.2 Der Begriff der Werbung

Die Musterberufsordnung der Ärzte (MBO) befasst sich zwar in einem nicht unerheblichen Umfang mit der Frage der berufswidrigen Werbung, eine Definition des Begriffes Werbung lässt sie aber nach wie vor vermissen.22 Man muss sich also auf die Suche begeben, um möglichst tragende Definitionen für den berufsrechtlichen Werbebegriff zu finden. Rieger ist dahingehend zuzustimmen, dass die betriebswirtschaftliche Unterscheidung zwischen Public relations und Werbung für die rechtliche Würdigung des ärztlichen Verhaltens untauglich ist.23 Die Wirtschaftswissenschaften verstehen Werbung letztlich als Kommunikationsprozess und Beeinflussungsvorgang, die auf eine Veränderung des beobachtbaren Verhaltens gerichtet sind und den Versuch darstellen, etwas zu erreichen.24 Wenn man sich aufmacht, die Judikatur nach einem einheitlichen Werbebegriff zu durchsuchen, so stellt man schnell fest, dass hier abgesehen von einer gewissen Grundaussage unterschiedliche Begrifflichkeiten vorherrschen. So definiert etwa der Bundesgerichtshof (BGH) Werbung allgemein als Verhalten, das darauf gerichtet ist, andere dafür zu gewinnen, die Leistungen des Beworbenen in Anspruch zu nehmen.25 Demgegenüber sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Werbung als Möglichkeit für die Bürger, sich über die ihnen angebotenen Dienstleistungen und Waren zu informieren.26 Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Münster soll Werbung jede Tätigkeit sein, die dazu bestimmt ist, bei den Angesprochenen einen Mangel an Bereitschaft zu überwinden. Dabei kommt es darauf an, Vertrauen zu erwecken und gleichzeitig zu imponieren, um den Umworbenen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen.27

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Un Werbung im Sinne des ärztlichen Berufsrechtes versteht man Unter U am ehesten jede Handlung zu Zwecken des Wettbewerbes, die den Absatz von Waren oder Dienstleistungen fördern soll.28

Ein einheitlicher Werbebegriff wäre umso wünschenswerter, als eine strikte Trennung zur stets zulässigen sachlichen Information geboten erscheint. Wenn aber bereits unklar ist, wo der Begriff der Werbung im berufsrechtlichen Sinne beginnt, so ist eine Abgrenzung zur zulässigen und sachlichen Information nahezu unmöglich. Dies mag auch Ursache dafür sein, dass die Recht22 23 24 25 26 27 28

Heberer (2001): S. 361. Rieger (2007): Ziffer 5530, S. 2 in: Rieger (Hrsg.). Behrens (1996): S. 2. BGH (2001): Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 54. Jahrgang, 2887. EGMR (2003): NJW 56. Jahrgang, 498. OVG Münster (1970): NJW 23. Jahrgang, 535. Rieger (2007): Ziffer 5530, S. 3 in: Rieger (Hrsg.).

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sprechung zur Frage der berufswidrigen beziehungsweise zulässigen Arztwerbung äußerst umfangreich ist.

1.3 Werbung als Marketinginstrument der medizinischen Dienstleister Unabhängig davon, dass der bereits geschilderten Verunsicherung der Patienten durch eine gezielte Information entgegengewirkt werden kann, muss aus heutiger Sicht der Arzt Werbung als klassisches Marketinginstrument heranziehen dürfen. Dies umso mehr, als sich die ärztliche Tätigkeit nach wie vor einer nicht unerheblichen Zuwachsrate erfreut.

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So stie stieg die Gesamtzahl der bei den Landesärztekammern (LÄK) gemeldeten Ärztinnen und Ärzte von 273.875 im Jahr 1996 auf insgesamt 307.577 im Jahr Ärztin Ärztinn 2005. Dies bedeutet eine Zuwachsrate der letzten neun Jahre um immerhin 11 %.29

Jenseits der anwachsenden Konkurrenz, die sich, will man entsprechenden Prognosen Glauben schenken, in den nächsten Jahren egalisiert, hat sich zudem die Versorgungslandschaft der medizinischen Heilberufe verändert. So wurden durch das Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz (GMG) im Jahre 2004 die medizinischen Versorgungszentren neu etabliert, was nach dem Willen des Gesetzgebers für mehr Wettbewerb in den verschiedenen Versorgungsformen sorgen soll. 30 Auch im Krankenhaus halten seit Jahren neue Leistungsbereiche und ambulante Behandlungsmöglichkeiten Einzug. 31 Es entwickelt sich also zunehmend eine neue Struktur, die durch die Vielfältigkeit der Versorgungsformen dazu beiträgt, dass eine neue Medizinkultur entsteht.32 Aber auch die Einführung neuer medizinischer Methoden und der sich daraus entwickelnde Trend zur Spezialisierung der ärztlichen Tätigkeit führen dazu, dass ein Außenauftritt und eine Darstellung des individuellen Leistungsspektrums notwendig wird.33 Die Tatsache, dass es neue Tätigkeitsfelder speziell für den ärztlichen Beruf gibt, bewirkt zudem einen größeren Konkurrenzdruck. Die Anerkennung des sogenannten verkürzten Versorgungsweges hat beispielsweise dafür gesorgt, dass Arztpraxen nicht nur ärztliche Unter-

29 Ärztestatistik 1996 www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.3.1667.1746.1748 und Ärztestatistik 2005 unter www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.3.1666.1671. 30 Schnapp (2004): Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) 13. Jahrgang, 450. 31 Einen Überblick hierzu liefern: Blum/Offermanns/Schilz (2005): Arzt und Krankenhaus 78. Jahrgang, 84. 32 Schulz-Nieswandt (2004): Die Krankenversicherung (KrV) 56. Jahrgang, 253. 33 Schwerin (2001): NJW 54. Jahrgang, 1770.

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1.3 Werbung als Marketinginstrument der medizinischen Dienstleister

suchung und Behandlung, sondern auch Gesundheitsprodukte anbieten und Dienstleistungen erbringen.34 Aber auch die Ausweitung des Erwartungshorizontes des Patienten weg vom schlichten Heilen und Lindern der Not, hin zur Veränderung seines Erscheinungsbildes, trägt sein Übriges zur Steigerung des Konkurrenzdruckes bei.

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So hat sich nach offiziellen Angaben die Anzahl der schönheitschirurgischen Eingriffe von 109.000 im Jahr 1990 auf 660.000 im Jahr 2002 erhöht.35 Im Jahr Eingri Eingrif 2005 wurde erstmals die Grenze von 1 Million ästhetisch-chirurgischen Eingriffen durchbrochen.36

Nicht nur dieser „Markt“ ist daher heiß umkämpft. Ganz allgemein kann konstatiert werden, dass der Patient sich von einem volkswirtschaftlich nachteiligen Faktor hin zu einer volkswirtschaftlich positiven Größe entwickelt hat.37 Die veränderte Landschaft im Gesundheitswesen bedingt also, dass tatsächlich ein Wettbewerb unter den Versorgungsträgern eingetreten ist. Dieser Wettbewerb ist einer der wesentlichen Faktoren der zukünftigen strategischen Ausrichtung im Sinne des Marketings.38 Aber auch der Informationsanspruch des Patienten, der sich immer mehr um die Auswahl der „richtigen“ Praxis und des „richtigen“ Krankenhauses Gedanken macht, führt dazu, dass die Werbung der medizinischen Leistungserbringer kein Schattendasein mehr führen kann.39 Dem bestehenden Konkurrenzdruck und dem Informationsanspruch des Patienten muss mit Marketingmaßnahmen begegnet werden.

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So informieren info sich etwa 80 % aller Berufstätigen zwischen 16 und 63 Jahre über GGesundheitsthemen. 20 % hiervon recherchieren auch im Internet. 40

Es ist daher notwendig, dass Ärzte und Krankenhäuser intensiver mit den Patienten kommunizieren. Selbstverständlich ist damit nicht nur das persönliche Gespräch im eigentlichen Sinne gemeint, sondern sämtliche Medien, über die die Leistungserbringer und der Patient in Kontakt treten können.41 34 35 36 37 38 39 40 41

Buchner/König (2005): Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht (ZMGR) 2005, 337. Zylka-Menhorn (2004): Deutsches Ärzteblatt (DÄBl) 101. Jahrgang, A 2734. Ohne Verfasser (O. V.) (2007): My Magazin, 16. Unschuld (2006): DÄBl 103. Jahrgang, A 1136. Weimer (2005): Pflege- und Krankenhausrecht (PKR), 75. Ratzel (2005): ZMGR 2005, 251. Elste/Diepgen (2002): DÄBl 99. Jahrgang, A 488. Elste/Lutz/Diepgen (2004): DÄBl 101. Jahrgang, 3.

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Praxistipp Die „Mund-zu-Mund-Propaganda“ hat als zufälliges Marketinginstrument, das zudem schwer zu steuern ist, ausgedient.42 Obwohl es offensichtlich erforderlich ist, mit dem Patienten zu kommunizieren, was selbstverständlich auch Werbung einschließt, ist es unerklärlich, dass viele Ärzte immer noch die Auffassung vertreten, ihnen sei Werbung grundsätzlich untersagt.43 Berücksichtigt man, dass die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbes im Jahr 2003 1.600 Anfragen und Beschwerden zu beantworten hatte,44 so wird deutlich, dass die Thematik Werberecht im Bereich der medizinischen Versorgung zwischenzeitlich angekommen ist. Dabei ist zu beachten, dass die große Anzahl der entsprechenden Beschwerden allein die Inanspruchnahme der Wettbewerbszentrale widerspiegelt. „Normale“ Unterlassungsklagen und kollegiale Scharmützel ohne Inanspruchnahme der Wettbewerbszentrale oder der Gerichte sind in dieser Zahl nicht enthalten. Die Gesamtzahl aller wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen dürfte daher erheblich höher liegen, was verdeutlicht, dass eine relativ große Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Werbung besteht. Dies liegt auch daran, dass die einschlägigen Gesetze im Gesundheitswesen und im Werberecht nicht transparent sind, was nicht zuletzt an ihrer Anzahl und den stetigen Reformen derselben liegt. So kann man Kingreen nur zustimmen, wenn er ausführt, dass, wenn man den Zustand unseres Gesundheitswesens an der Anzahl der Gesetze messen würde, die es pflegen und umhegen, man nicht umhin käme, festzustellen, dass es sich bester Gesundheit erfreut.45 Auch wenn feststeht, dass die Gesundheit keine Ware im handelsüblichen Sinne ist,46 so ist festzustellen, dass das Gesetz des Marktes zwischenzeitlich auch im Gesundheitswesen Einzug gehalten hat.47

42 Tscheulin/Helmig (1995): S. 20. 43 Stebner (2006): http://www.aerztezeitung.de/docs/2006/11/22/210a1401.asp. 44 Zenrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (2004): Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP) 50. Jahrgang, 519. 45 Kingreen (2005): ZMGR, 164. 46 Beske (2004): DÄBl 101. Jahrgang, A 1066. 47 Kingreen (2005): a. a. O.

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2 Der Weg vom Werbeverbot zum Werberecht des Arztes Wie bereits dargestellt, befindet sich die Versorgungslandschaft der Heilberufe in einer Phase der Umstrukturierung. Das Verständnis von Medizin hat sich geändert. Sie wird nun nicht nur als Antwort für die Menschheit auf die Existenz gefährdende Bedrohung durch Krankheit und die stets gegenwärtige Gefahr des Todes verstanden, 1 das Moment der Dienstleistung hält immer stärker Einzug.

Praxistipp Das Selbstverständnis des Patienten hat sich zudem gewandelt, so dass er sich nicht mehr allein als Leidender, sondern auch als Kunde versteht.2 Obgleich dieses neue Verständnis des Patienten und die Forderungshaltung, die er gegenüber den Heilberufen entwickelt, sicherlich noch vereinzelt zu Unbehagen führt, hat sich das ärztliche Marketing bereits darauf eingestellt und ist im Umbruch.3 So sehr sich aber zwischenzeitlich das ärztliche Marketing und der Außenauftritt vereinzelt verändert haben, so wenig deutlich zeichnet sich eine einheitliche rechtliche Lage ab. Vielmehr bewegen sich viele Ärzte mit ihrem Außenauftritt in einer Grauzone, da die Art und Weise der zulässigen Werbung bis heute nicht eindeutig definiert ist.

1 Unschuld (2006): DÄBl 103. Jahrgang, A 1136. 2 Unschuld (2006): a. a. O. 3 Osterloh (2005): DÄBl 102. Jahrgang, 26.

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