1 Organisatorische Aspekte der Akutschmerztherapie Winfried Meißner
Organisatorische Aspekte der Durchführung von postoperativer Schmerztherapie werden oft vernachlässigt, sind jedoch eine unbedingte Voraussetzung zur sicheren und effektiven Durchführung dieser Therapiekonzepte. Sie umfassen strukturelle Elemente, Klärung der personellen Organisation, Verantwortungsteilung sowie prozedurale Aspekte wie Patienteninformation, Schmerzmessung und -dokumentation und Risikomanagement. An erster Stelle steht jedoch die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Ziele mit postoperativer Schmerztherapie erreicht werden sollen.
1.1 Ziele der postoperativen Schmerztherapie Primäres Ziel der postoperativen Schmerztherapie sollte nicht – wie häufig vermutet – eine möglichst starke Reduktion der Schmerzintensität sein. Dies hat verschiedene Gründe: Einerseits erfüllen akute Schmerzen häufig eine wichtige Warnfunktion. Andererseits hat die Fixierung auf
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Schmerzreduktion oft zur Folge, dass unerwünschte therapieassoziierte Effekte zu wenig berücksichtigt werden: So ist mit genügend hohen Opioiddosierungen fast immer Schmerzstärke Null erreichbar, aber um den Preis ausgedehnter Sedierung oder Übelkeit. Die postoperative Schmerztherapie ist daher niemals „Selbstzweck“, und ihr Erfolg sollte nie nur an der Reduktion von Werten auf einer Schmerzintensitätsskala gemessen werden. Vielmehr muss sie in den Kontext eines perioperativen Managements gestellt werden, das eine komplette und rasche Genesung, Vermeidung therapieassoziierter Komplikationen, Patientenzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit anstrebt.
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Di postoperative Schmerztherapie sollte dazu beitragen, dass DDie Patienten nach Operationen unter subjektivem Wohlbefinden so Pa schnell, vollständig und anhaltend wie möglich in ihre alltägliche Lebenssituation zurückkehren können. Entscheidend dafür sind geringe Schmerzen, frühe Ernährung und Mobilisierung sowie die Vermeidung perioperativer Komplikationen und Spätschäden.
1.2 Strukturvoraussetzungen Die postoperative Schmerztherapie sollte im Idealfall abteilungsübergreifend und so einheitlich wie möglich organisiert sein. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die Einrichtung einer Steuergruppe bewährt, die mit ausreichenden Kompetenzen ausgestattet und durch die Klinikleitung legitimiert ist. Diese Steuergruppe ist für die langfristige Planung, Evaluierung und Veränderung der Schmerztherapie
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1.2 Strukturvoraussetzungen
verantwortlich. Ihr sollten mindestens (fest benannte) Vertreter der Pflege, der Anästhesie und der chirurgischen Abteilungen angehören. Hilfreich ist auch – falls vorhanden – die Mitwirkung der Klinikapotheke, der Physiotherapie und der Qualitätssicherung. Eine Einbeziehung des Controllings ist bei der Diskussion ökonomischer Aspekte und KostenNutzen-Abwägungen hilfreich. Konkrete Aufgaben der Steuergruppe können u.a. in folgenden Punkten bestehen: Einbindung der Schmerztherapie in ein perioperatives
Gesamtkonzept Festlegung der Verantwortungsbereiche Wahl der Organisationsformen Erstellen von Therapie- und Überwachungsalgorithmen Komplikations- und Risikomanagement Durchführung von Schulungen Re-Evaluierung und Qualitätsverbesserung Kosten-Nutzen-Analysen
Wichtig ist, Schmerztherapiekonzepte nicht isoliert zu entwickeln, sondern in perioperative Behandlungskonzepte einzubinden. Eine exzellente Regionalanalgesie ist beispielsweise kontraproduktiv, wenn sie zwar zu Schmerzfreiheit, aber zu Immobilität durch „verkabelte“ Patienten oder Harnblasenkatheterpflicht führt! Eine frühe Rehabilitation kann nicht erreicht werden, wenn die analgetischen Konzepte nicht eng mit den (physiotherapeutischen) Mobilisierungsverfahren abgestimmt werden. Dafür eignen sich Patientenpfade, wie sie sich für „Fast Track“-Verfahren bewährt haben (s. Kap. 2.5).
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Das erarbeitete Gesamtkonzept sollte in schriftlicher Form zwischen allen Beteiligten und der Klinikleitung fixiert werden.
Übergeordnete Rahmenvereinbarungen zur Durchführung der perioperativen und posttraumatischen Schmerztherapie sollen zwischen den beteiligten Fachgebieten gemeinsam schriftlich getroffen werden. (AWMF-LL S. 89) Weitere strukturelle Aspekte umfassen – jeweils abhängig von den gewählten Behandlungskonzepten – die Bereitstellung von ggf. notwendigen Räumlichkeiten und personellen Ressourcen (z.B. für einen Akutschmerzdienst), die apparative Ausstattung (PCA-Pumpen, Monitoring), Überwachungsmöglichkeiten, die Infrastruktur zur Versorgung mit betäubungsmittelpflichtigen Analgetika, die Voraussetzungen für medizinische und Leistungsdokumentation.
1.3 Personelle Organisation Ein „Akutschmerzdienst“ (ASD) versorgt in der Regel Patienten mit kontinuierlichen Regionalanalgesieverfahren sowie PCA-Pumpen (komplexe Schmerztherapieverfahren) auf Normalstationen, dies sind in den meisten Krankenhäusern 15–25% aller operierten Patienten. Viele Autoren empfehlen die Einrichtung eines Akutschmerzdienstes als optimale Organisationsform der postoperativen Schmerztherapie.
Die Implementierung eines Akutschmerzdienstes wird empfohlen. (AWMF-LL S. 92) 4
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1.3 Personelle Organisation
Es wird jedoch oft vergessen, dass die ca. 80% der Patienten mit systemischer Schmerztherapie nicht direkt von einem ASD versorgt werden – und daher auch für diese Patienten eine adäquate Versorgung und Betreuung organisiert werden muss! Die Definition eines ASD variiert erheblich. Einige Autoren schlagen folgende Mindestkriterien vor, die ein ASD erfüllen muss: Ständige Erreichbarkeit Spezifische Qualifikation Vorhandensein von Therapiealgorithmen
Ein ASD kann auch durch speziell geschultes Pflegepersonal („Pain Nurse“) durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass ein erfahrener ärztlicher Mitarbeiter bei Fragestellungen, die eine ärztliche Entscheidung erfordern (Änderung der Therapie, V.a. Komplikationen) jederzeit hinzugezogen werden kann. Der Begriff Pain Nurse bezeichnet eine Pflegekraft, die eine (offiziell nirgendwo definierte) zusätzliche Qualifizierung (s. Kap. 1.4) absolviert hat und weitgehend selbstständig im Bereich der Akutschmerztherapie arbeitet. Die konkrete Organisation eines ASD hängt vor allem davon ab, welche schmerztherapeutischen Verfahren auf Normalstationen eingesetzt werden. Bei der Anwendung von kontinuierlichen rückenmarksnahen Verfahren sollten mindestens zwei Visiten/Tag durchgeführt werden, um die Folgen möglicher Komplikationen (vor allem epidurale Blutungen und Infektionen, s. Kap. 6.4) rechtzeitig erkennen und behandeln zu können. Bei peripheren Nervenblockaden reicht
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eine Visite/Tag aus. Zusätzliche Visiten müssen bei Bedarf jedoch innerhalb kurzer Zeit (10–15 Minuten) zu jeder Tagesund Nachtzeit möglich sein In der Praxis sollte zumindest innerhalb der Kernarbeitszeit ein ASD über Personal verfügen, das ausschließlich für diese Tätigkeit eingesetzt wird. Im Bereitschaftsdienst kann die ASD-Tätigkeit ggf. auch mit anderen Tätigkeiten (Aufwachraumdienst, Intensivstations- oder Kreißsaal-Hintergrund) kombiniert werden. Ein diensthabender Anästhesist, der stundenlang seinen OP nicht verlassen kann, kann jedoch keinen Akutschmerzdienst leisten! Der ASD und deren Mitarbeiter sollten nicht nur die unmittelbare Patientenversorgung verantworten, sondern auch die konzeptionelle Umsetzung der von der Steuergruppe oder entsprechenden Gremien beschlossenen Umsetzung der schmerztherapeutischen Gesamtplanung durchführen. Dies umfasst regelmäßig Schulungen aller Mitarbeiter, Dokumentation, Qualitätsmanagement und weitere Aspekte. Ferner bietet der ASD auch eine konsiliarische Betreuung für alle weiteren akuten (und bisweilen auch chronischen) schmerztherapeutischen Probleme an. Das so genannte „Mentorenmodell“ bezeichnet ein Konzept, in dem ausgewählte Pflegekräfte oder Stationsärzte der Normalstationen eine gewisse Qualifikation besitzen, z.B. durch den „Akutschmerzkurs“ der DGSS (s. Kap. 14.5) oder klinikinterne Weiterbildungen. Im Gegensatz zu den Mitarbeitern des ASD gehen sie jedoch weiter ihrer normalen Stationstätigkeit nach und dienen hier als erste Ansprechpartner für schmerztherapeutische Fragestellungen. Der Vorteil dieses Konzeptes liegt darin, dass schmerztherapeu-
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1.4 Qualifikation
tische Kenntnisse dadurch leicht in die Breite getragen und „Spezialistentum“ vermieden wird. Manche Krankenhäuser versuchen ihren Dienstplan so zu organisieren, dass in jeder Schicht immer ein ausgebildeter „Mentor“ Dienst hat und ggf. auch für andere Stationen erreichbar ist. Allerdings ist das Mentorenmodell in der Regel nicht ausreichend, um allein damit auch komplexe schmerztherapeutische Verfahren auf Normalstationen zu betreuen. Die „Minimalform“ eines Akutschmerz-Konzeptes besteht aus der Möglichkeit, bei Bedarf anästhesiologische Konsile anzufordern. Diese Betreuung bietet nahezu jede Klinik an. Hierbei kann jedoch nicht von einem Akutschmerzdienst gesprochen werden, und komplexe Schmerztherapieverfahren sollten damit nicht betreut werden (s. Tab. 1). Natürlich sind Mischformen dieser Versorgungsformen möglich und üblich, z.B. Vorhaltung eines ASD für Bereiche mit großen operativen Eingriffen mit komplexen Therapieverfahren, und ein Mentoren- und Konsiliarmodell für die restliche Klinik.
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Oh einen „echten“ Akutschmerzdienst sollten keine kontinuOhne O ierlichen Regionalanalgesieverfahren auf Normalstationen ie durchgeführt werden.
1.4 Qualifikation Es gibt bisher für den Bereich der postoperativen Schmerztherapie weder für Ärzte noch für Pflegekräfte eine offiziell an-
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Personal
Pflegekraft, Arzt; zusätzliche Qualifikation
Pflegekraft/Arzt im Stationsdienst; zusätzliche Qualifikation
Arzt
Akutschmerzdienst
Mentorenmodell
konsiliarische Betreuung
bei Bedarf
bei Bedarf
abhängig von Dienstplanung
konsiliarisch
reguläre Visiten
Schmerztherapeutische Patientenbetreuung
24/7
Erreichbarkeit
Organisationsmodelle der postoperativen Schmerztherapie
Bezeichnung
Tab. 1
systemische Schmerztherapie
systemische Schmerztherapie
Regionalanästhesie, PCA Pumpen
betreute Verfahren
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1.5 Verantwortlichkeit
erkannte zusätzliche Qualifikation. Die ärztliche Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ umfasst einen (relativ geringen) Anteil an theoretischen Kenntnissen im Akutschmerzbereich. Für Pflegekräfte gibt es verschiedene Institutionen, die Fort- und Weiterbildungen anbieten. Meist liegt der Schwerpunkt hier aber auf der chronischen, nicht der postoperativen Schmerztherapie. Das oben erwähnte „Mentorenmodell“ wird von vielen Kliniken durch interne Weiterbildungscurricula verwirklicht. Sehr empfehlenswert ist die Initiative „Akutschmerzkurs“ des AK Akutschmerz der DGSS (www.akutschmerzkurs.de), ein zweitägiger „Crashkurs“ mit 20 Unterrichtseinheiten für Pflegekräfte und Ärzte (s. Kap. 14.5).
1.5 Verantwortlichkeit Kaum ein Behandlungsprozess im Krankenhaus muss so viele Betreuungsphasen und Beteiligte integrieren wie die perioperative Schmerztherapie. Dadurch entstehen Schnittstellen zeitlicher (Anästhesieambulanz – Station – OP-Aufwachraum – Station) als auch personeller Art (Pflegekräfte – Chirurg – Anästhesist – Akutschmerzdienst). Eine der Hauptgründe für Behandlungsdefizite und Komplikationen in der postoperativen Schmerztherapie ist die fehlende Festlegung von Verantwortlichkeiten entlang dieser Schnittstellen. Typische Beispiele für problematische Schnittstellen sind:
Unklare Vorgehensweise hinsichtlich gerinnungshemmender Maßnahmen bei geplanten Regionalanästhesien
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Übergabe des Patienten vom Aufwachraum auf die Sta-
tion ohne ausreichende Information über die durchgeführte bzw. weiter geplante Schmerztherapie Parallele Durchführung von regionaler und systemischer
Schmerztherapie durch ASD und Normalstation Fehlende Festlegung der Überwachung von komplexen
Therapieverfahren zwischen Anästhesie und Normalstation Fehlende Absprachen über die Betreuung von Patienten
nach Durchführung rückenmarksnaher Verfahren, so dass Probleme wie z.B. epidurale Infektionen zu spät erkannt werden Für jeden Teil des schmerztherapeutischen Prozesses müssen daher klare Zuständigkeiten verabredet werden (s. Tab. 2). Dies kann durch die Erstellung so genannter Clinical Pathways erleichtert werden. In jedem Fall sollten die Vereinbarungen schriftlich fixiert werden. Es gibt von den Fachgesellschaften der Anästhesisten und Chirurgen publizierte „Rahmenvereinbarungen“, die als Vorlage für eine solche Vereinbarung dienen können (http:// www.dgai.de/06pdf/01_1_037-Chirurgie.pdf). Entscheidend ist jedoch weniger die Form, als vielmehr der Konsens aller beteiligten Fachrichtungen und Berufsgruppen.
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Ein schriftliche Festlegung der Verantwortlichkeiten ist zur EEine sicheren und effektiven Durchführung der Akutschmerztherapie sic unerlässlich.
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