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QualitÀtskultur Francesco De Meo und Ralf Kuhlen

Jeder Ă€ußert sich mittlerweile zur QualitĂ€t in der deutschen Krankenversorgung. Die meisten betonen, dass die deutsche Krankenversorgung im internationalen Vergleich einen hohen Standard aufweise. Einige bemĂ€ngeln die QualitĂ€t der Ärzte, andere die in der Pflege. Manche sehen in den Ärzten geldgetriebene Medizinhandwerker, andere beklagen die Kommerzialisierung aller medizinisch-pflegerischen Dienstleistungen auf einem zum Marktplatz verkommenen Gesundheitssektor, einige rufen gar den Pflegenotstand aus, hervorgerufen durch das DRG-System. Portale tummeln sich mittlerweile im Internet, alle dem Patienten verpflichtet propagieren sie Orientierung hin zu bester QualitĂ€t. Jeder bekennt sich zur QualitĂ€t, und hĂ€lt sich fĂŒr den Besten. Alles gut, mĂŒsste man also meinen. Die QualitĂ€t in der Medizin kommt in Deutschland voran. Die Patienten können sich beruhigt auf beste deutsche QualitĂ€t verlassen. Indes, nicht hinter allem was sich QualitĂ€t nennt, steckt auch wirklich QualitĂ€t. Gerade die Ärzte haben sich lange gegen eine QualitĂ€tsdiskussion grundsĂ€tzlich gewehrt. QualitĂ€t in der Medizin sei nicht messbar, hieß es. Medizin sei eine Kunst, mithin keine Frage der QualitĂ€t sondern eine Frage des ethischen Einsatzes im Sinne der

Patienten. Mit der Selbstverpflichtung der Ärzte im hippokratischen Eid sei dies gewĂ€hrleistet. Auch wenn diese stark idealisierte Sichtweise jedenfalls bei der ĂŒberwiegenden Mehrheit der deutschen Mediziner mittlerweile ĂŒberholt ist, wird im Detail weiterhin um alles gestritten. Darum was zu messen sei. Darum wie zu messen sei. Darum wer ĂŒberhaupt messen dĂŒrfe oder könne. Darum was mit den Ergebnissen zu machen sei. Zutreffend wird also von vielen Seiten bemĂ€ngelt, dass zu viel diskutiert und zu wenig getan wird. Dennoch wird diese Diskussion noch einige Zeit weiter im Nebel wabern. Ausgang noch unklar. Zumal Marketingprofis das Thema fĂŒr sich erkannt haben. Sie basteln betriebsam an QualitĂ€tsportalen, die Entscheidungshilfen liefern sollen – teils echte, teils vermeintliche, teils missverstĂ€ndliche und vielleicht dann auch gefĂ€hrliche. Sie zielen auf Patienten, Angehörige, Politiker, zuweisende Ärzte, sind fokussiert und dimensioniert nach echten oder vermeintlichen Interessengruppen, versprechen Orientierung und VerlĂ€sslichkeit, werben um Vertrauen. Wir werden endlich transparent, heißt es etwa. Eine Informationsflut wird losgetreten, Ă€hnlich der Flut in so manchen FernsehkanĂ€len. Jeder mag selbst einschĂ€tzen, wohin das am Ende fĂŒhrt.

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Außen vor bleibt bei dieser ganzen Diskussion und den „Portal-GrĂŒnderzeiten“ ein Aspekt, auf den es in der Sache aber eigentlich ankommt. Den Aspekt der QualitĂ€tskultur. QualitĂ€t in der Krankenversorgung ist keine Frage der Daten: Diese sind da, man mĂŒsste sie nur zusammenfĂŒhren. Sie ist auch keine Frage der Messbarkeit, solange man sich auf das praktisch fĂŒr die Patienten Machbare besinnt, statt an – intellektuell sicher spannenden – wissenschaftlichen TĂŒrmen zu bauen. QualitĂ€t in der Krankenversorgung ist eine Frage der Kultur. Dies mögen vier Erkenntnisse aus der Praxis etwas veranschaulichen.

1.1 QualitÀt ist eine gemeinsame Aufgabe Bei der Aufarbeitung von Behandlungsfehlern trifft man stereotypisch auf Abwehrreaktionen.

Am Behandlungsfehler sind dann fast immer die Anderen schuld: Bei der Patientenaufnahme wurde etwas nicht bedacht. Der Patient wurde von der AnĂ€sthesie nicht richtig vorbereitet. Der Chirurg hatte einen schlechten Tag. Die Schwestern haben die Tupfer nicht richtig gezĂ€hlt. Wenn wir gewusst hĂ€tten, dass dies und das vorliegt, dann hĂ€tten wir natĂŒrlich anders gehandelt. Es ist ja kein Wunder, dass so was passiert bei dem ganzen Kostendruck und der Sparwut der Verwaltung. Schuldzuweisungen machen auch vor Sektoren nicht halt. Der Patient wurde oder wird vom Hausarzt mit falschen Medikamenten behandelt. Rehabilitationskliniken und ambulante Dienste kĂŒmmern sich nicht richtig um ĂŒbergeleitete Patienten. Oft heißt es von dort, der Patient wurde im Krankenhaus schlecht operiert. Oder am Ende war es wieder mal das Schicksal – wo gehobelt wird, da fallen bekanntlich auch SpĂ€ne. Es handelt sich bei alledem um zutiefst menschliche Reaktionen.

QualitĂ€tskultur bedeutet, mit diesen bekannten Quali AusflĂŒchten offen um zu gehen. Allen in der Krankenversorgung TĂ€tigen muss deutlich ge-

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macht werden, dass QualitĂ€t eine gemeinsame Aufgabe ist. Egal wo ein Fehler gemacht wird, am Ende trifft es immer den Patienten. Dementsprechend hilft es nicht, das Thema mit Schuldzuweisungen zu erledigen, hiervon wird sich nichts Ă€ndern, und derselbe Fehler wird vermutlich wieder passieren. Vielmehr geht es darum festzustellen, wo im Gesamtablauf Fehler gemacht wurden und wie jeder einzelne in der – ggf. sektorĂŒbergreifenden – Versorgungskette diese kĂŒnftig vermeiden kann. Da ist es nicht nur legitim, sondern notwendig, dass man sich auch ĂŒber den eigenen Bereich hinaus einmischt. Wenn etwa auch die Pflegekraft den Arzt auf Fehler hinweist, etwa weil hygienische Vorschriften nicht beachtet oder Checklisten nicht umgesetzt werden. Genauso ist es legitim, wenn ein Arzt die Pflegekraft zu mehr Sorgfalt etwa bei der Lagerung eines Patienten anhĂ€lt. Fehler passieren nur, weil es im Krankenhausalltag zu hektisch geworden sei? Sei’s drum. Jedenfalls ist es eine gemeinsame Aufgabe – auch mit Einbindung der GeschĂ€ftsfĂŒhrung oder Verwaltung – ĂŒber eine VerĂ€nderung von AblĂ€ufen und Strukturen nachzudenken. Die Einweiser machen Fehler oder die Patienten kommen nach einer missglĂŒckten Weiterbehandlung wieder zurĂŒck? Anlass fĂŒr eine gemeinsame Schulung ĂŒber Sektoren hinweg!

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N wenn eine Kultur vorherrscht, bei der QualiNur tÀt als eine gemeinsame Aufgabe verstanden wird, geht es nicht mehr (nur) um Fehlerabgrenzung sondern um eine gemeinsame Problemlösung.

Dann lassen sich erkannte QualitĂ€tsdefizite fĂŒr die Zukunft im Interesse der Patienten beseitigen, ĂŒber Abteilungen, Fachgebiete und gar Sektorengrenzen hinweg. Die Frage wem ist das passiert ist in aller Regel zur QualitĂ€tsverbesserung deutlich weniger wichtig als die Fra-


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ge was ist eigentlich passiert, wie konnte das passieren und welche Vorkehrungen treffen wir, damit es morgen nicht mehr passiert. Und genau diese Kultur wird von oben herab vorgelebt und gestaltet: Nur wenn die Chefetage eines Hauses, einer Klinik, einer Abteilung das „Wie und Was“ zum ehrlichen, offenen und nachhaltigen Thema macht, ohne ĂŒber das „Wer“ individuelles Fehlverhalten aufzuspĂŒren und abzustrafen, wird eine solche Kultur Raum greifen können und helfen, Fehler in der Medizin zu verhindern.

1.2 QualitĂ€t braucht eine aktive Fehlerkultur Das AktionsbĂŒndnis Patientensicherheit hat im Jahr 2008 eine bemerkenswerte Aktion gestartet. Mit einer BroschĂŒre, in der sich Vertreter aus verschiedenen Berufsgruppen zu Fehlern aus ihrer (frĂŒheren) Berufspraxis bekannt haben. Es wurden keine wirklichen Fehler adressiert. Es gab keine aktiven Schlussfolgerungen. Immerhin aber ein Bekenntnis. Das Bekenntnis zu einer aktiveren Fehlerkultur. Wichtig an der Aktion war der Appell, sich zu Fehlern zu bekennen. Ein Versuch, den so lange gepflegten Nimbus der „Unfehlbarkeit“ zu beseitigen. Im internationalen Kontext muss dies recht stiefmĂŒtterlich anmuten. Andere sind da viel weiter. „Sorry works“ lautet die Devise. Ehrliche Fehlerkultur wird akzeptiert, sie schafft Vertrauen, und am Ende sogar weniger HaftpflichtfĂ€lle. So lautet die Botschaft. Was man indes ergĂ€nzend sagen sollte: Eine ehrliche und offene Fehlerkultur fĂŒhrt am Ende zu einer besseren QualitĂ€t. Nur wer offen ĂŒber Fehler spricht, wer seine Unsicherheit oder sein Unvermögen artikuliert, dem kann man helfen sich zu verbessern. Oder auch sich fĂŒr einen anderen Beruf zu entscheiden. Es gibt viele kleine tĂ€gliche Beispiele fĂŒr eine aktive Fehlerkultur: Wöchentliche oder monatliche MortalitĂ€ts- und MorbiditĂ€tskonferenzen. Diese unter Beteiligung aller

Berufsgruppen, vor allem auch der pflegenden Berufsgruppen, denn QualitĂ€t ist eine gemeinsame Aufgabe, selbst wenn es um Ă€rztliche Fehler geht! Ein Berichtswesen zu Beinahefehlern (CIRS), mittlerweile von vielen gefordert, teilweise schon vorgelebt. Durchaus lobenswert. Indes darf dabei die Diskussion ĂŒber die tatsĂ€chlich eingetretenen Fehler nicht zu kurz kommen. Denn gerade auf deren Aufbereitung, Aufarbeitung und Übersetzung in kĂŒnftig modifizierte OrganisationsablĂ€ufe kommt es an. Fehlerkultur bedeutet auch die klare Erkenntnis, dass Fehler weiterhin gemacht werden. Es gibt – leider – keine Unfehlbarkeit. Es ist aber auch keine – vermeintlich der Bewertung Dritter entzogene – Frage der Kunst(-fehler). Aus Fehlern lernen, lautet die Devise. Vom Besten lernen, lautet das Credo. Daher muss man sich zu den Fehlern bekennen. Und den gleichen Fehler fĂŒr die Zukunft vermeiden. Keinen Fehler zweimal machen, das ist die Botschaft. Aber auch eine klare Aussage:

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W aus Fehlern nicht lernt, der ist fehl am Platze. Wer Denn es wÀre auch ethisch nicht zu rechtfertigen, eine Fehlerunkultur zu Lasten der Patienten fortzusetzen oder gar zu verschleiern.

1.3 QualitĂ€t braucht Kontrolle im fairen Benchmark Ein Glaube mag manchmal Berge zu versetzen, in der RealitĂ€t schafft es indes nur eine nachhaltige Kontrolle, fehlerbehaftete Strukturen aufzudecken und zu verĂ€ndern. Allein das Propagieren von QualitĂ€tskultur, deren Umsetzung in einer aktiven Fehlerkultur, reicht also nicht aus. NatĂŒrlich sind die in der Krankenversorgung TĂ€tigen ethischen GrundsĂ€tzen verpflichtet. Und es gibt keinen, der dem Patienten bewusst und aktiv Schlechtes will. Dennoch unterscheidet alle dort TĂ€tigen eines vom FlugkapitĂ€n. Letzterer muss seinen eigenen Fehler auch

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selbst bĂŒĂŸen, in der Regel mit tödlichem Ausgang. In der Krankenversorgung trifft es den Patienten. SelbstverstĂ€ndlich leiden Ärzte und Pflegende unter begangenen Fehlern. Manche mögen sie verdrĂ€ngen können, der ganz ĂŒberwiegende Teil aber kommt nur schwer damit klar. Einige gehen daran zugrunde oder verlassen den Beruf. Dennoch bleibt es eine RealitĂ€t:

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DDer Fehler trifft den Patienten.

Zum Schutz der Patienten braucht es eine QualitĂ€tskultur. Sie hilft dabei, AuffĂ€lligkeiten zu entdecken. Sie gibt den in der Krankenversorgung TĂ€tigen eine Orientierung in der Frage, wo sie im „Benchmark“ mit anderen liegen. Sie gibt ihnen die Chance vom Besten zu lernen. Aus diesem Grund muss QualitĂ€tsmessung fair und transparent erfolgen. Äpfel mĂŒssen mit Äpfeln verglichen werden. Umgekehrt dĂŒrfen dann aber AusflĂŒchte ins Schicksalhafte keine Rolle mehr spielen. Die Zahlen stimmen nicht, heißt in der Regel der erste Einwand. Sie sind nicht vergleichbar, weil mein Patientengut viel „krĂ€nker“ ist als das anderer, geht es weiter. Außerdem muss ich immer wieder die Fehler der anderen ausmerzen und irgendwann schaffe ich das halt nicht mehr. Die Reihe der EinwĂ€nde, Rechtfertigungen, Entschuldigungen, zutiefst menschlicher Aus-

1.4 QualitĂ€t braucht kollegiale UnterstĂŒtzung Fehler passieren; indes sind nur manche „einfach“, sind deren Ursachen rasch evident. Meistens sind die Sachverhalte im medizinisch-pflegerischen Leistungsprozess sehr viel komplexer, ĂŒber Sektoren hinweg oftmals kaum ĂŒberschaubar. Fehler sind damit zwar oft im Ergebnis (leider) klar, deren Ursache und die AnsĂ€tze zur kĂŒnftigen Vermeidung ohne tiefere Sachverhalts- und Fachkenntnis nicht hinreichend verifizierbar. QualitĂ€t braucht daher kollegiale UnterstĂŒtzung. Die Aufarbeitung konkreter FĂ€lle mit AuffĂ€lligkeiten, gemeinsam mit anderen Fachkollegen. Dies in einem geordneten Regelrahmen von „Peer Reviews“. Ohne Wenn und Aber, ohne Tabus, ganz klar definiert als Hilfe, nicht als Tribunal. Nicht mit dem Ziel, die Leistung anderer anzuschwĂ€rzen. Wohl aber mit dem klaren Auftrag, erkennbare Fehler und deren Ursachen aufzudecken, sowie ganz konkrete AnsĂ€tze fĂŒr deren kĂŒnftige Vermeidung vorzuschlagen. Darum geht es bei Peer Reviews. Die VerbesserungsvorschlĂ€ge werden konkretisiert, die Umsetzung begleitet, die Ergebnisse werden schließlich in den monatlichen oder halbjĂ€hrlichen QualitĂ€tskennzahlen nachkontrolliert. Das Peer Review ist eine Art KĂŒr der QualitĂ€tskultur. Es rĂŒttelt im ersten Anschein an Grundfesten des Selbstver-

flĂŒchte ließe sich fort setzen. Sie zeigen eines: QualitĂ€t braucht Kontrolle und einen fairen Benchmark. Wenn die ValiditĂ€t der Datenbasis evident wird, wenn ĂŒber die Aussagekraft von QualitĂ€tsindikatoren ein Grundkonsens besteht, wenn schließlich aus der Rechtfertigungsdiskussion eine Fachdiskussion wird, dann beginnt ehrliche QualitĂ€tsarbeit. Die

stÀndnisses jedes Einzelnen. Es ist aber in Wahrheit nichts anderes als die Operationalisierung eines alten ethischen Grundsatzes in der Medizin:

QualitĂ€tskultur ist dann erreicht, wenn nicht mehr ĂŒber das „Ob und Wie“ einer QualitĂ€tskontrolle diskutiert wird, sondern direkt ein Weg gesucht wird, wie sich möglichst kurzfristig erkannte QualitĂ€tsdefizite beseitigen und kĂŒnftig vermeiden lassen.

Allein darauf kommt es an. Gerade in der Medizin. Die Mitglieder von IQM sind ĂŒberzeugt, dass medizinische QualitĂ€t sich valide messen lĂ€sst und – auch aus ethischen GrĂŒnden – objektiv manipulationsfest messen lassen muss. Quali-

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VVom Besseren lernen. Zum Vorteil des Patienten.


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1 QualitÀtskultur

tĂ€t ist bei IQM keine Frage des QualitĂ€tsmarketings. IQM ist daher auch ganz bewusst kein Klinikportal. FĂŒr IQM ist QualitĂ€t eine Frage ehrlich gelebter QualitĂ€tskultur. Bei IQM geht QualitĂ€t alle in der Krankenversorgung TĂ€tigen etwas an; sie ist berufsgruppen- und sektorenĂŒbergreifend. Das gemeinsame BemĂŒhen um QualitĂ€t zielt stets darauf ab, dass es zu einer konti-

in jeder TrĂ€gergruppe. Es gibt aber auch gute und weniger gute niedergelassene Ärzte. Es gibt ferner gute und weniger gute Alten- und Pflegeheime, Reha-Kliniken oder ambulante Dienstleister, egal von wem diese Institutionen getragen oder finanziert werden. QualitĂ€t ist eine Frage des ethischen Handelns jedes Einzelnen. Valide QualitĂ€tsmessung statt optionale Quali-

nuierlichen Verbesserung von organisatorischen AblÀufen/Prozessen und von Strukturen in der Krankenversorgung kommt. QualitÀt ist daher bei IQM auch keine Frage der TrÀgerschaft. Es gibt gute und weniger gute KrankenhÀuser

tĂ€tsverschleierung, solide QualitĂ€tsverbesserung statt eloquentes QualitĂ€tsmarketing, das befördert QualitĂ€tskultur. Es wĂ€re wĂŒnschenswert, dass dies in der QualitĂ€tsdiskussion viel stĂ€rker in den Vordergrund tritt.

Dr. Francesco De Meo 1984 bis 1988 Studium der Rechtswissenschaften an der UniversitĂ€t TĂŒbingen. 1993 Zweites Juristisches Staatsexamen, 1994 Promotion. 1992–1993 Rechtsanwalt bei einer Stuttgarter Kanzlei. 1994–2000 GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Unternehmensberatung Rauser AG in Reutlingen. 2000 Eintritt als Leiter Recht und Personal in die HELIOS Kliniken GmbH. 2001 GeschĂ€ftsfĂŒhrer fĂŒr Personal und Recht sowie Forschung und Wissenschaft bei HELIOS, Konzernarbeitsdirektor. Seit dem 1. Januar 2008 Vorsitzender der GeschĂ€ftsfĂŒhrung (CEO) der HELIOS Kliniken GmbH und Vorstandsmitglied der Fresenius SE. PrĂ€sident des Vorstandes der IQM Initiative QualitĂ€tsmedizin.

Prof. Dr. med. Ralf Kuhlen Nach dem Studium der Humanmedizin Facharztausbildung zum AnĂ€sthesisten und Intensivmediziner. Ab 1997 leitender Oberarzt der Klinik fĂŒr AnĂ€sthesie und Intensivmedizin an der UniversitĂ€tsklinik der RWTH Aachen, 2005 Übernahme der Leitung der Funktionsklinik fĂŒr interdisziplinĂ€re Intensivmedizin. Ab 2007 Leiter der Klinik fĂŒr Intensivmedizin am HELIOS Klinikum Berlin-Buch. Wissenschaftlicher Fokus in der Therapie des akuten Lungenversagens, der Organisation und AblĂ€ufe sowie der QualitĂ€tssicherung in der Intensivmedizin. Beteiligung als Autor und Herausgeber an einer Vielzahl von Originalarbeiten, Zeitschriften- und Buchreihen. Seit 2010 in der KonzerngeschĂ€ftsfĂŒhrung der HELIOS Kliniken GmbH verantwortlich fĂŒr das Ressort Medizin, einschließlich des gesamten Bereiches des QualitĂ€tsmanagements. Vorsitzender des IQM Fachausschusses Transparenz.

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Eine kurze Geschichte der Initiative QualitÀtsmedizin Francesco De Meo

Gute Geschichten sind spannend und kurz. Das gilt auch fĂŒr die Entstehung der Initiative QualitĂ€tsmedizin (IQM). IQM ist die logische FortfĂŒhrung einer Entwicklung, die vor knapp zehn Jahren begann. Ein

handele sich um den Marketinggag eines privaten TrĂ€gers. Die Diskussion wurde aufgeheizt durch Debatten um das FĂŒr und Wider von Krankenhausprivatisierungen in Deutschland. Nur wenige erkannten einen ethischen QualitĂ€tsansatz, der im deutschen Gesundheits-

privater KliniktrĂ€ger belebte damals in Deutschland die Diskussion um die Messbarkeit medizinischer QualitĂ€t. HELIOS positionierte sich zum Thema QualitĂ€tssicherung mit einigen Ideen, die manchen revolutionĂ€r erschienen, von anderen mĂŒde belĂ€chelt wurden. QualitĂ€t ist in der Medizin messbar und muss transparent gemacht werden, lautete das erste Credo.

markt die Diskussion ĂŒber medizinische QualitĂ€t zum Vorteil der Patienten prĂ€gen sollte. Diese wenigen haben recht behalten. Über die Jahre hinweg hat dieser QualitĂ€tsansatz zunĂ€chst vorsichtige Anerkennung, schließlich breite Akzeptanz erfahren. Es leuchtet heute allen ein, dass medizinische QualitĂ€t sich an Indikatoren messen lĂ€sst und – auch aus ethischen

Als Basis fĂŒr die QualitĂ€tsmessung können Routinedaten herangezogen werden, ergĂ€nzte das zweite Credo. QualitĂ€tssicherung braucht ein aktives QualitĂ€tsmanagement und dessen wesentlicher Baustein ist das Peer Review Verfahren, so das dritte Credo. Viele vermuteten, es

GrĂŒnden – objektiv manipulationsfest messen lassen muss. Es leuchtet den meisten ebenfalls ein, dass die BeschĂ€ftigung mit QualitĂ€t gerade dann lohnt, wenn dies am Ende nachweislich zu einer kontinuierlichen Verbesserung von organisatorischen AblĂ€ufen/Prozessen und von

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I IQM – Ziele, Methoden, Ergebnisse

Strukturen in den Kliniken fĂŒhrt. Allen ist klar, dass man dazu Transparenz braucht. Allen wird klarer, dass man diese Transparenz sogar unabhĂ€ngig von tradierten Sektorengrenzen schaffen muss. Es war also nur logisch konsequent, den QualitĂ€tsansatz von HELIOS ĂŒber die Grenzen der TrĂ€gergruppen hinweg auszuweiten und

besserung statt eloquentes QualitĂ€tsmarketing, das sind Grundpfeiler der gemeinsamen Überzeugung bei IQM. Der Mut zu bester QualitĂ€t in der Medizin verbindet, dieser Mut hat die unterschiedlichsten TrĂ€ger, die ansonsten in so vielen Themen im Wettstreit stehen, bei IQM zusammen gebracht: Die Anschubfinanzierung fĂŒr IQM wurde ĂŒber die gemeinnĂŒtzige Stif-

unter Einbindung der Expertise anderer TrĂ€gergruppen weiterzuentwickeln. QualitĂ€t ist keine Frage der TrĂ€gerschaft. Es gibt gute und weniger gute KrankenhĂ€user in jeder TrĂ€gergruppe. QualitĂ€t ist eine Frage der QualitĂ€ts- und Fehlerkultur. QualitĂ€t ist eine Frage des mutigen Handelns. In diesem Bestreben trafen sich namhafte Vertreter aller TrĂ€gergruppen im Herbst 2008 mit dem erklĂ€rten Mut zu handeln. Mit dem Ziel, in der ausufernden QualitĂ€tsdiskussion den Fokus auf weniger Diskussion und auf mehr praktische QualitĂ€tsverbesserung zu setzen. Sie empfanden sich als einen Club der Mutigen, allein dem Interesse verpflichtet, QualitĂ€tsverbesserungen ĂŒber die Grenzen der TrĂ€gergruppen hinweg zu erreichen. Im September 2008 einigte sich dieser Club der Mutigen aus allen TrĂ€gergruppen – kommunalen, freigemeinnĂŒtzig-kirchlichen, privaten und universitĂ€ren TrĂ€gern – unter Begleitung der LandesĂ€rztekammer Berlin auf eine gemeinsame Initiative. Sie erhielt den Namen Initiative QualitĂ€tsmedizin (IQM). Es verbot sich fĂŒr alle schon aus GrĂŒnden der UnabhĂ€ngigkeit, diese Initiative QualitĂ€tsmedizin organisatorisch etwa in Dimensionen von Interessengruppen oder VerbĂ€nden anzusiedeln. Es verbot sich ferner aus GrĂŒnden der Ehrlichkeit, den QualitĂ€tsbegriff als ein Vehikel im Patientenwettstreit von sogenannten QualitĂ€tsportalen zu missbrauchen. Der Club der Mutigen fĂŒhlte sich allein dem Wohl der Patienten

tungsinitiative IQM sichergestellt, deren Stiftungsmittel die technisch-organisatorische Umsetzung auf breiter Plattform ermöglichte. Es ging und geht IQM nicht um die bloße QualitĂ€tssicherung, sondern IQM steht fĂŒr ein – im besten Sinne – aktives QualitĂ€tsmanagement. Von Anfang an waren aufgrund der EinfĂŒhrung von DRG’s in der Schweiz bei IQM auch Schweizer Kliniken dabei, allen voran das UniversitĂ€tsspital Basel. Es gibt deshalb bei IQM auch eine internationale TrĂ€gergruppe, derzeit nur mit Mitgliedern aus der Schweiz, mittlerweile bringen sich aber auch die österreichischen Kliniken aktiv bei IQM mit ein. IQM hat sich zu drei GrundsĂ€tzen verpflichtet: ïźï€ Messung von QualitĂ€t aus Routinedaten ïźï€ Absolute Transparenz der QualitĂ€tsergebnisse ïźï€ Kontinuierliche Verbesserung durch Peer Reviews

verpflichtet. Aus unseren Fehlern kontinuierlich zu lernen und eine QualitĂ€tskultur zu schaffen, die solche Fehler kĂŒnftig vermeidet, so lautet die ethische QualitĂ€tsverpflichtung bei IQM. Valide QualitĂ€tsmessung statt optionale QualitĂ€tsverschleierung, solide QualitĂ€tsver-

Peer Review Verfahren. Fachgesellschaften werden ĂŒber den Wissenschaftlichen Beirat bei der Stiftung IQM einbezogen und können sich so bei der Erörterung, wissenschaftlichen Begleitung und Weiterentwicklung von IQM-Indikatoren aktiv einbringen. Aus einer knapp

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IQM hat ĂŒber 120 Mitgliedskliniken in Deutschland und in der Schweiz, darunter acht UniversitĂ€tsklinika. IQM hat also den QualitĂ€tsansatz von HELIOS nicht einfach ĂŒbernommen, sondern diesen ganz wesentlich weiter geprĂ€gt und inhaltlich weiterentwickelt. Dies zeigt sich an der Entwicklung von IQM-QualitĂ€tsindikatoren. IQM wird auch von neutralen Partnern aktiv begleitet. So unterstĂŒtzt die BundesĂ€rztekammer das


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2 Eine kurze Geschichte der Initiative QualitÀtsmedizin

zehnjĂ€hrigen und damit vergleichsweise kurzen Entstehungsgeschichte hat sich mit IQM eine stabile und klar in die Zukunft gerichtete Initiative fĂŒr bestmögliche QualitĂ€tsmedizin

entwickelt. Auf dieser Grundlage kann die QualitĂ€tssicherung in der Medizin sektorĂŒbergreifend, mutig und vor allem praktisch umsetzbar vorangebracht werden.

Dr. Francesco De Meo 1984 bis 1988 Studium der Rechtswissenschaften an der UniversitĂ€t TĂŒbingen. 1993 Zweites Juristisches Staatsexamen, 1994 Promotion. 1992–1993 Rechtsanwalt bei einer Stuttgarter Kanzlei. 1994–2000 GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Unternehmensberatung Rauser AG in Reutlingen. 2000 Eintritt als Leiter Recht und Personal in die HELIOS Kliniken GmbH. 2001 GeschĂ€ftsfĂŒhrer fĂŒr Personal und Recht sowie Forschung und Wissenschaft bei HELIOS, Konzernarbeitsdirektor. Seit dem 1. Januar 2008 Vorsitzender der GeschĂ€ftsfĂŒhrung (CEO) der HELIOS Kliniken GmbH und Vorstandsmitglied der Fresenius SE. PrĂ€sident des Vorstandes der IQM Initiative QualitĂ€tsmedizin.

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ErgebnisqualitĂ€t aus Routinedaten – der Reiz der Methode Peter C. Scriba

Der Wettstreit von Anbietern der Gesundheitsleistungen um AuftrĂ€ge nimmt weiter zu. Welche Kriterien sind fĂŒr diesen Wettbewerb ausschlaggebend? Eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit von potenziellen Patienten und zuweisenden Versorgern zu erregen, besteht in der Demonstration von QualitĂ€t und Kompetenz, also gemeinhin durch einen guten Ruf des Anbieters. Unter diesem Gesichtspunkt wird das Thema „QualitĂ€tsmessung“ bedeutsam.

3.1 Wen interessiert objektive und richtige QualitÀtsmessung?

ïźï€ Patientinnen und Patienten wollen bedarfsgerecht

behandelt werden, auch wenn sie gar nicht selten weitergehende WĂŒnsche haben. Die Partizipation des aufgeklĂ€rten Patienten an der medizinischen EntscheidungsïŹndung wird umso wichtiger, als der zunehmende Wettbewerb an durch wirtschaftlichen Druck wachsende Gefahren denken lĂ€sst. So könnte zum Beispiel die Strenge der Indikationsstellung aufgeweicht und letztere ausgeweitet werden. Die Angemessenheit der Indikationsstellung muss daher wachsam hinterfragt werden, und zwar auch durch den aufgeklĂ€rten Patienten (SVR 2007).

ïźï€ FĂŒr Ärztinnen und Ärzte geht es um den Nachweis

ïźï€ Die KostentrĂ€ger wollen ebenfalls QualitĂ€t mes-

und die Demonstration ihrer eigenen Kompetenz. Davon abgesehen, wollen Ärzte auch fĂŒr sich selbst wissen, ob das Gesetz „salus aegroti prima lex“ tatsĂ€chlich Maxime ihres eigenen Handelns ist.

sen. DafĂŒr gibt es viele GrĂŒnde, von denen hier nur selektives Kontrahieren und Pay for Performance (P4P) genannt werden. ïźï€ Auch die KrankenhaustrĂ€ger wollen QualitĂ€t messen, um sich zum Beispiel im QualitĂ€tswett-

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