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Novellierung des Transplantationsgesetzes Hartmut H.-J. Schmidt und Klaus Hahnenkamp

Seit dem 01.08.2012 gelten die Novellierungen des Transplantationsgesetzes, die der Bundesrat am 15.06.2012 abschließend verabschiedete. Dieses Gesetz wurde intensiv unter den Parlamentariern als auch in den verschiedenen betreffenden Fachgesellschaften diskutiert. Frühzeitig zeigten die Diskussionen über das Thema, dass sich keine parlamentarische Mehrheit für eine Widerspruchsregelung abzeichnen wird. Die Widerspruchslösung könnte aber zur Förderung der Organspende ein wesentliches Element darstellen. Leider wurde in der öffentlichen Diskussion zu dieser Thematik fälschlicherweise propagiert, dass der Staat mit der Widerspruchslösung jeden Bürger verpflichtend zu einem Organspender machen würde. In der praktischen Umsetzung jedoch müsste erst im Rahmen einer Widerspruchsregelung jedes Mal im Angehörigengespräch die endgültige Entscheidung getroffen werden. Dies entspricht der Vorgehensweise z.B. in Spanien oder Österreich. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der Intensivmediziner im Falle solch eines Angehörigengesprächs zur Frage der Organspende eine Stärkung seiner Position im Gespräch durch den Gesetzgeber erfahren würde. Als Kompromiss wurde nun die so genannte Entscheidungslösung gewählt. Im Vordergrund steht dabei, dass mit Unterstützung der Krankenkassen Versicherte ab dem 16. Lebensjahr regelmäßig zum Thema Organspende informiert werden mit der damit verbundenen Bitte, einen Organspendeausweis auszufüllen. Formal handelt es sich unverändert

um die erweiterte Zustimmungslösung, die bereits zuvor in Deutschland rechtsgültig war. Die Bemühungen mit dem Ziel einer verbesserten Aufklärung sind sehr zu begrüßen. Auch konnte in dieser Diskussion nochmals juristisch bestätigt werden, dass z.B. im Falle differenzierter Patientenverfügungen auch Organspenden denkbar sind. Dieses hat unter anderem zu Überarbeitungen der vom Bundesministerium für Justiz im Netz befindlichen Patientenverfügung geführt. In der Sektion Organtransplantation wurden diese Themen sehr eng verfolgt und durch verschiedene Kommentierungen und Anhörungen mitgestaltet.

1.1 DIVI fordert Transplantationsbeauftragten als selbstständigen Beruf Neu ist die bundesweite Einführung des Transplantationsbeauftragten. Diese Funktion war bereits in wenigen Bundesländern in Deutschland als Landesausführungsgesetz festgelegt worden. Der Transplantationsbeauftragte hat die Funktion, in den Krankenhäusern die Prozesse der Organspende zu strukturieren. Ein Transplantationsbeauftragter soll das geänderte Transplantationsgesetz praktisch vor Ort in den Krankenhäusern umsetzen. Die Begleitung der Angehörigen möglicher Organspender, fachliche Fort- und Weiterbildungen sowie die Zu-

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sammenarbeit mit der Koordinierungsstelle (DSO) umfasst dessen Aufgabenbereich. Dieses Gesetz ist entscheidend für die Förderung der Organspende, da hier die Intensivstationen des jeweiligen Krankenhauses gestärkt werden. Krankenhausmitarbeiter als Transplantationsbeauftragte können die Verpflichtungen, die durch das Transplantationsgesetz entstehen, eher an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen als die Mitarbeiter der DSO. Offen verblieb leider die Klärung der Finanzierung dieser Funktion.

1.3 Versicherungsrechtliche Absicherung von Lebendspenderinnen und Lebendspendern

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Zusammenfassend ist die Novellierung des Transplantationsgesetzes zu begrüßen. Die aktuellen Berichte über ärztliches Fehlverhalten bei der Verteilung von Organen haben zu Diskussionen geführt, inwieweit dieses soeben verabschiedete Transplantationsgesetz revidiert werden müsse oder aber sogar eine staatliche Aufsicht für die Prozesse der Organspende und Organtransplantation erforderlich sei. Aktuelle Vorschläge zur Durchführung von Audits, zur Verbesserung der Datenqualität als auch der Reformierung einzelner Strukturen innerhalb der Transplantationsmedizin wären auch im Rahmen des jetzigen TPGs denkbar. Die Transplantationszentren unterstehen der Überwachung durch die Länder, sodass deren Verantwortungsbereich bereits seit 1997 im Rahmen des Transplantationsgesetzes festgelegt wurde. Unter deren Aufsicht hat sich dieses System mitentwickelt. Wichtig bei allen zukünftigen Entscheidungen ist, dass im Mittelpunkt der Patient stehen muss. Die teils fehlerhafte Darstellung in den Medien könnte dazu führen, dass die Anzahl der Organspenden zurückgeht. Patienten dürfen in dieser Debatte nicht noch mehr leiden, da ohnehin die Organknappheit bis heute in Deutschland nicht zufriedenstellend geregelt werden konnte.

Zukünftig fordert die DIVI einen selbstständigen BerufsZukünfti zweig und eine curriculäre Ausbildung.

1.2 Bessere Dokumentation Die Gesetzesänderung beinhaltet auch die Einführung einer Forschungsklausel im § 14 des TPGs. Hierdurch können patientenbezogene klinische, für die Transplantation relevante Daten erfasst werden und auch nach Transplantation im Verlauf dokumentiert werden. Die Analyse dieser Daten, sowohl regional als auch national, ist für die Verbesserung der Qualität in der Transplantationsmedizin und für die medizinische Regelung der Verteilung der Organe unerlässlich. Zusätzliche datenschutzrechtliche Bedenken konnten juristisch geklärt werden. Wünschenswert wäre die Implementierung eines nationalen Transplantationsregisters.

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Es wurde Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geschaffen durch Änderungen im Krankenversicherungsrecht, Unfallversicherungsrecht und Entgeltfortzahlungsgesetz.

Fazit


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Kristalloide und kolloidale Lösungen in der Intensivmedizin – Was, wann, wie viel? Tim-Philipp Simon und Gernot Marx

Obwohl bei der Therapie kritisch kranker Patienten der Wert einer schnellen, effektiven und zielorientierten Volumentherapie unumstritten ist, wurde in den letzten Jahren kein anderes Thema derart intensiv diskutiert. Dennoch steht weiterhin außer Frage, dass bei einer adäquat durchgeführten Volumentherapie durch Erhalt und die Wiederherstellung des notwendigen Plasmavolumens die Organperfusion und die notwendige Mikrozirkulation verbessert werden (1). Zur Diskussion standen vor allem die Art, die Indikation und die Menge an zu substituierendem Volumenersatz in der Intensivmedizin. Im Schock besteht sowohl ein absoluter als auch ein relativer Flüssigkeitsmangel mit Abnahme der kardialen Vorlast, konsekutiver Verminderung des Herzzeitvolumens, Reduktion der Mikrozirkulation und somit einer Reduktion der Gewebeoxygenierung. Durch die notwendige Volumentherapie muss ein ausreichend zirkulierendes Blutvolumen erreicht werden. Durch diese zum Teil sehr umfassende Volumentherapie sollen eine verbesserte Pumpleistung des Herzens, verbesserte Gewebeoxygenierung und Gewebeperfusion und damit eine bessere Organfunktion insgesamt erreicht werden. Jedoch können nur ca. 50% der Intensivpatienten trotz einer adäquaten Volumengabe ihr HZV steigern. Wegen des hohen Preises, der begrenzten Verfügbarkeit und der potenziellen Nebenwirkungen körpereigener Plasmapräparate werden sehr häufig körperfremde Volumenersatzmittel eingesetzt, an die spezielle Anforderungen zu stellen sind.

Anforderungen an einen idealen Plasmaersatz: Großer Volumeneffekt Ausreichende Verweildauer im Gefäßsystem Keine Kumulation im Plasma, vollständige

Ausscheidung ohne Gewebespeicherung Keine Verschlechterung der Gewebeoxygenierung Keine Beeinträchtigung des Elektrolythaushaltes Keine Beeinträchtigung des Säure-Basen-Status Keine Beeinträchtigung der Nierenfunktion Keine Beeinträchtigung der Gerinnung Keine Allergisierung Kein Infektionsrisiko Niedrige Kosten

Es wird eine Vielzahl von Präparaten angeboten, um in den verschiedensten klinischen Situationen das verlorene Plasmavolumen wieder auszugleichen. Trotz intensiver tierexperimenteller Forschung und zahlreicher klinischer Studien ist ungeklärt, welcher Typ von Plasmaersatzmittel, kristalloid oder kolloidal, vorzugsweise zu verabreichen ist (2). Vor allem in der Volumentherapie der Sepsis ist die Diskussion um das richtige Volumenersatzmittel mittlerweile sehr weitreichend. Die Frage nach dem optimalen Volumenersatz konnte bisher nicht hinreichend beantwortet werden, doch sollte man bei der Wahl der Volumentherapie die spezielle klinische Situation und das Krankheitsbild des Patienten beachten. Nicht jeder Volumenersatz ist für jeden Patienten ge-

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eignet. Die Cochrane Collaboration kommt zu dem Schluss: „From this review, there is no evidence that one colloid solution is more effective or safe than any other“ und „Larger trials of fluid therapy are needed if clinically significant differences in mortality are to be detected or excluded.“ (3)

2.1 Wann und wie viel? Bei der Volumentherapie sollte grundsätzlich zwischen Flüssigkeitsersatz als Ersatz renaler, enteraler und kutaner Verluste aus dem Interstitium und ggf. dem Intrazellularraum und einem Volumenersatz als Ersatz akuter oder subakuter intravaskulärer Verluste unterschieden werden. Eine Hypovolämie auf der einen wie auch eine Hypervolämie auf der anderen Seite können das Überleben unseres Intensivpatienten gefährden. Perner konnte in einer aktuellen Studie an unselektierten Intensivpatienten retrospektiv zeigen, dass bei persistierendem Schock durch eine höhere Volumengabe eine niedrigere Mortalität erreicht werden konnte (4). Auch wenn das Patientenkollektiv dieser Studie vollkommen unselektiert und die Volumengabe eher unreflektiert erfolgte, zeigt nicht nur diese Untersuchung, dass es einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Volumengabe und einem verbesserten Outcome in der Therapie des Schocks zu geben scheint (5). Eine zu hohe und nicht zielgerichtete Volumengabe kann in einem anderen Patientenkollektiv hingegen auch zu einer erhöhten Sterblichkeit führen (6). Wichtig in der Therapie kritisch kranker Patienten ist daher eine anhand von klinischen Parametern zielorientierte Volumengabe, um eine Hypooder auch Hypervolämie unbedingt zu vermeiden. Die Vorhersagekraft der einzelnen Vorlastparameter ist Bestandteil vieler klinischer Studien. Wie von Rivers in einer großen klinischen Studie in der Sepsis gezeigt wurde, wirkt sich eine zielgerichtete frühe Volumentherapie positiv auf das Überleben der Patienten aus. Aufgrund dieser signifikanten Ergebnisse wurde das zugrundeliegende Protokoll zu großen Teilen in die amerikanischen Leitlinien der Surviving Sepsis Campaign implementiert (2). Auch die Deutsche Sepsis-Gesellschaft e.V. (7) und der Deutsche Interdisziplinäre Verein für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) empfehlen verschiedene Maßnahmen zur frühen hämodynamischen Stabilisierung im Rahmen der Sepsistherapie. Dies gilt nicht nur für septische Patienten. Vor allem in der perioperativen Flüssigkeitsgabe sollte man zielorientiert Volumen verabreichen. Hier-

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durch lassen sich Infektionen und auch andere Komplikationen signifikant reduzieren (8). Der von Rivers et al. verwendete ZVD zur Abschätzung des Volumenstatus eines Patienten ist ein in der klinischen Praxis einfach abzulesender Parameter und gehört bei septischen Patienten durchaus weiterhin zum Standard. Auch bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion hat dieser Parameter einen gewissen Stellenwert (9). Bei kritisch kranken Patienten im persistierenden Schock sollte zur zielgerichteten Volumentherapie ein erweitertes hämodynamisches Monitoring zügig implementiert werden (10). Hier stehen uns mehrere gut evaluierte Systeme und Parameter zur Verfügung. In der klinischen Praxis wohl am weitesten verbreitet und gut evaluiert ist die wenig invasive transpulmonale Thermodilution. Das PiCCO-System (Pulsion Medical Systems, München, Deutschland) und der EV1000 (VolumeView™ system, Edwards Lifesciences, Irvine CA, USA) liefern mit dem GEDV einen guten Vorlastparameter zur Steuerung der Volumentherapie. Über das EVLW können beide Systeme auch eine Volumenüberladung des ARDS (11) und des septischen Patienten anzeigen (12). Hinzu kommen Parameter wie SVV und das kontinuierlich gemessene HZV, über das sich die Volumentherapie kontinuierlich steuern lässt. Der Einsatz des pulmonalarteriellen Katheters (PAK) und des rechtsventrikulären enddiastolischen Volumens zur Steuerung der Volumentherapie wird dagegen kontrovers diskutiert (13). Nicht invasiv und sehr genau kann man den Volumenstatus eines Patienten mit der Echokardiographie abschätzen. Mit der bettseitigen Echokardiographie lassen sich die Herzstrukturen gut erfassen, die Herzfunktion zügig evaluieren und auch gleichzeitig eine eventuelle kardiale Ursache für einen Schock des Patienten ausschließen. Der Füllungszustand, das HZV und die Kontraktilität der Ventrikel lassen sich mit dieser Methode schnell bestimmen und geeignete Ultraschallgeräte stehen heute auf vielen Intensivstationen zur Verfügung. Die Nachteile der Echokardiographie sind sicherlich die hohen Kosten bei Anschaffung der Geräte und der Schulung des Personals sowie die starke Abhängigkeit der Methode von der Erfahrung des Untersuchers. Nicht vergessen werden sollten auch einfache klinische Methoden zur Vorhersage der Reaktion des Patienten auf eine Volumengabe. Das „Passive Leg Raising “ ist eine einfache und von jedem sofort am Patientenbett durchführbare Methode, um die Verbesserung der kardialen Vorlast durch eine Volumengabe abzuschätzen (14).


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Be der Vielzahl, der zur Verfügung stehenden ParaBBei metern ist die Erfahrung des jeweiligen Untersum chers von entscheidender Bedeutung. Die Parameter müssen nicht nur abgelesen, sondern auch die Konsequenz aus ihnen gezogen werden können (15).

2.2 Was? Kolloidale Plasmaersatzmittel als Volumenersatz haben den Vorteil eines effektiven und schnell verfügbaren Plasmaersatzes (16). Ihre Eigenschaften als Plasmaersatz verdanken sie v.a. einem im Vergleich zu den kristalloiden Lösungen höheren kolloidosmotischen Druck (KOD) und der längeren intravasalen Verweildauer. Die Hydroxyethylstärke ist eines der möglichen kolloidalen Plasmaersatzmittel, die uns heute zur Verfügung stehen. Ihre negativen Eigenschaften in Bezug auf Gerinnung und Nierenfunktion sind Bestandteil vieler Diskussionen, aber ihre stetige Weiterentwicklung und verbesserten Eigenschaften halten die Diskussionen weiterhin aktuell. Wichtig ist, dass die Volumentherapie durch normales Elektrolytmuster und Base-excess-(BE-)Depot den Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt nicht beeinträchtigt. Die Auswahl des Plasmaersatzmittels wird in der Regel von der zugrundeliegenden Krankheit bestimmt. So ist beispielsweise bei einem hämorrhagischen Schock ein äußerst rascher und effektiver Plasmaersatz notwendig, weshalb in Europa vielfach Kolloiden der Vorzug vor Kristalloiden gegeben wird. Bei einer intrazerebralen Blutung ist ein Plasmaersatzmittel mit negativer Beeinflussung des Gerinnungssystems kritisch zu sehen. Bei Sepsis wird häufig eine Kombination von Kristalloiden und Kolloiden eingesetzt. Der Einsatz von 0,9% NaCl-Lösung als kristalloider Volumenersatz und auch in kolloidaler Lösung ist als eher ungünstig anzusehen. Größerer Mengen an Natriumchlorid-Lösungen können eine Dilutionsazidose und eine hyperchloräme Azidose herbeiführen. Inzwischen sind balancierte kristalloide und auch kolloidale Volumenersatzlösungen erhältlich. Balancierte kolloidale und kristalloide Lösungen sind in acetathaltiger Lösung gelöst und enthalten weitgehend physiologische Elektrolytkonzentrationen. Im Idealfall sind die balancierten Lösungen isoionisch, isoonkotisch, isotonisch und isohydrisch und verursachen so durch ihren Einsatz kaum Störungen im Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt im Vergleich zu nicht balancierten Lösungen.

Es gibt derzeit wenige Daten über den Einsatz von balancierten Lösungen, dennoch konnten Sümpelmann et al. kürzlich bei 396 Kindern zeigen, dass der perioperative Einsatz einer balancierten HES-Lösung im Vergleich zu einer unbalancierten zu weniger Störungen im Säure-Basen-Haushalt geführt hat (17). Auch am Tiermodell scheint es einen Vorteil von balancierten gegenüber unbalancierten kolloidalen Lösungen in Bezug auf die Nierenperfusion bei der Volumentherapie im inflammatorischen Schock zu geben (18).

2.2.1 Kristalloide Kristalloide Lösungen sollten zum Ausgleich renaler, enteraler und kutaner Verluste aus dem Interstitium und ggf. dem Intrazellularraum eingesetzt werden. Da kristalloide Lösungen keine onkotisch wirksamen Bestandteile besitzen, diffundieren sie rasch ins Interstitium. Ihre intravasale Verweildauer ist theoretisch deutlich kürzer und auch der Volumeneffekt zum Ausgleich eines akuten Blutverlustes ist deutlich geringer als der von kolloidalen Lösungen. Man benötigt mit kristalloiden Lösungen ein 2- bis 4-fach größeres Infusionsvolumen als mit kolloidalen Lösungen. Dieser geringere intravasale Volumeneffekt kristalloider Lösungen wird bei Patienten mit einer z.B. durch eine Inflammation ausgelösten Schrankenstörung und einem hohen Kapillarleck derzeit immer wieder infrage gestellt. Bei diesen Patienten scheinen die Volumeneffekte eher zu verschwimmen, es fehlen uns aber geeignete Studien, die die Initialphase der Sepsis und ihren Volumenshift erfassen können. In den meisten klinischen Studien zur Volumentherapie in der Sepsis sind die entscheidenden ersten 6 Stunden der Therapie nicht mit erfasst. Tierexperimentelle Untersuchungen hingegen zeigen einen klaren Vorteil kolloidaler Lösungen beim Erhalt des Plasmavolumens (19). Ringer-Laktatlösungen sind im Vergleich zur Serumosmolarität hypotone Lösungen, was speziell bei Patienten mit einem Hirnödem zu berücksichtigen ist. Zusätzlich bindet das Laktat Kalzium und erhöht den Sauerstoffverbrauch des Patienten. Wie oben schon beschrieben sind die Folgen eines unphysiologisch hohen Chloridgehalts, z.B. in 0,9% NaCl-Lösung (154 statt 103 mmol/l) eine renale Vasokonstriktion, ein verminderter renaler Blutfluss (RBF), eine verminderte glomeruläre Filtrationsrate (GFR), eine verminderte Diurese sowie eine Supprimierung des Renin-Aldosteron-Systems. Die Folgen dieser interstitiellen Überwässerung sind ein ver-

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minderter pulmonaler und ein verminderter peripherer Gasaustausch sowie ein erhöhter intraabdomineller Druck. Aus diesem Grund werden vermehrt balancierte Vollelektrolytlösungen und kolloidale Präparate in balancierter Lösung angeboten. Die Vorteile der Kristalloide liegen bei den Kosten und dem Fehlen allergischer Reaktionen. Auch bei den kristalloiden Lösungen sind die balancierten Vollelektrolytlösungen zu bevorzugen.

2.2.2 Kolloide Kolloide sind hochmolekulare Substanzen, die entweder in Natriumchloridlösungen und inzwischen auch in balancierten Lösungen erhältlich sind. Klinisch werden körpereigene Kolloide (Humanalbumin, Plasmaproteinlösung, gefrorenes Frischplasma) und künstliche Kolloide (Hydroxyethylstärke [HES] und Gelatine) unterschieden. Der Vorteil der kolloiden Lösungen liegt im länger anhaltenden Volumeneffekt. Hier sind die Vorteile eher im schnellen Plasmaersatz z.B. beim hämorrhagischen Schock zu sehen. Der Einsatz sollte aber immer in Kombination mit einer kristalloiden Lösung erfolgen. Die Diskussion, welcher Volumenersatz, kristalloid oder kolloid, der bessere ist, kann so nicht beantwortet werden. Es hängt natürlich immer stark von der Indikation und der jeweils gewählten Substanz ab. Eine Gabe von kolloidalen Lösungen als körperfremde Substanz ohne Indikation oder aus falscher Indikation heraus führt zu vermehrten unerwünschten Nebenwirkungen.

2.2.3 Hydroxyethylstärke HES ist ein Polymerisat aus Äthylenoxid und einer hochpolymeren Glukoseverbindung, die aus der hochverzweigten Stärkekomponente Amylopektin besteht, welche aus natürlicher Mais- oder Kartoffelstärke gewonnen wird. HES wird im Organismus enzymatisch durch Hydrolyse gespalten und entweder metabolisiert, renal ausgeschieden oder durch das retikuloendotheliale System (RES) aus dem Gefäßsystem entfernt. Entscheidend im Hinblick auf die renale Ausscheidung ist die Größe der jeweiligen Spaltprodukte, als Nierenschwelle gilt ein Molekulargewicht von ca. 60–70 kD. Die unterschiedlichen Eigenschaften der jeweiligen HES-Lösungen ergeben sich aus dem Molekulargewicht, der Konzentration, dem Substitutions-

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grad und dem C2/C6-Verhältnis. Die Unterschiede führen zu einer Verlängerung des intravasalen Verbleibs durch verzögerten Abbau, zum Einfluss auf die Gerinnung und zur Veränderung der onkotischen Eigenschaften. Eine Lösung z.B. mit einem höheren Substitutionsgrad und einem höheren C2/ C6-Verhältnis wird langsamer aus dem Gefäßsystem eliminiert. Alte HES-Präparate mit hohen Molekulargewichten und höheren Substitutionsgraden zeigten immer wieder einen negativen Einfluss auf die Gerinnung und die Nierenfunktion sowie anaphylaktoide Reaktionen und Pruritus bei der Anwendung. Durch die Entwicklung moderner Präparate mit niedrigem Molekulargewicht und einem niedrigen Substitutionsgrad konnten diese negativen Eigenschaften auf ein Minimum reduziert werden. Es findet in der klinischen Praxis in Deutschland vor allem das HES 130/0,4–0,42 eine Anwendung. Ältere Präparate wurden inzwischen vom Markt genommen. Die durch die multizentrische VISEP-Studie des deutschen SepNet angestoßene Debatte um die Sicherheit von HES-Präparaten in der Sepsistherapie ist auch weiterhin aktuell. In der VISEP-Studie wurde eine modifizierte Ringer-Laktatlösung mit 10% HES 200/0,5 zur Volumentherapie bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock verglichen. Es fand sich ebenfalls nicht nur eine erhöhte Inzidenz eines akuten Nierenversagens, sondern auch eine Verdoppelung der Tage mit Nierenersatztherapie bei den Patienten, die 10% HES 200/0,5 als primären Volumenersatz erhielten. Bei Patienten mit Dosisüberschreitungen (> 22 ml/kg KG/Tag 10% HES 200/0,5) mit einer höheren kumulativen Dosis kam es auch zu einer signifikant höheren 90-Tage-Letalität (20). In dieser weithin beachteten Studie wurde ein älteres HES-Präparat verwendet, das inzwischen nicht mehr auf dem Markt ist. Auch der Einsatz von Ringer-Laktatlösungen ist nicht bedenkenlos. In der VISEP-Studie war bei 80% der Patienten bei Studieneinschluss die hämodynamische Stabilisierung bereits abgeschlossen (21). Die im New England Journal veröffentlichte „Scandinavian Starch for Severe Sepsis/Septic Shock (6S)“ Studie mit über 800 Patienten zeigte sogar, dass eine Volumentherapie in der Sepsis mit 6% HES 130/0,42-Lösungen mit einer erhöhten Inzidenz von Nierenversagen und einer gesteigerten Letalität über 90 Tage assoziiert sind (22). Auch in dieser Studie waren sehr viele Patienten bei Studieneinschluss bereits hämodynamisch stabilisiert, so dass sowohl VISEP als auch 6S keine


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Rückschlüsse auf die wichtige Frage der initialen Volumentherapie im septischen Schock geben kann. Bei der Indikation Schock ist die Wahl des Volumenersatzes auch nach diesen beiden Studien ungeklärt. Die Autoren beider Studien weisen richtigerweise daraufhin, dass die kumulative Dosis bei der Anwendung von HES ein möglicher Faktor für das Auftreten eines akuten Nierenversagens in der Sepsis ist. Die Daten der CRYSTMAS Studie an 195 Patienten mit schwerer Sepsis zeigen eine reduzierte Menge an benötigtem Volumen bei der hämodynamischen Stabilisierung mit 6% HES 130/0,4 im Vergleich mit einer 0,9% NaCl-Lösung. In der 28-Tage-Sterblichkeit kann man zwar keinen signifikanten Unterschied erkennen, aber die 28-Tage-Sterblichkeit war in der HESGruppe 31,0% gegen 25,3% in der NaCl-Gruppe höher (23), dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Die kürzlich im New England Journal veröffentlichte CHEST Studie (40) zeigte hingegen im Vergleich von 6% HES 130/0,4 und NaCl 0,9% an 7.000 Intensivpatienten keinen Letalitätsunterschied nach 90 Tagen. Mit einer Nierenersatztherapie mussten 235 in der HES- und 196 Patienten in der NaCl-Gruppe und somit signifikant mehr Patienten behandelt werden (p = 0.04), jedoch gab es keinen signifikanten Unterschied im akuten Nierenversagen. Dass nicht jedes Präparat für jede Schockform und klinische Situation geeignet ist und man bei der Wahl des Volumenersatzes unterscheiden muss, welchen Patienten man vor sich hat, zeigt eine Studie mit Patienten, die ein penetrierendes Trauma erlitten hatten. Hier konnte sogar eine verbesserte Nierenfunktion und eine bessere Laktat clearance bei der Gabe von moderner HES-Lösung im Vergleich zu einer kristalloiden Lösung nachgewiesen werden (24).

2.2.4 Gelatine Die als Spaltprodukt aus dem höher molekularen Kollagen hergestellte Gelatine mit einem Molekulargewicht von ca. 35 kD stellt beim Plasmaersatz zu den HES-Präparaten eine Alternative dar. Die intravasale Halbwertszeit von 2–3 h ist kürzer im Vergleich zu manchen HES-Präparaten und erzielt dadurch einen geringeren Volumeneffekt. Die Gelatine wird hauptsächlich über die Niere ausgeschieden. Durch vermehrte anaphylaktische Reaktionen in Verruf geraten, fand die Gelatine im klinischen Alltag immer weniger Anwendung (je nach Präparat mit einer Inzidenz von 0,066–0,146%). Jedoch im Vergleich zur modifizierten flüssigen Gelatine und Oxypolygelatine wird der kaum noch verwendeten harn-

stoffvernetzten Gelatine bezüglich der allergischen Reaktionen eine höhere Rate allergischer Reaktionen (bis zu 10%) zugeschrieben (25). Nach den negativen Studienergebnissen für HES in der Sepsis wird aber wieder zunehmend auf dieses Kolloid zurückgegriffen. Eine 2012 erschienene Metaanalyse zeigt einen Vorteil von Gelatinelösungen gegenüber HES-Präparaten hinsichtlich der Inzidenz eines akuten Nierenversagens (26). In dieser Metaanalyse wurden die HES-Sorten jedoch nicht unterschieden. Bei der Verwendung von Gelatinelösungen im Vergleich zu Albumin konnte ein erhöhter Transfusionsbedarf registriert werden (27–29). Die Datenlage für die Gelatinelösung ist nicht umfangreich. Insbesondere bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock sollten Effektivität und Sicherheit in einer kontrollierten prospektiven Multicenterstudie überprüft werden.

2.2.5 Humanalbumin Als körpereigenes Kolloid wird Albumin aus menschlichem Plasma gewonnen, das zur Reduktion des Infektionsrisikos u.a. einer Virusinaktivierung unterzogen wird. Albumin ist das Protein mit der höchsten Konzentration im Plasma und hauptverantwortlich für die Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks (KOD). Bei kritisch Kranken korreliert zwar ein niedriger Serumalbuminspiegel mit einer verlängerten Intensivbehandlungsdauer, es scheint, dass der erniedrigte Serumalbuminspiegel nur die Schwere der Erkrankung widerspiegelt und eine Korrektur durch Albumingabe nur reine „Laborkosmetik“ wäre. Denn der Einsatz von Humanalbumin zur Volumentherapie bei kritisch kranken Patienten zeigt sich im Vergleich zu Kristalloiden und künstlichen Kolloiden nicht von Vorteil, ist jedoch mit höheren Kosten verbunden und wird daher nicht empfohlen (30). Eine von Wilkes 2001 durchgeführte Metaanalyse zeigte anhand von 55 Studien keinen Überlebensvorteil bei der Verwendung von Humanalbumin im Vergleich zu anderen Volumenersatzmitteln (31). Die Ergebnisse der SAFE Study zeigten bei 7.000 Intensivpatienten in einer randomisierten doppelblinden Multicenterstudie bei der Volumentherapie mit 4% Humanalbumin im Vergleich zu 0,9% NaCl-Lösung bezüglich Morbidität und Letalität keinen Unterschied (32). Unterschiede gab es in einer Subgruppenanalyse von 460 SHT-Patienten über 24 Monate nach Randomisierung. Es zeigte sich

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unter Einsatz von 4% Albuminlösung ein schlechteres Outcome im Vergleich zu der Behandlung mit 0,9% NaCl-Lösung. Die 28-Tage-Letalität betrug bei Patienten, die mit Albumin behandelt wurden, 33,2% und bei Patienten, bei denen NaCl-Lösung verwendet wurde, 20,4%. Bei Patienten mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma war der Unterschied nach 24 Monaten sogar noch größer (41,8% vs. 22,2%) (33). In diesem Zusammenhang ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das verwendete Albuminpräparat hypoosmolar war. Schortgen et al. zeigten in einer multizentrischen europäischen Beobachtungsstudie bei kritisch kranken Intensivpatienten, dass die Applikation von 20% Humanalbumin mit einer erhöhten Inzidenz von Nierenschädigungen und sogar einer gesteigerten 28-Tage-Letalität assoziiert ist (34).

Zusammenfassung Eine Arbeitsgruppe der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) empfiehlt in einem Konsensuspapier, kein HES mit einem Molekulargewicht > 200 kD oder einem Substitutionsgrad > 0,4 bei septischen Patienten oder Patienten mit Nierenfunktionsstörungen einzusetzen. Zusätzlich wird vom Einsatz von HES 130/0,4 abgeraten (35). In diesem Statement wird nicht zwischen 6% HES 130/0,42 mit einem C2/C6-Verhältnis von 6:1 und 6% HES 130/0,4 mit einem C2/ C6-Verhältnis von 9:1 unterschieden. Die S3-Leitlinie Polytrauma empfiehlt dagegen bei hypotensiven Patienten mit Volumenbedarf eine Volumengabe mit HES 130 (36). Damit gibt es zurzeit unterschiedliche Empfehlungen der einzelnen Fachgesellschaften zur Volumentherapie. Um die Verunsicherung bei der Wahl des richtigen Volumenersatzes zu reduzieren, wird zurzeit eine S3-AWMF-Leitlinie zur „Intravasalen Volumentherapie beim Erwachsenen“ erarbeitet (37). Diese wichtige Initiative unter der Koordination der DGAI wird von vielen Fachgesellschaften getragen und auf höchstem Qualitätsniveau (S3) durchgeführt. Die oben dargestellten Unterschiede der einzelnen Volumenersatzlösungen machen deutlich, dass auch in der Volumentherapie nicht jedes Präparat bedenkenlos eingesetzt werden sollte. Die Indikationen zur Anwendung von Kolloiden sind auch weiterhin Schock und intravasaler Volumenmangel in Kombination mit Kristalloiden. Denn trotz vorhandener großer klinischer Studien kann derzeit keine Empfehlung für oder gegen einzelne Lösungen in der entscheidenden Initialphase des Schocks ausgesprochen werden. Entscheidend ist der schnelle Ausgleich eines Volumendefizits und Wiederherstellung einer adäquaten Organperfusion beim Patienten im Schock.

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Dieser Beitrag basiert in Teilen auf (38, 39), mit freundlicher Genehmigung von Springer Science + Business Media.

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Fortschritte in der Sepsistherapie – Was haben uns die letzten 10 Jahre gebracht? Tobias Welte

3.1 Einleitung Schwere Infektionskrankheiten sind zu einem Großteil die Erkrankungen des alten Menschen. Die schnell sich verändernde Demographie und die Intensivierung der Therapie von früher schnell zum Tode führender Erkrankungen hat zu einem dramatischen Anstieg der Sepsisprävalenz weltweit beigetragen (1). Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Schwere Sepsis – also Sepsis mit Organversagen – und septischer Schock – Sepsis mit katecholaminbedürftigem Kreislaufversagen – waren nach Daten der Prävalenzstudie Sepsis des Deutschen Kompetenznetzwerks Sepsis (SepNet) mit einer Sterblichkeit von mehr als 50% belastet und stellen damit eines der wesentlichen medizinischen und ökonomischen Probleme der Intensivmedizin dar (2). Über Jahrzehnte waren alle Versuche, mittels molekularer, in die Pathophysiologie der Sepsis eingreifender Therapiekonzepte – als Beispiel seien die Endotoxinantikörper oder Antikörper gegen TNF-Alpha genannt – eine Verbesserung der Prognose von Sepsispatienten zu erreichen, gescheitert (3). 2001 schien der Durchbruch erreicht: Aktiviertes Protein C (Drotrecogin alfa, Xigris®) zeigte als erstes Medikament in einer randomisierten, kontrollierten multizentrischen Studie, dem sogenannten PROWESS Trial (4),

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ein signifikant besseres Überleben gegenüber einer Placebogruppe (absolute Reduktion der Sterblichkeit 6,1%, relative 19,4%). Annane konnte zeigen, dass eine Substitution von Hydrocortison und Mineralocorticoiden bei Patienten im septischen Schock die hämodynamische Situation verbesserte, den Katecholaminbedarf der Patienten verringerte und damit die Sterblichkeit um absolut 10% reduzierte (5). Grundlage für dieses Therapieprinzip war die Erkenntnis, dass septische Patienten häufig unter einer relativen Nebennierenrindeninsuffizienz leiden, die die Ansprechbarkeit der Rezeptoren für Katecholamine verringerte. Der Arbeitsgruppe um G. van den Berghe aus Leuven konnte in jahrelanger Forschungsarbeit belegen, dass erhöhte Blutzuckerwerte – unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes mellitus – bei Intensivpatienten zu einer Verschlechterung der Prognose führt. Durch eine strenge Kontrolle des Blutzuckerspiegels durch eine intensivierte Insulintherapie – angestrebter Blutzuckerwert 80–110 mg% – gelang es ihr, bei chirurgischen Intensivpatienten einen Rückgang infektiöser und vor allem auch septischer Infektionen zu erzielen und damit die Prognose der Patienten signifikant zu bessern (6). Die Ergebnisse der Arbeiten an nicht septischen Patienten wurden daraufhin in die Sepsis Guidelines (7) und Sepsis Bun-


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dles (8) integriert und Bestandteil moderner Sepsistherapie. Bereits im Jahre 2000 hat das ARDS Network zeigen können, dass eine Reduktion des Atemzugvolumens auf 4–6 ml/kg Körpergewicht bei Patienten mit ARDS – eine der Hauptkomplikationen einer Sepsis – zu einer Reduktion der Sterblichkeit um absolut 8,8% führte (9). Neben der Reduktion des beatmungsbedingten Lungenschadens spielte hierbei vor allem die Tatsache eine Rolle, dass es unter höheren Beatmungsdrücken zu einer verstärkten Translokation von Bakterien aus dem bronchopulmonalen Kompartiment in die Zirkulation kommt, aus einer lokalen Infektion wird eine septische Infektion. Beatmung konnte entsprechend als ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung einer Sepsis identifiziert werden (10). Nach Jahren der Stagnation im Bereich der Antibiotikaentwicklung wurde 2003 mit dem Oxazolidinon Linezolid eine neue Substanzgruppe in den Markt eingeführt, die bei Patienten mit durch Methicillin-resistenten S. aureus (MRSA) – ein weltweit bedeutender Problemerreger – ausgelöster Pneumonie signifikant bessere klinische Ergebnisse zeigte. Auch wenn es keine Studien zu Sepsis gab, erhöhte sich die Hoffnung auf eine zuverlässigere kausale Therapie, zumal Pneumonien als wichtigste Infektionsquelle für Septitiden anzusehen waren. Weitere MRSA-wirksame Antibiotika folgten mit Tigecyclin und Daptomycin 2006, letzteres bekam sogar eine Zulassung zur Behandlung der Staphylococcus aureus Bakteriämie unklaren Ursprungs. Der Erfolg dieser Studien ließ das ehrgeizige Ziel der internationale Sepsis Surviving Campaign, die Sepsissterblichkeit durch gemeinsame wissenschaftliche und klinische Anstrengungen in absehbarer Zeit um 25% zu senken, durchaus realistisch erscheinen.

3.2 Sepsis 2012 – Wo stehen wir? Mehr als 10 Jahre später ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Und diese fällt ernüchternder aus als 2001 erwartet, auch wenn die Gegenwart nicht ganz so düster zu sehen ist, wie das von manchen Kritikern der Sepsisszene manchmal dargestellt wird. Betrachtet man die hoffnungsvollen Ansätze von 2001, so haben sich die Dinge im Einzelnen wie im Weiteren beschrieben entwickelt.

3.2.1 Aktiviertes Protein C Aktiviertes Protein C konnte bei einer Studie bei leichter kranken Patienten keinen Vorteil im Hinblick auf das Überleben zeigen (11). Die Zulassungsbehörden forderten daraufhin eine weitere Studie mit einem klar definierten Patientenprofil (Prowess Shock), deren Ergebnisse nun in diesem Jahr publiziert wurden (12). Dabei war die 28-Tage-Sterblichkeit in der Drotrecogin alfa Gruppe 26,4% gegenüber 24,2% in der Placebogruppe. Dieselben Ergebnisse fanden sich für die 90-Tage-Sterblichkeit (34,1% vs. 32,7%). Drotrecogin alfa wurde daraufhin weltweit vom Hersteller vom Markt genommen. Auch andere in die Gerinnungskaskade eingreifende Substanzen wie der Tissue Factor Plasminogen Inhibitor (TFPI) konnten in großen Studien (in diesem Fall bei schwerer ambulant erworbener Pneumonie) keinen Überlebensvorteil zeigen (13).

3.2.2 Hydocortisongabe und intesivierte Insulintherapie Die positiven Ergebnisse der Annane-Studie führten solange zu einem generellen Einsatz von Hydrocortison bei septischen Patienten, bis eine weitere große Studie, die CORTICUS-Studie, publiziert war. Diese zeigte zwar eine schnellere Verbesserung des Organversagens, wobei sich vor allem die kardiovaskuläre Komponente des SOFA Scores besserte (14), nicht jedoch eine Veränderung der Sterblichkeit (15), wobei überraschenderweise auch bei Patienten mit nachgewiesener relativer Nebenniereninsuffizienz kein positiver Effekt zu verzeichnen war. Wahrscheinlich waren die in die CORTICUS Studie eingeschlossenen Patienten falsch ausgewählt, man hätte wesentlich mehr auf Patienten mit einem therapierefraktären septischen Schock sehen müssen. Dies ist der Fokus einer in Deutschland auf der SepNet Plattform durchgeführten Studie (HYPRESS) unter Leitung von D. Keh von der Charité in Berlin, die Rekrutierung ist hier jedoch noch nicht abgeschlossen. Bei Sepsispatienten konnten die Vorteile der intensivierten gegenüber einer liberalen Insulintherapie nicht bestätigt werden. Weder die deutsche VISEP (16) noch die australische NICE SUGAR Studie (17) fanden einen Überlebensvorteil. Im Gegenteil konnte ein signifikantes Risiko für Hypoglykämien gezeigt werden. Es ist unstrittig, dass ein erhöhter Blutzucker ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bei Infektionspatienten anzeigt (18). Allerdings scheinen

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