9783941468924_leseprobe

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1 Kurzer Einblick in die augenärztliche Versorgungssituation in Deutschland 1.1

Augenheilkunde – ein kleines Fach?

Das Behandlungsspektrum der Augenheilkunde umfasst offensichtlich im Vergleich zu anderen medizinischen Fächern nur einen kleinen Teil des menschlichen Körpers. Gleichzeitig ist jedoch ein großer Teil der Bevölkerung von einer Sehbeeinträchtigung betroffen. Nach dem Arztreport der Barmer GEK (2010) wurde bei einem Drittel der Versicherten eine Fehlsichtigkeit oder Augenerkrankung diagnostiziert. Dies spiegelt sich entsprechend auch in den aufgeführten ambulanten Behandlungsraten des Arztreports wider: Im Jahr 2008 suchte jeder Vierte mindestens einmal einen Augenarzt auf. Die Anzahl der Behandlungsfälle entsprach dabei 43,1 pro 100 Personen. Damit steht die Augenheilkunde nach der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin und Gynäkologie an vierter Stelle der am häufigsten konsultierten Arztgruppen. Im Vergleich zu anderen fachärztlichen Versorgungsbereichen hat es außerdem eine erhebliche Verschiebung von der stationären hin zur ambulanten Versorgung gegeben. Verglichen mit allen berufstätigen Ärzten, von denen durchschnittlich 42,4% ambulant tätig sind, ist der Anteil der ambulant tätigen Ophthalmologen mit 83,5% fast doppelt so hoch. Der Anteil der Ophthalmologen beträgt zwar insgesamt nur 2,0% der berufstätigen Ärzteschaft. In Bezug auf die Anzahl der niedergelassenen Fachärzte stehen sie aber nach den Internisten, Chirurgen und Gynäkologen auf Platz 4 (Bundesärztekammer 2011; s. Kap. 3).

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1 Kurzer Einblick in die augenärztliche Versorgungssituation in Deutschland

Die medizinischen Fortschritte zur Behandlung von Fehlsichtigkeit und Augenerkrankungen haben in den letzten Jahrzehnten zudem zu einer Erweiterung des Tätigkeitsfeldes und des Leistungsspektrums von Augenärzten geführt. Die Augenheilkunde hat zahlreiche Schnittpunkte mit anderen Fachgebieten, wie z.B. der Inneren Medizin, Pädiatrie sowie der Neurologie und Neurochirurgie. So spielt die Augenheilkunde beispielsweise bei der Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus eine wichtige Rolle, um eine mögliche Sehverschlechterung durch eine diabetische Retinopathie rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Trotz dieser Fakten wird die Augenheilkunde in Deutschland häufig nur als „kleines Fach“ (Bertram 2010) wahrgenommen. Diese Auffassung spiegelt sich nach Ansicht von Bertram (2010) bereits im Medizinstudium wider. Der Stellenwert eines Faches würde dort überwiegend an seiner Stellung in der stationären Versorgung bemessen. Der Schwerpunkt der Augenheilkunde liegt im Vergleich zu anderen Fächern jedoch in der ambulanten Versorgung. Einige medizinische Fakultäten würden daher den Unterricht im Bereich der Augenheilkunde verringern, um den „größeren und wichtigeren“ Fächern der Medizin Vorrang zu gewähren. Entsprechend verwundern die Ergebnisse einer Umfrage der KBV nicht, in der Medizinstudierende nach den für sie in Frage kommenden Facharztausbildungen gefragt wurden. Demnach gaben nur 5,4% den Bereich Augenheilkunde als eine mögliche Option neben anderen Fachgebieten an (Karcher 2010). Vertreter der Augenheilkunde wie Bertram (2010) fordern daher, dass der Stellenwert der Augenheilkunde gestärkt und auch im Medizinstudium einen entsprechenden Platz einnehmen muss. Vor dem Hintergrund, dass nach einer KBV-Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung neben einer flächendeckenden hausärztlichen, nervenärztlichen und frauenärztlichen besonders auch eine augenärztliche Versorgung zukünftig gefährdet ist (Kopetsch 2010b), ist dies von besonders großer Bedeutung. Auch der demografische Wandel und die entsprechend zunehmende Lebenserwartung werden zukünftig zu einem Anstieg der Inanspruchnahme augenärztlicher Versorgung führen, da die Mehrheit der Augenerkrankungen erst im Alter auftritt. Mittlerweile sind fast 50% der Patienten einer Augenarztpraxis über 60 Jahre alt, während es in 1997 nur 43% waren (KBV 2011a) (s. Kap. 3). Zudem beträgt der Anteil der Brillenträger bei den über 60-Jährigen über 94% (Kuratorium Gutes Sehen e.V. 2008). Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. So geht das Fritz-Beske-Institut (2009) in einer Hochrechnung für das Jahr 2050 beispielsweise davon aus, dass die Anzahl der an einer Makuladegeneration bzw. an einem Glaukom Erkrankten im Vergleich zu 2007 um 169% bzw. 72% zunehmen wird (s. Abb. 1). Auch andere weit verbreitete Erkrankungen, die mit einem Risiko für Augenerkrankungen assoziiert sind, und für die eine Zunahme der Prävalenz angenommen wird, wie z.B. für Diabetes mellitus, werden zukünftig zu einem steigenden Bedarf an Ophthalmologen führen. Der Berufsverband der Augenärzte (BVA) prognostiziert daher

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1.2 Veränderungen der Augenheilkunde in den letzten Dekaden

198 169

Zunahme in %

144 125 109 94 72

67

66

66 53

52

50

47

45

41

41 32

31 22

20

14

Abb. 1 Prozentuale Zunahme Erkrankter pro 100.000 Einwohner für 22 Krankheiten von 2007 bis 2050 (nach Fritz-Beske-Institut 2009) bis zum Jahr 2030 eine Zunahme des Bedarfs an augenärztlichen Leistungen um 10%, obwohl gleichzeitig ein Rückgang der Bevölkerung um 3,5% zu erwarten ist (BVA o.J.). Auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) ermittelte 2009, dass die medizinische Versorgung durch Internisten, Urologen, Hausärzte und Augenärzte am stärksten zunehmen wird (Schallock, Czihal & Stillfried 2009). Insgesamt liegen bisher jedoch nur wenige, aktuelle Studien zur Schätzung der Prävalenz von Fehlsichtigkeit und Augenerkrankungen in Deutschland vor. Die verfügbaren Daten stammen zudem meist aus unterschiedlichen Studienkollektiven mit verschiedenen Einschlusskriterien (s. Kap. 2.1).

1.2

Veränderungen der Augenheilkunde in den letzten Dekaden

Die Fähigkeit zu sehen wird von vielen Menschen als Selbstverständlichkeit betrachtet. Wenn jedoch eine visuelle Funktionsbeeinträchtigung vorliegt, kann dies zu erheblichen Mobilitätseinschränkungen führen, was sich häufig negativ auf die Bewältigung des Alltags und der Teilhabe am sozialen Leben auswirkt. Auch das physische, emotionale und soziale Wohlbefinden werden signifikant schlechter eingeschätzt als von Personen ohne Sehbeeinträchtigung. Im Vordergrund stehen dabei die altersbedingte Makuladegeneration (AMD), der Grüne Star (Glaukom), der Graue Star (Katarakt) und die diabetische Retinopathie, die zu einer erheblichen Sehbeeinträchtigung führen können und hauptursächlich für Erblindungen sind (Finger et al. 2011a; Trautner et al. 2003). Aber auch bereits leichte Sehbeeinträchtigungen können zu einer

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1 Kurzer Einblick in die augenärztliche Versorgungssituation in Deutschland

Minderung der Lebensqualität führen (Finger et al. 2011b). Nicht zuletzt deswegen spielen Vorsorgeuntersuchungen eine wichtige Rolle, um frühzeitig in den Krankheitsverlauf einzugreifen und somit Einfluss auf das Behandlungsergebnis auszuüben. In den letzten Jahrzehnten ist es zu wesentlichen Fortschritten in der Diagnostik und Therapie von Augenerkrankungen gekommen, die es ermöglichen, das Fortschreiten von Augenerkrankungen aufzuhalten oder bereits bestehende Beeinträchtigungen zu verbessern. So können Patienten heute von einer spezialisierten Behandlung profitieren, bei denen früher keine Therapie möglich gewesen wäre (BVA o.J.). Vor allem die Entwicklungen im ophthalmochirurgischen Bereich haben zu deutlichen Erfolgen bei der Behandlung von Augenerkrankungen geführt. Während beispielsweise die Katarakt weltweit die häufigste Erblindungsursache darstellt und für knapp 50% der Erblindungen verantwortlich ist, ermöglicht die gute operative Versorgung in Europa und den USA mittlerweile in den meisten Fällen eine erfolgreiche Behandlung. Dementsprechend wird der Anteil der Erblindungen durch eine Katarakt in Deutschland nach der WHO auf 5% geschätzt (Resnikoff et al. 2004; WHO 2004). Darüber hinaus sind Fortschritte in der Entwicklung und Nutzung der Lasertechnik bedeutend, wodurch die Behandlung von Netzhauterkrankungen sowie Fehlsichtigkeit verbessert wurde. Insbesondere die ambulant tätigen Augenärzte sahen damit das Potenzial, beispielsweise mit dem ArgonLaser ihr Leistungsspektrum erweitern zu können und ermöglichten den Patienten die Teilhabe am medizinisch-technischen Fortschritt, in dem sie in die Technik investierten (Heckmann 2008, S. 81). Darüber hinaus ist es in den letzten Jahren auch zu wesentlichen Fortschritten bei der Therapie der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) gekommen, die in Deutschland die häufigste Erblindungsursache darstellt (s. Kap. 2.2). So stehen heute Medikamente zur Behandlung der feuchten AMD zur Verfügung, die durch intravitreale operative Medikamentenapplikation (IVOM) direkt in das Auge injiziert werden. In vielen Fällen kann so eine weitere Sehverschlechterung aufgehalten oder zumindest verzögert werden. Die intravitreale Therapie (IVOM) ermöglicht zudem auch bei anderen Netzhauterkrankungen wie z.B. Makulaödemen bei Diabetischer Retinopathie oder Venenverschlüssen immer bessere Behandlungsmöglichkeiten, sodass IVOM zunehmend auch bei anderen Indikationen Anwendung findet. Die medizinischen Fortschritte der Augenheilkunde führten zudem zu einer deutlichen Verkürzung der Wartezeit und stationären Aufenthaltsdauer (Heckmann 2008), was ebenfalls eine zunehmende Verlagerung der Therapie in den ambulanten Sektor ermöglichte. Während in den 70er Jahren im ambulanten Sektor nur konservative Augenärzte tätig waren, kam es in den 90er Jahren zu einem regelrechten „Boom“ an Niederlassungen von ambulant-chirurgischen Augenärzten. Bis heute nimmt die Anzahl an ambulant-chirurgischen Augenärzten zu. Demzufolge steigt auch die Anzahl ambulant durchgeführter Augenoperationen (Reuscher 2008). Pham geht sogar davon aus, dass eine Ausweitung ambulanter Eingriffe auf

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1.3 Individuelle Gesundheitsleistungen in der Augenheilkunde

80% aller Augenoperationen möglich ist. Allerdings fehlen bislang valide Studien zum ambulant-operativen Versorgungsgeschehen (Bach 2010). Während die Anzahl der stationär durchgeführten Operationen auf der Grundlage der Krankenhausstatistik gut ermittelt werden kann, wird die Zahl der ambulanten Operationen nicht zentral erfasst. So beruhen die Angaben zum Verhältnis von ambulant zu stationär durchgeführten Operationen auf Schätzungen, die auf Ergebnisse einer jährlichen Umfrage des Bundesverbands Deutscher OphthalmoChirurgen (BDOC), des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA), der Deutschsprachigen Gesellschaft für Intraokularlinsen-Implantation und refraktive Chirurgie (DGII) und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) zurückgehen. Aber nicht nur der medizinische Fortschritt ist ein Grund für die Verschiebung bzw. Verschmelzung der ambulanten und stationären Ophthalmochirurgie, sondern auch die vergangenen Gesundheitsreformen. Durch die neu geschaffenen Rahmenbedingungen waren die Kostenträger wie auch die kassenärztlichen Vereinigungen in der Lage, gemäß der politischen Forderung „ambulant vor stationär“ zu handeln und entsprechende Selektivverträge mit Anreizen für ambulantes Operieren zu gestalten. Die gezielte Förderung führte dazu, dass viele Augenärzte in die Errichtung eines ambulanten OPs investierten. Während die Vertreter der Augenheilkunde überwiegend positiv auf die Entwicklung des ambulant-chirurgischen Bereichs blicken, wird die Situation der konservativen Augenheilkunde hingegen als schwierig eingeschätzt. Der BVA beklagt insbesondere die unzureichende Honorierung der konservativen Augenheilkunde durch die gesetzliche Krankenversicherung. Das Regelleistungsvolumen (RLV) sei häufig nicht kostendeckend und würde darüber hinaus einen Großteil der Untersuchungen, die für die Patienten notwendig seien, nicht abdecken. Viele diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, die für eine fachgerechte ambulante Versorgung erforderlich seien, würden darüber hinaus von den Kassen nicht bezahlt werden. Unter den politischen Rahmenbedingungen scheint das Modell der einzelnen, kleinen Augenarztpraxen unter immer stärkeren Druck zu geraten. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Verlagerung der Augenchirurgie in den ambulanten Sektor weiter voranschreiten wird, was zur Bildung von neuen Organisationsmodellen führt. Gleichzeitig wird es aber wie in anderen Versorgungsbereichen auch zu einer immer stärkeren Ausdifferenzierung der verschiedenen Versorgungsformen kommen, die nebeneinander existieren.

1.3

Individuelle Gesundheitsleistungen in der Augenheilkunde

Im Bereich der Augenheilkunde sind die Angebote individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) besonders häufig. Nach den Ergebnissen einer Patientenbefragung schätzt das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) die durchschnittliche Anzahl auf 578 IGeL-Angebote pro Augenarzt im

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1 Kurzer Einblick in die augenärztliche Versorgungssituation in Deutschland

Jahr (Zok 2010). Damit ist die Augenheilkunde die Facharztgruppe, die am häufigsten Selbstzahlerleistungen anbietet. Diese Leistungen werden in Abhängigkeit von Alter und Vorbefund des Patienten von Experten häufig als medizinisch sinnvoll empfohlen, auch wenn die Kosten vom Patienten selbst getragen werden müssen. Der Initiativkreis zur Glaukom Früherkennung e.V. empfiehlt beispielsweise, dass Personen im Alter ab 40 Jahren regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen wahrnehmen sollten, insbesondere wenn sie Diabetiker oder kurzsichtig sind, aber auch wenn bereits andere Familienmitglieder unter einem Glaukom gelitten haben. Dementsprechend gehört die Glaukom-Vorsorgeuntersuchung laut einer Patientenbefragung zu den am häufigsten angebotenen individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) (Zok 2010, s. Abb. 2). Für ein Glaukomscreening reichen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Leistungskatalog erfüllen, nach Ansicht des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) allerdings noch nicht aus. So gibt es beispielsweise keine validen Daten über eine geeignete Testauswahl und -kombination, Altersgrenzen und Screeningintervalle (Gemeinsamer Bundesausschuss 2004). Nach einem HTA-Bericht, der vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) beauftragt wurde, gibt es auch heute keine ausreichende Evidenz zur Effektivität von individuellen Gesundheitsleistungen (Schnell-Inderst et al. 2011). Zur Nutzenbewertung von Glaukomscreenings liegen beispielsweise keine randomisierten Screeningstudien vor, mit denen eine Vermeidung von Sehbehinderung oder Einschränkungen der sehbezogenen Lebensqualität nachgewiesen werden können. Angaben in %

Art der Leistung Ultraschalluntersuchung

20

Glaukomvorsorgeuntersuchung

16,2

Medikament bzw. Heil- und Hilfsmittel

11,5

Blutuntersuchung/Laborleistung

10,1

Keine vertragsärztliche Leistung

10

Ergänzende Krebsfrüherkennung bei Frauen

9,9

PSA-Wert-Bestimmung

6,2

Hautkrebsvorsorge

4,4

Knochendichtemessung

3,8

Akupunktur Kosmetische Leistung EKG Nahrungsergänzungsmittel Sonstiges

3,2 1,3 1 0,9 1,5

Abb. 2 Verteilung der IGeL-Leistungen (nach Zok 2010)

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1

1.4 Forschung in der Augenheilkunde

Seitens des Bundesverbandes der Augenärzte in Deutschland e.V. (BVA) wird jedoch argumentiert, dass zwar keine randomisierten kontrollierten Studien zum Nutzen des Glaukomscreenings vorliegen. Ebenso liegen aber auch keine Studien vor, die das Gegenteil belegen (BVA 2011a). Zudem ist die Umsetzung einer solchen Studie nach Ansicht des BVA-Präsidenten „kaum umsetzbar und ethisch schwer vertretbar“ (BVA 2011a). Da die augenärztliche Erfahrung bestätigt, dass Glaukom-Früherkennungsuntersuchungen Erblindungen verhindern können, wird ein Glaukomscreening vom BVA befürwortet. Da bei der Entscheidung über die Aufnahme von Untersuchungen in den Leistungskatalog neben Kriterien der wissenschaftlichen Evidenz häufig auch indirekt Aspekte der Wirtschaftlichkeit eine Rolle spielen, sind Studien zur Nutzenbewertung, die den Anforderungen an die wissenschaftliche Evidenzgüte entsprechen, umso bedeutender. Auf dieser Grundlage sind Entscheidungsspielräume über die Aufnahme von Leistungen vermeidbar (Gerlinger, Schmucker 2011). Auch wenn randomisierte Studien oftmals schwierig umsetzbar sind (BVA 2011a), d.h. sehr lange Beobachtungszeiträume sowie eine große Patientenzahl erfordern, sollte zukünftig dennoch eine intensivere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Untersuchungen zur Nutzenbewertung und alternativen Studiendesigns im Bereich der Augenheilkunde angestrebt und wissenschaftliche Studien, die der höchsten Evidenzstufe genügen, verwirklicht werden.

1.4

Forschung in der Augenheilkunde

Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e.V. (DOG) schätzt die Gesamtsumme öffentlicher Fördermittel für die ophthalmologische Forschung in Deutschland auf ca. 10 bis 12 Millionen Euro pro Jahr, wobei eine genaue Abschätzung aufgrund der Vielzahl von Fördereinrichtungen schwierig ist und die Mittelzuwendungen zwischen den Jahren stark variieren können. Den Großteil der Zuwendungen machen dabei Förderungen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie zunehmend durch die Europäische Union (EU) aus (Pfeiffer et al. 2008). Eine detaillierte Übersicht über die geförderten Projekte hinsichtlich des Fördervolumens und der Anzahl beantragter und bewilligter Projekte in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen wird in einer Statistik der DFG zur Verfügung gestellt (DFG 2012). Demnach förderte die DFG im Jahr 2011 68 von 156 beantragten Projekten des Bereichs Augenheilkunde mit einem Fördervolumen von insgesamt 3.662.891 Euro, wobei 73,4% des Fördervolumens auf 41 Einzelanträge entfiel. Der Umfang der Förderung für Forschung im Bereich Augenheilkunde hat sich aber im Gegensatz zum gesamten Förderbereich Neurowissenschaften, dem die Augenheilkunde zugeordnet ist, in den letzten Jahren verringert: Während die Fördersumme im Bereich Neurowissenschaf-

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1 Kurzer Einblick in die augenärztliche Versorgungssituation in Deutschland

ten 2011 im Vergleich zum Jahr 2000 fast das sechsfache betrug, hat sich die Fördersumme im Bereich Augenheilkunde im selben Zeitraum um 14,5% verringert. Bei einer Betrachtung der Anzahl bewilligter Projekte fällt zudem auf, das sich die Anzahl der geförderten Projekte durch die DFG im Bereich Neurowissenschaften im Vergleich zum Jahr 2000 mehr als verdoppelt hat. Hingegen ist die Zahl der geförderten Projekte im Bereich Augenheilkunde um 31,3% gesunken (DFG 2012; s. Abb. 3). Auch das Verhältnis bewilligter zu beantragter Projekte fällt im Bereich Augenheilkunde geringer aus: So wurden im Jahr 2011 53,1% der beantragten DFG-Projekte des Bereichs Neurowissenschaften bewilligt. Im Bereich Augenheilkunde wurden jedoch nur 68 von insgesamt 156 Anträgen gefördert, was einer Quote von 43,6% entspricht. Noch geringer fällt das Verhältnis der bewilligten zu beantragten Projekte bei der Förderung von Einzelanträgen aus (s. Abb. 4): Während im Bereich Neurowissenschaften insgesamt 723 von 1.786 Anträgen (40,5%) bewilligt wurden, wurden im Bereich Augenheilkunde nur 41 von 125 gestellten Anträgen (32,8%) gefördert. Die Nachfrage nach DFG-Forschungsstipendien im Bereich Augenheilkunde ist in den letzten Jahren ebenfalls deutlich zurückgegangen. Nach der DFG-Statistik wurden im Jahr 2000 noch 14 von 20 beantragten Stipendien bewilligt. Im Jahr 2011 wurden insgesamt 9 Stipendien beantragt, wovon 7 gefördert wurden. Die Anzahl der Professuren im Bereich Augenheilkunde hat sich nach der Hochschulstatistik des Statistischen Bundesamtes (2012a) in den letzten Jahren erheblich reduziert: Während es 2000 noch 84 berufene Professoren (ohne außerplanmäßige Professuren) gab, waren es im Jahr 2010 nur noch 60, was einem Rückgang um 28,6% entspricht. Zwar hat sich auch die Anzahl der Professuren im gesamten Forschungsbereich der klinisch-praktischen Humanmedizin, dem die Augenheilkunde zugeordnet ist, verringert, der Rückgang 1.400 Bewilligte Projekte über alle DFGFörderprogramme

1.386 1.200 1.000 800 600

Neurowissenschaft

536

Augenheilkunde

400 200

99

68

0 2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

Anmerkung: Die jeweils pro Jahr geförderten Projekte, d.h. ein Projekt, das für mehrere Jahre bewilligt bzw. beantragt wurde, wird in jedem dieser Jahre gezählt.

Abb. 3

8

Anzahl der bewilligten Projekte im Bereich Neurowissenschaften insgesamt und im Bereich Augenheilkunde über alle DFG-Förderprogramme von 2000 bis 2011 (nach DFG 2012)


1

1.4 Forschung in der Augenheilkunde

Bewilligungsquote beantragter Projekte der Einzelförderung

60,0% 50,0% 40,0% Neurowissenschaft

30,0%

Augenheilkunde 20,0% 10,0% 0,0% 2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

Anmerkung: Die jeweils pro Jahr geförderten Projekte, d.h. ein Projekt, das für mehrere Jahre bewilligt bzw. beantragt wurde, wird in jedem dieser Jahre gezählt.

Abb. 4 Anzahl beantragter im Verhältnis zu bewilligten Anträge (Bewilligungsquote) der DFGEinzelförderung zwischen 2000 und 2011 (nach DFG 2012) entsprach im selben Zeitraum jedoch nur 8,8%. Hingegen hat sich die Anzahl der wissenschaftlich tätigen Personen im Bereich Augenheilkunde seit 2000 leicht erhöht. So waren 2010 1.124 Personen hauptberuflich wissenschaftlich tätig und damit 3,4% mehr als im Jahr 2000. Dabei ist jedoch anzunehmen, dass hier vermutlich alle an Universitätskliniken beschäftigten Augenärzte in die Statistik mit einfließen. Allerdings fällt die Zunahme der hauptamtlich tätigen Wissenschaftler im Vergleich zum Gesamtbereich der klinisch-praktischen Humanmedizin, in dem die Anzahl im selben Zeitraum um 31,7% angestiegen ist, deutlich geringer aus (s. Tab. 1; DFG 2012).

Tab. 1

Anzahl der Professoren im Bereich Augenheilkunde von 2000 bis 2010 (Statistisches Bundesamt 2012a) Professoren in der Augenheilkunde

Jahr

davon C 4, davon C 3, davon C 2 auf davon C 2, W 1 Gesamt weiblich W 3 weiblich W 2 weiblich Dauer weiblich auf Zeit

davon weiblich

2000

84

6

38

1

34

3

7

1

3

2001

82

6

39

1

33

3

6

2

3

2002

73

5

35

32

3

3

1

3

1

2003

76

4

37

29

2

3

1

7

1

2004

74

4

38

28

1

4

1

4

2

2005

67

6

35

22

1

4

1

6

4

2006

63

5

34

21

1

4

2

4

2

2007

60

3

33

18

5

3

4

2008

60

3

37

2

17

4

1

2

2009

61

4

37

1

18

1

3

1

3

1

2010

60

5

36

2

17

1

6

2

1

9


1 Kurzer Einblick in die augenärztliche Versorgungssituation in Deutschland

Die Tendenz zur Feminisierung der Medizin zeichnet sich dabei im wissenschaftlichen Bereich der klinisch-praktischen Humanmedizin insgesamt wie auch in der Augenheilkunde ab. Seit dem Jahr 2000 stieg der Anteil an weiblichen Wissenschaftlern in der klinisch-praktischen Humanmedizin von 33,9% auf 46,2% in 2010 an. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich im Fachgebiet Augenheilkunde, wobei hier der Frauenanteil sogar noch höher ist. Hier kann ein Zuwachs von 41,6% (2000) auf 49,6% (2010) erfasst werden (s. Tab. 2). Der Anteil unter den Professoren ist jedoch deutlich niedriger. Im Vergleich zum Jahr 2000 hat sich dieser zwar etwas erhöht (s. Tab. 1). Dennoch ist der Frauenanteil mit 5 Professorinnen von insgesamt 60 Professuren (8,3%) sehr gering. Bezüglich der Anzahl ophthalmologischer Publikationen steht Deutschland nach einer bibliometrischen Analyse über Veröffentlichungen im Zeitraum von 1993 bis 2007 mit einem Anteil von knapp 10% an zweiter Stelle hinter den USA (Pfeiffer et al. 2008). In Relation zur Bevölkerungsgröße der jeweiligen Länder liegt Deutschland mit 45,8 jährlichen Veröffentlichungen pro 100.000 Einwohner jedoch weit hinter Australien, England und den skandinavischen Ländern zurück, die jeweils 70 wissenschaftliche Veröffentlichungen pro 100.000 Einwohner aufweisen (Wolfram & Pfeiffer 2010). Im nationalen Vergleich entspricht der Publikationsumfang im Bereich Augenheilkunde 3,5% aller deutschen wissenschaftlichen medizinischen Publikationen (Zrenner 2008). Vor allem im Bereich der Versorgungsforschung findet sich nur eine geringfügige Zahl an Studien. Bei der Betrachtung und der Gestaltung von Forschungsstrukturen ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Anteil der ambulanten Patientenversorgung im Bereich Augenheilkunde im Vergleich zu anderen Fachbereichen deutlich höher ist. Insbesondere im Bereich der Versorgungsforschung gewinnen Forschungsansätze, die eine enge Verzahnung zwischen Forschungseinrichtungen einerseits und klinischen Einrichtungen andererseits ermöglichen, zunehmend an Bedeutung, wobei vor allem der Stellenwert der ambulanten

Tab. 2

Wissenschaftliches Personal der klinisch-praktischen Humanmedizin insgesamt und im Bereich Augenheilkunde von 2000 bis 2010 (Statistisches Bundesamt 2012a) 2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Wissenschaftliches Personal 28.786 29.255 29.732 31.001 29.849 30.507 31.166 32.415 33.886 35.919 37.908 der klinisch-praktischen Humanmedizin insgesamt Hauptberuflich tätig

27.685 28.367 28.639 29.661 28.600 28.972 30.092 31.186 32.193 34.141 36.065

davon Frauen

33,9% 35,2% 35,9% 36,8% 37,2% 38,1% 39,9% 41,2% 43,1% 44,4% 46,2%

Wissenschaftliches Personal Augenheilkunde insgesamt

1.104 1.113 1.138 1.107 1.031 1.020 1.021 1.040 1.095 1.082 1.142

Hauptberuflich tätig

1.065 1.078 1.091 1.061

davon Frauen

41,6% 42,9% 43,0% 43,0% 44,3% 44,9% 45,7% 46,8% 47,7% 48,8% 49,6%

10

987

979

1.001 1.017 1.057 1.067 1.124


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