9783954660056_leseprobe

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Hyperprolaktinämie Klaus von Werder

1.1 Definition Bei einer Hyperprolaktinämie liegt der morgendliche basale Prolaktinspiegel oberhalb der Norm. Bei der Grenzhyperprolaktinämie liegen die Prolaktinspiegel im oberen Normbereich. Dazu besteht eine auf die Prolaktinerhöhung zurückführbare Klinik. Bei der Makroprolaktinämie ist der Prolaktinspiegel erhöht, ohne dass eine Klinik auftritt.

Bei der Frau ist Prolaktin ein wichtiges Reproduktionshormon, das postpartal Laktation und Anovulation aufrechterhält. Eine physiologische Bedeutung ist beim Mann nicht bekannt (von Werder 2005).

1.2.2 Prolaktinsekretion

1.2.1 Biologische Aktivität

PRL wird in den laktotrophen Zellen des Hypophysenvorderlappens (HVL) gebildet. Es steht unter vornehmlich inhibitorischer dopaminerger Kontrolle. PRL-Spiegel unterliegen einem Tagesrhythmus. Morgendliche PRL-Spiegel liegen bei Frauen zwischen 5 und 25 ng/ml, bei

Prolaktin (PRL) ist ein einkettiges Eiweißhormon mit 199 Aminosäuren und drei Disulfidbrücken, Molekülmasse 23.000 Dalton. Im Blut zirkulieren neben monomerem PRL dimere und polymere PRL-Formen. Bei dem Makroprolaktin, das keine biologische Aktivität aufweist, handelt es sich um einen PRL-Autoantikörperkomplex.

Männern unter 15 ng/ml. Die Halbwertszeit beträgt 50 Minuten, die Produktionsrate ca. 400 μg pro Tag. Während der Schwangerschaft kommt es östrogenbedingt zu einem Anstieg der PRL-Spiegel, die vor dem Geburtstermin zehnfach höher liegen als vor der Konzeption. Dabei blockieren die plazentaren Steroidhormone die biologische PRL-Wirkung an der Brust. Nach deren postpartalem Abfall kommt

1.2 Physiologie

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I Hypophyse

es innerhalb von 24 Stunden zur Manifestation des PRL-Effekts, d.h. die Milch schießt ein. Der Östrogenentzug führt zu einer Reduktion des Hypophysenvolumens und Abfall der PRLSpiegel, die nach vier Wochen den Ausgangswert erreichen. Der Saugreiz führt zu intermittierenden PRL-Anstiegen, die die Laktation und Anovulation unterhalten (von Werder 2005).

Selten sind maligne Prolaktinome (PRL-Zellkarzinome). Neben dem Prolaktinom kann die Störung der hypothalamischen Dopaminfreisetzung bzw. die Obstruktion des portalen Blutflusses zur Hyperprolaktinämie führen (s. Tab. 1). Selten ist eine primäre Hypothyreose Ursache der Hyperprolaktinämie. Dagegen ist eine durch Pharmaka hervorgerufene Hyperprolaktinämie häufig. Findet sich kein HVL-Adenom oder eine

1.3 Pathophysiologie

andere Erklärung, wird die Hyperprolaktinämie als funktionell bezeichnet. Wahrscheinlich handelt es sich auch um sehr kleine Mikroadenome, die mit dem MRT nicht entdeckt werden können. Eine ektope PRL-Sekretion ist in der Literatur nicht dokumentiert.

Die Hyperprolaktinämie, bei der Frau häufiger als beim Mann, ist die häufigste HVL-HormonMehrsekretion des Menschen (s. Tab. 1). 80% der Prolaktinome bei der Frau sind Mikroprolaktinome, 20% Makroprolaktinome. Bei Männern werden Mikroprolaktinome seltener beobachtet, in 95% der Fälle handelt es sich um Makroprolaktinome (Bevan et al. 1992). Prolaktinome können im Rahmen der Multiplen endokrinen Neoplasie Typ I auftreten.

Tab. 1

1.4 Klinik der Hyperprolaktinämie Erhöhte PRL-Spiegel führen bei Frauen zur Galaktorrhoe und über die Unterdrückung der pul-

Ursachen der pathologischen Hyperprolaktinämie

Autonome hypophysäre Prolaktinsekretion

Mikroprolaktinom Makroprolaktinom

Gestörte hypothalamische Dopaminfreisetzung oder Transport zu den laktotrophen HVL-Zellen

Hypothalamische Tumoren (z.B. Kraniopharyngiome) nicht-PRL sezernierende HVL-Adenome („Pseudoprolaktinom“) Granulomatöse Erkrankungen der basalen Meningen (z.B. Sarkoidose) Trauma (Hypophysenstielabriss)

Stimulation der laktotrophen Zelle, die physiologische Inhibition überwiegend

Hypothyreose (TRH)

Arzneimittel

Dopaminrezeptor-Antagonisten (Benzamide, Phenothiazine, Butyrophenone) Monoamindepletoren (Reserpin) Monoaminsynthese-Hemmer (Alpha-Methyldopa) Monoamin-uptake-Hemmer (trizyklische Antidepressiva) Östrogene (hohe Dosierung, z.B. Transsexuelle)

Andere Ursachen

Nierenversagen (Rezeptordefekt an der laktotrophen Zelle) Leberzirrhose (Neurotransmitter-Dysfunktion?) Erkrankung der Thoraxwand

Idiopathische funktionelle Hyperprolaktinämie

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I

1 Hyperprolaktinämie

satilen GnRH-Freisetzung zum Hypogonadismus bei Mann und Frau. Bei Männern kommt es zu Libido- und Potenzverlust, seltener zur Galaktorrhoe (s. Tab. 2). Bei der Frau reichen die Störungen der Ovarialinsuffizienz von Gelbkörperschwäche über anovulatorische Zyklen bis zur Amenorrhoe. Zwischen 15–20% der sekundären und bis 10% der primären Amenorrhoe haben als Ursache eine Hyperprolaktinämie.

!

DDeswegen sollte die PRL-Bestimmung die erste Hormonbestimmung bei Zyklusstörungen sein. H

Der Östrogenmangel kann zur Osteoporose und bei Persistieren der Androgenfreisetzung zu Hirsutismus und Seborrhoe führen (von Werder 2005). Darüber hinaus können Makroprolaktinome zu einer Störung der HVL-Funktion bzw. über supraselläre Extension zur Gesichtsfeldein-

Tab. 2

Klinische Symptomatik der Hyperprolaktinämie

Frauen

Männer

Amenorrhoe

Libidostörung

Oligomenorrhoe

Potenzstörung

Corpus-Luteum-Insuffizienz

Hypogonadismus mit und ohne Gynäkomastie

Anovulation

Galaktorrhoe (selten)

Galaktorrhoe Libidoverlust Androgenisierung (z.B. Seborrhoe, Hirsutismus) Osteopenie Zeichen eines Hypophysentumors Hypophysenvorderlappeninsuffizienz Gesichtsfeldeinschränkung Kopfschmerzen zerebrale Störungen (z.B. Foramen-Monroi-Blockade)

schränkung und anderen neurologischen Symptomen führen.

1.5 Diagnostik der Hyperprolaktinämie Die PRL-Bestimmung sollte in der Regel vormittags unter Ruhebedingungen erfolgen, da Stress die PRL-Spiegel ansteigen lässt.

KKeine gynäkologische oder Brustuntersuchung vvor der Blutabnahme! Besteht eine Klinik mit Verdacht auf Hyperprolaktinämie und liegt der erstgemessene Spiegel im oberen Normbereich, sollten zwei weitere PRL-Spiegel in mindestens stündlichen Abständen gemessen werden. Finden sich auch hier PRL-Spiegel im obersten Normbereich, ist die Indikation zur Prolaktin-suppressiven Therapie gegeben. Mit der immunologischen Bestimmung wird auch Makroprolaktin (PRL-GammaglobulinKomplex) miterfasst, das biologisch nicht wirksam ist. In diesem Fall muss die PRL-Bestimmung nach PEG-Fällung wiederholt werden. Kompliziert wird die Situation, wenn makroprolaktinämische Patienten auch ein Prolaktinom haben (Bronstein 2012). Hier ist eine Therapie indiziert, wobei eine völlige Normalisierung der PRL-Spiegel nicht erreicht werden muss.

Definition von Makroprolaktinämie 1. mäßig erhöhter PRL-Spiegel (< 250 ng/ml) 2. keine entsprechende Klinik (normale Gonadenfunktion) 3. Nachweis von „big-big“ Prolaktin Gelfiltration (= Referenzmethode) PEG-Fällung und Messung von PRL im Überstand < 40% des vor der Fällung gemessenen PRL = Markoprolaktinämie 60% Makroprolaktinämie unwahrscheinlich 40–60% „Graubereich“ 4. Die Makroprolaktinämie persistiert über Jahre (keine Therapie erforderlich).

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I Hypophyse

Tab. 3

Diagnostisches Vorgehen bei Hyperprolaktinämie

Prolaktinsekretion Basales Prolaktin

meist diagnostisch

Suppressions- oder Stimulationstest

nicht indiziert

Differenzialdiagnose Höhe des Prolaktinspiegels

> 250 ng/ml ist auf Tumor hinweisend

Medikamentenanamnese

z.B. Dopamin-Antagonisten

basales TSH

Hypothyreose

bildgebende Verfahren der Sella bzw. des Suprasellaraumes

Tumorgröße und -lokalisation

Bildgebende Verfahren Kernspintomographie (Magnetic Resonance Tomography = MRT)

Methode der Wahl

Computertomographie

alternative Methode

Gesichtsfelduntersuchung

Verlaufsuntersuchungen

Ist die Hyperprolaktinämie gesichert, muss der Ursache nachgegangen werden (s. Tab. 3). Sind Medikamente, eine primäre Hypothyreose oder andere Ursachen ausgeschlossen, erfolgt die bildgebende Diagnostik mit dem MRT. Die Höhe des PRL-Spiegels korreliert zur Prolaktinomgröße. Liegt der basale PRL-Spiegel über 250 ng/ml, ist ein im MRT nachweisbares Prolaktinom wahrscheinlich. Makroprolaktinome haben zum Teil extrem hohe PRL-Spiegel bis über 20.000 ng/ml (Brevan et al. 1992). Bei großen Makroadenomen, insbesondere bei jüngeren Männern mit mäßig erhöhten PRLSpiegeln, muss ein Hook-Effekt ausgeschlossen werden, d.h. die Serumprobe in einer Verdünnung von 1:100 muss noch einmal gemessen werden. So können die wahren, zum Teil extrem erhöhten PRL-Spiegel entdeckt werden.

1.6 Therapie Die Hyperprolaktinämie lässt sich mit Dopamin-Agonisten (s. Tab. 4) effektiv behandeln. Die DA-Agonisten hemmen nicht nur die PRLSekretion, sondern führen auch in über 85% der Fälle zu einer Schrumpfung des Hypophysentumors (Bevan et al. 1992). Die Pharmako-

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therapie ist deshalb die Therapie der ersten Wahl. Dopamin-Agonisten haben Nebenwirkungen wie orthostatische Hypotension, Schwindel, Übelkeit, trockene Nase, Verstopfung, selten Psychosen und digitale Vasospasmen. Die Verträglichkeit der neuen Dopamin-Agonisten, insbesondere Cabergolin, ist in der Regel besser als die von Bromocriptin, dem Medikament, das zuerst zur Behandlung der Hyperprolaktinämie zur Verfügung stand (von Werder 2005). Allerdings sind bei Parkinsonpatienten, die Cabergolin in hoher Dosierung (> 2,0 mg pro Tag) erhalten haben, Störungen der Herzklappenfunktion, insbesondere Insuffizienzen, beobachtet worden. Obwohl Prolaktinompatienten nicht mit solchen Dosen behandelt werden, wird immer dann eine Echokardiographie mit Verlaufskontrolle empfohlen, wenn 2 mg Cabergolin und mehr pro Woche gegeben werden (Molitch 2008). Bei Quinagolid, dem einzigen „Nicht-Ergot“-DA-Agonisten, sind kardiale Nebenwirkungen nicht zu erwarten. Bei Cabergolinresistenz kann ein anderer DA-Agonist versucht werden (s. Tab. 5) oder muss operiert werden. Ist die Ursache der Dopamin-Agonistenresistenz ein Prolaktinzellkarzinom, ist nach Operation und eventuell Be-


I

1 Hyperprolaktinämie

Tab. 4

Dopamin-Agonisten zur Behandlung der Hyperprolaktinämie

Präparat

Handels-Präparat

Bromocriptin

Pravidel®

Dosierung (mg)

Einnahme-Intervall

1,25–20

1–3 x/Tag

Kirim®

Bemerkungen* Goldstandard, erster DA-Agonist für die Behandlung der Hyperprolaktinämie

Bromocriptin® Lisurid

Dopergin®

0,2–2,6

2–3 x/Tag

Quinagolid

Norprolac®

0,075–0,75

1 x/Tag

Cabergolin

Dostinex®

0,5–2,0

2–4/Woche

4–16

3 x/Tag

DA-Agonist der 2. Generation, kein Ergotpräparat DA-Agonist der 2. Generation

Cabergolin® Metergolin

Liserdol®

DA-Agonist und partieller Serotoninantagonist, nur bei mäßig ausgeprägter Hyperprolaktinämie

* Die Therapie wird abends nach dem Essen in niedriger Dosierung (z.B. 1,25 mg Bromocriptin pro Tag oder 0,25 mg Cabergolin pro Woche) begonnen und langsam unter Kontrolle des PRL-Spiegels gesteigert.

Tab. 5

Therapie der Hyperprolaktinämie

Intraselläres, nicht invasives Prolaktinom

Invasives Makroprolaktinom

Kurze DA-Agonisten-Behandlung

Kurze DA-Agonisten-Behandlung

Elektive transpenoidale Operation nur wenn:

LangzeitDA-Agonisten

Östrogene oder Beobachtung

LangzeitDA-Agonisten

bei Intoleranz/Resistenz Versuch, den DA-Agonisten zu wechseln

Auslassversuch nicht vor zwei Jahren

PRL-Bestimmung

nach drei Jahren probatorischer Auslassversuch

bei maligner Transformation zusätzlich zu DA-Agonisten:

erfahrener Chirurg vorhanden ist der Patient es vorzieht oder DA-Agonisten-Intoleranz oder -Resistenz

strahlung eine Therapie mit Temozolomid angezeigt (Whitelaw et al. 2012). Die Prolaktinomtherapie (s. Tab. 5) muss nicht lebenslang erfolgen. Nach Normalisierung der PRL-Spiegel und Verschwinden des Hypophysentumors im MRT kann bei Mikroprolaktinom nach zwei, bei Makroprolaktinom nach drei bis fünf Jahren, ein Auslassversuch gemacht werden (Colao et al. 2003). Nach Absetzen der DA-Agonisten muss initial der PRL-Spiegel in zweimonatigen Intervallen kontrolliert werden. Nach Wiederanstieg der PRLSpiegel, mit dem bei der Mehrzahl der Patienten zu rechnen ist (Dekkers et al. 2010), muss die Therapie wieder aufgenommen werden. Bei DA-Agonisten-Unverträglichkeit kann ein operativer Eingriff durchgeführt werden,

Operation Temozolomid Radiotherapie

um ein Mikroprolaktinom selektiv zu entfernen bzw. bei Makroprolaktinomen eine Reduzierung der Tumormasse zu erreichen. Bei Patienten mit Mikroprolaktinom und Kinderwunsch, die DA-Agonisten gar nicht vertragen, kann eine pulsatile GnRH-Therapie die Schwangerschaft ermöglichen (s. Tab. 6). Mikroprolaktinom-Patientinnen ohne Kinderwunsch können mit Östrogen/Gestagen-Präparaten behandelt werden. In der Postmenopause ist keine Therapie erforderlich. In beiden Fällen dient die jährliche Messung der PRL-Spiegel als Marker für die Adenomentwicklung. Ist das Therapieziel die Fertilität, werden Mikroprolaktinome und intraselläre Makroprolaktinome medikamentös behandelt. Ist die Schwangerschaft eingetreten, werden die DA-Agonisten abge-

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I Hypophyse

Tab. 6

Therapieziel: Schwangerschaft Intraselläres, nicht invasives Prolaktinom

Invasives Makroprolaktinom

Kurze DA-Agonisten-Behandlung elektive t.s.-Operation

Langzeit-DA-Agonisten evtl. GnRH oder Gonadotropine

Kurze DA-Agonisten-Behandlung t.s.-Operation (zur Beseitigung der Raumforderung, nicht zur Normalisierung des PRL-Spiegels)

oder Langzeit-DA-Agonisten

DA-Agonisten bei Schwangerschaft übliche Schwangerenbetreuung

wenn schwanger:

wenn nicht schwanger:

DA-Agonisten absetzen

DA-Agonisten-Gabe weiter

PRL-Spiegel-Kontrolle in der 20.–25. SSW

setzt. Suprasellär extendierende Makroprolaktinome, die unter Östrogeneinfluss während der Schwangerschaft an Größe zu nehmen und zur Visusstörung und Adenomeinblutung mit Hypophysenapoplexie führen können, müssen entweder vor der Fertilitätstherapie operiert werden (Adenomverkleinerung) oder während der Schwangerschaft mit DA-Agonisten behandelt werden (s. Tab. 6).

Literatur Bevan JS, Webster J, Burke CW, Scanlon MF (1992) Dopamine agonists and tumour shrinkage. Endocr Rev 13: 220–240 Bronstein MD (2012) Editorial: Is macroprolactin just a diagnostic pitfall? Endocrine 41: 169–170

Colao A, Di Sarno A, Cappabianca P, Di Somma C, Pivonello R, Lombardi G (2003) Withdrawal of longterm cabergoline therapy for tumoral and nontumoral hyperprolactinemia. New Eng J Med 349: 2023–2033 Dekkers OM, Lagro J, Burman P, Jørgensen JO, Romijn JA, Pereira AM (2010) Recurrence of Hyperprolactinemia after Withdrawal of Dopamine Agonists: Systematic Review and MetaAnalysis. J. Clin. Endocr. Metab. 95: 43–51 Molitch ME (2008) The Cabergoline-Resistant Prolactinoma Patient: New Challenges J. Clin. Endocr. Metab. 93:4643– 4645 Werder K von (2005) Klinische Neuroendokrinologie. Springer Berlin, Heidelberg Whitelaw BC, Dworakowska D, Thomas NW, Barazit S, Riordan-Eva P, King AP, Hampton T, Landau DB, Lipscomb D, Buchanan CR, Gilbert JA, Aylwin SJB (2012) Temozolomide in the management of dopamine agonist-resistant prolactinomas. Clin. Endocr. 76: 877–886

Prof. Dr. med. Klaus von Werder, FRCP Professor Klaus von Werder ist Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie. Nach dem Medizinstudium 1960–1966 in Heidelberg, Berlin und Zürich verfasste er seine Doktorarbeit 1968 an der Münchner Medizinischen Universitätsklinik über ein experimentell endokrinologisches Thema. 1968–1970 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Metabolic Research Unit der Universität von Kalifornien, San Francisco, 1970–1988 als Assistent, dann als Oberarzt an der Medizinischen Klinik Innenstadt der Universität München. 1980 folgte die Ernennung zum Professor auf Lebenszeit. 1988–2005 war er als Chefarzt der Inneren Medizin am akademischen Lehrkrankenhaus Schlosspark-Klinik der Charité in Berlin tätig. Von 2005 bis Ende 2014 war er im endokrinologikum München tätig, seit 2015 berät er Patienten mit Hormonstörungen in Fischbachau. Professor von Werder erhielt für seine Arbeit mehrere Ehrungen und Preise und ist darüber hinaus Mitglied zahlreicher, auch internationaler Gesellschaften für Endokrinologie.

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Akromegalie Birgit Gerbert

2.1 Epidemiologie

2.3 Klinisches Bild

Jährliche Inzidenz 3–5/1 Million Einwohner. Erkrankungsmaximum zwischen dem 45. und 50. Lebensjahr.

Das klinische Bild wird durch die Intensität und Dauer der Überproduktion an Wachstumshormon geprägt.

2.2 Ätiologie gesteigerte GH-Sekretion Hypophysentumor (98%), davon 60% GH-

Zell-, 25% GH- und Prolaktin-Zell- und 10% mammosomatotrophe-Zell-Adenome, 5% plurihormonale Hypophysenadenome, Karzinome, MEN 1, McCune-Albright-Syndrom, ektope Hypophysentumoren gesteigerte GHRH-Sekretion < 1% zentral ektop: hypothalamische Hamartome, Choristoma, Ganglioneurome 1% peripher ektop: Bronchialkarzinom, Pankreastumor, kleinzelliges Lungenkarzinom Nebennierentumoren, medulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom

Lokale Tumoreffekte: Hypophysenvergrößerung,

Gesichtsfelddefekt, Ausfall von Hirnnerven, Kopfschmerz Skelettsystem: Wachstum der Akren, Gigantismus, Prognathie, Arthralgie, Arthritis, Karpaltunnelsyndrom, Parästhesien in den Akren, proximale Myopathie, Hypertrophie ossis frontalis

Haut und gastrointestinales System: Hyperhidrosis, Kolonpolypen, Verdickungen der Haut, Seborrhoe Herz-Kreislauf-System: linksventrikuläre Hypertrophie, Kardiomyopathie, arterielle Hypertonie, Vitien, Schlafapnoe-Syndrom, Narkolepsie, Schlafstörungen, Visceromegalie Endokrines und metabolisches System: Menstruationsstörungen, Galaktorrhoe, Libidoverlust, Impotenz, niedriges SHBG, Störungen

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I Hypophyse

der Glukosetoleranz, Insulinresistenz und Hyperinsulinismus, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung, Hyperkalziurie, erhöhter Vitamin D3-Spiegel, Strumabildung, endokrine Neoplasie im Rahmen eines MEN 1-Syndroms Es bestehen bei unbehandelter Akromegalie ein um das Doppelte bis Vierfache gesteigertes Mortalitätsrisiko und eine reduzierte Lebenserwartung.

2.4 Diagnostik

❱❱❱

Basisdiagnostik (s. Abb. 1): Basis Anamnese, klinische Untersuchung Labor: HGH, IGF1, 75-g-OGTT mit HGH-Bestimmung, Hypophysenvorder- und -hinterlappenfunktion, Weiteres entsprechend der bereits bestehenden klinischen Manifestationen

Bildgebende Diagnostik: MRT der Sellaregion, bei ektopem Tumor-Staging entsprechend der Lokalisation des Verdachtes des Primärtumors Zusätzliche Untersuchungen: Perimetrie, Echokardiografie, EKG, Koloskopie, ggf. Schlaflabor, Weiteres entsprechend der bereits bestehenden klinischen Manifestationen

2.5 Therapie Therapie der ersten Wahl ist bei fast allen Patienten die transsphenoidale Resektion des Hypophysenadenoms. Selten ist eine transkranielle Operation erforderlich. Die Erfolgsraten hängen wesentlich von der Größe und Art des Tumors sowie der Erfahrung des Neurochirurgen bzw. des neurochirurgischen Zentrums ab. Kontraindikationen für die Operation sind eine schwere Kardiomyopathie oder eine schwere pulmologische Erkrankung. Bei 40–60% der Makroadenome kann operativ keine Remission erreicht werden, eine medikamentöse Therapie ist postoperativ erforderlich. Zur medikamentösen Therapie stehen die Somatostatin-Analoga Octreotide, Lanreotide und Pasireotide, Cabergolin und bei unzureichender Wirkung oder Unverträglichkeit der Somatostatin-Analoga der GH-Rezeptorantagonist Pegvisomant zur Verfügung. Somatostatin-Analoga können auch mit Cabergolin kombiniert werden. Zur Kombinationstherapie SomatostatinAnalogon mit Pegvisomant liegen noch keine ausreichenden Erfahrungen vor, diese Kombination ist aktuell noch als Off-Label einzuordnen und bleibt Ausnahmefällen vorbehalten. Eine Therapie mit Somatostatin-Analoga ist auch präoperativ möglich und wird in verschiedenen Studien empfohlen, die Evidenz dieser Therapie zur Verbesserung des postoperativen Outcomes ist noch nicht ausreichend belegt.

2.5.1 Präparate Selten tritt die Akromegalie als Teil eines genetischen Syndroms auf. Dazu gehören die Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1), das McCune-Albright-Syndrom, der Carney-Komplex und die familiäre Akromegalie. Bei bis zu 4% der Patienten gelingt der Nachweis von Keimbahnmutationen im AIP-Gen, v.a. bei Patienten, bei denen sich die Erkrankung vor dem 40. Lebensjahr manifestiert.

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Octreotide (Sandostatin LAR Monatsdepot®):

Therapiebeginn mit 20 mg im Intervall von 4 Wochen i.m. Lanreotide (Somatuline Autogel®): Therapiebeginn mit 90 mg im Intervall von 4 Wochen tief s.c. Pasireotide (Signifor): Therapiebeginn mit 40 mg im Intervall von 4 Wochen i.m.


I

2 Akromegalie

klinische Zeichen der Akromegalie

IGF1 im Serum unauffällig

IGF1 im Serum erhöht

floride Akromegalie ausgeschlossen

75-g-OGTT mit HGH, inkl. Überprüfung der Hypophysenfunktion

HGH im OGTT < 1,0 ng/ml

HGH im OGTT > 1,0 ng/ml

floride Akromegalie ausgeschlossen

Sella-MRT

kein Hypophysenadenom

Hypophysenadenom

ggf. präoperative Octreotidtherapie

OP

Akromegalie kontrolliert

Akromegalie nicht kontrolliert

Kontraindikation zur OP

ektope GH oder GHRH-Produktion?

medikamentöse Therapie (Octreotide, Lanreotide, Pasireotide, Cabergolin, Pegvisomant, ggf. Kombination)

Tumorsuche (Thorax-, Abdomen-CT), GHRH-Messung

OP des Primärtumors Kontrolluntersuchung

medikamentöse Therapie (Octreotide, Lanreotide, Pasireotide, Cabergolin, Pegvisomant, ggf. Kombination)

Möglichkeit einer OP oder Radiatio überprüfen

weiterführende medikamentöse Therapie entsprechend dem Erfordernis zur Kontrolle der Akromegalie

Abb. 1

Management in der Diagnostik und Therapie der Akromegalie

11


I Hypophyse

Cabergolin (Dostinex®, Generika Cabergolin

0,5 mg): Therapiebeginn mit 2 x 0,25 mg wöchentlich p.o. Pegvisomant (Somavert®): Therapiebeginn mit 10 mg tgl. s.c. (Depotpräparat in Entwicklung)

2.5.2 Hinweise Monotherapie mit Cabergolin nur in < 10% effektiv. Sandostatin in der täglichen s.c.-Ap plikation ist im Erwachsenenalter unzureichend effektiv. Aufgrund der höheren Affinität von Pasireotide zum SomatostatinrezeptorTyp 5 im Vergleich zu Octreotide und Lanreotide kann eine Therapie bei nicht kontrollierter Akromegalie unter Octreotide/Lanreotide durchaus erfolgreich sein. Das erhöhte Risiko einer Diabetesentwicklung unter Pasireotide muss aber beachtet werden. Additive Therapie entsprechend der bereits aufgetretenen Komorbiditäten, den Komplikationen der Akromegalie, da die Erkrankung häufig erst nach Jahren diagnostiziert wird.

2.5.4 Therapieziel Biochemische Kontrolle der Akromegalie (HGH < 2,5 ng/ml und IGF1 im alters- und geschlechtsspezifischen Normbereich; Suppression von HGH im 75-g-OGTT < 1,0 ng/ml). Ein spontan gemessener GH < 0,4 ng/ml bei im Normbereich liegendem IGF1 spricht für Remission. Unter Therapie mit Somatostatin-Analoga ist ein Tumor Shrinkage um bis zu 20% (50% im Einzelfall) möglich. Unter der Therapie mit Pegvisomant wurde bisher kein Tumor Shrinkage beobachtet, bei bis zu 95% der Patienten konnte aber IgF1 normalisiert werden. Die Therapie mit Cabergolin führt bei < 40% der Patienten zu einer Normalisierung des IgF1, zur Tumorgröße unter Therapie liegen keine Daten vor.

!

CCave: Unter Therapie mit Pegvisomant werden eerwartungsgemäß sehr hohe HGH-Spiegel gemessen.

2.5.5 Follow-up 2.5.3 Bestrahlung

direkt postoperativ Kontrolle der Hypophy-

Bei unter medikamentöser Therapie biochemisch nicht kontrollierbarer Akromegalie oder hoher Tumorrezidivneigung (Expression von ki67) besteht die Möglichkeit einer fraktionierten stereotaktischen Strahlentherapie oder der Radiochirurgie mittels Gamma-Knife®, Linearbeschleuniger oder Cyber-Knife®. Die maximale Response nach Bestrahlung ist nach 10–15 Jahren erreicht. Die 5-Jahres-Remissionsrate nach Gamma-Knife-Therapie beträgt 29–60%. Die medikamentöse Therapie ist in dieser Latenzzeit fortzusetzen.

nach 3–4 Monaten postoperativ 75-g-OGTT

senfunktion

12

mit HGH bei kontrollierter Akromegalie Follow-up

jährlich über 5 Jahre, dann alle 2–3 Jahre Koloskopie bei Diagnosestellung, bei Nach-

weis von Kolonpolypen Kontrolluntersuchungen entsprechend der internationalen Leitlinie für Kolonkarzinom Sella-MRT-Kontrollen (3–4 Monate nach OP und dann in Abhängigkeit von dem Vorhandensein von Resttumorgewebe und der biochemischen Kontrolle)


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