Leseprobe aus Petermann Blut

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4. Die Transfusion des Blutes Neben der heilenden und weiteren Wirkungen wurden dem Blut noch andere positive Eigenschaften zugeschrieben: Es solle wohltuend und reinigend wirken, wie dies Jean-Baptiste Denis, einer der Leibärzte des französischen Königs Ludwig XIV., im Jahr 1667 beschrieb: „You have doubtless heard of a Mad-man, that bath been lately cured and restored to his Wits by the means of the Transfusion.“ Die Bluttransfusion wurde beschrieben als Therapieform, um eine Geisteskrankheit zu heilen, aber auch mit erfrischender Wirkung (Denis 1667). Denis hat aus diesem Grund Lammbluttransfusionen durchgeführt, die jedoch mehr oder weniger schwere Nebenwirkungen hatten oder mit dem Tod der Patienten endeten. Deshalb verbot zuerst das französische

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Parlament im Jahr 1670 alle Transfusionen und der Papst schloss sich wenig später dieser Meinung an.

Die erste Bluttransfusion Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Goethe seinen Faust verfasste, war die Bluttransfusion wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Im Jahr 1828 erschien die Abhandlung des Stadtarztes und Professors für Geburtshilfe aus Kopenhagen, Paul Scheel (1773–1811), die von dem Berliner Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach (1792–1847) herausgegeben worden war. In Die Transfusion des Blutes und die Einspritzung der Arzneyen in die Adern, eine zweiteilige Abhandlung, fasste dieser alle bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Versuche zusammen. Sein Interesse an dem Thema war vermutlich persönlich, da die Bluttransfusion zu diesem Zeitpunkt die einzig wirksame Therapie bei hohem Blutverlust während der Entbindung war (Scheel 1803). Im Jahr 1818 war die erste Bluttransfusion von dem englischen Physiologen und Geburtshelfer James Blundell (1790–1877) durchgeführt worden. Das Blut war vom Spender durch Aderlass gewonnen und mittels einer Vorrichtung dem Empfänger verab-

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reicht worden. Durch die Veröffentlichung im Landet fanden seine Versuche auch im deutschsprachigen Raum

Verbreitung.

Für

den

deutschsprachigen

Raum ist die erste erfolgreiche Bluttransfusion am 17. Februar 1828 belegt, die post partum aufgrund des großen Blutverlustes erfolgte (Klett 1834). Dieffenbach stellte 1830 fest: „Was nun ihre Anwendung in der Medicin betrifft, so möchte ich die Transfusion einzig und allein in solchen Fällen von Verblutung für angezeigt halten, wo jedes andre Mittel zur Erhaltung des Lebens unwirksam wäre, doch dürfte dazu nur venöses Menschenblut gebraucht werden.“ (Dieffenbach 1830) Im 19. Jahrhundert lagen die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Untersuchungen um 1820 in Berlin sowie um 1870 in Greifswald. An der chirurgischen Universitätsklinik, Direktor Carl Ferdinand von Graefe (1787–1840), wurden in den Jahren 1817–1825 vier Dissertationen erstellt, über die neue Infusionsmethode, die Transfusion von Blut und die chirurgische Infusion. Diese Arbeiten belegen, dass die Transfusion von Blut schon immer eng mit der Frage der Infusion verknüpft war. Die lateinischen Abhandlungen beschäftigen sich mit der Anwendung, die sie bei 43


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allen Formen von Blutverlusten und Hämorrhagien vorschlagen. Dabei wurden auch Apparaturen vorgestellt, die zur Durchführung der unmittelbaren und mittelbaren Transfusion geeignet waren. An der Universität Greifswald waren zwei Universitätslehrer tätig, die maßgeblich zur Wiederbelegung der Transfusion beigetragen haben: der Physiologe Leonard Landois (1827–1902) und der Pharmakologe Albert Eulenburg (1840–1917). Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben sie in verschiedenen Zeitschriftenartikeln wie auch zwei Monografien veröffentlicht (Eulenburg u. Landois 1866). Wesentliche Entdeckungen gelangen Landois, da sich die Bluttransfusion oft als gefährliches Verfahren erwies. Er stellte die Existenz von Hämolysin fest, einer Substanz, die die Blutzellen des Fremdblutes auflöst. Außerdem erkannte er die Gefahren der Tierblutübertragung auf den Menschen.

Die verschiedenen Sorten des Blutes Für die Bluttransfusion wurden unterschiedliche „Blutarten“ verwendet. Vollblut wurde direkt aus dem Blutgefäß des Spenders entnommen und für mittelbare und unmittelbare Transfusion verwandt.

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Daneben gab es defibriniertes Blut, das Landois so vorbehandelte (Eulenburg 1900): „Das Blut wird in einem nicht zu flachen Gefässe aufgefangen und so lange schlagen, bis das Fibrin völlig sich ausgeschieden hat als faserige, das peitschende Werkzeug umhüllende Masse. Man höre ja nicht zu frühzeitig auf! Mindestens noch 15–20 Minuten nach Entleerung der letzten Blutmassen durch den Aderlass soll das Blut überall durch und durch gequirlt werden. Zur Vermeidung zu intensiver Abkühlung stelle man das Gefäss womöglich während des Schlagens in einen grösseren Behälter voll blutwarmen Wassers. [...] Erst nach völliger Abscheidung des Fibrins wird durch ein dichtes, weisses Atlasfilter [...] durchlaufen lassen, ohne Presse und Drücken.“ Nach Gesellius (1873) ergab der Vergleich zwischen Transfusionen mit Vollblut und defibriniertem Blut das in Tabelle 1 dargestellte Ergebnis. Bei n = 261 durchgeführten Transfusionen betrug der Anteil der mit Vollblut durchgeführten Transfusionen 55,9%, bei defibriniertem Blut 44,1%. Tödlich verlaufen waren dabei 56% und erfolgreich 44% der Anwendungen. Das Vollblut enthielt noch alle Be-

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Tab. 1 Ein Vergleich der Transfusion mit unterschiedlichem Blut des Menschen Zusammenfassung

Vollblut

Anteil

Defibriniertes

Anteil

Blut Gesamt

146

100,0%

115

100,0%

Nicht Tödlich

79

54,11%

36

33,0%

Tödlich

67

45,89%

79

68,7%

standteile des Spenderblutes mit der Gefahr der Antikörper-Reaktion. Aus heutiger Sicht ist dieses Phänomen nicht ganz nachzuvollziehen. Da die Ergebnisse so wenig befriedigend waren, überlegte man Alternativen. So erlebte die Verwendung von Lammblut eine Renaissance, was durch Veröffentlichungen in Zeitschriften belegt ist.

Die Transfusion von Lammblut Gesellius versuchte in Die Transfusion des Blutes zu widerlegen, dass das Blut einer Tierart auf eine andere Art oder auf den Menschen übertragen als Gift wirke, und dass nur defibriniertes Blut zur Transfusion verwendet werden dürfe. Der Autor sah dies als 46


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gelungen an und so schloss er die Arbeit mit den Worten (Gesellius 1873): „Die Lammbluttransfusion wird in der Medicin eine neue Aera – die blutspendende – inauguriren.“ Während des Jahres 1874 wurde über das Für und Wider der Lammbluttransfusion diskutiert und der Diskurs erlebte einen Höhepunkt auf dem dritten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im April. Am zweiten Sitzungstag gab es in einer Sitzung drei Vorträge zur Transfusion:

Der Berliner Chirurg Ernst Küster (1839–1930) Über arterielle Thierblut-Transfusion, der aufgrund von Indikationen und Kontraindikationen für die

Bluttransfusion

grundsätzlich

feststellte

(Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1874): „Die Blutentnahme ist für mich keine Frage mehr. In dringenden Fällen nehme ich es, wo ich es finde, vom Menschen oder einem der oben genannten Thiere, wobei ich physiologisch dem ersteren den Vorzug gebe.“

Der praktische Arzt aus Nordhausen, Oscar Hasse (1837–1898), Über Lammblut-Transfusion, der sei-

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Die Transfusion des Blutes

ne Erfahrungen für nicht ausreichend hielt, sowie

Anton Berns Über den Einfluss der Transfusion bei fieberhaften Zuständen von Menschen und Thieren.

Am Ende der Sitzung, bei der das Für und Wider der verschiedenen Formen diskutiert worden war, stand die Feststellung, dass für die Lammblut-Transfusion noch keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen würden. Die Diskussion in den folgenden Jahren war dann unter anderem auch von Polemik und persönlichen Angriffen geprägt. Der Physiologe Peter Ludwig Panum (1820–1885) führte die Verwendung von Lammblut ad absurdum, da sich das Blut einer fremden Art nur kurz im Körper des Empfängers halte und durch die Nieren beziehungsweise den Darm wieder ausgeschieden werde (Panum 1875). Dies sah er auch als häufige Ursache für den Tod. Aus diesem Grund schlussfolgerte er, dass nur artgleiches und defibriniertes Blut für die Transfusion geeignet sei. Für die Aufbewahrung des Blutes schlug er ein geschlossenes Gefäß und die Kühlung mit Eis vor. Vor dem Infundieren müsse dieses zwar wieder erwärmt werden, es sei jedoch mit dieser Verfahrensweise länger aufzubewahren. Doch die Indikation zur

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Transfusion fasste er eng und beschränkte diese auf die Fälle von großem Blutverlust. Die Statistik von Leonard Landois (1837–1902) aus dem Jahr 1875 zu den bis 1874 durchgeführten Transfusionen ergibt das in Tabelle 2 dargestellte Gesamtbild (Landois 1875). Tab. 2 Ein Vergleich der mit Blut von Menschen und Tieren durchgeführten Transfusionen Art der

Gesamtzahl

Günstig

Ungünstig

Menschenblut

347 (72,9%)

150 (43,2%)

197 (56,8%)

Tierblut

129 (27,1%)

42 (32,6%)

87 (67,4%)

Gesamtzahl

476 (100,0%)

192 (40,3%)

284 (59,7%)

Transfusion

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man, nach Blutersatzstoffen zu suchen. Dazu wurden Kochsalzlösungen, die teilweise mit Hühnereiweiß versetzt waren, verwendet. Einer der Pioniere war der Rostocker Pathologe Emil Ponfick (1844–1913). Die Ersatzlösungen führten zu einem Rückgang der Gesamtzahl der Bluttransfusionen. Der Berliner

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Chirurg Ernst von Bergmann (1836–1907) stellte noch am 2. August 1883 fest: „Die noch vor nicht 10 Jahren prophezeite, neue, blutspendende Ära der Medizin ist, insofern sie von der Lammbluttransfusion ihren Ausgang nehmen wollte, bereits im Keim erstickt und schnell zu Grabe getragen worden. Wir müssen uns eben im Können bescheiden, so lange wir noch im Wissen zurückstehen.“

Die Methode der Transfusion Für die Übertragung von Blut gab es verschiedene Methoden. Schon 1692 publizierte Matthias Purmann (1648–1721) die unmittelbare Transfusion (Transfusio directa). Diese durchzuführen gibt es verschiedene Möglichkeiten: 1.

von Arterie zu Arterie (arteriell-arteriell)

2. von Arterie zu Vene (arteriell-venös) 3.

von Vene zu Arterie (venös-arteriell)

4. von Vene zu Vene (venös-venös) Bei dieser Methode sind die Blutgefäße durch eine Röhre verbunden. Sie wurde eingeführt, um die Vitalität des Blutes zu erhalten, doch war das größte

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Problem dabei die Bestimmung der übertragenen Menge Blut. Die etwas einfachere Methode war die der mittelbaren Transfusion. Hierbei wird zuerst ein Aderlass von 200 bis 500 g bei einem kräftigen, gesunden Menschen durchgeführt (bei Bedarf defibrinieren: in warmes Wasser [ca. 32°C], gequirlt, wiederholt colirt). Danach Infundieren des Blutes zumeist in die Vena mediana basilica: Freilegen der Vene und Anbringen von Ligaturfäden (Verhinderung des Blutzuflusses von unten und Rückfluss des Blutes) – Einführen der (möglichst luftleeren) Kanüle – nach Abschluss Entfernen der Kanüle und der Ligaturen sowie Vernähen. Die zwei Möglichkeiten der Durchführung waren, dem Patienten nur Blut zuzuführen (Transfusio completaria) oder gleichzeitig Blut durch einen Aderlass zu entziehen (Transfusio depletoria). An technischen Voraussetzungen gab es im 16. Jahrhundert die „Venae sectio“. Erst 1845 wurde die Hohlnadel durch Francis Rynd (1801–1861) und 1853 die Spritze durch Charles Gabriel Pravaz (1791– 1853) entwickelt. Die Einführung der intravenösen Injektion durch Albert Landerer (1854–1904) mittels Stauung der Vene und Punktion der Haut erfolgte 1883, danach folgte die Weiterentwicklung von Me51


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tallspitzen zu Schlauchsystemen für mehrmaligen Gebrauch. „Ich glaube nicht viel zu sagen, wenn ich behaupte, die Technik der Bluttransfusion und zwar nach dem üblichen Sprachgebrauch, der für diese Bezeichnung auch Schaltstücke aus fremdem Material zulässt, der direkten Bluttransfusion ist damit, in einer kaum mehr verbesserungsdürftigen Weise gelöst.“ (Beck 1924)

Abb. 4 Transfusionsapparat nach Beck (Modell II) (Oehlecker 1933)

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Der Transfusionsapparat, den der Chirurg Alfred Beck (1889–1973) vorstellte (s. Abb. 4), basierte auf dem Prinzip der ventillosen Schlauchpumpe aus dem Jahr 1874, bei der auch die Menge der Flüssigkeit gemessen wurde. Nach einiger Zeit kam es in dem Schlauchsystem zur Gerinnung, sodass Oehlecker diese nur für kleine Mengen Blut für brauchbar hielt. Unklar blieb allerdings, was er damit konkret meinte. Erst die Weiterentwicklung in Form der Satrans löste dieses Problem und wurde von ihm als „glänzend durchkonstruiert“ bezeichnet (Oehlecker 1933). Seitdem man 1914 entdeckt hatte, dass durch den Zusatz von Natriumcitrat die Blutgerinnung außerhalb des Körpers verhindert werden konnte sowie der von Zucker die Lagerung von Blutkonserven möglich machte, ging man zunehmend von der direkten auf die indirekte Bluttransfusion über. Im Jahr 1921 wurde dann der erste Blutspendedienst in London begründet. Durch neue Materialien konnten die heute üblichen Blutbeutel und Blutfilter entwickelt werden, die die Anwendung der Bluttransfusion vereinfachten.

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