9 Amok, Massaker, Terror – forensisch psychiatrische Aspekte Reinhard Haller
Die forensische Psychiatrie ist im Zusammenhang mit Fällen von Amokläufen, Terroranschlägen und Massakern in vielerlei Hinsicht gefragt. Neben der durch die Seltenheit der Ereignisse und dem häufigen Suizid der Täter nur in wenigen Fällen möglichen traditionellen Aufgabe der gutachterlichen Beurteilung von Schuld-/Zurechnungsfähigkeit und Gefährlichkeitsprognose ergeben sich Herausforderungen für die kriminalpsychiatrische Forschung, die Öffentlichkeitsarbeit und die Darstellung der Psychiatrie ganz allgemein. Bei solchen, die Bevölkerung sehr bewegenden, meist großes mediales Interesse hervorrufenden Ereignissen traut man der Kriminalpsychiatrie offensichtlich am ehesten eine fundierte Einschätzung der Tatmotivation und eine Analyse der Täterpersönlichkeit zu. Der forensischen Psychiatrie wird dabei, worauf Nedopil (2012) immer wieder hinweist, der verantwortungsvolle und mit Vorsicht wahrzunehmende Auftrag übertragen, die Ansprüche der Bevölkerung auf Information zu befriedigen und Erklärungsmöglichkeiten für beunruhigende, oft als „unfassbar“ bezeichnete Taten zu geben. Ferner wird die Frage „mad or bad“ nirgendwo intensiver diskutiert als bei Fällen von Amok, Massaker und Terror, was sich zuletzt in der leidenschaftlich geführten Diskussion über die Frage der Zurechnungsfähigkeit des norwegischen Attentäters Anders Breivik eindrucksvoll gezeigt hat. Da solche Aggressionshandlungen die Spitze der Schwerstkriminalität darstellen und zu den folgenschwersten Verbrechen gehören, liegt die Vermutung nahe, dass auch Tatmotive und Täterpersönlichkeiten in den Bereich der schweren Abnormität fallen und nicht mit üblichen Maßstäben zu messen sind. Aus all den Erkenntnissen, die man bei der Analyse großer Verbrechen findet, lassen sich zahlreiche Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Alltagskriminalität und die forensisch-psychiatrische Routinetätigkeit ziehen (Haller 2008).
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