noa* @ Architektur PEOPLE N°1/2019

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FACHMAGAZIN

WISSEN, BILDUNG, INFORMATION FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT Erscheinungsort Perchtoldsdorf, Verlagspostamt 2380 Perchtoldsdorf. P.b.b. 02Z033056; ISSN: 1606-4550

Architektur für die Zukunft


architektur PEOPLE

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Stefan Rier und Lukas Rungger

Mehr als die einzelnen Teile Interview mit den Architekten Stefan Rier und Lukas Rungger noa* – network of architecture, das sind vor allem Stefan Rier (SR) und Lukas Rungger (LR). Die beiden Architekten waren bei Matteo Thun in Mailand für Projekte in den Bereichen Tourismus, modernes Wohnen und zeitgemäße Arbeitswelten verantwortlich, bevor sie 2011 ihr eigenes Büro in Bozen gründeten. „Wir haben noa* ganz bewusst als Netzwerk konzipiert, weil dies den Geist unserer Arbeit, die Art wie wir denken, fühlen und handeln, nachhaltig reflektiert”, so Rier. Das junge und mittlerweile mehrfach ausgezeichnete Team setzt auf eine interdisziplinäre Entwurfsmethodik, die sich je nach Anforderung des jeweiligen Projekts in stetigem Wandel befindet. Das Konzept der Emergenz, wo das Ganze weit mehr ist als die Summe der einzelnen Teile, wird zur zentralen Strategie einer holistischen Herangehensweise an jeden von noa* konzipierten Entwurf. Kreative Teams werden dazu jeweils zeitlich variabel zusammengestellt, um sich mit interdisziplinären Herausforderungen und innovativen Lösungen zu befassen. noa* dient folglich als Bühne (oder auch Plattform) für Architekten, Interior Designer, Produkt-, Mode- oder Grafikdesigner bis hin zu Musikern, Schriftstellern und Historikern, mit dem kollektiven Ziel, Fachkenntnisse der unterschiedlichen Spezialisten synergetisch zu optimieren. Lukas Rungger: „Der klassische Architektenberuf wandelt sich, er wird als methodologische Konsequenz ersetzt durch interdisziplinäre Kreative aus diversen gestalterischen Sparten: Wir empfinden uns mehr und mehr als Dirigenten, die ein Orchester konzertieren.” © Alex Filz


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Stefan Rier und Lukas Rungger

Renderings: Le Colline Incantate / © noa*

Was ist für Sie gute Architektur? (LR) Ich denke, es geht vor allem um Relevanz. Können Sie dafür ein Beispiel nennen? (LR) Ein Beispiel ist für mich „Le Colline Incantate“ in Sirmione am Gardasee. Wir haben dort auf die Zusammenarbeit mit dem Familienpsychologen Paul Hofer gesetzt und so die konzeptionelle Grundidee eines „Single parenting retreat“, also eines Hotels ausschließlich für geschiedene Eltern und deren Kinder, entwickelt und diese dann auch in der Architektur umgesetzt. Inwieweit spiegelt die Architektur diese Idee? (LR) Ein radial evolvierender Entwurf bespielt etwa in den Außenbereichen exklusive Inseln für wenige Familienmitglieder, was sich dann nach Innen verdichtet und graduell sozialer und inklusiver wird, um auf der zentralen

Piazza bis zu 200 Personen an einem Ort zu vereinen, und damit Antworten bietet für die offensichtlichen Probleme, die Menschen bewältigen müssen. Geht es immer um soziale Relevanz? (LR) Dieses Projekt ist nur ein Beispiel einer Quelle der Inspiration, die zu einem unheimlich relevanten, weil fundamentalen Succus führt, dass nämlich die Architektur der Zukunft sich Ihrer verantwortungsvollen Rolle im Dienste der Kultur und Gesellschaft stellt. Woran kann sich Architektur künftig orientieren? (LR) Ich denke, vor allem jene Architektur wird zukunftsweisend sein, die sich am besten am Interdisziplinären orientiert, indem sie klassische Schemen überwindet und den Austausch mit verwandten und vor allem unkonventionellen Disziplinen forciert. Als Inspiration dient auch uns bei noa* sehr oft das In-

terpretieren und Neuerfinden, dabei arbeiten wir z.B. mit Kinderpsychologen, Musikern, Kunsthandwerkern, Denkmalpflegern, die uns dabei helfen keine Häuser zu planen, sondern Geschichten zu bauen. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Sie bzw. für Ihre Kunden? (LR) Gerade in der Hotellerie gewinnt dieses Thema zunehmend an Bedeutung. Ein Projekt, bei dem das Thema Nachhaltigkeit in all seinen Facetten zelebriert wird, ist etwa das Hotel Zallinger auf 2000 m Meereshöhe. Die Speisen werden zum Großteil regional beschaffen, die Zimmer gibt’s ohne Internet und Fernseher, sogar die Erschließung erfolgt autofrei und auch die Außenbeleuchtung ist nur mobil und minimalinvasiv. Zertifiziert als Klimahotel vereint es damit eine Reihe an sehr relevanten und miteinander verwobenen Bereichen. u


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Stefan Rier und Lukas Rungger

Fotos: Zallinger / Alex Filz

Ist grüne Architektur gerade im Tourismus nicht oft einfach nur Fassade? (LR) Leider beobachten wir immer öfter Beispiele, deren „grüner“ Gedanke auf eine bepflanzte Oberfläche reduziert wird und damit zum reinen Dekor degeneriert. Dies ist ganz sicher nicht noa*s Auffassung einer holistischen Emergenz, wo im Gegensatz dazu das Thema Nachhaltigkeit in die Tiefe geht und das nachhaltige Planen in einen gesamtheitlicheren Kontext tritt, der mehrere Lebensbereiche miteinbezieht und zusammen weit mehr als die Summe der Einzelteile generiert.

Sehen Sie der Zukunft positiv entgegen? (SR) Ja, wir sehen der Zukunft positiv entgegen. In der Hotelindustrie gibt es noch sehr viel zu tun. Die immer genauer definierten Zielgruppen der Gäste stellen uns vor stets neue Herausforderungen. Neue Typologien in der Hotellerie entstehen bereits. Der Markt ist im ständigen Wandel. Und wie sehen Sie die Architektur der Zukunft? (SR) Architektur der Zukunft ist für mich vor allem nachhaltig – nicht nur in Bezug auf die Materialien. Die Architektur der Zukunft wird sich auch mit der Reduktion des Verkehrs aus-

einandersetzen müssen, so wie wir das beim Projekt Zallinger versucht haben. Architektur der Zukunft versucht den Menschen aber auch zu berühren, indem sie Geschichten erzählt, die sich mit der Tradition des Ortes und deren Menschen auseinandersetzt. Nur so kann die Lebensdauer der Architektur verlängert werden. Nur so kann man von einer nachhaltigen Architektur sprechen. Im Grunde ist es wie mit einem Objekt, das man besitzt. Wenn im Objekt eine Geschichte steckt, welche uns bindet, dann wollen wir das Objekt nicht wegwerfen. So sehe ich das auch bei Architektur.

© Alex Filz


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