Lucys Rausch Nr. 16

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Nr. 16 November 2023 Fr. 18.50 | € (D) 14,80 | € (A) 15,30

HANF

Das Magazin für psychoaktive Kultur

ETHNOBOTANIK

KULTUR

WISSENSCHAFT

Forum für veränderte Bewusstseinszustände Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Das Ende des HanfVerbots? Psychedelik im Hinduismus Pilzreise durch Mexiko

Nr. 16 | November 2023

Berauschte Comics Visionäre Bildergeschichten von Steve Stoned, Gerhard Seyfried, Gilbert Shelton und Ivan Art


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hanf-adventskalender.com


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Für viele Wissenschaftler und Psychonauten wurden die Pilze zu Schlüsseln zu anderen Welten, Wirklichkeiten und Weltbildern. Sie wurden die Schlüssel zu den gewöhnlich verschlossenen Türen des erweiterten, visionären oder kosmischen Bewusstseins. [...] Für die meisten modernen Bewusstseins­forscher begann ihre forscherische Tätigkeit mit ihrem ersten Pilztrip. Christian Rätsch: María Sabina – Botin der heiligen Pilze, Nachtschatten Verlag 2023, Seite 144


Foto: Roger Liggenstorfer

2


Psychedelik im Hinduismus Seite 28


Martina Hoffmann: Leaving SHadowland (Ausschnitt) HR Giger: Werk Nr. 487, Anima mia, 1980–81. Triptychon 240 × 420 cm, Acryl auf Papier auf Holz

4 Lucys Rausch Nr. 11


5

HR Giger

Seite 50


Foto: Alex Popovkin


7

Psychotrope Flora in Afrika Seite 98


Foto: Shutterstock Sensi Seeds

8 Lucys Rausch Nr. 11


9

Muscimol-haltige Pilze Seite 110


10

Lucys Rausch Nr. 16

INHALT 13

Editorial

78

Markus Berger

21

Von Giften und vom Entgiften

William Leonard Pickard im Gespräch

Klartext von Roger Liggenstorfer

27

«Eine neue Welle der psychedelischen Revolution» Anya Oleksiuk

Am Anfang war der Pilz Coustos Psychedelikatessen

KULTUR 28

Psychedelik im Hinduismus Baba Surendra Puri im Interview Chris Heidrich, Roger Liggenstorfer

45

Die größte psychedelische Konferenz der Welt

CANNABIS

Psychedelic Science 2023 Susanne G. Seiler

22

Die Geschichte hinter dem Hanfverbot Rassismus und Diskriminierung Annemarie Meyer

34 Berauschte Comics

Freaks & Hippies im Humor-High Claudia Müller-Ebeling

50

HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century Stanislav Grof

67

Christian Rätsch: Eine Balche'-Vision Claudia Müller-Ebeling

69

Das deutsche Cannabisgesetz und seine Auswirkungen Christoph Roßner


11

INHALT ETHNOBOTANIK 98 Reisen in die

Phytoalchemie

60 Im Nebel

von Oaxaca

Ein Pilztrip durch Mexiko Roman Maas

Psychoaktive Pflan en in Afrika Jean-François Sobiecki

88 Drogen auf Reisen Teil 8: Die verlorene Stadt Stefan Haag

110 Die Muscimolhaltigen Pilze

Mukhomor, Ibo-Tengu–Take, Haetori-Shimeji, Miskwedo, Tzontecomananácatl, Kakuljá Hurakan, Fliegenpilz Jonathan Ott

WISSENSCHAFT 10 4 Über die Notwendigkeit von Metaphysik in der psychedelischen Therapie und Forschung Peter Sjöstedt-Hughes

RUBRIKEN 15 Lucys Mix 19 Lucys Agenda 73 Lucys Mediathek 86 Eleusis kompakt 118 Impressum

Das Coverbild dieser Ausgabe wurde von Steve Stoned (Stefan Theurer) gestaltet. Ein Comic-Ganesha mit psychotropen Pilzen, der wunderbar zu den inhaltlichen Schwer­ punkten des Hefts passt. www.stoned-design.de


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EDITORIAL Foto: Elfriede Liebenow

von Markus Berger

Markus Berger ist Drogenforscher, Autor zahlreicher Bücher und Chefredakteur von Lucys Rausch.

Ein psychoaktives Potpourri

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er Herbst ist da und mit ihm die Pilzsaison! Passend zur Jahreszeit präsentieren wir mit dieser Ausgabe ein prall gefülltes Magazin mit Beiträgen kompetenter und interessanter Autoren auf dem Gebiet der Rauschkunde. Diesmal verquicken wir – neben der gewohnt breiten Palette an psychoaktiven Beiträgen – fungale Themen mit hanfigen und visionären Comics, womit wir sozusagen die in Ausgabe 15 begonnene Künstlerstrecke komplettieren. Mit diesen Features lernt der Leser unseres Magazins die wichtigen Kunstschaffenden unserer Bewegung kennen. Darüber hinaus bin ich glücklich, dass der Pool unserer Mitarbeiter einen weiteren Autorenzuwachs zu verzeichnen hat, wie auch über sehr spezielle Lesehappen in dieser Ausgabe, so beispielsweise über ein ganz außergewöhnliches Interview mit einem hinduistischen Baba, dem Sadhu Surendra Puri, der verrät, welche Rolle psychedelische Pfl nzen, Pilze, Sub­stanzen und Zustände bei Bewusstseinsmeistern und Erwachten Indiens spielen. Wer hätte schon gewusst, dass auch die heiligen Männer auf LSD zu elektronischen Psytrance-Klängen tanzen? Außerdem debütiert in dieser Lucys Rausch der psychedelische Philosoph Peter Sjöstedt-Hughes, der einen Text zur Metaphysik in der psychedelischen Forschung und Therapie beisteuert. Ein Thema, das es in sich hat und das meiner Ansicht nach viel zu selten aufs entheogene Tapet gebracht wird.

Die britische Kollegin Anya Oleksiuk von der Psychedelic Society UK hat für uns den US-amerikanischen LSD-Großproduzenten William Leonard Pickard interviewt, der ethnobotanisch begeisterte Autor Roman Maas war auf Pilzreise in Mexiko unterwegs und Annemarie Meyer und Christoph Roßner halten uns zur Cannabispolitik auf dem neuesten Stand. Ganz besonders freue ich mich über die Aufnahme des südafrikanischen Ethnobotanikers Jean-Francois Sobiecki in unseren Autorenkreis. Er ist der erste Forscher, der die afrikanische psychotrope Flora über Jahre hinweg systematisch aufgeschlüsselt und in zahlreichen Studien verdichtet hat. Bis zu Sobieckis Forschungen nahm man in der Ethnopharmakologie allgemein an, dass Afrika im Vergleich zu anderen Kontinenten, recht arm an psychoaktiven Organismen sei. Lediglich der italienische Kollege und Lucys-Autor Giorgio Samorini hatte sich eingehend mit Iboga (Tabernanthe iboga) und anderen afrikanischen Psychoaktiva beschäftigt. Die Arbeit von Jean-Francois Sobiecki führt Giorgios Forschungen weiter und bereichert den ethnobotanischen Kanon um einen unermesslichen Schatz neuen Wissens, das eigentlich altes Wissen ist. Doch das erklärt uns Jean-Francois in seinem Beitrag selbst. Ich wünsche angenehme und inspirative sowie geistbewegende Momente bei der Lektüre dieser neuen Ausgabe.

Diesmal verquicken wir fungale Themen mit hanfigen und visionären Comics.


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Lucys Rausch Nr. 16

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MIX DEUTSCHLAND

Bundestag legalisiert Drug Checking

In Berlin ist es bereits seit Anfang Juni 2023 möglich, künftig wird es deutschlandweit durchgeführt werden können (wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach gefordert hatte): Drug Checking, also das Angebot für Konsumierende, ihre Drogen auf Inhaltsstoffe wie auch auf Schad- bzw. Streckstoffe bei einer Beratungsstelle testen zu lassen. Am 23. Juni 2023 wurde im Bundestag das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) beschlossen, welches die Rechtsgrundlage für bundesweites Drug Checking bietet. Das Gesetz ermöglicht es den Bundesländern, Drug-Checking-­ Modellprojekte an den Start zu bringen. Der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD), der sich für drogenpolitische Maßnahmen dieser Art einsetzt, begrüßt die Neuerungen. Quellen: tinyurl.com/2fm3yrnd tinyurl.com/5n7xfzck

LEIPZIG

Substanzen, die häufig getestet werden. Fotos: saferparty

Vorerst kein Drug Checking

Die Risiken des Drug Checking würden die Vorteile überwiegen. Foto: iStock Das Sozialministerium in Sachsen lehnt Drug Checking ab. Dies berichtet der MDR Anfang August 2023. Es wird also vorläufig nicht z einem Drug-Checking-Programm in

Leipzig kommen. Die Linke hatte dafür einen Antrag beim Stadtrat gestellt; dieser hatte das Vorhaben zunächst bewilligt. Die Lokalpolitik aber stellt sich quer: Die Risiken würden die Vorteile überwiegen, so das Ministerium. Drug Checking könne zwar Sicherheit durch das Ermitteln von Verunreinigungen und Wirkstoffgehalten vermitteln, diese Sicherheit sei allerdings trügerisch. Die Test­ergebnisse seien aufgrund der intransparenten Produktion auf dem Schwarzmarkt nicht endgültig. Es ist nachweislich falsch, dass Menschen mehr Drogen zu sich nehmen, wenn sie Drug-­CheckingAnlaufstellen konsultieren können; dies zeigen etwa ähnliche Projekte in Berlin, Thüringen und der Schweiz.

Konsumentinnen und Konsumenten nehmen eher weniger Substanzen, wenn sich Verunreinigungen und hohe Wirkstoffgehalte feststellen lassen. Das sagte auch die Suchtbeauftragte Leipzigs, Sylke Lein, im Gespräch mit dem MDR: «Es gibt keine Anzeichen, dass Leute beim Drug-Checking mehr Drogen nehmen. Stattdessen konsumieren sie gar nicht oder weniger, wenn sie herausfinden, dass die roge sehr hoch dosiert ist.» Seit Juni 2023 (vgl. oben) ist der gesetzliche Grundstein für Safer-Useund Harm-Reduction-Projekte in Deutschland gelegt. Es liegt bei den Bundesländern, ob sie solche Anlaufstellen anbieten oder nicht. Quelle: tinyurl.com/39yjyppk


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MIX

Psilocybin ist wirksam bei Anorexie

Eine Studie, die 2023 im wissenschaftlichen Journal Nature Medicine erschien, belegt die Wirksamkeit von Psilocybin als Therapeutikum gegen Magersucht (Anorexia nervosa). Ein Team von Forscherinnen und Forschern der University of California (San Diego, USA) untersuchte die Auswirkungen einer einmaligen Gabe von Psilocybin auf das Krankheitsbild von Anorexia nervosa. Dazu wurden Pilze an zehn betroffene Frauen verabreicht. Zwei begleitende Therapiesitzungen vor und nach der Verabreichung sollten den Probandinnen Halt und Orientierung für die psychedelische Erfahrung geben.

Neun von zehn empfanden die Session als positiv. Die Ergebnisse sind eindeutig: Alle Teilnehmerinnen haben die Wirkung vertragen; bei vier von ihnen waren auch drei Monate nach der Sitzung noch gesundheitliche Verbesserungen festzustellen. Die Studie war allerdings nicht dazu gedacht, die therapeutische Wirksamkeit von Psilocybin zu untersuchen, sondern um zu testen, wie verträglich der Stoff ist. Die Autoren der Studie ermutigen in einem begleitenden Kommentar, der ebenfalls in Nature Medicine erschien, zu mehr Studien mit Psilocybin in Hinsicht auf Magersucht. Die Ergebnisse

stellen laut ihnen «einen vielversprechenden Weg für weitere klinische Bewertungen» dar.

. Foto Adobe Stock

STUDIE

Peck, S.K., Shao, S., Gruen, T. et al. Psilocybin therapy for females with anorexia nervosa: a phase 1, open-label feasibility study. Nat Med (2023). https://doi.org/10.1038/ s41591-023-02455-9 Maji, T., Ehrlich, S. Psilocybin for the treatment of anorexia nervosa. Nat Med (2023). https://doi.org/10.1038/ s41591-023-02458-6

STUDIE 5-MeO-DMT als Antidepressivum Immer mehr psychoaktive Substanzen werden für die Behandlung von therapieresistenten Depressionen erprobt. Schon länger steht Ketamin als «neues» Antidepressivum im Fokus; nun haben Forscher auch das serotonerge Psychedelikum 5-MeO-DMT (5-Methoxy-N,N-Dimethyltryptamin) in verdampfter Form (GH001) bei erwachsenen Patienten untersucht. GH001 bezeichnet eine patentrechtlich geschützte 5-MeO-DMT-Formulierung für Verdampfer (Vaporizer), hergestellt von der Firma GH Research in Dublin, Irland. Im ersten Teil der Studie (Phase 1) wurden jeweils zwei Einzeldosen GH001 in einer Menge von 12 und 18 mg appliziert. In Phase 2 der Studie wurde ein individualisiertes

Die Inhalation von 5-MeO-DMT führte zu einer starken und ultraschnellen antidepressiven Wirkung. Foto: AdobeStock

Dosierungsschema mit bis zu drei ansteigenden Dosen von GH001 (6 mg, 12 mg und 18 mg) innerhalb eines Tages angewendet. «Die Verabreichung von GH001 durch Inhalation wurde gut vertragen. Der Anteil der Patienten, die am Tag 7 in Remission

waren (...), betrug 50 Prozent bzw. 25 Prozent in den 12-mg- bzw. 18-mg-Gruppen der Phase 1 und 87,5 Prozent in Phase 2» (Reckwe g et al. 2023). Die Forscher kamen zum Schluss, dass die Verabreichung von GH001 an eine Gruppe von 16 Patienten mit therapieresistenten Depressionen gut vertragen wurde und «zu einer starken und ultraschnellen antidepressiven Wirkung führte. Eine individuelle Dosierung mit bis zu drei Gaben von GH001 an einem Tag war der Verabreichung einer Einzeldosis überlegen» (ebd.). Reckweg, J.T., van Leeuwen, C.J., Henquet, C., van Amelsvoort, T., Theunissen, E.L., Mason, N.L., Paci, R., Terwey, T.H., Ramaekers, J.G. (2023), A phase 1/2 trial to assess safety and efficacy of a vaporized 5-methoxy-N,N-dimethyltryptamine formulation (GH001) in patients with treatment-resistant depression, Front. Psychiatry 14: 1133414.


Lucys Rausch Nr. 16

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MIX Serotonerge Antidepressiva vermindern Psilocybin-Effekte Antidepressiva, die auf serotonergen Wegen ihre Wirkung entfalten, wie SSRI (selektive serotonerge Wiederaufnahmehemmer) und SNRI (Serotonin-Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmer), können die therapeutischen Effekte des Pilzwirkstoffs Psilocybin abschwächen. Eine Studie, die kürzlich publiziert wurde, sollte erhellen, inwieweit Antidepressiva die Wirkung von psilocybinhaltigen Pilzen sowohl bei gleichzeitiger Einnahme als auch nach

Foto: Freepik

Absetzen der Antidepressiva abschwächen können. Dafür wurde eine retrospektive Online-Umfrage vorgenommen. Insgesamt wurden 611 Berichte über die Einnahme von Pilzen zusammen mit einem Antidepressivum und 1542 Berichte über die Einnahme von Pilzen nach dem Absetzen der Anti­ depressiva ausgewertet. Das Ergebnis der Studie: SSRI/SNRI scheinen – anders als nicht-serotonerge Antidepressiva – tatsächlich die Wirkungen von Psilocybin abzuschwächen. Diese dämpfende Wirkung kann bis zu drei Monate nach Absetzen des Antidepressivums anhalten. Gukasyan N, Griffiths RR, Yaden DB, Antoine DG, Nayak SM. (2023), Attenuation of psilocybin mushroom effects during and after SSRI/SNRI antidepressant use, Journal of Psychopharmacology 37(7): 707-716. doi: 10.1177/02698811231179910

In memoriam Alan Shoemaker Der US-amerikanische Ethnobotaniker, Ayahuasca-Experte, ausgebildete Ayahuasquero und Autor Alan Shoemaker, geboren 1950, ist am 3. September 2023 im Alter von 73 Jahren in Iquitos (Peru) an den Folgen eines Herzstillstandes gestorben. Alan Shoemaker war nicht nur Schriftsteller (u.a. Autor von Ayahuasca Medicine: The Shamanic World of Amazonian Sacred Plant Healing) und Ethnopharmakologe. Er war auch in diversen Filmen als Experte zu sehen, u.a. in Icaros: A Vision (2016). In den letzten Jahren seines Lebens war er zudem Kambô-Praktiker (Phyllomedusa bicolor). Alans ältester Sohn Liam Shoe­ maker postete zum Tod seines Vaters am 4. September auf Alans Facebook-Seite: «Es gibt nicht genug Worte, um auszudrücken, was für ein wunderbarer Mensch

du warst. Dein Sohn zu sein, macht mich sehr stolz, du warst immer mein bester Freund, und wir waren immer zusammen, trotz unserer Differenzen. Jetzt wirst du im Himmel über Ayahuasca sprechen. Fliege hoch, Vater.» Shoemaker beschrieb sich selbst folgendermaßen: «Ich habe die USA vor 28 Jahren in Richtung Südamerika verlassen. Ich fand meinen ersten Meister-­ Lehrer außerhalb von Quito, Ecuador. Einen Spezialisten für San Pedro und abendländische Medizin. Später kam ich mit einem 15 Meter langen Einbaum nach Iquitos, Peru, und begann, mit anderen Meister-­ Lehrern und der heiligen Ayahuasca zu arbeiten. (...)» Mit Alan Shoemaker geht ein weiterer psychedelischer Pionier von uns. Ruhe in Frieden, Alan! Wir sehen uns auf der anderen Seite.

Goodbye, Alan Unsere ersten Begegnungen hatten wir Anfang der 90er Jahre an psychedelischen Veranstaltungen, 1998 waren wir gemeinsam an der «Psychoactivity»-­ Konferenz in Amsterdam. Schon früh erzählte Alan uns von seinen Ayahuasca-Erfahrungen und dass er uns diese vermitteln und selbst anbieten könne. Wir vereinbarten, Mitte der 90er Jahre in der Schweiz die ersten Ayahuasca-Rituale abzuhalten. Wir waren sehr gespannt, hatten wir doch von Ayahuasca bis dahin nur gelesen. Kaum jemand in unserem Freundeskreis hatte solche Rituale schon mitmachen können. Aus diesen Begegnungen entstand das Büchlein Ayahuasca – Die Reise zum

Ursprung der Kultur 1998 in einer ersten Auflage in Zusammenar eit mit Christian Rätsch und Arno Adelaars. Auch die Nachfolgeauflage Ayahuasca – Die Jaguarmedizin des Amazonas von 2016 enthält den wertvollen Artikel von Alan Shoemaker zu seinen Begegnungen mit einem Siona-Ayahuasquero in Kolumbien. In den letzten Jahren war unser Kontakt nur noch sporadisch, seit Alan in Iquitos (Peru) lebte. Ich schätzte Alan als einen sehr kompetenten Forscher und Vermittler der Ayahuascakultur – und er wird mir immer als derjenige in schöner Erinnerung bleiben, der mich als Erster in die Welten der Ayahuasca eingeführt hat. Roger Liggenstorfer


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MIX

MIX

Foto: Depositphotos

ALBANIEN Parlament legalisiert

Handelsübliches Marihuana.

CANNABIS & CO.

Es tut sich was in der Schweiz Wer bis 2017 mit Cannabis in der Tasche in eine Polizeikontrolle geriet, wurde mit einer Ordnungsbuße von 100 Franken bestraft, wenn es sich um weniger als 10 Gramm handelte. Für diese Praxis bestand in der Schweiz jedoch keine Rechtsgrundlage, und das Bundesgericht setzte die Ordnungsbußen dafür aus. Im Juli 2023 verfügte nun das Bundesgericht: «Eine geringfügige und für den Eigenkonsum bestimmte Menge Cannabis darf nicht gerichtlich zur Vernichtung eingezogen werden.» Dies soll laut Schweizer Rechts­ experten nun auch für alle anderen illegalisierten Substanzen gelten: Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen demnach in der Schweiz auch Eigenbedarfsmengen von Kokain, Heroin und allen anderen psychoaktiven Substanzen ebenfalls nicht mehr konfiszieren Was eine «geringfügige Menge» ist, bleibt allerdings unklar (außer bei Cannabis mit einer Eigenbedarfsmenge von bis zu 10 Gramm). Die konkrete Umsetzung der Regelung liegt bei den einzelnen Kantonen; diese müssten sich für andere Substanzen auf ein bestimmtes Maß einigen. Die Staatsanwaltschaft St. Gallen fordert daher eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Regelungen. Laut SonntagsZeitung sieht dieselbe Staatsanwaltschaft die Eigenbedarfsmenge von Kokain bei zwei Gramm. Hans Cousto Quellen: tinyurl.com/2p9pzvb9 tinyurl.com/3jp4zxpe tinyurl.com/3jm6ue4p

Medizinalcannabis

Am 21. Juli 2023 verabschiedete das albanische Parlament ein Gesetz für den Umgang mit Faserhanf und die Legalisierung von Medizinalcannabis. Mit 69 zu 23 Stimmen votierten die Abgeordneten dafür, einen begrenzten und kontrollierten Anbau von Cannabispflanzen fü medizinische Zwecke zuzulassen. Faserhanf soll künftig bis zu 0,8 % THC (statt wie bisher maximal 0,3 %) enthalten dürfen. Es soll auch keine Mengenobergrenze für Anbau und Ernte geben, sodass der Markt wachsen kann. «Alle Marihuanaund Hanf­extrakte – einschließlich CBD und anderer Cannabinoide, die aus Hanf gewonnen werden – gelten nach dem albanischen Gesetz als medizinische Cannabisprodukte und dürfen nur für externe Märkte produziert werden. Das neue Gesetz sieht die Einrichtung einer Nationalen Cannabis­kontrollagentur (NCCA) vor (...). Die Agentur, die dem Gesundheitsminister unterstellt

ist, wird Vorschriften festlegen, Inspektionen von Cannabisfeldern durchführen und die Verarbeitung und Produktion überwachen», schreibt Hemp Today. Der Handel und die Produktion von Cannabis sind in Albanien weit verbreitet. Die Regierung ist der Ansicht, dass die begrenzte Zulassung einer Produktion von Cannabis die Steuereinnahmen erhöhen kann. Albanien ist nach wie vor eine Hauptroute für den Handel mit harten Drogen; polizeiliche Maßnahmen gegen Drogendelikte nehmen allerdings ab. Die Regierung von Premierminister Edi Rama (Sozialistische Partei Albaniens), die 2013 an die Macht gekommen war, hatte sich die Vernichtung von Cannabispfla zen zur Aufgabe gemacht und in den folgenden zwei Jahren Millionen von Cannabispflanzen zerstört. Quellen: tinyurl.com/mr3s73k6 tinyurl.com/4uyb7cyc

GHANA Hanfanbau für industrielle und

medizinische Zwecke wird legal Das Parlament Ghanas hat beschlossen, den Anbau von Cannabis für medizinische und industrielle Zwecke zu legalisieren. Dies berichtete die Plattform Africa News am 13. Juli 2023. Demnach wird das Innenministerium des Landes für die Erteilung von Cannabisanbau-Lizenzen zuständig sein. Mit der aktuellen

Gesetzesänderung kann in Ghana ein florierender eschäftszweig mit THC-armem Industriehanf zur Gewinnung von Saatgut und Fasern aufgebaut werden. Auch künftige Forschungen an Cannabis werden damit ermöglicht. Außerdem kann nun in Ghana auch Cannabismedizin eingesetzt werden.. Quelle: tinyurl.com/52udnype


Lucys Rausch Nr. 16

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MIX

Pharmakotherapie bei Cannabiskonsumstörungen? Wenn der Cannabiskonsum außer Kontrolle gerät, gibt es bisher kein Pharmakon, das dem entgegenwirken könnte. Nun wurde eine neue Stoffklasse entdeckt, die diese Lücke schließen könnte: die signaltypischen Inhibitoren des Cannabinoidrezeptors CB1 (CB1-SSi). Die Substanz namens AEF0117 ist die erste Vertreterin dieser Klasse und zeigt dieselben Effekte wie das körpereigene Steroid Pregnenolon, das immer dann ausgeschüttet wird, wenn der CB1-Rezeptor im Übermaß aktiviert wurde, z.B. bei einer hohen Dosis THC. Daher wurde AEF0117 auf der Basis von Pregnenolon entwickelt. Wie dieses hemmt AEF0117 «selektiv eine Untergruppe von intrazellulären

Strukturformel von AEF0117.

Effekten, die sich aus der Bindung von Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) ergeben, ohne das Verhalten an sich zu verändern» (Quelle: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37291212/). Bei Mäusen und «nicht-menschlichen Primaten verringerte AEF0117 die Selbstverabreichung von Cannabinoiden und THC-bedingte Verhaltensstörungen, ohne signifikante unerwünscht Wirkungen hervorzurufen» (ebd.). Allerdings hat Pregnenolon «eine kurze Halbwertszeit, eine

geringe orale Bioverfügbarkeit und wird schnell in andere aktive Steroide umgewandelt, die Nebenwirkungen hervorrufen könnten. Daher eignet es sich nicht als Wirkstoff zur Behandlung einer Cannabiskonsumstörung» (Quellen: tinyurl.com/4t7tbact, tinyurl.com/5edve75w tinyurl.com/yc3efd6t) AEF0117 wird hingegen nicht in andere Steroide metabolisiert. Die Studie konnte zeigen, dass AEF0117 die positiven subjektiven Wirkungen von Cannabis im Vergleich zu Placebo signifikan verringerte. Laut den Autoren deuten die Ergebnisse darauf hin, dass «AEF0117 eine sichere und potenziell wirksame Behandlung für diese Indikation ist» (Quelle: pubmed.ncbi.nlm.nih).

Studie: Haney M, Vallée M, Fabre S, Collins Reed S, Zanese M, Campistron G, Arout CA, Foltin RW, Cooper ZD, Kearney-Ramos T, Metna M, Justinova Z, Schindler C, Hebert-Chatelain E, Bellocchio L, Cathala A, Bari A, Serrat R, Finlay DB, Caraci F, Redon B, Martín-García E, Busquets-Garcia A, Matias I, Levin FR, Felpin FX, Simon N, Cota D, Spampinato U, Maldonado R, Shaham Y, Glass M, Thomsen LL, Mengel H, Marsicano G, Monlezun S, Revest JM, Piazza PV. (2023), Signaling-specific inhibition of the CB1 receptor for cannabis use disorder: phase 1 and phase 2a randomized trials, Nat Med. 29(6): 1487-1499.

AGENDA 23. bis 24. November 2023

2. Februar 2024

6. bis 8. Juni 2024

Turku, Finland Interdisziplinäre Konferenz über Psychedelika

Digitales Event

Interdisciplinary Conference on Psychedelic Research Haarlem, Niederlande

Psykedeelit 2023

Center for Psychedelic Medicine: Fortbildungs-Kurs maps.org

psyty.fi

ICPR 2024

icpr-conference.com

23. bis 25. Februar 2024

Markus Berger: Psychoaktive Kultur reloaded Seminarhaus Kudra, Bohndorf

10. bis 13. Dezember 2023

Psychedelic Medicine – Israel Tel Aviv, Israel

kudra.net

14. bis 16. Juni 2024

24. bis 26. Mai 2024

Messe Berlin (Hallen 18 - 21) Deutschlands größte Cannabismesse

Halle 622, Zürich Europas dienstälteste Hanfmesse

maryjane-berlin.com

CannaTrade 2024

psychmedisrael.com

Mary Jane 2024

cannatrade.ch

11. bis 16. Dezember 2023

Psychonautisches Symposium Chile Conguillio, Chile fundacionlobeliana.org/seminarios/

Updates unter lucys-magazin.com/agenda


Zurich, Halle 622 | 24 – 26 May 2024 cannatrade.ch

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KLARTEXT Foto: Chris Heidrich

von Roger Liggenstorfer

Roger Liggenstorfer ist Leiter des Nachtschatten Verlags und Herausgeber von Lucys Rausch.

Von Giften und vom Entgiften

A

us aktuellem Anlass – ich bin selbst zurzeit in einer ayurvedischen Entgiftungskur – ein paar persönliche Gedanken zu Giften. Als Wort bedeutet Gift per se nichts Giftiges: als ‹Gabe› aus dem Hochdeutschen steht es bekanntlich im Englischen für ‹Geschenk›. Aber bleiben wir bei der üblichen Bedeutung als Gift. Bereits vor rund 500 Jahren hat der Arzt Paracelsus dies sinnvoll gedeutet und wird seither oft zitiert: «Alle Dinge sind Gift, nichts ohne Gift; alleine die Dosis macht’s, dass ein Gift kein Gift sei.» Heutzutage werden diese weisen Worte oft vergessen: Nicht nur beim Konsum von legalen oder illegalisierten psychoaktiven Substanzen, sondern auch sonst sind die Grenzen zwischen Genuss und Sucht oft fließend. Gift lässt sich auf viele andere Bereiche anwenden: Der zwischenmenschliche Umgang unserer Politiker ist oft vergiftet, das Klima ebenso, ganz zu schweigen von unserer Sprachkultur. Überall lauern Gifte, gegen die man sich öffentlich und in sozialen Medien zur Wehr setzen muss. Es wird gerne mit Giftpfeilen um sich geschossen. Im Äußeren ist offensichtlich die Welt, in der wir leben, vergiftet: Wir vergiften die Natur weiterhin hemmungslos in vollen Zügen (oder besser gesagt auf vollen Autobahnen), konsumieren bedenkenlos Fleisch aus schädlichen Großfabriken, verbrauchen Unnötiges in noch unnötigeren Verpackungen und schauen im TV zu, wie die Welt zugrunde geht. Auch das innere Gefüge, der soziale Umgang, die kulturellen Werte sind vergiftet: Medien sind ebenso dem Schwarzweiß-Denken verfallen wie die politische Kultur, es gibt nur ein Dafür oder ein Dagegen, Kompromisse und friedfertige Auseinandersetzungen sind eher die Ausnahme. Was früher noch erlaubt war zu sagen, ist heute politisch nicht mehr

korrekt, und jedes Wort muss mittlerweile auf die Goldwaage gelegt werden, damit nicht jemand etwas zu gifteln hat (gifteln als Wort steht insbesondere in der Schweiz und Österreich für bösartige, gehässige Bemerkungen). Ein von Giften infiziertes Klima herrscht bei der Genderdiskussion vor, bei der ein sachlicher Diskurs kaum möglich ist. Ein Beispiel aus der Lucys-Redaktion: Da werden uns Abos gekündigt, weil wir keine genderfreie Zone sind, andere kündigen das Abo genau aus dem gegenteiligen Grund. Anstelle einer giftigen oder sarkastischen Reaktion versuchen wir dieses Thema entspannt anzugehen und fühlen uns den Inhalten und weniger der Form verpflic tet. Apropos Sarkasmus: Darf man noch dämlich sagen? Und in diesem Kontext bemerken, was hinter dem Wort herrlich steht? Muss ich jemanden – ob Frau oder Mann – darauf aufmerksam machen, sollten diese Wörter im Gespräch fallen, oder bekommt man bereits wieder giftige Blicke zugeworfen? Darf zudem noch von einem herrenlosen Damenfahrrad gesprochen werden? Oder provoziert dies schon wieder Giftpfeile? Bleiben wir bei unserem Thema: Es wird höchste Zeit, dass wir die unnötigen vergifteten Drogengesetze der Realität anpassen. Es ist eine Weisheit, dass Menschen sich mit «Giften» (im positiven Sinn, als Geschenk) ihr Leben bereichern. Die meisten Vergiftungen entstehen nicht durch die Substanzen, sondern durch prohibitionsbedingtes Unwissen. Wir sollten uns selbst – wie auch unseren sozialen Umgang – immer wieder entgiften und wohlwollender mit der Welt, in der wir leben, umgehen. Es hilft und tut gut! Ich gehe nun weiter in meine Entgiftungskur – damit wieder Neues Platz hat.

Menschen bereichern mit «Giften» (im positiven Sinn, als Geschenk) ihr Leben.


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Rassismus und Diskriminierung

Die Geschichte hinter dem Hanfverbot TEXT

Annemarie Meyer

Herr Prof. Dr. Lauterbach, Herr Özdemir, Herr Blienert: Herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Doch bitte erkennen Sie auch die Geschichte hinter dem Hanfverbot öffentlich an und machen Sie diese zuhause und in Brüssel publik. Es gehört zur Sorgfaltspflicht eines jeden Drogenpolitikers gegenüber dem Volk, sich mit der Verbotsgeschichte auseinanderzusetzen. Wissensverweigerer sollten sich bewusst sein, dass sie die Fortführung der institutionellen Diskriminierung mitzuverantworten haben. Eine staatliche Entschuldigung gegenüber Cannabis-KonsumentInnen ist längst überfällig. Hier eine kurze Aufklärungs-Kampagne zur Geschichte: Wussten Sie, dass parallel zum Reichsopiumgesetz von 1929 eine neue Klasse von Kriminellen geschaffen worden war, die gegen ihren Willen einer Behandlung oder einer Freiheitsstrafe unterworfen werden konnte? Dass im Dritten Reich für Substanzen wie Opium und Haschisch der bis dahin geltende Begriff Genussgift durch den Begriff Rauschgift ersetzt und die Suchtkranken kriminalisiert wurde, außer die Alkoholkranken?1 Der Begriff Sucht wurde neu mit «biologischer Minderwertigkeit» verbunden, der während des Holocaust in der «Ausmerzung unwerten Lebens» seine mörderische Konsequenz fand.2 Wussten Sie, dass dank der Propaganda der USDrogenbehörde die Schweiz 1951 den Hanf verbot mit der Begründung, «(…) es liegt in der Eigenart dieser verheerenden Krankheit (gemeint war Hanfkonsum), dass sie die Hemmungen der Kranken mit der Zeit vollständig zersetzt und diese Süchtigen für jede verbrecherische Versuchung anfällig werden»? 3

Drei Jahre später – 1954 – aberkannte die WHO dem Hanf jeglichen therapeutischen Wert, obwohl er bis dahin in den USA als Primärmedizin für mehr als 100 verschiedene Krankheiten und Leiden gelistet war und weltweit medizinisch genutzt wurde.4 Wussten Sie, dass seit 1961 bis heute Hanf global willkürlich und böswillig durch die UNO-Gesetzgebung als Einstiegsdroge ohne therapeutischen Wert und als eine der gefährlichsten Substanzen überhaupt propagiert wird? Sogar die WHO bestätigte erstmals 1971, dann 1997 und zuletzt 2019: Es sei klar, dass Cannabis eben nicht ein wertloses und lebensgefährliches

Die alten Kolonialmächte wollten mit Hilfe der UNO ihre rassistische Vormachtstellung in der Welt festigen. Suchtmittel sei, wie es im Einheitsabkommen steht, sondern vor allem eine wirksame Medizin, die Millionen von kranken Menschen helfen könnte und viele riskante Medikamente zu ersetzen in der Lage ist.5 Bis heute wehren sich aber weder die Pharmaund Chemiekonzerne noch die Alkohol- und Tabakmultis gegen die diskriminierende Gesetzgebung. Im Gegenteil, genau diese Firmen lieferten viel Geld für die globalen Desinformationskampagnen.6 Die alten Kolonialmächte wollten damals unter anderem mit Hilfe der UNO ihre rassistische Vormachtstellung in der Welt festigen. Wie selbstverständlich wurden in den USA und Europa noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts fremde Kulturen in Menschenzoos zum Vergnügen der Weißen ausgestellt. Ruth Dreifuss, die ehemalige Schweizer Bundespräsidentin, und mit ihr viele ehemalige Staats­


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«Der Krieg gegen Drogen ist ein Krieg gegen uns!». Foto: Public Domain

präsidenten weltweit, schlossen sich 2011 aus all diesen Gründen in der von der UNO unabhängigen Weltkommission für Drogenpolitik zusammen. Diese schrieb in ihrem Bericht von 2019: «Die ersten internationalen Drogenabkommen waren stark von kolonialen Interessen wie auch von kulturellen Vorurteilen beeinflusst: Alkohol und Tabak waren in den Heimatländern der Haupt­verhandlungsführer gesellschaftlich akzeptierte Substanzen und wurden deshalb nie ernsthaft als Substanzen gesehen, die unter die internationale Kontrolle gestellt werden müssten.»7 Zum selben Thema schrieb Maximilian Plenert, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Hanfverbands DHV: «Die Geschichte und Gegenwart der Drogenpolitik ist geprägt von Rassismus. Seit dem Beginn der modernen Drogenpolitik vor etwas mehr als 100 Jahren wurde der Drogen­konsum der ‹Anderen› immer wieder dämonisiert. Im Namen des moralischen und gesundheitlichen Schutzes der weißen Mehr­heitsgesell­schaft vor dem verderb­lichen Einfluss dieser Drogen werden bis heute diskriminierende und menschenverachtende Repressionsmaßnahmen gerechtfertigt.»8

John Ehrlichman, 1969 bis 1973 Chefberater für innere Angelegenheiten unter US-Präsident Richard Nixon, bestätigte dies in Aufzeichnungen von Dan Baum aus dem Jahre 1994.9 «Die Nixon–Kampagne 1968, und danach das Weiße Haus unter Nixon, hatte zwei Feinde: die linken Vietnam-Kriegsgegner und schwarze Menschen. Verstehen Sie, was ich sagen will? Wir wussten, dass wir es nicht illegal machen konnten, gegen den Krieg oder schwarz zu sein, aber indem wir die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Mari-

«Wussten wir, dass wir logen, was die Drogen anging? Natürlich wussten wir das.» huana und die Schwarzen mit Heroin zu assoziieren und beides streng kriminalisierten, konnten wir diese Bevölkerungsgruppen untergraben, ihre Treffen auflösen und sie Abend für Abend in den Nachrichten diffamieren. Wussten wir, dass wir logen, was die Drogen anging? Natürlich wussten wir das.» In den 1980er Jahren behauptete dann die Reagan-Bush-Regierung: «Keine andere Droge wird vom Menschen gebraucht oder missbraucht, die so lange 


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doch ist es genau diese Falschpropaganda, die die Verbote aufrechterhält. Bis heute wird in der Bevölkerung noch immer Angst und Schrecken verbreitet, auch über hohe THC-Gehalte von Cannabis, obwohl bereits vor 40 Jahren ausgerechnet die US-Regierung von Hanfkraut mit THC-Gehalten von 5 bis 10 %, bei Sinsemilla (Hanfblüten ohne Samen) von 10 bis 14 % und von Haschischöl mit 20 bis 30 % gesprochen hat.13 Dass der Erwerb von hochprozentigem Alkohol dabei kein Thema ist, sei hier Nebensache.

Der Krieg gegen Drogen ist ein Krieg gegen die Menschen und ein Überbleibsel des Krieges der Weißen gegen andere Kulturen.

Plakat für einen Propagandafilm von 1942. Bis heute wird in der Bevölkerung noch immer Angst und Schrecken verbreitet. Foto: zvg

im Körper verbleibt wie Cannabis. Und es gibt keine andere legale oder illegale Droge, die jedes wichtige Organ des Körpers angreift. Und jedes System im Körper. Und jede einzelne Zelle im Körper.»10 Daryl Gates, 1978 bis 1992 Chef des Polizeidepartements von Los Angeles in Kalifornien, gab zu, er habe mit den staatlichen Polizei-Ausbildungsprogrammen namens DARE während der Reagan-BushRegierung systematisch und gezielt den Versuch unterstützt, die Verbreitung korrekter Informationen über Hanf zu verhindern.11 Die besten Wissenschaftler der US-Regierung zusammen mit Scientology taten es ihm gleich und betrieben ab den 1990er Jahren gemeinsam eine weltweite Lügenpropaganda. Ein Sonderermittler der DEA (Drug Enforcement Administration der USA) bestätigt das auf der Website von Scientology: «Durch das Teilen ihres Wissens und ihrer Sachkenntnis hat die Foundation for a Drug-Free World (alias Scientology) maßgeblich zum Erfolg des Programms der Drogenvollzugsbehörde beigetragen, um die Bevölkerung zu erreichen und die Nachfrage zu reduzieren.» 12 Egal wer Vertragspartner ist: DesinformationsPropaganda aus dem Ausland zur Beeinflussung länderspezifischer Rechte ist verboten und strafbar. Und

Drogenpolitik muss auf soliden empirischen und wissenschaftlichen Belegen beruhen. Vorrangiger Maßstab für den Erfolg sollte die Minderung des Schadens für die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohl der einzelnen Menschen und der Gesellschaft sein, schreibt die Weltkommission für Drogenpolitik. Tabak und Alkohol davon auszunehmen ist ungerecht. Abstinent zu leben, ist kein Verfassungsauftrag. Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) beinhaltet das Verbot der Diskriminierung und untersagt jede Unterscheidung nicht nur aufgrund der Rasse, sondern auch aufgrund der politischen Anschauung. Das Verbot zielt auf eine besondere Art von Ungleichbehandlung ab, und zwar auf eine, die Ausschluss und Bestrafung der Betroffenen zum Ziel oder zur Folge hat. Indem an Unterscheidungsmerkmale angeknüpft wird, die «einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen», werden die Betroffenen dadurch existentiell in Frage gestellt und in ihrer Menschenwürde verletzt.14 Erwachsene Menschen brauchen keine Lebensführungsbesserwisser. Ziel ist eine kohärente Politik. Mit dem Betäubungsmittelgesetz in seiner aktuellen Form ist dies nicht möglich. Der Krieg gegen Drogen ist ein Krieg gegen die Menschen und ein Überbleibsel des Krieges der übermächtigen Weißen gegen andere Kulturen. Er hat in der heutigen Gesetzgebung nichts mehr verloren.


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Sittengesetz. Es sei allein die willkürliche Differenzierung von legal und illegal, die zu unterschiedlicher Strafbarkeit führe, betonte die Strafkammer des Landgerichts Lübeck bereits 1994 – und begründete dies mit dem Artikel 3 GG, dem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit und dem Recht eines jeden Menschen auf Entspannung und Wohlbefinden. Die Schweiz hat neu einen Experimentierartikel geschaffen, der wissenschaftliche Feldversuche mit Cannabiskonsumenten in Social Clubs zulässt. Wir werden hier noch Jahre warten müssen, bis die Pilotprojekte der Städte abgeschlossen und ausgewertet sind und den Weg für eine Legalisierung ebnen. Hier darf zwar in Social Clubs, die über ein Fumoir und eine gute Lüftung verfügen, geraucht werden – im Gegensatz zum Vorschlag für die deutschen Social Clubs. Dafür müssen bei uns die ClubMitglieder erst ihren Urin abgeben und klarstellen, dass sie schon mindestens ein Jahr Cannabis konsumieren. Die weiblichen Mitglieder müssen zudem mit Tests beweisen, dass sie nicht schwanger sind oder gerade stillen. Die Geschichte hinter dem Verbot wird auch hier nicht öffentlich aufgearbeitet. Ist es nicht beschämend, dass noch heute die Opfer dieser Politik bestraft werden und nicht die Täter dieser weltweiten Lügenkampagne? Wo bleibt die Entschuldigung?

Die vier weisen Affen: «Sage nichts, sehe nichts, höre nichts, habe keinen Spass.» Foto: foryou7 / Wikimedia

Die Hanfverbote sind ein Erbe rassistischer Zeiten. Die Geschichte dahinter anzuerkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen, ist notwendig. Denn dieses Gedankengut hat in der heutigen Gesetzgebung nichts mehr verloren. Das hundertjährige Verbot diente nicht der Gesundheit, sondern der Unterdrückung fremder Kulturen. Das Hanfverbot basiert klar auf falschen Angaben, wirtschaftlichem Kalkül und auf Rassismus.

Diese Hintergründe zu belegen, ist der Autorin eine Herzensangelegenheit. Weder Strafverfolgungsbehörden, Gerichte noch MitbürgerInnen sollen je wieder über HanfkonsumentInnen und HanfhändlerInnen urteilen dürfen, ohne die Geschichte dahinter zu kennen. Wolfgang Něscović, ehemaliger deutscher Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe war bereits 1992 überzeugt, «… dass die Drogenpolitik anders verlaufen würde, wenn es gelänge, die zutreffenden Informationen publik zu machen. Die gegenwärtige Drogengesetzgebung lässt sich nur deshalb praktizieren, weil in der Bevölkerung ein entsprechendes Informationsdefizit herrscht.»

ISBN 978-3-03788-635-9

Quellen 1 Vgl. M. Bröckers, Die Drogenlüge, S. 146 f., 2010, Westend Verlag Frankfurt/Main • 2 Vgl. Von Hanf ist die Rede, Hans-Georg Behr, 1995, Zweitausendeins • 3 Dossier Hanf – Play SRF, ab Min 2.20 bis Min. 3.30 • 4 www.globalcommissionondrugs.org/wp-content/uploads/2020/02/2019Report_DEU_web.pdf S. 15 ff. • 5 softsecrets.com/de/artikel/who-will-status-vonmarijuana-aendern v. 24.10.2018, Frankfurter Rundschau, 30.11.1971, Basler Zeitung, 19.2.1998 • 6 https://www.druglibrary.org/schaffer/library/pdfa1.htm • 7 https://www.globalcommissionondrugs.org/wp-content/uploads/2020/09/ 2020report_DE_web_030920.pdf S. 8 • 8 Hanfjournal, 6.6.2010, Maximilian Plenert, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Hanfverband (DHV) • 9 https://www.globalcommissionondrugs.org/wp-content/uploads/2020/02/ 2019Report_DEU_web.pdf S. 13 • 10 P. Mann: Hasch, Zerstörung einer Legende,

Die nie debattierte Geschichte hinter dem Hanfverbot

Die Hintergründe einer menschenverachtenden Drogenpolitik – klar und verständlich dargelegt

Annemarie Meyer (*1964) ist ehemalige Hanfboutique-Besitzerin und war bis zur Hanfinitiative von 2008 viele Jahre aktives Mitglied der Schweizer Hanfkoordination.

Annemarie Meyer

Die willkürliche rechtliche Unterscheidung zwischen Alkohol und Cannabis basiert auf absichtlicher Täuschung, Rassismus, struktureller und institutioneller Diskriminierung, verdichtet durch Vorurteile, Benachteiligungen und Ausgrenzung im Alltag. Das ist belegt.15 Deshalb ist es wichtig, dass Sie, werte Herren Politiker, die menschenverachtende Geschichte hinter dem Cannabisverbot von 1961 öffentlich auch in Brüssel debattieren. Die zweite Säule Ihres Eckpunktepapiers – der legale Verkauf von Cannabis in lizenzierten Abgabestellen – wird, ohne diese Hintergründe richtigzustellen, schwierig zu realisieren sein.16 Der EURahmenbeschluss von 2004 zu Cannabis besagt nämlich, dass alle Mitgliedstaaten strafrechtlich gegen Besitz und Handel vorgehen müssen. Ausnahmen sind nur für die Regelung für Privatkonsum vorgesehen. Deshalb möchten Sie in einem ersten Schritt – mit Ihrer «ersten Säule» –  die Entkriminalisierung von Besitz, privatem Anbau und Konsum und die Entkriminalisierung von nicht kommerziellen gemeinschaftlichem Anbau in sogenannten Social Clubs durchsetzen. Dafür sind wir Ihnen dankbar. Doch der gewinnbringende Cannabisverkauf verletzt weder die Rechte anderer noch verstößt er gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das

Annemarie Meyer

Die nie debattierte Geschichte hinter dem Hanfverbot Eine Beweisführung

Annemarie Meyer

Die nie debattierte Geschichte hinter dem Hanfverbot Eine Beweisführung Nachtschatten Verlag 2023 ISBN 978-3-03788-635-9 1990, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/Main, S. 37, Zitat Carlton Turner • 11 Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf, Herer-Bröckers-Katalyse, 2004, Zweitausendeins, Frankfurt/Main, S. 196 • 12 Vgl. www.scientology.de/ how-we-help/truth-about-drugs/truth-about-drugs.html#slide2 • 13 P. Mann: Hasch, Zerstörung einer Legende, 1990, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/ Main, S. 36, 37, 99 • 14 www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/ diskriminierung/diskriminierungsverbot-dossier/definition-diskriminierung/ • 15 A. Meyer: Die nie debattierte Geschichte hinter dem Hanfverbot, 2023, Nachtschatten Verlag, Solothurn • 16 www.zdf.de/nachrichten/zdfheute-livelauterbach-cannabis-legalisierung-drogenpolitik-video-100.html Min. 6.00, Jan Henrich, ZDF Redaktion Recht und Justiz, ab Min. 8.00 Pressekonferenz mit Karl Lauterbach vom 16.8.23



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Foto: Thomas Rojahn

PSYCHEDELIKATESSEN von Hans Cousto Hans Cousto ist Sachbuchautor, Musikwissenschaftler und Mitbegründer von Eve&Rave Berlin.

Am Anfang war der Pilz

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ilze wachsen wie Pflanzen oft im Boden, und bei vielen Arten bilden sie auffällige Fruchtkörper, die manchmal Pflanzen ähneln. Die Pilze gelten heute als eigenständige Gruppe von Lebewesen, die sich sowohl von Pflanzen als auch von Tieren unterscheidet. Vor der Einführung molekularer Methoden zur phylogenetischen Analyse betrachteten die Taxonomen Pilze aufgrund ihrer Ähnlichkeit in der Lebensweise als Mitglieder des Pflanzenreichs Sowohl Pilze als auch Pflanzen sind überwiegend unbeweglich und weisen Ähnlichkeiten in der allgemeinen Morphologie und im Wachstumslebensraum auf. Mykologie ist der Zweig der Biologie, der sich mit der systematischen Untersuchung von Pilzen befasst, einschließlich ihrer genetischen und biochemischen Eigenschaften, ihrer Taxonomie und ihrer Verwendung für den Menschen als Quelle für Medikamente, Nahrungsmittel und psychotrope Substanzen, die für religiöse Zwecke konsumiert werden, sowie ihrer Gefahren wie Vergiftung oder Infektion. Einige einzelne Pilzkolonien können außergewöhnliche Ausmaße und ein außergewöhnliches Alter erreichen, wie im Fall eines Hallimaschs im US-Bundesstaat Oregon, der sich über eine Fläche von mehr als 9 Quadratkilometern erstreckt und ein geschätztes Alter von fast 9000 Jahren hat. Sein geschätztes Gewicht beträgt etwa 7500 Tonnen. Derzeit gilt dieser Pilz als ältestes und größtes Lebewesen auf der Erde, ja er ist größer und älter als irgendeine Art von Tieren oder Pflanzen Bei einer Mykorrhiza-Assoziation (symbiotische Verbindung zwischen einem Pilz und einer Pflanze) besiedelt der Pilz das Wurzelgewebe der Wirtspflanze. Bei bestimmten Arten oder unter bestimmten

Umständen können Mykorrhizen eine parasitäre Verbindung mit Wirtspflanzen eingehen. Dennoch bieten Mykorrhizen aus evolutionärer Sicht große Vorteile für die Wirtspflanzen Einige Pilze wie Pfifferlinge, Steinpilze und Parasole zählen zu den besten kulinarischen Delikatessen. Doch auch einzellige Pilze wie die Hefe werden in der Küche, in Brauereien und Bäckereien genutzt, um kulinarische Köstlichkeiten herzustellen. Psilocybinhaltige Pilze gelten demgegenüber für Psychonauten als echte Psychedelikatessen. Doch sie sind noch weit mehr als das. Zauberpilze als Psyche­delika haben die Evolution des menschlichen Bewusstseins stimuliert. Das Grundkonzept, das erstmals 1992 von Terence McKenna (1946–2000) in seinem Buch Food of the Gods (dt. Speisen der Götter) vorgeschlagen wurde, besteht darin, dass der Konsum psychedelischer Pilze möglicherweise eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des menschlichen Geistes und der menschlichen Kultur gespielt hat. Im Wesentlichen legt die Hypothese nahe, dass wir die Entstehung von Sprache und Selbstreflexio dem uralten, anhaltenden Konsum von Pilzen mit dem Wirkstoff Psilocybin verdanken. In Food of the Gods argumentierte McKenna auf der Grundlage bekannter Qualitäten der psychedelischen Erfahrung (wie verstärktes Einfühlungsvermögen und Sinneswahrnehmung) , schamanistischen Traditionen in alten Kulturen und der bekannten Bandbreite psychedelischer Pflanzen und Pilze in der Antike Zauberpilze sind nicht nur Psychedelikatessen, sondern wahre Katalysatoren für die Evolution des menschlichen Bewusstseins und der menschlichen Kulturen. Das war nicht nur in der Vergangenheit so, sondern gilt auch heute im Hier und Jetzt.

Zauberpilze sind Katalysatoren für die Evolution des Bewusstseins.


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Psychedelik im Hinduismus Baba Surendra Puri im Interview TEXT

Chris Heidrich, Roger Liggenstorfer

Kannst du uns etwas über den Einfluss vo psychedelischen Substanzen auf dein Leben als Baba erzählen? Während der Zeit, als ich aufwuchs und meinen spirituellen Weg fand, habe ich einiges über Psychedelika gehört und gelesen. Dabei habe ich gelernt, dass es verschiedene Techniken oder Methoden gibt, den Geist zu verändern, zu schulen und auch zu heilen, z.B. mit Psychotherapie. Ich habe auch meinen Lehrer, meinen Meister, danach gefragt. Das Wort Psycho ist leider häufig negativ konnotiert, da man hier sofort an psychische Erkrankungen denkt. Ein Psycho ist ein geistig kranker Mensch. Nach meiner Auffassung beschreibt die Psyche aber wesentlich mehr. Im

Psychedelische Pflanzen öf nen uns für spirituelle Wege, indem sie uns den Weg weisen, wenn wir es ihnen erlauben. Grunde sind nämlich zwei Dimensionen unserer Zeitvorstellung, die wir als Menschen kennen, von der Psyche gemacht: die Vergangenheit und die Zukunft. Beides sind nur Konzepte, die es in der Wirklichkeit nicht gibt. Unsere Psyche macht das Erinnern an die Vergangenheit und Vorausschauen für die Zukunft möglich. Psychedelika sind nun Stoffe, die den Geist, das Geistige, also die sogenannte Seele, manifestieren, wie der Name schon sagt: psyche ist die Seele, delos ist das Manifestieren. Und so eine psychedelische Pflanze ist der Hanf für mich

Ein Baba an der Boom Surendra Puri gehört dem alten Mönchsorden Shri Panch Dashnam Juna Akhara an. Er wurde in der Nähe von Haridwar geboren. Mit 14 Jahren verließ er sein Zuhause, um sich zusammen mit seinem Lehrer Ashok Puri ganz dem spirituellen Leben zu widmen. Bis 17 lebte er im Maya-Devi- und im Bhairo-Tempel, beides Juna-AkharaZentren in Haridwar. Im Jahr 1992 erhielt er die Einweihung und wurde Sannyasi Acharya. Er lernte Sanskrit und gewöhnte sich an den neuen Alltag im Ashram, die spirituelle Praxis und die Gemeinschaft mit anderen Sadhus bzw. Sannyasis. Das waren Jahre des Dienstes, des seva, für seine Gemeinschaft. Später lebte er mit seinem Lehrer in einem Ashram in Punjab. Mit 23 Jahren verließ er den Ashram und zog nach Yamunotri, der Quelle des Flusses Yamuna im HimalayaGebirge. Er blieb dort sieben Jahre lang, entwickelte seine eigene spirituelle Praxis, Sadhana, und lernte, wie man die in der Gegend reichlich vorhandenen Heilpflanzen verwendet. Er lebte in einer kleinen Höhle im Tal, wo später ein Shiva-Tempel entstand. Mit 30 kehrte er auf Geheiß seines Lehrers nach Haridwar zurück, um im Ashram zu helfen. Im Januar 2012, im Alter von 36 Jahren, kam Surendra Puri schließlich nach Europa, wo er die Erfahrungen seines spirituellen Lebens und Yoga-Pfads weitergibt, indem er Satsang und heilige Riten in Spanien, Frankreich, Schweden, Italien, Ungarn, Dänemark und Deutschland leitet. 2014 wurde Surendra Puri das erste Mal an das Boom Festival in Portugal eingeladen, wo er täglich Pujas, Meditationen und Vorträge hielt. Chris Heidrich und Roger Liggenstorfer lernten Surendra 2016 an der Boom kennen, worauf sich Besuche in der Schweiz ergaben (2018, 2019), bei denen er die Schweiz erkundete. Seit ein paar Jahren führt Surendra Puri einen eigenen Ashram bei Haridwar.


Foto: ZVG

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Chris Heidrich, Surendra Puri und Roger Liggenstorfer in Solothurn.

Wann hattest du den ersten Kontakt mit Hanf? Das war, als ich das erste Mal in einem Ashram war. Dort wurde von den Babas auch Hanf geraucht, in Chillums, in Zigaretten usw. Und ich fragte, was erreicht ihr damit, wenn ihr diese Pflanze raucht? Und sie sagten, dass es die psychoaktiven Effekte des Gewächses sind, die unseren Geist öffnen können und dass der Hanf uns direkt mit Shiva verbindet. Psychedelische Pflanzen öffnen uns für spirituelle Wege, indem sie uns den Weg weisen, wenn wir es ihnen erlauben. Sie bringen uns in Kontakt mit unserem wahren Selbst – und das ist es, was wir zu erfahren suchen. Psychedelische Substanzen sind Katalysatoren, und sie sind für uns Babas von großer Bedeutung für das tägliche Sein.

Welche anderen psychoaktiven Pflanzen kenns und nutzt du? Nebst Hanf, den ich am meisten nutze, verwende ich auch Datura (Stechapfel). Beides sind wichtige Sakramente, die wir oft zusammen im Chilllum rauchen. Es gibt auch weitere Pflanzen wie arandi (Ricinus communis) und mithi ruts (Podophyllum hexandrum). Von psychoaktiven Pilzen hat mir mein Lehrer immer wieder erzählt. Ich war erstaunt zu hören, dass diese auch in Indien vorkommen sollen. So ging ich nach Südindien, wo es eine besondere Art gibt, die dort

ACHTUNG! Schamanische Meisterpflanzen wie Datura und der hier genannte Wunderbaum Ricinus communis enthalten stark wirksame toxische Substanzen, deren unsachgemäße Einnahme zu schweren Nebenwirkungen bis hin zum Tod führen kann. Verlag und Redaktion raten ausdrücklich von jeglichen Selbstversuchen mit diesen Giftpflanzen ab.

sehr verbreitet ist. Ich habe sie später im Ashram ausprobiert, und sie bescherte mir eine sehr schöne, glückliche und erhellende Erfahrung. Die älteren Babas im Ashram erzählten mir schließlich auch von einer anderen psychedelischen Substanz, und das war LSD. Das hatten sie von irgendjemandem bekommen, probiert und für gut befunden. Und tatsächlich: Obwohl LSD keine Pflanze ist, sondern im Chemielabor aus einem Pilz hergestellt wird, führt es einen in tiefe innere Gefilde und unterstützt Yoga und Meditation. Außerdem macht es glücklich, leicht und fröhlich. Ich betrachte LSD, das ja vom Chemiker Albert Hofmann aus der Schweiz erfunden wurde, auch als Geschenk an den gesamten Planeten. Ich bin für dieses Geschenk sehr dankbar, denn es bringt die Menschen zusammen und zeigt uns, dass wir eben keine voneinander getrennten Wesen sind, sondern dass wir alle ein großer Organismus sind, der sich in unendliche Teile aufspaltet, um sich selbst in der lebendigen Erfahrung kennenzulernen. Da sind LSD

LSD verbindet uns wieder mit uns selbst und mit allem anderen. und auch die anderen psychedelischen Pflanzen und Pilze ein wunderbares Hilfsmittel, dies wieder zu realisieren. Psychedelika machen wieder ein Ganzes aus uns und zeigen uns, dass wir alle eins sind. Mit ihnen überwinden wir auch andere Grenzen, überwinden religiöse Anschauungen, wir tanzen zusammen, wir hören gemeinsam Musik, wir lachen zusammen, wir fühlen zusammen. LSD verbindet uns wieder mit uns selbst und mit allem anderen. Überdies lernen wir durch die psychedelische Erfahrung wieder, Verantwortung zu übernehmen. Für uns selbst, für die sogenannten anderen, für die Gesellschaft, die Umwelt und unseren Lebensraum.

War LSD auch anderen Babas bekannt? Ja, auf jeden Fall. Als ich noch ein Junge war, habe ich die Babas immer wieder nach allem Möglichen ausgefragt. Und sie erzählten mir auch über LSD und Psychedelika. Nicht in allen Details, aber sie erzählten es mir. Es war als ein Mittel bekannt, das Glück brachte. Nicht in dem Sinne eines Talismans, sondern in dem Sinne, dass es die Menschen zum Glücklichsein, zur Erleuchtung bringt.


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Du hast einmal erzählt, dass sehr viele Babas, geschätzte 70 Prozent, Hanf als Sakrament und Achtsamkeitspflanze verwenden. eißt du, wieviele Babas in etwa auch Erfahrungen mit anderen psychedelischen Pflanzen und Substa zen haben? Ich schätze, dass ungefähr 40 Prozent auch mit anderen psychedelischen Gewächsen Erfahrung haben. In unserer Kultur werden diverse Pflanze teile wie auch deren Öle etc. in speziellen heilsamen Mischungen zubereitet – z.B. im Rahmen der Ayurveda. Da gehören auch zahlreiche psychoaktive Pflanzen dazu. Das Wissen um die Zubereitung, Zusammenmischung und die sich daraus ergebenden pharmakologischen Effekte ist den Ältesten und Meistern selbstverständlich wohl bekannt. Und die Meister geben ihr Wissen an die Jüngeren weiter. So erwarb auch ich meine Kenntnis um diese wertvollen Gewächse und deren Wirkungen.

Kannst du uns etwas dazu erzählen, wie die psychoaktiven Gewächse von Sadhus auch zur Öffnung des Geistes, also zu spirituellen Zwecken, verwendet werden? Wenn man Hanf oder andere psychoaktive Organismen korrekt und im Sinne des spirituellen Weges der Erkenntnis gebraucht, wird einem gezeigt, dass alles eine große Einheit ist. Sie bringen dich in Meditation, unterstützen den Yoga-Weg, sie verbinden dich auf direktem Wege mit dem Göttlichen bzw. mit der Erkenntnis des Göttlichen in dir selbst. Die Pflanzen geben uns die Gelegenheit, wieder ein Teil von alldem zu werden. Sie sprengen die Grenzen, die ohnehin nur in unserer Fantasie vorhanden sind. Das ist auch nötig, weil sich viele moderne Menschen von der Welt entfremdet haben.

Wo siehst du die Verbindung zwischen Meditation und Psychedelika? Psychedelika sind Meditation, Meditation ist Psychedelikum. Beides dreht sich um dieselbe Fragestellung, beides führt zum selben Ziel. Sie können sich gegenseitig befruchten und unterstützen. Psychedelika führen dich aus deinen Gedanken und Konzepten, aus deiner Gesellschaft, aus dem Alltagsbewusstsein in andere Sphären, in Sphären der Erkenntnis. Das Gleiche macht Meditation. Psychedelika sind sozusagen ein schneller Weg zur Erkenntnis, wo Meditation viel Zeit benötigen kann, bis die Erkenntnis sich einstellt. Kombiniert man

Auf dem Bielersee, August 2019. Foto: R. Liggenstorfer

beides, kann sich Fruchtbares auf dem Weg des Erwachens ergeben. Psychedelika helfen uns auch, glücklich zu sein – nicht um der äußeren Umstände

Es geht um die Akzeptanz des jetzigen Augenblicks, das Erwachen. willen, sondern es geht um das innere Glück, den Frieden, die Akzeptanz des jetzigen Augenblicks, das Erwachen. Und dazu kommt noch, dass sie uns zeigen können, ob wir vielleicht Hilfe benötigen – im Sozialen oder gesundheitlich. Psychedelika und Meditation öffnen unser Inneres, zeigen uns den essenziellen Weg und geben spirituelle Inspiration.

Gibt es im Zusammenhang mit psychedelischen Erlebnissen eine Anekdote, die dir im Gedächtnis geblieben ist? Wir hatten einmal in der Nähe des Waldes eine ­psychedelische Session mit LSD und einer guten 


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werden beispielsweise mit Honig, Ghee und/oder Wasser angemischt. Eine solche Mischung wird während des Rituals getrunken, um psychedelische, visionäre Zustände zu erzeugen. Diese speziellen Blends werden auch als Medizin verwendet, denn eigentlich sind alle psychedelischen Pflanzen auch Heilmittel. Die meditativen Riten wie auch Heilzeremonien wer-

Psychedelika führen dich mit der richtigen Intention in deine eigene Kraft. den schließlich bei Vollmond durchgeführt. Das ist unsere traditionelle Art und Weise, Psychedelika für spirituelle Zwecke zu nutzen. Es gibt noch eine Reihe weiterer Gewächse, die in Rauchmischungen mit eingebracht werden. Wie vorhin schon erwähnt, kennen wir auch die psychedelischen Pilze. Auch diese werden rituell verzehrt, ebenfalls meist bei Vollmond. Denn so kann man nach unserer Ansicht am leichtesten sehen, was man erkennen möchte. Dieses Wissen wird seit mehr als 700 Jahren von Generation zu Generation mündlich weitergegeben.

Surendra Puri mit Schwester Theresia in ihrem Tier-Gnadenhof beim Felsentor auf der Rigi in der Schweiz. Foto: Roger Liggenstorfer

Musikanlage, auf der wir Trance-Sounds laufen ließen und ganz wunderbar dazu tanzten. Im Wald um uns herum lebten Tiger, Elefanten und viele andere Tiere. Die Musik und unsere Anwesenheit hatten offenbar eine gewisse Anziehungskraft auf unsere tierischen Freunde – denn plötzlich waren mehrere Elefanten gekommen und blieben ganz bei uns in der Nähe stehen. Wir haben getanzt und gelacht und sie erst gar nicht bemerkt. Erst als jemand von uns abseits einen Joint drehen wollte, entdeckte er einen der Elefanten vor sich. Das war wirklich beeindruckend. Sie wollten vielleicht auch der Musik zuhören, wer weiß?

Kannst du uns erklären, wie Hindus Psyche­delika traditionell nutzen? Psychedelische Pflanzen werden von Hindus schon lange traditionell verwendet. Meist im Rahmen von Ritualen, wo diverse Kräuter und Pflanzenteile zusammengemischt werden, um verschiedene Wirkungen herbeizuführen. Diese pflanzlichen Kompositionen

Gelten Psychedelika im Hinduismus als spirituelle Katalysatoren, die zum göttlichen Bewusstsein führen? Ja, denn Psychedelika führen dich mit der richtigen Intention in deine eigene Kraft, sie lassen dich erkennen, wer du wirklich bist – so wie die Meditation. Sie demonstrieren dir im besten Fall deine eigene Macht, die weit über das Weltliche, das Materielle hinausgeht. Sie sind Werkzeuge für das Bewusstsein, um zu sich selbst zu erwachen, das, was landläufig als Erleuchtung bezeichnet wird. Also helfen Psychedelika auf dem Weg der Erleuchtung, des Erwachens. Daneben sind sie aber noch mehr, sie können auch eine ganz praktische Lebenshilfe darstellen, fernab von spirituellen Intentionen, denn sie erwecken die Weisheit in dir. Von daher sind Psychedelika keine Drogen, wie immer gesagt wird, sondern Medizin. Und so sollten wir sie auch verstehen und anwenden.

ॐ नमो नारायणाय

Om Namo Narayan ist ein Mantra, das für den Weltfrieden gesungen wird.

Vielen Dank für dieses besondere Interview!


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Freaks & Hippies im Humor-High

Berauschte Comics TEXT Claudia Müller-Ebeling

Als roter Libanese, grüner Marokkaner und schwarzer Nepalese bzw. Afghane in der Alternativ­ szene der 1970er Jahre die Runde machten (und Reefer aus USA mit Ganja aus Jamaika trans­atlantische Verbindungen beflügelten), färbte Flowerpower den Wirtscha tswunder-Alltag schillernd bunt. Inklusive Krawatten und Karossen. Kiffende Kreise hörten Musik, tranken Tee genüsslich im Sitzen (statt Coffee to go) – und lachten sich scheckig über Underground-Comics, die Hippies und Hanf-­Humor treffsicher karikierten. Die kurze Zeitspanne (zwischen den moralischen Feldzügen der McCarthy-Ära, die 1956 endete, und den hitzigen Karikatur-Verboten seit der Jahrtausendwende) war ein Tabu-befreites Comic-Paradies. Mit grenzenlos drastischen Witzen über Drogen, Sex – und Religion. Über sich selbst und eigene Marotten lachen können – wie befreiend! Haschisch konnte high und heiter machen (statt stoned). Zeitlos erheiternd. Gilbert Shelton Der Underground-Cartoonist Gilbert Shelton, geboren 1940 in Houston, Texas (wo er als Kind Mitglied eines Cartoonist-Clubs war) , entrann dem Militärdienst, weil er sich zu psychedelischen Substanzen (Peyote, LSD, Pot) bekannte. Als Comic-Zeichner debütierte er beim Studentenmagazin The Texas Ranger Ende der 1950er Jahre. 1968 zog er nach San Francisco, wo ihn seine Comic-Serien Fabulous Furry Freak Brothers und Fat Freddy's Cat im Underground-Magazin High Times legendär und international erfolgreich machten. Den kongenialen Pot-Jargon der fabelhaften ­Freaks steuerte von 1974–1982 Dave Sheridan bei, ab 1978 im Trio mit Zeichner Paul Mavrides. Der in der Alternativszene aktive Schweizer Schriftsteller und Künstler Urban Gwerder machte Shelton mit seinem Magazin Hotcha! bei europäischen Freaks bekannt. Seit Mitte der 1980er Jahre lebt Gilbert Shelton in Frankreich, koproduktiv mit seinem Berliner Kollegen Gerhard Seyfried befreundet, der, mit Harry Rowohlt, die Freak Brothers süffig ü ersetzte. thefreakbrothers.com

Die Freak Brothers flüchten or den Bullen Unter dräuendem lila Himmel und neugierig aus Fenstern spähenden Blicken stürmt eine Verfolgungsjagd im Hochhausgewirr frontal auf uns zu. Mit unisono erhobenen Schlagstöcken ist eine wutentbrannte Phalanx von Cops drei wohlvertrauten Freaks dicht auf den Fersen. Zwischen Müllbergen und Bretterzaun passieren sie eine schäbige Außentreppe, wo sie ein Kater mit vor Angst gesträubtem Schwanz vom ersten Absatz herunter beäugt. Die drei Verfolgten nehmen nicht nur ihre Beine unter die Arme. Was Fat Freddy schnaufend im Karton unter den Arm klemmt und hektisch um sich blickend in die Luft bläst, und Phineas und Freewheelin Franklin mit starren Blicken schmauchend in der dampfenden Wasserpfeife schultern, ist das Corpus Delicti, das die drei Freak-Brüder und ihren Schöpfer Shelton legendär machte: Dope (Pot, Shit).


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Sternennacht in Amsterdam (Titelbild für das High Times Magazine) Mit Haschisch unterm Hut sieht man Sterne und nachts, an der Gracht in Amsterdam, tanzen sie in Spiralen, wie auf der Leinwand von van Gogh. Sternennacht in Amsterdam (Titelbild für das High Times Magazine)

143 Was Shelton zum Selbstporträt à la van Gogh inspirierte, war vermutlich die Ehre, die ihm und Paul Mavrides einst in Amsterdam zuteil wurde, als Jury-Mitglied dreißig Hanfsorten in fünf Tagen zu testen. «Nach drei Zügen vom ersten Joint war ich zu stoned, um etwaige Unterschiede zu bemerken, weshalb ich – ohne weitere Samples – allen dieselbe Note gab. Mavrides hingegen rauchte gewissenhaft jede einzelne Sorte und lieferte ausführlich differenzierte Bewertungen ab», erinnerte sich Shelton in einem Interview. Das erklärt den erwähnten Sternenhimmel. In der Kürze liegt die Würze – wie in dem einseitigen Comicstrip, in dem sich die prototypische Frage der Freak Brothers kristallisiert: Wie kommen wir an Dope, wenn nichts mehr da ist?

Fabulous Furry Freak Brothers, 1978 Welchen Charakter die einzelnen Brüder haben und was sie auszeichnet, vermitteln zehn Szenen mimisch und gestisch: Den skeptischen Hauruck-Realismus von Freewheelin Franklin mit Cowboy-Hut. Den dickbäuchigen Fat Freddy, der manches vermasselt, weil er stets nach mehr giert, nun aber auf dem Putz-Trip ist, weil der unermüdliche Tüftler Phineas Dr. Freakingers Drogen-Wiederaufbereitungs­ anlage präsentiert, die Marihuana-Reste aus Sofa und Teppich filtert.


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Hanf-Weisheiten: Kiffen macht gleichgültig, 2001 In desolater Bude lungern drei verwanzte Typen um Bong und Mini-TV, das ihnen – hektisch auf zwei Beinchen, mit alarmiert erhobenen Ärmchen und panischem Konterfei Kiffen macht gleichgültig! entgegen­kreischt. Na und? Wen juckts! Seyfried konnte gnadenlos sein – und produktiv Kreative begeistern, die sich von bissigen Details nicht diskriminiert oder beleidigt fühlten. (Weder vom Miezen-­ Gerippe noch vom pornolastigen TV-Programm mit CDU-Kanal.)

Gerhard Seyfried Als satirischer Chronist der linksalternativen Szene, im Westberlin der 1970er und 1980er Jahre, wurde Gerhard Seyfried (geboren 1948 in München) weltberühmt, seit er 1976 in die geteilte Stadt zog. Unnachahmlich einzigartig vereint der Comiczeichner, Karikaturist und Schriftsteller Komik mit Politik, bissige Satire mit Liebenswürdigkeit und Comics mit Wortwitz, die mit aberwitzigen Kommentaren und Hinweisschildern sein Markenzeichen wurden. Mühelos wechselte er von der dystopischen Science-F­iction (ab

1990 mit Freundin und Kollegin Ziska Riemann) , über Hanf im Glück (1996 mit Versen von Mathias Bröckers) zum akribisch recherchierten Herero-Aufstand (2003). Seinem gewitzten Naturell und Multitalent verdankt die Hanfszene legendäre Plakate, die geniale Typologie Freakadellen und Bulletten (1979) und die Kiff-Cartoons (2003 als Cannabis-Collection vom Nachtschatten Verlag publiziert) . Seyfried lebt und wirkt in Berlin, seinem artgerechten Humor-Biotop. gerhardseyfried.de


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Der Heißhunger, Tafel I, aus: Vom Hanf und seinen Wirkungen, 2002 Nö – der kugelrunde Konditor H. aus M. ist kein Kiffer. Als fleischgewordene Allegorie der Munchies könnte er den von Cannabis stimulierten Heißhunger nach Süßem mit monströsen Törtchen jedoch stillen.

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Das Kurzzeitgedächtnis, Tafel IV, aus: Vom Hanf und seinen Wirkungen, 2002 Die bildreiche Überflutung von Assoziationen und Gedanken ist ein vertrautes Phänomen der Cannabis-Wirkung. Bombastisch für die Phantasie, blöd fürs Kurzzeitgedächtnis – weshalb die Grübelnde ratlos vor dem Kühlschrank steht und weder weiß, was sie dort wollte, noch kapiert, woran all die Zettel erinnern sollen.


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Indica Jones Die dünnbeinige Indiana-­ Jones-Persiflage landet im lila LaLa-Land: breit grinsend, vis-à-vis hopfenartiger Hanfblüten. Kopfüber Fledermäuse. In dunstiger Höhe ein Raubvogel mit Beute, dem aufgesperrte Schnäbel entgegen gieren. In der Ferne ein Vulkan­ kegel. Tief unten ein Schiff im Strom. Das perfekte Szenario für Indica Jones.

Raphael Mechoulam, the Scientist – the 1963 experiment Party-Szene mit grüner Couch. Links ein relaxt Bebrillter, in der Mitte eine Euphorisierte, rechts ein von Komik Übermannter, flankiert von der verkrampften Blondine auf der Lehne, die (proportional überdimensioniert) ängstlich zu Protokoll gibt, was der seriös Graue rechts außen (Raphael Mechoulam), wissenschaftlich gewissenhaft notiert.

Ivan Art Der in Los Angeles (CA, USA) geborene Grafike und Cartoonist Ivan Artucovich alias Ivan Art ist seit 25 Jahren als freischaffender Künstler weltweit unterwegs. Zum Repertoire von Ivan Art zählen humoristische Illustrationen und Karikaturen. Im

Buch Hempathy – Food for Thought (CreateSpace, 2012) karikiert er die irrationale Grauzone zwischen sozialer Akzeptanz und willkürlicher Illegalisierung. Im abgelegenen Muggio-Tal (Tessin, Schweiz) fand Ivan Art sein derzeitiges Domizil. ivanart.net


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Steve Stoned Stefan Theurer alias Steve Stoned, geboren 1963 auf der schwäbischen Alb, absolvierte ein Grafi -Design-Kolleg in Ulm und ist seither als freier Künstler, Illustrator und Cartoonist tätig. Mit seinem Label Stoned Design, das der Cannabis-Szene seit 27 Jahren Designs und Illustrationen liefert, machte sich Stefan Theurer unter dem Pseudonym Steve Stoned einen Namen. Der als Moebius bekannte französische Comic-Virtuose Jean Giraud und die psychedelische Kunst der Sixties inspirierten seine visionären Weltraum-Comics und sein multimedial facettenreiches Œuvre.

Stoned Robots ist ein neuer Zweig von Stoned Design. Kannst du uns mehr dazu erzählen? Steve Stoned: Stoned Robots ist ein großes NFT- und Comic-Projekt. Ich entwickle eine eigene NFT-­ Serie, dazu eine Comic-Geschichte und Merchandise-­Designs für Papers, Shirts, Poster etc. Das alles schaffe ich natürlich nicht alleine und bin froh, dass ich ein tolles Team zur Unterstützung habe: meine beiden Söhne als Medientechnologe und Grafiker sowie einen NFT- und einen Marketingexperten. Zeichnerisch verschmilzt hier meine Stoned Comic Art mit meiner zweiten Leidenschaft, der Science-­Fiction- und Fantasy-Kunst. Die Geschichte spielt im Jahr 2323. Die Erde ist menschenleer. Durch selbstverschuldete Katastrophen wurde die Erde entvölkert, die Böden sind verseucht und unfruchtbar, die Luftqualität entsprechend schlecht. Die Eliten, ihre Sklaven und die verbliebenen Untertanen sind auf den Mars gefl hen. Zurückgeblieben sind nur die Roboter, die weltweit riesige Hanffarmen betreiben, um die Böden zu entgiften und wieder fruchtbar zu machen. Die Geschichte wird vom Roboter A-420 erzählt, der sich auf einem Erkundungsflug befindet – er kontrolliert die riesigen Hanffelder, Farmen und Anlagen in der Zone Z. Auf seiner Reise trifft er Kollegen aus seiner Serie, von denen ihm jeder seine eigene Story erzählt …

Wie bist du auf die Stoned Robots gekommen? Vor einigen Jahren hatte ich verschiedene Ideen für Paper-Designs entwickelt. Darunter war auch ein Roboter, und mir kam die Idee, die Paper-Designs

mit Stoned Robots zu gestalten. Als alter Science-­ Fiction- und Comic-Fan war ich sofort von der Idee fasziniert und entwickelte einen ersten Prototyp. Die Zeichnung schlummerte aber erst einmal in der Ideen­schublade, bis es 2022 darum ging, eine eigene NFT-Serie zu entwickeln. Ich dachte: Yeah, die Stoned Robots eignen sich perfekt dafür!

Du hast vor, die Roboter in NFT-Form auf den Markt zu bringen. Ich arbeite an der Entwicklung von 26 individuellen Robotermodellen, die jeweils einem Buchstaben von A bis Z entsprechen. Der Prozess beginnt mit handgezeichneten Skizzen, die dann gescannt und in Photoshop farbig gestaltet werden. So entsteht für jeden Stoned Robot ein digitales Kunstwerk. Diese Kunstwerke werden als NFT verfügbar gemacht.

Wann werden der Comic und die NFT erscheinen? Ich hoffe, dass ich nach der Veröffentlichung der NFT-Reihe Zeit haben werde, den Comic zu zeichnen. Die Geschichte ist auf drei Bände à 40 Seiten angelegt. Um das zu realisieren, brauche ich einen Verlag, Unterstützer, Aufträge und Erfolg mit den NFT. Den ersten Comic möchte ich im Jahr 2025 fertigstellen; die Veröffentlichung der NFT ist für 2024 geplant. stoned-robots.com Mehr Artwork von Steve unter: stoned-design.de phantastic-design.de

NFT (Non-fungible Tokens) sind in einer Blockchain gespeichert, einer komplexen Datenbankstruktur, die aus verschiedenen verbundenen Datenblöcken besteht. In diesen Datenblöcken sind alle Transaktionen enthalten, die mit den jeweiligen NFTs durchgeführt wurden. Dadurch ist klar festgelegt, wem die Originaldatei gehört, sei es der Ersteller des NFT oder jemand, der es auf einem Marktplatz erworben hat. Dieses System bietet eine eindeutige und sichere Zuordnung der digitalen Eigentumsrechte.


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unter anderem mit: Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Dürr, Prof. Dr. Gerald Hüther, Rainer Langhans, Rupert Sheldrake u.a. Themen: Quantenphysik, Hirnforschung, Schamanismus, Sexualität, Bewusstsein, Medizin, Gefühle, Kraft der Frau, Yoga, Geld, Ökologie, Psychologie, Kinder u.v.m.

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Die größte psychedelische Konferenz der Welt Psychedelic Science 2023: Ein Tagebuch

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Susanne G. Seiler

Vom 19.–23. Juni 2023 standen an der 4. MAPS-Konferenz Psychedelic Science in Denver 12 000 begeisterten Psychonauten Hunderte Anlässe zur Auswahl – mit ReferentInnen, Institutionen wie Erowid, Chacruna und der Beckley Foundation, neuen Produkten und Unternehmern sowie vielen Künstlern und Künstlerinnen. Hier traf sich die globale psychedelische Community aus 54 Ländern rund um Rick Doblin, darunter Stars wie James Fadiman, Amanda Feilding, Alex Grey, Bia Labatte, Richard Louis Miller oder Michael Pollan. Nebst anderen Autor:innen signierten Stanislav Grof und Dennis McKenna gut gelaunt ihre Bücher. Die MAPS-Konferenz war der fulminante Beweis dafür, dass die Psychedelik sich endgültig etabliert hat – in den USA wie bei uns.

20. Juni Gestern habe ich mit den Verlegern von Inner Traditions und Synergetic Press gesprochen und den Psychedelic Literacy Fund entdeckt. Der Literacy Fund unterstützt und vermittelt psychedelische Autorinnen und Autoren, sowohl nach Europa als auch in Amerika. Am Stand des Women’s Visionary Council lernte ich Carolyn »Mountain Girl« Garcia, die Witwe von Jerry Garcia von The Grateful Dead, kennen und habe einige Zeit mit ihr und ihrer Tochter verbracht. Ich merkte erst, mit wem ich sprach, als ich ihr

Namensschild sah. Sie ist so lebhaft wie zugänglich, und wir hatten es lustig. Sie schwärmte von Basel und von ihrem Besuch bei Albert Hofmann nach der Konferenz «LSD, Sorgenkind und Wunderdroge», die gaiamedia 2006 zu seinem 100. Geburtstag organisierte. «In Basel blühten die Osterglocken», erzählte sie, «doch oben bei Dr. Hofmann auf der Rittimatte lag Schnee.» Wir machten einen Rundgang durch die Halle «Deep Space», in der die meiste Kunst ausgestellt war. MG schenkte mir ein Fläschchen des CBD, das sie selbst herstellt. Draußen lief ich Stephan »Fundi« Fundinger in die Arme. Seine Gruppe nennt sich Psychonauts of Zurich. Federico Seragnoli war auch schon mein Gast. Er leitet ALPS, die Association of Lausanne for Psychedelic Science, und hatte einen Stand. Und ich habe Lukas Amacher getroffen, der in der Deep Space die NFTAusstellung des Londoner Auktionshauses Christie's kuratierte, eines wichtigen MAPS-Sponsors. Noch ein Schweizer Bekannter! Lukas leitete eine Diskussionsrunde mit einer Vertreterin von Christie’s, mit Nadya Tolokonnikova von Pussy Riot und zwei anderen Künstlern, von denen einer auf absurden Humor spezialisiert war und die verrücktesten Dinge sagte. Er war witzig, 


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aber es war eindeutig eine Masche. Nadya klingt wie eine Amerikanerin, man würde nicht denken, dass sie Russin ist. Als ich auf dem Heimweg einen Happen essen wollte, erkannte mich Mariavittoria Mangini, wie MG (Mountain Girl) Gründungsmitglied des Women’s Visionary Council, der viel Einfluss genießt.

«Das Leben ist magisch, unsere Existenz ein Wunder!» Sie und ihr Partner luden mich ein, mit ihnen zu essen. Wir hatten viel miteinander zu besprechen. Ich sah am Stand von Synergetic Press auch meine alte Freundin Adele Getty wieder. Ich war auf ihrer Hochzeit, als sie Francis Huxley, den Neffen von Aldous, heiratete, und hatte die Ehre, die anderen weiblichen Anwesenden mit einem Lied anzuführen, das ich in den schamanischen Kreisen von Don Eduardo Palomino Calderon gelernt hatte, dem «Magier der vier Winde».

21. Juni

Mariavittoria Mangini und Mountain Girl. Foto: zvg

nach Kälte schadet der Umwelt; ich kann nicht verstehen, warum die Menschen ihre Abhängigkeit nicht erkennen und einschränken. Es war sehr heiß auf der Straße, als ich um die Mittagszeit einkaufen ging und ein paar Mitbringsel fand, in einem Laden, wo man «Vintage»-Kleider (einfach nur alte Klamotten) in Gold aufwiegen musste. Ich bekam eine Sturmwarnung auf mein Handy – wie alle anderen auch, nur war meine auf Spanisch. See-i-leer? Darin wurden wir gebeten, während eines bestimmten Zeitfensters drinnen zu bleiben. Der Sturm kam und ging, aber ein Freiluftkonzert im Red Rocks Amphitheatre außerhalb von Denver musste wegen des Hagels abgesagt werden, der mehr als 100 Menschen verletzte.

Die Podiumsdiskussion mit MG brachte ihr stehende Ovationen ein. Abschließend fragte ich sie: «Carolyn, du scheinst ein glücklicher Mensch zu sein. Was ist deine Lebensphilosophie?» Sie antwortete: «Machst du Witze? Das Leben ist magisch, unsere Existenz ein Wunder!» Rick Doblin saß im Publikum; Mariavittoria war die Moderatorin. Sie stellte mich ihm vor: «Rick, das ist Susanne Seiler.» Ich drückte ihm mein 22. Juni letztes Exemplar von Lucys Rausch in die Heute Abend treffe ich mich mit Jeff Hand, mit Albert Hofmann auf dem Cover, ­Ullman, einem medizinischen CBD-Prosowie ein Exemplar des Prospekts, den ich duzenten, und seinem Stellvertreter zum für gaiamedia in Denver drucken ließ. Thai-Essen. Ich hatte mich darüber begaiamedia kennen alle. Rick Doblin hat schwert, dass es hier nur Steaks und Burmit seiner MAPS (Multidisciplinary Assoger gibt, und habe gestern Abend eine ciation for Psychedelic Studies) mehr für ölige Portion Pilzspaghetti gegessen, mit die Psychedelik getan als irgendwer. Dank einem halben, in mikroskopisch kleine MAPS soll MDMA dieses Jahr von den ameStückchen geschnittenen Pilz drin. Die rikanischen Bundesbehörden als Medizin Menschen hier sind nicht verwöhnt, zugelassen werden. So ein lieber, gutmütiwenn es ums Essen geht. Das große ger Mensch! Ich wollte ihn nicht aufhalten Rick Doblin. Foto: PD gemeinsame Mittagessen heute war auch und überließ ihn anderen Fans. nicht besonders. Als ich MG am nächsten Tag sah, versicherte ich Amerika erstaunt mich immer wieder. Am aufihr persönlich, wie sehr ihre Präsentation mir und fälligsten ist, wie viel höflicher die Männer hier sind dem Publikum gefallen hatte. als bei uns. Sie lassen mir den Vortritt, wenn ich den Ich hatte die Klimaanlage in meinem Zimmer Aufzug verlasse, öffnen mir jede Tür und sind genesofort ausgeschaltet, als ich ankam, und dort ist es rell sehr galant. In Europa haben viele Leute ihre okay, aber die Flure sind Eiskeller, und auch am Ver- Manieren abgelegt: Emanzipiert? Dann mach doch anstaltungsort ist es kalt. Die amerikanische Sucht deine Scheißtüren selbst auf! Daran sind auch die


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Das Publikum in der Kongresshalle. Foto: zvg

frühen Feministinnen schuld, die zu den Männern sagten: «Was fällt dir ein, mir die Tür zu öffnen? Das kann ich auch ohne dich!»

23. Juni Gestern waren Tausende Menschen vor Ort. So etwas macht jeden müde. Es gab eine Überschneidung zwischen zwei Veranstaltungen, die ich besuchen wollte, dem Film Now Do You Get It? (www.youtube.com/watch?v=Fq4RuGLMIb4) von Louis van Gasteren, und dem Ältestenrat, wo ich hoffte, Adele Getty wiederzusehen. Ich beschloss, mir den Film vorher anzusehen. Now Do You Get It? erzählt die Geschichte eines KZÜberlebenden und seiner schweren Traumatisierung, die der niederländische Psychiater Dr. Jan Bastiaans mit LSD behandelt. Der Film ist nichts für schwache Nerven, und ich weinte bitterlich. Ich bin kurz nach dem Krieg in Amsterdam aufgewachsen; Geschichten

Gestern waren Tausende Menschen vor Ort. So etwas macht jeden müde. über Krieg und Holocaust waren der Soundtrack meiner frühen Kindheit. Der Überlebende ist ein besonderer Mensch mit einer bewundernswerten Haltung, einer auserwählten Sprache und tiefgründigen Gedanken. Dr. Bastiaans spricht Englisch zu seinen Studenten, und mit dem Überlebenden spricht er Niederländisch, mit englischen Untertiteln. Ich kann den Film nicht genug empfehlen. Als Mariavittoria, ihr Partner, Mountain Girl, ihre Tochter und ich Deep Space erreichten, machten die Leute Platz für uns und brachten Stühle, aber der Sound war so schlecht, dass uns die Ohren wehtaten, und wir gingen weiter. Ich hielt mich einige

Zeit in einer anderen Ecke des Deep Space auf, hörte Musik und ging gegen 17 Uhr ins Hotel zurück. Als ich heute Morgen zur Konferenz ging, spielte ein großer schwarzer Mann an der Ecke des Convention Centers verrückt, überquerte die Straße vor den Autos, gestikulierte, sang und pöbelte. Sein Fahrrad war umgefallen, und sein Rucksack quoll aus dem vorderen Korb. Er war außer sich, aber offensichtlich nicht obdachlos wie so viele hier, trug saubere Kleidung, sah wohlgenährt und körperlich gesund aus. Ich konnte nicht zulassen, dass ihm etwas zustieß, also ging ich auf ihn zu und sagte: «Komm schon, Mann, warum hörst du nicht auf mit dieser komischen Tour, sonst kriegst du nur Ärger.» Er lachte bloß. «Dann heb doch wenigstens dein Fahrrad auf», schlug ich vor. «Es wird nur wieder umfallen», antwortete er ganz vernünftig, «in meinem Rucksack ist Essen, das ist schwer.» Ich sagte: «Okay», und ging weiter, aber anstatt hineinzugehen, drehte ich mich um und musste lachen: Er provozierte jetzt die Autofahrer, indem er bei roter Ampel im Entengang, also in der Hocke, über die Straße watschelte. Richtig gekonnt. Ich ging zurück und versuchte erneut, mit ihm zu reden. «Du kriegst Probleme, wenn die Polizei kommt.» «Oh», meinte er, «aber ich habe Rechte.» Und ich: «Du bist schwarz, deine Rechte sind denen egal.» Es war Jah dies und Jah das. Er hatte einen psychotischen Schub der religiösen Art. Ich packte seinen Arm und beschwor ihn: «Bitte hör auf, tu dir das nicht an, du ziehst nur negative Aufmerksamkeit auf dich!» Aber er wollte nichts davon hören. Konnte ich ihm in irgendeiner Weise helfen? Nein, Jah kümmerte sich um ihn und um mich und überhaupt. Ich ging in die Kongresshalle und zum Stand des Zendo-Projekts, den Leuten, die an Festivals Schadensbegrenzung betreiben, aber ich hätte mit einer Frau sprechen sollen statt mit diesem Typen, der


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wegen des Mannes draußen meinte, dass «manche Leute eine Lektion brauchen». Er war derjenige, der eine Lektion brauchte, aber ich verfolgte die Angelegenheit auch nicht weiter. Ich hatte bereits mein Bestes getan und war gescheitert. Als ich ein paar Stunden später wieder nach draußen kam, waren der aufmüpfige Mann und sein ahrrad verschwunden. Es war ein unguter Start, aber dann habe ich meine Freundinnen vom Women's Visionary Council besucht und endlich Abigaile getroffen, eine Sterbebegleiterin aus Pasadena. Wir waren auf einer Dachterrasse mit Sicht auf die Rocky Mountains essen, es war sogar lecker. Ich liege schon im Bett, die Sonne wird auch bald zu Bett gehen. Das Licht wird von den Gebäuden reflektiert, die Gebäude reflektieren sich gegenseitig, und es sieht wirklich gut aus. Ich bin erschöpft, habe letzte Nacht nicht viel geschlafen und fühle mich doch aufgekratzt.

24. Juni

«und ich bin nicht böse, wenn Sie nein sagen.» Aber er war sehr nett und wartete sogar, bis wir Platz genommen und bestellt hatten, damit es nicht so aussah, als hätten wir uns vorgedrängt. Ich bestellte Maisgrütze, eine Spezialität aus den Südstaaten und ganz okay, wenn man sie mit etwas anderem mischt, wie ich es mit meinen pochierten Eiern tat, aber ansonsten eher fad. Helen hatte nur wenig Zeit, und ich hoffe sehr, dass ich sie wiedersehe.

26. Juni Am Sonntagmittag fuhr ich zum Flughafen. Ich konnte nicht online einchecken, weil sich meine amerikanische Telefonnummer von der unterschied, die ich bei Lufthansa hinterlegt hatte, also ging ich zum Schalter und fand dort eine nette schwarze Frau vor. Als ich ihr von dem missglückten Check-in erzählte, sagte sie: «Manchmal wollen wir einfach Ihr schönes Gesicht sehen.» Scheint das neue geflügelte Wort zu sein – das sagte die Kellnerin im Dachrestaurant auch zu Abigaile und mir. Die Lufthansa-Angestellte hatte lange, abwechslungsweise zitronengelbe und froschgrüne Nägel. Ich machte ihr deswegen ein Kompliment. Sie überredete mich, ihr mein Handgepäck umsonst zu überlassen, wie sie es machen, wenn das Flugzeug

Das war's – die Psychedelic Science ist Geschichte. Es war ein Anlass der Superlative, mit über 300 ReferentInnen und endlos vielen Referaten, Podien, Workshops, Arbeitsgruppen, Verkaufsständen und Partys. Ich habe noch ein wenig Zeit und treffe mich mit der Tante der Frau meines Sohns, die in Denver lebt. Helen und ich haben eine große Gemeinsamkeit: den chilenisch-amerikanischen Wegbereiter Claudio Naranjo, dem eines der Kapitel in meinem Buch Wilde Zeiten gewidmet ist. Helen, Anwältin und Sufi hat jahrelang bei Claudio gelernt und ist weit gereist, um an seinen Kursen teilzunehmen: Brasilien, Austra­lien, Italien und viele andere Orte, die ich voll ist. Es würde bis nach Zürich durchgecheckt. bereits vergessen habe. Und wir waren beide wilde Erst in der Passagierlounge merkte ich, dass die Ladegeräte für meinen Computer und mein Handy Mädels, die schon früh «Drogen» nahmen. die Wolken und sowie Landschaft meine Hausschlüssel in dem Koffer waren. Sie erzählte mir von einer bemerkenswerten die Schöner Mist! Synchronizität, die sie in Bezug auf Claudio erlebt unter mir sehe, Flugklein, war ereignislos, ich spielte die Nacht hatte. Eines Tages war sie auf Geschäftsreise, als sie alles Der winzig hindurch elektronisches Mahjong, weil ich mich auf an einer Autowerkstatt vorbeikam, deren Besitzer aber da, ebenfalls Naranjo hießen. Auf ihrer Werbetafel nichts anderes konzentrieren und nur wenig schlastand: «Auf Wiedersehen. Alles Liebe für dich.» Als fen konnte. Glücklicherweise war mein Koffer bis sie zwei Tage später nach Hause kam, erfuhr sie, dass Zürich mitgereist, als ich von Frankfurt aus dort ankam. Das sind die Flüge, die ich genieße: Wenn ich Claudio an dem Tag verstorben war. Helen lud mich zum Frühstück in ein Lokal die Wolken und die Landschaft unter mir sehe, alles namens Lucile's ein, und auf der Fahrt dorthin sangen winzig klein, aber da, anstatt einen Kilometer hoch wir die Zeilen, die uns von Little Richards Song in durch die Atmosphäre zu düsen, weit weg von allem Erinnerung geblieben sind. Die Terrasse war geram- Vertrauten. Ich bin stolz auf mich, dass ich es innerhalb melt voll. Ich tat das Unamerikanische und fragte einen jungen Mann, der mit seiner Bulldogge allein knapp einer Woche nach Denver und zurück an einem Tisch saß, ob wir uns zu ihm setzen dürften. geschafft habe. Es war die Mühe wert. «Ich bin nur eine unbedarfte Europäerin», sagte ich, lucys-magazin.com/autoren/Seiler/

Ich sehe die Wolken und die Landschaft unter mir, alles winzig klein, aber da.


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HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century TEXT

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Stanislav Grof

or mehreren Jahren hatte ich die Ehre und das Vergnügen, einige Zeit mit Oliver Stone verbringen zu dürfen, dem Oscar-gekrönten US-amerikanischen Regisseur und Drehbuch­ autor. In seinen Filmen hat Stone die Schattenseiten der modernen Zivilisation mit außergewöhnlicher künstlerischer Kraft porträtiert. Im Verlauf unseres Gesprächs kamen wir auch auf Ridley Scotts Film Alien zu sprechen, insbesondere auf HR Gigers Filmmonster und seine Set-Designs, die die Schlüsselelemente zum Erfolg des Films waren (Giger 1979). Für seine Arbeit erhielt Giger einen Oscar in der Kategorie »Beste visuelle Effekte« bei der Oscar-Verleihung für das Jahr 1979, die im April 1980 im DorothyChandler-Pavillon in Los Angeles stattfand. Ich kannte Gigers Arbeiten seit der Publikation seines Necronomicon (Giger 1979) und habe ihn immer zutiefst bewundert – nicht nur als künstlerisches Genie, sondern auch als Visionär mit dem unglaublichen Talent, die dunklen Tiefen der menschlichen Psyche darzustellen, die sich durch die moderne Bewusstseinsforschung offenbart haben. Als ich Oliver Stone während unseres Treffens meine Gedanken mitteilte, erwies er sich ebenfalls als großer Giger-Fan. Was Stone über Giger und dessen Bedeutung für die Kunst und die menschliche Kultur generell sagte, fand ich sehr bemerkenswert und interessant: »Ich kenne niemanden, der die seelische Befindlichkeit der heutigen modernen Gesellschaft so treffend im Bild festhalten kann wie er. Wenn in einigen Jahrzehnten vom zwanzigsten Jahrhundert die Rede sein wird, wird man an Giger denken.« Obwohl mich Oliver Stones drastische Äußerung im ersten Moment ziemlich verblüffte, wurde mir

Im Juni 2023 feierte das HR Giger Museum im schweizerischen Gruyères im Kanton Waadt sein 25-Jahre-Jubiläum. Das Werk des 2014 verstorbenen Künstlers ist in unserer Zeit aktueller denn je, wie dieser erhellende Auszug von Stanislav Grof aus dem Buch Bewusstseinsforschung und psychedelische Kunst eindrücklich zeigt. Ein Gespräch mit Carmen Scheifele Giger, der Witwe des Meisters, zum Vermächtnis Gigers, zum Museum und zu ihrer Biografie folgt in der nächsten ucys-Ausgabe.

gleich bewusst, wie tief seine Einsicht war. Seitdem kam mir dieses Gespräch oft wieder in den Sinn, nämlich bei jeder weiteren Konfrontation mit den unzähligen beunruhigenden Entwicklungen in der westlichen Industriekultur und mit den alarmierenden Entwicklungen in Ländern, die vom technologischen Fortschritt beeinflusst wurden. Kein anderer Künstler hat die Plagen, die unsere moderne Gesellschaft heimsuchen, mit einer solchen Kraft und Tiefe eingefangen – eine aus allen Fugen geratene Technologie, die sich des menschlichen Lebens bemächtigt, die selbstmörderische Zerstörung der Natur auf unserem Planeten, eine Gewaltbereitschaft, die apokalyptische Ausmaße annimmt, sexuelle Exzesse, den Wahnsinn des Alltags, der einen Massenkonsum an Tranquilizern und Narkotika auslöst, und die Entfremdung, die die einzelnen Menschen in Bezug auf ihre Körper, untereinander und zur Natur erleben. Gigers Kunst wird oft »biomechanoid« genannt, und er selbst gab einem seiner Bücher den Titel Biomechanics (Giger 1988). Es gibt keinen Begriff, der 


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Werk Nr. 373, Alien III, Frontansicht III, 1978. 70 × 100 cm, Acryl auf Papier.


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Werk Nr. 301, Necronom II, 1974. 70 × 100 cm, Acryl auf Papier auf Holz.

den Zeitgeist des zwanzigsten Jahrhunderts treffender wiedergibt, einen unkontrolliert ins Taumeln geratenen technologischen Fortschritt, der unsere moderne Zivilisation in eine symbiotische Beziehung mit der mechanisierten Welt verstrickt hat. Im

Kein anderer Künstler hat die Plagen, die unsere Gesellschaft heimsuchen, mit einer solchen Kraft und Tiefe eingefangen. Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts wurden die modernen technologischen Erfindungen zu Erweiterungen und zum Ersatz unserer Arme und Beine, unserer Herzen, Nieren und Lungen, unseres Hirns und Nervensystems, unserer Augen und Ohren und selbst unserer Fortpflanzungsorgane – so weit, bis die Abgrenzung zwischen biologischen und mechanischen Geräten sozusagen nicht mehr existiert. Die archetypischen Geschichten von Faust, dem Zauberlehrling, Golem und Frankenstein sind zu mytho­

logischen Leitfiguren unserer Zeit geworden. Die materialistische Wissenschaft hat in ihrem Bestreben, die stoffliche Welt zu verstehen und zu kontrollieren, ein Monster hervorgebracht, das alles Leben auf unserem Planeten gefährdet. Die Rolle des Menschen hat sich von derjenigen des Schöpfers zu der des Opfers gewandelt. Sucht man nach einem weiteren charakteristischen Merkmal dieses Jahrhunderts, so kommen einem schnell hemmungslose Gewalt und Zerstörung in einem bis dahin undenkbaren Ausmaß in den Sinn. Diese Epoche war beherrscht von verheerenden Kriegen, blutigen Revolutionen, totalitären Regimes, von Völkermord und internationalem Terrorismus. Allein im Ersten Weltkrieg starben geschätzte zehn Millionen Soldaten und zwanzig Millionen Zivilisten. Weitere Millionen fielen den darauf folgenden Epidemien und Hungersnöten zum Opfer. Etwa doppelt so viele Menschen verloren ihr Leben während des Zweiten Weltkriegs. Dieses Jahrhundert erlebte die Bestialität Nazi-Deutschlands, den Holocaust, die teuflischen Hekatomben der Säuberungsaktionen Stalins und seinen 


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108. Werk Nr. 474, New York City XXIV, 1981. 100 × 70 cm, Acryl und Tusche auf Papier.


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Werk Nr. 69, Atomkinder, 1968. 165 × 109 cm, Tusche auf Transparentpapier auf Papier auf Holz.

Archipel Gulag, den Beginn der chemischen und der biologischen Kriegsführung, die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und den apokalyptischen Horror von Hiroshima und Nagasaki. Dazu kommen der zivile Terror in China und in anderen kommunistischen Ländern, all die Opfer der südamerikanischen Diktaturen, die Gräueltaten und Genozide der Chinesen in Tibet und die Grausamkeiten der Apartheid in Südafrika. Die Kriege in Korea, Vietnam und im Nahen Osten sowie die Gemetzel in Jugoslawien und Ruanda sind weitere Beispiele für das sinnlose Blutvergießen in diesem Jahrhundert. In einer abgeschwächten Form hat der Tod auch in den Medien des zwanzigsten Jahrhunderts Fuß gefasst – als Lieblingsthema der Unterhaltungsindustrie. Gemäß Schätzungen hat ein durchschnittliches US-amerikanisches Kind bei Abschluss der Grundschule im Fernsehen circa 8000 Morde gesehen. Die Anzahl Gewalttaten, die ein 18-jähriger Jugendlicher am Fernsehen mitverfolgt hat, beläuft sich auf 200 000. Das Wesen und die zunehmende Intensität der Gewalt sowie der zerstörerische Missbrauch der

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Mutter und Kind, 1962. 18,7 × 9,9 cm, Acryl und Tusche auf Papier.

modernen Wissenschaft – chemische, nukleare und biologische Kriegsführung und die brutalen Experimente, die man an den Insassen der Konzentrationslager durchführte –, verliehen dieser Zeitspanne der Geschichte gleichsam dämonische Züge. Einige dieser Gräuel wurden durch eine entstellte Gotteswahrnehmung und durch pervertierte religiöse

Der Tod hat auch in den Medien des zwanzigsten Jahrhunderts Fuß gefasst – als Lieblingsthema der Unterhaltungsindustrie. Impulse motiviert, die in Massenmord und Selbstmord mündeten. In diesem Jahrhundert sahen wir die Massensuizide der Anhänger von Jim Jones’ People’s Temple, von Marshall Herff Applewhites und Bonnie Lu Nettles Heaven’s Gate, des schweizerischen Sonnentempler-Kults und anderer fehlgeleiteter religiöser Gruppierungen. Viele gewalttätige terroristische Organisationen folgten ihren perver-


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Werk Nr. 207, Landschaft XIV, 1973. 70 × 100 cm, Acryl auf Papier auf Holz.

tierten mystischen Impulsen, unter ihnen der Shoko-Asahara-Kult Aum Shinrikyo, der die SarinGasanschläge in der japanischen U-Bahn zu verantworten hatte, sowie die Charles-Manson-Bande, die Symbionese Liberation Army und die islamischen Extremisten. Diese Entwicklung wurde noch verstärkt durch die Renaissance von Hexen- und Satanskulten und ein gesteigertes Interesse an Büchern und Filmen, die von Teufelsanbetung und Exorzismus handeln. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen ist die enorme kulturelle Transformation im Bereich der Sexualität: ein tiefgreifender Wandel der Einstellungen, der Werte und der Verhaltensweisen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts trat durch das Ablegen der sexuellen Repression eine beispiellose Veränderung ein, und es kam weltweit zu vielgestaltigen Manifestationen erotischer Impulse. Einerseits begünstigte die Aufhebung kultureller Zwänge eine allgemeine Lockerung der sexuellen Unterdrückung: sexuelle Freiheit für Erwachsene, frühe SexExperimente der jungen Generation, vorehelicher Sex, Zusammenleben ohne eheliche Bindung, die

Schwulen- und Lesbenbewegung und Theaterstücke, Fernsehprogramme und Kinofilme mit offenkundig sexuellen Inhalten. Andererseits wurden die Schattenseiten dieser Liberalisierung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß Teil unserer Gesellschaft – exzessive Promiskuität, Teenager-Schwangerschaften, Erwachsenenund Kinderpornographie; Rotlichtviertel, in denen alle erdenklichen Formen der Prostitution angeboten werden, sadomasochistische Salons, Märkte für Sexsklaven, bizarre Burlesque-Shows und Clubs, die ihre Kunden mit einer großen Auswahl an erotischen Verirrungen und Perversionen bedienen. Und als düsterste all dieser Schattenseiten hat die zunehmende Gefahr einer weltweiten Aids-Epidemie zwischen Sexualität und Tod, Eros und Thanatos, eine unauflösliche erbindung hergestellt. Bei vielen Menschen haben der Stress und die exzessiven Anforderungen des modernen Lebens, die (Selbst-)Entfremdung, der Verlust einer tieferen Bedeutung und das Fehlen von spirituellen Werten ein verzehrendes Verlangen hervorgebracht, all dem zu entfliehen und sich dem Genuss und dem 


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Vergessen hinzugeben. Der Gebrauch von harten Drogen – Heroin, Kokain, Crack und Amphetaminen – hat astronomische Ausmaße angenommen und ist zu einer globalen Epidemie eskaliert. Die Imperien der Drogenbarone und der brutale Kampf um den lukrativen Drogenschwarzmarkt tragen markant zur ohnehin schon steigenden Kriminalitätsrate bei und

Gigers biomechanische Kunst verbindet die Elemente des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem unauflöslichen Amalgam. führen zur Gewalt im Untergrund und auf den Straßen der modernen Städte. Gigers biomechanische Kunst verbindet all diese Elemente des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem unauflöslichen Amalgam. Das Verschmelzen von Mensch und Maschine war über all die Jahre das Leitmotiv in seinen Bildern, Zeichnungen und Skulpturen. In seinem einzigartigen Stil verschmilzt er meisterhaft Elemente aus bedrohlichen mechanischen Vorrichtungen mit verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers – mit Armen, Beinen, Gesichtern, Brüsten, Bäuchen und Genitalien. Ebenso außergewöhnlich ist die Art, wie Giger Sexualität, Gewalt und Symbole des Todes ineinanderfließe lässt. Schädel und Knochen wandeln sich zu Sexualorganen und Maschinenteilen und umgekehrt, bis zu dem Grad und so fließend, dass die entstehende Bilder sexuelle Ekstase, Gewalt, Qual und Tod mit gleicher symbolischer Kraft widerspiegeln. Die satanische Dimension dieser Szenen ist derart virtuos wiedergegeben, dass sie archetypische Ausmaße annehmen. In seinem einzigartigen Stil porträtiert Giger auch die Schrecken der neuzeitlichen Kriegsführung – das Schreckgespenst, das die Menschheit durch das ganze zwanzigste Jahrhundert heimgesucht hat – als einen Teil der Alltagsrealität oder als eine verwunschene Vision einer möglichen oder plausiblen Zukunft. Sein Necronom II zum Beispiel, dessen dreiköpfige, skelettartige Gestalt, bestückt mit einem Soldatenhelm, vereint auf furchterregende Weise die Symbole von Tod, Gewalt und sexueller Aggression. Viele von Gigers Bildern zeigen eine unwirtliche, öde Zukunft, zerstört durch die Exzesse der Technologie und den nuklearen Winter

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– tote, fremde Welten, verlassen von Mensch und Tier, beherrscht nur von seelenlosen Wolkenkratzern, Kunststoffmaterialien, kalten Stahlstrukturen, Beton und Asphalt (Giger 1981) . Seine Atomkinder sind eine groteske Population von Mutanten, die den Atomkrieg oder die Verwüstung der Natur durch radioaktive Abfälle überlebt haben. Das Thema Drogensucht findet sich in seinem ganzen Werk wieder; immer wieder sehen wir Spritzen, die in den Venen und Körpern seiner Gestalten stecken. Es gibt jedoch ein wiederkehrendes Motiv in Gigers Werk, das auf den ersten Blick nur entfernt mit dem Zeitgeist des zwanzigsten Jahrhunderts zu tun hat, nämlich die vielen gefolterten und kranken Föten oder Babys in seinen Bildern. Doch gerade hier zeigt sich Gigers visionäres Genie mit seinen tiefsten Einsichten in die verborgenen Bereiche der menschlichen Psyche. Indem er die pränatalen und perinatalen Elemente mit der Symbolik von Sex, Tod und Schmerz verbindet, offenbart er eine Tiefe und Klarheit im psychologischen Verständnis, das die Modelle der heutigen Mainstream-Psychiatrie bei weitem übertrifft. Diese entscheidende Dimension, die wir in Gigers Bildern sehen, fehlt ebenfalls in den Arbeiten seiner Vorgänger und Gleichgesinnten, den Surrealisten und den Phantastischen Realisten. In der heutigen Psychologie und Psychiatrie dominieren noch immer die Theorien Sigmund Freuds, dessen bahnbrechende Pionierarbeit den Grundstein für die moderne »Tiefenpsychologie« legte. Obwohl Freuds Modell zu seiner Zeit revolutio-

Hier zeigt sich Gigers visionäres Genie mit seinen tiefsten Einsichten in die verborgenen Bereiche der menschlichen Psyche. när war, ist es doch sehr oberflächlich und eng, weil es nur die postnatale Biographie und nur das individuelle Unbewusste umfasst. Die Mitglieder seines Wiener Zirkels, die das Modell zu erweitern versuchten, wurden zu Abtrünnigen erklärt, allen voran Otto Rank mit seiner Theorie des Geburtstraumas (Rank 1929) und C. G. Jung, der das Konzept des kollektiven Unbewussten und der Archetypen entwickelte (Jung 1990). Rank wurde aus der psychoanalytischen Bewegung ausgeschlossen, und Jung verließ sie nach einer


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Werk Nr. 254, Biomechanoid II (Plakat für die Galerie Sydow Zirkwitz), 1974. 100 × 70 cm, Acryl auf Papier.

heftigen Auseinandersetzung mit Freud. In den offiziellen Lehrbüchern der Psychiatrie werden die Arbeiten dieser Renegaten gewöhnlich als historische Kuriositäten diskutiert und als irrelevant für die klinische Arbeit eingestuft. Freuds Theorien hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf die Kunst, wie wir gesehen haben. Seine Entdeckung des sexuellen Symbolismus und seine

Deutung der Traumbilder waren für die surrealistische Bewegung eine wahre Goldgrube. Freud wurde in den Zwanzigerjahren sogar als »Schutzheiliger« des Surrealismus bezeichnet. In der KünstlerAvantgarde gehörte es schon bald zum guten Ton, Freuds Modell der Traumarbeit zu adaptieren, indem man Objekte einander gegenüberstellte, die keinerlei logischen Zusammenhang aufzuweisen 


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Der Bewusstseinsforscher, Psychologe, Arzt, Psychonaut und Autor Grof erläutert transpersonale Aspekte, die im Zusammenhang mit Träumen, Traumata, Sexualität sowie Geburt und Tod stehen, indem er seine bahnbrechenden Erkenntnisse unseres transformativen Potenzials auf das Werk von HR Giger und anderen visionären Künstlern anwendet.

Stanislav Grof erschließt die Geschichte der Psychonautik, die Genese der psychedelischen Revolution und der medizinischen Erforschung bewusstseinsverändernder Substanzen sowie deren Potenzial und Verwendung in Psychologie und Psychiatrie und vermittelt eine neue Kartografie der Psyche. Aktualisierte deutsche Ausgabe des englischsprachigen Originals von 2015 (MAPS). Mit einem Nachwort von Carmen Scheifele Giger.

ISBN 978-3-03788-615-1 ISBN 9783037886151

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Gigers Selbstanalyse ging viel tiefer, als Freuds Modell eigentlich vorschlug. Gigers Verständnis der menschlichen Psyche dasjenige von Mainstream-Therapeuten, die die neuen Erkenntnisse noch nicht akzeptiert und in ihre wissenschaftliche Arbeit integriert haben, bei weitem übertrifft. Giger verbrachte viele Monate damit, seine Träume zu analysieren und benutzte dafür eine Technik Sigmund Freuds, die dieser in seinem Buch Die Traumdeutung beschrieb. Diese intensive Selbsterforschung inspirierte ihn zu einer Serie von Zeichnungen mit dem Titel Ein Fressen für den Psychiater (Giger 2000) . Gigers Selbstanalyse ging jedoch viel tiefer, als Freuds Modell eigentlich vorschlug. Indem er nach der Quelle seiner eigenen Albträume, Visionen und beunruhigenden Phantasien suchte, entdeckte er, unabhängig von den Pionieren der modernen Bewusstseinsforschung und der empirischen Psychotherapie, die überragende Bedeutung des Geburtstraumas. lucys-magazin.com/autoren/Grof/

BEWUSSTSEINSFORSCHUNG UND PSYCHEDELISCHE KUNST

Auf 200 fesselnden Seiten nimmt Stanislav Grof in diesem Buch den Leser mit auf eine faszinierende Exkursion durch die menschliche Psyche. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Interpretation veränderter Bewusstseinszustände, die das Werk des Schweizer Künstlers HR Giger (1940 – 2014) ausmachen.

In dieser Hinsicht ist Gigers Kunst völlig anders. Die Art, wie er Bilder kombiniert, erscheint nur dann unlogisch und inkongruent, wenn man mit den jüngsten Entdeckungen der Pioniere der Bewusstseinsforschung nicht vertraut ist. Erkenntnisse aus der psychedelischen und der empirischen Psychotherapie haben bestätigt, wie zuvor erwähnt, dass

Stanislav Grof

BEWUSSTSEINSFORSCHUNG UND PSYCHEDELISCHE KUNST

Stanislav Grof

schienen. Diese Objekte waren bevorzugt solche, die für Freud eine versteckte sexuelle Bedeutung hatten. Doch während die Zusammenhänge zwischen scheinbar inkongruenten Traumbildern ihre eigene tiefe Logik und Bedeutung haben, die bei einer Traumanalyse enthüllt werden können, war dies bei den surrealistischen Bildern nicht immer der Fall. Hier reflektieren die überraschenden Gegenüberstellungen von Bildern oft einen sinnentleerten Manierismus, der mit den tiefen Wahrheiten und der inneren Logik der unbewussten Dynamik nur noch wenig zu tun hat. Das lässt sich am besten anhand des berühmten surrealistischen Diktums veranschaulichen, das der Poet und Philosoph André Breton den Chants de Maldoror (Die Gesänge des Maldoror) entnahm, geschrieben vom Grafen de Lautréamont (Isidore Ducasse). Dieses knappe, bündige Statement, das die Ästhetik überraschender Gegenüberstellungen von Bildern beschreibt, wurde zum Manifest der surrealistischen Bewegung: »Schön wie die unvermutete Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch«. Eine weitere wichtige Inspirationsquelle für den Surrealismus war die mittelalterliche Alchemie. Es war André Breton, der in einem der alchemistischen Texte ein mittelalterliches Bild entdeckte. Das Bild ist sehr komplex und versammelt die wichtigsten Symbole zur Darstellung der verschiedenen Stufen der »königlichen Kunst« der Alchemie. Breton war fasziniert von der phantastischen Zusammenstellung scheinbar zusammenhangloser Bilder und von der aufwühlenden Überraschung, die beim Betrachter geweckt wird. C. G. Jung, der die Alchemie über einen Zeitraum von zwanzig Jahren intensiv studierte, entdeckte, dass die alchemistische Symbolik, gleich wie die Symbolik der Träume, die tiefen dynamischen Kräfte des Unbewussten widerspiegelt und verborgene Wahrheiten über die menschliche Psyche ans Licht bringt (Jung 1993). Mit Sicherheit kann man dies vom Großteil der surrealistischen Kunst nicht behaupten. Wenn man eine Nähmaschine, einen Seziertisch und einen Regenschirm bildlich kombiniert, so mag dies beim Betrachter ein Überraschungsmoment hervorrufen. Es würde jedoch schwierig, zwischen diesen drei Objekten eine psychodynamische Verbindung von Bedeutung herzustellen. Ebenso würde die Kombination von Objekten, wie wir sie in den meisten surrealistischen Bildern vorfinden, für einen Alchemisten, der mit der Symbolik der »königlichen Kunst« vertraut ist, wohl wenig Sinn ergeben.

Die visionären Welten des HR Giger Mit Werken von Alex Grey, Ernst Fuchs, Mati Klarwein, Martina Hoffmann und anderen

Stanislav Grof

Bewusstseinsforschung und psychedelische Kunst Die visionären Welten des HR Giger Mit Werken von Alex Grey, Ernst Fuchs, Mati Klarwein, Martina Hoffmann u.a. Nachtschatten Verlag 2023 ISBN 978-3-03788-615-1


HR Giger Museum Rue du Château 2 CH - 1663 Gruyères

Venez découvrir le monde fantastique de l’artiste Suisse HR GIGER

T +41 26 921 22 00 info@hrgigermuseum.com www.hrgigermuseum.com

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Im Nebel von Oaxaca Ein Pilztrip durch Mexiko TEXT UND FOTOS

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Roman Maas

ch befinde mich hier buchstäblich in den Wol- Pilzerfahrungen berichtet. Im Internet wird gewarnt, ken, denke ich mir, als die weißen Schwaden dass hier oft auch wirkungslose Fungi verkauft wermich und die Landschaft mit Wirbeln in Zeit- den. Erst nach dem Abklappern einiger wenig vertraulupe eindecken. Eigentlich wollte ich hier von der Veranda meiner Cabaña den Sonnenuntergang hin- enserweckender Souvenirläden bin ich durch einen ter dem grünen Bergpanorama der Sierra von Tipp auf Rubí gestoßen. Als hätte sie nur auf mich Oaxaca bewundern, während mich die Pilze lang- gewartet, begrüßte sie mich mit einem warmherzigen Lächeln in ihrem kleinen sam in Trance versetzen. Geschäft. Vor sich auf einem Doch der klare Blick wird Tisch in Portionen aufgedurch den Nachmittagsneteilte, nach feuchter Erde bel verdeckt. Wie eine weiße duftende Derrumbes. UmgeLeinwand nimmt er mein rechnet sechzig Euro musste ganzes Gesichtsfeld ein. ich für die kleine Handvoll Meine Gedanken beginnen Waldfrüchte hinlegen – um zu kreisen. Aufregung und keinen Peso ließ Rubí feilAngst vermischen sich. Wurschen. Aber für die Bewohden hier wirklich die richtiner:innen hier sind psychegen Pilze aus der Wildnis gepflückt? Fünf stattliche San José del Pacifico: Der Blick von der Veranda in die Berge. delische Pilze nun mal die Haupteinnahmequelle. Exemplare der Art Psilocybe «Behandle sie mit Respekt, sie sind heilige Medicaerulescens sollten es gewesen sein. Sie werden hier unter dem Sammelbegriff «Derrumbe» — Erd- zin», hat sie mir gesagt, als sie mir die Pilze, eingewirutschpilze — feilgeboten. Die nächsten Minuten ckelt in ein großes Baumblatt, mit beiden Händen überreicht hat. werden zeigen, wie ihr Effekt ist. Meine Gedanken drehen sich weiter, werden greifbarer und reflexive . Ein gutes Zeichen dafür, Suche nach der heiligen Medizin Ganz so einfach, wie immer behauptet wird, war es dass Psilocin-Moleküle meine Rezeptoren besetzen. nicht, hier in San José del Pacifico lokale Zauberpilze Heilige Medizin, aber wofür? Die psychedelischen zu organisieren. Es stimmt zwar, dass praktisch alle Grundregeln von Set, Setting und Dosis befolge ich, Hostel- oder Ladenbesitzer:innen damit handeln so gut ich kann. Aber mit der Intention habe ich und dass dies nicht polizeilich verfolgt wird. Aber ich immer meine Schwierigkeiten. Ich tauche lieber ein bin außerhalb der Regenzeit hier, Ende November, in das zerebrale Abenteuer und schaue, wohin mich wo nur wenige Fruchtkörper ihre Köpfchen aus den die Reise führt. Das Gleiche kann ich auch für meine Erdspalten strecken. Viele der Reisenden, die auf der nomadischen Soloreisen sagen. Sie haben mir mehr Durchfahrt zu den Pazifikst änden hier Halt machen, unvergessliche Erfahrungen bereitet als alles zuvor. haben mir von schwachen und enttäuschenden Das war vor der pandemischen Reisepause. Jetzt


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Psilocybe-Pilze zur Trocknung.

habe ich eine deutsche Mietwohnung, eine feste Beziehung und bin fast doppelt so alt wie die Backpacker-Kids hier. Und mache trotzdem weiter. Mir kommt es vor, dass ich durch den Zauberpilztrip genauso ziellos gehe wie durch die Welt. Und ich komme doch immer irgendwo an. Aber wie lange noch?

Individualtourismus auf Pilzen Während ich über das Altern grüble, macht sich die Stimme einer alten Frau in meinem Kopf bemerkbar: «Du wirst sterben!», keift sie lachend immer wieder. Ach ja. Das ist es, was Zauberpilze machen. Sie locken dich mit Versprechungen von magischen Visionen in ihr Reich, um dich dann eindringlich daran zu erinnern, wie unausweichlich das Ende deiner Zeit auf Erden ist. So langsam beginnt der anstrengende Teil des Trips. Ich bewege mich behutsam von dem Verandastuhl in mein Zimmer ins Bett. Der Geruch von weißem Copalharz, das ich zu Beginn meines selbst gestalteten Pilzrituals hier verräuchert habe, schwebt beruhigend in dem holzvertäfelten Raum. Hier habe

Neonfarbene Pilzstrukturen wachsen hinter meinen Augenlidern und vergehen wieder. ich dank Panoramafenster immer noch die gleiche Aussicht, nur eben unter einer wärmenden Decke. Dieser Ort ist wie gemacht für einen Trip, denke ich mir und muss lachen, denn genau das ist er ja. Ein in die Hügel gepflanzter Garten mit kleinen Hütten, extra für den bewusstseinserweiternden Tourismus. Ich schließe die Augen. Neonfarbene Pilzstrukturen wachsen hinter meinen Augenlidern und vergehen wieder. Totenköpfe grinsen mich in Spektralfarben an und werden zu tanzenden Monstern. Der aztekische Federschlangengott Quetzalcoatl flieg vorbei. Persönliche Dämonen bäumen sich auf und werden von den Pilzen zersetzt. Meine Eindrücke aus diesem Land verschmelzen unter dem Psilocybineinfluss mit Bildern aus den Tiefen meines, unseres Unbewussten. Mexiko. Ein Traum, den ich mir hier erfülle. Feuriges Essen, präkolumbische Artefakte, Tequila, 


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Pilz-Graffiti an einem Haus in San José (links) und eine Wandmalerei in Huautla mit der überlebensgroßen Curandera.

haushohe Kakteen. Seit drei Wochen bin ich schon unterwegs. Erst mit ein paar Freunden, die Urlaub in der Nähe von Cancun machten, dann alleine. Oaxaca, die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates, hat mich begeistert. Pikante Tlayudas, Überreste untergegangener Hochkulturen, Mezcal mit Locals und neuen Freund:innen aus dem Hostel. Die Visionen werden stärker und kumulieren nach etwa zweieinhalb Stunden in hoffnungsfroher Glückseligkeit. Dann nimmt die Wirkung rapide ab. Etwas Cannabis lässt dann noch eine Alien-Mantis aus den Holzmustern der Tür springen. Um runterzukommen, esse ich ein Quesadilla und schalte den Fernseher ein. Irgendwann verfalle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Ein kurzer, intensiver Trip, der bei mir positive Vibes hinterlässt. Am Morgen ziehe ich ausgeruht weiter.

In die Heimat der Curandera Hier im Staat Oaxaca, tief in den Bergen der Sierra Mazateca, liegt auch der Ort, an dem die moderne Pilzkultur ihren Ursprung hat. Huautla de Jiménez, die Heimat der indigenen Schamanin María Sabina. Ihre Zeremonien führte sie lange nur im kleinen Kreis durch, bis in den 1950ern die US-Amerikaner kamen, die faszinierende Wirkung der Zauberpilze entdeckten und die sporengefüllte Büchse der Pandora öffneten. Das kleine Bergdorf soll mein nächstes Ziel werden. Dass Huautla de Jiménez ziemlich weit ab vom Schuss liegt, merke ich schon bei der Reiseplanung. Auf der Karte sieht es ganz easy aus, aber Karten sind nun mal nicht die Realität. Um eine bequeme Busroute zu bekommen, mache ich einen Umweg über die einstige spanische Kolonialstadt Puebla.

Auf der zweieinhalbstündigen Busfahrt von Puebla nach Tehuacán sitzt eine ältere Dame mit Bibliothekarinnenbrille neben mir, die bei jedem kleineren Stau nach vorne geht und sich sorgenvoll beim Busfahrer erkundigt. Als ich ihr von meinem Ziel erzähle, schaut sie mich mit großen Augen über ihre Brille hinweg an: «Willst du dort Pilze essen?» – «Nein», antworte ich ihr. «Pilze hatte ich schon in

Huautla: Ein Ort, wo offenbar jeder Taxifahrer psychedelische Erfahrungen hat. San José. Ich will das Haus von María Sabina besuchen, da ich mich für ihre Geschichte interessiere.» Die Dame gesteht mir dann, dass sie noch nie Zauberpilze konsumiert habe, dies aber bald in Huautla vorhat. Würde ich in einem deutschen Bus eine Seniorin treffen, die mir im Plauderton erzählt, dass sie demnächst Pilze schmeißen will, mir würden wohl die Erdnüsse aus dem Mund fallen. In Tehuacán angekommen, führt sie mich durch die ganze Innenstadt zum Busterminal, erkundigt sich für mich nach der Verbindung und reicht mir zum Abschied einen Zettel mit ihrer Telefonnummer und ihrem Namen, für den Notfall. So viel unerwartete Fürsorge beruhigt mich ungemein. Im Bus durch die Sierra Mazateca sitzen ausschließlich Locals. Kein Vergleich mit den Touristenvans nach San José. Auf der engen Bergstraße säumt ein Gedenkkreuz nach dem anderen die einzelnen Haarnadelkurven, hinter denen es in den Abgrund geht. Während ich für funktionierende Busbremsen bete, versuche ich die phänomenale


Lucys Lucys Rausch Rausch Nr. Nr. 15 16

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Altar im Haus der María Sabina.

Aussicht zu genießen. Begrüßt werde ich auf dem Busbahnhof von Huautla de Jiménez von einem prasselnden Regen, der mich die nächsten Tage begleiten wird. Am nächsten Tag lasse ich mir von dem kleinen Familienhotel im Dorf einen Taxifahrer organisieren, der mich zum Haus von María Sabina fährt. Das Anwesen liegt abseits von dem Straßenlabyrinth des Ortes. Ich frage Israel, meinen Fahrer, ob er denn auch schon Zauberpilze gegessen habe. «Na klar, das machen wir alle hier!», lacht er. Er selber zelebriert dies ungefähr einmal im Jahr im Kreise der Familie mit einem lokalen Curandero. Er macht es, um psychische Probleme zu verarbeiten und seinen Geist zu stärken. Faszinierend, denke ich mir. Ein Ort, in dem offenbar jeder Taxifahrer psychedelische Erfahrungen hat.

Bei den Nachkommen von María Sabina Oben angekommen stehe ich vor einer Pforte, auf der in gemalten Lettern «Bienvenidos al Museo de María Sabina» prangt. Einige Hühner nehmen vor

einem Coca-Cola-Laster Reißaus. Ein Straßenhund mit matschigen Pfoten trottet die Bergstraße hinauf. Das Hupen des Taxifahrers lockt eine ältere Dame mit Kopftuch hinter dem Tor hervor. «Que pasó?», fragt sie mich barsch. Ich sage ihr, dass ich hier sei, um das Haus von María Sabina zu besuchen. Sie öffnet mir wortlos das Gatter. Das Gelände, auf dem die Nachkommen der einflussreichen Curandera leben, besteht aus mehreren Häuschen, die teils von nicht mehr als Wellblech zusammengehalten werden. Ich werde gebeten, in einer der Hütten zu warten. In einer Ecke steht ein großer schwarzer Topf, unter dem ein Holzfeuer schwelt, das den Raum mit würzigem Rauch benebelt. Auf einem kleinen Tisch liegen mir unbekannte Früchte und getrocknete Blätter. Neben der Tür hängen abgewetzte Macheten. Viel wird sich hier seit den Lebzeiten von María Sabina nicht verändert haben. Begrüßt werde ich von Uriel, einem Ururenkel von María. Er führt mich in das Hauptgebäude, das als Museum benutzt wird. Hier habe sie jahrzehntelang 


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Eine Collage aus Medienberichten über María Sabina.

gelebt und praktiziert. Heute erinnern liebevolle Gemälde von Verehrer:innen an sie. María als weise Schamanin, im Verbund mit der Natur, dem Kosmos, und natürlich ihren «heiligen Kindern», wie sie die Pilze genannt hat. Kreuze und ein «Tres Marias»-Gebet verweisen auf den christlichen Einfluss ihres mazatekischen Mischglau ens. Ihr genaues Geburtsdatum kannte María Sabina nie, das Jahr schätzte sie auf 1894. Ihr ganzes Leben verbrachte sie in Armut. Sie wurde jung mit einem für sie fremden Mann verheiratet, der sie misshandelte. Insgesamt führte sie drei Ehen. Fünf ihrer Kinder starben jung, eines wurde umgebracht. Den zeremoniellen Umgang mit den Zauberpilzen lernte sie von ihren Eltern und Großeltern. Obwohl sie nie lesen und schreiben konnte und nur mazatekisch sprach, haben ihre rituellen Gesänge noch heute großen Einfluss auf die indigene ultur. In den 1950ern kamen der US-Banker Robert Gordon Wasson und seine Frau Valentina Pavlovna hierher und nahmen an ihren Veladas, den Pilzritualen, teil. Die Wirkung von Zauberpilzen war im Westen bis dato unbekannt. In einem LIFE-Magazin-Artikel berichtete Wasson von seinen psychedelischen Erlebnissen, was auf großes Interesse stieß. Wasson brach allerdings sein Versprechen, die Identität der Curandera geheimzuhalten. Und so kamen Scharen von Tourist:innen in das kleine

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Bergdorf, darunter angeblich auch Hippie-Stars, von John Lennon bis Bob Dylan. Auch der LSD-Entdecker Albert Hofmann machte in Begleitung von Wasson eine ethnobotanische Expedition hierher. Die Anwohner:innen reagierten teils feindselig auf die westliche Invasion. Eines von María Sabinas Häusern wurde niedergebrannt, und sie wurde noch mehr zur Außenseiterin. Sie verstarb 1985 unterernährt und verarmt. Bereichern wollte sie sich nie. Die Heilarbeit der Pilze war für sie unbezahlbar, doch nach wie vor bat sie lediglich um freiwillige Spenden. Nun ist es an mir, meine Spende für die Familie zu entrichten. Ich reiche Uriel einige hundert Pesos. Uriel bietet mir an, dass ich hier eine Zeremonie machen könne. Er nennt mir einen Preis um die hundert Euro und betont, dass dies nur ein Bruchteil von dem sei, was andere, teils selbsternannte Schaman:innen unten in der Stadt verlangen. Ich lehne dankend ab. Zwar bereue ich es etwas, eine authentische Velada von María Sabinas Nachfahren auszuschlagen, aber meine mexikanische Pilzerfahrung hatte ich ja bereits. Und aufgrund der Psilocybin-Toleranz würde es erst in einer Woche wieder Sinn machen, sich erneut auf die Reise zu begeben. Zudem fühle ich mich hier wie ein Fremdkörper. Der Regen hört immer noch nicht auf. Ich versuche, vom Türrahmen des Museums aus die Wälder zu erkennen, aber diese sind hinter fliegende

Er erzählt mir, dass die Pilze dafür da sind, den Geist und den Körper zu reinigen und um eine Verbindung mit Gott einzugehen. Nebel verborgen. Ich will noch den letzten Schritt machen und auf den Cerro de la Adoración steigen, den heiligen Berggipfel hier in der Nähe. Um das Ende des Regens abzuwarten, führt Uriel mich in eine Hütte, behangen mit selbstgeknüpften Souvenirs. Hinter einem Schrank höre ich Kinder spielen. Ich bekomme heißen Kaffee und ein Stück hartes, süßes Brot. Als ich mir die Erlaubnis hole, einige Fotos zu machen, ergibt sich die Gelegenheit, mit einem von Marías Enkeln zu sprechen. Anselm ist hier einer der Zeremonienmeister, der in die Fußstapfen seiner Großmutter getreten ist. Wie die anderen schäumt er nicht gerade über


Lucys Rausch Nr. 16

Matschiger Weg …

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… zum heiligen Gipfel: Cerro de la Adoración.

vor Freude, einen deplatzierten, tropfenden Deutschen in der Tür zu seinem Esszimmer stehen zu haben. Aber er heißt mich willkommen und lässt mich an seinem Tisch sitzen. Der weiße Rauch des Ofens zieht durch sein ruhiges Gesicht in den Wolkennebel nach draußen. Er erzählt mir, dass die Pilze dafür da sind, den Geist und den Körper zu reinigen und um eine Verbindung mit Gott einzugehen. Ich frage ihn, was er von dem derzeitigen Hype um Psilocybin und anderen Psychedelika hält. «Es ist ein Zeichen von Respekt­ verlust, wenn diese Naturmedizin nur als Geschäft behandelt wird», sagt er. Allerdings betont er auch positiv die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die derzeit aus England kommen.

Durch den Nebel auf den Peak Manchmal habe ich das Gefühl, der Regen würde schwächer werden, aber dann kommt wieder ein rasselnder Stoß hinunter. Ich entscheide trotzdem, mich zum Bergkreuz aufzumachen. Auf dem matschigen Weg durch lehmrote, vom Regen erzeugte Schneisen wird mir nochmal der Name der «Derrumbe» bewusst: Erdrutschpilze. Passenderweise schlittere ich kurz vor dem Ziel noch einmal hin und machte einen unfreiwilligen Kniefall vor dem Gipfel der Verehrung. Ich halte Ausschau nach Pilzen. Laut den Anwohner:innen wachsen sie nicht mehr hier in der Nähe. Schon María Sabina hat sich beschwert, dass durch den Tourismus viele Fundstellen erschöpft wurden. Und auch in San José habe ich mitbekommen, dass es selbst unter den Locals nur wenige gibt, die die

richtigen Orte kennen. Psychedelischer Tourismus mag Einzelnen zwar kurzfristige Erleuchtung bescheren, aber die massenhafte Entnahme der Naturprodukte hat Auswirkungen aufs Ökosystem: Die Pflanzen wachsen nicht so schnell, wie die Nachfrage es will. Anstatt Pilzen sprießen in Orten wie San José del Pacifico immer mehr Hotelanlagen aus der Erde. Gut für die Menschen, schlecht für die Natur. Der Regen ist hier oben kaum noch vorhanden, da ich mich in den Wolken befinde, aus denen es unten hinab plätschert. Ganz in Weiß gehüllt, strahlt der Ort mit seinen Kreuzen und dem Altar für Maria von Guadelupe, eine schützende Ruhe aus. Nebel umweht mich wie ein Geisterumhang. Einige Vögel geben Urwaldgezwitscher von sich. Ich spüre – auch ohne bewusstseinserweiternde Substanzen – die Magie, die die Natur hier verströmt. Bei meiner Grübelei kommt wieder die Frage nach dem Warum auf. Warum diese langen Reisen? Warum so eine Pilzerfahrung? Ich komme mir nach wie vor ziellos vor. Aber sowohl meine Reisen als auch die Beschäftigung mit Psychedelika lassen mich abseits von den Erfahrungswerten in die Bereiche eintauchen, die mich wirklich faszinieren: Geschichte, Kultur, Kunst, Natur, Spiritualität – und das Rätsel des allumfassenden Bewusstseins. Ich räume etwas liegengelassenen Plastikmüll auf, hinterlege einen kleinen Holzpilz aus San José als Opfergabe, setze mich ins nasse Gras und atme durch. Mein mexikanischer Pilztrip ist beendet. Roman Maas ist freier Autor und Herausgeber von DerTripreport.de.


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Christian Rätsch: Eine Balche'-Vision TEXT Claudia Müller-Ebeling

Balche'  bezeichnet den in der Sierra Lacandona (Chiapas, Mexiko) heimischen Laubbaum (Lonchocarpus violaceus), das aus seiner Rinde, Wasser und Honig hergestellte Gebräu und das Balche'-Ritual, das, (physisch reinigend und Empathie-stärkend) für das Maya-Volk der Lakandonen essentiell wichtig ist. Rätschs Balche'-Vision veranschaulicht das komplexe mythische Weltbild des Zauberspruchs, den ihn die Lakandonen erst lehrten, als er ihre Sprache fließend eherrschte, um ihn, während des Brau­ vorgangs, tage- und nächtelang fehlerfrei zu rezitieren. Die Komposition beschwört alle Pflanzen und iere, die den Trank symbolisch wirksam machen. Als Quintessenz seiner Regenwaldforschung markiert das Aquarell 1984 den Beginn von Rätschs Karriere. Mit Balche' schloss sich 2022 der Kreis seines Schaffens – als zentrales Thema seiner letzten Rede zur Vernissage der Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen Band 2 (realisiert mit Co-Autor Markus Berger). Mit seinem enzyklopädischen Vermächtnis vollendete Christian Rätsch am 17. September 2022 sein Lebenswerk. Detaillierte Informationen zur Balche‘-­Vision finden Interessierte im Band Seelenlandschaften, Festschrift zum 60. Geburtstag von Christian Rätsch (Nacht­schatten Verlag 2017).

1984, Aquarell, 59 x 42 cm, Privatbesitz


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Lobby für

Hanf

Der Deutsche Hanfverband ist im Kontakt mit Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Parteien. Auf öffentlichen Veranstaltungen, parlamentarischen Anhörungen und mit Hintergrundgesprächen werben wir direkt an den Schaltstellen der Macht für die Legalisierung von Cannabis.

hanfverband.de


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Das deutsche Cannabisgesetz und seine Auswirkungen TEXT

Christoph Roßner

D

a staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich: Professor Dr. Lauterbach hat sich innerhalb von nicht ganz 18 Monaten zu einem Cannabisexperten entwickelt, vor dem einem grauen kann. Vollmundige Ankündigungen verlaufen im Sand der Bürokratie, aus einer Legalisierung wird eine staatliche, kontrollierte Stigmatisierung der Hanfkonsument:innen mit einem zusätzlich integrierten Konsumverbot. Alle, die gehofft hatten, dass sich im Rahmen der angekündigten Maßnahmen ein wirklicher Wandel im Umgang mit kiffenden Menschen vollziehen würde, werden enttäuscht.

Alkohol gegen Hanf 1:0 Hanfkonsument:innen bleiben in Deutschland hinter den Alkoholkonsumenten Menschen zweiter Klasse, das hat auch das Bundesverfassungsgericht so festgestellt. Die Richtervorlage von Amtsrichter Andreas Müller wurde vom Bundesverfassungsgericht mit einer Begründung abgelehnt, die wirklich nur Substanzfaschisten einfallen kann. In Deutschland sei der – wissenschaftlich erwiesen – schädlichere Alkoholkonsum rechtlich zu tolerieren, weil ein Verbot aufgrund der schieren Masse der Konsumenten nicht durchsetzbar sei, weshalb die Hanfkonsument:innen weiter kriminalisiert werden müssten, da sonst im Fall einer richtigen Legalisierung der Alkohol vom Gesetzgeber verboten werden müsste, weil dieser verglichen mit dem Hanfkonsum den größeren sozialen Schaden anrichtet. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts meint dazu: «Soweit die Vorlagen einen Gefährlichkeits- und Schädlichkeitsvergleich bemühen, verkennen sie, dass nach der Entscheidung des Bundes­verfas­ sungsgerichts das Maß der Gesundheitsgefährdung nicht das einzig maßgebliche Kriterium für die Aufnahme eines Stoffs in die Positivliste bildet. Der Zweite Senat ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Missbrauch von Alkohol Gefahren sowohl für den Einzelnen wie auch für die Allgemeinheit mit sich bringt, die denen des Konsums von Cannabisprodukten gleichkommen oder sie sogar übertreffen. Gleichwohl hat er es nicht als durch Art. 3 Abs. 1 GG geboten angesehen, auf das Verbot des

Haarsträubend: Die Politik von Karl Lauterbach. Foto: Shutterstock

Rauschmittels Cannabis zu verzichten, weil der Genuss von Alkohol nicht effektiv unterbunden werden könne. Damit setzen die Vorlagen sich nicht hinreichend auseinander; insbesondere genügt der bloße Hinweis auf angeblich geänderte kulturelle Gewohnheiten in Bezug auf Cannabis hierfür nicht.» Wenn man sich das bewusst macht, fragt man sich schon, was die Teillegalisierung überhaupt bringen soll, denn so, wie sie bis jetzt geplant ist und wie es im Kabinettsbeschluss steht, bedeutet das für

Kifferinnen und Kiffer können genauso verfolgt werden wie vorher. deutsche Kiffer:innen nur, dass sie genauso verfolgt werden können wie vorher. Die 25 Gramm Eigenbedarf schützen nicht vor einer Hausdurchsuchung, wenn die Strafverfolgungsbehörden der Meinung sind, hier sei noch mehr zu finden In der Anbaugenossenschaft registrierte Hanfkonsument:innen werden weiter eine Zielscheibe für die Strafverfolgungsbehörden in Bundesländern sein, in denen christliche Politiker wie Herr Söder oder Herr Kretschmer die Alkoholliebhaber und die Wirtschaft drumherum schützen wollen. Die guten Christen wollen ja aus traditionellen Gründen gerne ihren Pilzkult um die Bierhefe voreiner gesünderen Konkurrenz bewahren, da sonst diese Glaubenswelt zusammenbrechen würde. Wer an den Teufel und an Gott glaubt, kann mit  


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Die Macht der Alkohol-Lobby ist groß. Foto iStock

Humanität, Gleichberechtigung und Ökologie nicht so viel anfangen; genau das würde aber eine richtige Legalisierung und Gleichstellung der Konsument:innen bedeuten. Das Cannabisgesetz von Professor Dr. Lauterbach droht ein Bürokratiemonster zu werden, das mit seinen Auswüchsen und Schikanen bewusst die Gründung der Cannabis Social Clubs erschwert und kiffende Menschen dazu verurteilt, weiter heimlich allein im stillen Kämmerlein vor sich hinzukiffen. Gemeinschaftlicher Spaßhanfkonsum ist nicht erwünscht in einem Land, das sich seine Alkoholtradition und den daraus entstandenen Substanzfaschismus aus wirtschaftlichen Gründen erhalten muss. An den mantraartigen Beschwörungen aus der Ärzte-, (Kinder-)Psychologen- und Kirchenecke lässt sich ablesen, wer Angst vor einer modernen Drogenpolitik hat, nämlich jene, die an diesem Missstand bis heute gut verdienen. Vor der Pressekonferenz von Lauterbach durfte auch noch das amtliche Schandmaul der deutschen Legalisierungsgegner:innen, Rainer Thomasius, seinen unappetitlichen Senf dazu geben.

Heimlich buffen Ja, die Macht der Pharmalobby ist groß, doch die Macht der deutschen Brauer und Spirituosenverkäufer ist noch größer: Kein Kiosk, keine Kneipe und auch keine Trinkhalle wird im Umkreis von 200 Metern um Schulen verboten, dafür aber den Kiffer:innen der Konsum, genau in diesem Umkreis. Wer also in Zukunft draußen einen buffen möchte, muss das genauso heimlich machen wie jetzt zu Zeiten des Verbots, da sonst mit Bußgeld oder Strafen gedroht wird. Wenn dann eine Hausdurchsuchung stattfindet und man drei Pflanzen in der Wohnung findet, die pro Pflanze 400 Gramm Spaßhanf abwerfen, kann man mit einer Gefängnisstrafe rechnen,

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denn die 1,1 Kilo Spaßhanf vom letzten Grow sind ja auch noch in den Vorratsgläschen. Wer möchte denn nur drei Sorten konsumieren, wenn man viele haben kann? Das ist beim Wein doch auch erwünscht und wird gefördert. Diese schikanöse Umsetzung eines Gesetzesauftrags kann nur Menschen einfallen, die sich nicht mit der Materie auskennen, sich aber dennoch als kompetent ansehen oder die so bösartig und so gierig sind, dass sie mit diesem Gesetz weiterhin Menschen unterdrücken und verfolgen wollen, denn kein anderer Zweck ist sonst hier erkennbar, außer der der Wirtschaftslobby. Die Studienlage zeigt eindeutig, dass in den Ländern, die Spaßhanf legalisiert haben, genau diejenigen wirtschaftlichen Interessengruppen finanziell Einbußen hinnehmen mussten, die jahrzehntelang

Im Land des christlichen Homo alcoholicus ist es fast unmöglich, den Glauben, die Politik und die Wirtschaft zu trennen. die Hanflegalisierung durch religiöse, politische und wirtschaftliche Kampagnen zu verhindern suchten. Gerade in Deutschland, dem Land des christlichen Homo alcoholicus, ist es fast unmöglich, den Glauben, die Politik und die Wirtschaft zu trennen, denn wir haben in der Präambel unseres Grundgesetzes immer noch ein unsichtbares Fantasiewesen stehen, das unseren moralischen Überbau bestimmt. Solange dort dieser homophobe, chauvinistische, bösartige Kriegsgott sitzt, solange muss ihm zu Ehren das Blut und der Leib Christi geopfert werden. Da Wein und Brot ohne den Hefepilz nicht denkbar sind, werden alle Konkurrenten dieses Pilzkultes gnadenlos mit Feuer und Schwert bekämpft. Ich befürchte, dass sich dieser Kampf in Zukunft derart ausweiten könnte, dass kiffende Menschen vom Homo alcoholicus wieder stärker verfolgt, bekämpft und eingesperrt werden. Ich hoffe sehr darauf, dass sich der Bundestag mit diesem Gesetzesentwurf nochmals so auseinandersetzt, dass Kiffer:innen endlich auch frei sein können – so frei, wie der Homo alcoholicus es nie sein wird. Christoph Roßner ist Sachverständiger für Hanf als Rohstoff, Energieträger, Medizin und Genussmittel.


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Maria Sabina Botin der heiligen Pilze

Highlights aus unserem Herbstprogramm 2023

eiligen Pilze, war eine Schamanin nischen Indianervolk der Mazate­ rte sie R. Gordon Wasson, einen ten Weißen in die Welt der psy­

zählt Maria Sabina ihre Lebens­ den geheimen Heilritualen, von ßen und ihrem Heimatort Huautla

rtikel von Wissenschaftlern und n Erinnerungen an die Schamanin e Pilzrituale vorgestellt, ergänzt ogie, Chemie und Pharmakologie nsatz von Pilzwirkstoffen in der

C. Rätsch und R. Liggenstorfer (Hrsg.)

ychedelischen Pilzkult in Mexiko eschenk zum 90. Geburtstag von ker der Pilzwirkstoffe Psilocin und

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Christian Rätsch und Roger Liggenstorfer (Hrsg.)

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Gebrauch, Wirkung und Bedeutung der Pilze in der Kultur

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Christian Rätsch und Roger Liggenstorfer (Hrsg.)

Christian Rätsch

Maria Sabina – Botin der heiligen Pilze

Pilze und Menschen: Rausch – Medizin – Nahrung

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Über die Anzucht und Verwendung geistbewegender Ritualpflanzen

Das Pflegehandbuch

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Der Schamanengarten

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Auch als limitierte Hardcover-Ausgabe ISBN 978-3-03788-613-7

ISBN 978-3-03788-616-8

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t

sie persönlich. Anhand von Gesprächen und Erlebnissen, Protokollen, Artikeln, Biografien führt Wilde Zeiten uns in unbekannte innere und äußere Räume. Timothy Leary, Albert Hofmann, Claudio Naranjo, John C. Lilly und Terence McKenna — sie alle waren Pioniere der Bewusstseinsforschung. Schon früh erkannten sie das Potenzial psychoaktiver Naturheilmittel für Pharmakologie, Psychiatrie und Psychologie, ehe es aus politischen Gründen zur Kriminalisierung dieser Präparate kam.

Stefan Haag

Dieses Buch porträtiert Freunde und Lehrer der Autorin und legt ein ehrliches Zeugnis ab. Mit einem Vorwort von Torsten Passie.

Drogen auf Reisen

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Die Suche nach dem Highligen Gral ISBN 978-3-03788-656-4

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WILDE ZEITEN Mein psychedelisches Leben

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Susanne G. Seiler zählte sie zu ihren Freunden oder kannte

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Susanne G. Seiler Fünf Lebensgeschichten von Menschen, die psychedelische Geschichte schrieben und die Biografie der Autorin prägten.

Begegnungen mit Timothy Leary • Albert Hofmann Claudio Naranjo • John C. Lilly • Terence McKenna

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MEDIATHEK Pionier der Psycholyse

Liebesmittel, die Zweite

Mit der psychedelischen Renaissance Grundlagen – Praxis – Perspektiven wächst auch das Interesse an der O Nutzung N N H psychoaktiver Substanzen für N H Therapie und Medizin. Der deutsche Pionier Hanscarl Leuner, der größtenteils in Göttingen wirkte, war ein Vorreiter in Sachen substanz­ unterstützter Psychotherapie. Er hat die sogenannte psycholytische Therapie (Psycholyse) geprägt und in der Praxis erprobt. Trotzdem ist – sogar angesichts der psychedelischen Renaissance – der Name Hanscarl Leuner kaum bekannt, auch nicht in der psychonautischen Bewegung. Damit räumt dieses Buch aus der wissenschaftlichen Edition Nachtschatten Science endlich auf. Leuner gebührt ein Platz im Olymp der weiterentwickelten Pharmakotherapie, die Substanzen als Katalysatoren für die Bearbeitung unbewusster und verdrängter Seeleninhalte verwendet. Im Gegensatz zur psychedelischen Therapie – die auf hohe Dosierungen und kathartische, mystische und aus der Bahn werfenden Erfahrungen setzt, die im Patienten Konzepte, Ansichten und innere Automatismen über den Haufen werfen – , arbeitet die psycholytische Psychotherapie mit geringeren Dosen psychedelischer Stoffe, um therapeutisch relevante Inhalte zufriedenstellend und aus einer anderen Perspektive heraus aufarbeiten zu können.

Wenn ein Buch nach 20 Jahren in die 2. Auflag geht, so ist das etwas Besonderes. Das Lexikon der Liebesmittel ist sozusagen die Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen und Organismen in aphrodisischer Hinsicht. Bekannte und unbekanntere Liebesmittel werden in zahlreichen Monographien dargestellt und kommentiert. Als das umfangreiche Werk 2003 erschien, war die Zeit für ein solches Buch offensichtlich noch nicht reif. Der großformatige Band floppte zunächst und wurde vom Verlag nicht nachgedruckt; auch eine Sonder­ausgabe in der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft, die 2005 erschienen war, wurde von den Käufern nicht angenommen. Nach dem Tod des Ethnopharmakologen Christian Rätsch ist das Interesse des Publikums an seinen Publikationen wieder aufgeflammt. Nun hat der AT Verlag das Buch in einer neuen Auflage herausgebracht, mit einem neues Cover und ergänzt mit einem Vorwort von Claudia Müller-Ebeling. Mit rund 400 Einträgen zu Liebesmitteln von A wie Aal bis Z wie Zypergras. Ein monumentales Standardwerk über die Aphrodisiaka. Pflichtlektüre.

Torsten Passie • Michael Schlichting • Ralf Bolle

Psycholytische Therapie nach Hanscarl Leuner

Torsten Passie, Michael Schlichting, Ralf H. Bolle: Psycholytische Therapie nach Hanscarl Leuner – Grundlagen, Praxis, Perspektiven. Nachtschatten Verlag 2023 (Edition Nacht­ schatten Science)

Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling: Lexikon der Liebesmittel – Pflanzliche, mineralische, tierische und synthetische Aphrodisiaka. AT Verlag 2023, 2. Auflage

Für Einsteiger: Therapie mit Psychedelika Gregor Hasler aus der Schweiz ist Psychiater und Psycho­ therapeut sowie Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Bipolare Störungen (SGBS) und der Schweizerischen Gesellschaft für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (SGASMSP). Sein erstes Buch zum Themenkomplex der Psychedelika in der Psychotherapie fasst konzise zusammen, was Leser:innen wissen müssen, die sich in dieses Gebiet einarbeiten wollen. Hasler geht zum Beispiel ausführlich auf die Frage ein, was Psychedelika genau sind und warum sie eine zunehmend wichtige Rolle in den Bereichen Medizin, Resilienz und Spiritualität spielen, und erläutert darüber hinaus, «wie Psychedelika die Neuroplastizität verstärken und es dadurch ermöglichen, das Bewusstsein zu erweitern und das Selbst zugleich durchlässiger und widerstandsfähiger zu machen» – inklusive erhellender Informationen zu LSD, Psilocybin, MDMA (Ecstasy), Ketamin und Esketamin. Laut Gregor Hasler ist die Psychotherapie mit Psychedelika eine Methode, sich der Welt und sich selbst wieder anzunähern. Dieses Buch ist Teil des Vertriebs­ programms des Nachtschatten Verlags und kann im Nachtschatten-­ Shop bestellt werden. Gregor Hasler: Higher Self – Psychedelika in der Psychotherapie. Klett-Cotta 2022


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MEDIATHEK Paradigmenwechsel in der Psychiatrie Das derzeitige Paradigma der psychiatrischen Forschung degradiert den Menschen zu einer rein biologischen Maschine. Wie Autor Felix Hasler (übrigens nicht verwandt mit dem auf Seite 77 rezensierten Gregor Hasler) erläutert, hat die neurowissenschaftliche Wende den psychiatrischen Blick auf Gene und Moleküle gelenkt – und dabei den Menschen aus den Augen verloren. Also sind psychische Erkrankungen nicht unbedingt ausschließlich auf Fehlfunktionen oder fehlgeleitete Aktivitäten des Gehirns beschränkt, sondern sie umfassen auch trans­ personale Bereiche und können nicht allein auf Körperchemie herunter­ gebrochen werden. Davon handelt Felix Haslers Buch. In einem eigenen Kapitel mit dem Titel «Neo-Psychedelik und die Hoffnung auf heilsame Trips» widmet sich der Autor, selbst Pharmakologe und Neurowissenschaftler, der derzeitigen Renaissance der Psychedelik bezogen auf die Psychiatrie. Darin erörtert er auf 22 Seiten Fragen wie «Was ist neu an der neuen Psychedelik?» und «Wirkt Psilocybin auch unter Narkose?». Hasler lockt die Leser:innen mit provokanten Thesen hinterm Ofen hervor. Zum Beispiel legt er dar, dass die Behörden sich nicht-psychoaktive Psyche­delika für die therapeutische Option wünschen – und dass psyche­delische Erfahrungen die gleichen Schwächen wie religiöse Bekehrungen aufweisen können. Ein interessanter Band für alle, die über ihren Tellerrand hinausblicken wollen. Felix Hasler: Neue Psychiatrie – Den Biologismus überwinden und tun, was wirklich hilft. Transcript Verlag 2023

Ratgeber für Hanfmedizin Das 158 Seiten dicke Soft­coverBuch erläutert den aktuellen Status quo von Cannabis als Medizin in Deutschland. Maximilian Plenert ist selbst Cannabis-Patient und von Berufs wegen drogenpolitischer Aktivist. Heino Stöver ist Soziologe an der Goethe-Universität Frankfurt, Autor von zahlreichen Schriften und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit drogenpolitischen Fragen und Problemen. Zusammen haben Plenert und Stöver einen Band vorgelegt, der sich insbesondere mit der praktischen Seite des Phänomens der Cannabismedizin befasst: Was ist zu beachten, wenn ein Patient mit Hausarzt und Apotheker über Cannabis sprechen will? Wie geht man mit Kranken­ versicherungen und dem Medizinischen Dienst um? Und was kann man tun, wenn alle Bemühungen kranker Menschen erfolglos sind und das Sozialgericht eingeschaltet werden muss? Darüber hinaus bietet das Buch unter anderem hilfreiche Tipps zur Anwendung der gängigen Cannabisund Cannabinoid-Präparate, verlässliche Informationen zum therapeutischen Potenzial dieser Medikamente und Hinweise zum rechtlichen bzw. politischen Ist-­ Zustand des Cannabisverbots in der BRD und dessen Auswirkungen auf Patienten, die von Hanfmedizin profitieren (würden) Maximilian Plenert und Heino Stöver: Cannabis als Medizin: Praxis-Ratgeber für Patienten, Ärzte und Angehörige. Fachhochschulverlag Frankfurt/M. 2019

Cannabis, wissenschaftlich betrachtet Dieses Werk fasst auf 481 Seiten den aktuellen Stand von Forschung und Wissenschaft in Sachen Cannabis zusammen. Die Autoren haben zu diesem Zweck alle wichtigen deutsch- und englischsprachigen Studien der vergangenen Jahre ausgewertet und deren Ergebnisse nach ihren jeweiligen Gebieten zusammengestellt. Dabei geht es nicht nur um das zurzeit oft präsente Thema Cannabis als Medizin, sondern auch um den Freizeitgebrauch von Hanfprodukten,ebenso wie auch um den Konsum und die Risiken von synthetischen Cannabinoiden. Diese hätten in einem Buch über Cannabis zwar eigentlich nichts zu suchen. Trotzdem sind die enthaltenen Informationen für alle interessant, die sich mit dem Phänomen auf ganzheit­ liche Weise befassen. Das Buch kann gerade jetzt, wo sich die Hanfpolitik in vielen Ländern zu ändern beginnt, auf zahlreichen Ebenen nützlich sein. Eva Hoch, Chris Maria Friemel, Miriam Schneider: Cannabis: Potenzial und Risiko: Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, Springer Verlag 2018

Mit Psychedelika ­Probleme lösen Können psyche­ delische Drogen uns bei der Bewältigung der größten Probleme helfen, mit denen wir weltweit konfrontiert sind? Können sie die kulturellen, spirituellen und politischen Wunden heilen, mit denen wir ringen? Psychedelische Drogen haben sich als


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MEDIATHEK wirksame neue Behandlungsmethoden für die psychische Gesundheit etabliert. Aber während Kliniker erforschen, was diese Moleküle für unseren Geist tun können, geht The Bigger Picture noch weiter und beleuchtet, wie Psychedelika uns helfen können, neue Wege zu finden um die Krisen, mit denen wir auf der ganzen Welt konfrontiert sind, zu verstehen und zu überwinden. Alexander Beiner stützt sich auf die neuesten Forschungsergebnisse sowie auf seine Erfahrungen als Teilnehmer einer bahnbrechenden klinischen Studie, in der das Psychedelikum DMT untersucht wurde, und erläutert die Rolle der Psychedelika bei der Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Probleme wie der globalen Erwärmung, der geo­politischen Instabilität und der politischen Polarisierung sowie die dunkle Seite der «psychedelischen Renaissance» und des «psychedelischen Kapitalismus». Alexander Beiner: The Bigger Picture – How Psychedelics can help us make sense of the World. Hay House Verlag 2023

Drogen im religiösen Untergrund Dieses Buch beschäftigt sich mit spirituellen Gruppen Nordamerikas, die psychoaktive Drogen auf der Suche nach einem höheren Bewusstsein einsetzen. Dabei geht es u.a. um psychedelische Kirchen und Sekten, darunter die Native American Church und ihre Peyote-Rituale, den Cannabis-Sex-Tempel, der als Psychedelic Venus Church bekannt ist, und um die Church of Naturalism, eine LSD-Therapie-Sekte, die ein mörderisches Ende fand. Mike Marinacci präsentiert in diesem Band eine enzyklopädische Übersicht über Dutzende kleinerer Organisationen, von denen viele noch nie in einer

maßgeblichen Quelle dokumentiert wurden. Das Buch enthält Interviews und persönliche Anekdoten über die seltsamen Abenteuer religiöser Psychonauten, begleitet von seltenen Fotos und Illustrationen. Vom LSD-beeinflussten Guru imothy Leary über erotische Cannabis-Kulte bis hin zu psychedelischen Outlaw-Kirchen nimmt der Autor den Leser mit auf eine umfassende Tour durch die Landschaft religiöser und spiritueller Zusammenschlüsse Nordamerikas, die Entheogene als wie auch immer geartete Sakramente verwenden. Mike Marinacci: Psychedelic Cults and Outlaw Churches: LSD, Cannabis, and Spiritual Sacraments in Underground America. Park Street Press 2023

Meisterhafte Lektionen in Drogenkunde Dieser zweite Band der Reihe «The Nature of Drugs» präsentiert Vorlesungen aus Alexander «Sasha» Shulgins beliebtem Kurs über die Natur der Drogen – wie sie wirken, wie sie vom Körper verstoffwechselt werden und wie sie unsere Gesellschaft beeinflu sen. Das Buch besteht aus transkribierten Originalvorlesungen, die 1987 an der San Francisco State University aufgezeichnet wurden, gespickt mit erhellenden Anekdoten und amüsanten Neben­bemerkungen. Ursprünglich als Einführungskurs über Drogen und Biochemie konzipiert, sind diese Bücher sowohhistorische Aufzeichnungen von Shulgins Lehrstil als auch ein Höhepunkt seiner Philosophie über Drogen, Psychopharmakologie, Bewusstseinszustände und gesellschaftliche und individuelle Freiheiten in Bezug auf ihren Gebrauch. Aufbauend auf den einführenden Vorlesungen in The Nature of Drugs

Band 1 (siehe Lucys Rausch Nr. 13), enthält dieser zweite Band ausführliche Erläuterungen zu Dutzenden von Substanzen. Die dreiteilige Reihe präsentiert die Geschichte der Beziehung der Menschheit zu psychoaktiven Substanzen aus der Perspektive eines meisterhaften Psychopharmakologen auf dem Gebiet der Chemie, Pharmakologie und des Bewusstseins. Alexander Shulgin: The Nature of Drugs II – History, Pharmacology, and Social Impact. Synergetic Press (Transform Press) 2023

Hanfhäuser Nicht wirklich ein Drogenbuch im strengen Sinne, aber dennoch relevant ist der englischsprachige Softcoverband des Hanfexperten Steve Allin, der sich auf 216 Seiten mit Häusern bzw. Gebäuden befasst, die mithilfe von Materialien aus Hanf gebaut wurden. Das Werk kommt im quadratischen Format daher, ist mit 350 Abbildungen ausgestattet und bietet einen umfassenden Überblick über 50 Projekte. Es schildert die vielfältigen Möglichkeiten, die der Einsatz von Hanfbeton und Hanffaser­dämmung beim Bauen bietet, anhand von Projekten mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, kulturellen, klimatischen und geografische Hintergründen. Steve Allin beschreibt, wie und wo die Materialien für jedes Projekt beschafft wurden, und zeigt die erstaunliche Bandbreite an Ober­ flächen, die auf diese eise entstehen können. Hemp Buildings ist nicht auf Amazon und Co. erhältlich; die Web­site für die Bestellung finde Interessierte unter folgender Adresse: seedpress.ie/product/hemp-buildings50-international-case-studies. Steve Allin: Hemp Buildings: 50 International Case Studies. Seedpress 2021


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MEDIATHEK Die rassistischen Wurzeln der Drogenpolitik

Ethnobotanische Kost­barkeit

Magazin: Shroomski Magazine

Im Zuge der sich allmählich ändernden Drogenpolitik, insbesondere in Sachen Cannabis, ist es gerade heute nützlich zu wissen, aus welcher Motivation heraus die Prohibition einst erdacht und etabliert wurde. Die Politik erzählt den Menschen, dass Drogenverbote den Schutz der Volksgesundheit zum Ziel haben. Während eher harmlose Pflanzen verteufelt un illegalisiert werden, sind andere, potenziell gefährlichere Psychoaktiva legal und in die Gesellschaft integriert – so beispielsweise der Alkohol und der Tabak. Dass die Prohibition gegen psychotrope Substanzen aus rassistischen Ressentiments und damit wirtschaftlichem Kalkül heraus entstand, erläutert Drogenforscher Tilmann Holzer im Rahmen seiner Doktorarbeit. Auf 590 Seiten schildert er, warum und wie genau diese durch und durch willkürliche Art der Politik und Gesetzgebung in den Ländern der Welt durchgesetzt wurde. «Im Sommer 1933 erließen die National­sozialisten neue, repressive Drogengesetze, 1936 gründeten sie reichsweit die ersten Rauschgiftdezernate in der Kriminalpolizei, etablierten mit der ‹Reichs­ arbeitsgemeinschaft für Rauschgift­ bekämpfung› die bis heute in Form der ‹Deutschen Hauptstelle für Sucht­ fragen› existente zentrale deutsche Präventionsinstitution. (...) Das ideengeschichtliche Fundament all dieser Institutionen und Maß­nahmen war eine rassenhygienische Konzeption von Sucht als angebliches Symptom menschlicher Degene­ration.»

Dieses Buch, eine Dissertation von Ende der 70er Jahre, wäre ein literarischer ethnopharmakologischer Klassiker, wenn es nicht dermaßen unbekannt wäre. Inhaltlich ist der Band ganz sicher eine Preziose. Und für alle, die sich ernsthaft mit der Ethnobotanik psychoaktiver Pflanze befassen, ist dieses Werk zum Katstrauch Catha edulis (auch Kath, Khat, Qat, Qad, Chat) ein echtes Schmankerl. Der Autor weilte für acht Monate – von August 1974 bis März 1975 – in der Arabischen Republik Jemen, um seine Forschungsarbeiten zum Katstrauch durchzuführen. Seine wissenschaftliche Untersuchung umfasst Aspekte zur Pflanze selbst und ihrem Vorkommen, zur Landwirtschaft im Jemen, zur Geschichte und Chemie, zum Anbau und zur Ernte von Catha edulis wie auch zu den Ritualen, die im Zusammenhang mit der Pflanze stehen, und zur soziokulturellen Genese des Katgebrauchs. Das 290 Seiten starke Buch – Band 8 aus der Reihe Arbeiten aus dem Seminar für Völkerkunde der Johann-Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – ist eine wahre Pionierarbeit, an die keine der nachfolgenden Studien zum Katstrauch auch nur im Ansatz heranreichte. Ein schillerndes Dokument der Zeitgeschichte, das auch heute, fast 35 Jahre später, nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Dieses neue englisch­ sprachige Magazin aus den Vereinigten Staaten ist mit der psyche­ delischen Online­plattform psychedelco.com assoziiert. Die Zeitschrift kommt im großen Sonderformat und als Hochglanzheft daher. Schwerpunkt neben psycho­a ktiven bzw. psyche­ delischen Pilzen und anderen Substanzen ist die psychonautische und visionäre Kunst. Die Debüt-Ausgabe enthält interessante Artikel, unter anderem zu diversen psychotropen Pilzen, zur allmählichen Veränderung der Drogenpolitik der USA, zur psychedelischen Therapie in Nordamerika, zu Safer Use mit psychoaktiven Substanzen und über den kanadischen psyche­delischen Künstler Chris Dyer. Mit einem visionären Centerfold (Poster zum Ausklappen in der Mitte des Hefts).

Tilmann Holzer: Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene. Universität Mannheim 2006 (Dissertation)

Armin Schopen: Das Qat – Geschichte und Gebrauch des Genussmittels Catha Edulis Forsk. in der Arabischen Republik Jemen. Franz Steiner Verlag 1978

shroomski.com

Magazin: Psychedelic Press Das vom englischen Verlag Psychedelic Press herausgegebene gleichnamige Magazin erschien von 2012 bis 2023 mit genau 40 Ausgaben. Die letzte Nummer XL, «Folklore and Psyche­delics», kam im Oktober dieses Jahres heraus. psychedelicpress.co.uk



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«Eine neue Welle der psychedelischen Revolution» William Leonard Pickard im Gespräch INTERVIEW

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Anya Oleksiuk*

er US-Amerikaner William Leonard Pickard Hunderte von Kilometern an Wanderwegen, die gilt in der psychedelischen Bewegung als durch die Wüste führen. Ich bin besonders gern die Legende. Pickard verbrachte 20 Jahre im trockenen Flussbetten, die sogenannten Arroyos, Hochsicherheitsgefängnis in Tucson, Arizona, ange- entlang gewandert. In den ersten Wochen nach der klagt wegen Verschwörung zur Herstellung von LSD. Entlassung stand ich frühmorgens auf, wie es im Er produzierte und veräußerte Abermillionen Dosen Gefängnis meine Gewohnheit gewesen war, und des Psychedelikums, die in der ganzen Welt ihre unternahm stundenlange Spaziergänge, während ich den Sonnenaufgang über Abnehmer fanden. Im Jahr der Wüste und den fernen 2000 war er zu zwei lebenslanGebirgszügen beobachtete. gen Haftstrafen verurteilt worKleine Kaninchen liefen vor den. Am 27. Juli 2020 wurde mir über den Weg. Mädchen William Leonard Pickard aus kamen vorbeigejoggt und Gnadengründen wegen seines grüßten herzlich. Diese Art fortgeschrittenen Alters und von Freundlichkeit und sanfseines Gesundheitszustands aus tem Empfang in der Geselldem Gefängnis entlassen. Wähschaft hatte ich seit Jahrzehnrend seiner In­haftierung Pickard am Tag seiner Verhaftung. Foto: DEA ten nicht mehr erlebt. Im schrieb er – nur mit Bleistift und Papier ausgestattet – sein gewaltiges halb-auto- Gefängnis war die Hälfte der Leute mit selbstgebiografisches Werk The Rose of Paracelsus (2015). machten Messern aus gestohlenem Metall bewaffPickards Fall ist noch immer der größte seiner Art in net. An den Wänden sah man die sternförmigen Muster, die vom Schärfen der Messer stammten. Die der Geschichte. größeren Messer wurden Bone­crusher genannt und Wie geht es dir heute, und wie sieht dein Leben nach waren einen Fuß lang oder länger. Ziemlich beängstigend ... deiner Entlassung aus? Nach meiner Entlassung ließ ich mich in Santa Fe nieder. Ich habe hier Familie und einen Sohn. Jetzt Wie fühlst du dich jetzt? bin ich in Boulder. Die ersten paar Tage nach der Die ersten paar Tage waren natürlich wie eine WieEntlassung bin ich viel gelaufen. Santa Fe hat dergeburt. Es war, als lernte ich, wieder zu laufen, zu sprechen, zu fühlen, als würde sich eine riesige Blo* Wir präsentieren hier das Interview, das Anya Oleksiuk von der ckade lösen. Ich begegnete vielen Menschen, sowohl Psychedelic Society UK (psychedelicsociety.org.uk) führte, in einer persönlich als auch online, lernte neue Menschen gekürzten Version. Transkript: Mirko Berger.


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Pickard heute. Foto: PD

kennen und tauschte mich aus, arbeitete an verschiedenen Projekten. Ich habe eine liebevolle Familie und viele Freunde und werde gut unterstützt.

Kannst du uns noch etwas mehr über die Zeit im Hochsicherheitsgefängnis erzählen? Das Schlimmste waren nicht die 30 Fuß hohen Mauern oder der Stacheldraht oder die vielen Wachtürme und Lautsprecher oder Demütigungen und Misshandlungen oder das Schreckgespenst, dort vielleicht zu sterben, oder die unendliche Kälte von allem. Die größte Schwierigkeit für mich war der Verlust geliebter Menschen. So beispielsweise meiner Familie und meiner drei Kinder. Wenn man da eingesperrt ist, leidet man auch unter unaussprechlichen Verlusten in Herzensangelegenheiten. Es ist, als ob man verliebt wäre und zusehen müsste, wie die geliebte Person langsam stirbt. Das war definitiv das Schlimmste an der Inhaftierung. Nicht die ständigen Beinketten, Armketten, Bauchketten, Handschellen.

Nicht das laute Zuschlagen der Stahltüren. Auch nicht das endlose nächtliche Geschrei der Männer. Das alles wog weniger als zu sehen, wie die Liebe langsam stirbt und die Hoffnungslosigkeit Einzug hält. Natürlich bin ich mit diesen Gefühlen nicht allein. Jeder Mensch, der jahrzehntelang inhaftiert ist, macht vermutlich diese Erfahrung. Viele erleben dieses Wiedererwachen der Liebe und Zuneigung, das ich in den letzten Monaten empfunden habe, nie. Ich hatte das Privileg, dass mich meine Familie nicht hängen ließ und meine Freunde sehr nahe waren, was mir in dieser Zeit großen Halt gab. Ich habe regelmäßig mit Mördern und Vergewaltigern zu Mittag gegessen, mit Menschen, deren Verbrechen so schwerwiegend waren, dass ich sie beim besten Willen nicht beschreiben kann. Von solchen Kriminellen eng umgeben zu sein, war eine ganz besondere Erfahrung. Eine Person, die mir im Gefängnis sehr viel bedeutet hat, ist Ross Ulbricht. Ross war der Gründer von Silk Road, einer Bitcoin-Plattform, auf der psychoaktive Drogen schwarz gehandelt wurden. Wir wurden enge Freunde. Wir haben viele Runden auf der Rennbahn gedreht und uns unterhalten. Er ist Maschinenbauingenieur, ein sehr gut aussehender junger Mann, vielleicht 36 Jahre alt. Er hat eine wunderschöne französische Freundin, die ihn jedes Wochenende besucht, eine Programmiererin. Im Besuchsraum war es immer herzzerreißend zu sehen, wie die beiden sich umarmten, nur ein paar Sekunden lang, und sich dann verabschiedeten, offensichtlich sehr verliebt. Der Gedanke, dass Ross dort für den Rest seines Lebens eine Haftstrafe absitzen muss, ist wirklich schmerzvoll. Ich ermutige Ross nachdrücklich, wie viele andere Unterstützer auch, so weiterzumachen. Er liebt es, von Menschen zu hören. Er meditiert, liest endlos, schreibt. Ross ist eine sanfte Seele. Fünf oder zehn Jahre wären für sein Vergehen völlig ausreichend. Selbst Elon Musk erklärte kürzlich, dass eine lebenslange Haftstrafe für Ulbricht übertrieben erscheine, und da ich Ross persönlich kenne und die Güte seines Geistes sehe, würde ich dem zustimmen.

Die Opfer des War on Drugs sind nicht nur diejenigen Menschen, die tatsächlich wegen eines sogenannten Delikts im Gefängnis sitzen, sondern auch deren Familien, Kinder, Angehörige und Freunde. Ja, in diesem Spiel ist jeder ein Opfer. Ich empfind großes Mitgefühl für meine eigenen Kinder, die in den letzten 20 Jahren ohne ihren Vater aufgewachsen sind. Für sie war ich nur eine ferne Stimme im 


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Rahmen von gelegentlichen Telefonanrufen, unterbrochen von zwischenzeitlichen Ermahnungen, kein Wunder bei einem Anruf aus einem Bundes­ gefängnis. Da hat man nur 15 Minuten, in denen man versucht, seine Gefühle und seine Liebe auszudrücken, seine Kinder zu ermutigen und sie aus der Ferne zu begleiten. Heute bin ich ein guter Freund und hoffentlich auch Vater für meine inzwischen erwachsenen Kinder, die 20 und 24 Jahre alt sind. Die Momente, die ich mit ihnen verbringen kann, sind die wertvollsten.

Fe. Ich könnte es nicht ertragen, auch nur eine zu verlieren.

Nun hast du im Gefängnis dein Buch The Rose of Paracelsus geschrieben. Stimmt es, dass du das ganze dicke Buch mit Bleistift auf Papier geschrieben hast? Magst du uns ein wenig über die Geschichte und das Motiv des Buches erzählen?

Einen großen Einfluss hatte das Erscheinen des großen Dichters und Schriftstellers Richard Shelton in der Anstalt. Er war ein sehr bekannter US-amerikanischer Dichter, voriges Jahr verstarb er leider. Professor Shelton kam einmal in der Woche zu Besuch Was hat dich in dieser schweren Zeit am Leben zu uns paar Männern, die gerne schrieben – in einer gehalten und dir geholfen, nicht völlig verrückt zu schönen Schreibwerkstatt, wo wir auch über unsere werden? Das Lesen. Ich bin ein begeisterter Leser. Das Unter- Gedanken und Gefühle sprachen. Unter seiner haltungsprogramm für die Männer – wir waren alle Anleitung und aufmerksamen Betreuung und in Wohneinheiten untergebracht, vielleicht hundert Ermutigung gelang es mir, The Rose of Paracelsus über Mann – bestand aus sieben Fernsehern, die von der einen Zeitraum von fünf Jahren zu schreiben. Ich Decke hingen und von 5.30 bis 22 Uhr, teils auch die habe dem Professor tatsächlich jedes Wort vorgelesen, um sein Feedback zu erhalten. ganze Nacht liefen. Sieben Fernsehgeräte mit verschiedenen Kanälen. Die erfüllen Immer mal wieder wurde die Klasse ad sozusagen die Funktion eines Babysitters, hoc aufgelöst, weil es in einem Teil der Einwenn man so will – für Häftlinge, die richtung zu Gewaltausbrüchen kam. Dann nicht gerne lesen. Für mich, wie für viele stürmten die Wachen schreiend und mit andere Männer auch, war das Lesen die Pistolen und Pfefferspray herein und warhauptsächliche Freizeitbeschäftigung. So fen uns alle hinaus, wobei sie uns beim kam ich 20 Jahre lang in den Genuss, die Verlassen durchsuchten. Das war schon große Literatur lesen zu dürfen. ein ziemlicher Kontrast zwischen den WelIch habe zwei Jahre gebraucht, um Pickards Opus magnum. ten. In der Schreibwerkstatt von Professor Charles Dickens, William Makepeace Shelton zu sein, war, als würde man wie ein Thackeray, Anthony Trollope und all die anderen Student, ja wie ein Mensch behandelt – denn er war englischen Größen durchzulesen. Meine Lektüre einer, der von Natur aus Respekt hat, was im Knast endete mit dem Werk von Virginia Woolf. Ich war natürlich eine Seltenheit war. Die Zeit mit Shelton war also 20 Jahre lang in die edwardianische und vikto- für mich sehr wertvoll. Ich habe viel gelernt. Er freute rianische Literatur eingetaucht, das heißt, vom Auf- sich, als das Buch veröffentlicht wurde. wachen an jede Minute des Tages, wenn ich nicht Das war also der Anfang meines Schriftstellerlegerade an juristischen Dokumenten arbeitete. bens. Ich musste mich regelrecht dazu zwingen, Zugleich las ich einige populärwissenschaftliche mich jeden Tag eine Stunde hinzusetzen und zweitechnische Werke, z.B. von Raymond Kurzweil, dem oder dreihundert Wörter zu schreiben – mit Bleigroßen Denker zum Thema künstliche Intelligenz. stift. Ich kümmerte mich nicht so sehr um Inhalt Und vom schwedischen Philosophen Nick Bostrom. oder Stil, sondern schrieb einfach drauf los. So verIch schrieb selbst eine ganze Reihe von Artikeln ging ein Jahr, bis dahin hatte ich genug über das über die Zukunft der künstlichen Intelligenz. Schreiben gelernt. Ich schaute mir dieses umfangGelegentlich trafen Bücher ein, Geschenke von reiche Manuskript mit 100 000 Wörtern an und Freunden, und auch Briefe. Ein lieber Freund dachte: Das ist hoffnungslos, das kann ich unmögschickte mir 20 Jahre lang zweimal pro Woche eine lich bearbeiten oder in etwas Kohärentes verwanPostkarte. Das waren stets wunderschöne, oft hand- deln, und so warf ich es in den Papierkorb. Also habe gemalte japanische Drucke. Postkarten mit einem ich etwas geschrieben, das ich für interessant und Kuss darauf oder einer Gedichtzeile. Ich habe sie alle schön hielt. Und natürlich lese ich ständig, um mich aufbewahrt, einen Berg von Postkarten, vielleicht an der Schönheit der Wortkunst der großen Schriftdrei Meter hoch, in einem Schließfach hier in Santa steller zu ergötzen und davon zu lernen.


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So kramte ich in meinen Erinnerungen an die Welt, die ich seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hatte, um mir wieder vor Augen zu rufen, wie ein Blumenfeld aussieht, wie ein Bach rauscht oder wie Kinder lachten. Ich dachte an Situationen, die ich im Laufe der Jahre in der ganzen Welt erlebt hatte. Berlin, Bangkok, London. Denn diese Erinnerungen verblassten schnell. Im Gefängnis schwelgt man eben nicht in Erinnerungen, das ist viel zu schmerzhaft. So wurde die Welt für mich sehr fragil, und ich hatte das Gefühl, dass es wichtig war, meine Gedanken zu Papier zu bringen. So war mir das Schreiben nicht länger eine tägliche Aufgabe, sondern wurde ein Vergnügen. Ich kam in einen Zustand, in dem die Gefühle und Gedanken zu fließen begannen. An diesem Punkt konnte ich stundenoder tagelang schreiben oder mich einfach in die Zelle zurückziehen und in diese Welten eintauchen. Das war so vergnüglich und gleichzeitig auch schmerzhaft, weil ich dachte, es könnte jemanden geben, der das gerne lesen würde, und so versuchte ich beim Redigieren, das übrigens den größten Teil des Schreibens ausmacht, ein perfektes Manuskript zu produzieren. Und dann wurde mir klar, dass ich jetzt letztlich jedes Ereignis beschreiben konnte. Ich frönte also meinen Gelüsten, schrieb von halluzinatorischen Zuständen, vom größten Pathos, von der Verarmung der Welt.

Zu Beginn des Buches beschreibt der Protagonist eine Erfahrung in einem buddhistischen Zen-Kloster; soviel ich weiß, basiert dies auf deiner eigenen Erfahrung. Was hat dich dazu inspiriert, den Weg des Buddhismus einzuschlagen? Und haben dir die buddhistischen Praktiken während der Zeit im Gefängnis geholfen? Auf jeden Fall. Zumindest die Praxis der Meditation. Nicht so sehr die formalen Theologien des Buddhismus, sondern die einfache tägliche Meditation. Das half mir, die mentalen und emotionalen Zustände zu überleben, in denen ich gefangen war. Manchmal hörte das Geschrei in der Anstalt bis 3 oder 4 Uhr morgens nicht auf. Inmitten dieser Unmenschlichkeit und verzweifelten Ausweglosigkeit ist die Praxis der Meditation wie ein friedlicher Teich. Ein klares, friedliches Becken, in dem man einfach in seine Mitte geht und all diese Emotionen vorbeiziehen sieht und darin eine gewisse Dankbarkeit und Nahrung findet. Es ist wie das frische Grün einer neu geborenen Pflanze Eine Zuflucht, wie die Buddhisten sagen Das war also meine persönliche Praxis in den späten Stunden nach einem harten Tag, bevor ich mich auf meine harte Pritsche legte, umgeben von Mauern, die wie ein Mausoleum anmuten. Und natürlich war es meine Gewohnheit, vor dem Schlafengehen ein Gebet zu sprechen, da ich als Kind im Sinne des christlichen Glaubens aufgewachsen 

Inmitten verzweifelter Ausweglosigkeit ist die Praxis der Meditation wie ein friedlicher Teich.


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«Orange Sunshine»-LSD-Blotter. Foto: zvg

bin. Ich habe immer ein Gebet vor dem Schlafengehen gesprochen, weil ich ohne nicht schlafen konnte. Und so betete ich für meine Familie, meine Kinder, meine Freunde. Als Sasha Shulgin starb, habe ich ein Jahr lang jeden Abend ein kleines Gebet für ihn gesprochen. Ich weiß nicht, ob es jemand außer mir gehört hat, ich habe es ihm zu Ehren getan. Heutzutage würde ich vielleicht eine Werbung für das neue Buch von Sasha machen. Die Leser wissen vielleicht noch nicht, dass The Nature of Drugs von Sasha Shulgin, ein 300 Seiten dickes Buch mit seinen gesammelten Vorträgen, 2021 bei Synergetic Press erschienen ist. Der Band enthält viele Vorbemerkungen von Personen, die in der psychedelischen Forschung eine zentrale Rolle spielen. Ich selbst habe ein kleines Nachwort verfasst. Da ich diese Vorlesungen 1987 gehört hatte, war es ein Privileg für mich, ein paar Kommentare zum Buch beizusteuern.

«Bear» Stanley III die erste große Menge LSD unter das psychedelische Volk. Tim Scully, ein lieber Freund, war auch noch dabei, und Nicholas Sand, der erst vor ein paar Jahren verstorben ist. Beide waren LSD-Produzenten und psychedelische Einflussge er der ersten Stunde. Die Verbreitung von LSD löste eine Revolution aus, ähnlich wie wir sie jetzt mit der psychedelischen Renaissance erleben. Es war ein ziemliches Privileg, 1968 in San Francisco jung zu sein. Wir erlebten die erste groß angelegte Verteilung einer exotischen Neurochemikalie unter großen Bevölkerungsgruppen. Die 18- bis 24-Jährigen tauschten sich unter der Hand aus – das war die Zeit vor dem Computer, vor dem Mobiltelefon, man kommunizierte per Brief, persönlich oder von einer Telefonzelle aus. Die jungen Leute hatten keine Älteren, mit denen sie über diese außergewöhnlichen Phänomene sprechen konnten, die durch den Kontakt mit diesen Stoffen auftraten. Wir hatten nur einander, um darüber zu philosophieren. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, wie das Interesse an der Drogenpolitik begann. Zu dieser Zeit gab es noch keinen größeren Kreis von Personen, die sich für Psychedelika interessierten. Es gab nur kleinere Gruppen von Leuten, die sich damit befassten und deren Karrieren gefährdet waren, weil sie sich mit etwas beschäftigten, das vom USamerikanischen Mainstream nicht verstanden wurde. Jetzt, nach so vielen Jahren – und nach so viel Leid – sehen wir, wie sich die psychedelische Kultur in der breiteren Öffentlichkeit etabliert, und das mit sehr guten Arbeiten von hoher Qualität. Da werden Doppelblindstudien von angesehenen Forschern am Hopkins, in Yale, an der NYU und in Berkeley durchgeführt. Die Finanzierung dieser Forschung erfolgt auf sehr seriöse und unbürokratische Weise unter der Aufsicht der FDA und all dem. Weltweit! Wahrscheinlich werden mit dieser neuen Welle der psychedelischen Revolution auch die Inder und Chinesen beginnen, sich daran zu beteiligen. Aber man darf nicht vergessen, wie diese Kultur einst belächelt und nicht verstanden wurde und man deren Protagonisten hart bestrafte, lächerlich machte und als bedrohlich für die politische Struktur brandmarkte. Plötzlich haben sich die Dinge erheblich geändert. Es ist für mich ziemlich erstaunlich, aus der Dunkelheit der Gefangenschaft in dieses helle Licht

Die Verbreitung von LSD löste eine Revolution aus, wie wir sie jetzt mit der psychedelischen Renaissance erleben.

Das Buch sollte wirklich jeder kennen, der sich fürs Thema erwärmt. – Ich wollte mit dir auch über dein Leben vor der Inhaftierung sprechen. Du hattest eine akademische Laufbahn eingeschlagen und die psychoaktiven Substanzen studiert. Was hat dich ursprünglich dazu bewogen, veränderte Bewusstseinszustände zu erforschen? Nun, das ist ziemlich einfach zu beantworten. Ich war 21, das ist also schon 50 Jahre her. Es kommt mir wie ein Wimpernschlag vor. Zwei Jahrzehnte davon habe ich im Gefängnis verbracht. 1968 in San Francisco, zum Summer of Love, brachte Augustus Owsley


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des globalen Interesses an weltweiten klinischen Studien und eines großen öffentlichen Diskurses von führenden Persönlichkeiten, Denkern, medizinischen Experten und Akademikern zu kommen. Da ich keinen Zugang zum Internet hatte, habe ich nur Bruchstücke davon mitbekommen, als ich eingesperrt war. Aber jetzt kann ich es miterleben, und ich bin erfreut und überwältigt und sende allen beste Segenswünsche und große Hoffnung für die Zukunft.

Du sprachst eben von der Renaissance, die wir zurzeit erleben. Siehst du denn auch Gefahren in dieser Entwicklung? Ich bin froh, dass du das fragst. Man könnte mich als eine Art wilden Westküsten-Hippie betrachten. Vermutlich bin ich für Hunderte von Millionen Dosen LSD verantwortlich und daher in den Augen vieler Menschen ein Liberaler. Ich möchte jedoch ein Wort der Warnung aussprechen. Wir sehen im Rahmen der psychedelischen Renaissance einen großen Zustrom von Individuen, Kapitalisten und Unternehmen, sprich von Menschen, die das alles akzeptieren, solange es Mainstream und am besten in bare Münze umzuwandeln ist. Diese Leute sind erst seit kurzem dabei und haben vielleicht noch nicht viel persönliche Erfahrung mit diesen Substanzen, sie erkennen wahrscheinlich die Stärke und Tiefe der subjektiven Veränderungen nicht, die man in außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen erleben kann. Es ist durchaus möglich, von einem zunächst unbeschwerten Gefühl in eine tiefe, lebensverändernde, seelisch schwierige Konfrontation mit «Gott» zu geraten. Natürlich ist das alles dosisabhängig. Ich bin mir daher nicht sicher, ob der große Zustrom neuer Menschen, die plötzlich Teil der psychedelischen Bewegung sind, sich der Bandbreite der subjektiven Phänomene bewusst ist oder ein Verständnis für die Kraft dieser Stoffe hat. Ich bin besorgt über die sich weltweit verbreitende Anwendung dieser Substanzen, auch über die medizinische Nutzung. Ich möchte dir in diesem Zusammenhang einen großen Unterschied zwischen den 60er Jahren und heute aufzeigen. In den 60er Jahren wurde dieses Material still und heimlich unter Freunden weitergegeben. Man warnte sich gegenseitig, dass es kein Spielzeug sei, und schaute, dass keine psychisch Kranken oder destabilisierten Leute an den Stoff

kamen. Das Tabu, diese Drogen einer Person mit emotionalen Problemen zu geben, war also ein ungeschriebenes Gesetz. 99 Prozent der Menschen, die dieses Material erforschten, waren normale Menschen ohne größere emotionale Probleme, die einfach nur neugierig waren. Und jung genug, um all die Veränderungen zu verkraften. Jetzt hat sich das Paradigma komplett verschoben, weil das medizinische Paradigma notwendig ist, um die Zulassung dieser Medikamente durch die staatlichen Aufsichtsbehörden zu erhalten. Allerdings bestehen die Mediziner und Therapeuten darauf, diese Substanzen als Heilmittel für Menschen mit Depressionen, Clusterkopfschmerzen, PTBS und zahlreichen anderen Indikationen einzusetzen. All das ist ganz wunderbar. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man diese Stoffe einem Menschen gibt, der einfach nur über sich selbst lernen will, um Weisheit oder Einsicht zu gewinnen, oder ob man sie einer Person gibt, die ein wie auch immer geartetes medizinisches Problem hat. Die Krux ist, dass manche Patienten unter dem Einfluss solcher Psycholytika mit schwerwiegenden Reaktionen zu kämpfen haben und zum Teil förmlich ausrasten. Während ich also diese Medikamente als wirklich heilend betrachte, sowohl für gesunde Menschen als auch für solche mit schwerwiegenden emotionalen Problemen, denke ich, dass wir in dem Maße, in dem die Zulassungen in verschiedenen Regionen auf der ganzen Welt erteilt und von Behandlungsanbietern mit unterschiedlichem Fachwissen angewandt werden, einige Patientenreaktionen erleben werden, die die derzeitige Euphorieblase in Frage stellen könnten. Ich denke, wir werden in der medizinischen und psychiatrischen Fachliteratur und sicherlich auch in den Medien anekdotische Berichte über unerwünschte Reaktionen im Zusammenhang mit psychedelischer Medizin zu lesen bekommen. Die medizinische und psychiatrische Gemeinschaft hat meinen Segen, denn wir müssen die schrecklichen Leiden der Menschen mit allen Mitteln zu heilen versuchen. Aber wir müssen äußerst vorsichtig sein und die etablierten Paradigmen sehr sorgfältig befolgen wie auch die Patienten sorgsam auswählen. Einige sollten ausgeschlossen werden und sich dieser Art von Behandlung nicht unterziehen. Ich denke unterm Strich, dass wir in den nächsten drei, vier Jahren einen kleinen Rückschlag der derzeitigen 

Einige Patientenreaktionen könnten die derzeitige Euphorieblase in Frage stellen.


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Begeisterung und Euphorie erleben werden, so wunderbar das alles auch ist. Ich meine, dass wir darauf vorbereitet sein sollten.

Das sehe ich auch so. Viele der neu begeisterten Anhänger der Psychonautik denken, dass sie mit Psychedelika einfach alles heilen können – wie mit einer magischen Zauberpille. Das ist wahr. Man sollte dazu sagen, dass diese Begeisterung charakteristisch für die frühen Stadien der Begegnung mit solchen Substanzen ist. Denken wir nur an uns selbst, wie wir früher Psychedelika und Co. kennengelernt haben. Es ging uns genauso. Man erlebt all diese wunderbaren subjektiven Effekte, und das erzeugt meist große Begeisterung. Das ist der Aufschwung jeder neuen Drogenwelle, da herrscht großer Enthusiasmus, das war auch bei Kokain und MDMA so. Plötzlich sprachen alle von diesen beeindruckenden neuen Allheilmitteln! Doch schließlich folgt immer eine Abfl chung, wenn eine große Zahl von Menschen eingeweiht wurde, und dann beginnen die Probleme, der Aufschwung endet und die Kurve geht wieder nach unten. Dies ist typisch für die meisten Drogen-Euphorien. Der drogenpolitische Analyst Jonathan P. Caulkins hat vor einigen Jahren eine großartige Arbeit genau darüber verfasst. Er nahm Ecstasy (MDMA) als Beispiel; seine Arbeit beschreibt die eben erläuterte Kurve und ist auf alle Drogen anwendbar. Nora Volkow, die Leiterin des National Institute of Drug Abuse in Washington DC. (NIDA) – sie ist übrigens die Enkelin des russischen Revolutionärs Leo Trotzki – ist besorgt, dass die massenhafte Verbreitung von LSD, Meskalin und Ibogain-Analoga zu einem Wiederaufle en des privaten Konsums außerhalb der medizinischen Praxis führen wird. Manche würden sagen, dass dies großartig ist und die Gesellschaft verändern wird. Und das kann in gewisser Weise auch durchaus so sein, wie auch die 60er Jahre die Gesellschaft in mancher Hinsicht zum Guten verändert haben. Wir werden eventuell wieder eine positive Veränderung in Kunst, Literatur und Musik erleben. Gleichzeitig werden wir vielleicht auch ein paar Probleme bekommen. Nichts furchtbar Schlimmes. Der britische Drogenforscher David Nutt hat in einem großartigen Artikel in der Zeitschrift Lancet darauf hingewiesen,

dass Psychedelika tatsächlich die am wenigsten problematischen Substanzen im großen Drogenspektrum sind. Wir erwarten also keine großen, endemischen, lang anhaltenden Probleme, aber wir werden uns sicher einer Handvoll Herausforderungen gegenübersehen, mit denen wir umzugehen lernen müssen. Eine andere namhafte Vertreterin der konservativen Seite ist – ich stehe nicht mit ihr in Verbindung – Dr. Bertha Madras, Professorin für Psychobiologie in der Abteilung für Psychiatrie und Vorsitzende der Abteilung für Neuro­ chemie an der Harvard Medical School. Sie ist eine echte Konservative in Drogenfragen, die zum Beispiel Cannabis sehr ablehnend gegenübersteht. Madras ist der Ansicht, dass wir mit dieser Art von Medikamenten sehr vorsichtig umgehen und diese mit größter Sorgfalt verabreichen müssen, damit es nicht zu ernsthaften Problemen kommen kann. Und damit liegt sie gar nicht so daneben. Ich will damit nur sagen: Seien wir in den nächsten Jahren auf einige sensationslüsterne anekdotische Berichte vorbereitet. Gleichzeitig glaube ich, dass diese Stoffe in vielerlei Hinsicht wunderbar heilsam sein können, ob man nun krank ist oder nicht, und es gibt große Hoffnung für die Zukunft.

Ich glaube, dass diese Stoffe in vielerlei Hinsicht wunderbar heilsam sein können, ob man nun krank ist oder nicht.

Wir haben bereits eine Menge von Problemen mit selbsternannten Coaches und Facilitatoren aus dem Untergrund, die sich in eine Art Machtposition erheben und andere ausnutzen, sexuell missbrauchen und so weiter. So etwas ist also bereits Realität, und ich wundere mich, dass das noch nicht in den Medien aufgerollt wurde. Ich hatte einen Freund in Oxford, einen jungen Theologen, der mir von einem Typen berichtete, der in der Oxford-Gemeinschaft auftauchte und mit Ayahuasca zu tun hatte. Er zog die Menschen mit seiner charismatischen Art an und missbrauchte schließlich einige seiner Anhänger sexuell. Aber solche Scharlatane gibt es in jeder religiösen Bewegung immer wieder, und sie sind in der Vergangenheit natürlich auch in der psychedelischen Bewegung aufgetaucht und sind auch jetzt noch da, also muss man sehr vorsichtig sein mit Scharlatanen und solchen, die einen Erlöserkomplex haben. In Lucys Rausch Nr. 15 findet sich ein Artikel von William L. Pickard.


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Giorgio Samorini

ELEUSIS KOMPAKT

Der bekannte italienische Drogenforscher präsentiert Nachrichten und kurze Meldungen zu psychoaktiven Pflanzen und Substanzen und zur Rauschkultur.

ARCHÄOLOGIE Datura In Nordamerika wurde Atropin in den inneren Rückständen zweier Keramikflaschen aus der Region des heutigen Arkansas nachgewiesen, die zur späten Mississippi-Kultur (1400 –1700 n. Chr.) gehören. Die beiden Flaschen, die in einem Gräberfeld gefunden wurden, haben eine ungewöhnliche Form und sind mit einem perforierten Keramikfilter ausgestattet, der bei ihrer Herstellung eingearbeitet wurde. Das

Schematische Darstellung der gefundenen Flaschen. Foto: PD

Pflanzenmaterial – estehend aus zerkleinerten Stechapfelteilen – wurde durch ein zentrales Loch des Filters in den innersten Teil der Flasche gegeben; dann wurde Wasser hinzugefügt und die Flasche über das Feuer gestellt. Durch einfaches Kippen der Flasche wurde der bereits gefilterte Stechapfelau guss ausgegossen. Dieser Fund ist der jüngste in einer Reihe von chemisch-archäologischen Untersuchungen der letzten Jahre, die die weite Verbreitung von Initiationsriten auf der Grundlage des Stechapfels unter den alten Völkern der nordamerikanischen Great Plains bestätigen. Lambert P.S., 2022, Altered states and cosmoscapes: the production and consumption of Datura in the Central Arkansas River Valley, in: J.G. Stauffer et al. (Eds.), Archaeologies of cosmoscapes in the Americas, Oxbow Books, Havertown: 67–84.

Mittelmeer In einer Höhle auf der Insel Menorca (Balearen, Spanien) wurden mehrere Haarbüschel gefunden, die im Rahmen eines rätselhaften Bestattungsrituals

verwendet worden waren; ihr Alter wird auf etwa 3000 Jahre geschätzt. Die Haare von Verstorbenen wurden abgeschnitten, mit Ocker gefärbt und in röhrenförmigen Behältern aufbewahrt, die neben den Verstorbenen oder in eigens gegrabenen Ephedra fragilis (oben) und Gruben in der Höhle Hyoscyamus albus. Fotos: versteckt wurden. Bei der Wikimedia; Gertjan van Noord/Flickr Analyse dieser Haare wurden Spuren von Ephedrin, Atropin und Scopolamin nachgewiesen. Dies weist auf die Einnahme des Stimulans Ephedra fragilis (Meerträubel) und des halluzinogenen Weißen Bilsenkrauts (Hyoscyamus albus) hin, Pflanzen, die auf de Balearen weit verbreitet sind. Die Personen, zu denen dieses Haar gehörte, scheinen besondere Mitglieder der Gesellschaft gewesen zu sein, eventuell Schamanen. Guerra-Doce E. et al., 2023, Direct evidence of the use of multiple drugs in Bronze Age Menorca (Western Mediterranean) from human hair analysis, Sci.Rep. 13: 4782.

PILZE Psilomethoxin Die «Church of Psilomethoxin», jetzt umbenannt in «The Church of the Sacred Synthesis» ist eine psychedelische Kirche in den USA, die behauptet, als visionäres Sakrament eine neue psychedelische Verbindung, Psilomethoxin (4-Hydroxy-5-MethoxyDMT), zu verwenden, die Das Phantom-Molekül. angeblich durch die Zugabe von 5-Methoxy-DMT in das Nährmedium von Psilocybin-Pilzen gewonnen wird. Eine kürzlich

Giorgio Samorini (* 1957 in Bologna, Italien) ist Ethnopharmakologe und Drogenforscher und Herausgeber der ethnobotanischen Fachzeitschrift Eleusis. Er war der erste Weiße, der in Gabun (West­afrika) in den Bwiti-Kult (Iboga-Kult) eingeweiht wurde. www.samorini.it


Lucys Rausch Nr. 16

durchgeführte chemische Untersuchung der Hostien, die den Anhängern dieser Sekte verabreicht werden, hat ergeben, dass dieses Phantom-Molekül überhaupt nicht existiert, sondern nur Psilocybin, Psilocin und Baeocystin, die normalen Indolalkaloide der Psilocybin-Pilze, in dem «Sakrament» vorhanden sind. Williamson S. & A. Sherwood, 2023, Fungi Fiction: Analytical Investigation into the Church Of Psilomethoxin's Alleged Novel Compound Using UPLC-HRMS. ChemRxiv.

Spitzkegelige Kahlköpfe Eine überraschende Studie, die vor allem deshalb überrascht, weil sie in einer internationalen Prohibitionszeitschrift veröffentlicht wurde, untersuchte, inwiefern das illegale Sammeln und der Verkauf von Spitzkegeligen Kahlköpfen (Psilocybe semilanceata, Liberty Caps) in England nicht den Systemen des Drogenhandels der Klasse A entspricht, welcher typischerweise mit Gewalt, Territorial­ kämpfen, Hierarchien und kriminellen Organisationen assoziiert ist; dies Psilocybe semilanceata. führt zu einer juristischen Foto: Mandy Falke Inkonsistenz bei der Einstufung von Psilocybin-Pilzen in Klasse A zusammen mit Kokain und Heroin. Der Paradigmenwechsel in Bezug auf Psychedelika, den wir zurzeit erleben, geht über das medizinische Umfeld hinaus und beginnt, die theoretischen Annahmen, d.h. die Grundlagen des prohibitionistischen Rechtssystems, zu untergraben. Simpson G.H.R. et al., 2023, Liminal spaces, seasonal faces: challenging drug market assumptions via an exploration of naturally occurring magic mushroom markets in rural Kent, Int.J. Drug Pol. 114: 103973.

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werden. Seit einigen Jahren werden die afrikanischen und amerikanischen Arten in die Gattungen Senegalia und Vachellia umklassifiziert. eraltete chemische Analysen hatten DMT und andere Tryptamine bei 13 Arten nachweisen wollen, mindestens 24 weitere Tryptaminarten wurden angeblich in der psychonautischen Untergrundkultur bekannt. Obwohl die Daten für einige von ihnen unzuverlässig sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich bei mehreren anderen tatsächlich um Tryptaminarten handelt, und ein umfassendes Screening mit modernen Analysetechniken wäre ratsam, insbesondere für die afrikanischen Arten. Auch das gleichzeitige Auftreten von psychedelischen Tryptaminen und Beta-Carbolinen bei ein und derselben Art muss noch bestätigt werden. Sadgrove N.J., 2023, Rumors of psychedelics, psychotropic and related derivatives in Vachellia and Senegalia in contrast with verified records in Australian Acacia, Plants 11: 3356.

Tryptamine Nach der Synthese von Psilocybin durch Stämme der Hefe Saccharomyces cerevisiae (siehe Eleusis Kompakt, Lucys Rausch Nr. 12) ist nun die Biosynthese der psychedelischen Tryptamine DMT, 5-MeO-DMT und Bufotenin durch ausgewählte Stämme des Bakteriums Escherichia coli erfolgreich erprobt worden. Die Ausbeute war dermaßen hoch (für DMT 74 mg pro Liter), dass eine Herstellung in großem Maßstab für medizinische Zwecke möglich ist. Außerdem wurde festgestellt, dass dasselbe Bakterium DMT in einer Menge von 14 mg pro Liter allein aus Glukose herstellt. Friedberg M.L. et al., 2023, In vivo biosynthesis of N,N-dimethyltryptamine, 5-MeO-N,N-dimethyltryptamine, and bufotenine in E. coli, Metab. Eng. 78: 61-71.

Ayahuasca

Acacia

DMT und Harmin, die im Ayahuasca-Trank enthalten sind, lagern sich in den Haaren und in den Nägeln der Trinker dieses Gebräus ab. In den Nägeln wurden Konzentrationen von 10 ng/mg bzw. 16,5 ng/mg nachgewiesen.

Es wurden mehr als tausend Acacia-Arten klassifiziert, von denen die meisten in Australien beheimatet sind, wo sie gemeinhin als «wattles» bezeichnet

Gish A. et al., 2023, Cas d’intoxication par l’Ayahuasca: usage répété documenté par l’analyse des cheveux et des ongles, Tox.Anal.Clin. 35: S36-S37.

PFLANZEN


8 8 DR DR OG O EGN E NAU AU F FR ERIESIESN EN

Lu c y s R a u s c h Nr. 1 2

DROGEN AUF REISEN TEIL 8: DIE VERLORENE STADT

Kolumbien TEXT

Stefan Haag

A

m Anfang war das Meer. Alles war dunkel. Es gab keine Sonne, keine Menschen, keine Tiere und keine Pflanzen. Es gab nur das Meer. Das Meer war die Mutter. Sie war Aluna, der Geist, der kommt und geht, sie war die Erinnerung und der Verstand. Die Mutter hieß Se-ne-nuláng. Doch sie existierte nur in Aluna, in den tiefsten Tiefen des Geistes und des Verstands. Aus Aluna entstand auch Katakéne-ne-nuláng, der Vater. Die Beiden zeugten einen Sohn, Búnkua-sé. Doch sie waren weder Menschen noch eine Sache noch nichts. Sie waren Aluna, Geist und Verstand. Nachdem die Eltern der Welt geboren waren, begannen sie, die Welten zu schaffen. Die Mutter trank die Hälfte des Meeres und sie baute Boote, um durch das Wasser zu navigieren. Es formten sich Berge und das Land, und das Wasser ging weiter zurück. Als die Eltern des Universums ihr Haus im Himmel errichtet hatten, vereinigten sie sich, tanzten, sangen und beschlossen, die Erde zu schaffen. Aus der Schöpfungsgeschichte der Kogi

SIERRA NEVADA DE SANTA MARTA. La Loca, die Wahnsinnige, erhob sich nach einer tagelangen, beinahe unerträglichen Flaute, urplötzlich von der Karibik und verwandelte das soeben noch im

sommerlichen Samstagabend-Flair dahinschwelgende Santa Marta in ein Inferno aus aufgewirbeltem Sand und aufgeschreckten Passanten. Ich saß auf den Eingangsstufen des Miramar, wartete auf Eliecér und betrachtete den ungleichen Kampf zwischen Mensch und Urgewalt am Beispiel des Betreibers ­eines Hot-Dog-Pizza-Dosenbier-ZigarettenBicar­b onat-­Straßenstands, der verzweifelt seinem Hab und Gut hinterherrannte. Eliecér wollte um 21 Uhr erscheinen, um die letzten Details unseres geplanten Trecks in die Ciudad Perdida zu besprechen. «Nueve en la tarde. Mas o menos.» Früher oder später. Ich hatte mir längst abgewöhnt, teutonische Vorstellungen von Pünktlichkeit auf südamerikanische Verhältnisse übertragen zu wollen, und war deswegen um so überraschter, als mein schnauzbärtiger Dschungelführer plötzlich alle Vorurteile Lügen strafend vor mir stand. «Nueve en punto, Punkt neun», strahlte mich der Mittdreißiger an und klopfte zufrieden auf die schwarze Taucheruhr, die er im Dschungel zwar nicht unbedingt benötigte, die aber am Handgelenk sehr professionell aussah.


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Im Grunde gab es nicht mehr viel zu besprechen. Mein Gepäck wartete aufbruchbereit im Veinte-Uno auf den folgenden Morgen. Nach fast zwei Wochen Zeit zur Akklimatisation und Tour-Vorbereitung in den Bars von Santa Marta wollte ich an diesem Abend den Menschen, dem ich schließlich eine Woche lang in der Sierra Nevada ausgeliefert sein würde, noch etwas näher kennenlernen. Und dass das am besten beim Saufen geht, wussten schon die alten Römer. Dass es allerdings eine schlechte Idee ist, es im Rahmen toxikologischer Selbstversuche 14 Tage vor einer Dschungeltour nonstop zu betreiben, davon wollte ich nichts wissen. Zu groß war die Versuchung, zu süß das Leben, zu fesselnd der Wahnsinn.

Lulo-Saft und Marmorkuchen Die Sonne stand schon viel zu hoch am stahlblauen Himmel, als unser Miet-Jeep hinter der Hacienda de San Pedro Alejandrino, dem Sterbeort des südamerikanischen Volkshelden Simon Bolivar, auf die Troncal Caribe, die Nationalstraße Richtung Rio Hacha, einbog. Oh Gott, war mir schlecht. Nachdem Eliecer

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pünktlich um elf den gestrigen Abend beendet hatte, hatte ich locker bis 6 Uhr früh durchgehalten, um mich dann vernünftigerweise zu zwei Stunden Erholungsschlaf niederzulegen. Jetzt war es etwa zehn Uhr und ich hatte tatsächlich den Weg aus der ungesunden Liederlichkeit Santa Martas gefunden. Für die kommende Woche zumindest. Der Sturm der Nacht war wie weggeblasen, und die Hitze tanzte fatamorganisierend auf dem Asphalt. Das hügelige Land, welches Santa Marta im Nordwesten der Sierra Nevada sanft einbettet, lud braun und ausgetrocknet zu keinerlei Aktivitäten ein und zog leblos und abweisend an uns vorbei. Doch schon nach wenigen Minuten änderte sich zur allgemeinen Erleichterung das Landschaftsbild grundlegend. Wir hatten mit dem Tayrona-Nationalpark die den feuchten Karibikwinden zugewandte Regenseite des bis auf über 5800 Meter ansteigenden Küstengebirges, dem mächtigsten seiner Art auf unserem Planeten, erreicht. Rast in El Zaino, der aus ein paar tiendas bestehenden Ansiedlung am Eingang des Nationalparks. Lulo-Saft, Marmorkuchen und ein paranoid-eiliger Rauch hinter der aus 


Wellblech und dünnen Latten waghalsig zusammengeschusterten Kneipe am Straßenrand. Das Dröhnen vorbeirauschender 48-Tonnen-Sattelzüge wechselte sich in schöner Regelmäßigkeit mit dem Getrampel wackeliger Eselsgespanne ab und verwandelte El Zaino mal in ein verschlafenes Tropenkaff mit Hobbyfotografen-Idylle, mal in das, was es im Grunde ist: Eine langweilige Tropenraststätte für ausgelaugte Brummi-Piloten, die sich hier die letzte Nase vor Santa Marta geben und eine halbe Flasche Schnaps trinken, und kaum fitter aussehende Traveller auf Robinson-Trip, die es vorzugsweise

Eine langweilige Tropenraststätte für ausgelaugte Brummi-Piloten, die sich die letzte Nase vor Santa Marta geben. nach Arrecifes zieht, dem überaus eindrucksvollen und schon nach einer Dreiviertelstunde Dschungelmarsch erreichbaren Strand, um das Gleiche zu tun. Arrecifes. Eigentlich ein Traumort für jeden Erholungsbedürftigen. Wären da nicht diese Kleinigkeiten aus der Rubrik «Lustigstes Urlaubserlebnis», wie die am Strand beheimateten Grautiere, die in ihrer Gefräßigkeit auch nicht vor Reisepässen und Hängematten zurückschrecken, oder die vierte Generation rührend-kitschiger «Blowing In The Wind»und «Rising Sun»-Interpreten und -Interpretinnen. Jene Songs, die jeder, der irgendwann mal versucht, einer Gitarre Musik zu entlocken, anzustimmen wagt. Nach 30 Jahren Strandromantik, Lagerfeuer

und temporären Love-and-Peace-Rückfällen immer noch dieser A-Moll-Südstaaten-Puff und das in den Gipfelregionen der Unerträglichkeit anzusiedelnde «Blo-ow-ow-ow-blowing-in the-wind!» in C, welches so ja nur die Hollies sangen. Nichts für ungut, liebe Lagerfeuermusikanten, bitte nicht böse sein, lieber Beachboy-Background-Chor, aber genug ist irgendwann genug mit diesen beiden Songs. Gedankenversunken schmunzelte der Zyniker am Straßenrand und starrte auf die von tiefen Furchen und Schlaglöchern gezeichnete Hauptverkehrs­ ader nach Venezuela und fühlte sich zum ersten Mal seit 14 Tagen wieder gut. Ich schwelgte in der Erinnerung und ließ (aus guten Gründen, wie an anderer Stelle zu lesen ist) kein gutes Haar an Arrecifes. Letztes Jahr Weihnachten, der Bulle, oh Gott ... Weihnachten? Vor ziemlich genau einem Jahr musste das gewesen sein, als ich hier schon einmal saß. Mein innerer Terminkalender, der sich normalerweise schon mit dem Vermeiden allergröbster terminlicher Aussetzer zufriedengab, raste wie die Geldzählmaschine der Banco Industrial de Colombia und kam so sicher, wie hundert Tausender 100 000 Pesos ergeben, zum Schluss, dass es heute tatsächlich exakt ein Jahr her war, als ich zum ersten Mal in El Zaino war. «He, Eliecér, welches Datum haben wir heute?» Der bestätigte: «Heiligabend». Bingo! Mal wieder einer dieser Zufälle, der keiner war. Eine Synchronizität vielleicht? Auch für Eliecér, der sich sicherlich nicht mit solchen Begriffen und Problemen herumplagte, bestanden keinerlei Zweifel, dass dieser Zufall keiner sein konnte und nur größtes Glück zur Folge haben könne. Zumindest, was unsere bevor-


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stehende Tour betraf. «Un presagio, hombre!», sagte er mit pathetischem Tonfall. Ein Omen. Eliecér schien die Duplizität der Ereignisse insgesamt mehr zu bewegen als den Betroffenen selbst, und er versuchte, Demetrio, unseren Mürrkopf am Steuer, in die Analyse des Gringo-Schicksals mit einzubeziehen. Doch dem war das scheißegal. Er brüllte «Vamos», zupfte an seiner Spiegelbrille und traf die letzten Startvorbereitungen, indem er mit einem Bambusstab den Treibstoffvorrat im Tank abschätzte. Sein aus Vietnam importierter Ami-Jeep war eines dieser nicht totzubringenden Fahrzeuge, von denen es in Südamerika zwangsläufig nur so wimmelt. Vier Räder, Lenkrad, so Gott will funktionierende Bremsen und ein hoffentlich williger Motor. Er war es und meldete sich mit einer krachenden Fehlzündung und dem Ausstoß einer schwarzen Rußwolke aus verbranntem Öl zum Dienst zurück. Eine gewisse Sentimentalität beschlich mich, als wir El Zaino genauso verließen, wie wir es betreten hatten: unspektakulär.

Hinein in die Sierra Nevada Ich war gerade eingedöst, als mich eine Vollbremsung zurückholte. Demetrio zeigte seine erste Gefühlsregung des Tages. «Puta pollos! – Scheiß-Hühner!», schrie er, «ich will euch im Kochtopf und nicht unter meinen Reifen!» Dann startete er den Kübelwagen aufs Neue. Die obligatorische knallende Fehlzündung, die jeden Vietkong im Umkreis von hundert Meilen von seiner Opiumpfeife aufgeschreckt hätte, machte der Hühnerfamilie, dem Grund unseres Zwischenstopps, Beine. Sie wackelte gackernd davon und tauchte ein im schwarzen Rauch unseres Fahrzeugs, der in etwa dem monatlichen Rußausstoß eines osteuropäischen Kohlekraftwerks entsprach. Der Urwald wird’s schon verdauen. Irgendwann, irgendwie ... Wir hatten den Tayrona-Park hinter uns gelassen und durchquerten eine scheußliche, endlose Bananenplantage. Eliecér schüttelte den Kopf und schimpfte: «Was für eine Schande. Das war alles mal Urwald hier.» Er musste es wissen, denn er war in dieser Gegend aufgewachsen. Betretenes Schweigen unter den Expeditionsteilnehmern, Kopfschütteln vom Fahrer und eine donnernde Fehlzündung mit Rußausstoß des Jeeps, der wie ein bejahender Furz klang. Konnte das alte Faltengesicht Demetrio die Fehlzündungen seines Jeeps womöglich steuern? Ich hätte ihn fragen sollen. Endlich Guachaca, endlich hinein in die Sierra Nevada. Die sanft geschwungenen Schlaglöcher der

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Troncal des Caribe verblassten in jenem Augenblick zu einem Relikt aus einer anderen Welt, als das Faltengesicht endlich Allrad und Differential einschalten durfte. Jetzt waren er und sein altes Mädel in ihrem Element: Demetrio nahm die Sonnenbrille ab. Endlich durften sie zeigen, was sie draufhatten. Achstiefe, mit Wasser und Schlamm aufgefüllte Fahrrinnen schienen, dicht gefolgt von plötzlich auftauchendem Wildwasser, Demetrios bevorzugtes Terrain zu sein. «Es hat viel geregnet in letzter Zeit», jubelte er euphorisch und steuerte routiniert das nächste Schlammloch an. Der Morast spritzte nach allen Seiten weg, Demetrio freute sich wie ein kleines Kind. «Fehlt eigentlich nur noch Eselskacke», versuchte ich meine sitzmuskelgestressten Gefährten zu erheitern. Niemand verstand meine Anspielung auf den Weg nach Arrecifes. Ich ersparte mir umständliche Erklärungsversuche in fremden Sprachen und widmete mich wieder dem vorbeiziehenden Dschungel, beziehungsweise dem lustigen Auf und Ab unter dem T-Shirt der praktischerweise im Blickfeld sitzenden süßen Heidi, die sich uns zu meiner größten Freude kurz vor der Abfahrt noch angeschlossen hatte und in die ich mich heftigst verliebte. Sie unterhielt sich so angeregt auf flämisc mit Hyse und Anna, dem holländischen Pärchen, dass meine voyeuristischen Anwandlungen unerkannt geblieben sein dürften. Nicolas, der französische Philosophie-Lehrer zu meiner Rechten, grinste sich eins und schwieg gelassen seinem beziehungsweise unserem Schicksal entgegen.

Gemeinsam stark Nach einer halben Stunde passierten wir eine Geisterstadt, die El Mamey heißt und auf keiner Karte der Welt verzeichnet ist. Eine Kettenraupe, die wohl der Pistenpflege dienen sollte, rostete kurz dahinter am Waldrand friedlich vor sich hin, von Wurzelwerk und Schlingen angebunden und bald schon vom Urwald gefressen. Welche Symbolik. Puta! Demetrio stieg voll in die Bremsen. Der tägliche LKW von und nach Santa Marta hatte sich in ein Schlammloch hineingefressen und quergestellt. Der Fahrer, ein untersetzter Mann mit Schnauzbart, roter Nase und üppiger Wampe, bewunderte wadentief im Schlamm stehend das Malheur und fluchte wie ein Rohrspatz: «Maldita mierda! Verdammte Scheiße!» Die zwanzig Passagiere standen auf dem Trockenen am Straßenrand und laberten. («Piep-Piep-Piep. Radio Magdalena Verkehrsservice. Auf der Bundesstraße von Guachaca nach Machete Pelao kommt es in Höhe von El Mamey aufgrund von Bergungsarbeiten zu einer Vollsperrung und einem 


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Stau von einer Jeeplänge. Die Schaulustigen beratschlagen das weitere Vorgehen. Wir melden, wenn die Gefahr vorüber ist. Piep-piep-piep.») Alle kamen zuletzt zum selben Ergebnis: Schieben. Wie jeden Tag an jener Stelle, wenn es nachts geregnet hatte – ein ohnehin nicht gerade seltenes Ereignis in einem der niederschlagsreichsten Gebiete der Erde. La union hace la fuerza, gemeinsam sind wir stark. Der genossenschaftliche Motivations-Slogan kolumbianischer Kaffeebauern manifestierte sich hier kurz hinter El Mamey in einer schlammtriefenden Orgie schwitzender Körper und verzerrter Stimmen der am Laster in alle Richtungen schiebenden Männer und ihrer Frauen, die sie am Pistenrand enthusiastisch anfeuerten. Doch trotz beträchtlicher Koordinationsschwierigkeiten der um das archaische Fahrzeug verteilten Helferhände gelang es auch diesmal, die Karre aus dem Dreck zu wippen. Unser mittlerweile ebenfalls bis auf den nicht vorhandenen Unterbodenschutz versunkener Jeep war anschließend ein Kinderspiel.

Tierra caliente Suerte, amigos! Allgemeine Beglückwünschung nach getaner Arbeit, ein paar freundliche Abschiedsgrüße und hochgestreckte Daumen, die bereits sehnlichst erwartete Fehlzündung unseres Jeeps, und das Leben ging seinen gewohnten Lauf. Für die Passagiere des Lasters nach Santa Marta zumindest. Machete Pelao quälte sich in der Mittagssonne der Abendbrise und dem folgenden Donnerwetter entgegen. Die wenigen an der sandigen Straße gelegenen Häuser ließen selbst bei großzügiger Hochrechnung auf eine Gesamtpopulation von kaum mehr als 100 Menschen schließen – ausgestattet mit dem Allernötigsten. Ein Bier und Zigaretten verkaufender Dorfl den, eine Bier und Zigaretten verkaufende Kneipe mit Billardtisch und ein übergroßer, auf einen eher unwahrscheinlichen Baby-Boom spekulierender Kinderspielplatz. Dazu eine Außenstelle der Römisch-Katholischen Kirche, die weder Bier noch Zigaretten verkaufte, aber wie der alberne Spielplatz und ziemlich deplatziert und menschenleer ihr Dasein in diesem tristen Dschungelkaff fristete. Doch das war nicht immer so. Machete Pelao und die (hinter uns liegende) Piste dahin wurden in den siebziger Jahren, als Kolumbien erstmals als Drogenanbauland international in Erscheinung trat, aus dem Urwald gestampft. Ihre Existenz hatte einen einzigen Sinn: Das damals in der Sierra angebaute Marihuana umzuschlagen und den bedürftigen Gringos in den USA zuzuführen. «La colonizacion de la

marimba», wie Eliecér nicht unkritisch anmerkte, als er uns die Geschichte des Gras-Geschäfts in der Sierra Nevada bei einer Cola im Schatten eines knorrigen Baboso-Baums erzählte. Während 1972 für ein Kilo Kaffee aus der Sierra Nevada kaum mehr als 1 Dollar an die Kaffeebauern bezahlt wurde, lag der Gewinn für ein Pfund Gras zwischen 100 und 300 Dollar. Die Verdienstmöglichkeiten dieses problemlos kultivierbaren und hier auf optimale Bedingun-

Die Marihuana-Barone verdienten sich in der Sierra Nevada eine goldene Nase. gen stoßenden Krauts sprachen sich nicht nur rasch unter den ansässigen Bauern herum; sie lockten vor allem viele Auswärtige an, die riesige Areale kauften, um la hierba anzubauen. Zwischen 1970 und 1980 verdreifachte sich die Bevölkerung der Sierra Nevada, und der Einschlag in den Urwald nahm gigantische Ausmaße an. Die Marihuana-Barone waren die neuen Kolonialherren und verdienten sich in der tierra caliente der Sierra Nevada eine goldene Nase. Es herrschte eine Atmosphäre von zu schnellem Reichtum und Umweltzerstörung. Rund 100 000 Hektar, sprich 70 Prozent des Urwalds, fielen in diesen Tagen den Motorsägen der marimberos zum Opfer. Die ansässigen Indios wurden wie in den übelsten Zeiten der Conquista verfolgt und missachtet, und wie bereits vor 500 Jahren mussten sie sich tief in die Berge zurückziehen. Der Holzschlag hatte nachhaltige Auswirkungen auf den Wasserhaushalt des Ökosystems und führte zu enormen Problemen bei der Versorgung der Menschen. Bewässerte Reisfelder trockneten aus, Hochwasser zerstörte Brücken und Ansiedlungen.

Die kämpfende Machete Das florierende illegale Marihuana-Geschäft führte weiterhin zu einer Konzentration von Kapital und Landbesitz, einhergehend mit allgemeiner Korruption, Gesetzlosigkeit und einer immer bedrohlicher werdenden Gewaltbereitschaft. Dass es im großen Geschäft nicht zimperlich zugegangen war, belegte schon der Name des Ortes, den uns Eliecér mit einem Stock in der Rechten und imposanten Gesten demonstrierte: Machete Pelao, die kämpfende Machete. Das Ende des Cannabis-Booms kam jäh und rücksichtslos. Anfang der achtziger Jahre wurden von kolumbianischen Polizei- und Armee-Einheiten mit freundlicher US-Unterstützung großflächig


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Entlaubungs-Aktionen in der Sierra Nevada de Santa Marta durchgeführt, bei denen die bewährten Vietnam-Gifte allerdings nicht nur die illegalen Hanfkulturen vernichteten, sondern alles, womit sie in Kontakt kamen: Nahrungsmittel-Kultivationen, die Erde, das Wasser, Mensch und Tier. Wir hatten unser Gepäck geschultert und verließen ohne einen Blick zurück das sandig-staubige Stück bewegter Geschichte, ohne zu ahnen, dass uns, die wir da bester Dinge an einem frischen Quell entlang in das grüne Universum eintauchten, eine durchaus bewegte unmittelbare Zukunft bevorstand. Barba-de-gallo-colorado-­Bäume mit ihren prächtigen roten Blüten ließen die Luft nach August duften, Tangarana- und Imbana-Büsche säumten satt und schattenspendend übermannshoch das Ufer des kleinen Dschungelflusses. Eine beinahe kindliche Lebensfreude durchströmte uns. Wir plantschten, spritzten uns gegenseitig nass, trödelten und ­ignorierten fahrlässig die noch bevor­ stehenden 500 Höhenmeter und vier Stunden Wanderung. Eliecér mahnte inmitten unseres Kinderglücks zur Eile und selbst unser Proviant-Muli schien zu wissen, was wir nicht wissen wollten: Es wurde Abend.

Schweißtreibende Hölle «Arriba, amigos», rief Eliecér und verschwand im Dickicht des Talrandes. Wir folgten unauffällig. Während die gegenüberliegende Talseite im Schatten der schnell sinkenden Sonne lag, erwischten wir auf der Westseite die volle Ladung Spätnachmittagsglut, die den Busch in eine stickig-schweißtreibende Hölle verwandelte, die gnadenlos die Spreu vom Weizen unserer Gruppe trennte. Nach kaum einer Stunde Anstieg hatte ich die Grenze meiner Belastbarkeit erreicht und rettete mich in eine Quelle, die irgendwo zwischen den Luftwurzeln eines Cururi-Baumes und dem Farnmeer am Wegesrand sprudelte. Ich keuchte, schnaubte, kämpfte mit dem Kotzen, fluchte und beschwor alle mir geläufige Götter. «Geht’s noch?» Eliecér legte sein Gesicht besorgt in Falten und fütterte mich mit Schokolade. «Maldita rumba», sagte er wissend, aber ohne einen Hauch von Vorwurf. Ich wusste, dass er wusste, dass ich wusste, dass er Recht gehabt hatte. Ich versuchte zu lächeln und raffte mich, auf die Erfrischung des sich ankündigenden Regens spekulierend, wieder auf – und sank wieder auf die Knie. Ich war fertig, am Ende,

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mausetot. Die Sierra Nevada zahlte mir in wenigen Stunden heim, was ich mir in wochenlanger Kleinarbeit angetan hatte. Ich begann, mich selbst zu beschimpfen, während sich Eliecér nur noch in meiner Nähe aufhielt und mich mit Fürsorge überhäufte, der sich mein Stolz proportional zu den schwindenden Kräften schließlich nicht mehr zu widersetzen vermochte und auf dem Rücken des Maultieres endete. Rasend schnell verabschiedete sich nun unser Zentralgestirn. Sturm kam auf und heulte der verspäteten Karawane durch die Sinne. Die Nebelschwaden verdichteten sich zu fetten Regentropfen. «Listo, amigos», rief Eliecér und sprach beschwörend auf den schnaubenden vierbeinigen Krankentransporter und Gepäckträger ein. Wenigstens hatten wir die höchste Stelle, den Talrand, erreicht. Es war Nacht. Und es war Wasser. Ich dachte an die Schöpfungsgeschichte der Kogi und beschloss, lieber auf dem Rücken des treuen Mulis weiter zu frieren, als auf dem matschigen Abstieg auf die Fresse zu fliegen (wichtiger Bestandteil meines 14-tägigen Trainingslagers in Santa Marta war es, so belanglose Ausrüstungsgegenstände wie Taschenlampen irgendwo liegenzulassen und die Neuanschaffung eines echten Dschungel-Freaks als unwürdig zu betrachten, sprich: es zu vergessen) . Kämpfende Machete ... Ich begann zu verstehen. Der Dschungel und die Berge rückten die eigentlichen Größenverhältnisse zurecht. Beinahe ehrfürchtig ertrugen wir die Strapazen, als endlich aufgeregtes Hundegekläffe und Kinderstimmen von der nahenden Oase kündeten. Eine gute halbe Stunde, bevor aus dem alles umfassenden stockdunklen Reich des Wassers zwei Öllampen den optischen Beweis unserer Rettung lieferten, die Finca Alfredo. Das bescheidene Zuhause des Bergbauern Alfredo, seiner Frau Mariella und einer im fahlen Licht unüberschaubaren Anzahl von Kindern und Haustieren. Unsere Gastgeber hatten sich Sorgen gemacht, weil der Sturm ungewöhnlich stark war. Die Señora legte Holz auf und umsorgte die klatschnassen Häufchen Gringostolz, die sich bibbernd um die Feuerstelle in der Küche scharte, während der Wolkenbruch sich prasselnd auf dem Wellblech unserer Rettung austobte. Schlafen in der Hängematte ist nicht jedermanns Sache. In Südamerika ist es eine Selbstverständlichkeit, ja eine Philosophie: Allerdings reagiert der europäische Körper oft recht unwirsch auf dieses ungewohnte Schlafgemach. Eliecér wusste natürlich um die speziellen Probleme seiner Teilnehmer. 


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«Warum haben die Leute hier keine Rückenschmerzen, wenn sie aus der Hängematte kommen?», fragte er in die mit dieser Problemstellung offensichtlich bestens vertraute und gespannt lauschende Runde. «Weil sie noch besoffen sind», hustete ich – endlich wieder inspiriert – hinterm Ofen hervor. Eliecér sortierte mein Spanisch-Gestammel, dann explodierte er vor Lachen. «Richtig, und weil sie selbst betrunken richtig drin liegen. Nicht längs, da ist die Wirbelsäule gekrümmt; nicht quer, da baumeln die Füße über dem Boden. Die goldene Hängematten-Schlafstellung ist diagonal.» Wer falsch liegt, den bestraft das Leben. Wir schliefen, wie wir gespeist hatten. Himmlisch. Im Unterschied zum Vortag starteten wir früh, ausgeruht und von einem den Umständen entsprechend opulenten Frühstück gestärkt. Alfredos Kinder begleiteten uns bis zum nächsten Bach, wo der zweite (und vorletzten Anstieg) auf unserem Weg zur

Vamos! Mir ging es fantastisch. Ein Wunder, was bereits eine Nacht ohne Exzess ausmacht. Ciudad Perdida begann. Vamos! Mir ging es fantastisch. Ein Wunder, was bereits eine Nacht ohne Exzess ausmacht. Eliecér brachte uns den zweiten Teil des Tropen-ABC bei: richtig wandern. Wieder so eine Sache, die ich gestern intuitiv falsch gemacht hatte. Anstatt langsam und bedächtig den Berg hoch und zügig auf der Ebene zu gehen, wollte ich so schnell wie möglich hinauf (um die Qual schnell hinter mir zu haben), so dass ich ohne Maultier wohl nicht angekommen wäre. Guter Tipp. Die Sonne war noch nicht über die höchsten Berge gestiegen, da hatten wir mit einer auf keiner Karte eingezeichneten Arsario-­Siedlung bereits den höchsten Punkt des Tages erreicht. Kurze Rast bei der freundlichen Familie; mit zuckersüßen Bocadillo-Bananen und würzigem Quellwasser. Kaum zwei Stunden später lag die nächste menschliche Ansiedlung vor uns. Ein Kogi-Dorf am fruchtbaren Ufer des Rio Buritaca. Kinder mit langen schwarzen Mähnen tollten mit einer bunten Ansammlung aus Hunden, Schweinen und Hühnern um die drei aus Lehm und Stroh gefertigten Rundhütten. Ein paar Frauen pflegten die dorfbedarfsdeckende Coca-Anpfla zung, beäugten neugierig und wenig wohlwollend, was da vorbeigeschlichen kam. Die Kogi leben im Norden der Sierra Nevada in der tierra templada auf einer Höhe bis zu 2000 Metern,

Kogi-Siedlung. Foto: Wikimedia

meistens entlang der zahlreichen in die Karibik ziehenden Flüsse. Ihre Wirtschaft basiert auf Selbstversorgung, sprich Landwirtschaft und Viehzucht. Der Gebrauch der Coca-Pflanze spielt, wie bei allen in der Sierra Nevada ansässigen Indio-Völkern, eine wichtige kulturelle Rolle. (Nebst den Kogi leben Arsarios, auch Sankás und Malayos genannt, sowie Arhuacos alias Ikas in der Sierra Nevada.) Aus diesem Grunde ist ihnen per Gesetz der Anbau des CocaStrauchs zu Eigenbedarfszwecken erlaubt. Man sieht hier keinen Indio, der nicht Coca kaut. Zur Mindestausstattung eines jeden Kogi gehört ein kleines aus einem Kürbis angefertigten Gefäß, der poporo, in dem der Kalk aufbewahrt wird, der zum Kauen der Coca-Blätter benötigt wird. Diese werden getrocknet in den mochillas genannten, bunt bestickten Umhängetäschchen aufbewahrt.

Heilige Coca-Pflan e Für die Kogi hat die Coca-Pflanze eine «sakral-­ asketische» Bedeutung, wie ich in einem schlauen Buch lesen durfte. Sie gilt als Symbol der Enthaltsamkeit von körperlichen Genüssen und führt bei gleichzeitiger Nahrungsverweigerung zur kultischen Inkarnation. Während einer religiösen Zeremonie versammeln sich die jungen Männer des Stammes zu rituellen Tänzen, bei denen ein Vortänzer immer wieder mit einer Rute in ein mit Coca-Blättern vollgestopftes Kürbisgefäß hineinstößt. Dies soll den Akt der Deflo ation darstellen und die heilige Coca-Pflanze als Symbol der sexuellen Enthaltsamkeit darstellen. So dürfen Männer erst mit der Geschlechtsreife die Pflanze kauen. Frauen ist der Coca-Genuss gänzlich untersagt. Sie dürfen dafür die Pflanzen pflege Eine Konsumeinheit Coca-Blätter, die acullio, entspricht etwa einer Handvoll Blätter, die mit dem erwähnten Kalk (aus Asche oder von bestimmten Schneckenhäusern gewonnen) gekaut und im Mund zu einer Kugel geformt wird, die dann als dicke Backe


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den weiteren Tiefen der Sierra Nevada. Simako hatte zwei geräumige überdachte Hängematten-Lager für Wanderer und ein kleines Holzhäuschen für sich selbst errichtet – gewissermaßen das Basecamp zur Verlorenen Stadt, welches der betagte Mann mit viel Humor verwaltete. Er war weit über sechzig, hatte aber die Energie eines Vierzigjährigen. Die leibhaftige Kraft der zwei Herzen. Simako floh während der violencia, dem zwischen 1948 und 1958 tobenden, aber bis heute nie wirklich beendeten Bürgerkrieg, von Bucaramanga in die Sierra Nevada, nachdem seine ganze Familie den Pflanze vermindern Appetit und Durst, verscheu- Gewalttätigkeiten zum Opfer gefallen war. Er suchte chen die Müdigkeit und erleichtern die Sauerstoff- die Einsamkeit, die er nirgendwo besser als in der Sierra Nevada finden konnte. Besucher gibt es wenig aufnahme in großen Höhen. Die chemische Zusammensetzung der Coca- in diesen Zeiten, in denen Kolum­bien von Touristen Pflanze ist – man höre und staune – bis heute nicht gemieden wird. Und solche, die zwei Flaschen Meexakt analysiert worden. Unter den verschiedenen dellín-Rum zum Weihnachtsfest mitbringen, schon Alkaloiden dominiert mit bis zu zwei Prozent des gleich gar nicht. Es war ja Weihnachten, das hatte ich Trockengewichts das Kokain. Um die Aufnahme die- total vergessen. Und da war ja diese Heidi, dieses ses Zehntelgramms Kokain, die ein durchschnittli- himmlische Wesen. cher Bissen enthält, zu erleichtern, dient der KalkzuWir standen frisch verliebt mit der Sonne auf satz, so glaubte man zumindest lange Zeit. Neuere und folgten dem Rio Buritaca Richtung Süden. Das Untersuchungen bestreiten genau diese Annahme bis zum Camp von Simako eher breit ausladende Tal und behaupten, dass das alkalische Miwurde zusehends enger. Riesenfarne, Jobound Blanquesino-Bäume, wilde Bananenlieu die Kokain­aufnahme hemmt, haine begleiteten unseren Weg, der weil es mit dem Alkaloid in eine mehrfach die Seite des Flusses wechwasserunlösliche, also durch die selte. Die Schönheit der Natur hatte Mundschleimhäute kaum aufCocablätter. Foto: ZVG zweifellos einen Höhepunkt erreicht. nehmbare Form reagiert. ZuEs gibt Indianer-Sprachen in Südamedem werde das Kokain von den rika, welche weit über hundert verMagensäften in das viel unwirkschiedene Bezeichnungen für die Farbe samere Ekgonin umgewandelt, Grün haben. Spätestens hier im Garten bevor es überhaupt in den BlutEden wusste ich, warum. Wir näherten uns, kreislauf gelangen kann. über Stock und Stein kletternd beziehungsweise Ich war irgendwie froh, als wir endlich außer Sichtweite waren. Die zwei folgenden Kilometer wasserwatend, langsam, aber sicher dem Ziel unseam wild verwachsenen Buritaca-­Ufer leicht aufwärts rer Wanderung, der Verlorenen Stadt. Mit der fünfwaren ein Kinderspiel und just zur Mittagsessenszeit ten Flussüberquerung hatten wir schließlich das behatten wir das nächste Schlaflager, das Camp von gehbare Ende des Buritaca-Tals erreicht, und wir Señor Simako, erreicht. Die Sonne schien noch lange standen an der Stelle, von der Eliecér seit zwei Tagen genug, um die klamme, mufflige Ausrüstung zu erzählte: Den 1200 Steinstufen, die den Talrand trocknen und jeder nutzte den Nachmittag auf seine hoch nach Teyuna, wie die Indios ihre heilige Stadt Weise. Simakos Camp war der perfekte Platz, die nennen, führen. 1200 kleine Überwindungen, die Beine baumeln zu lassen, abzuhängen, Tagebuch zu jeder auf seine Art meistern musste. Die Ciudad Perdida wurde über einen langen schreiben, Blasen zu verarzten und endlich das von Zeitraum, überwiegend aber wohl im 13. und 14. JahrSeñor Alfredo angebotene hierba buena anzutesten. Señor Simako hatte sein Camp hier am Buritaca hundert, auf einer Fläche von rund zwei Quadratkivor ein paar Jahren mit staatlicher Erlaubnis und lometern errichtet. Obwohl die Archäologen ihr bisUnterstützung gebaut und lebt seither hier. Der Ort lang die wenigsten Geheimnisse entlocken konnten, seiner Dschungel-Herberge liegt verkehrstechnisch ist zumindest klar, dass sie Hauptstadt und religiöses günstig am einzigen Pfad zur Ciudad Perdida und Zentrum der Tayrona-Kultur war. Teyuna liegt an  darin verweilt, bis nur noch das Blattgerippe übrig ist, welches schließlich ausgespuckt wird. Das dauert rund zwei Stunden. In vielen Teilen Südamerikas gilt daher die acullio als Maßeinheit für eine Wegstrecke. Die Blätter der zur Gattung Erythroxylum gehörenden

Coca-Blätter vermindern Appetit und Durst, verscheuchen die Müdigkeit und erleichtern die Sauerstoffaufnahme.


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Genau hier entstand der Mythos von El Dorado, dem nie gefundenen legendären Land aus Gold. über 150 Terrassen in gut erhaltenem Zustand befi den. Die Tayronas waren die erste indigene Kultur, auf die die Spanier in der Neuen Welt stießen. Genau hier in der Sierra Nevada hatten 1499 die Spanier Hojeda und Vespucci erstmals das Gold der Indios bestaunt; genau hier entstand der Mythos von El Dorado, dem nie gefundenen legendären Land aus Gold. Was die Spanier und die nachfolgenden guaqueros genannten Grabräuber nicht einsackten, kann im Gold-Museum von Bogotá besichtigt werden. Auch für Museumsmuffel ein unbedingt lohnenswertes Ausflugsziel – wie es einst die Sierra Nevada de Santa Marta für die conquistadores war. Die Tayronas ließen sich dabei nicht ohne weiteres von den Spaniern niedermachen und entpuppten sich

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ISBN 978-3-03788-616-8

9 783037 886168

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einem steilen Westhang zwischen 900 und 1300 Metern Meereshöhe. Sein Zentrum ist ein unbewaldeter Bergkamm, der Ort kultischer Zeremonien und Thron des jeweiligen Chefs, der Mama. Von hier führen diverse Steinpfade zu den einzelnen Stadtteilen, wo sich die Strukturen der Treppenanlagen und der

DROGEN AUF REISEN

Zeremonienplatz der Ciudad Perdida. Foto: YAEL Photos

als äußerst zähe Kämpfer. Es dauerte ein Dreivierteljahrhundert ununterbrochener Kampfhandlungen, bis die Indigenas vertrieben oder getötet waren, alles Auffindbare mitgenommen oder zerstört wurde und sich die europäischen Eroberer endlich aus dem nordkolumbianischen Küstengebirge zurückzogen. Danach fiel Teyuna in einen langen Dornröschenschlaf – bedeckt von der üppigen Vegetation des Regenwaldes. Erst 1975 wurde die Ciudad Perdida von dem guaquero Florentino Sepúlveda und seinen beiden Söhnen Julio César und Jacobo wiederentdeckt. In einer Zeit, als die Sierra Nevada ganz unter dem Zeichen der Anarchie des Marihuana-Anbaus stand. Obwohl die Sepúlvedas keinerlei Gold fanden, breitete sich die Nachricht von einer bislang unbekannten Ruinenanlage wie ein Buschfeuer aus und lockte die Glücksritter so zahlreich den Rio Buritaca hoch, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Grabschändern nicht ausbleiben konnten. Ein Krieg um die Verlorene Stadt brach aus, und nicht ohne Grund wird der Dschungel im Buritaca-­ Tal bis heute infierno verde, die grüne Hölle, genannt. Nachdem 1976 die kolumbianische Regierung von der Entdeckung einer bedeutenden archäologischen Stätte im Nordosten des Landes Wind bekommen hatte, schickte sie eine wissenschaftliche Expedition und Militär dorthin, um die Ruinen zu erforschen und schützen. Nichtsdestotrotz dauerten die Grabräubereien und die Kämpfe um die vermuteten Schätze in Teyuna an. Einige guaqueros fanden wohl sogar etwas Gold, die meisten gingen wie Florentino Sepúlveda leer aus. Der Entdecker einer der wichtigsten historischen Stätten Kolumbiens folgte verbittert, verarmt und vergessen seinem Sohn Julio César, der bei einem der Kämpfe in der Grünen Hölle ums Leben kam, ins Jenseits. Wir hatten indes mehr Glück und schüttelten uns am Mittag des dritten Tages, am Zeremonienplatz angekommen, glücklich, staunend und verdammt stolz die Hände.

Drogen auf Reisen

Stefan Haag

Drogen auf Reisen Die Suche nach dem Highligen Gral

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Extrak

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Nachtschatten Verlag 2023 ISBN 978-3-03788-861-8


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kreuzberg

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Reisen in die Phytoalchemie Psychoaktive Pflanzen in Afrika TEXT

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Je a n - Fr a n c o i s S o b i e c k i

ie meisten Menschen, denen ich erzähle, dass Wissen zum Beispiel für die Herstellung von Nahich Ethnobotaniker bin, schauen mich ver- rungsergänzungsmitteln und Medikamenten, die dutzt an und fragen: Was ist das? Doch die Aufnahme neuer Pflanzen in unsere Ernährung und Ethnobotanik – das Studium der Beziehungen zwi- den Anbau von Pflanzen zur Verschönerung unserer schen Menschen und Pflanzen – beeinflusst unser Gärten und Häuser zu nutzen. Pflanzen waren schon immer ein Teil meiner Leben von Minute zu Minute. Von den LebensmitReise: Von klein auf hatte ich den teln, die wir essen, über die Tees und Wunsch, Kräuterkundiger zu werStärkungsmittel, die wir trinken, bis Dysphania den, und später erlebte ich eine hin zu den Räucherstäbchen und ambrosioides. Transformation meines Lebens mit ätherischen Ölen, die wir zur EntFoto: Public Domain Ayahuasca, ging ins Ausland, um den spannung verwenden – sie alle stamSchamanismus im Amazonasgebiet men von Pflanzen und die traditionelle chinesische Wir verlassen uns Tag für Tag auf Medizin (TCM) in London zu erforsie, wenn es um Gesundheit und schen, und lernte schließlich die traWohlbefinden geht, aber viele von ditionelle südafrikanische Medizin uns haben ihre wichtige Rolle verdurch einen Heiler aus Nord-Sotho gessen, weil die meisten von uns kennen. Heilpflanzen zu kennen, war Modernen keine eigenen Pflanze und ist eine Berufung in meinem mehr anbauen oder sammeln, um Leben, und über sie zu lehren ebenso. sich zu ernähren, unsere Häuser Während meines Studiums der Botanik und Zoonicht mehr aus Bäumen bauen oder unsere eigenen Möbel herstellen oder psychoaktive Pflanzen für logie an der Wits University interessierte ich mich religiöse Zwecke verwenden, wie es unsere Vorfah- für Pflanzen, die zur Behandlung und Heilung des ren taten. Auf diese Weise haben wir uns von der Nervensystems eingesetzt werden, und für solche, Natur und den Pflanzen abgekoppelt. An dieser die in schamanischen Gesellschaften auf der ganzen Welt für visionäre Zwecke verwendet werden. Dies Stelle leisten Ethnobotaniker wichtige Arbeit. Wir Ethnobotaniker besuchen oft traditionelle führte dazu, dass ich Pflanzen wie Ayahuasca, den indigene Gesellschaften und leben mit ihnen zusam- San-Pedro-Kaktus und Psilocybe-Pilze aus Amerika men, um zu dokumentieren, wie die Menschen studierte. Ich war fasziniert davon, wie diese psyPflanzen für Medikamente, Lebensmittel, Kunst- choaktiven Pflanzen und Pilze das Bewusstsein auf handwerk, Kosmetika usw. verwenden, um dieses so tiefen Ebenen öffnen können, wie sie es tun. Es ist


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Blüten der Clivia minata. Foto: PD

bekannt, dass visionäre Pflanzen in schamanischen Gesellschaften seit Tausenden von Jahren eine wichtige Rolle bei der Heilung spielen (die Verwendung des San-Pedro-Kaktus wurde in Peru auf dreitausend Jahre zurückdatiert) , und auf dem afrikanischen Kontinent wurden psychoaktive Pflanzen von den San-Buschmännern als Katalysatoren für die Herbeiführung von Trancezuständen und Heiltänzen verwendet. Psychoaktive Pflanzen sind in der westlichen Gesellschaft ein allgemein missverstandenes Thema. Wir assoziieren das Wort «psychoaktiv» oft mit potenziell schädlichen Drogen wie Heroin und Kokain. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Lebensmittel, die wir essen, insofern psychoaktiv sind, als sie unsere Stimmung auf subtile Weise beeinflussen Eine psychoaktive Substanz ist per Definition jede Substanz, die unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst! Viele Beispiele für gängige psychoaktive Lebensmittel und Getränke sind Milch, Schokolade, Kaffee, Baldrian, Kamille usw., die alle eine subtile bis milde psychoaktive Wirkung haben. Sogar Rooibos ist psychoaktiv. Rooibos enthält Flavonoide (die roten Pigmente, die ihm seine Farbe verleihen), die die Blut-Hirn-Schranke überwinden und eine direkte entspannende Wirkung auf das Nervensystem ausüben! Wir behandeln uns also ständig selbst

mit psychoaktiven Pflanzen. Tatsache ist, dass es eine gleitende Skala von subtil wirkenden bis hin zu stark wirkenden psychoaktiven Pflanzen gibt und dass diese Pflanzen bei richtigem Gebrauch und mit der richtigen Absicht als Arzneimittel verwendet werden können. Meine Reise zur Erforschung der Verwendung psychoaktiver Pflanzen im südlichen Afrika begann um 1998, als ich bereits interessiert und belesen war

Sogar Rooibos ist psychoaktiv. Er enthält Flavonoide mit entspannender Wirkung auf das Nervensystem. und mit der Verwendung visionärer psychoaktiver Pflanzen wie Amanita muscaria, dem Fliegenpilz, dem San-Pedro-Kaktus und Psilocybe-Pilzen experimentiert hatte, und ich mir die Frage stellte, ob die Izangoma (die traditionellen spirituellen Heiler oder Wahrsager in Südafrika) solche Pflanzen und Pilze bei ihren Heil- und Wahrsagepraktiken verwendeten. In der Literatur, zum Beispiel in Pflanzen der Götter von Schultes und Hofmann, hieß es, Afrika sei arm an psychoaktiven Pflanzen. Das ergab für mich keinen Sinn, da wir in Südafrika so reiche  


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Blüten der Boophone distica. Foto: Public Domain

kulturelle Traditionen und eine ebenso reiche Pfla zenvielfalt haben. Dies veranlasste mich zu einer umfangreichen Literaturrecherche, die mich zu einem Besuch der Universität von Witwatersrand führte, wo ich alte,

Ich fühlte mich wie ein Kind in einem alchemistischen Süßwarenladen. verstaubte afrikanische Ethnographien im Keller der William-Cullen-Bibliothek aus den 1930er Jahren durchforstete. Ich fand in der ethnobotanischen und anthropologischen Literatur verstreut, aber im Laufe der Zeit vergessen, Hinweise auf afrikanische magische Pflanzen, die von Eingeweihten verwendet werden, um «den Fluss des Bewusstseins zu überqueren». Bei der Durchsicht dieser Literatur suchte ich nach Erwähnungen von pflanzlichen Arzneimitteln, die eine Wirkung oder Aktivität auf das Nervensystem haben, das heißt stimulieren, beruhigen, das Gedächtnis verbessern, Wahrsagen erleichtern, Visionen hervorrufen oder Träume auslösen. Ich verbrachte Monate mit dieser Arbeit, die ein unglaubliches Abenteuer war. Ich fühlte mich wie ein Kind in einem alchemistischen Süßwarenladen. So begann eine lange und lohnende Reise zur Erforschung unserer afrikanischen psychoaktiven Heilpflanze .

Eine der inspirierendsten Abhandlungen, die ich gefunden habe und die mich wirklich beeindruckt hat, sind die Berichte eines Priesters namens Pater Laydevant und seine Abhandlung von 1932: Religiöse oder heilige Pflanzen des Basutolandes In dieser klassischen Abhandlung untersuchte Laydevant die innerliche Verwendung von Pflanze bei der Einweihung von Sotho-Wahrsagern, von denen er vielen eine mögliche psychoaktive Wirkung zuschrieb. Laydevant beschrieb verschiedene Pflanzen, die in speziellen «Hornmedikamenten» verwendet wurden – Medikamente, die in am Körper getragenen Tierhörnern aufbewahrt werden und die seiner Meinung nach psychoaktiv sind. Einige der erwähnten und identifizierten Arten habe ich als psychoaktive Pflanzen in südamerikanischen schamanistischen Traditionen wiedererkannt, zm Beispiel aus Sobiecki (2008) : «Cyperus fastigiatus, mothoto (Sotho) wird als ganze Pflanze in einem speziellen Hornmedikament verwendet, das in den Initiationszeremonien der Sotho-Wahrsager zum Einsatz kommt, während Cyperus-Arten in Südamerika von den Jivaro-Indianern als Halluzinogene und von den Yagua-Indianern im peruanischen Amazonasgebiet als Beimischung in anderen halluzinogenen Gebräuen verwendet werden. Es ist bekannt, dass Cyperus-Arten im Amazonasgebiet als Liebeszaubermittel verwendet werden und ihre Wirkung höchstwahrscheinlich durch die in ihnen enthaltenen Indolalkaloide entfalten.»


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Eine weitere interessante Erwähnung von Lay- Behandlung von Krampfanfällen wie Epilepsie und devant ist die von Myosotis afropalustris [sethuthu psychischen Störungen bis hin zu Pflanzen, die zur (Sotho), lephukhuphukhu (Zulu)] (eine der Vergiss- Entspannung, zur Verbesserung des Gedächtnisses meinnicht-Arten) , das von den Sotho zur Behand- und zur Förderung von Träumen eingesetzt werden. Die Befragung von traditionellen Heilern war lung von Hysterie und bei der Ausbildung von einheimischen Heilern zur Entwicklung ihres Ge- eine interessante Erfahrung. Ich begann meine dächtnisses verwendet wird (Wat t & Breyer -Brand - Suche in meinem grünen VW-Käfer in der nächstwijk 1962). Es wird berichtet, dass diese Pflanze bei gelegenen Ortschaft Kathlehong. Mit meinem Forder Einnahme einen leicht stimulierenden veränderten Bewusstseinszustand erzeugt, den die SothoWahrsager zum Divinieren verwenden. Es scheint, dass Myosotis in Lesotho einen bedeutenden Nutzen hat, um den Wahrsager auf eine Weise zu öffnen, wie es MDMA tut – ein so genanntes Entaktogen. Ich habe erfahren, dass die Blüten der Blauen Seerose schergeist sammelte ich ausführliche Notizen mit (Nymphaea nouchalli) von südafrikanischen Wahrsa- Namen, Daten und Berichten und legte sie zu den gern verwendet werden, um eine Öffnung des Akten – die ich heute noch habe. Ich fand die Heiler Bewusstseins und eine leichte Euphorie durch per- durch Telefonbücher und durch Mundpropaganda, sönliches Experimentieren zu erzeugen. Es wird indem ich Leute fragte, wo ich sie finden konnte. berichtet, dass die Blaue Seerose im alten Ägypten Mit viel Leidenschaft machte ich mich an die Arbeit der Ethnobotanik. Ich erklärte den Heilern, die im Rahmen ihrer schamanistischen Praktiich bei meinen Forschungen traf, meine ken als Narkotikum verwendet wurde Absicht, und einige der Heiler waren (Emboden 1989) . Die Blaue Seerose daran interessiert, mir zu helfen, wird also von Nordafrika bis ins Nymphaea nouchali var. caerulea. Foto: Archiv Berger andere nicht. Bald erfuhr ich, dass südliche Afrika als psychoaktive einige der Pflanzen InitiationsgePflanze verwendet. Könnte sich heimnisse waren, deren Identität die Verwendung dieser Pflanz nicht preisgegeben werden sollte, mit den Wahrsagern über den und ich war natürlich bereit, dies Kontinent verbreitet haben? Das zu respektieren. ist sehr gut möglich. Kaum hatte ich einige Zeit im Eine der aufregendsten EntdeTownship Kathlehong verbracht, erfuhr ckungen für mich war die Beobachtung, dass dieselben Pflanzenarten ich, dass die Menschen Izangomas (Wünsowohl bei den Wahrsagern im südlichen Afrika schelrutengänger) aufsuchten, um mit der San-Giftals auch bei den schamanischen Gesellschaften Süd- knolle oder Boophone disticha Visionen zu haben, einer amerikas für Einweihungen verwendet wurden, was besonders giftig wirkenden Visionspflanze, mit der, ihre psychoaktive Verwendung für dieselben Be- wie ich erwähnen sollte, wegen der sehr geringen wusstseinsheilungszwecke bestätigte! Beispiele hier- Spanne zwischen Gift- und Medikamentendosis nicht für sind Chenopodium ambrosiodes, das in beiden Kul- experimentiert werden sollte. Ihre innere Anwenturen zur Bewusstseinsöffnung verwendet wird, dung hat sich in vielen Fällen als tödlich erwiesen. Maytenus-Arten, die in ähnlicher Weise zur Stärkung Diese Pflanze wird von spezialisierten Heilern verabder Eingeweihten eingesetzt werden, und die Ver- reicht, die wissen, wie man mit der Pflanze arbeitet, wendung von Eleutherine bulbosa, die bewusstseins- welche Dosierung zu verwenden ist, und die über öffnende Eigenschaften hat. Ich wusste, dass ich auf langjährige Erfahrung verfügen. Die Pflanze wird als der richtigen Spur war, als ich diese ähnlichen kul- Wahrsagehilfe und als Beruhigungsmittel für hysteriturübergreifenden Anwendungen sah – und dann sche Patienten eingesetzt. Beim Volk der Khoi San galt ganze Kategorien von Pflanzen, die in den verschie- die Pflanze als heilig und wurde als Jagdpfeilgift verdenen Regionen auf die gleiche Weise für die glei- wendet. Die faserigen Schuppen werden vom Ngunichen Zwecke verwendet werden! Volk auch als Beschneidungspflaster verwendet Nach monatelanger Literaturrecherche fand ich Bei meinen Nachforschungen stellte ich fest, dass heraus, dass mehr als 300 Pflanzenarten für ver- ein großer Prozentsatz der Pflanzen, für die psychoakschiedene Zwecke verwendet werden, von der tive Wirkungen berichtet wurden, wegen ihrer 

Ich erklärte den Heilern, die ich bei meinen Forschungen traf, meine Absicht.


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Jean-Francois Sobiecki B.Sc. Hons. EthnoBot. (UJ), Dipl Clin Nutr. (Aus) ist ein südafrikanischer Ethnobotaniker und Kräuterheiler mit einer Privatpraxis in Johannesburg. Er bietet Online-Kurse über Ethnobotanik, Kräuterkunde und Heilpflanzenverwendung an http://phytoalchemy.co.za/faq/ Sobieckis Angebot umfasst auch Online-Mentoring für psychoaktive Pflanzen, Lieferung von afrikanische Ubulawu-Pflanzenlehrermedizin un Pflanzensafari Touren in Johannesburg. Kontakt: phytoalchemist@gmail.com, Telefon +27 063 537 5413. Sobieckis neues Buch African Psychoactive Plants ist im Juni 2023 erschienen (ISBN: 978-0639763859).

Wurzeln verwendet wurden – was bedeutet, dass die lokale afrikanische Bevölkerung damit experimentierte, die Wurzeln von Bäumen, Sträuchern und Kräutern auszugraben und als Medizin zu verwenden. Es ist in der Tat der Untergrund, in dem so viele chemische Reaktionen ablaufen, wo Pilzmyzelien (Netzwerke) ein kompliziertes Netz der Kommunikation beginnen. Es ist der Untergrund der Wurzeln, in dem wir nach interessanten neuen psychoaktiven Verbindungen suchen sollten. Mit all diesen Erkenntnissen wurde mir klar, dass psychoaktive Pflanzen ein unverzichtbarer Teil des Repertoires afrikanischer Heiler sind und dass es wahrscheinlich einen regen kulturellen und botanischen Austausch zwischen den Khoi San und den Nguni gab, die psychoaktive Pflanzen von den eher schamanistischen San kennenlernten. Während meiner Feldforschung wurde mir auch bewusst, dass traditionelle Heiler eine Abfolge von Kategorien psychoaktiver Pflanzenmedizin anwenden, damit ein Eingeweihter im traditionellen südafrikanischen Medizinsystem einen Heilungsprozess erlernen und daran wachsen kann. Die Details dieses Prozesses werden in der Arbeit (Sobiecki 2018) erläutert, aber zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine Abfolge von Medikamenten gibt, die bei der Initiation verwendet werden, beginnend mit

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1. reinigenden Medikamenten, um die Vergangenheit loszulassen und den Körper und den Geist auf die Aneignung neuen Wissens vorzubereiten, dann 2. bewusstseinsöffnende Medikamente, die die Gewöhnung an neue Verhaltensweisen und das Lernen ermöglichen und in Südafrika ubulawu genannt werden, dann 3. entspannende und stärkende Medikamente, die helfen, das neue Wissen zu verankern und sich zu entspannen, und dann 4. Schutzmedikamente, die helfen, den Initiierten zu stärken. Diese Kategorien werden in ähnlicher Weise bei der Einweihung sowohl von südamerikanischen als auch von südafrikanischen traditionellen Heilern verwendet, was meiner Meinung nach auf eine kulturübergreifende Technologie der Verwendung psychoaktiver Pflanzen als Werkzeug für psychologisches Lernen und Wachstum hinweist. Dies zeigt, dass die traditionelle Medizin eben nicht einfach ist, wie es in den westlichen Medien oft dargestellt wird, sondern hochkomplex sein kann. Ich behandle dies

Man kann Afrika in der Tat als eine verlorene Wiege der Verwendung psychoaktiver Pflanzen betrachten. in meinem neuen Buch African Psychoactive Plants. Es fehlt an Details darüber, wie traditionelle Heiler psychoaktive Pflanzen verstehen und einsetzen, um psychische Krankheiten in Afrika zu heilen, und mit jeder Generation geht mehr von diesem mündlich weitergegebenen Wissen verloren, entweder weil die Heiler sterben oder weil die jüngere Generation kein Interesse daran hat, von ihren Eltern oder Großeltern zu lernen. Man kann Afrika in der Tat als eine verlorene Wiege der Verwendung psychoaktiver Pflanze betrachten, und von den traditionellen Heilern hier kann noch so viel gelernt, verstanden und geschätzt werden. Eine Arbeit, die dringend notwendig ist! Quellen: Sobiecki, J.F. 2008. A review of plants used in divination in southern Africa and their psychoactive effects. South African Humanities. 20: 333–351 • Sobiecki, J.F. 2018. Psychoactive Plant Medicines as Perturbatory Learning Tools in the Initiation Process of South African and Upper Amazonian Traditional Healers. In: Ethnopharmacologic Search for Psychoactive Drugs II: 50 Years of Research, Conference Proceedings . • Watt J.M, Breyer-Brandwijk M.G 1962. The Medicinal and Poisonous Plants of Southern Africa. 2nd Edition. London, England: Livingstone.



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Über die Notwendigkeit von Metaphysik in der psychedelischen Therapie und Forschung TEXT

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Peter Sjöstedt-Hughes

a ich in einem Land aufgewachsen bin, in dem Philosophie in den Schulen nicht gelehrt wird, war ich sehr beeindruckt, als ich an der Universität zum ersten Mal die Metaphysik von Spinoza, Leibniz, Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche und anderen las. Plötzlich wurde ich in neue Denkweisen über die Wirklichkeit und das Wesen meines Selbst innerhalb dieser Wirklichkeit hineingestoßen. Das zweite Mal, dass ich einen solchen «ontologischen Schock» erlitt, war, als ich mir eine starke Dosis psychedelischer Pilze der Art Psilocybe semilanceata, Spitzkegeliger Kahlkopf (Liberty Caps), gönnte – in erster Linie motiviert durch die Schriften des Philosophen und Psychologen William James über die Möglichkeit, durch Drogen mystische Bewusstseinszustände zu erreichen. Diese erste psychedelische Erfahrung veränderte mein Leben: Ich suchte nach philosophischen Analysen psychedelischer Zustände und fand relativ wenig, also machte ich mich daran, selbst darüber zu schreiben, entgegen dem Rat einiger Akademiker, die meinten, dass dies für einen Philosophen ein Karrierekiller sei. Heute lehre ich dieses Thema an der Universität von Exeter. Während der Vorlesungszeit veranstalten wir zweimal im Monat ein psychedelisches Forschungskolloquium, zu dem wir Gastdozenten einladen, die Vorträge halten und Diskussionen führen – von Schamanen bis zu Neurowissenschaftlern. Auch eine Reihe von Psychiatern und Therapeuten hat uns mit Referaten erhellt, und so haben wir uns mit dem gegenwärtigen weltweiten Stand der psychedelisch unterstützten Therapie vertraut gemacht. Ein Problem, das ich als Metaphysiker und Philosoph des Geistes mit einer Reihe von Rednern hatte, war die Art und Weise, wie sie – im Rahmen der Diskussion über psychedelische Erfahrungen – Meta-

physik mit Mystik, Spiritualität, Religion und übersinnlichen Phänomenen leichtfertig in einen Topf geworfen haben. Die Metaphysik hat in der Philosophie eine recht strenge Bedeutung, die sich deutlich von den anderen Begriffen unterscheidet. Ich war auch erstaunt über die Zweideutigkeit und die Vielfalt der Bedeutungen des Begriffs «Integration» und die Diversität der Methoden in der dritten Phase des (gerade wieder) zu etablierenden psychedelisch augmentierten Therapieprotokolls (die auf die vorbe-

Ein angemessenes Verständnis der Metaphysik könnte die psychedelische Therapie und Forschung verbessern. reitende Phase und die substanzunterstützte Sitzung folgt). Als ich mir die frühere und aktuelle Literatur zu den Begriffen «Metaphysik» und «Integration» genauer anschaute, stellte ich fest, dass die psychedelische Wissenschaft in Bezug auf die Metaphysik nur unzureichend informiert und in Bezug auf die Integration nur unzureichend vorbereitet ist. Da wurde mir klar, dass ein angemessenes Verständnis der Metaphysik nicht nur die Wissenschaft der Psychedelik, sondern auch die psychedelische Therapie und Forschung verbessern und darüber hinaus auch die Kultur ausserhalb der Klinik potenziell bereichern könnte. Dies war die Motivation für meinen Aufsatz «On the Need for Metaphysics in Psychedelic Therapy and Research» («Über die Notwendigkeit von Metaphysik in der psychedelischen Therapie und Forschung») , der Ende März 2023 in der Fachzeitschrift Frontiers in Psychology veröffentlicht wurde. Ich fasse diesen Text hier zusammen und füge zusätzliche Beobachtungen hinzu, die sich aus ihm ergeben.


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Geistiger Monismus:

Materieller Monismus:

Physikalismus

reduktiver Physikalismus

nicht-reduktiver Physikalismus

Eliminativismus

Emergentismus

Behaviourismus

Funktionalismus

Psychoneurale Identitätstheorie

Epiphänome­ nalismus

Substanz-

Neutraler

Idealismus

Dualismus

Solipsismus

Interaktionismus Kosmopsychismus

Transzendentaler Idealismus

Monismus

Unendlicher Dualismus

Astropsychismus

Metempsychose

Biopsychismus

Das Trans­ zendente Transzendenter Realismus Hyperraum Transzendente Entitäten

Zopsychismus Kosmische Teleologie Moralischer Realismus

Pan­ psychismus

Realer Naturalismus

Monadischer Idealismus

Animismus

Organischer Realismus

Atheismus

Monotheismus

Monotheismus

Pantheismus

Monotheismus

Pantheismus

Deismus

Atheismus

Polytheismus

Atheismus

Theismus (typisch)

Panentheismus Deismus

Abbildung 1

Der Originalartikel behandelt im Groben die Fragen, was Metaphysik ist, und was eine mystische Erfahrung. Es geht weiterhin um psychedelisch induzierte metaphysische Erfahrungen und um die psychedelisch unterstützte Psychotherapie. Ich komme zu dem Ergebnis, dass die Metaphysik genutzt werden sollte, um psychedelisch induzierte metaphysische Erfahrungen zu integrieren und zu verstehen. Dass dies immer noch nicht geschieht, ist ein Mangel, auf den der Artikel hinzuweisen bestrebt ist. Bei meinen Recherchen für die Arbeit habe ich entdeckt, dass LSD-Entdecker Albert Hofmann diesen Vorschlag bereits gemacht hat: «[Eine] Art von ‹Metamedizin›, ‹Metapsychologie› (...) beginnt, sich auf das metaphysische Element im Menschen zu berufen (...), um dieses Element zu einem grundlegenden Heilprinzip in der therapeutischen Praxis zu machen» (1979).

Metaphysik und Mystik Das Wort «Metaphysik» ist der Titel eines Textes von Aristoteles. Er wurde nicht von Aristoteles selbst so benannt (und zusammengestellt) , sondern von einem späteren Herausgeber, der sie nach Aristoteles’ (Meta-) Text, der Physika, einordnete. Aristoteles selbst nannte die Wissenschaft der Metaphysik «Erste Philosophie», die Wissenschaft von der Erforschung des Seins, d.h. der primären, fundamentalen

Strukturen der Wirklichkeit. Die Unterteilungen dieser ersten Philosophie bilden auch heute noch die Grundlage des akademischen Studiums der Metaphysik und umfassen Themen wie Substanz, Ursache, Identität, Möglichkeit, Notwendigkeit, Raum, Zeit, Ewigkeit, Formen, Beziehungen, Qualitäten, Gottheit usw. Die Metaphysik gilt im Allgemeinen als eine der drei Hauptsäulen der Philosophie - die anderen sind die Axiologie (Ethik und Ästhetik) und die Epistemologie (die Lehre vom Wissen) . Das Studium der «Substanz» (das, was allem untergeordnet ist) betrifft nun die Metaphysik des Geistes (und der Materie):  Ist der Geist auf die Materie reduzierbar (Physikalismus)?

 Ist die Materie auf den Geist reduzierbar (Idealismus)?  Sind Geist und Materie zwei getrennte Aspekte (Dualismus)?

 Sind Geist und Materie Aspekte einer letztendlichen (neutralen) Substanz (neutraler Monismus)?

 Gibt es eine andere Form der Existenz jenseits von Geist und Materie (das Transzendente)?

Diese fünf Fragestellungen definieren den Kern der metaphysischen Matrix (Abb. 1). Diese Matrix ist eine Weiterentwicklung derjenigen, die ich in meiner Doktorarbeit (über den «panpsychischen Monismus») entwickelt habe. Der Panpsychismus – also 


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das Postulat, dass der Geist in der Natur allgegenwärtig ist, vom Menschen bis zum Molekül und darüber hinaus - zieht sich durch alle Disziplinen, denn es gibt physikalistische Arten des Panpsychismus (beispielsweise Strawsons Real Naturalism) , dualistische Arten (zum Beispiel Animismus) usw. Die zweite Reihe der Tabelle betrifft den Theismus, der Pantheismus, Deismus, Monotheismus, Atheismus usw. umfasst. Diese Matrix der Metaphysik erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber sie soll eine praktische Funktion erfüllen, indem sie eine Vielzahl der wichtigsten metaphysischen Optionen vorstellt – Optionen, deren Erfahrung durch Psychedelika induziert werden kann (beispielsweise Pantheismus: Das Universum ist Gott; Animismus in den indigenen Kulturen) . Ich sollte erwähnen, dass es keine metaphysische Standardoption und damit kein Entkommen gibt: Denn man kann die Metaphysik nicht vermeiden. Wie der Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead sagte: «Wenn man sich nicht mit Metaphysik beschäftigt, geht man von einer unkritischen Metaphysik aus.» Ein Problem, mit dem Philosophen sowohl im Alltag als auch im Austausch mit vielen Wissenschaftlern konfrontiert sind, ist der unbewusste Glaube, dass es in der Metaphysik nur zwei Optionen gibt: den Physikalismus und den Dualismus. Dies ist natürlich eine falsche Dichotomie, weshalb die Matrix der Metaphysik und der dazugehörige Fragebogen (Metaphysics Matrix Questionnaire, MMQ) zu zeigen versuchen, dass es mehr Möglichkeiten gibt, die Realität zu verstehen. Sie bietet sozusagen ein «metaphysisches Menü» mit mehr als zwei Gerichten. In meinem Paper dient der MMQ als Glossar für die vorgestellten metaphysischen Bereiche (Physikalismus, Idealismus, Dualismus etc.), er kann aber auch im Rahmen von klinischen Studien als Fragebogen für Teilnehmer verwendet werden, die eine psychedelische Erfahrung gemacht haben, um die Art dieser Erfahrung über die in den üblichen Mystik-Fragebögen gestellten Fragen hinaus zu erfassen. Seit Juli dieses Jahres wird der MMQ in psychedelischen Therapiestudien an diversen Universitäten eingesetzt. Wie bereits ersichtlich wurde, ist Metaphysik kein Mystizismus. Der Name Mystik geht auf die griechische Wurzel myo zurück, was (die Augen) schließen oder verbergen bedeutet. Daraus leitet sich das Wort «Mystiker» ab, das sich ursprünglich auf einen Eingeweihten der mystischen Kulte im antiken Griechenland bezog, von denen die Eleusinischen Mysterien die bekanntesten waren. Platon und Aristoteles nahmen zweifellos an diesen

Mysterien teil, was, wie Bergson argumentiert, ihre Metaphysik beeinflusst haben könnte. Der neuplatonische heidnische Philosoph Plotin sprach ebenfalls von den Mysterien und ordnete sie in seine einflussreiche monistische Philosophie des «Einen» ein, indem er schrieb: «Der Mensch, der die Vision erlangt, wird gleichsam zu einem anderen Wesen. Er hört auf, er selbst zu sein, und behält nichts von sich selbst zurück. Versunken in das Jenseits ist er eins mit ihm, wie ein Zentrum, das mit einem anderen Zentrum zusammenfällt. Solange die Zentren zusammenfallen, sind sie eins. Sie werden erst zu zweien, wenn sie sich trennen. In diesem Sinne können wir von dem Einen als etwas Getrenntem sprechen. ... Die Vision bedeutete auf jeden Fall keine Dualität; der Mann, der sah, war identisch mit dem, was er sah. Daher ‹sah› er es nicht, sondern war vielmehr mit ihm ‹verbunden›» (Enneade VI, 9 [9], 10-11). Wir sehen hier, dass unser Konzept der Mystik dem Christentum vorausging und von seinen Wurzeln her mit einer philosophischen Metaphysik verwoben war, die zu verstehen versuchte, was mystisches Erleben bedeutete, und so der Erfahrung Sinn verlieh. Im 20. Jahrhundert, angeregt durch die Analyse der mystischen Erfahrung durch William James (1902) und aufgrund des Niedergangs der Metaphysik (durch das Aufkommen des logischen Positivismus, des Behaviorismus, des dialektischen Materialismus usw.), war das Studium der Mystik in der akademischen Welt eher psychologisch als ontologisch konnotiert, und es ging zunehmend mehr um Quantität als um Qualität. James nannte vier Merkmale der mystischen Erfahrung: Noetismus (Geist entsteht aus Geist) ,

Unser Konzept der Mystik ist von seinen Wurzeln her mit einer philosophischen Metaphysik verwoben. Unbeschreiblichkeit, Passivität und Vergänglichkeit. Obwohl er selbst sehr vernarrt in die Metaphysik war (insbesondere in die Metaphysik von Bergson, Fechner und Hegel – er behauptete sogar, dass Lachgas ihm half, Hegel besser zu verstehen), blieb dieser Teil seines Denken auf der Strecke, als die Psychologie die Untersuchung mystischer Zustände übernahm. Stattdessen suchte man nach Methoden, um mystische Inhalte in psychedelischen Erfahrungen messen zu können, die auf den Kriterien von James und später Walter St ace (1960) basierten (das Eine;


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Psychedelische Erfahrung

Metaphysik

Mystik

Abbildung 2

die Immanenz des Einen in allen Dingen; das Gefühl von Objektivität oder Realität; Glückseligkeit, Frieden; das Gefühl des Heiligen, Sakralen oder Göttlichen; Paradoxie; Unbeschreiblichkeit; nicht-zeitliche Dimension). Es gibt eine Reihe von Problemen mit diesen Verfahren. Erstens umfassen viele psychedelische Erlebnisse keine mystischen Erfahrungen. Psychedelische Erfahrungen sind breit gefächert und können beispielsweise einfach eine gehobene Stimmung, dezidierte körperliche Empfindungen, eine Steigerung der Krea­tivität, die Verbesserung der Jagdfähigkeiten usw. umfassen. Man muss zwischen psychedelischer Erfahrung, mystischer Erfahrung und metaphysischer Erfahrung unterscheiden, auch wenn es Überschneidungen gibt (siehe Abbildung 2: die PEMM-Tristinktion). Zweitens gibt es, wie ich in meinem ursprünglichen Artikel aufführe, eine Vielzahl von Definitionen der mystischen Erfahrung, von denen viele heute mehr oder weniger ignoriert werden (zum Beispiel «jenseits von Gut und Böse»). Drittens argumentieren einige Gelehrte, dass es keine universelle, gemeinsame Kernerfahrung der Mystik gibt (zum Beispiel Einheit), sondern sie glauben vielmehr, dass die eigene Kultur diese Erfahrung selbst sowie die Interpretation bestimmt. Diese «Kontextualisten» glauben, dass die Kultur die Erfahrung bedingt; die «Perennialisten» auf der anderen Seite glauben, dass solche Erlebnisse von der Kultur entkoppelt sind. Ich denke, der Mittelweg trifft es hier wahrscheinlich am ehesten. Ein vierter Punkt ist die Frage, ob Drogen, selbst wenn man vom Perennialismus ausgeht, eine echte mystische Erfahrung hervorrufen können. R.C. Zaehner hat im Gegensatz zu Aldous Huxley und James immer argumentiert, dass sie das nicht können. Eine fünfte Frage ist, ob solche mystischen Erfahrungen als wahrhaftig (objektiv wahr) oder als

wahnhaft zu betrachten sind. Wenn Letzteres der Fall ist, ergibt sich sechstens ein ethisches Problem: die «Comforting Delusion Objection» (CDO) gegen die psychedelische Therapie: Ist es nicht unethisch, Menschen zu behandeln, indem man ihnen Wahnvorstellungen eingibt? Mein Problem mit diesem Einwand ist, dass er davon ausgeht, dass eine metaphysische Realität (in der Regel der Physikalismus) wahr ist, um auf dieser Grundlage andere metaphysische Positionen als falsch zu kritisieren (er setzt auch eine ethische Position voraus). Wir sind noch nicht in der Lage, dies zu tun, weil sich niemand darüber einig ist, was Realität ist! Ohne zu wissen, was Realität ist, können wir nicht ermessen, was als Täuschung zu betrachten ist. Das Geist-Materie-Problem oder das «schwierige Problem des Bewusstseins» zeigt, dass wir nicht wissen, wie sich die Beziehung zwischen Geist und Materie gestaltet. Die Optionen zur Beantwortung dieses Pro­blems sind die Elemente der metaphysischen Matrix (Physikalismus, Dualismus, Idealismus, Monismus usw.)

Ohne zu wissen, was Realität ist, können wir nicht ermessen, was als Täuschung zu betrachten ist. und somit der MMQ. Das Geist-Materie-Problem hält die metaphysischen Fragestellungen offen. Neurowissenschaftler, Psychiater, Therapeuten usw. sollten sich diese Beschränktheit unseres bisherigen Wissens in aller Bescheidenheit vor Augen halten. Auch hier gibt es keine neutrale Standardposition, auf die man sich einlassen könnte: Alle Positionen, einschließlich des Physikalismus, haben Argumente für und gegen sich. Ein siebtes Problem bei der Verwendung solcher Fragebögen zum Mystizismus in psychedelischen Studien ist, dass sie nicht geeignet sind, eine ganze Reihe von veränderten Bewusstseinszuständen zu erfassen. Metaphysische Erfahrungen fassen mystische Erfahrungen zusammen – das heißt, dass die meisten sogenannten «mystischen Erfahrungen» unter dem Begriff «Metaphysische Erfahrungen» eingeordnet werden können, letzterer jedoch mehr Erfahrungsarten umfasst. Beispielsweise verkündete Sir Humphry Davy nach der Einnahme von 200 Litern Lachgas eine idealistische Einsicht, doch solchen Erkenntnissen wird in Fragebögen zur Mystik schlichtweg keine Aufmerksamkeit geschenkt. 


1 0 8 Ü B E R DI E N O T W E N DIG K E I T V O N M E TA P H Y S I K

Metaphysik

Intellektuell

Systematik

Experimentell

Mystik

Doktrinell

Analytik

Abbildung 3

Man kann die «metaphysische Erfahrung» oder «Erfahrungsmetaphysik» von der «intellektuellen Metaphysik» unterscheiden: Letztere ist das, was man an der Universität studiert. Ersteres ist die Erfahrung, die mit bestimmten metaphysischen Systemen verbunden ist. William James schreibt zum Beispiel, dass «wir in der Lachgas-Trance eine echte metaphysische Offenbarung haben» (1902) . Deleuze erklärte, dass die metaphysische Position des Spinozismus (ein neutraler Monismus, alles ist Gott, aber ein freier Wille des Menschen existiert nicht) durch einen «außergewöhnlichen Denkapparat» oder durch eine «plötzliche Erleuchtung ... einen Geistesblitz»

Die Rekonzeptualisierung mystischer Erfahrung als metaphysische Erfahrung hat wesentliche Vorteile. erreicht werden kann. Dann ist es, als ob man entdeckt, dass man ein Spinozist ist» (1970). Siehe Abbildung 3: die Schnittstelle zwischen Metaphysik und Mystik. Die Rekonzeptualisierung mystischer Erfahrung als metaphysische Erfahrung hat zwei wesentliche Vorteile: Erstens erweitert sie das Netz, mit dem man die außergewöhnliche Erfahrung einer Person erfassen kann. Zweitens kann die metaphysische Erfahrung, da sie mit einer intellektuellen Rationalisierung verbunden ist, nun ausführlicher erörtert werden, wenn dies gewünscht wird, und sie muss außerdem nicht sofort als Wahnvorstellung abgetan werden. Erfahrungen auf Grundlage des Panpsychismus (der postuliert, dass alle Objekte geistige Eigenschaften besitzen) können zum Beispiel mithilfe des Spinozismus diskutiert werden. Ich schlage vor, dass eine solche Diskussion ein zusätzlicher und optionaler Teil der Integrationsphase der psychedelisch

Lucys Rausch Nr. 16

unterstützten Therapie sei. Ich vermute, dass die monistischen Gipfelerfahrungen, die nach neueren Erkenntnissen die größte therapeutische Kraft haben, durch eine weitere Diskussion in der Metaphysik-Integration verstärkt werden können. Indem man zeigt, dass solche Erfahrungen seriös und ernstzunehmend akademisch beleuchtet wurden, kann man außerdem verhindern, dass sie später als Wahnvorstellungen abgetan werden und so die langfristigen positiven Auswirkungen der Erfahrung auf den Teilnehmer fördern. Darüber hinaus kann die Präsentation dieser metaphysischen Optionen für die Therapeuten selbst jegliche ideologischen Dogmen, die sie möglicherweise hegen, abschwächen. Nochmals: Metaphysische Erfahrungen sollten unter Rückgriff auf die Metaphysik integriert und verstanden werden. Ich sage «zusätzlich und optional», weil nicht alle psychedelischen Erfahrungen metaphysisch sind, nicht alle Menschen diese tiefgründigen Themen besprechen wollen und es die therapeutische Praxis im Allgemeinen natürlich nicht ersetzen sollte – es sollte lediglich ein zusätzliches Werkzeug sein, das Therapeuten nutzen können. Die psychedelisch unterstützte Therapie unterscheidet sich von anderen Formen durch die Einbeziehung metaphysischer Erfahrungen, aber die Therapeuten, vor allem in den englischsprachigen Ländern, sind meist nicht in Metaphysik ausgebildet. Hier kann die Philosophie also aus ihrem theoretischen Elfenbeinturm heraustreten und sich in der Praxis bewähren. Die eigentliche praktische Umsetzung wird einen Kurs für Therapeuten und ein dazugehöriges Metaphysik-Handbuch umfassen – ein Projekt, das ich derzeit in Angriff nehme. Es ist nicht einfach, komplexe metaphysische Positionen an Personen zu vermitteln, die diese noch nie studiert haben, aber ich glaube, dass die nützlichen Grundlagen durchaus ausgedrückt werden können – der MMQ bemüht sich, mit einer entsprechenden Vermittlung zu beginnen, aber es gibt in dieser Hinsicht noch viel zu tun. Jedenfalls sehen wir hier die potenzielle Harmonie, die sich einstellen kann, wenn die «psychedelische Wende» und die «metaphysische Rückkehr» des 21. Jahrhunderts zusammenkommen . Peter Sjöstedt-Hughes ist Philosophie-Professor an der Universitat von Exeter. lucys-magazin.com/autoren-sjöstedt-hughes Studie: Sjöstedt-Hughes, Peter (2023), On the need for metaphysics in psychedelic therapy and research, Front. Psychol. 14: 1128589. doi: 10.3389/ fpsyg.2023.1128589 (inkl. Literaturliste)


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Die Muscimolhaltigen Pilze

Mukhomor, Ibo-Tengu–Take, Haetori-­ Shimeji, Miskwedo, Tzontecomananácatl, Kakuljá Hurakan, Fliegenpilz TEXT

E

Jo n a t h a n O t t

in schwedischer Oberst, Philipp Johann von Strahlenberg, der zwölf Jahre lang in Sibirien in Kriegsgefangenschaft war, war der Erste, der einen Bericht über die Verwendung von Mukhomor oder Amanita muscaria bei den Koryaken veröffentlichte (1730 in Stockholm und 1736 in London) . Er beschrieb, wie die Koryaken die getrockneten Pilze rehydrierten: «Dann trinken sie den Likör, der sie berauscht», und fügte ein weiteres sensationelles Detail hinzu: Die Armen sammelten den Urin der berauschten Wohlhabenden, den sie eifrig tranken, «und auf diese Weise werden sie auch betrunken». Mukhomor ist nach wie vor der volkstümliche Name im Russischen für den «Fliegenpilz». Der archaischste Name ist Pa, der sprachlich mehr als sechs Jahrtausende zurückreicht; und Petroglyphen in der Nähe des Pegtymel-Flusses in der Nähe des Tschuktschi-Gebiets deuten auf eine drei Jahrtausende alte Verwendung hin.* Mehr als 20 Veröffentlichungen bestätigten diesen bahnbrechenden Bericht und zitierten diese ludische Praxis bei den Koryak, Tschuktschen, Yukagir und Kamtschadal auf der Halbinsel Kamtschatka sowie bei verschiedenen Stämmen in Zentralsibirien zwischen den Flüssen Ob

und Jenissei. Erst 1890 veröffentlichte Karl von Ditmar in Sankt Petersburg die Information, dass die Schamanen der Korjaken «sehr begierig» waren, den Pilz zu konsumieren, «um in einen Stupor zu geraten, der dem völligen Wahnsinn ähnelt» (ebenfalls 1897 von Serafim Keropovich Patkanov bei den IrtyschOstjaken bestätigt — obwohl die schamanische Verwendung des Mukhomor später hauptsächlich von Waldemar Jochelson und Vladimir Germanovich Bogoraz während der Jesup-Nordpazifi -Expedition des American Museum of Natural History in New York dokumentiert und in deren enzyklopädischen Memoiren von 1905 veröffentlicht wurde). Dennoch waren es drei wegweisende Bücher über die «schamanische Ethnopharmakognosie» (The Chemistry of Common Life von James F. Johnston, Die narkotischen Genussmittel und der Mensch von Ernst Freiherr von Bibra — beide von 1855 — und The Seven Sisters of Sleep von Mordecai Cubitt Cooke von 1860), die diese psychoptischen Pilze in die wissenschaftliche und populäre Welt einführten. Darüber hinaus war es das Kinderbuch von Charles Lutwidge Dodgson (oder «Lewis Carroll»), Alice’s Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland) , von 1865

* Diese Petroglyphen stellen anthropomorphe Figuren dar, aus deren Köpfen Pilze herauswachsen. Was die Sprachwissenschaft betrifft, so leiten sich die Wörter für Rausch in verschiedenen sibirischen Sprachen von Pa, dem Namen für Amanita muscaria, ab: Sie bedeuten «bepilzt». Genauso wie die Europäer hochmütig sagten, dass die Wilden von den Pilzen «betrunken» wurden, sagten die Sibirier, dass die europäischen Unmenschen «bepilzt» wurden, nachdem sie ihren Schnaps getrunken hatten! Die Wurzel des Wortes Pa ist den Sprachen des samojedischen und des finno-ugrischen Zweiges ist dieselbe: Das bedeutet, dass es ihrer Abspaltung vom Proto-Uralischen vor mindestens sechs Jahrtausenden vorausgeht! Ich habe in letzter Zeit häufig gelesen, dass enschen «betrunken», ja, «besoffen» wurden ... nachdem sie Pilze konsumiert hatten!


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Amanita muscaria (Habitat). Foto: Lukas Riebling

(inspiriert durch die Lektüre dieses Buches durch den Mykologen Cooke), das sie unauslöschlich in die Vorstellungswelt der Bevölkerung einprägte. 1869 veröffentlichten O. Schmiedeberg und R. Koppe in Leipzig das Buch Das Muscarin über ihre multidisziplinären Untersuchungen des Alkaloids Muscarin, das in winzigen Spuren aus größeren Mengen von Amanita muscaria isoliert wurde. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts galt Muscarin (zusammen mit Nikotin, dem Hauptalkaloid der NicotianaArten) als prototypisches neuroaktives Molekül (diese definieren gegensätzliche Wirkungen an den Rezeptoren des primären Neurotransmitters an den neuromuskulären Knotenpunkten: Acetylcholin) . Doch erst mit der Erfindung der «Ionenaustauscherharze» in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, das eigentliche psychoptische Prinzip dieser Amanitae zu isolieren, was gleichzeitig in drei Labors gelang: in Japan, England und der Schweiz.

Ibotensäure

Muscimol

Es war T. Takemoto, der den Wirkstoff aus A. strobiliformis, auf Japanisch Ibo-Tengu-Take («warziger Tengu-Pilz»: in der japanischen Folklore sind die Tengu schelmische Zwerge, die mit den Pilzen in Verbindung gebracht werden) , als Erster isolierte und ihn Ibotensäure nannte. Spätere Studien führten zur Identifizierung einer zweiten Verbindung — Muscimol — als Produkt der Decarboxylierung 


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der (labilen) Ibotensäure, einer Aminosäure mit einem in der Chemie ungewöhnlichen Ring namens Isoxazol (fünf Atome: drei Kohlenstoffe; Sauerstoff- und Stickstoffatome aneinandergereiht). Wir wissen jetzt, dass das physiologische psychoptische Prinzip Muscimol ist, das als Droge eine etwa zehnfach höhere Potenz als Ibotensäure aufweist (Schwellendosis von 5 bis 10 mg; gegenüber 50 bis 100 mg für die Stammverbindung). Ibotensäure ist ein Agonist der Glutaminsäurerezeptoren — der häufigsten Klasse von Erregungsrezeptoren im Zentralnervensystem —, während Muscimol ein Agonist eines anderen GABA- oder-Aminobuttersäure­ rezeptors ist, eines wichtigen Hemmungsrezeptors des zentralen Nervensystems (dazu gehört auch der Benzodiazepin-Rezeptor) . Überdies ist Ibotensäure ein Analogon von MNG (Mononatriumglutamat) und löst wie dieses eine besondere Reaktion auf der Zunge aus, die glutamaterge Rezeptoren aufweist — es handelt sich um den fünften Grundgeschmack, den die Japaner umami nennen. Derselbe A. muscaria – auf Japanisch Beni-Tengu-Take («scharlachroter Tengu-Pilz») , auch als Tricholoma muscarium oder Haetori-Shimeji bekannt («Fliegenkiller-Pilz»: er enthält ebenfalls Dihydro-Ibotensäure) – ebenso wie die Alge, die ursprüngliche Quelle von MNG, und andere Kräuter werden in Japan seit jeher als «Geschmacksverstärker» verwendet. Ein dritter japanischer Pilz wird mit dem Tengu in Verbindung gebracht: Amanita pantherina (Tengu-Take), alle drei «Tengu-Pilze» enthalten Ibotensäure/Muscimol, die psychoptisch wirken. Es ist offensichtlich, dass die Verwendung von visionären Pilzen in Japan Tradition hatte. Wir sehen nicht nur diese Assoziation zwischen drei psychotropen Amanita-Arten und den Tengu — den «schamanischen Geistern» schlechthin —, auch die volkstümlichen Namen für verschiedene psilocinische Arten [siehe Teil II dieses Artikels, der in Lucys Rausch Nr. 17 erscheinen wird] weisen eindeutig auf eine Anerkennung ihrer Psychoaktivität hin: Mai-Take (oder «der TanzPilz»); Shibire-Take («der betäubende Pilz») ; und Warai-Take («der Lächel-Pilz»). Alle diese Pilze enthalten Psilocin und verwandte visionäre Tryptamine. Darüber hinaus berichtet das Konjaku Monogatari (d. h. «Geschichten aus längst vergangenen Zeiten») aus dem 11. Jahrhundert von buddhistischen Nonnen und einer Gruppe verirrter, hungernder Holzfäller, die diese Mai-Take genießen. Bislang sind Ibotensäure und Muscimol von mindestens sieben Arten bekannt: In der Gattung

Amanita strobiliformis. Foto: Podani2

Amanita — A. cothurnata; A. gemmata; A. muscaria; A. pantherina; A. regalís; A. strobiliformis — sowie von Tricholoma muscarium. Dihydro-Ibotensäure (Synonym: Tricholomsäure), deren psychoaktive Wirkung noch unklar ist, ist von drei Arten bekannt: Tricholoma muscarium, Tricholomopsis rutilans und Pleurotus ostreatus. [Alle drei tricholomischen Pilze gehören zu den sehr geschätzten Speisepilzen, ebenso wie Amanita muscaria und Amanita pan­ therina!] In seinem bahnbrechenden Buch von 1855 hatte James F. Johnston nach der Beschreibung der visionären Wirkungen des sibirischen Amanita muscaria kommentiert: «Wir haben in diesem Teil Europas noch keine Erfahrung mit so bemerkenswerten Effekten wie diesen, die von irgendeiner Pilzart erzeugt werden.» Ja, er hatte absolut recht! Die nicht-traditionelle Verwendung von A. muscaria und A. pantherina — insbesondere für ludische oder spirituelle Zwecke — begann Mitte des 20. Jahrhunderts. Es handelte sich um zwei revolutionäre Bücher (eines von der Pädiaterin Valentina Pavlovna Guercken-Wasson und ihrem Ehemann, R[obert] Gordon Wasson, Mushrooms Russia and History, von 1957; dann ein weiteres, von R.G. Wasson allein, Soma: Divine Mushroom of Immortality, 1968) , die diese rätselhafte Geschichte des sibirischen Mukhomor beleuchteten und unser erneutes Interesse am Schamanismus und vor allem an schamanischen Rauschmitteln weckten. Eine phantastische Erzählung von Andrija Puharich, The Sacred Mushroom: Key to the Door of Eternity


Lucys Rausch Nr. 15 16

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Schmackhafter Blütenzauber. Foto: Shutterstock

Amanita pantherina (Habitat). Foto: Archiv Berger

(dt. Der heilige Pilz: Schlüssel zur Pforte der Ewigkeit, 2020) von 1959, war das erste «populäre Buch» (beide Bücher der Wassons erschienen als teure, limitierte Auflagen)über die psychoptischen Amanitae, obwohl es in Wirklichkeit keine zuverlässigen Informationen bot. Ich vermute, dass die nicht-wissenschaftlichen Experimente mit Amanita-Arten zu Beginn des «Psychedelic Sixties»-Jahrzehnts begannen. Ich selbst habe sie 1973 zum ersten Mal eingenommen, zusammen mit Ibotensäure und Muscimol in kristalliner Form (die ich aus A. pantherina isoliert hatte) . Ebenso habe ich das Phänomen der Wiederverwertung von Muscimol durch den Urin eines Konsumenten dieser Pilze biochemisch nachgewiesen. [Dies ist nicht ungewöhnlich und wird mit zahlreichen natürlichen Psychoaktiva so praktiziert, unter anderem bei Psilocybin/Psilocin.] Ich habe A. muscaria und A. pantherina eingenommen: beide aus Nord- und Südamerika. [Auf Puharichs Buch folgte das eines anderen Angebers, John

Allegro: The Sacred Mushroom and the Cross. Diese Bücher von Puharich und Allegro sind nichts als reinste, angeberische Phantasie]. Außer in Sibirien und Japan wurde A. muscaria, soweit wir wissen, nur im Gebiet der Großen Seen zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten von den Algonquin-Völkern, der Ahnishinaubeg-Nation (unter dem Namen Miskwedo) sowie von den Nahua- und Maya-Völkern in Mesoamerika schamanisch verwendet. Ökologisch gesehen gab es die gesamte Gattung Amanita in Südamerika erst nach dem Kontakt und der Einführung der europäischen Bäume (sie sind Mykorrhizapilze, d.h. sie leben mit den Wurzeln bestimmter Baumarten zusammen — für den Pilz ist dies obligatorisch; die Bäume können ohne die Pilze schlecht überleben). In Náhuatl wird A. muscaria Tzontecomananácatl oder «Schädelpilz» genannt (die Amanitae sprießen aus einer Vulva oder einem «Ei», das wie ein Schädel aussieht) : Es ist wahrscheinlich, dass sie in 


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Lucys Rausch Nr. 11

Trichomolopsis rutilans. Foto: Strobilomyces

getrockneter Form mit Acáyetli oder «Tabakrohren» geraucht wurden (Ácatl ist das Phragmites-Rohr; Yetl ist Tabak): wie von Bernardino de Sahagún 1569 in seinem monumentalen Florentiner Kodex beschrieben. Für die Maya (Quiché und andere) scheint A. muscaria ihr wichtigstes Entheogen gewesen zu sein, und zwar unter dem Namen Kakuljá Hurakan oder «EinfußBlitzschlag» (wie aus dem Popol Vuh hervorgeht, einem kolonialen Dokument in Quiché, das von Francisco Ximénez zu Beginn des 18. Jahrhunderts geschrieben worden war). Es ist erwähnenswert, dass die schamanische Verwendung von A. muscaria weder bei den Quiché noch bei irgendeiner anderen Maya-Gruppe ethnomykologisch dokumentiert ist ... obwohl die Quiché-Maya ihn immer noch Kakuljá oder «Blitzstrahl» nennen. [In Indien wird Soma (wahrscheinlich A. muscaria) Aja Ekapad genannt: «ungeborener Einfuß». Die Quiché benutzten ebenfalls psilocinische Pilze: als Chipi Kakuljá oder «Zwergblitz»; sowie die Samen von Turbina corymbosa als Raxa Kakuljá oder «Grüner Blitz»: Dies ist die Quelle der entheogenen Samen (Lysergsäure-Alkaloide), bekannt als Ololiuqui in Náhuatl und Xtabentún in Maya. Auch die Verwendung von Psilocin-Arten durch die Quiché ist nicht dokumentiert, obwohl die schamanische (und andere ethnomedizinische) Verwendung von Xtabentún durch die Maya gut belegt ist].

Zwischen 1966 und 1980 wurden verschiedene Bücher und Artikel publiziert, die sich mit der ludischen Verwendung von Amanitae befassten, aber keine, die eine weite Verbreitung hatten oder von besonderem Wert waren. Es hat den Anschein, dass sich die wenigen von mir beobachteten modernen Verwendungsmöglichkeiten durch «Mundpropaganda» verbreitet haben. Normalerweise wurden diese Pilze frisch verzehrt, obwohl sie durch Trocknung (durch Decarboxylierung der Ibotensäure zu Muscimol — die Sibirier haben sie immer getrocknet) an Wirksamkeit gewinnen — ich war Zeuge, dass das Rauchen von getrockneten Amanitae funktioniert; ich konnte auch Muscimol im Rauch nachweisen. Andererseits sind die frischen Pilze, wie alle Amanitae, eine Delikatesse (sogar die tödlich giftigen A. phalloides: einige Konsumenten haben geschworen, dass dies die besten Pilze waren, die sie je gegessen haben — selbst wenn es ihr letztes Abendmahl war!). Ich empfehle, sie in Scheiben zu schneiden, mit Butter zu braten und dann auf geröstetem Brot zu essen: Selten können wir den Geschmack eines Entheo­gens genießen, und wir sollten diese Gelegenheit nicht verpassen! [Sowohl der A. muscaria in Japan als auch der A. pantherina im US-Bundesstaat Washington werden als Speisepilze gesammelt und


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Pleurotus ostreatus. Foto: CC-BY-SA 3.0

Pleurotus ostreatus. Foto: Archiv Berger

dann in Gläsern konserviert. Sie dürfen nicht mit Zwiebeln oder Knoblauch gebraten werden: Die Schwefelverbindungen in beiden übertünchen den Geschmack der Ibotensäure.] Hier eine Mahnung: Der Dosierungsbereich ist eng. Mit 50 bis 100 Prozent mehr als der durchschnittlichen psychoptischen Dosis gerät man in einen schläfrigen und unbewussten Zustand und verpasst die Erfahrung! Ich empfehle, mit nur der Hälfte eines Pilzes zu beginnen, um deren Potenz abschätzen zu können, die sehr variabel sein kann. In einer Gruppe sollte ein Freiwilliger den Anfang machen und dann sollte man zwei Stunden warten, bis sich die Wirkung voll entfaltet hat. Wenn man den Pilz alleine einnimmt, sollte man ihn bis zum Tag des Konsums im Kühlschrank aufbewahren, falls eine stärkere Wirkung gewünscht wird. Die Wirkung ist langanhaltend — acht Stunden oder sogar länger — und ist nicht vergleichbar mit

der anderer Psychopticae. Die hier besprochenen Pilze trüben zwar nicht das Bewusstsein, haben aber periphere Wirkungen ähnlich dem Alkohol: Sie können zu Verwirrtheit und/oder Ataxie führen. Daher ist es wichtig, sie zuhause oder an einem anderen sicheren und geschützten Ort zu konsumieren, wo man sich in Ruhe zurücklehnen kann. Eine letzte Warnung: Einige Sorten von A. muscaria können beträchtliche Mengen an Muscarin enthalten (was zu Tränenfluss, Speichelfluss und Schwitzen führen kann) , was unangenehm sein kann, wenn auch nicht gefährlich ist. Ich empfehle eher den (braunen) Amanita pantherina, der kein Muscarin enthält und, zumindest in Nordamerika, tendenziell viel potenter ist als sein berühmterer scharlachroter Verwandter, Amanita muscaria … Mukhomor, Ibo-Tengu-Take, Miskwedo, Tzontecomananácatl, Kakuljá Hurakan oder Fliegenpilz. lucys-magazin.com/autoren/Ott/


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IMPRESSUM Lucys Rausch Nr. 16 November 2023 ISBN 978-3-03788-416-4 ISSN 2296-8695 Lucys Rausch erscheint in der Regel zweimal jährlich. Nächste Ausgabe: Frühling 2024 Herausgeber Roger Liggenstorfer Nachtschatten Verlag AG Kronengasse 11 CH-4500 Solothurn Fon: +41 32 621 89 49 info@nachtschatten.ch www.nachtschatten.ch www.lucys-magazin.com Chefredaktion Markus Berger markus@lucys-magazin.com Redaktion Roger Liggenstorfer roger@lucys-magazin.com Bild- und Textredaktion Nina Seiler nina@lucys-magazin.com Mitarbeit an dieser Ausgabe Mirko Berger, Hans Cousto, Stanislav Grof, Stefan Haag, Christine Heidrich, Roman Maas, Annemarie Meyer, Claudia Müller-Ebeling, Anya Oleksiuk, Jonathan Ott, William Leonard Pickard, Surendra Puri, Christoph Roßner, Giorgio Samorini, Susanne G. Seiler, Peter Sjöstedt-Hughes, Jean-Francois Sobiecki, Stefan Theurer

Korrektorat Inga Streblow, Jutta Berger Layout Nina Seiler (Art Director), Silvia Aeschbach Umschlaggestaltung Nina Seiler Anzeigen werbung@lucys-magazin.com Administration Caro Lynn von Ow caro@nachtschatten.ch Abo-Verwaltung Lukas Emmenegger lukas@lucys-magazin.com Büro Deutschland Jutta Berger jutta@lucys-magazin.com Bankverbindungen Schweiz Regiobank Solothurn Konto-Nr.: 443.213.16.114 IBAN: CH20 0878 5044 3213 1610 8 BIC: RSOSCH22 Deutschland Postbank Hamburg Konto-Nr. 969 792 202 IBAN: DE35 2001 0020 0969 7922 02 BIC: PBNKDEF, Vermerk: Lucys Rausch

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Lucys Rausch ist im Kiosk-, Presse- und Buchhandel sowie in folgenden Head- & Growshops erhältlich (Stand Oktober 2023):

SCHWEIZ BASEL Sibannac GmbH, Güterstr. 138 (im Hinterhof), 4053 Basel Gaia Media Lounge, Hochstrasse 70, 4053 Basel BERN Secret Nature, Kramgasse 68, 3011 Bern, secret-nature.ch • KALISHA, Rathausgasse 47, 3011 Bern, www.kalisha.ch LUZERN Artemis GmbH, Murbacherstrasse 37, 6003 Luzern MUTTENZ ethnobotanika GmbH, Hüslimatt­ strasse 50, 4132 Muttenz, www.ethnobotanika.ch SOLOTHURN Babacool, Löwengasse 4, 4502 Solothurn, babacool.ch • Nacht­schatten

Shop, Kronengasse 11, 4500 Solothurn, nachtschatten.ch

AMBERG Coffeeshop, Georgenstr. 45, 92224 Amberg, www.coffee-shop-amberg.de

ST. GALLEN BREAKshop, Gaiserwaldstrasse

BERLIN Buchladen Schwarze Risse,

16a, 9015 St. Gallen, www.breakshop.ch THUN Secret Nature, Obere Hauptgasse 11,

3600 Thun, secret-nature.ch Thuner Hanf Center, Burgstr. 37, 3600 Thun, www.thunerhanfcenter.ch ZÜRICH Bio Top Center GmbH, Konrad­str. 28,

8005 Zürich, biotop-zuerich.ch • Grünhaus AG, Herostr. 7, 8048 Zürich, gruenhaus-ag.ch DEUTSCHLAND ALFTER Mojamba, Pelzstrasse 30, 53347 Alfter, www.mojamba.det ALTENMEDINGEN Kudra NaturBewusstSein, Im Dorfe 1B, 29575 Altenmedingen-Bohndorf, kudra.net

Gneisenau­str. 2a, 10961 Berlin • Kaya Foundation, Schliemannstr. 26, 10437 Berlin, kayagrow.de • Klaus der Gärtner, Straßmannstr. 1, 10249 Berlin, klausdergärtner.de • Queenz Einzelhandel, Dudenstr. 32a, 10965 Berlin, www.420queenz.de • Sensatonics, Teilestr. 11-16, T.0, 12099 Berlin, sensatonics.de • Verdampftnochmal, Karl-Kunger-Str. 28, 12435 Berlin, verdampftnochmal.de • Zabriskie, Manteuffelstr. 73, 10999 Berlin, www.zabriskie.de BRUCHSAL Planet Blunt, Bannweideweg 4, 76646 Bruchsal, planet-blunt.de DÜSSELDORF White Rabbit, Dorotheenstraße

82, 40235 Düsseldorf, headshop-white-rabbit.de


VORSCHAU

Nr. 1 7

Frühling 2024 Cannabis-Spezial Hanf legal • Rausch & Anbau • Landwirtschaft & Industrie

Jonathan Ott: Die psilocinhaltigen Zauberpilze Fortsetzung des Artikels aus Ausgabe 16

Wissenschaft: Ayahuasca gegen Depressionen Schamanische Medizin für die Seele

Tim Learys Archivar: Michael Horowitz Eine psychonautische Legende im Gespräch

Fotos: Adobe Stock (3), zvg (2)

Giorgio Samorini und Adriana D‘Arienzo: Psychedelische Therapie in Italien Übersicht über neue psychologische Ansätze sowie zahlreiche Beiträge zu Psychedelik, Rauschkunde, Psychonautik, Ethnobotanik und Drogenpolitik ... HAMBURG Zaubertrank, Mexikoring 11a,

22297 Hamburg, zaubertrank-hamburg.de • Udopea Hamburg, Schanzenstrasse 95, 20357 Hamburg MAINZ Der Hänfling, Gärtnergasse 5,

NÜRNBERG Aeroponik Systems, Austr. 71, 90429 Nürnberg • Inzider’s Metalhead Greenpoint, Vordere Sterngasse 15, 90402 Nürnberg REUTLINGEN HanfHaus Reutlingen,

55116 Mainz, derhaenfling.de

Weingärtnerstr. 27, 72764 Reutlingen, hanfhaus-reutlingen.de

MALSCH Kalidad Grow- & Headshop, Am

ROSSDORF Syntropia, Industriestr. 20,

Bahnhof 6, 69254 Malsch, www.kalidad.de MANNHEIM New Asia Headshop, F1, 10

(Nähe Paradeplatz), 68159 Mannheim, www.new-asia-headshop.de Bock Shop GmbH, Keplerstr. 33, 68165 Mannheim, www.bock-shops.de MARBURG Sirius Buchhandlung, Barfüßer-

str. 13, 35037 Marburg, thefinalembrace.de

64380 Roßdorf, syntropia.de, www.rauschkunde.net ULM Hanf-Lager Ulm, Zinglerstraße 1,

89073 Ulm, hanflager.de WIESBADEN Supporter Wiesbaden, Boris

Kolodziej, Blücher Straße 6, 65195 Wiesbaden, www.supporter-wiesbaden.de WITZENHAUSEN Kiosk Storno, Ermschwerderstraße 2, 37213 Witzenhausen

ÖSTERREICH WIEN Querbeet, Neubaugasse 71, 1070 Wien, http://querbeet.at Interessierte Shops können sich bei uns melden – sie werden mit Plakaten und Verkaufshilfen unterstützt und hier im Heft wie auf der Webseite aufgeführt. Aktualisierte Liste unter lucys-magazin.com/verkaufsstellen/ In Deutschland findet man Lucys Rausch über mykiosk.com.


Berauschend!

ung für die Preissenk 1–9 Ausgaben

Alle bisherigen Ausgaben sind noch einzeln oder im Set lieferbar! Ausgaben Nr. 1–9: jeweils € 10.–/ Fr. 12.–, ab Ausgabe Nr. 10: € 14.80 / Fr. 18.50 Nr. 3/ Frühjahr

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ISBN 978-3-03788-401-0 ISSN 419896701480501 2. Auflage

Ayahuasca HR Entheogen, Giger – Das Heilmittel und Lebenshilfe grosse Interview Akasha Project Absinthe im Interview – Besuch im Val-de-Travers Die Kunst des Luke Legal Highs – Falsche Brown Claudia Müller-Ebeling Perspektiven Alexander El T. Shulgin Pepe – oder Pate des MDMA die Verbesserung der Welt Tanzkultur und Albert Transformation Hofmann – Ein GesprächRoberdo Raval mit Drug,LSD-Entdecker Set und Setting dem Alex Bücheli

Lucys Nr. 3

Lucys Nr. 5

ISBN 978-3-03788-403-4 ISSN 419896701480503

ISBN 978-3-03788-405-8 ISSN 419896701480505

Kultur HANF + KUN

Lucys Nr. 2

S T + PA R T Y + E T H N O B O TA

ISBN 978-3-03788-402-7 ISSN 419896701480502

NIK

Lucys Nr. 8

Alchemistische nach mit Ralph Metzner – Ein Gespräch Albert HofmannDivination Der Herr der Blotter: Mark McCloud dem LSD-Entdecker

Nr. 10 / Herbst 2019

NUR NICHT DEN SPASS

Lucys Nr. 9

GIZEH BLACK® Active Filter Mit gereinigter Aktivkohle aus Kokosnuss-Schalen. Speziell für den King-Size-Genuss entwickelt.

Lucys Nr. 10

Frauen in der Psychedelik • Christian Rätsch: Psychedelische Paläontologie • Erinnerungen an Ralph Metzner • Froschmedizin aus dem Regenwald: Kambô • Torsten Passie & Markus Ber­ ger: Microdosing • Cannabis • Kakao­Zeremonien

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Ralph Metzner: Leben für die Psychedelik HR Giger – Das grosse Interview Kambô: –Froschmedizin aus dem Regenwald Besuch im Val-de-Travers Absinthe Christian Psychedelische – Falsche Perspektiven Paläontologie Legal HighsRätsch: Indica vs. Sativa der Welt die Verbesserung ElCannabis: Pepe – oder Microdosing: Sinn und Unsinnmit – Ein Gespräch Albert Hofmann Kakao-Zeremonien: dem LSD-Entdecker Alltagsdroge und Rituale

H A N F + K U N S T + PA R T Y + E T H N O B O TA N I K

H A N F + K U N S T + PA R T Y + E T H N O B O TA N I K

Nr.8 / Herbst 2018

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ISBN 978-3-03788-408-9 ISSN 411986701480508 FILTERT VIELES,

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Bufo alvarius - Der Film zur Colorado-Kröte Perspektiven Legal Highs – Falsche Kunst: Klarweinder Welt die Mati Verbesserung ElVisionäre Pepe – oder

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

ISBN 978-3-03788-475-1 ISSN 419896701480507

Jeremy Kulturgeschichte HR GigerNarby: – Das grosse Interview des Rauschs Christian– Rätsch: Psychedelische Paläontologie Besuch im Val-de-Travers Absinthe

CHF 18.50 / € (D) 14.80 / € (A) 15.30

Psychoaktive Pflanzen Christian Rätsch: Ayahuasca-Oper Psychoaktive Orchideen Erfahrungen mit CBD Psilocybin & Meditation MDMA-Untergrundproduktion Hans Plomp im Interview

Lucys Nr. 7

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

ISBN 978-3-03788-409-6 ISSN 411986701480509

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Lucys Nr. 12

Schwerpunkt: Hanf • Die Ge­ schichte der Wasserpfeifen • Heilmittel Cannabis • Ayahuasca­ tourismus in Peru • Psychoakti­ ver Honig • Ethnobotanik: Kra­ tom • Guru Guru Mani Neumeier

ISBN 978-3-03788-411-9 ISSN 411986701480511 128 Seiten

Lucys Nr. 14

ISBN 978-3-03788-414-0 ISSN 411986701480514 120 Seiten

Das Magazin für psychoaktive Kultur

WISSENSCHAFT

Christian Rätsch: Rausch der Götter MDMA-Therapie bei PTBS Kochen mit Cannabis

ALBERT HOFMANN

80 Jahre LSD

HINWEIS: Enthält keine illegalen Substanzen cover_lucys_15_GzD2.indd 1

Taschen, Postkarten, Blotter, Papers etc.

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Lucys Nr. 13 Psychedelische Renaissance • Cannabisanbau für Ambitio­ nierte • Wege in die Drogenmün­ digkeit • Kontrollierte Heroin­ vergabe • Sensi­Seeds­Gründer Ben Dronkers im Interview • «Psilocybin­Zen¸

WISSENSCHAFT

Cannabisanbau für Ambitionierte Schamanismus und Bewusstseinsveränderung

Kontrollierte Heroinvergabe

ISBN 978-3-03788-413-6 ISSN 411986701480513 120 Seiten

WISSENSCHAFT

Psychedelische Renaissance: Die vierte Welle

Nr. 1–11 im eBundle 11 Ausgaben zum Spezialpreis

im digitalen eBundle

für nur € 50.– | Fr. 55.– (Normalpreis: € 76,89 / Fr. 86.90)

Elfen-Aktion 10 Ausgaben (Nr. 1–10) plus Buch «LSD. Kulturgeschichte von A–Z» für nur € 100.– | Fr. 120.– (Normalpreis: € 172,80 / Fr. 214.80)

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plus ein Sammelschuber orange, lila oder rot für € 80.– | CHF 90.– (Normalpreis: € 135,90 / Fr. 167.80)

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Lucys Rausch abonnieren: lucys-magazin.com/abo

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KULTUR

Lucys Nr. 15

ISBN 978-3-03788-415-7 ISSN 411986701480514 120 Seiten

Happy Bicycle Day

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ISBN 978-3-03788-410-2 ISSN 411986701480510 120 Seiten

06.01.22 14:28

Happy Bicycle Day: 80 Jahre LSD­ Erfahrung • Rückkehr der Lyserg­ amide • Torsten Passie: LSD­Fak­ ten und Kuriosa • Bruno Martin: LSD in Deutschland • Christian Rätsch: Der Rausch der Götter • Rick Doblin: MDMA­Therapie bei PTBS • Kochen mit Cannabis

KULTUR

Nr. 15 | April 2023

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ETHNOBOTANIK

Forum für veränderte Bewusstseinszustände Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Schwerpunkt; Psychoaktive Pilze • Psilocybin vs. Antidepressiva • Flie­ genpilz­Rituale • Merlin Sheldrake • Cannabis und Spiritualität • Psyche­ delische Ritualmusik • Räuchern im Schamanismus • Begegnungen mit DMT­Wesen • In memoriam Chri­ stian Rätsch 1957 – 2022

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Das Magazin für psychoaktive Kultur

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Nr. 15 April 2023 Fr. 18.50 | € (D) 14,80 | € (A) 15,30

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Nr. 13 Frühling 2022 Fr. 18.50 | € (D) 14,80 | € (A) 15,30

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Nr. 12 | Sommer 2021

ISBN 978-3-03788-412-9 ISSN 411986701480512 128 Seiten

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ETHNOBOTANIK

Forum für veränderte Bewusstseinszustände Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Schwerpunkt: Regulierter Rausch • Stanislav Grof: Der Weg des Psycho nauten • Cannabis­Legali­ sierung weltweit • Der Fliegenpilz • Visionäre Kunst: Fred Weidmann • Die Technik des Slow Dosings • Psychedelisches Yoga • Annähe­ rungen an psychoaktive Pflanzen

ISBN 978-3-03788-407-2 ISSN 419896701480506

ISBN 978-3-03788-404-1 ISSN 419896701480504

Nr. 10/ Herbst 2019

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

CHF 18.50 / € (D) 14.80 / € (A) 15.30

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

CHF 1 8.50 / € (D) 14.80 / € (A) 15.30

Nr. 9/ Frühjahr 2019

Nr. 8 / Herbst 2018

DAS WELTWEITE CANNABIS-VERZEICHNIS SEIT 2008

Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Lucys Nr. 6

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Alle Ausgaben r (digitaler auch als E-Pape ältlich! Download) erh

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Lieferbar in den Farben Orange, Lila und Rot Fr. 19.80 | € 17,50


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Nr. 16 November 2023 Fr. 18.50 | € (D) 14,80 | € (A) 15,30

HANF

Das Magazin für psychoaktive Kultur

ETHNOBOTANIK

KULTUR

WISSENSCHAFT

Forum für veränderte Bewusstseinszustände Gesellschaftsmagazin für psychoaktive Kultur

Das Ende des HanfVerbots? Psychedelik im Hinduismus Pilzreise durch Mexiko

Nr. 16 | November 2023

Berauschte Comics Visionäre Bildergeschichten von Steve Stoned, Gerhard Seyfried, Gilbert Shelton und Ivan Art


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