ROMA-NASTASIA NEBEL BACHELORTHESIS SZENOGRAFIE WINTERSEMESTER 2021/2022
Roma-Nastasia Nebel 872 Tage
Ich bin in einem Spiegelkabinett und irgendwo hier drin bist du. Eigentlich bist du überall, hinter jeder Tür, aber immer nur ein Fetzen von dir, gesehen durch meine Augen. Wahllos stoße ich eine der Türen auf und da sitzt du, höchstens sechs Jahre alt und lächelst mich an, wie nur du das konntest. Entschuldige, kannst. Ich habe es bloß lange nicht gesehen. Auf der anderen Seite des kleinen Raumes sitze ich, höchstens acht, aber ich beachte mich kaum. Ich schaue, so lange ich kann, in dein strahlendes Gesicht und höre deiner lispelnden Kinderstimme zu, wie sie versucht viel zu viel zu sagen, bevor sich die Tür wieder schließt. Sie fällt ins Schloss. Meine Brust wird eng. Ich irre weiter durch die Gänge voller Spiegel, die mich zwingen mich selbst anzusehen, bevor ich die nächste Tür aufstoßen kann. Dahinter ist es dunkel und laut und voll mit Menschen, die ich noch nie gesehen habe. Irgendwo da drin bist du, mindestens betrunken, und küsst ein Mädchen, das ich nicht kenne. Unsere Blicke treffen sich nicht. Mir wird schwindelig. Ich schließe die Tür.
„Wo bist du?“ hallt meine verzweifelte Frage durch die verzweigten Gänge. Als Antwort trifft mich nur mein eigener Blick, aus unzähligen Winkeln, und zum ersten Mal schließe ich die Augen, bevor ich mich weiter an den eiskalten, glatten Wänden vorantaste. Schließlich finden meine suchenden Finger einen warmen Türgriff. Mit einem leisen Klicken drücke ich ihn herunter. Der Raum hinter dieser Tür ist dunkel und still. In einer Ecke steht ein Bett und darin liegst, reglos, du. Ich setze mich vorsichtig auf die Kante und schaue in dein Gesicht. Deine Augen sind geschlossen. Du schläfst nicht. Die Luft unter der niedrigen Decke ist heiß und stickig. Du hast Fieber. „Du musst hier raus.“ flüstere ich mit erstickter Stimme, aber deine Lider bewegen sich nicht. Ich kann dich nicht berühren. Ich kann hier nicht mehr atmen, nicht mehr sprechen. Ich habe dich gefunden. Aber das weißt du nicht. Ich kann dich nicht berühren. Ich muss gehen. - Anaïs Axtmann (2020)
Es gibt Orte, die schwebend in der Galaxie meines Körpers existieren Einige sind nur für mich erreichbar Niemand sonst darf sie betreten Einige öffne ich für andere Menschen, denen ich vertraue Sie dürfen sie betreten und verweilen Sie sind Räume, in denen meine Gefühle, Gedanken, Träume, Wünsche und Ängste Platz finden Manchmal kollidieren sie Dann bin ich verwirrt und habe mich nicht mehr unter Kontrolle Sie sind unterschiedlich groß, wachsen und schrumpfen Sie sind ständig in Bewegung, bleiben nie an derselben Stelle
Auch ich kann sie nicht gänzlich erreichen Sie verschwinden und tauchen irgendwann wieder auf Solange ich am Leben bin, werden sie existieren Manchmal finde ich mich auf einer Insel wieder, ohne zu wissen, welche es ist Dann lass ich mich treiben und gebe mich dem Raum hin - Roma-Nastasia Nebel (2021)
INHALT
Themengebiete
10
Alfred Kubin
12
Umfrage
14
Traum & Trauma
28
Hörstück
32
Räumliche Umsetzung
62
Flandernbunker
64
Formfindung
66
Fotos
70
Danksagung
84
(ALB)TTR
PTBS
10
TRAUM RAUMA
S
ANGST
11
© Eberhard Spangenberg/Bildrecht, Wien, 2017
KUBIN
„Am tiefsten, innerlichsten fühle ich mich dort berührt, wo die dahinziehende Fülle des Geschehens zu den dunkel rätselvollen und wunderbaren Bildern zusammenschiesst.“
12
„Vergangenheit“ (Vergessen – Versunken) | 1901
Der Anstoß des Themas meiner Bachelorthesis ist Alfred Kubin. Seine Werke versprühen eine makabere, dunkle, einengende, angsteinflößende sowie surreale Atmosphäre. Diese Elemente gaben mir einen sehr eindringlichen Eindruck in sein Werk. In seiner Arbeit beschäftigt Kubin sich mit Angsträumen und verarbeitet seinen eigenen Umgang mit Angst und Träumen in seinen Zeichnungen bzw. trägt die Bilder aus seinem Unterbewusstsein nach außen. Sein Leben ist von negativen Ereignissen beeinflusst, wie die Abneigung einer elitären und militärischen Erziehung, der Tod seiner Mutter im Kindesalter, der Tod seines Vaters als junger Erwachsener und ein gewisser Hang zur Melancholie zeigt: „Am tiefsten, innerlichsten fühle ich mich dort berührt, wo die dahinziehende Fülle des Geschehens zu den dunkel rätselvollen und wunderbaren Bildern zusammenschießt […].“ (Kubin, 1977). Diese düstere Atmosphäre seiner Zeichnungen nahm ich auf, um sie in eine ebenso einnehmende Räumlichkeit zu überführen und einen Raum zu schaffen, der dieses Gefühl ausstrahlt, das ich verspüre, wenn ich seine Bilder betrachte. Dieses Gefühl ist ein dunkles, das Gänsehaut entstehen lässt. 13
UMFRAGE Um einen Zugang zu Wahrnehmungen im Traum, insbesondere visuellen und auditiven, zu erhalten, wurde ein Fragebogen entwickelt, in dem die Teilnehmer*Innen darum gebeten wurden, ihre Erfahrungen mitzuteilen. Es wird unter anderem erfragt, wie die Personen ihre Träume wahrnehmen und was sie aus diesen in den Wachzustand mitnehmen. Im ersten Teil werden gezielte Fragen, unter anderem zur Häufigkeit und Varianten des Traums, gestellt. Im zweiten Teil werden die Personen darum gebeten, ihre Erfahrungen im Sinne von visuellen, auditiven und haptischen Sinneswahrnehmungen, zu beschreiben.
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Legende Umfrage Testpersonen
Traumtyp
VIS/AUD/HAP
visuelle, auditive und/oder haptische Träume überwiegen
x-y
Häufigkeit Träume/Woche
v-w
Häufigkeit erinnerte Träume/x-y
LD/NO-LD
luzide Träume/ keine luziden Träume
SP/NO-SP
Schlafparalyse/ keine Schlafparalyse
0x
Versuchpersonennummer
LEGENDE
TYPE
15
In Situationen, in denen ich schreien oder sprechen will, kommt nichts aus meinem Mund
Zuschlagen oder weglaufen nicht möglich
Bewegung wie im Wasser verlangsamt
SCHLAFPARALYSE Die Schlaflähmung ist eine Schlafstörung, die durch Wachphasen gekennzeichnet ist, in denen eine Person nicht in der Lage ist, sich zu bewegen. Dies kann mit Halluzinationen und einem Gefühl von Gefahr oder Bedrückung einhergehen. Die Schlaflähmung, oder auch Schlafparalyse, ist eine REM-Schlafstörung, die beim Einschlafen (hypnagoge Lähmung) oder Aufwachen (hypnopomane Lähmung) auftritt. Die Person ist dann bei Bewusstsein und wach, aber nicht in der Lage, ihre Muskeln zu aktivieren.
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Meine Augen schließen sich, ich lasse mich fallen, dumpfe Geräusche, die von überall hallen. Ich lande im Land der Möglichkeiten, im Land mit den unendlich vielen Seiten. Fern abseits von jeder Realität tu ich, was immer die Fantasie mir rät. Sobald ich durchschreite des Traumlandes Tor, kann ich greifen zu den Sternen empor. Ich kann machen, was immer ich will, egal ob laut oder ob still. Ich kann die Welt um 180° Grad drehen, kann zu Fuß in andere Universen gehen. Keine Rolle spiel‘n hier Macht und Geld, ist träumen nicht das schönste der Welt? - Sophia Maag (2017)
TYPE_VIS_3-4/2-3_NO-LD_01
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Es kommt unaufhaltsam auf mich zu und ich kann es nicht stoppen. Es ist, als würde der Mond auf die Erde fallen
Schlafen ist wie ein Filmriss
als Kind sagte ich, ich träume nicht
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TYPE_VIS_0-1/0-1_NO-LD_02
LUZIDER TRAUM wird als Traum definiert, in dem sich das Traum-Ich während des Traumes bewusst ist, dass es träumt. Träumende erinnern sich an das Wachleben und wissen um ihre Entscheidungsfreiheit. Luzide Träume sind sehr selten, obwohl ca. 25 % aller Menschen das Phänomen aus eigener Erfahrung kennen. Das Auftreten von luziden Träumen kann durch gezielte Techniken trainiert werden. Als bisher am effektivsten erwiesen sich die sogenannten Realitätschecks, die fünf- bis zehnmal pro Tag durchzuführen sind. Luzide Träume werden häufig sehr positiv und sehr intensiv erlebt. Fliegen und sexuelle Inhalte treten häufiger auf.
Ich konnte mich nicht bewegen, als ob mein Körper vom Geist getrennt war. Im Bewusstsein meiner Situation wusste ich, dass ich wach war, aber konnte für kurze Zeit nichts bewegen. Das fühlte sich sehr beklemmend an und ich fühlte mich wie gefangen. Es war komisch. Ich wusste, dass ich machen kann, was ich will, aber war nicht völlig frei.
TYPE_VIS_3-4/1-2_SP-LD_03
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Ich liege im Bett, starre die Schatten an und kann mich nicht bewegen
Ich liege auf der Seite und bemerke etwas hinter mir, doch kann mich nicht umdrehen
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Ich war erst Opfer, dann habe ich den Körper gewechselt, war dann jemand anderes auf der Flucht, während mein eigener Körper leblos auf dem Boden lag
Ich merke es jedes Mal, wenn ich träume
TYPE_VIS_3-4/1-2_SP_No-LD_04
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Vielmehr stand nur das erwähnte beängstigende Gefühl im Vordergrund. Es war, als müsste ich meinem Gehirn machtlos dabei zusehen, wie es versuchte, eine fieberinduzierte visuelle und auditive Überstimulation zu verarbeiten
Ich habe in meinen Träumen selten die Kontrolle über irgendetwas. Meistens bin ich nur stiller Beobachter.
Es war mein erster Traum auf Englisch und war daher im ersten Moment nach dem Aufwachen sehr desorientiert. Bis heute träume ich regelmässig auf Englisch und auf Deutsch. Meistens kann ich nach dem Aufwachen nicht einmal sicher sagen, in welcher Sprache ich gerade geträumt habe. Es ist auch völlig egal, ob ich von amerikanischen oder deutschen Freunden träume, im Traum vermischen sich die Muttersprachen und werden völlig irrelevant.
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Ich befand mich in einem Raum, dessen Ausmaße aber nicht wirklich definierbar waren. Der Raum war fast komplett dunkel, man konnte gerade so die steingrauen Wände ausmachen. Die Wände schienen pulsierend näher zu kommen, was das erdrückende Angstgefühl auslöste. Ich erinnere mich, dass die Wände auch keine feste geometrische Form hatten, mal waren sie kugelförmig nach innen oder außen gewölbt, mal waren sie nur mächtige Quader, unendlich größer als ich selbst. Während ich definitiv zwischen den Wänden gefangen war und dies auch aus einer Egoperspektive zu spüren bekam, konnte ich mich trotzdem immer wieder aus der Vogelperspektive selbst beobachten. Die beiden Perspektiven gingen dabei ziemlich fließend ineinander über. Daher kam auch das Gefühl, mir selbst beim Kampf gegen die nie enden wollenden äußeren Stimuli zusehen zu müssen, ohne aber eingreifen zu können. Die beängstigende Stimmung meines Fiebertraumes wurde unterstrichen durch ein rhythmisches, maschinelles Stampfen, das im Einklang mit dem Pulsieren der Wände war. Dazu kam ein Rauschen, wie das Geräusch eines alten Röhrenfernsehers, bevor man einen Sender einstellte. Das Geräusch wurde dabei immer lauter, je näher die Wände kamen, bis es am Ende zu einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll. An diesem Punkt wachte ich meistens mit Kopfschmerzen auf.
TYPE_VIS_AUD_3-4/1-2_SP_No-LD_05
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Schlafparalyse Fängt mit Dröhnen in den Ohren an sowie dem Gefühl, dass die Augen sich irgendwie verdrehen oder „wackeln“, also nach rechts oder links. Dann wird der Kopf schwer. Den Anfang der Schlafparalyse merke ich. Während des Traums vergesse ich dann, dass ich träume bzw. glaube dass ich wach bin. Und dann sehe ich das Zimmer, in dem ich liege, habe die Augen vermutlich etwas auf. Muster in der Bettwäsche bewegen sich oder werden zu Figuren in dem Traum.
Mittlerweile kann ich mich meist auch nicht so viel bewegen, aber manchmal steh ich halb im Traum auf und krieche irgendwie aus dem Zimmer und versuche mit jemandem zu sprechen. Dieses Dröhnen höre ich dann auch oft. Und dann versuch ich meist mit langem Einatmen wieder wach zu werden, oder die Augen aufzureissen und rumzudrehen, aber das klappt dann erst im 4. oder 5. Versuch. Oft fangen die Träume pro Versuch wieder von vorne an: Ich bemerke die Schlafparalyse, dann gelange ich in den Traum, aber denke, dass ich wach bin. Dann merke ich, dass ich träume oder versuche aufzuwachen. Dann gelange ich wieder in den Traum und so weiter.
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Man fühlt sich wahnsinnig schwer, vor allem der Kopf.
TYPE_VIS_AUD_4-5/2-3_SP_LD_06
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Beim Aufwachen sind es entweder Trauer, Verwirrtheit oder Freude und das Bedürfnis den Traum weiter zu träumen.
Während des Träumens fühlt sich alles sehr real an, als würde ich in einer Parallelwelt sein: Unbeschwertheit und Leichtigkeit.
Man spielt ein wenig Gott in dem Traum und kann sich aussuchen, was man gerade Träumen mag und diesen steuern. Manchmal bin ich auch eine andere Person und nicht ich selbst im Traum.
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Having a mental breakdown at work. I could not count to ten. there was a 7 dollar bill that could also be a 4 dollar bill. My boss recommended me some homeopathic medicine to calm down, but I said no. An older customer of mine was there as well and he looked pretty ill. He was looking for me but I hid and ran away.
Dreaming about waking up over and over again in fear of being too late for work. I forgot the time I had to work and the time I put in my calendar did not match my usual schedule. On top of that I was forced to go to a dentist appointment.
I was beaten up by a former classmate to the sound of Bohemian Rhapsody.
I was stabbed in the back and threatened by some random dude with a knife.
TYPE_HAP_14-21/7-14_LD_NO-SP_07
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TRAUM Das Träumen ist die psychische Aktivität während des Schlafes. Das Träumen selbst ist für die Forschung selbst nicht zugänglich, sondern nur der rückerinnerte Bericht: der Traum. Er wird vom Menschen auf allen Wahrnehmungsebenen erlebt, wobei visuelle und auditive Wahrnehmungen am stärksten ausgelöst werden. Der Traum scheint eine andere Welt zu sein, in der Logik und Kausalität nicht mehr zu greifen scheinen und die Schwelle zwischen Wachzustand und Traum nicht mehr klar zu definieren ist. Die Traumdeutung von Sigmund Freud ist das grundlegende Werk der Psychoanalyse, in der er seine Traumtheorie in verschiedenen Kapiteln behandelt und erläutert. Sie stellt den Zusammenhang zwischen real und unterbewusst Erlebtem in Bezug auf das persönliche Leben und die Entwicklung eines Menschen her. Freud stellt unter anderem unterschiedliche Deutungsmittel des Traums in Differenz zum Wachzustand und in Bezug auf die Darstellung und Wahrnehmung dar. Als besonders bedeutsam hebt Freud hier die Verschiebung und Verdichtung hervor - traumtheoretische Elemente, die im Traum für Orientierungs- und Strukturlosigkeit sorgen und einen Kontrollverlust verursachen. Der Traum ist Schauplatz all der grausamen Bilder, die im Unbewussten existieren, an die wir uns im Wachzustand kaum erinnern können. Menschen tragen etwas dunkles in sich, doch geben es kaum preis. Während schrecklich schaurige Wesen, die gleichzeitig ästhetisch wirken, substituiert werden, nehmen uns albtraumhafte Szenen gefangen, denen wir uns nicht entziehen können.
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TRAUMA In dieser Arbeit behandle ich den Begriff Trauma als eine psychische Ausnahmesituation während eines erschütternden Ereignisses und einer damit folgenden posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Während dieses Ereignisses erfolgt zumeist eine Reizüberflutung der Betroffenen, bei denen es zu einem Bruch in der Wahrnehmung und dem Bewusstsein, sowie einer gewissen Abwehrhaltung gegenüber der Ausnahmesituation kommt. Mit diesem Zustand der Überforderung sowie Widerstandskraft des Verdrängens der Situation aus Eigenschutz, geht eine starke sensible, dissoziative Wahrnehmung bis hin zu einem Gedächtnisverlust einher. In der Zeit nach dem Ereignis können Betroffene durch beispielsweise visuelle oder akustische Auslösereize in den Zustand der Angstszene zurückverfallen. Eine Teilsymptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung ist das Auftreten von Intrusionen, welche seelische Leiden wie Depressionen, Panikattacken und ein Vermeidungsverhalten zur Folge haben kann. Der Ausweg ist durch die Arbeit am Trauma im Sinne eines Durcharbeiten und der Reflexion der Angstsituation markiert. Das Trauma existiert in Form eines unbefriedeten Vergessens, in dem visuelle oder auditive Trigger Personen in die psychische Ausnahmesituation zurückversetzen können. Diese Geräusche oder Bilder treten in unterschiedlichen Formen auf. Ein Beispiel für eine negative Veränderung, der mit dem Trauma assoziierten Kognitionen oder Affekten, ist das Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen. Das Individuum kann sich selbst nicht mehr subjektiv wahrnehmen und fühlt sich taub.
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HÖRSTÜCK
12 Titel 26:27min
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1. Aufwachen
01:02
2. Leningrad
01:33
3. Tier
01:22
4. Kassettenloops mit Kira
06:16
5. anno
00:32
6. Erinnerungsfetzen
01:41
7. Traumrealität
02:13
8. 9 Uhr morgens
02:01
9. Trauma
05:18
10. Weinen
01:00
11. Wellen
00:55
12. Neuanfang
02:27
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Eine Aufgabe der Szenografie besteht darin, das Sehen und das Hören zu verbinden, um so verschiedene Atmosphären im Raum erschaffen zu können, die über die Beschränkung auf eine Sinneswahrnehmung hinausgehen. Im Bezug zu Traum und Trauma wurde in zwei Schritten ein Angst-Raum-Konzept entwickelt, das in Form einer Installation in einem ehemaligen Militärbunker ausgestellt wird. Der erste Schritt bestand aus der Gestaltung eines Hörstücks, das das Wiedererleben eines Traumas in sechs Phasen darstellt. Dabei durchläuft der Charakter der akustischen Abschnitte zunächst einen Normalzustand, der sich zum unabwendbaren Erinnern fragmentarischer Einzelheiten wendet, die zum psychischen Wiedererleben der Traumasituation und dem damit verbundenen inneren Chaos, Angst und Hilflosigkeit führen. Zum Abschluss erfolgt eine Art Erholung in Form einer akustischen Ruhepause, die nach dem intensiven Teil erfolgt. Das Stück endet mit einem instrumentalen Teil, in dem ruhige Abschnitte das Gefühl von Akzeptanz der starken psychischen Belastung, sowie der Besinnung auf das Menschsein mit seinen Emotionen und Gefühlen, erzeugen. Das Ende zeigt auf, dass der Weg aus dem durchs Trauma erschütterte Bewusstsein schwer ist und von starker Willenskraft zeugt. Das Hören beeinflusst das Sehen. Wir können uns dem Hören nicht entziehen. Die Töne verschmelzen mit der Architektur, den Objekten und dem Licht.
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Der erste Track des Stücks fungiert als moderierte Einleitung in den darauffolgenden Klangteppich. Eine Stimme fordert die Hörer*Innen auf aufzuwachen. Sie würden beobachtet. Von wem bleibt ungewiss. Alles sei in Ordnung, sie bräuchten keine Angst zu haben. Dieser Track beinhaltet eine indirekte subtile Aufforderung an die Hörer*Innen, in sich zu gehen und sich voll und ganz auf das Hörstück einzulassen. Das Metronom am Anfang und Ende sowie der Wind, der zu vernehmen ist, stellen einen direkten Bezug zur Ausstellung „Niemand wird vergessen und nichts wird vergessen“ her, in der die Leningrader Belagerung sowie die Befreiung nach 872 Tagen während des zweiten Weltkriegs, thematisiert wird. In Leningrad herrschten Temperaturen von bis zu minus 40 Grad. Menschen starben unter Hunger, Kälte und Bombardements.
01 02 Dieser Track hat ruhige als auch unruhige Momente. Wenn das Metronom erklingt, ist nichts anderes zu vernehmen, als das monotone Klicken. Dieses wurde zum akustischen Symbol der Belagerung. In den langen Programmpausen des Radios war es für viele isolierte Hörer*Innen das einzige Lebenszeichen in der siechenden Stadt. Die Atmosphäre des gesamten Hörstücks wird hier skizziert, sodass sich die Hörenden darauf einstellen können, welche Stimmung verfolgt wird. Trotzdem bleibt es für jede Person eine ganz subjektive Erfahrung.
001
Aufwachen
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Der Ausschnitt aus Dmitri Schostakowitschs 7. Sinfonie „Leningrad“ stellt einen direkten Bezug zur Thematik der Ausstellung her. Er war der tiefen Überzeugung, dass „höchste Humanität und Liebe zu den Menschen […] die einzig würdige Schaffensbasis für alle Zweige der Kunst“ sei. Obwohl die Menschen keine Kraft mehr hatten, weil sie unter Hunger und Kälte litten, stellte Schostakowitsch ein Orchester zusammen, das die 7. Sinfonie einspielen sollte. Während der Proben fielen ständig Menschen vor Erschöpfung in Ohnmacht. Trotzdem wurde am 09. August 1942 die Leningrader Sinfonie über Straßenlautsprecher in der Stadt gespielt und international über das Radio ausgestrahlt. Dieser Track wandelt sich von einem fröhlich klingenden Teil zu einem leiernden, erschöpft klingenden Ende, das die Kehrtwende von harmonischen zu schrecklichen Zeiten markiert. Diese Sequenz fungiert als Phase I des Wiedererlebens eines Traumas. Die Musik beschreibt eine Wende von guten Gedanken zu langsam wiederkehrenden grausamen Erinnerungen des Individuums.
01 33 "Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Stalins Befehl Ermordeten. Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in unserem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte […] Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass man die Siebte die 'Leningrader' Symphonie nennt. Aber in ihr geht es nicht um die Blockade. Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt."
- Dmitri Schostakowitschs Memoiren (1979)
002
Leningrad
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Diese Sequenz ist das Intro für die folgenden Hörerlebnisse. Nachdem der inhaltliche Rahmen auditiv in den vorigen Sequenzen beschrieben wurde, beginnt nun die Moderation als art Eintritt in den Ablauf der Phasen II - VI des Wiedererlebens eines traumatischen Ereignisses. Das Gesagte beschreibt das Vergessen des Menschseins. Der Übergang zwischen Phase I und II beschreibt die Loslösung des Individuums von sich selber - eine Eigenschaft einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Abgrund stellt die Grausamkeit, als Auslöser für das traumatische Ereignis, dar, in den der Mensch - durch einen inneren Zwang - hineinstürzt. Hilflosigkeit und Verzweiflung sowie Machtlosigkeit bündeln sich zu einem instrumentalen Gitarrenteil zum Ende, der mit melancholisch klingenden Akkorden diese Gefühlszustände unterstreicht.
01 22 "Ich weiß nicht, warum ich das tue. Es ist fast ein innerer Zwang, der mich dazu treibt. Vielleicht, fürchte ich, wenn ich anders könnte, würde ich langsam aufhören ein Mensch zu sein und würde bald schmutzig und stinkend umherkriechen und unverständliche Laute ausstoßen. Nicht, dass ich fürchtete ein Tier zu werden. Das wäre nicht sehr schlimm. Aber ein Mensch kann niemals ein Tier werden. Er stürzt am Tier vorüber in einen Abgrund." - Der Weg einer Freiheit „Aufbruch“ (2017) aus Marlen Haushofers „Die Wand“ (1963)
003
Tier
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Phase II. Das innere Chaos beginnt. Viele parallel auftretende Aspekte kommen in dieser Sequenz zusammen. Die Gedächtnis- und Erinnerungsarbeit beginnt und verschiedene Erinnerungen an vergangene Ereignisse schießen dem Individuum in den Kopf. Das Geräusch des fahrenden Fahrstuhls beschreibt den Weg zu scheinbar verdrängten Gedanken, bei denen das Individuum glaubte, diese bereits verarbeitet und vergessen zu haben. Doch mit dieser Sequenz wandelt sich dieses Bewusstsein langsam zu einer Gewissheit, dass die verdrängten Erinnerungen mehr beinhalten, als das Individuum geglaubt hat. Vereinzelte hohe Töne stellen Erinnerungsblitze dar - Erinnerungsschnipsel, die vorerst keine Assoziation hervorrufen. Im Hintergrund ist eine verfremdete Sirene zu hören, die einen inhaltlichen Bezug zur historischen Thematik der Ausstellung nimmt.
06 16 Verfremdete Schritte stellen das Verfolgen einer verdrängten Erinnerung dar. Das Individuum beginnt in den Erinnerungen zu graben. Geräusche überlagern sich und spitzen sich weitestgehend auf einen akustischen Höhepunkt zu. Der emotionale Hintergrund erklingt durch das Vernehmen einer weinenden Person. Das Individuum wird von bisher ignorierten Emotionen heimgesucht. Diffus verbinden sich die Einzelteile zu einem Klangteppich, der einen roboterhaften und angsteinflößenden Charakter annimmt. Die Sequenz endet mit dem Öffnen einer Tür, was echoartig in einen Endpunkt mündet.
004
Kassettenloops mit Kira
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Übergang zu Phase III. Diese Sequenz stellt den Übergang zwischen Phase II und Phase III dar und ist der Moment der Überlagerung. Vielerlei Erinnerungen und Gefühle wie Verwirrung, Orientierungs- und Strukturlosigkeit setzen ein. Alles geht drunter und drüber. Das Individuum verliert für einen Moment den Boden unter den Füßen. Überlagerte und verfremdete Geräusche, sowie Stimmen die unerkenntliche Worte aussprechen, spitzen sich in einem akustischen Höhepunkt zu.
00 32 Dieser Moment ist ein vorherrschender Moment der Panik, bevor die Ruhe wieder einkehrt. Das Individuum kann sich zum Ende wieder besinnen und versucht einen klaren Kopf zu bewahren und verworrene Gedanken zu ordnen.
005
Anno
43
Phase III. Dem dunklen Kern auf der Spur. Das Individuum gelangt immer tiefer in sein Unterbewusstsein und verdrängte Erinnerungen hinab. Das Hinabsteigen ist durch das Geräusch von Schritten auf einer Treppe markiert. Das Individuum gelangt immer näher zu diesen Erinnerungen, die langsam aber sicher Form annehmen. Jedoch ist diese nicht klar identifizieroder erkennbar. Das Individuum tappt weiter in einer dunklen Wolke und versucht diese Erinnerungsfetzen, die um es herumschweben, zu greifen, um sie genauer erfahren, fühlen und verstehen zu können. Es wird unmissverständlich klar, dass diese Erinnerungen einen dunklen Kern - das traumatische Ereignis - beherbergen, dessen sich das Individuum mit jedem weiteren Schritt nähert.
01 41 DAS DUNKLE IST
OMNIPRÄSENT
006
Erinnerungs fetzen
45
Interlude. Ein Dialog zwischen zwei Personen über die Realität des Traums und die Macht des Individuums über seinen Traum. Im Traum könne alles geschehen. Da der Wachzustand aufgrund einer vorhandenen physikalischen Ebene eine realistische Ebene einnimmt, wirkt er realer als der Traum. Doch der Traum könne genauso realistische Formen annehmen, wenn man das Bewusstsein darüber, einen freien Willen zu haben, festigt. Die Ebenen des Wachzustands und des Traums verschwimmen und gehen ineinander über. So verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Realität. Wenn das Individuum sich dieses Bewusstseins des freien Willens im Traum annimmt, würde die Fähigkeit, flexibel zwischen Traum und Wachzustand wechseln zu können, größer werden.
02 13 Es folgt ein instrumentaler Übergang zu einer weinenden Person, die unverständliche Wörter ausspricht. Diese Sequenz markiert den Moment einer Ruhepause inmitten des emotionalen Chaos‘ und der Aufgewühltheit. Die Rückbesinnung auf das Menschsein, mit all den dazugehörenden menschlichen Eigenschaften, wie Emotionen, tritt in den Vordergrund. Das Individuum ist überfordert und lässt seinen Emotionen freien Lauf - ergriffen von Verwirrtheit, Labilität und einem Gefühl des Nicht-Verstehens sowie des Nicht-Verstehen-Wollens.
007
Traumrealität
47
Übergang Interlude und Phase IV. Das Treppensteigen markiert das Wiedereinsteigen in die Erinnerungsarbeit und der nun intensiveren Auseinandersetzung mit dieser. Das Individuum gelangt nun noch tiefer in sein inneres Leben und wird umgeben von einer dichten Wolke aus noch immer formlosen Erinnerungen, die bisher noch kein Gesamtbild ergeben. In ruhigeren Momenten versucht das Individuum Klarheit zu fassen, was ihm jedoch nicht gelingt. Die Erinnerungen bleiben schwammig.
02 01 Diese Sequenz zeugt von einer Schwere, die das Individuum zunehmend belastet, aber auch Raum für Ruhepausen lässt. Das Dunkle ist dem Individuum stets auf den Fersen. Es sind nun eine überschaubare Zahl von Geräuschen zu vernehmen, allerdings lassen diese das Individuum stets verwirrt und nachdenklich zurück.
9 Uhr morgens
008
Das Individuum ist nun ruhiger, hat jedoch eine gravierende Aura um sich. Dieser Teil stellt die Vorbereitung auf schwere Momente dar, die nun folgen werden.
49
Phase IV. Diese Sequenz stellt die volle Erinnerung der traumatischen Situation dar. Dunkle Stimmen und dunkle Musik geben das Stimmungsbild dieses Teil vor. Es folgen Regen und Gewitter, welche den Tiefpunkt der Erinnerungsarbeit einläuten. Erinnerungen werden - wie vom Regen - ins Bewusstsein gespült. Schritte stellen das aktive Durchleben dieser Erinnerung dar. Alle Momente der Erinnerung werden nun betrachtet und erneut durchlebt. Das Laufen und Türöffnen beschreibt das Wechseln zwischen den unterschiedlichen Situationen. Das erinnerte traumatische Ereignis bringt zahlreiche Assoziationen und Bilder zurück ins Gedächtnis. Mittendrin hält das Individuum einen Monolog und findet sich in verschiedenen Situationen wieder. Die Sequenz ist markiert von abrupten Szenenwechseln, die stets einen dunklen Charakter annehmen.
05 18 Das innere Chaos findet sich hier in einem akustischen Höhepunkt, in dem das Individuum die Orientierung komplett verliert und von allen Erinnerungen und damit verbundenen Emotionen auf einmal überwältigt wird. Ein Feuerwerk stellt dieses machtlose Ausgesetzt-Sein des Individuums dar, das mit allen möglichen verdrängten Situationen, Bildern und Szenen beschossen - konfrontiert - wird. Nach dieser völligen Überreizung scheinen mehrere Stimmen grässlich zu schreien, als würden sie um Hilfe rufen. Grausamkeit, Angst und Terror nehmen Überhand.
009
Trauma
51
Übergang Phase V.
Phase IV zu
Die volle Traumaerinnerung spitzt sich in dieser Sequenz nochmals zu. Das Individuum wird belagert von intensiv auf ihn einschießende Geräuschkulissen. Eine weinende Person stellt die mentale Überbelastung und das Verlieren des Individuums gegen die Traumaerinnerungen dar. Die sich überlagernden Geräuschkulissen weisen keinerlei Struktur mehr auf und engen das Individuum ein. Es ist kur eine Stimme zu vernehmen, jedoch kann sich das Individuum nicht an dieser orientieren oder festhalten. Es gibt keinen Ankerpunkt, an dem sich das Individuum festklammern könnte.
01 00 Die Schritte sowie das Türöffnen und die leiser werdende Geräuschkulisse zeigen das Sich-Entfernen des Individuums von dieser Traumaerinnerung auf. Das Individuum entfernt sich von diesen Erinnerungen und Gedanken und versucht sich in Sicherheit zu bringen.
010
Weinen
53
Nach den belastenden, überfordernden Sequenzen, erklingt nun eine Art Ruhepause - ein Wellenrauschen. Das Individuum erholt sich nach der psychischen Überbelastung und versucht nun Frieden zu finden. In einem inneren Monolog wird das Individuum dazu animiert, diese traumatischen Erinnerungen, sowie das Gefühl von Trauer, Machtlosigkeit, Angst und des Gefangen-Seins in einem Teufelskreis, zu verarbeiten und loszulassen. Das Individuum muss sich nach der zerrenden Überbelastung darauf besinnen, dass Ereignisse geschehen sind, die es nicht verändern kann. Es bleibt einzig und allein die Beschäftigung und Verarbeitung der traumatischen Situation, um sich von dieser erholen zu können. Ansonsten würde es kontinuierlich in diese Situation verfallen, in der es keinen Ausweg gibt aus schrecklichen Erinnerungen, Angst und Panik, welche beständig zur Entfremdung des Individuums von sich selbst führen.
00 55 "Everything will be fine. But you have - you have to - you have to let it go. You have to. You have to. Otherwise you will never forget it and you will never get over it. Please, just let it go."
011
Wellen
55
Phase VI. Outro. Das Ende des Wiedererlebens eines traumatischen Ereignisses stellt diese instrumentale Sequenz dar. Ruhige Abschnitte erzeugen das Gefühl von Akzeptanz der starken psychischen Belastung, sowie der Besinnung auf das Menschsein, mit all seinen Emotionen und Gefühlen. Das Ende zeigt auf, dass der Weg aus dem durchs Trauma erschütterte Bewusstsein schwer ist und von starker Willenskraft zeugt. Das wiederholte Abbrechen während des Gitarrenspielens schildert den holprigen Weg zur mentalen Heilung. Das Bewusstsein ist erschüttert, das Individuum geschwächt. Doch es versucht mit kleinen Schritten aus diesem Zustand heraus zu finden, indem es an sich arbeitet, um ein gefestigtes Bewusstsein dafür zu schaffen und alsbald aus dem scheinbar ausweglosen Angstzustand herauszufinden.
02 27
012
Neuanfang
57
872 tage
блокада Ленинграда
58
59
60
RÄUMLICHE UMSETZUNG
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FLANDERNBUNKER
Als klar war, dass die Installation im Flandernbunker in Kiel-Wik stattfindet, begab ich mich im Winter, Ende 2021, regelmäßig in die Räumlichkeiten des ehemaligen Militärbunkers, um den Ort zu erkunden und zu untersuchen. Alsbald begann ich Verbindungen zwischen dem historisch belasteten Ort und der Thematik meines Konzepts zu ziehen. Die Atmosphäre, die die Räume des Bunkers ausstrahlen, empfinde ich als sehr düster, kalt und fesselnd. Ich nahm mir alle Räume vor und untersuchte Ecken und Blickwinkel, die auf den ersten Blick unauffällig schienen. Die Geschichte, die dieser Bunker birgt, hat einen starken emotionalen Einfluss auf mich. All die Grausamkeit des Kriegs und die Taten guter und schlechter Menschen werden an diesem Ort gebündelt und entwickeln eine ganz eigene Raumsprache. Diese Stimmung nahm ich auf, um das Thema der Wahrnehmungsverschiebung des Traums um die Folgen eines traumatischen Ereignisses - der posttraumatischen Belastungsstörung - zu erweitern. Anlässlich der Gedenktage zum 26. Januar 1944 ist 2022 die Jüdische Gemeinde Kiel und Region mit einer Ausstellung im Flandernbunker zu Gast: „Niemand wird vergessen und nichts wird vergessen“. In dieser werden mittels einer Plakatausstellung die Hintergründe sowie gesellschaftliche, politische und menschliche Aspekte der Leningrader Belagerung informativ ausgestellt. Im Rahmen dieser entwickelte ich die audiovisuelle Installation zum Thema Traum und Trauma.
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SCHUTZ
RAUM
GEFAHR
RAUM
© Mahnmal Kilian e. V., Kiel, 2022
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Ausgehend von der auditiven Ebene galt es nun, ein räumliches Konzept zu erschaffen, das den Sound angebracht unterstützt, ohne ihn seiner Wirkung zu rauben. Die räumliche Ebene der Installation wurde so geplant, dass sie die Besucher*Innen nicht vom Hörstück ablenkt. So enstand ein Gang, der aus einer Rahmenkonstruktion besteht und mit transluzenten, schwarzen Stoffen verhangen wurde, sodass die Besucher*Innen von außen hinein und von innen hinaus schauen können. So war der Bezug und Zusammenhang zur Ausstellung und seiner Thematik gegeben. Der Gang ist ein Eingriff in den bestehenden Raum, steht jedoch für sich, da er sich zentral im Raum und nicht an den Wänden des Bunkers befindet. Hier wird eine Abgrenzung zum Bunker deutlich, die wichtig für den aktuellen Umgang der einzelnen Personen mit der Thematik der Leningrader Belagerung, d.h. Krieg und den systematischen Massenmorden, ist. Der Gang als Raum kann als abgegrenzter Ort innerhalb eines mit Trauma konnotiertem Ort - der Bunker als umschließende Hülle - sowohl als Schutzraum als auch als Gefahrraum gelten. Als Schutzraum schottet er vom Bunker ab. Als Gefahrraum verstärkt er den inhaltlichen Bezug des Bunkers zum Krieg.
FORMFINDUNG
Der Grundriss des Flandernbunkers ist quadratischer Natur. Im zweiten Obergeschoss gibt es zwei Ausstellungsräume, die symmetrisch an der Mittelachse des Gesamtgebäudes aufgeteilt sind. Die Ausstellung und die Installation befinden sich - dem Grundriss zu entnehmen - im oberen Teil. Dort befindet sich ein kleiner Vorraum, in dem eine Treppe zum Dach des Bunkers führt. In diesem Raum befinden sich zwei Fensteröffnungen mit Blick Richtung Nordwesten auf das Gelände des Marinestützpunkts Kiel.
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Die Rahmenkonstruktion besteht aus Dachlatten (30x50mm), die schwarz lackiert und mithilfe von Lochblechen und Winkeln zu einem Gang gebaut wurden. Die Rahmen wurden dann mit Fliegengitter aus schwarzem Fiberglas verhangen, um eine veränderte Raumwahrnehmung zu erschaffen. Mit der Verortung der Beamer und Lautsprecherboxen wuchs alles in allem zu einer audiovisuellen Installation heran.
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Sehr berührend an dem Projekt war die Bekanntschaft, die mit zwei Zeitzeugen gemacht wurde, die die Leningrader Belagerung als Kinder erlebt und überlebt haben. Sie berichteten von Erlebnissen, Menschen, Geräuschen, Ängsten und Freuden, an die sie sich bis heute, 78 Jahre später, erinnern können. Beide haben einige Gedanken und Erinnerungen schriftlich auf Plakaten, die für die Installation entworfen wurden, festgehalten. Diese Plakate befinden sich eingerahmt im Ausstellungsraum. Durch die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext, ist klar geworden, wie wichtig es ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten, gerade wenn es sich um Ereignisse handelt, die einen enormen Einfluss auf die gesellschaftliche, politische und menschliche Geschichte haben. Die neueren Generationen haben die Chance, aus Fehlern zu lernen und es besser zu machen.
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Der Bunker hält die Virulenz eines Ereignisses als Vergangenheit fest, die nicht vergeht und nicht in die Distanz zurücktreten mag. Die Besucher*Innen sind auf sich gestellt und wie sie mit den vorhandenen Informationen, sowie der psychischen Auseinandersetzung mit dem Ton und dem Licht in der Installation, umgehen. Sie entscheiden selbst, ob sie den Gang, in Verbindung mit dem Licht und dem Sound, als Ort der Sicherheit oder der Gefahr wahrnehmen. In dieser Hinsicht treten sie in der Installation, in der es gilt, ein Bewusstsein für die Aufarbeitung der vergangenen Geschichte, sowie mit sich selbst als Individuum, zu schaffen, in eine Kommunikation mit dem Raum, die durch den Sound eine emotionale Wirkungssteigerung erfährt. So nehmen Besucher*Innen die Inhalte der Thematik und Ausstellung intuitiv auf und können einen persönlichen Bezug zu ihnen herstellen. Der dabei entstehenden Mensch-Raum-Beziehung liegt eine subjektive Erfahrung zugrunde, die die Besucher*Innen an diesem Ort in Verbindung mit Licht und Ton machen. Dem Hörstück entsprechend entstand eine Lichtinstallation mit einer Farbigkeit, indem der Farbton dem Licht und dem Ton angepasst wurde, um ein stimmiges audiovisuelles Erlebnis für alle Besuchenden zu schaffen, das angemessen in die Ausstellung integriert wird, indem mittels Licht-, Raum-, und Sounddesign semantische Hinweise versteckt wurden, die auf anderen Ebenen zu direkt wären, um die Thematik des Kriegs und seinen Traumata sensibel anzugehen, ohne die Geschehnisse dabei zu verharmlosen.
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DANK
herzlichen dank an Prof. Dipl.-Ing. Michael Breda Prof.In Dr. Phil. Habil. Petra Maria Meyer Dr. Jens Rönnau Sven Lütgen Gor Margaryan Martin Witzel Keno Ventjeer Astrid Schessner Kira Yannik Joseph Franzi Janis Bente Anaïs Chiara Mama Papa Giulia Linus Becky Sophia Marco Alix
2022