die Macht der Sprache

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INTERVIEW

Interview: Lisa Zehetner

WWW.NATIONALTHEATER.DE

KARTENTELEFON 0621 1680 302

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Fotos: Christian Kleiner

Die Macht der Sprache !NEGAMHCARPŞ MI NεMMOKLLİW HCILZЯ ‫غ‬H – H‫غ‬RZLICH WILLKOMMεN İM ŞPRACHMAGEN!

Mit Wicki Bernhardt und Tümay Kılınçel kommt ein junges Regieteam nach Mannheim, das die weiße Perspektive des Theaters in einer Stadt wie Mannheim hinterfragt, wo die Stadtgesellschaft so viel mehr Diversität mitbringt, als sich auf den Bühnen abbildet. In der Produktion »[ˈʃprɛçn̩ ]« wird der Bühnenraum zur begehbaren Installation und das Thema Sprache zur sinnlichen Erfahrung für alle ab 9 Jahren. Als Theatermachende denken wir viel darüber nach, wem wir mit unserer Kunst begegnen. Im Publikum des Jungen NTM ist die Vielfalt der Mannheimer Kulturen und Sprachen alltäglich erlebbar, daher kam der Impuls, mit Euch ein Stück über Mehrsprachigkeit zu machen. Was interessiert Euch an dem Thema besonders?

KURZ & KNAPP: SHIVA AMIRI, WAS BEDEUTET INTERSEKTIONALITÄT?

Hanna Valentina Röhrich und Patricija Katica Bronić tauchen in die Magensuppe ein.

Wicki Bernhardt: Mich interessieren die Wirkungen von Macht und Ein- und Aus-

»Das deutsche Theater ist ›weiß‹ und erzählt meist in deutscher Sprache.« schluss, die die Verwendung von Sprache mit sich bringt. Kommunikation läuft auf viel mehr Ebenen ab, als nur über die gesprochene Sprache. Wie kann man einen Perspektivwechsel vornehmen: Das deutsche Theater ist »weiß« und erzählt meist in deutscher Sprache. Wie können wir das Thema behandeln, ohne didaktisch zu werden? Und welche Sprache(n) verwenden wir im Theaterraum?

WICKI BERNHARDT ist freischaffende Performancekünstlerin, Regisseurin und Dozentin und lebt in Berlin und Frankfurt am Main.

Tümay Kılınçel: Sprache ist für mich ein alltägliches Thema. Mir ist es wichtig, dass Sprachen und die Sprecher*innen nicht in einem Theaterraum ausgestellt werden, der von weißen Menschen geprägt ist und in dem Deutsch die Dominanzsprache ist. Was meint Ihr mit »Dominanzsprache«?

TÜMAY KILINÇEL

ist Performerin, Choreografin und Regisseurin und arbeitet hauptsächlich in den Städten Berlin, Düsseldorf und Frankfurt am Main.

Wicki Bernhardt: Dominanzsprache ist für mich die Sprache, von der ausgegangen wird, sie sei ein Normalfall. Von der behauptet wird, dass sie niemanden ausschließt. In Deutschland ist das Deutsch. In Begegnungen mit Mannheimer Schulklassen kam das Thema direkt auf: Denn auf dem Schulhof und in der Klasse soll nur Deutsch gesprochen werden, mit dem Argument, dass so »alle« mitspielen können und niemand ausgeschlossen wird.

Die Regisseurinnen Wicki Bernhardt und Tümay Kılınçel während der Probenarbeit.

Tümay Kılınçel: Deutsch ist zwar die gemeinsame Sprachbasis. Aber ich würde mich immer gegen ein Verbot aussprechen. Solche Verbote machen

»Auf der Bühne, hinter der Bühne und im Publikum eine Sichtbarkeit der gesamten Gesellschaft.« mehrsprachig sprechende Menschen in der deutschen Gesellschaft unsichtbar. Wie kamt Ihr auf den Gedanken, Sprache in einer theatralen Installation zu verhandeln?

Tümay Kılınçel: Sinnliches Verstehen steht für uns im Vordergrund und eben nicht das Wissen oder Entschlüsseln von künstlerischen Codes über Bildungszusammenhänge. In einer Installation und damit Aufhebung der Trennung von Bühnenraum und Publikum ist man mehr involviert und Teil des Ganzen. Wicki Bernhardt: Es war von Anfang an klar, dass es ein kollektives Erfahren und Mitgestalten geben soll. Wir wollten Sprache durch Aneignung und Zerstückelung verhandeln und sie so in ihren Hierarchien befragen. Sprache soll erlebbar und selbst initiiert werden und vielleicht auch so weit entfremdet, dass sich Inhalt und Klang voneinander lösen können. Schließlich ist Sprache ein menschengemachtes Konstrukt zur Erleichterung von Kommunikation. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem

Das Konzept Intersektionalität ist kein neues Phänomen, sondern wurde durch Kämpfe von schwarzen Feministinnen sichtbar gemacht, die bereits sehr früh auf die Verschränkung von Rassismus und Sexismus als Diskriminierungsformen aufmerksam gemacht haben. Ein Beispiel wäre, dass schwarze Mädchen+ sowohl Sexismus als auch Rassismus in Deutschland erfahren und die Erfahrungen gemeinsam wirken. Aber auch Kategorien wie Gender, Sexualität, Klasse oder Alter werden durch Intersektionalität benannt und auf deren Verschränkungen aufmerksam gemacht. Damit wird es möglich, Machtverhältnisse zu verstehen, mehrfache Ungleichheitserfahrungen sichtbar zu machen und diese langfristig zu verändern. Durch intersektionelle Sensibilisierung könnte Theater zum kulturellen Erfahrungsraum für alle Gesellschaftsmitglieder werden. Diese Veränderung bedarf eines machtund rassismuskritischen Blicks nach Innen, indem das Theater selbst reflektiert, verändert und neu strukturiert wird. Shiva Amiri erweitert das künstlerische Team durch Sprachexpertise und intersektionelle Beratung.

Sprachen mitgestaltet werden und in dem Nutzer*innen von Sprache als Mitgestaltende empowert werden. Wie können wir uns die Installation vorstellen? Was wird dem Publikum begegnen? Wicki Bernhardt: Wir denken unseren Sprachraum als Magen – als etwas Organisches, etwas Lebendiges, über das man von außen nicht ganz die Kontrolle hat, was aber stetig gefüttert werden muss, um erhalten zu bleiben. Das Publikum betritt diesen Magen über einen Tunnel, eine Mischung aus Speiseröhre und Darm, und landet im Verdauungstrakt der Kommunikation. Anhand des Verdauungsbildes erarbeiten wir die verschiedenen Phasen von Sprache, Macht, Nicht-Verstehen und auch die Lust an den Klängen von Sprache(n). Tümay Kılınçel: Im Raum gibt es beispielsweise einen kuscheligen, großen Teppich, die Magensuppe. Hier kann sich das Publikum hinlegen und an die Decke des Theaters sehen, an der wiederum verschiedene Buchstabenteile hängen. Buchstabenteile sind im Raum prägnant: Es gibt Bänke, die zu Buchstaben verschiedenster Sprachsysteme zusammengesetzt werden können. In einem abschließenden Satz: Habt Ihr einen Wunsch, wie Sprache im Theater verwendet werden soll? Wicki Bernhardt: Wir haben viel rumgesponnen: Was wäre, wenn das Theaterprogramm ganz selbstverständlich in verschiedenen Sprachen angeboten würde? Auf jeden Fall müssen sowohl die Ensembles, die Häuser, als auch die Regisseur*innen diverser in ihren Erfahrungen und den dazugehörigen Perspektiven sein. Tümay Kılınçel: Auf der Bühne, hinter der Bühne und im Publikum eine Sichtbarkeit der gesamten Gesellschaft.

[ˈʃprɛçn̩ ] von Wicki Bernhardt und Tümay Kılınçel ab 9 Jahren. Uraufführung Der Premierentermin wird noch bekannt gegeben.


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