P. Thomas de Saint Laurent
Das Buch des Vertrauens
DER AUTOR. Aus einer altadligen Familie aus dem Süden Frankreichs stammend, wurde P. Thomas de Saint Laurent am 7. Mai 1879 in Lyon geboren. Er starb am 11. November 1949 in Uzes. In seinem segenreichen priesterlichen Leben entwjkkelte er ein großes und fruchtbares Apostolat. Er zeichnete sich als ein hervorragender Prediger und Schriftsteller aus. Er war Kaplan der Katholischen Jugend, Apostolischer Missionar, Kanonikus der Kathedrale von Nimes und Kaplan des Karmels von Uzes. Als Doktor der Theologie und der Philologie schrieb er zahlreiche pädagogische und geistige Bücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Die bekanntesten seien hier genannt: ,,Die hl. Jungfrau Maria", ,,Mit dem leidenden Jesus", ,,Seelen der Heiligen", ,,Die Selbstbeherrschung" und „Schrittweise und vollendete Methode der psychischen Übung" u.a..
1. deutsche Ausgabe 2000 © Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) e.V. Übersetzung: Alfred J. Keller Gestaltung: Faoro und Barandiaran Umschlagseite: Bild der Madonna, das im von Priestern des Augustinenordens betreuten Heiligtum Unserer Lieben Frau des Guten Rates in Genazzano (Rom) verehrt wird. Das Foto wurde uns freundlicherweise vom Heiligtum zur Verfügung gestellt. Druck: Henargraf S.L. Coslada/Madrid
Die Publikationen der Aktion ,,Deutschland braucht Mariens Hilfe" können bestellt werden bei: DVCK e.V. Emil-von-Behring-Str. 43 60439 Frankfurt/M
P. THOMAS DE SAINT LAURENT
Das Buch des Vertrauens AKTION „DEUTSCHLAND BRAUCHT MARIENS HILFE" DVCKe. V.
INHALT
VORWORT
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KAPITEL I - Vertrauen!
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-Der Herr fordert uns auf, Vertrauen zu haben -Viele Seelen haben Angst vor Gott -Anderen fehlt der Glaube -Das Mißtrauen gegen Gott schadet ihnen nur -Zweck und Gliederung dieser Arbeit
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KAPITEL II - Natur und Eigenschaften des Vertrauens
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-Das Vertrauen ist eine feste Hoffnung -Sie wird vom Glauben gestärkt -Das Vertrauen ist unerschütterlich -Es rechnet nur mit Gott -Es freut sich sogar über fehlende menschliche Hilfe
KAPITEL III - Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse -Gott sorgt für unsere zeitlichen Bedürfnisse -Er tut dies je nach Lage des Einzelnen -Wir sollen uns nicht um die Zukunft ängstigen -An erster Stelle hat immer das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zu stehen -Wir sollen für unsere zeitlichen Bedürfnisse beten
KAPITEL IV - Das Vertrauen in Gott und unsere geistlichen Bedürfnisse -Die Barmherzigkeit des Herrn gegenüber den Sündern -Die Gnade kann uns in einem Augenblick heiligen -Gott schenkt uns jede zur Heiligung und Rettung unserer Seele notwendige Hilfe -Der Anblick des Kreuzes soll unser Vertrauen wiederbeleben
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Inhalt
KAPITEL V - Gründe des Gottvertrauens -Die Fleischwerdung des Wortes -Die Macht des Herrn -Seine Güte
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KAPITEL VI - Früchte des Vertrauens -Das Vertrauen verherrlicht Gott -Es lenkt außerordentliche Gnaden auf die Seelen -Das vertrauensvolle Gebet vermag alles -Das Beispiel der Heiligen -Abschluß
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Vorwort
von Erzbischof Angela Comastri
Loreto, den 2. Februar 1999 Fest der Darstellung Jesu Wenn ich den heiligen Rosenkranz bete, versuche ich mir immer das Antlitz der Madonna vorzustellen und sehe mich vor einem ruhigen und vertrauensvollen Gesicht einer Mutter: Ich sehe zwei Augen, kristallklar wie ein wolkenloser Himmel, ich sehe ein fröhliches und strahlendes Verhalten, ich sehe zwei mütterlich ausgestreckte Arme und fühle das gute und freundliche Herz der Mutter. Ist das ein Traum? Ist das eine Einbildung? Nein, denn das Evangelium öffnet einen Raum des inneren Heiligtums Mariens und offenbart uns die fabelhaften Musiknoten ihrer unbefleckten Seele. Der hl. Lukas, Evangelist, erzählt, daß als Maria in der Nähe des Hauses von Elisabeth kam und den Gruß aussprach (,,shalom"), etwas Außerordentliches stattfand: Die Freude Mariens übertrug sich auf wunderbare Weise auf den kleinen Johannes, der noch im Schoße seiner Mutter weilte, stieg in
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Vorwort
das Herz Elisabeths hinauf und wurde zu einem Bewunderungsruf auf deren Lippen: ,,Selig, die geglaubt hat, daß in Erfüllung gehen wird, was ihr gesagt worden ist vom Herrn" (Lk 1, 45). Und Maria, mit der Reinheit des Kristalls, der das Licht nicht verbergen kann, öffnete ihre Seele und offenbarte das Geheimnis ihres unerschütterlichen Vertrauens: ,,Hochpreist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt über Gott, meinen Heiland; er schaut gnädig herab auf die Niedrigkeit seiner Magd; denn siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter" (Lk 1, 46-49). Wie konnte Maria diese Worte fassen? Wie konnte sie es in einer einzigartigen Situation und nach einer ermüdenden Reise tun? Wie konnte Maria eine vollendete Freude und ein unerschütterliches Vertrauen bewahren? Das Evangelium antwortet uns eindeutig: Der Frieden Mariens quoll aus dem Ja, einem Ja zu Gott in absoluter Freiheit, in aufrichtiger Demut und in kindlicher Hingabe. Völlig vereint mit Gott konnte Maria in jedweder Situation die vertrauensvollen Worte des Psalms 18 wiederholen: ,,Ich liebe dich, Herr, meine Stärke, Herr, meine Felsenburg, mein Retter, mein Gott, mein Fels, auf den ich baue, mein Schild und meines Heiles Stärke, meine Festung! Lobpreisend rufe ich zum Herrn; so werde ich befreit von meinen Feinden . .. . Er streckte aus der Höhe seine Hand und faßte mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern. Er entriß mich meinem starken Feind, 8
Erzbischof Angelo Comastri
meinen Gegnern, die an Kraft mich übertrafen. Sie überfielen mich an meinem Unglückstag; doch der Herr ward mir zur Stütze. Er fü.hrte mich hinaus ins Weite, entriß mich, da er wohlgesinnt war. " Dieses Werk, ,,Das Buch des Vertrauens, aus dem Herzen von P. Thomas de Saint Laurent kommend, führt die Seele des Lesers auf dem Weg des Vertrauens. Es ist ein Weg, beschrieben von einem, der ihn kennt, weil er ihn gegangen ist (das merkt man!); es ist ein Weg, auf dem der Gesang vom Vertrauen Mariens wie eine süße Untermalung ist, die ins Gedächtnis sich einprägt und das Herz entflammt, damit auf den Lippen das kindliche Gebet erblüht: ,, Gegrüßet seist Du, Maria, meine Mutter, mein Vertrauen!"
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Co~
Erzbischof-Päpstlicher Legat von Loreto
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„Alles ist dem möglich, der glaubt" sprach er zum Vater des kleinen Besessenen. Und im Kloster Paray-le-Monial wiederholte er gegenüber der heiligen Margareta Maria fast die gleichen Worte: „Wenn du glauben kannst, wirst du die Macht meines Herzens im Glanz meiner Liebe sehen ... "
Erstes Kapitel
Vertrauen! Der Herr fordert uns auf, Vertrauen zu haben Stimme des Herrn, geheimnisvolle Stimme der Gnade, die du im Schweigen der Herzen erklingst, tief in unserem Bewußtsein süße Worte des Friedens flüsterst - angesichts unseres gegenwärtigen Elends wiederholst du den Rat, den der Meister während seines irdischen Lebens immer wieder gab: ,,Habt Vertrauen!" Zu der schuldbewußten, unter der Last ihrer Vergehen leidenden Seele, sprach Jesus: ,, Sei getrost, mein Sohn, vergeben sind deine Sünden! "' ,, Sei getrost, meine Tochter ", sprach er auch zu der bereits aufgegebenen Kranken, die nur von ihm allein noch 2 Heilung erwartete, ,, dein Glaube hat dich gerettet ". Als die Apostel vor Entsetzen zitterten, weil sie ihn bei Nacht auf dem See Genesareth wandeln sahen, beruhigte er sie mit den tröstlichen Worten: ,, Seid getrost, ich bin es! Fürchtet euch nicht!" 3 Und im Bewußtsein der unendlichen Früchte seines Opfers rief er, bevor er in den Tod ging, beim Abendmahl triumphierend: ,, Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. " 4 ( 1) (2) (3) (4)
Confide, fili, remittuntur tibi peccata tua. Matthäus, IX, 2. Confide,filia,fides tua te salvamfecit. Matthäus, IX, 22. Confidete, ego sum, nolite temere. Markus, VI, 50. Confidete, ego vici mundum Johannes, XVI, 33.
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Erstes Kapitel
Wenn dieses göttliche Wort voller Zärtlichkeit und Erbarmen über seine anbetungswürdigen Lippen kam, bewirkte es in den Seelen einen wunderbaren Wandel. Ein übernatürlicher Tau befruchtete ihre Dürre, das Aufleuchten der Hoffnung zerriß ihre Dunkelheit, eine ruhige Gelassenheit vertrieb ihre Angst. Denn die Worte des Herrn sind: ,, Geist und Leben. " 5 „Selig, die das Wort Gottes hören und es bewahren. " 6 Wie er dereinst seine Jünger, so fordert uns der Herr heute auf, Hoffnung zu haben. Warum sollten wir uns seiner Stimme verschließen? ...
Viele Seelen haben Angst vor Gott Selbst unter den eifrigsten Christen besitzen nur wenige dieses Vertrauen, das jede Art von Angst und Bedenken ausschließt. Für diese Schwäche gibt es mehrere Gründe. Das Evangelium berichtet, daß der wunderbare Fischfang den heiligen Petrus in Schrecken versetzte. Mit seinem gewohnten Ungestüm wurde er sich ohne lange Umschweife der unendlichen Entfernung bewußt, die zwischen seiner eigenen Kleinheit und der Größe des Meisters lag. Ein heiliger Schrecken erfaßte ihn, er fiel Jesus zu Füßen und mit dem Gesicht am Boden rief er: ,, Geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr! "7 Wie den Apostel, erfaßt dieser Schrecken auch gewisse Seelen, denn sie verspüren so lebhaft ihre eigene Armseligkeit und ihr Elend, daß sie es kaum wagen, sich der göttlichen Heiligkeit zu nahen. Es kommt ihnen vor, als müsse Gott in all seiner Reinheit sich abgestoßen fühlen, wenn er sich ihnen zuneigt. Dieser traurige Eindruck verleiht ihrem inneren Leben eine zwanghafte Haltung und lähmt sie oft völlig. Wie täuschen sich aber diese Seelen! (5) (6) (7)
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Verba quae ego locutus sum vobis, spiritus et vita sunt. Johannes, VI. 63. Beati Qui audiunt verbum Dei et custodiunt illud. Lukas, XI, 28. Exi a me, quia homo peccator sum, Domine. Lukas, V, 8.
Der Wasserschlund drohte den Apostel zu verschlingen . Petrus schauderte ... stockte einen Augenblick und fing an zu sinken ... ., Du Kleingläubiger, sprach lesus zu ihm, warum hast du gezweifelt? ... " Das ist auch unsere Geschichte.
Erstes Kapitel
Jesus ging sofort auf den erschrockenen Apostel zu und sprach 8 zu ihm: ,, Fürchte dich nicht! " und hieß ihn aufstehen ... Auch ihr, Christen, die ihr so so viele Beweise seiner Liebe empfangen habt, braucht euch nicht zu fürchten. Der Herr will vor allem eines nicht von euch: daß ihr euch vor ihm fürchtet! Eure Unvollkommenheit, eure Schwächen, eure Fehler, wenn sie auch noch so schwer sind, eure ach so häufigen Rückfälle - nichts wird ihn entmutigen, wenn ihr euch nur ehrlichen Sinnes bekehren wollt. Je armseliger ihr seid, um so mehr Mitleid wird er mit eurem Elend haben, um so inniger wünscht er sich, an euch seine Sendung als Erlöser zu erfüllen ... 9 Ist er nicht vor allem für die Sünder auf die Erde gekommen?
Anderen fehlt der Glaube Anderen Seelen fehlt es an Glauben. Sie besitzen natürlich den gewöhnlichen Glauben, ohne den sie die Taufgnade verraten würden. So glauben sie, daß der Herr allmächtig, gut und seinen Versprechungen treu ist; sie verstehen es aber nicht, diesen Glauben auf ihre eigenen Bedürfnisse zu übertragen. Sie sind nicht völlig davon überzeugt, daß Gott, der ihre Prüfungen kennt, sich ihnen zuwendet, um ihnen beizustehen. Jesus Christus verlangt aber diesen besonderen, konkreten Glauben von uns. Wie er ihn einst als unabdingbare Voraussetzung für seine Wundertaten forderte, so erwartet er ihn auch von uns, bevor er uns seine Wohltaten schenkt ... 10 „Alles ist dem möglich, der glaubt" sprach er zum Vater des kleinen Besessenen. Und im Kloster Paray-le-Monial wiederholte er gegenüber der heiligen Margareta Maria fast die gleichen Worte: „Wenn du glauben kannst, wirst du die Macht meines Herzens im Glanz meiner Liebe sehen ... " (8) (9) (10)
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Noli timere. Lukas, V, 10. Non enim veni vocarejustos sedpeccatores. Markus, II, 17. Si credere potes, omnia possibilia sunt credenti. Markus, IX, 23.
Vertrauen!
Könnt ihr glauben? Kann eure Gewißheit so stark sein, daß nichts sie zu erschüttern vermag, so klar, daß sie einem Beweis gleichkommt? ... Das ist alles. Wenn ihr diesen Grad an Vertrauen erreicht habt, werdet ihr sehen, welche Wunder an euch geschehen ... Bittet den göttlichen Meister, daß er euren Glauben vermehre. Richtet immer wieder die Bitte des Evangeliums an ihn: ,,Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben! " 11
Das Mißtrauen gegen Gott schadet ihnen nur Was auch immer die Gründe für das Mißtrauen sein mögen, es bringt uns Verluste und beraubt uns wichtiger Güter. Als der heilige Petrus aus dem Boot stieg, um dem Heiland entgegenzugehen, ging er anfangs entschlossen auf den Wogen, während der Wind mit aller Stärke weiterblies. Bald stiegen die aufgebrachten Wogen wild in die Höhe, bald stürzten sie zurück in tiefe Abgründe ... Der Wasserschlund drohte den Apostel zu verschlingen. Petrus schauderte ... stockte einen Augenblick und fing an zu sinken ... ,,Du Kleingläubiger, sprach Jesus zu ihm, warum ,+. l t .?... 11 12 hast du gezwei;e Das ist auch unsere Geschichte. In Augenblicken des Eifers sitzen wir ruhig und gesammelt zu Füßen des Meisters. Kommt aber dann der Sturm, wenden wir unsere ganze Aufmerksamkeit der Gefahr zu. Unsere Augen wenden sich vom Herrn ab und richten sich furchtsam auf unsere Leiden und Gefahren. Wir zögern ... und schon gehen wir unter! Die Versuchung kommt über uns. Die Pflicht wird uns leidig, ihre Strenge stößt uns ab, ihre Last bedrückt uns. Verwirrende Vorstellungen verfolgen uns. Der Sturm heult im Verstand, im Gefühl, im Fleisch ...
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Credo, Domine, adjuva incredulitatem meam. Markus, IX, 24. Modicaefidei, quare dubitasti ? Matthäus, XIV, 31.
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Erstes Kapitel
Und dann verlieren wir den Boden unter den Füßen; wir fallen in Sünde, in Mutlosigkeit, die noch schlimmer ist als das Vergehen selbst. Seelen ohne Vertrauen - warum zweifeln wir? Auf tausenderlei Weisen werden wir auf die Probe gestellt. Einmal sind es die weltlichen Geschäfte, die Gefahr laufen, die materielle Zukunft beunruhigt uns. Dann ist es die Bosheit, die unser Ansehen angreift. Der Tod zerreißt die rechtmäßigsten, zärtlichsten Bande der Gefühle. Da vergessen wir all die mütterliche Fürsorge, die uns die göttliche Vorsehung angedeihen läßt ... Wir murren, wir lehnen uns auf, und dadurch werden unsere Schwierigkeiten und die schmerzliche Fessel unseres Unglücks nur noch größer. Seelen ohne Vertrauen - warum zweifeln wir? Hätten wir uns dem göttlichen Meister mit um so größerem Vertrauen zugewandt, je verzweifelter uns die Lage erscheinen mochte, wäre uns nicht das geringste Übel geschehen ... Wir wären in aller Ruhe auf den Wogen gewandelt; ohne zu straucheln wären wir in die ruhige, sichere Bucht gelangt und schon bald hätten wir einen einladenden, vom Lichte des Himmels erleuchteten Ort gefunden. Auch die Heiligen hatten mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen ... viele von ihnen haben die gleichen Fehler begangen. Doch sie haben wenigstens nicht gezweifelt ... Viel demütiger jetzt nach dem Fall haben sie sich ohne Zögern erhoben und sich von nun an nur noch auf die Hilfe von oben verlassen ... In ihrem Herzen aber bewahrten sie die völlige Sicherheit, daß sie mit Gottes Unterstützung alles vermöchten. Und ihr Vertrauen wurde nicht enttäuscht!13 Werdet also zu vertrauensvollen Seelen! Der Herr fordert uns dazu auf, und unser eigenes Interesse verlangt es. So werdet ihr gleichzeitig erleuchtete Seelen und Seelen voller Frieden.
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Spes autem non confundit. Römer, V, 5.
Vertrauen!
Zweck und Gliederung dieser Arbeit Das vorliegende Büchlein hat nur diesen einen Zweck: Euch zur Erkenntnis und Praxis dieser Tugend hinzuführen. Hier sollen einfach ihre Natur, ihr Ziel, ihre Grundlagen und ihre Auswirkungen dargelegt werden. Sollte dir, frommer Leser, dieses bescheidene Büchlein dann einmal in die Hände fallen, so lege es nicht achtlos beiseite. Es geht ihm weder um literarischen Wert noch um Originalität. Es enthält nichts als trostreiche Wahrheiten, die ich in den von Gott her inspirierten Büchern und in den Texten der Heiligen aufgelesen habe - dies ist sein einziges Verdienst. Versuche, es langsam, mit Aufmerksamkeit, im Gebetsgeist zu lesen. Fast würde ich sagen: Betrachte es! Laß sich von seiner Lehre angenehm durchdringen. Der Saft des Evangeliums fließt in seinen Seiten; gibt es etwa für die Seelen eine bessere Nahrung als die Worte des Herrn? ... Hoffentlich kannst du dich nach dieser Lektüre völlig dem anbetungswürdigen Meister anvertrauen, der uns alles geschenkt hat: die Schätze seines Herzens, die Liebe, das Leben, ja sogar den letzten Tropfen seines Blutes! ...
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HI. Joseph Vorbild des Vertrauens, bittet fĂźr uns!
Zweites Kapitel
Natur und Eigenschaften des Vertrauens Das Vertrauen ist eine feste Hoffnung Mit der seinem genialen Wesenszug eigenen Knappheit definiert der heilige Thomas von Aquin das Vertrauen folgendermaßen: 14 „ Eine von fester Überzeugung gestärkte Hoffnung" • Es ist dies ein tiefgehendes Wort, das wir im vorliegenden Kapitel nur zu kommentieren brauchen. Wägen wir einmal aufmerksam die von dem „Engelgleichen Lehrer" verwendeten Begriffe ab: ,, Das Vertrauen ", sagt er, ,,ist eine Hoffnung". Aber nicht eine gewöhnliche Hoffnung, wie sie allen Gläubigen gemein ist; ein ganz bestimmtes Kennzeichen hebt sie ab: Es ist eine „ gestärkte Hoffnung ". Bemerkenswert ist jedoch, daß der Unterschied nicht in der Natur liegt, sondern nur im Grad ihrer Intensität. So wie zum Tag sowohl das unsichere Aufscheinen der Morgendämmerung als auch der Sonnenglanz des Mittags gehört, sind Vertrauen und Hoffnung Teil derselben Tugend, nur daß eben das eine das völlige Erblühen des anderen ist. (14)
Estenimfiducia spes roborata ex aliquafirma opinione. HI. Thomas, Ila. Iiae., q. 129, art. 6, ad 3.
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Zweites Kapitel
Die gewöhnliche Hoffnung verliert sich in der Verzweiflung; aber eine gewisse Unruhe erträgt sie durchaus ... Wenn sie jedoch die Vollkommenheit erreicht, die ihren Namen in „Vertrauen" verwandelt, wird sie empfindlicher. Sie duldet nun kein Zögern mehr, mag es auch noch so klein sein. Der geringste Zweifel würde sie erniedrigen und auf die Ebene einfacher Hoffnung zurückwerfen. Der königliche Seher wählte seine Worte sehr genau, als er das 15 Vertrauen eine „Überhoffnung" nannte. Tatsächlich handelt es sich hier um eine auf den Höhepunkt ihrer Intensität gebrachte Tugend. Und Saint-Jure, einer der meistbeachteten geistlichen Autoren des 17. Jahrhunderts sah in ihr geradezu eine „ außerordentliche, heldenhafte " 16 Hoffnung. So ist also das Vertrauen keineswegs eine Alltagsblume. Sie wächst auf Bergeshöhen und wird nur von den Großmütigsten gepflückt.
Sie wird vom Glauben gestärkt Gehen wir in unseren Überlegungen weiter. Was für eine souveräne Kraft stärkt die Hoffnung derart, daß sie sich von den Anstürmen der Widrigkeiten nicht erschüttern läßt? ... Der Glaube! Die vertrauensvolle Seele behält die Versprechen des himmlischen Vaters im Gedächtnis und betrachtet sie tiefgehend. Sie weiß, daß Gott sein Wort nicht brechen kann, und bleibt daher unerschütterlich in ihrer Sicherheit. Wenn die Gefahr sie bedroht, sie einschließt, sie sogar beherrscht, bleibt sie dennoch gelassen. Trotz des drohenden Risikos wiederholt die die Worte des Psalmisten: ,,Der Herr ist mein Licht und mein Heil ... vor wem sollte ich mich
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In verba tua supersperavi. Psalmen, CXVill. Saint-Jure: De La connaissance et de lamour de J. C., Bd. m, S. 3.
Natur und Eigenschaften des Vertrauens
fürchten? Der Herr ist meines Lebens sicherer Schutz ... vor wem sollte ich erschrecken?... " 17 • Zwischen Glaube und Vertrauen bestehen engste Beziehungen, innigste verwandtschaftliche Bindungen. Mit den Worten eines modernen Theologen muß man im Glauben „den Grund und die 18 Wurzel" des Vertrauens sehen. Je tiefer aber die Wurzel ins Erdreich vordringt, um so mehr Nährstoffe holt sie aus diesem heraus, umso stärker wird der Stengel und umso reicher die Blüte. So entwickelt sich auch unser Vertrauen in dem Maße, in dem sich unser Glaube vertieft. Die heiligen Bücher wissen um die Beziehung, die diese beiden Tugenden vereint. Werden deshalb nicht beide von der Feder der heiligen Urheber mit dem Wort „fides" bezeichnet?
Das Vertrauen ist unerschütterlich Vielleicht haben die vorausgegangenen Überlegungen einen zu abstrakten Eindruck hinterlassen. Dennoch war es notwendig, auf ihnen zu bestehen, denn von ihnen leiten wir die Merkmale des wirklichen Vertrauens ab. Das Vertrauen, schreibt Saint-Jure, ist „in einem so hohen Grad fest, beständig und gleichbleibend, daß nichts auf der Welt es niederreißen, ja nicht einmal erschüttern kann" 19 • Stellt euch die be~ngstigendsten, schlimmsten Fälle des irdischen Daseins vor; scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten im geistlichen Leben: Nichts davon wird den Frieden der zuversichtlichen Seele ändern ... Unvorhersehbare Katastrophen können die Ruinen ihres Glücks um sie herum anhäufen; beherrschter als der Weise des Altertums wird diese Seele die Ruhe bewahren: ,,lmpavidum ferient ruinae "20• (17)
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Dominus illuminatio mea et salus mea; quem timebo? Dominus protector vitae meae; a quo trepidabo? Pslamen, XXVI, 1. Itaque quatenus fides est causa et radix hujus fiduciae, potest accipi fides pro fiducia causaliter, ut quando S. Jacobus ait: Postulet infide nihil haesitans ([, 6). lbi enim et aliis similibus locisfides aut simpliciter ponitur pro fiducia aut intelligitur quidamfides dogmatica, sed in quantum roborat spem. - Pesch, Praelectiones dogmaticae, Bd. VII, S. 51 , Nota 2. Saint-Jure: De La connaissance et de lamour de J. C., Bd. lli, S. 3. Horaz, 3. Ode des m. Buches.
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Zweites Kapitel
Sie wird sich schlicht und einfach dem Herrn zuwenden und sich mit um so mehr Sicherheit auf ihn stützen, als sie sich von der menschlichen Hilfe verlassen fühlt. Mit noch größerer Inbrunst wird sie beten und im Dunkel der Heimsuchung ihren Weg weitergehen, um in der Stille die Stunde Gottes abzuwarten. Ein solches Vertrauen ist selbstverständlich selten anzutreffen; wenn es aber nicht dieses Minimum an Vollkommenheit erreicht, verdient es nicht den Namen Vertrauen. In der Heiligen Schrift und im Leben der Heiligen finden wir übrigens erhabene Beispiele dieser Tugend. Ohne Hab und Gut, ohne Familie und am eigenen Körper leidend, lag Job in seinem kläglichsten Elend da, während ihm seine Freunde und sogar seine Frau den Schmerz mit ihren grausamen Reden nur noch erhöhten. Er aber ließ sich nicht zur Verzweiflung bringen; kein Murren mischte sich unter sein Stöhnen. Gedanken des Glaubens hielten 1 ihn aufrecht. ,, Mag er mich töten, ich harre seiner/2 ließ er von sich vernehmen. Ein bewundernswertes Vertrauen, das Gott herrlich belohnt hat. Die Prüfung ging vorüber: Job wurde wieder gesund, gewann erneut ein großes Vermögen und führte schließlich ein wohlhabenderes Leben als zuvor. Auf einer seiner Reisen fiel der heilige Martin einmal Räubern in die Hände. Die Banditen beraubten ihn aller Habe und waren im Begriff, ihn zu erschlagen, als sie plötzlich von der Gnade der Reue getroffen oder von einem geheimnisvollen Entsetzen ergriffen wurden und ihn gegen alle Erwartungen frei ließen. Später fragte man den berühmten Bischof, ob er in dieser gefährlichen Lage denn keinerlei Furcht verspürt habe. ,,Nein", antwortete er darauf, ,,denn ich wußte, daß das Eingreifen Gottes umso gewisser als menschliche Hilfe unwahrscheinlicher war. " Die meisten Christen ahmen leider diese Beispiele leider nicht nach. Gerade in der Zeit der Prüfung sind sie am weitesten von Gott (21)
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Etiamsi occiderit me, in ipso sperabo. Job, XIII, 15.
Natur und Eigenschaften des Vertrauens
entfernt. Viele stoßen den Ruf um Hilfe nicht aus, den Gott von ihnen erwartet, um ihnen zu Hilfe zu eilen. Verhängnisvolle Nachlässigkeit! - ,,Die göttliche Vorsehung", pflegte Ludwig von Granada zu sagen, ,,will die außerordentlichen Schwierigkeiten unseres Lebens selbst lösen, während sie den Nebenursachen die Lösung 22 der gewöhnlichen Schwierigkeiten überläßt" • Doch muß man um Gottes Hilfe bitten. Er gibt sie uns gern. ,,Das Kind ist der Amme, deren Milch es saugt, keineswegs lästig, im Gegenteil, es bringt ihr 23 Erleichterung. " Es gibt auch Christen, die in schweren Stunden zwar mit Inbrunst beten, aber nicht mit Beständigkeit. Wenn sie nicht sofort Erhörung finden, fallen sie aus einer überspannten Hoffnung in eine sinnlose Niedergeschlagenheit. Sie verkennen die Wege der Gnade. Gott behandelt uns wie Kinder: Manchmal stellt er sich taub, nur weil es ihm Vergnügen bereitet, von uns angerufen zu werden ... Warum so schnell den Mut verlieren, wenn es im Gegenteil nur darauf ankommt, mit mehr Nachdruck zu bitten? ... So lehrt uns der heilige Franz von Sales: ,,Die göttliche Vorsehung schiebt die Hilfe hinaus, um unser Vertrauen herauszufordern. „Wenn unser himmlischer Vater uns nicht immer das gibt, worum wir ihn bitten, dann geschieht dies, um uns bei sich zu behalten und uns Gelegenheit zu geben, mit liebevoller Gewalt auf unserer Bitte zu bestehen, wie er es den zwei Jüngern von Emmaus deutlich gemacht hat, bei denen er erst am Abend blieb, und zwar erst 24 nachdem sie ihn dazu zwangen" •
Es rechnet nur mit Gott Unerschütterliche Entschlossenheit ist also das erste Merkmal des Vertrauens. Die zweite Eigenschaft dieser Tugend ist noch vollkommener. ,,Sie veranlaßt den Menschen dazu, nicht mit der Hilfe der Geschöp(22) (23) (24)
Ludwig von Granada: Erste Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanie. Ders. Kleine Bolandisten, Bd. XIV, S. 542.
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Zweites Kapitel
fe zu rechnen, gleich, ob es sich um Hilfe aus den eigenen Kräften,
aus seinem Geiste, seiner Urteilskraft, seinem Wissen, seiner Art, seinem Reichtum, seiner Glaubwürdigkeit, seinen Freunden, Verwandten oder sonst irgendwelchem Besitzstand handelt oder um ein Zuhilfekommen, das etwa von anderen zu erwarten wäre: von Königen, Fürsten und irgendeiner Kreatur; denn er weiß sehr wohl um die Schwäche und Nichtigkeit jeden menschlichen Beistands. Er sieht in ihnen das, was sie wirklich sind, und gibt der heiligen Therese Recht, die von trockenen Wacholderzweigen spricht, die zerbrechen, kaum daß man sie anfaßt"25 • Nun wird vielleicht einer fragen, ob diese Theorie sich nicht von einem falschen Mystizismus herleitet ... Führt sie nicht etwa zum Fatalismus oder doch wenigstens zu einer gefährlichen Passivität? Wozu sich Mühe geben, um die Schwierigkeiten zu überwinden, wenn alle Hilfe schließlich doch in unseren Händen zerbrechen muß? Legen wir also die Hände in den Schoß und warten wir auf das Eingreifen Gottes! ... Nein, Gott will nicht, daß wir uns der Trägheit hingeben; er verlangt, daß wir ihn nachahmen. Sein vollkommenes Handeln kennt keine Grenzen. Er ist die reine Tat. Wir müssen also handeln; die Wirksamkeit unseres Tuns dürfen wir jedoch nur von ihm erwarten. ,,Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!" Das ist die Ökonomie des Plans der Vorsehung. Also, auf die Posten! Arbeiten wir mit Fleiß, aber Geist und Herz sollen nach oben gewandt sein. ,, Sinnlos ist es für euch, daß ihr früh aufsteht" 26, sagt die Heilige Schrift, wenn der Herr nicht hilft, werdet ihr nichts erreichen. Tatsächlich befinden wir uns in einer radikalen Ohnmacht. 27 ,, Getrennt von mir könnt ihr nichts tun, " sagt der Heiland. In der übernatürlichen Ordnung ist unsere Ohnmacht absolut. Man braucht ja nur die Lehre der Theologen zu hören. Ohne die Gnade ist der Mensch nicht in der Lage, auf längere Zeit die Gebote Gottes in ihrer Gesamtheit zu beobachten. (25) (26) (27)
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Saint-Jure: De la connaissance et de lamour de J. C., Bd. m, S. 3. Vanwn est vobis ante lucem surgere. Psalmen, CXXVI, 2. Sine me nihil potestis facere. Johannes, XV, 5.
Natur und Eigenschaften des Vertrauens
Ohne die Gnade ist er nicht in der Lage, allen Versuchungen zu widerstehen, die ihn oft mit äußerster Heftigkeit anfallen. Ohne die Gnade können wir keinen guten Gedanken fassen oder selbst das kürzeste Gebet sprechen; ohne sie sind wir nicht einmal imstande, den Namen Jesu mit Frömmigkeit anzurufen. Alles, was wir in der übernatürlichen Ordnung tun, bekommen 28 wir allein von Gott. Und selbst in der natürlichen Ordnung ist es Gott, der uns den Sieg verleiht. Der hl. Petrus hatte die ganze Nacht gearbeitet, und zwar mit Ausdauer; er kannte sehr wohl die Geheimnisse seines harten Berufs. Und doch hatte er die stillen Wasser des Sees umsonst durchfahren - nichts hatte er gefangen! Nun steigt der Meister in sein Boot; in seinem Namen wirft er abermals das Netz aus - und schon macht er einen wunderbaren Fang; so groß ist die Zahl der gefangenen Fische, daß sogar die Maschen des Netzes zerreißen ... Dem Beispiel des Apostels folgend, sollen auch wir unermüdlich unsere Netze auswerfen; doch den wunderbaren Fischfang dürfen wir nur vom Herrn erwarten. ,,In allem, was ihr tut," sagte der heilige Ignatius von Loyola, ,,sollt ihr diese Regel aller Regeln befolgen: ,,Vertraut auf Gott, handelt aber so, als ob der Erfolg einer jeden Tat ganz allein von euch und nichts von Gott abhängen würde; wenn ihr aber dann eure Anstrengungen einbringt, um ein gutes Ergebnis zu erzielen, rechnet nicht mit ihnen und handelt so, als ob alles durch Gott allein 29 geschehen würde und nichts durch euch. "
Es freut sich sogar über fehlende menschliche Hilie Nicht den Mut zu verlieren, wenn sich das Trugbild der menschlichen Hoffnungen verflüchtigt ... nur mit der Hilfe des Himmels zu rechnen, wäre das nicht schon eine sehr große Tugend? ... Die kraftvolle Schwinge des wirklichen Vertrauens stößt jedoch in noch höhere Regionen vor. Dahin gelangt sie mit Hilfe einer Art (28) (29)
Sufficientia nostra ex Deo est. II Korinther, m, 5. P. Xavier de Franciosi: LEsprit de Saint lgnace, S. 5.
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Zweites Kapitel
verfeinerten Heldentums und erreicht damit den höchsten Grad der Vollkommenheit. Der besteht darin, daß sich die Seele glücklich schätzt, wenn sie aller menschlichen Unterstützung entsagen muß, von Verwandten, Freunden, allen Geschöpfen verlassen ist, die ihr nicht helfen wollen oder können, die ihr keinen Rat geben noch ihr mit ihrer Begabung oder ihrer Glaubwürdigkeit dienen können, die keinen 30 Weg mehr sehen, ihr zu Hilfe zu kommen ... . Weich tiefe Weisheit läßt eine solche Freude in so grausamen Umständen erkennen! ... Um unter den Schlägen, die eigentlich unsere Energie brechen sollten, das Halleluja anstimmen zu können, muß man das Herz des Herrn zutiefst kennen, muß blindlings an seine barmherzige väterliche Liebe und seine allmächtige Güte glauben, muß sich absolut sicher sein, daß er für sein Eingreifen gerade den Augenblick ausweglosester Situationen wählt ... Nach seiner Bekehrung hat der heilige Franz von Assisi die Ruhmesträume, die ihn vorher geblendet hatten, verachtet. Er floh die weltlichen Zusammenkünfte und zog sich in die Wälder zurück, um sich über lange Zeit dem Gebet hinzugeben; er verteilte reichlich Almosen ... Dieser Wandel mißfiel seinem Vater, der den Sohn vor die höchste kirchliche Autorität des Bistums schleppte und ihn anklagte, seine Güter zu verschleudern. In Gegenwart des verwunderten Bischofs verzichtete daraufhin Franziskus auf das väterliche Erbe; er entledigte sich sogar der Kleider, die er von seiner Familie hatte; er entäußerte sich aller Dinge! ... Und es überkam ihn ein übermenschliches Glück, das ihn ausrufen ließ: ,,Jetzt kann ich dich endlich mehr den je Vater unser im Himmel nennen!" Hier sieht man, wie die Heiligen handeln. Ihr vom Unglück getroffenen Seelen, murrt nicht in der Verlassenheit, in der ihr euch befindet! Gott verlangt keine sichtbare Freude von euch, denn unsere Schwachheit erlaubt uns diese nicht. Belebt nur euren Glauben neu, habt Mut und gebt euch nach den (30)
26
Saint-Jure: De la cormaissance et de /amour de J. C. , Bd. III, S. 4.
Natur und Eigenschaften des Vertrauens
Worten des heiligen Franz von Sales in der „feinen Spitze der Seele" Mühe, Freude zu verspüren. Die göttliche Vorsehung hat euch das richtige Zeichen gegeben, an dem man erkennt, daß ihre Stunde gekommen ist: Sie hat euch jede Unterstützung entzogen. Damit ist der Augenblick gekommen, der Beunruhigung der Natur zu widerstehen. Im innerlichen Stundengebet seid ihr an die Stelle gekommen, wo es gilt, das Magnifikat zu singen und den Weihrauch aufsteigen zu lassen: ,, Freuet euch allezeit im Herrn; nochmals sage ich, freuet euch: Der Herr ist nahe.!"31 Folgt diesem Rat und es wird euch zum Vorteil gereichen. Wenn sich der göttliche Meister von einem derart großen Vertrauen nicht rühren lassen würde, wäre er nicht der, den die Evangelien so mitleidvoll zeigen und der angesichts unserer Leiden schmerzlich bewegt war. Eine privilegierte Seele ließ der Herr einmal wissen: ,,Wenn ich auch gütig zu allen bin, so bin ich doch sehr gütig zu denen, die auf mich vertrauen. Weißt du, welche Seelen aus meiner Güte den größten Gewinn ziehen? Diejenigen, die am meisten erwarten ... Die vertrauenden Seelen rauben mir meine Gnaden!. ..'m.
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Gaudete in Domino semper: iterum dico, gaudete ... Dominus prope est. Philipper, IV, 4 und 5. Schwester Benigna Consolata Ferrero, S. 95 und 96. Tip. Rondil, Lyon. Tor Lebensbericht erschien 1920 mit dem Imprimatur des Erzbischofs und den durch die Dekrete Urban Vill. vorgeschriebenen Erklärungen.
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Drittes Kapitel
Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse Gott sorgt für unsere zeitlichen Bedürfnisse Wir haben bereits gesagt, daß das Vertrauen eine heldenhafte Hoffnung ist; sie unterscheidet sich von der allen Gläubigen gemeinen Hoffnung nur durch ihren Grad an Vollkommenheit. Sie erstreckt sich folglich auf die gleichen Situationen wie diese Tugend, doch sind ihre Handlungen intensiver und begeisterter. Mit der gewöhnlichen Hoffnung erwartet das Vertrauen vom himmlischen Vater alle Hilfe, die notwendig ist, um hier auf Erden heilig zu leben und die Seligkeit im Paradies zu verdienen. So erwartet es zuerst einmal die zeitlichen Güter in dem Maße, in dem diese uns zum letzten Ziel führen können. Nichts ist logischer: Wir können den Himmel nicht als reine Geister erobern wollen; wir sind aus Leib und Seele zusammengesetzt. Dieser Leib, den der Schöpfer mit seinen anbetungswürdigen Händen geschaffen hat, ist unser untrennbarer Gefährte im irdischen Dasein; und er wird auch nach der allgemeinen Auferstehung unser Los teilen. Wir können also seiner Hilfe im Kampf um die Eroberung der Seligkeit nicht entbehren. 29
Drittes Kapitel
Nun hat aber der Leib für seinen Unterhalt und zur Erfüllung seiner Aufgaben vielerlei Bedürfnisse. Diesen muß die göttliche Vorsehung nachkommen; und das tut sie auch auf vortreffliche Weise. Gott sorgt für unsere Bedürfnisse ... und zwar aufs Großzügigste. Sein wachsamer Blick folgt uns und läßt uns nicht ins Elend · sinken. Inmitten materieller Schwierigkeiten dürfen wir uns nicht beirren lassen, wenn sie auch noch so beängstigend sind. Mit aller Sicherheit erwarten wir aus den göttlichen Händen, was wir zum Lebensunterhalt brauchen. ,, Darum sage ich euch ", mahnt der Heiland, ,, sorgt nicht ängstlich für euer Leben, was ihr essen oder trinken, noch für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung ? Betrachtet die Vögel des Himmels! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel wertvoller als sie? ... Und warum sorgt ihr ängstlich für die Kleidung ? Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht und spinnen nicht; und doch sage ich euch: Selbst Salomon in all seiner Herrlichkeit war nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, also kleidet, wieviel mehr euch, ihr Kleingläubigen ? Sorget euch also nicht ängstlich und sagt nicht: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns bekleiden ? Denn nach all dem trachten die Heiden. Es weiß ja euer Vater im Himmel, daß ihr all dessen bedürft. Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch dazugegeben werden. " 33 (33)
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Ideo dico vobis, ne solliciti sitis animae vestrae quid manducetis, neque corpori vestro quid induamini. Nonne anima plus est quam esca, et corpus plus quam vestimentum? Respicite vo/atilia caeli, quoniam non serunt, neque metunt, neque concregant in horrea, et Pater vester caelestis pascit il/a. Nonne vos magis pluris estis illis? Et de vestimento quod solliciti estis? Considerate lilia agri quomodo crescunt: non Laborant neque nent. Dico autem vobis quoniam nec Salomon in omni gloria sua coopertus est sicut unum ex illis. Si autemfaenum agri, quod hodie est et cras in clibanum mittitur, Deus sie vestit: quanto magis vos, modicaefidei! Nolite ergo solliciti esse, dicentes: Quid manducabimus, auf quid bibemus, aut quo operiemur?
Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse
Es reicht nicht, einfach nur das Auge über diese Rede des Herrn schweifen zu lassen. Es ist wichtig, ihr längere Zeit unsere Aufmerksamkeit zu schenken, um ihren tieferen Sinn herauszufinden und in ihre Lehre einzudringen.
Er tut dies je nach Lage des Einzelnen Sind diese Worte wörtlich zu verstehen und in ihrem engeren Sinn auszulegen? Gibt uns Gott nur das unbedingt Notwendige: ein Stück trockenes Brot, einen Becher Wasser, ein paar Lappen, deren unser Elend dringend bedarf? Nein, der Vater im Himmel behandelt seine Kinder nicht mit geiziger Sparsamkeit. Wer so denkt, lästert die göttliche Güte; das hieße, wenn ich so sagen darf, die Gewohnheiten Gottes verkennen. Denn bei der Ausübung seiner Vorsehung zeigt er sich, wie übrigens auch in seinem Schöpfungswerk, äußerst freigiebig. Wenn er seine Welten durch die Räume wirft, schafft er aus dem Nichts Tausende von Sternen. Ist in der Milchstraße, diesem immensen Himmelsbereich leuchtender Nächte, nicht jedes Sandkorn eine ganze Welt? Wenn er die Vögel ernährt, lädt er sie an die überaus reich gedeckte Tafel der Natur. Er hält für sie den Weizen bereit, der die Ähren füllt, alle Arten von Körnern, die in der Pflanzenwelt reifen, die Früchte, die der Herbst in den Wäldern vergoldet, die Saat, die der Bauer in die Furchen streut. Eine nicht enden wollende Vielzahl an Nahrung für diese bescheidenen Tierchen! ... Wenn er die Pflanzen hervorbringt, wie schmückt er sie mit Blüten! Wie Edelsteine bearbeitet er ihre Krone, in ihren Kelch schüttet er herrliche Düfte, die Blütenblätter webt er aus einer so zarten und glänzenden Seide, daß die Künste der industriellen Herstellung nie an ihre Schönheiten heranreichen. Haec enim omnia gentes inquirunt. Seit enim Pater vester quia his omnibus indigentis. Quaerite ergo primum regnum Dei etjustitiam ejus, et haec omnia adjicientur vobis. Matthäus, VI, 25-26 und 28-33.
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Drittes Kapitel
Und wenn es nun um den Menschen geht, um sein Meisterwerk, um den Adoptivbruder des fleischgewordenen Wortes, wird dann Gott nicht eine noch viel freigebigere Großzügigkeit walten lassen? ... Wir können also von der unanfechtbaren Wahrheit ausgehen, daß die göttliche Vorsehung reichlich für die zeitlichen Bedürfnissen des Menschen sorgt. Es wird natürlich auf Erden immer Reiche und Arme geben, und während die einen im Überfluß leben, müssen andere arbeiten und sparsam mit ihren Mitteln umgehen. Dennoch stellt der himmlische Vater allen so viel zur Verfügung, daß sie innerhalb der jeweiligen Umstände in einem gewissen Wohlstand leben können. Kehren wir nun zu dem Vergleich zurück, den Jesus anwendet. Gott kleidet zwar die Lilien mit aller Pracht, aber dieses weiße, duftende Kleid entspricht der Natur der Lilie. Das Kleid des Veilchens ist schon viel bescheidener; doch auch ihm gibt Gott nach Maßgabe seiner besonderen Natur. Und beide Blumen erblühen süß im Sonnenlicht, ohne daß ihnen etwas fehlte. So hält es Gott auch mit den Menschen. Einige von ihnen hat er in die oberen Gesellschaftsschichten hineingestellt, andere in weniger glänzende Verhältnisse; beiden aber läßt er das Notwendige zukommen, damit sie in Würde ihre Position einnehmen. Hier wird man nun einwenden, wie unbeständig jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse seien. Ist es in unseren Krisenzeiten nicht leichter, sozial zu sinken als aufzusteigen oder das gleiche Niveau beizubehalten? Ohne Zweifel. Die göttliche Vorsehung schenkt jedoch jedem genau die Hilfe, die er braucht: Für große Übel schickt sie große Heilmittel. Was uns die wirtschaftlichen Katastrophen nehmen, können wir mit Fleiß und Arbeit wiedergewinnen. In den seltenen Fällen, in denen die eigene Tätigkeit unmöglich gemacht wird, haben wir das Recht, von Gott einen außerordentlichen Eingriff zu erwarten. 32
Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse
Meiner Ansicht nach schafft Gott im Allgemeinen keine Gefallenen. Im Gegenteil, er will, daß wir uns mit Klugheit entwickeln, aufsteigen, wachsen. Wenn er manchmal einen sozialen Abstieg zuläßt, so will er dies nur aus einem Wollen heraus, das nach einem Akt unseres freien Willens liegt. Meistens entsteht ein solcher Niedergang aus unseren persönlichen oder erblichen Fehlern heraus. Gewöhnlich ist er eine natürliche Folge von Faulheit, Verschwendung und unterschiedlichster Leidenschaften. Aber auch der einmal gefallene Mensch kann sich mit Hilfe der göttlichen Vorsehung wieder erheben und durch seine Anstrengungen die verlorene Stellung zurückgewinnen.
Wir sollen uns nicht um die Zukunft ängstigen Gott sorgt für unsere Bedürfnisse. ,, Sorget euch nicht!" sagt der Herr. Was will er wohl mit diesem Rat genau sagen? ... Sollen wir, um dem Hinweis des Meisters zu gehorchen, die zeitlichen Geschäfte völlig aufgeben? ... Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Gnade manchmal von bestimmten Seelen das Opfer einer strikten Armut verlangt, damit sie sich ganz der göttlichen Vorsehung anvertrauen. Diese Berufungen sind jedoch bemerkenswert selten. Alle anderen, seien es Religionsgemeinschaften oder Einzelne, besitzen Güter, die sie klug zu verwalten haben. Der Heilige Geist lobt die starke Frau, die es versteht, gut ihr Haus zu führen. Er stellt sie uns im Buch der Sprüche vor, wie sie früh aufsteht, um Knechten und Mägden ihre Aufgaben zuzuteilen und auch mit eigenen Händen zu arbeiten. Nichts entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Die ihr Anvertrauten haben nichts zu fürchten: Dank ihrer Voraussicht erhalten alle das Notwendige, das Angenehme und sogar einen mäßigen Luxus. Thre Söhne preisen sie glück34 lich und ihr Gatte rühmt ihre Tugenden. (34)
Spruche, XXXI, 10-28.
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Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse
Die Wahrheit hätte diese Frau nicht so lebhaft gelobt, wenn sie nicht ihrer Pflicht nachgekommen wäre. Wir brauchen uns also nicht zu beunruhigen; wenn wir uns auf vernünftige Art und Weise um unsere Pflichten kümmern, sollen wir uns nicht von düsteren Zukunftsaussichten ängstigen lassen und ohne Zögern mit der Hilfe der göttlichen Vorsehung rechnen. Das hat nichts mit lliusionen zu tun! Ein solches Vertrauen erfordert eine große Seelenkraft. Es gilt beide Klippen zu meiden: den Mangel und das Übermaß. Wer leichtsinnigerweise seine Pflichten und Geschäfte vernachlässigt, kann keine besondere Hilfe erwarten, es sei denn, er will Gott versuchen. Wer den materiellen Sorgen den ersten Platz in seinem Denken einräumt, wer mehr mit sich selbst als mit Gott rechnet, täuscht sich noch mehr; er nimmt dem Allerhöchsten den Platz weg, der ihm in unserem Leben zusteht. ,, In medio stat virtus ": Zwischen den Extremen liegt die Pflicht. Wenn wir unsere Interessen nicht klug wahrgenommen haben, wird uns die Sorge um die Zukunft die Macht und die Güte Gottes verkennen und unterschätzen lassen. Während der langen Jahre in der Wüste brachte ein Rabe dem heiligen Paulus, dem Eremiten, täglich ein halbes Brot. Eines Tages besuchte der heilige Antonius den berühmten Einsiedler. Die beiden Heiligen waren so in ihr Gespräch vertieft, daß sie in ihren frommen Betrachtungen die notwendige Nahrung vergaßen. Doch die Vorsehung vergaß sie nicht: Der Rabe kam wie immer geflogen, brachte diesmal aber ein ganzes Brot! Der himmlische Vater hat das ganze Weltall mit einem einzigen Wort geschaffen; wie kann es ihm da schwer sein, seinen Kindern im Notfall beizustehen? ... Der heilige Kamillus von Lellis hatte Schulden gemacht, um seine armen Kranken versorgen zu können. Seine Ordensbrüder waren ganz aufgeregt. Er aber beruhigte sie mit den Worten: ,,Warum sollten wir an der Vorsehung zweifeln? Glaubt ihr etwa, daß es dem Herrn schwer fällt, uns einige von den Gütern zu verschaffen, 35
Drittes Kapitel 35
mit denen er Ungläubigen, überhäuft hat?" Das Vertrauen des heiligen Kamillus wurde nicht enttäuscht; einen Monat später hinterließ ihm ein sterbender Gönner eine beträchtliche Summe. Die Sorge um die Zukunft bedeutet Mißtrauen, das Gott beleidigt und seinen Zorn hervorruft. Als die Hebräer aus Ägypten geflohen waren und sich inmitten der Wüste verloren sahen, vergaßen sie die Wunder, die Jahweh für sie vollbracht hatte ... Angst überkam sie, sie fingen an zu murren .. . ,,Ist Gott wohl imstande, einen Tisch in der Wüste zu decken? .. . Kann er auch Brot verleihen oder verschafft er seinem Volke fleischliche Nahrung?" Diese Worte ärgerten den Herrn. Er warf Feuer vom Himmel auf sie; sein Zorn entbrannte gegen Israel, ,,denn sie glaubten nicht an Gott, sie vertrauten nicht seiner hilfreichen Tat". 36 Also keine unnötigen Sorgen: Der Vater behütet uns.
An erster Stelle hat immer das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zu stehen „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles Weitere wird euch dazu gegeben werden." Mit diesen Worten schloß der Herr seine Rede über die göttliche Vorsehung. Es ist ein trostreicher Abschluß, der auch ein bedingtes Versprechen enthält; es hängt von uns ab, ob wir seine Nutznießer werden. Je mehr wir uns um seine Interessen kümmern, desto mehr kümmert sich der Herr auch um die unseren. Hier müssen wir anhalten, um über die Worte des Meisters nachzudenken. Als erstes taucht gleich die Frage auf: Wo befindet sich dieses Reich Gottes, das wir vor allem anderen suchen sollen? (35) (36)
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Kleine Bolandisten, Bd. VIII, 18. Juli. Numquid poterit Deus parare mensam in deserto? ... Numquid et panem poterit dare aut mensam parare populo suo? Et ignis accensus est in Jacob, et ira ascendit in Israel, quia non crediderunt in Deo, nec speraverunt in salutari ejus. Psalmen, LXXVII, 19-22.
Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse
,, In euch "37, antwortet das Evangelium. ,,Regnum Dei intra vos est. " Das Reich Gottes suchen, heißt also, ihm einen Thron in unserer Seele errichten, uns ganz seiner Herrschaft unterwerfen. Wir stellen alle unsere Fähigkeiten unter das barmherzige Zepter des Höchsten. Unser Verstand soll stets daran denken, daß er zugegen ist; unser Wille soll sich unautbörlich in allem an seinem verehrungswürdigen Willen orientieren; unser Herz möge sich oft in brennenden, aufrichtigen Akten der Liebe zu ihm erheben. Dann üben wir jene „Gerechtigkeit", die in der Sprache der Schrift die Vollkommenheit des inneren Lebens bedeutet. Auf diese Weise halten wir uns genauestens an den Rat des Meisters: Wir suchen das Reich Gottes. ,, Und alles Weitere wird euch dazu gegeben werden." Hier geht es um eine Art beiderseitiges Abkommen: Wir unsererseits arbeiten für die Ehre des himmlischen Vaters, und der Vater seinerseits verpflichtet sich, für unsere Bedürfnisse Sorge zu tragen. Weifet daher alle eure Sorgen aufdas göttliche Herz; erfüllt das Abkommen, das er euch anbietet; er wird sein Wort halten: Er wird euch behüten und „euch versorgen". 38 „Denke an mich", sagt der Heiland zur heiligen Katharina von Siena, ,,und ich werde auch an dich denken ... ". Jahrhunderte später versprach er der heiligen Margareta im Kloster von Paray, daß alle, die ganz besonders sein heiliges Herz verehren würden, in ihren Unternehmungen Erfolg haben würden. Glücklich der Christ, der sich an den Grundsatz des Evangeliums hält! Er sucht Gott, und Gott kümmert sich in seiner Allmacht um seine Interessen; was kann ihm fehlen? ,,Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. " " 39
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Lukas, XVII, 21. Jacta super Dominum curam suam, et ipse te enutriet. Psalmen, LIV, 23. Dominus regit me, et nihil deerit. Psalmen, XXII, l .
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Drittes Kapitel
Übe die gediegenen inneren Tugenden und meide jede Unordnung: Vergehen und Laster, die die häufigsten Ursachen des Versagens und des Verderbens sind.
Wir sollen für unsere zeitlichen Bedürfnisse beten Das Vertrauen, wie wir es bisher beschrieben haben, entbindet uns nicht vom Gebet. Es ist nicht genug, in den zeitlichen Bedürfnissen, auf die Hilfe Gottes zu warten; man muß auch um sie bitten. Jesus Christus hat uns im Vater unser das vollkommene Beispiel des Gebets hinterlassen; unter anderem läßt er uns dort um das „tägliche Brot" bitten: ,, Panem nostrum quotidianum da nobis hodie. " Sind wir oft nicht doch sehr nachlässig, wenn es um die Pflicht des Gebets geht? Was für eine Unklugheit und Verrücktheit! ... Aus Leichtsinn berauben wir uns so des einzigen unumschränkt wirksamen, göttlichen Schutzes. Die Legende behauptet, daß die Kapuziner nie verhungern, weil sie stets in frommer Andacht das Vater unser beten. Ahmen wir sie nach, und der Höchste wird uns nie das Nötigste fehlen lassen. Bitten wir also um das tägliche Brot! Der Glaube und die Liebe zu uns selbst legen uns diese Pflicht auf. Können wir aber unsere Ansprüche erhöhen und auch um Reichtum bitten? Nichts spricht dagegen, vorausgesetzt, daß die Bitte auf übernatürlichen Beweggründen beruht und wir uns völlig dem Willen Gottes unterwerfen. Der Herr verbietet es nicht, unseren Wünschen Ausdruck zu verleihen, im Gegenteil, er möchte, daß wir uns ihm gegenüber wirklich kindlich verhalten. Wir dürfen natürlich nicht erwarten, daß er sich unseren Phantasien beugt; die göttliche Güte selbst widersetzt sich diesem Ansinnen. Gott weiß, 38
Das Vertrauen auf Gott und die zeitlichen Bedürfnisse
was für uns am besten ist. Er wird uns nur dann die Güter dieser Erde bewilligen, wenn diese unserer Heiligung dienen können. Überlassen wir uns vollkommen der göttlichen Vorsehung und sprechen wir die Bitte des Weisen nach: ,, Weder Armut noch Reichtum sollst du mir geben. Schenk nur an Brot, soviel mir Not tut! Damit ich, reich gesättigt, nicht zum Leugner werde und„ Wer ist denn der Herr?" im Herzen sage; damit ich in der Armut nicht 40 zum Dieb werde und meines Gottes Namen anzugreifen wage. "
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Mendicitatem et divitias ne dederis mihi: tribue tantum victui meo necessaria: neforte satiatus illiciar ad negandum, et dicam: Quis est Dominus ? aut egestate compulsus fuer, et perjurem nomen Dei mei. Spruche, XXX, 8 u. 9.
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Viertes Kapitel
Das Vertrauen in Gott und unsere geistlichen Bedürfnisse Die Barmherzigkeit des Herrn gegenüber den Sündern Die göttliche Vorsehung, die auch den Vogel auf dem Zweig ernährt, sorgt für unseren Körper. Was bedeutet aber dieser elende Leib? Eine zerbrechliche, zum Tode verurteilte Gestalt, die dereinst den Würmern zum Fraß dienen wird. Im Taumel des Lebens sehen wir uns alle auf dem Weg zu Geschäften, zu Vergnügungen ... ; und doch bringt uns jeder Schritt dem Ende näher; wir selbst schleppen unseren Körper an den Rand den Grabes. Wenn sich nun Gott so um diesen vergänglichen Körper kümmert, mit wieviel mehr Eifer wird er dann nicht erst für die unsterblichen Seelen sorgen? Er bereitet für sie seine Gnadenschätze vor, deren Reichtum unser Vorstellungsvermögen weit übertrifft; zu ihrer Heiligung und Rettung läßt er ihnen überreiche Hilfe zukommen. Wir werden uns hier jedoch nicht näher mit den Heiligungsrnitteln beschäftigen, die uns der Glaube zur Verfügung stellt. 41
Viertes Kapitel
Ich möchte einfach nur zu den unruhigen Seelen sprechen, die man überall antreffen kann. Mit dem Evangelium in der Hand werde ich ihnen zeigen, wie unberechtigt ihre Befürchtungen sind. Weder die Schwere ihrer Vergehen noch die Vielzahl ihrer Rückfälle darf sie erschüttern. Im Gegenteil, je mehr sie das Gewicht ihres eigenen Elends spüren, um so mehr müssen sie sich auf Gott stützen. Verliert nicht das Vertrauen! ... Wie schlimm auch euer Zustand sein mag, selbst wenn ihr ein langes liederliches Leben hinter euch habt, mit Hilfe der Gnade könnt ihr euch bekehren und höchste Vollkommenheit erreichen. Unendlich ist die Barmherzigkeit Gottes: Nichts vermag sie zu ermüden, nicht einmal die Vergehen, die uns als die entwürdigendsten und verbrecherischsten vorkommen. In seinem sterblichen Leben hat der Meister immer wieder die Sünder mit wahrhaft göttlicher Güte aufgenommen; er hat ihnen niemals seine Vergebung versagt. Angetrieben durch die Inbrunst ihrer Reue und ohne sich um weltliche Rücksichten zu kümmern, tritt Maria Magdalena in den Festsaal. Sie wirft sich Jesus zu Füßen und benetzt diese mit ihren Tränen. Simon, der Pharisäer, betrachtet diese Szene voller Ironie und ist zutiefst entrüstet: ,,Wenn dieser Mensch ein Prophet wäre", denkt er, ,,würde er sehr wohl wissen, was das für eine Frau ist. Er würde sie voller Verachtung wegschicken ... ". Der Heiland schickt sie aber nicht weg. Er nimmt ihre Seufzer, ihr Weinen und all die sichtbaren Zeichen demütiger Reue entgegen. Er reinigt sie von ihren Makeln und überhäuft sie mit übernatürlichen Gaben. Und sein heiliges Herz läuft über von immenser Freude, während in den Höhen, im Reiche seines Vaters, die Engel vor Freude und Lob frohlocken: Eine Seele, die verloren war, ist wiedergefunden; diese Seele war tot und nun ist sie dem wahrhaften Leben zurückgegeben ...
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Das Vertrauen in Gott und unsere geistlichen Bedürfnisse
Der Meister gibt sich nicht damit zufrieden, liebevoll die armen Sünder aufzunehmen, er verteidigt sie sogar. Ist dies nicht sein 41 Auftrag? Ist er nicht zu unserem Fürsprecher bestellt worden? Eines Tages schleppen sie eine Unglückliche herbei, die bei ihrer Sünde ertappt worden war. Das harte mosaische Gesetz verurteilt sie ausdrücklich: Die Schuldige hat die Qual des langsamen Steinigungstodes zu sterben. Die Schriftgelehrten und die Pharisäer warten nun ungeduldig auf die Entscheidung des Heilandes. Wenn er ihr vergibt, werden ihn seine Feinde zurechtweisen, weil er die Überlieferung Israels mißachtet. Was wird er also tun? Ein einziges Wort kommt über seine Lippen, und dieses Wort genügt, die stolzen Pharisäer zu verwirren und die Sünderin zu retten. „ Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf 42 sie! " Eine Antwort voller Weisheit und Erbarmen. Als diese überheblichen Männer sie hören, erröten sie vor Scham ... Betreten entfernt sich einer nach dem andern; die Alten fliehen zuerst ... „ Und Jesus blieb allein zurück und die Frau, die in der Mitte stand. Wo sind deine Ankläger,fragte er. Hat dich keiner verurteilt? Sie sagte: Keiner, Herr. Da sprach Jesus zu ihr: Auch ich verurteile 43 dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr! " Wenn Sünder zu ihm kommen, geht ihnen Jesus entgegen. Wie der Vater des verlorenen Sohnes wartet er auf die Rückkehr des Undankbaren. Wie der gute Hirt macht er sich auf die Suche nach dem verirrten Schaf, und wenn er es findet, nimmt er es auf seine göttlichen Schultern und bringt es blutend zurück in den Stall. Oh, er wird seinen Wunden nicht wehtun; wie ein guter Samariter wird er sie behandeln, mit symbolischem Wein und ÖL Er wird
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Si quis peccaverit, advocatum habemus apud patrem. Jesum Christum justum. Johannes II, 1. Qui sine peccato est vestrum, primus in illam lapidem mittat. Johannes VIII, 7 . Et remansit solus Jesus, et mutier in medio stans. Erigens autem se Jesus, dixit ei: Nec ego te condemnabo: vade, et }am amplius noli peccare. Johannes, Vill, 9-11 .
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Viertes Kapitel
in seine Wunden den Balsam der Buße gießen und, um es zu stärken, reicht er ihm den Kelch der Eucharistie. Schuldbehaftete Seelen, habt keine Angst vor dem Heiland; gerade für euch ist er vorn Himmel herabgestiegen. Wiederholt nie den Verzweiflungsschrei Kains : ,,Meine Schuld ist zu groß, als daß 44 mir vergeben werden könnte. " Das würde bedeuten, daß ihr das Herz Jesu verkennt ... Jesus hat Magdalena gereinigt und Petrus hat er die dreifache Verleugnung verziehen; dem guten Schächer hat er den Himmel geöffnet. Ich sage euch, wenn ihn Judas nach dem Verbrechen aufgesucht hätte, hätte der Herr ihn mit Barmherzigkeit empfangen. Wie sollte er dann nicht auch euch vergeben?! .. .
Die Gnade kann uns in einem Augenblick heiligen Abgrund der menschlichen Schwächen, Tyrannei der schlechten Gewohnheiten! Wieviele Christen erhalten im Bußsakrament die Verzeihung ihrer Vergehen, sie bereuen diese wirklich und energisch sind ihre guten Vorsätze .. . und dennoch begehen sie wieder die selben, oft sogar schweren Sünden; die Anzahl ihrer Sündenfälle nimmt unaufhörlich zu! Bestände also nicht Grund genug zur Mutlosigkeit? .. . Nichts ist angebrachter, als daß uns die Sichtbarkeit unserer Erbärmlichkeit demütig bleiben läßt. Wenn sie uns aber das Vertrauen nimmt, löst dies eine Katastrophe aus, die gefährlicher ist als alle Rückfälle in unsere Fehler. Die gefallene Seele muß sofort wieder aufstehen. Sie muß unaufhörlich das Erbarmen des Herrn anrufen. Wißt ihr denn nicht, daß Gott seine Stunden hat und daß er uns von einem Augenblick zum andern in den Zustand höchster Heiligkeit erheben kann?!
f+I I
Major es1 iniqui1as mea quam u1 veniam merear. Genesis, IV , 13.
Das Vertra uen in Gott und unsere geistlichen Bedürfnisse
Hatte etwa Maria Magdalena kein verbrecherisches Leben geführt? Und dennoch hat sie die Gnade augenblicklich verwandelt. Ohne Übergang wurde aus der Sünderin eine große Heilige. Die Reichweite Gottes ist seither keineswegs zurückgegangen. Was er für andere getan hat, kann er auch für uns tun. Zweifelt nicht: Das vertrauensvolle, beharrliche Gebet wird die vollkommene Genesung eurer Seelen erreichen. Gebt nun bitte nicht vor, daß die Zeit vergeht und euer Leben sich vielleicht schon dem Ende zuneigt. Der Herr hat den Todeskampf des guten Schächer abgewartet, um ihn siegreich an sich zu ziehen. Dieser schuldbeladene Mensch hat sich in einer Minute bekehrt. Sein Glaube und seine Liebe waren o groß, daß er trotz seiner schweren Verbrechen nicht einmal durchs Fegefeuer mußte; für alle Ewigkeit wird er im Himmel einen erhabenen Sitz einnehmen. Nichts ändere also euer Vertrauen ! Selbst aus dem tiefsten Abgrund sollt ihr noch den Himmel anrufen. Gott wird auch dann noch auf euren Ruf antworten und seine Gerechtigkeit in euch wirken lassen.
Gott schenkt uns jede zur Heiligung und Rettung unserer Seele notwendige Hilfe Es gibt ängstliche Seelen, die an ihrem Heil zweifeln. Sie denken zu sehr an die vergangenen Fehler, an die heftigen Versuchungen, die manchmal über uns alle kommen. Sie vergessen dabei die barmherzige Güte Gottes. Diese Ängstlichkeit kann zu einer wahren Versuchung der Verzweiflung werden. In seiner Jugend erlebte der heilige Franz von Sales eine solche Erprobung: Er fürchtete, nicht in den Himmel berufen zu sein. Mehrere Monate verbrachte er in dieser inneren Qual. Schließlich befreite ihn ein heroisches Gebet: Der Heilige warf sich vor einem Marienaltar in den Staub und bat die HeiUge Jungfrau, ihn ihren 45
Viertes Kapitel
Sohn auf Erden mit einer so glühenden Liebe lieben zu lernen, als er befürchtete, ihn in der Ewigkeit nicht lieben zu können. In einem derartigen Leiden steckt eine Glaubenswahrheit, die uns ungeheuren Trost schenken sollte. Nur die Todsünde kann uns wirklich verderben. Diese aber können wir stets meiden; und sollten wir doch einmal das Unglück haben, sie zu begehen, können wir uns immer noch mit Gott versöhnen. Ein sofortiger Akt ehrlicher Reue wird uns reinigen, während wir der pflichtgemäßen Beichte entgegensehen, der wir so schnell wie möglich nachkommen müssen. Gewiß sollte der arme menschliche Wille stets seiner Schwäche gegenüber mißtrauisch sein. Der Heiland wird uns jedoch nie die Gnaden vorenthalten, deren wir bedürfen. Er wird vor allem auch alles Mögliche tun, um uns bei der Erfüllung unserer allerwichtigsten Aufgabe, nämlich der Rettung unserer Seele, beizustehen. Das ist die große Wahrheit, die Christus mit seinem Blut besiegelt hat und die wir nun gemeinsam in seiner Leidensgeschichte nachlesen wollen. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, wie es dazu kam, daß sich die Pharisäer des Herrn bemächtigen konnten? Meint ihr vielleicht, daß sie dies mit List oder mit Gewalt geschafft haben? Könnt ihr euch vorstellen, daß Jesus in dem großen Sturm besiegt wurde, weil er der schwächere war? Gewiß nicht! Die Feinde kamen nicht gegen ihn an. Während seiner dreijährigen Lehrtätigkeit hatten sie wiederholt versucht, ihn zu töten. In Nazareth wollten sie ihn in einen Abgrund stürzen; mehrmals hatten sie zu Steinen gegriffen, um ihn zu steinigen. Die göttliche Weisheit hat aber die Pläne dieser·ruchlosen Wut immer wieder durchkreuzt. Der mächtige Arm Gottes hat ihren Arm zurückgehalten, so daß sich Jesus stets in aller Ruhe entfernen konnte, ohne daß ihm jemand ein Leid hätte zufügen können. In Gethsemani braucht er den Soldaden des Tempels, die gekommen sind, sich seiner zu bemächtigen, nur seinen Namen zu 46
Das Vertrauen in Gott und unsere geistlichen Bedürfnisse
nennen, und schon stürzt die ganze Abordnung seltsam entsetzt zu Boden. Und sie können erst wieder aufstehen, als er es ihnen erlaubt. Wenn Christus gefangen genommen und gekreuzigt wurde, wenn er geopfert wurde, so nur deshalb, weil er es in der Fülle seiner Freiheit und seiner Liebe zu uns so wollte. ,, Oblatus est quia voluit. "45 Wenn der Meister ohne Zögern sein ganzes Blut für uns vergossen hat, wenn er für uns gestorben ist, wie könnte er uns dann Gnaden verweigern, die nicht absolut notwendig sind und die er uns selbst mit seinen Schmerzen verdient hat? Diese Gnaden hat Jesus in seiner Barmherzigkeit den schuldbeladensten Seelen während seines schmerzhaften Leidens angeboten. Zwei seiner Apostel hatten ein ungeheures Verbrechen begangen: Beiden hat er Vergebung angeboten. Judas hatte ihn verraten und gibt ihm nun seinen heuchlerischen Kuß. Aber Jesus wendet sich mit bewegender Herzlichkeit an ihn, nennt ihn seinen Freund; liebevoll versucht er sein vom Geiz verhärtetes Herz zu erweichen. ,, Freund, bist du dazu gekommen?" „Judas, mit einem Kuß verrätst du den Menschensohn? " 46 Dies ist die letzte Gnade des Meisters für den Undankbaren. Nie werden wir das ganze Ausmaß der Kraft dieser Gnade erfassen. Und dennoch weist Judas sie zurück: Er geht in sein Verderben, weil er es förmlich vorzieht. Petrus hielt sich für sehr stark ... Er hatte geschworen, dem Meister bis in den Tod zu folgen, und nun verläßt er ihn, als er ihn in den Händen der Soldaten sieht. Er folgt ihm nur noch von weitem. Zitternd betritt er den Hof des Hohen Priesterlichen Palastes. Dreimal verleugnet er seinen Herrn, weil er den Spott einer Magd fürchtet. Schwörend behauptet er, ,,diesen Menschen" nicht zu kennen. Da kräht der Hahn ... Jesus dreht sich um und schaut ihn mit Augen voll barmherzigen, süßen Tadels an. Ihre Blicke treffen (45) (46)
Isaias, LID, 7. Amice, ad quid venisti? Matthäus, XXIV, 50. - Juda, osculo Filium hominis tradis ? Lukas, XXII, 48.
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Viertes Kapitel
sich ... Es war die Gnade, eine blitzartige Gnade, die dieser Blick Petrus entgegen trug. Der Apostel hat sie auch nicht abgewiesen: Er ging sofort hinaus und beweinte bitterlich seinen Fehler. Wie Judas und Petrus bietet uns der Herr stets die Gnade der Reue und der Bekehrung an. Wir können sie annehmen oder abweisen. Wir sind frei. Wir haben zwischen dem Guten und dem Bösen zu entscheiden, zwischen dem Himmel und der Hölle. Die Rettung liegt in unseren Händen. Der Heiland bietet uns nicht nur seine Gnade an, er tut noch mehr: Er legt beim himmlischen Vater Fürsprache für uns ein. Er ruft die Schmerzen in Erinnerung, die er für unsere Erlösung erlitten hat. Er verteidigt uns ihm gegenüber; er entschuldigt unsere Fehler: ,, Vater", ruft er in seiner Sterbensangst aus, ,, Vater, verzeih ihnen, 47 denn sie wissen nicht, was sie tun! " Während seines Leidens wünschte der Meister so sehr unsere Erlösung, daß er nicht einen Augenblick aufhörte, an uns zu denken. Auf dem Kalvarienberg schenkte er den Sündern seinen letzten Blick; dem guten Schächer gilt eines seiner letzten Worte. Am Kreuz breitet er weit seine Arme aus, um anzuzeigen,. mit welcher Liebe er jede Reue in seinem überquellenden Herzen entgegennimmt.
Der Anblick des Kreuzes soll unser Vertrauen wiederbeleben Wenn ihr je bei euren inneren Kämpfen das Vertrauen nachlassen fühlt, betrachtet diese Stellen des Evangeliums, die ich gerade zitiert habe. Betrachtet das schmachvolle Kreuz, an dem euer Gott stirbt. Seht sein armes, domengekröntes Haupt, das leblos auf die Brust sinkt. Denkt an die glasigen Augen, das leichenblasse Gesicht, auf dem sein kostbares Blut gerinnt. Seht euch die durchbohrten Hände (47)
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Pater, demitre illis: non en im sci1mr q11idfaci 1111r. Lukas. XXJJJ. 34.
Das Vertrauen in Gott und unsere geistlichen Bedürfnisse
und Füße an, den mißhandelten Körper. Betrachtet vor allem das liebevolle Herz, das von der Lanze des Soldaten geöffnet wurde: Ein Paar Tropfen blutdurchtränkten Wassers rinnen heraus .. . Alles hat er für euch hingegeben .. . Wie sollte man dem Heiland mißtrauen können? Von euch aber erwartet er, daß ihr seine Zuneigung erwidert. Im Namen seiner Liebe, im Namen seines Martyriums, im Namen seines Todes, entschließt euch, künftig die Todsünde zu meiden. Ich weiß sehr wohl, daß die Schwäche groß ist, aber er wird euch helfen. Trotz allen guten Willens erwarten euch vielleicht Stürze und Rückfälle ins Böse, aber der Herr ist barmherzig. Er verlangt nur, daß ihr euch nicht von der Sünde einschläfern läßt, sondern daß ihr gegen die üblen Gewohnheiten angeht. Versprecht ihm, sofort zu beichten und nie eine Nacht mit einer Todsünde auf dem Gewissen zu verbringen. Wenn ihr euch mutig an diesen Entschluß haltet, seid ihr glücklich zu nennen. Denn dann hat Jesus sein gebenedeites Blut nicht umsonst für euch vergossen.
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Wenden wir uns also mit heiliger Dreistigkeit an den Himmel, und bitten wir ohne ZĂśgern im Namen unseres ErlĂśsers um die Gnaden , die wir uns erwĂźnschen .
Fünftes Kapitel
Gründe des Gottvertrauens Die Fleischwerdung des Wortes Der Weise baut sein Haus auf Fels; weder Überschwemmungen, noch Regen, noch Unwetter können es zerstören. Damit auch das Gebäude unseres Vertrauens allen Prüfungen widerstehen kann, muß es auf unerschütterlichem Fundament stehen. „Wollt ihr wissen," fragt der heilige Franz von Sales, ,,was für ein Fundament unser Vertrauen haben soll. Es muß auf der unendlichen Barmherzigkeit Gottes aufgebaut sein und auf den Verdiensten des Todes und des Leidens unseres Herrn Jesus Christus; und von unserer Seite muß der feste, umfassende Entschluß dazukommen, ganz Gott zu gehören und uns völlig und vorbehaltlos seiner 48 Vorsehung anzuvertrauen. " Zu groß ist die Anzahl der Hoffnungsgründe, als daß wir sie hier alle aufführen könnten. Wir werden daher nur die näher untersuchen, die uns die Menschwerdung des Wortes und die heilige Gestalt des Erlösers anbieten. Außerdem ist Christus in Wahrheit 49 der Eckstein , auf den sich unser geistliches Leben vor allem zu stützen hat. (48) (49)
les vrais entretiens spirituels. Ed. de Annecy, Bd. VI, S. 30. Vgl. Offenbarung, IV, 11.
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Fünftes Kapitel
Was für ein Vertrauen würde uns das Geheimnis der Menschwerdung einflößen, wenn wir uns die Mühe machen würden, uns weniger oberflächlich mit ihm zu beschäftigen! ... Wer ist dieses Kind, das da in der Krippe weint, wer ist dieser Heranwachsende, der da in Nazareth in der Werkstatt arbeitet, dieser Prediger, dem Tausende begeistert lauschen, dieser Wundertätige, der zahllose Wunder vollbringt, dieses unschuldige Opfer, das am Kreuz stirbt? Es ist der Sohn des Allerhöchsten , ewig und Gott wie der Vater ... Es ist der seit langem erwartete Emmanuel, den der Prophet ,, Wunder-Rat, Gott-Held, Friedens-Fürst" 50 nennt. Oft vergessen wir aber, daß Jesus unser Eigentum ist. Er gehört uns im wahrsten Sinne des Wortes: Wir haben unvergängliche Rechte auf ihn, denn der himmlische Vater hat ihn uns gegeben. Die Heilige Schrift sagt dazu: ,, Der Sohn Gottes wurde uns geschenkt"51 . Und auch der heilige Johannes schreibt in seinem Evangelium: „Denn so liebte Gott die Welt, daß er seinen eingeborenen Sohn . b"s2. h mga Wenn uns Christus also gehört, haben wir auch ein Recht auf die unendlichen Verdienste seines Wirkens, seiner Leiden und seines Todes. Wie könnten wir unter diesen Bedingungen den Mut verlieren? Indem er uns seinen Sohn ausgeliefert hat, hat uns der himmlische Vater die Fülle aller Güter geschenkt. Es liegt an uns, diesen kostbaren Schatz zu nutzen. Wenden wir uns also mit heiliger Dreistigkeit an den Himmel, und bitten wir ohne Zögern im Namen unseres Erlösers um die Gnaden, die wir uns erwünschen. Bitten wir um zeitlichen Segen, vor allem aber um die Unterstützung der Gnade. Für unser Vaterland bitten wir um Frieden und Wohlstand, für die Kirche um Frieden und Freiheit. (50) (5)) (52)
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Admirabilis .. . Deus fortis ... Princeps pacis. lsaias, IX. 6. Filius datus est nobis. Jsaias, IX, 6. Deus dilexit mundwn 11I Filium suum unigenitwn daret. Sie enim. Johannes, III. 16.
Gründe des Gottvertrauens
Ein solches Gebet wird mit Sicherheit erhört. Versuchen wir aber nicht mit Gott Geschäfte zu machen, wenn wir so vorgehen? Im Austausch für die erwünschten Güter bieten wir ihm seinen eigenen, eingeborenen Sohn an. Und bei diesem Geschäft können wir Gott gar nicht übervorteilen: Wir geben ihm unendlich mehr, als wir von ihm erhalten. Wenn wir also mit einem Glauben beten, der Berge versetzt, wird unser Gebet so wirksam sein, daß es, wenn nötig, auch die außerordentlichsten Wunder erwirkt.
Die Macht des Herrn Das menschgewordene Wort, das sich für uns dahingegeben hat, verfügt über eine Macht ohne Grenzen. Im Evangelium erscheint es als der höchste Herr der Erde, der Dämonen und des übernatürlichen Lebens; alles ist seiner unumschränkten Herrschaft unterworfen. In dieser Macht des Heilands liegt noch ein weiterer, äußerst sicherer Anlaß zum Vertrauen. Nichts kann den Herrn daran hindern, uns zu Hilfe zu kommen und uns zu schützen. Jesus beherrscht auch die Kräfte der Natur. Gleich zu Beginn seines apostolischen Wirkens finden wir ihn auf der Hochzeit zu Kana. Während des Festmahls geht der Vorrat an Wein zu Ende. Was für eine Schande für die armen Leute, die den Meister mit seiner Mutter und seinen Jüngern eingeladen hatten! Die Jungfrau Maria bemerkt sofort das Mißgeschick; sie ist immer die Erste, die unsere Bedürfnisse erkennt und Abhilfe schafft. Sie wirft ihrem Sohn einen bittenden Blick zu, flü stert ihm eine kurze Bitte ins Ohr. Sie kennt sehr wohl seine Macht und seine Liebe. Und Jesus, der ihr nichts abschlagen kann, verwandelt Wasser in Wein . .. . Es war dies sein erstes Wunder. Ein andermal überquert der Meister gegen Abend in einem Boot mit seinen Jüngern den See Genesareth, um der Menge zu entgehen, die auf ihn eindringt. Während der Überfahrt erhebt sich ein starker 53
Fünftes Kapitel
Sturm, Wogen türmen sich auf und stürzen furchterregend auf sie nieder. Das Oberdeck wird überflutet, das Boot droht zu sinken. Ermüdet schläft derweil der Meister im Heck, das göttliche Haupt auf Tauwerk gebettet. Entsetzt wecken ihn die Jünger, indem sie rufen: ,, Herr, hilf, wir gehen zugrunde! " 53 Da steht der Heiland auf, gebietet dem Wind und sagt zu dem stürmischen See: Stille, beruhige dich! Im gleichen Augenblick kehrt Ruhe ein .... Die Zeugen dieses Geschehens fragen sich voller Staunen: ,,Wer ist dieser, daß ihm selbst die Winde und der See gehorchen?" Jesus heilt die Kranken. Viele Blinde tasteten sich bis in seine Nähe und klagen ihm ihr 54 Leid: ,, Sohn Davids, erbarme dich unser! " Der Meister berührt ihre Augen und diese göttliche Berührung öffnet ihnen die Augen für das Licht. Sie bringen einen Taubstummen zu ihm und bitten ihn, er möge ihm die Hände auflegen. Der Heiland erhört ihren Wunsch, und der Mann beginnt zu sprechen und seine Ohren öffnen sich. Einmal begegnet er auf dem Weg zehn Aussätzigen. Aussätzige gelten als aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen; sie werden abgewiesen, wegen der Furcht vor Ansteckung meidet man sie, alle rücken entsetzt von ihrer Fäulnis ab ... So wagen es auch die zehn Aussätzigen nicht in die Nähe des Herrn ... Sie halten Abstand. Indem sie aber ihre wenigen Kräfte zusammennehmen, die das Leiden ihnen gelassen hat, rufen sie von weitem: ,,Herr, habe Erbarmen mit uns!" Jesus, der dereinst am Kreuz selbst der große Aussätzige und in der Eucharistie der große Verlassene sein sollte, zeigt sich ergriffen von ihrem Elend: ,,Geht und zeigt euch den Priestern!", sagt er zu ihnen. Und während die Unglückseligen dahingehen, um den Befehl des Meisters auszuführen ... spüren sie, daß sie geheilt sind. Jesus erweckt die Toten. (53) (54)
54
Domine. salva nos, perimus. Mathhäus, VIII, 25. Miserere nostri, fili David. Matthäus, IX, 26.
Ein andermal überQuert der Meister gegen Abend in einem Boot mit seinen lüngern den See Genesareth. Während der Überfahrt erhebt sich ein starker Sturm. Das Boot droht zu sinken. Ermüdet schläft derweil der Meister im Heck, das göttliche Haupt auf Tauwerk gebettet. Entsetzt wecken ihn die jünger, indem sie rufen: .. Herr, hilf, wir gehen zugrunde!
Fünftes Kapitel
Insgesamt ruft er drei Tote ins Leben zurück. Und das erstaunlichste aller Wunder ist seine eigene Auferstehung am Morgen des dritten Tages nach dem schmachvollen Tod auf Golgotha und seiner Grablegung. Ebenso wird er auch uns am Ende der Zeiten wiedererwecken. Die Menschen, die wir geliebt haben, unsere Verstorbenen, wird er uns dereinst zwar in verwandelter, aber dennoch ähnlicher Gestalt zurückgeben und so unsere Tränen für alle Ewigkeit trocknen. Dann wird es kein Weinen mehr geben, keine Trennung, keine Trauer, denn die Zeit unseres Elends wird zu Ende sein. Jesus beherrscht die Hölle. Während der drei Jahre seines öffentlichen Wirkens trifft Jesus wiederholt auf Besessene. Mit seiner überlegenen Autorität richtet er sich an die Dämonen, befiehlt ihnen gebieterisch, und die Dämonen beugen sich seiner Stimme, indem sie seine Gottheit anerkennen ... Jesus ist der Herr des übernatürlichen Lebens. Er erweckt tote Seelen zum Leben und gibt ihnen die verlorene Gnade zurück. Und um zu beweisen, daß er tatsächlich diese göttliche Kraft besitzt, heilt er einen Gelähmten. ,, Was ist wohl leichter", fragte er die ihn umgebenden Schriftgelehrten, ,,zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Ihr sollt aber wissen, daß der Menschensohn Macht hat, Sünden zu vergeben auf Erden'. Und er sprach zu dem Gelähmten: 'Ich sage dir: Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause!' " 55 Es wäre also angebracht, längere Zeit über die staunenswerte Macht Jesu nachzudenken. Wenn es darum geht, diese Macht in unseren Dienst zu stellen, zögert der Meister nie.
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Quid est facilius dicere paralytico: dimittuntur tibi peccata, an dicere: Surge, tolle grabatum tuum, et ambula? Ut autem sciatis quia Filius hominis habet potestatem in terra dimittendi peccata ( ait paralytico ): Tibi dico, surge, tolle grabatum tuum et vade in domum tuam. Markus, II, 9-11.
Gründe des Gottvertrauens
Seine Güte In Wahrheit ist der Herr eben anbetungswürdig gut: Sein Herz kann uns nicht leiden sehen, ohne zu bluten. Diese Güte läßt ihn, noch bevor ihn irgendeine Bitte erreicht hat, einige seiner größten Wunder aus eigenem Anhieb wirken. Die Menge folgt ihm bereits drei Tage lang durch die öde Bergwelt Palästinas und, um ihn zu hören, vergessen die Leute völlig die Sorge um Essen und Trinken. Der Herr aber ruft die Apostel zu sich: ,,Seht diese armen Menschen", sagt er zu ihnen, „ich kann sie nicht einfach so wegschicken - sie würden auf dem Weg ermatten. Mich erbarmt des Volkes. " 56 Und er vermehrt die wenigen Brote, die den Jüngern übrig geblieben waren. Ein anderes Mal befand er sich, begleitet von einer großen Menge, auf dem Weg in das Städtchen Naim. Als er fast die Tore der Stadt erreicht hat, stößt er auf einen Leichenzug. Bei dem Toten handelte es sich um einen jungen Mann, den man zu seiner letzten Heimstätte begleitete; er war der einzige Sohn einer armen Witwe. Da sie nun nichts mehr vom Leben zu erwarten hatte, folgte die Frau zutiefst traurig und mutlos dem Leichnam ihres Sohnes. Angesichts dieses stummen Schmerzes fühlte sich der Meister im Innersten gerührt. In seinem Mitleid sprach er: ,,Arme Mutter, weine nicht 57 mehr! " Dann trat er an die Bahre, auf der der Tote lag, und gab ihn lebend seiner Mutter zurück. Von der Prüfung verletzte Seelen, vom Zweifel oder vielleicht von der Reue geplagte Gewissen, von Tod oder Verrat gequälte Seelen - ihr alle, die ihr leidet, glaubt ihr etwa, Jesus habe kein Mitleid mit eurem Schmerz? ... Das hieße, seine ungeheuer große Liebe verkennen! Er kennt euer Elend; er sieht es; sein Herz erbarmt sich euer. Euch gilt heute sein Ruf des Mitleids; für euch wiederholt er seine an die Mutter der Stadt Naim gerichteten Worte: ,,Weine
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Misereor super turbam. Markus, Vill, 2. Nolijlere. Lukas, vn, 13.
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Fünftes Kapitel
nicht mehr, ich bin die Ergebenheit, ich bin der Friede, ich bin die Auferstehung und das Leben!" Dieses Vertrauen, das uns die göttliche Güte wie selbstverständlich einflößen sollte, verlangt der Herr ausdrücklich von uns. Er macht es zur wesentlichen Bedingung seiner Wohltaten. Wir sehen ihn im Evangelium formelle Vertrauensbezeigungen verlangen, bevor er bestimmte Wunder wirkt. Warum erweist er, der sonst so liebevoll ist, sich scheinbar so hart gegenüber der Kananäerin, die ihn um die Heilung ihrer Tochter anfleht? Er weist sie mehrmals zurück; sie aber läßt sich nicht entmutigen. Sie fleht nur noch inständiger; nichts vermag ihr unerschütterliches Vertrauen zu verringern. Gerade das aber wollte Jesus: ,,Frau, groß ist dein Glaube", bemerkt er mit freudiger Bewunderung, um dann hinzuzufügen: Es geschehe dir, wie du verlangst. "58 „Fiat tibi sicut vis. " Das Vertrauen führt zur Verwirklichung unserer Wünsche: Der Herr selbst behauptet dies. Wie befremdlich ist doch die Verwirrung der menschlichen Vernunft! Wir glauben an die Wunder des Evangeliums, denn schließlich sind wir überzeugte Katholiken. Wir glauben, daß Christus nichts von seiner Macht eingebüßt hat, nachdem er in den Himmel aufgestiegen ist. Wir glauben an seine Güte, die er sein ganzes Leben lang bezeugt hat ... Und trotzdem sind wir nicht fähig, uns dem Vertrauen auf hin hinzugeben! Wie schlecht kennen wir das Herz Jesu! Wir bestehen darauf, es nach unseren schwachen Herzen zu beurteilen. Im Grunde sieht es so aus, als wollten wir seine Unermeßlichkeit auf unsere kleinlichen Ausmaße reduzieren. Es fällt uns schwer, dieses unglaubliche Erbarmen mit den Sündern zuzugeben, weil wir selbst nachtragend und langsam im Verzeihen sind. Wir vergleichen seine unendliche Zärtlichkeit mit unserer armseligen Zuneigung ... wir verstehen nichts von dem verzehrenden Feuer, das sein Herz in ungeheure (58)
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0 mulier, magna estfides tua. Fiat tibi sicut vis. Matthäus, XV, 28.
Gründe des Gottvertrauens
Liebesglut verwandelte, von dieser heiligen Leidenschaft für die Menschen, die ihn völlig ergriffen hat, von dieser unendlichen Nächstenliebe, die ihn von der Demütigung der Krippe zum Opfer auf Golgatha führte. Leider können wir nicht mit dem Apostel Johannes in der Fülle unseres Glaubens sagen: ,,Wir glauben, Herr, an deine Liebe!" 59 „ Credidimus caritati. " Göttlicher Meister, in Zukunft wollen wir uns ganz deiner liebevollen Leitung überlassen. Dir vertrauen wir die Sorge um unsere materielle Zukunft an. Nicht wissend, was uns diese von Bedrohungen überschattete Zukunft bringen wird, geben wir uns in die Hände deiner Vorsehung. Deinem Herzen vertrauen wir unseren Kummer an. Oft bereitet er uns große Qual. Aber du stehst uns bei und linderst ihn. Deiner Barmherzigkeit überantworten wir unsere sittlichen Schwächen. Die menschliche Schwachheit läßt uns alle Ohnmacht befürchten. Du aber, Herr, wirst uns stützen und uns vor schwerem Fall bewahren. Wie dein Lieblingsjünger, der sein Haupt an deine Brust legte, so wollen wir an deinem göttlichen Herzen ruhen und nach dem Wort des Psalmisten werden wir dort in süßem Frieden schlummern, denn wir werden durch dich, o Jesus, von einem unabänderlichen Vertrauen getragen werden.
(59)
Johannes, IV, 16.
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Sechstes Kapitel
Früchte des Vertrauens Das Vertrauen verherrlicht Gott Am besten lobt man das Vertrauen, indem man seine Früchte aufweist: Damit wollen wir uns diesem letzten Kapitel beschäftigen. Hoffentlich können die nun folgenden Betrachtungen die unruhigen Seelen ermutigen und ihnen helfen, mit der Einweisung in die vollkommene Übung dieser wertvollen Tugend endlich ihren Kleinmut zu überwinden. Das Vertrauen entwickelt sich nicht in den bescheideneren Sphären der sittlichen Tugenden; es erhebt sich mit einem Sprung zum Thron des Allerhöchsten, bis zum Herzen selbst des himmlischen Vaters. Seiner unendlichen Vollkommenheit zollt es einen ausgezeichneten Tribut: seiner Güte, weil es nur von ihm die notwendige Hilfe erwartet; seiner Macht, weil es jede andere Kraft als die seine gering schätzt; seinem Wissen, weil es die Weisheit seines überlegenen Eingreifens anerkennt; seiner Treue, weil es ohne Zögern auf sein göttliches Wort setzt. Es handelt sich also um eine Tugend, die gleichzeitig Lob und Anbetung in sich vereinigt. Nun gibt es aber unter den Bekundungen des religiösen Lebens keine vorzüglicheren als die beiden eben genannten; diesen erhabe-
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Sechstes Kapitel
nen Handlungen geben sich im Himmel die seligen Geister hin. Die Seraphim bedecken in Gegenwart des Allerhöchsten ihr Gesicht mit den Flügeln und die Chöre der Engel wiederholen vor ihm voller Entzücken ihren dreifachen Zuruf. Das Vertrauen faßt in einer leuchtenden, süßen Synthese die drei theologischen Tugenden zusammen: den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Deshalb fühlt sich der vom Glanz dieser Tugend geblendete Prophet außer Stande, seine Bewunderung zurückzuhalten, und begeistert ruft er aus: ,, Gesegnet der Mann, der auf den 160 Herrn vertraut! " Die vertrauenslose Seele dagegen beleidigt den Herrn. Sie zweifelt an seiner Vorsehung, an seiner Güte und an seiner Liebe. Sie sucht Zuflucht bei den Geschöpfen; in heutigen Zeiten geht sie sogar so weit, sich abergläubischen Handlungen hinzugeben. Die Unglückliche verläßt sich auf zerbrechliche Stützen, die unter ihrem Gewicht zusammenbrechen und sie grausam verletzen werden. Und Gott zürnt über diese Beleidigung. Im 2. Buch der Könige wird berichtet, daß der kranke Achasja bei den Götzenpriestern Rat suchte. Jahwe war deshalb erzürnt und trug dem Propheten Elias auf, dem Herrscher seine schrecklichen Drohungen zu verkünden: ,, Gibt es denn keinen Gott in Israel, daß ihr hingehen müßt, den Baal Sebub, den Gott von Ekron, zu befragen? Daher sollst du von der Lagerstatt, die du bestiegen hast, nicht 26 1 mehr aufstehen, denn du mußt mit Bestimmtheit sterben. " Verdient ein Christ, der an der Güte Gottes zweifelt und seine Hoffnungen auf die Geschöpfe setzt, nicht dieselbe Zurechtweisung? Setzt er sich nicht der verdienten Strafe aus? Wacht denn die Vorsehung nicht über ihn, so daß er sich wie ein Wahnsinniger matten und schwächlichen Wesen zuwenden müßte, die dann nicht in der Lage sind, ihm zu Hilfe zu kommen?
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Benedictus vir qui confidit in Domino. Jeremias, XVII, 7. Nunquid quia non erat Deus in Israel, mittis ut consulatur Beelzebub deus Accaron? ldcirco de lectulo super quem ascendisti non descendes, sed morte morieris. 2 Könige, 1, 16.
Früchte des Vertrauens
Es lenkt außerordentliche Gnaden auf die Seelen „ Verliert also eure Zuversicht nicht", schreibt der Apostel 62
Paulus, ,, sie bringt einen reichen Lohn. " Tatsächlich macht diese Tugend Gott so große Ehre, daß sie für die Seelen notwendigerweise außerordentliche Gnaden herabzieht. Der Herr hat in der Heiligen Schrift wiederholt erklärt, mit welch großzügiger Freigebigkeit er die vertrauensvollen Herzen behandelt: „Weiler mir anhängt, errette ich ihn, beschütze ihn, da er um meinen Namen besorgt ist. Ruft er mich an, so erhöre ich ihn, bin bei ihm in der Drangsal, ich befreie ihn und bring ihn zur Geltung. " 63 Welch beruhigendes Versprechen im Munde dessen, der jedes unnötige Wort bestraft und auch die geringste Übertreibung verurteilt! Die Wahrheit selbst bezeugt also, daß das Vertrauen alle Übel von uns fernhält. „Fürwahr, der Herr ist dein Schutz, den Höchsten machtest du zu deiner Wehr. So kann dir kein Unheil begegnen, keine Plage sich nahen deinem Zelt. Ja, Jü,r dich gebietet er seinen Engeln, dich zu schützen auf all deinen Pfaden. Auf den Händen tragen sie dich, daß dein Fuß sich nicht stoße an Steinen. -Über Vipern und Ottern schreitest du hin, kannst zertreten Löwen und Drachen. "64 Von den Übeln, vor denen uns das Vertrauen bewahrt, ist an erster Stelle die Sünde zu nennen. Nichts entspräche übrigens mehr der Natur der Dinge. Die vertrauensvolle Seele weiß um ihr Nichts (62)
Nolite amittere confidentiam vestram, quae magnam habet remunerationem. Hebräer, X, 35.
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Quoniam in me speravit liberabo eum: protegam eum quoniam cognovit nomen meum. Clamabit ad me et ego exaudiam eum: cum ipso sum in tribulatione, eripiam eum et glorificabo eum. Psalmen, XC, 14- 15. Quoniam ... Altissimum posuisti refugium tuum, non accedet ad te ma/um et flage/lum non appropinquabit tabemaculo tuo. Quoniam angelis suis mandavit de te, ne f orte offendas ad lapidem pedem tuum. Super aspidem et basiliscum ambulabis, et concukabis leonem et draconem. Psalmen, XC, 9-1 3.
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Sechstes Kapitel
wie um das aller Geschöpfe. Gerade deshalb setzt sie weder auf sich selbst noch auf die Menschen, sondern richtet ihre ganze Hoffnung allein auf Gott. Sie mißtraut dem eigenen Elend und übt sich somit in der wahren Demut. Nun wißt ihr aber, daß der Stolz die Quelle aller unserer Fehler ist 66 65 und der Anfang des Verderbens . Der Herr entfernt sich aus der Nähe des Hochmütigen, überläßt ihn seiner Schwachheit und läßt ihn fallen. Der Fall des heiligen Petrus ist ein abschreckendes Beispiel dafür. Nach den erbarmungsvollen Plänen der Weisheit läßt es Gott vielleicht zu, daß die Prüfung die vertrauende Seele für eine gewisse Zeit heimsucht: Nichts wird sie jedoch erschüttern; unbewegt und 67 fest wie der Berg Sion wird sie bestehen bleiben. In ihrem Herzen 68 wird sie die Freude bewahren und trotz der heulenden Stürme wie 69 ein Kind in den Armen des Vaters schlummern • Sie wird ihren Weg glücklich vollenden , denn Gott rettet die, ,, die auf ihn vertrauen "10 . Dies sind jedoch rein negative Wohltaten. Auch mit positiven Wohltaten überhäuft Gott den Menschen, der auf ihn vertraut. Seht nur, wie stimmungsvoll der Prophet diese Wahrheit zum Ausdruck bringt: ,,Gesegnet der Mann, der auf den Herrn vertraut, seine Zuversicht ist der Herr. Er gleicht dem Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln ausstreckt am Bach. Er fürchtet sich nicht, wenn die Hitze kommt, sein Laubwerk erhält sich grün, auch in dürren Jahren wird ihm nicht bang, und unaufhörlich 71 trägt er Früchte. " (65) (66) (67) (68) (69) (70) (71 )
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lnirium omnis peccati est superbia. Prediger, X, 15. Allle ruinam exaltatur spiritus. Spruche, XVI , 18. Qui conjidunt in Domino, sicut mons Sion. Psalmen, CXXIV, /. Dedisti /aetitiam in corde meo. Psalmen, IV, 7. In pace idipsum donniam et requiescam, quoniam tu, Domine, singulariter in spe constituisti me. Pslamen, IV , 9- IO. Salvosfacit spera111es in se. Psalmen, XVI, 7. Benedictus vir qui confidit in Domino, et erit Dominus fiducia ejus. Et erit quasi lignum quod transplantatur super aquas, quod ad humorem mittit radices suas, et 11 0 11 timebit eum veneret destus. Et eritfolium ejus viride, et tempore siccitaris 110 11 erit sollicitum, nec aliquando desinet fa cerefructwn. Jeremias, XVII, 7-8.
Früchte des Vertrauens
Um den strahlenden Frieden dieses Bildes durch einen eindrucksvollen Kontrast hervorzuheben, betrachtet nun das bedauernswerte Schicksal jenes Menschen, der sich auf die Geschöpfe verläßt: ,, Verflucht der Mann, der auf Menschen und auf Fleisch vertraut und dessen Gesinnung vom Herrn abweicht! Er ist dem Wacholder in der Steppe gleich, nimmer erlebt er das Glück, er wohnet im dürren Wüstenland, auf salzigem, unbewohnbarem Boden. " 72
Das vertrauensvolle Gebet vermag alles Schließlich wird das Vertrauen - und dies ist einer semer größten Vorzüge - stets erhört. Man kann es gar nicht genug wiederholen: Der vertrauensvollen Bitte wird alles gewährt. Die Heilige Schrift empfiehlt uns mit aller Eindringlichkeit, unseren Glauben wiederzubeleben, bevor wir Gott unsere Bitten vortragen. ,,Alles, was ihr glaubensvoll im Gebet erfleht, werdet ihr 73 empfangen, " erklärt der Meister. Der Apostel Jakobus drückt sich ähnlich aus; wir sollen„ im Glauben bitten, ohne zu zweifeln ". Denn wer zweifelt, gleicht der unsteten Meereswelle; unter diesen Um74 ständen braucht man nicht auf Erhörung zu hoffen . Um welchen Glauben geht es aber in den zitierten Texten? Es ist nicht der gewöhnliche Glaube, den die Taufe in unsere Seele gießt; es geht hier um ein besonderes Vertrauen, das uns unter gegebenen Umständen fest auf das Eingreifen der Vorsehung hoffen läßt. Der Herr spricht ausdrück.lieh davon im Evangelium: ,,Bei allem, um was ihr betet und fleht, glaubet, daß ihr empfangt, und es wird euch geschehen. " 75 Besser konnte der Meister das Vertrauen gar nicht beschreiben. (72) (73) (74) (75)
Maledicrus homo qui confidit in homine. er ponir carnem brachium suwn, er a Domino recedir cor ejus. Erir enim quasi myricae in deserro ... habirabir in siccirare in deserro, in rerra sa/suginis er inhabirabili. Jeremia . XVII, 5-6. Quaecumque perieriris in orarione credenres. accipieris. Matthäus. XXI. 22. Posruler aurem in fide. 11ihil lwesirans. Qui enim haesirar. similis esrflu crui maris, qui a venro moverur er circumfe rrur. Non ergo aesrimer homo ille, quod accipiar aliquid a Domino. Jakobus, ! , 6-7. Omnia quaecwnque oranres periris, credire quia accipietis, et evenient vobis. Markus. XI , 24.
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Sechstes Kapitel
Nun können wir zwar einen lebendigen Glauben haben und dennoch daran zweifeln, daß Gott die eine oder andere unserer Bitten wohlwollend aufnimmt. Sind wir uns denn sicher, daß zum Beispiel der Gegenstand unseres Wünschens auch wirklich dem wahren Gut unseres Lebens nützt? Wir zweifeln also. Und schon dieses geringe Zögern mindert nach Meinung eines Theologen die 76 Wirksamkeit des Gebets. Dann gibt es wieder Gelegenheiten, in denen unsere innigste Gewißheit so stark ist, daß jeder Zweifel und jedes Zögern völlig unmöglich erscheint. Wir sind uns so sicher, daß wir Erhörung finden, daß wir die erflehte Gnade bereits in Händen zu halten meinen. ,,Mit Rücksicht auf ein so vollkommenes Vertrauen", schreibt P. Pesch, ,,gewährt uns Gott Gnaden, die wir anders nicht erhalten hätten." Entweder brauchten wir das Gut, um das wir ihn baten, in Wirklichkeit gar nicht, oder das Gut entsprach nicht genau den Voraussetzungen die nötig sind, damit Gott sich wegen seines Versprechens verpflichtet fühlt, es uns zu gewähren. 77Meistens ist diese innige Gewißheit im Übrigen das Werk der Gnade in uns. ,,Daher", schließt der angeführte Verfasser, ,,ist dieses einzigartige Vertrauen, daß wir diese oder jene Gnade erhalten werden, schon eine Art besonderes Versprechen Gottes, uns diese auch wirklich zu gewähren."78 Ein Wort des heiligen Thomas von Aquin soll diese kurze Abschweifung zusammenfassen: ,,Das Gebet", schreibt der Doctor Angelicus, ,,gewinnt sein Verdienst aus der Liebe; seine erwirkende Kraft aber entspringt dem Glauben und dem Vertrauen."79 (76) (77) (78) (79)
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Haec haesitatio non quiddam tollit, set minuit efficaciam orationis. Christianus Pesch: Praelectiones dogmaticae, Bd. IX, S. 166. Ob hanc perfectionemfuluciae interdum dat Deus bonum, quod alias non daret, quia non erat iter necessarium, vel non habebat alias conditiones, proprer quae ex vi so/ius promissionis illus dare teneretur. Pesch, a. a. 0. Itaque in singularis fiducia impetrandi aliquam particularem rem desideratam est quasi promissio specialis dei circa hanc rem. Pesch, a. a. 0. Oratio efficaciam merendi habet a charitate, at vero efficaciam impetrandi a fide et fiducia. St. Thomas, Quaest. LXXXIII, art. 15. ad. 3.
Früchte des Vertrauens
Das Beispiel der Heiligen Mit diesem Vertrauen beteten die Heiligen, und deswegen erwies sich Gott ihnen gegenüber von einer unendlichen Großzügigkeit. Der Abt Sisois, heißt es im „Leben der Väter", betete eines Tages für einen seiner Anhänger, den die Gewalt der Versuchung niedergestreckt hatte. ,,Ob du willst oder nicht", sprach er zu Gott, „ich werde nicht von dir ablassen, bis du ihn geheilt hast." Und die Seele des armen Bruders gewann Gnade und Gleichmut zurück. 80 Der Herr ließ sich dazu herab, der heiligen Gertrud zu offenbaren, daß ihr Vertrauen dem göttlichen Herzen derart Gewalt antat, daß er sich gezwungen sah, ihr alles zu gewähren. Und er fügte noch hinzu, daß sie damit die Anforderungen seiner Güte und seiner Liebe zu ihr erfüllte. Eine Freundin dieser Heiligen betete schon seit einiger Zeit, ohne Erhörung zu finden. Da eröffnete ihr der Heiland: „Ich habe deine Bitten abgeschlagen, weil du nicht ein solches Vertrauen in meine Güte hast wie meine getreue Gertrud. Ihr werde ich nie abschlagen, was sie erbittet. " 81 Sehen wir schließlich, wie die heilige Katharina von Siena nach dem Zeugnis des seligen Raimund von Capua, ihres Beichtvaters, betete. „Herr", sagte sie, ,,ich werde dir so lange zu Füßen und in deiner Gegenwart bleiben, bis deine Güte mir meinen Wunsch erfüllt hat, bis es dir gefällt, das zu tun, worum ich dich bitte." „Herr", sprach sie weiter, ,,ich will, daß du mir das ewige Leben für alle diejenigen versprichst, die ich liebe." Danach streckte sie ihre Hand mit bewundernswerter Dreistigkeit dem Tabernakel entgegen und fügte hinzu: ,,Herr, lege deine Hand in meine! Ja, gib mir einen Beweis dafür, daß du mir gewährst, worum ich dich bitte!. .."
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Vitae Patrum, Buch VI. Saint-Jure: De La connaissance et de lamour de J. C., Bd. ill, S. 27.
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Sechstes Kapitel
Mögen uns diese Beispiele dazu anregen, uns in die Tiefe der Seele zurückzuziehen und unser Gewissen ein wenig zu prüfen. Mit einem frommen Autor richten wir an uns selbst die folgende Frage: „Haben wir in unsere Bitten ein volles Vertrauen hineingelegt, ein bißchen von dieser Unbedingtheit des Kindes, das seine Mutter um den gewünschten Gegenstand bittet? Von der Unbedingtheit der armen Bettler, die uns verfolgen und die, gerade weil sie uns nicht in Ruhe lassen, das erreichen, was sie wollen? Vor allem aber von der gleichzeitig respekt- und vertrauensvollen Unbedingtheit der . 1.hrem B.1tten ?...." 8-? H e1.ligen m
Abschluß Ein Entschluß resultiert ganz selbstverständlich aus dieser kurzen Studie: Christliche Seelen, setzt alle euch verfügbaren Mittel ein, um das Vertrauen zu erwerben. Betrachtet immer wieder die unendliche Macht Gottes, seine ungeheure Liebe, seine unverwüstliche Treue, mit der er seine Versprechen einhält, und das Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Verbleibt aber nicht auf unbestimmte Zeit in abwartender Haltung. Geht von der Reflexion zur Tat über. Weckt häufig in euch Akte des Vertrauens; jede Handlung soll euch Gelegenheit sein, sie zu erneuern. Vor allem aber in der Stunde der Schwierigkeiten und Prüfungen sollen sie noch zahlreicher werden. Wiederholt so oft wie möglich dieses bewegende Stoßgebet: „Heiliges Herz Jesu, ich vertraue auf dich." Einer privilegierten Seele hat der Herr einmal gesagt: ,,Es reicht das kleine Stoßgebet: „Ich vertraue auf dich ", um mein Herz zu erfreuen, denn darin steckt das Vertrauen, der Glaube, die Liebe und die Demut." 83 Fürchtet nicht, diese Tugend zu übertreiben!
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Sauve, Jesus intime, Bd. II, S. 428. Sch111ester Benigna Con solata Ferrero. Vgl. die Fußnote 19 in Kap. II.
Früchte des Vertrauens
,,Auch wenn man ein gutes Leben führt, soll man nie befürchten, die Tugend des Vertrauens zu übertreiben. Denn so wie Gott in seiner unendlichen Wahrheit eine Art unendlichen Glauben verdient, so verdient er auch wegen seiner Macht, seiner Güte, der Unfehlbarkeit seiner Verheißungen - Perfektionen, die genauso 84 unendlich sind wie seine Wahrheit- ein unbegrenztes Vertrauen." Gebt euch alle Mühe! Die Früchte des Vertrauens sind so wertvoll, daß es sich lohnt, sie zu pflücken. Und wenn ihr euch eines Tages beklagen solltet, daß ihr die erwarteten wunderbaren Vorteile nicht erhalten habt, dann antworte ich euch mit dem heiligen Chrysostomus: ,,Ihr sagt: Ich habe gehofft und wurde nicht erhört. Welch seltsame Worte! Lästert nicht gegen die Heilige Schrift! Ihr seid nicht erhört worden, weil ihr nicht vertraut habt, wie es angebracht war; weil ihr nicht das Ende der Prüfung abgewartet habt; ihr wart kleinmütig. Das Vertrauen besteht vor allem darin, im Leiden und in der Gefahr starken Mutes zu sein und das Herz zu Gott zu erheben. " 85
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Saint-Jure: De la co1111aissa11ce et de lamour de J. C., Bd. Ul, S. 6. Dices: Ego spera vi, et sum pudore affectus. 8 011a verba, quaeso, o homo! Ne divi11ae Scripl!lrae obloquaris. Nam si pudore affectus es, ideo affectus es, quod 11011, 111 oportuit, spera vis. ex eo quod cesseris, ex eo quod jinem non expecta veris, pusillo et angusto animo f ueris. Hoc enim vel maxime est sperare, quando in media mala et periculafueris co11j ectus, tune erigi. St. Chrysostomus, In Psalm., CXVII.
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Wenn
Sie eine schwere Last zu tragen haben, wenn Ihnen der Alltag Sorgen und Beunruhigungen bringt, wenn Ihnen das Leben als Christ in dieser materialistischen Zeit schwer zu führen erscheint,
wenn Sie sich in gewissen Augenblicken entmutigt fühlen, dann wurde dieses Buch gerade für Sie geschrieben. Lesen Sie es und Sie werden eine Seele voll Vertrauen haben. Unser Herr lädt Sie dazu ein; Ihr Interesse fordert es. Ihre Seele wird den Frieden erlangen und voller Licht sein. Die Seiten dieses Buches sind vom Evangeliumlebenssaft durchdrungen. Gibt es für die Seele eine bessere Nahrung als die der Worte unseres Erlösers? Die Lektüre dieses Werks wird in Ihr Herz die Gewißheit eindringen lassen, daß Sie bei der Übung der Tugend des Vertrauens die Gnaden erhalten werden, die Gott Ihnen schenken will.
Aktion „Deutschland braucht M:ariens Hilfe" Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) e. V.