Themenzeitung 2/2010 - healthcare

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Ausgabe Oktober 2010

Eine Sonderverรถffentlichung der Lombard Media Swiss AG im Handelsblatt

healthcare

Forschung Neue Hoffnung aus dem Labor

Krankenkassen Wege aus der Kostenspirale

Medizintechnik Schonend heilen und Kosten senken


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editorial

Inhalt Krankenhaushygiene  Die Einhaltung standardisierter Vorschriften, regelmäßige Personalschulungen sowie moderne Hygienelösungen in Praxis und Krankenhaus können Leben retten. Seite 3

Medizintechnik  Nicht nur die hohe Qualität der Produkte überzeugt, auch die Innovationskraft der Branche ist ungebrochen: Deutsche Medizintechnik ist weltweit gefragt. Seite 14

Titelthema Trotz steigender Kosten – das deutsche Gesundheitssystem ist besser als sein Ruf. Experten stimmen überein: Die Gesundheitswirtschaft ist ein gewaltiger Wachstumsmarkt. Seite 4

E-Health  IT-Lösungen für sämtliche Bereiche des Gesundheitswesens und telemedizinische Anwendungen können Kosten senken und gleichzeitig die Versorgung der Patienten verbessern. Seite 17

Forschung  Hoffnung aus dem Labor: Vor allem bei der Krebsbekämpfung hat es zuletzt große Fortschritte gegeben. Deutschland ist in der medizinischen Forschung gut aufgestellt. Seite 9

Krankenkassen  Höherer Beitragssatz, ungedeckelte Zusatzbeiträge: Von den Neuregelungen im Gesundheitswesen verspricht sich die Politik mehr Wettbewerb unter den Versicherern. Seite 20

Impressum Herausgeber und Verlag: Lombard Media Swiss AG www.lombardmedia.ch Konzept, Realisierung und redaktionelle Bearbeitung: newpublic communication UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Marie-Curie-Str. 11-13 53332 Bornheim Tel: +49 (0) 2227/921242 Net: www.newpublic.org newpublic-Redaktions­ leitung (V. i. S. d. P.): Wolfgang Haselbauer, w.haselbauer@newpublic.org newpublic-Schlussredaktion: Jens Voß, j.voss@newpublic.org newpublic-Projektleitung: Philipp Kesternich, p.kesternich@newpublic.org newpublic-Projektmanager: Sebastian Schmitz, s.schmitz@newpublic.org; Patrick Warmbier, p.warmbier@newpublic.org newpublic-­Layout: Marcel Rohland, Michael Döhring, Andreas Schnittker Bildmaterial entnommen von istockphoto.com / fotolia.com / Bayer HealthCare AG Autoren: Dr. Ralf Magagnoli, Dr. Michael Lang, Chris Löwer, Dr. Robert Paquet, Christian Vollmer Verbreitete Auflage: 103.000 Exemplare als Fremdbeilage im Handelsblatt (inkl. Abo-Auflage mit 80.694 Exemplaren)

EDITORIAL

Enorme Wachstumsraten Die Zeichen stehen auf Aufbruch. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt Deutschland anhaltend robuste Zuwächse für dieses und das kommende Jahr voraus. Demnach könnte die Wirtschaft in diesem Jahr um 3,3 Prozent zulegen. Einer der Wachs­ tumsmotoren ist der Gesundheitssektor. Die alternde Gesellschaft schafft einen zuneh­ menden Bedarf, der technische Fortschritt zusätzliche Nachfrage. Für die Politik bedeu­ tet die demografische Entwicklung eine große Herausforderung, der Gesundheitsindustrie bietet sie Chancen mit enormen Wachstums­ raten. Überdies scheinen immer mehr Men­ schen bereit zu sein, für ihre Gesundheit tiefer in die Tasche zu greifen. Hier entsteht ein riesiger Markt. So prog­ nostizieren Anhänger des Ökonomen Nikolai Kondratieff, nach dem sich die Wirtschafts­ entwicklung in langen Zyklen vollzieht, dass der Gesundheitsmarkt der sechste große Zy­ klus des modernen Industriezeitalters wer­ den wird. Mehr möchten wir an dieser Stelle nicht verraten. Lesen Sie die Titelreportage von Dr. Michael Lang. Der Grundstein für

Wachstum wird in der Forschung gelegt. Was deutsche Unternehmen hier leisten, welche Innovationen uns erwarten und wo weiteres Potenzial liegt, erfahren Sie ab S. 9. Aus dem Labor in die Praxis: Dass mo­ derne Medizintechnik auch für finanziell klam­me Kliniken kein Kostentreiber sein muss, sondern hilft Prozesse zu optimieren, erläutert unser Autor Chris Löwer. Dies gilt ebenso für den E-Health-Sektor. Mehr über diese spannende Entwicklung ab S. 17. Ein anderes Thema sorgt zurzeit für negative Schlagzeilen: die Krankenhaushygiene. Rund 50.000 Menschen sterben Jahr für Jahr EUweit an den Folgen einer Infektion, die sie sich in einer Klinik zugezogen haben. Dr. Ralf Magagnoli erklärt, wie die Häuser die­ses Pro­ blem in den Griff bekommen können. Kassen in der Krise? Mit der Situation der gesetzlichen und privaten Krankenversi­ cherungen im Zuge der Gesundheitsrefom befasst sich zu guter Letzt Dr. Robert Paquet. Hierbei bricht er eine Lanze für den viel ge­ scholtenen Gesundheitsminister. Ihre Redaktion


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krankenhaushygiene

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Nicht nur sauber, sondern rein KRANKENHAUSHYGIENE In Zeiten knapper Budgets wird in einigen Krankenhäusern am falschen Ende gespart.

D

ie Zahlen sind drama­ tisch: Allein in Deutsch­ land ziehen sich nach Schätzungen der Allianz Krankenversicherung Jahr für Jahr zwischen 500.000 und einer Million Menschen während ihres Kranken­ hausaufenthalts eine Infektion zu – mehr als drei Millionen sind es in der EU. Jedes Jahr sterben bis zu 50.000 Menschen an den Folgen. Die Gründe sind vielfältig. So sind viele Bakterien inzwischen resistent gegen herkömmliche Antibiotika ge­ worden, die von Medizinern oft allzu leichtfertig verschrieben werden. Dr. Ulrich Rumm, Mitglied des Vor­stan­ des der Allianz Deutschland AG, sagt:

„Ein Drittel aller Krankenhaus­pa­ti­ enten erhält Antibiotika, ein großer Teil davon ist entbehrlich oder falsch ausgewählt.“ Dieser Gefahr kön­ne nur durch „einen über­legten Einsatz vor allem der hochpotenten Antibiotika begegnet werden“. Mindestens eben­ so wichtig sind seiner Ansicht nach die Beachtung von Vorschriften zur Krankenhaushygiene und der „Aufbau eines funktionierenden Ri­siko­ma­na­ gements, dessen zentraler Bestandteil ein Infektions-Control­ling und Repor­ ting sein sollte“. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat dazu bereits 2001 ein Dokument über „Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinpro­ dukten“ im Bundesgesetzblatt veröf­ fentlicht. Dabei handelte es sich um Empfehlungen, die zum Teil in die gesetzlichen Vorschriften der einzel­ nen Bundesländer eingegangen sind. Die Hygieneverordnung in NRW et­ wa schreibt die „sachgerechte Aufbe­ reitung (Des­infi­zierung, Reinigung und Sterilisierung) und sterile Aufbe­ reitung“ zur Wiederverwendung ge­ eigneter Instrumen­te vor.

Nötig wäre eine Vereinheitlichung der immer noch unterschiedlichen Hygienevorschriften durch den Ge­ setzgeber. Daneben rückt aber auch die Schulung des Hygienepersonals in den Krankenhäusern immer stär­ ker in den Mittelpunkt. Es gilt, das Bewusstsein der Pflegekräfte dafür zu schärfen, die Bestimmungen ein­ zuhalten. Einen Beitrag dazu leisten praktikable Lösungen in der Medizin­ technik, wie sie Hersteller von medi­ zinischen Komponenten und von Reinigungsmitteln, aber auch Anbie­ ter von Zubehör zur sicheren Aufbe­ wahrung von Lebensmitteln, Medi­ kamenten und Abfällen auf den Markt gebracht haben. Einer dieser Anbieter ist die Fir­ ma Miele. Sie hat eine Hygienelösung entwickelt, mit der sich die immer komplexer werdenden Instrumente etwa in der Augenchirurgie reinigen lassen. Hier sind die Anforderungen weitaus höher als bei „klassischen“ Geschirrspülautomaten, muss doch eine angemessene Rückstandsfreiheit gerade bei empfindlichen Körperpar­ tien sichergestellt werden. Bei aller

technischen Weiterentwicklung bleibt aber der „Faktor Mensch“ nach wie vor maßgeblich, wie Dr. Winfried Michels von der Miele & Cie. KG be­ tont. So habe die sachgerechte und korrekte Beladung der Beladungs­ wagen mit ihren Spülvorrichtungen einen großen Einfluss. Gerade dort ist laut Michels qualifiziertes Perso­ nal erforderlich, „wenngleich leider nicht immer präsent“. Für die Krankenhäuser bedeu­ ten die Anschaffung entsprechender Lösungen und die Schulung des Per­ sonals einen zusätzlichen Kostenfak­ tor, den einige Kliniken angesichts des zunehmenden Konkurrenzdrucks scheuen. Doch Sparen in diesem Be­ reich ist Sparen am falschen Ende. Denn die Folgekosten sind weitaus höher. Und auch die Patienten ach­ ten auf die Hygiene in den Kranken­ häusern. Nach einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Kranken­ haushygiene (DGKH) ist mehr als die Hälfte der Patienten bereit, zu­ sätzlich zehn Euro für eine bessere Hygiene zu bezahlen. Dr. Ralf Magagnoli

I n str u m e n te n r e i n i g u n g

spültechnik auf dem prüfstand In den 60er Jahren entwickelten sich Geschirrspülautomaten zum festen Bestandteil einer modernen Küche. Vom Essbesteck zum chirurgischen Besteck: Die Schlussfolgerung, Spülautomaten auch im Krankenhaus zu nutzen, lag nah. Dazu mussten aber neue Verfahren und Prozesschemikalien entwickelt werden. Denn die Anschmutzungen aus Gewebeteilchen, Blut und anderen Körper- und Gewebeflüssigkeiten sind mit einem Spektrum von potentiellen Krankheitserregern verbunden. Hepatitis-B-Viren etwa können das Personal bereits über leichte Verletzungen beim Umgang mit Instrumenten infizieren. Große Beachtung fand daher die Vermeidung manueller Reinigungsarbeit durch die Verfahren im geschlossenen Automaten. Aus Gründen des Personalschutzes wird seit 1980 die Anwendung der thermischen Desinfektion im Spülverfahren mit einer Temperatur von über 90°C empfohlen. Seitdem haben sich die sogenannten Reinigungs-/Desinfektionsgeräte als Instrumentenaufbereitungsmethode der Wahl in Krankenhäusern durchgesetzt. „Heute ist die Bedeutung der Reini-

gung in den Brennpunkt des Interesses gerückt“, erklärt auch Dr. Winfried Michels, Leiter Anwendungstechnik Miele Professional der Miele & Cie. KG. „Nicht zuletzt, weil wir mit dem filigranen, komplexen Instrumentarium der sogenannten Schlüssellochchirurgie, auch minimalinvasive Chirurgie genannt, oder der Augenchirurgie konfrontiert sind.“ Werden Spalte von Gelenkinstrumenten mit der Weite eines Haardurchmessers oder englumige Hohlräume, die bei dem operativen Eingriff mit Blut kontaminiert werden, wirklich sauber? Michels: „Dafür bedarf es neuer Methoden der Prüfung und Bewertung, beispielsweise proteinanalytischer Nachweise.“ Angesichts der Bestrebungen, solche qualitätssichernden Prüfungen anzuwenden, sei es ein Skandal, wenn Instrumente, die auf den Außenflächen noch verschmutzt sind, der Sterilisation und der Wiederverwendung zugeführt werden. Michels ergänzt:„Aber auch die Spültechnik und -verfahren müssen stetig weiterentwickelt werden, damit die immer komplexer aufgebauten Instrumente wirklich hygienisch sauber

und somit sicher sterilisierbar werden.“ Auch wenn oberflächlich betrachtet die Grundprinzipien noch ähnlich sind, verläuft die Entwicklung der Instrumentenspülautomaten längst nicht mehr parallel zu der von Geschirrspülern. So muss die Nachspülung zur Instrumentenreinigung mittels vollentsalztem Wasser eine angemessene Rückstandsfreiheit bereitstellen. Das ist zum Beispiel bei ophthalmologischen Instrumenten – also im Bereich der Augenchirurgie – besonders sicherzustellen, denn Augen reagieren auf Reinigungsmittelreste sehr empfindlich. Dies erfolgt durch eine sorgfältig abgestimmte Verfahrens- und Regelungstechnik und wichtige Parameter, wie die Temperatureinhaltung oder Dosierung flüssiger Medien. Dennoch: Trotz fortschreitender Absicherung der exakten Reproduktion der Prozessabläufe bleibt der Einflussfaktor Mensch. Michels weiter: „Einen gravierenden Einfluss hat die sachgerechte und korrekte Beladung der Beladungswagen mit ihren Spülvorrichtungen, die für Instrumente unterschiedlicher Disziplinen zur Verfügung stehen. Gerade dort ist qualifiziertes und

gewissenhaftes Personal erforderlich, wenngleich leider nicht immer präsent.“ Weitere Informationen finden Sie im Internet unter: www.miele-professional.de

„Die Instrumentenreinigung ist in den Brennpunkt des Interesses gerückt“, erklärt Dr. Winfried Michels.


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Diagnose: Wachstum HEALTHCARE Die demografische Entwicklung stellt die Politik vor eine große Herausforderung. Der Gesundheitsindustrie eröffnet sie enorme Chancen.

R

ainer M. hat gerade sei­ nen Großvater zum Arzt begleitet. Der ältere Herr hat Diabetes und muss ständig von seinem Arzt untersucht werden. Auch wegen der möglichen Folgeerkrankungen des Altersdiabe­ tes (Typ II). Rainer M. ist Jahrgang 1961, er gehört zu den geburtenstar­ ken Jahrgängen, die voraussichtlich in 20 Jahren in Rente gehen. Wahr­ scheinlich wird er den Diabetes von seinem Großvater erben. Ob er im Alter auch mit einer optimalen Ver­ sorgung rechnen kann wie sein Groß­ vater, ist ungewiss. Denn die Gesell­ schaft altert. Und mit dem Alter kom­men nicht nur die Wehwehchen, sondern zunehmend auch die chro­ nischen Erkrankungen, die maßgeb­ lich zur Kostenexplosion im Gesund­

heitswesen beitragen. Bis zum Jahr 2050 wird nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes der An­ teil der über 65-Jährigen an der Ge­ samtbevölkerung um 54 Prozent, der Anteil der über 80-Jährigen um 174 Prozent zunehmen. Parallel da­ zu schrumpft die Zahl der erwerbs­ fähigen Menschen in Deutschland um voraussichtlich 20 Prozent. Das beitragsfinanzierte Gesundheitssys­ tem bekommt spätestens dann ein erhebliches Einnahmeproblem, wenn Rainer M. in Rente geht. Die Politik bastelt deshalb be­ reits seit Jahren an Reformen, um so­ wohl die Einnahmen zu verbessern als auch die Ausgaben zu verringern. Oft kam dabei nur eine „Kosten­ dämpfung“ heraus: Leistungen wur­ den gestrichen, Zuzahlungen einge­


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Gesundheitsniveau Gesundheitsausgaben pro Kopf in US-Dollar

führt und Beiträge erhöht. Jüngstes Beispiel ist die geplante Erhöhung der Beitragssätze für die Gesetzliche Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozent. Künftige Beitragserhö­ hungen tragen allein die Erwerbstä­ tigen. Langfristig plant der Minister den Einstieg in das System mit den sogenannten Kopfpauschalen, einem einheitlichen, einkommensunabhän­ gigen Beitrag. Für zusätzliche Leis­ tungen werden noch Zusatzver­si­che­ rungen fällig. Ob sich dann jeder noch die Gesundheitsversorgung leis­ ten kann, die er heute in Anspruch nimmt, bleibt abzuwarten. Die demografische Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt. Deshalb kämpfen auch viele andere Staaten mit der Finanzierung ihrer Gesundheitssysteme. Immer mehr Ältere und Kranke bedeutet aber zu­ gleich, dass hier ein riesiger Markt entsteht. Anhänger der zyklischen Wachstumstheorie des Nationalöko­ nomen Nikolai Kondratieff gehen davon aus, dass der Gesundheits­ sektor die IT- und Telekommunikati­

onsbranche als treibenden Mo­tor des Wirtschaftswachstums ab­lösen wird. Einerseits riesige Chancen, an­ dererseits stetig steigende Kosten im Gesundheitswesen. Dafür gibt es ei­ ne Reihe von Gründen. Einen nicht unerheblichen Anteil an der Kosten­ explosion haben zum Beispiel die überproportional gestiegenen Arzt­ honorare, die nach einer Schätzung der Gesetzlichen Krankenkassen in den letzten sieben Jahren um 30 Pro­ zent gestiegen sind. Und die Ärzte verhandeln mit Gesundheitsminis­ ter Rösler bereits über eine weitere Anhebung ihrer Honorare für 2011. Aus dem im September veröf­ fentlichen Arzneiverordnungsreport 2010 geht hervor, dass die Ausgaben für Arzneimittel in diesem Jahr mit 32,4 Milliarden Euro zu Buche schla­ gen und damit um 4,8 Prozent ge­ stiegen sind. Für 80 Prozent des An­ stiegs seien einige wenige, sehr teure Präparate verantwortlich wie etwa Blutdrucksenker, Krebs- oder HIVMedikamente. Im Allgemeinen seien die Prei­se sowohl für patentgeschüt­

USA Schweiz Frankreich Deutschland Großbritannien OECD

7290 4417 3601 3588 2992 2984

Praktizierende Ärzte Anzahl je Tausend Einwohner Schweiz Deutschland Frankreich OECD Großbritannien USA

3,9 3,5 3,4 3,1 2,5 2,4

Quelle: OECD Health at Glance 2009

Die Gesundheitsausgaben liegen hierzulande über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Dafür ist die ärztliche Versorgung vergleichbar gut.

zte Medikamente als auch für Gene­ rika im Vergleich mit anderen euro­ pä­ischen Ländern um 50 bis 100 Prozent zu hoch, besagt der Report. Ein weiterer Kostentreiber sind die häufigen Arztbesuche: Der Bar­ mer-GEK-Arztreport hat ausgerech­ net, dass jeder Bundesbürger durch­ schnittlich 18 Mal im Jahr einen Arzt aufsucht. Sind wir ein Volk von Hy­ pochondern? Die hohen statistischen Werte gehen vor allem auf die chro­ nisch Erkrankten zurück: Dialysepa­ tienten gehen mit 202 Besuchen am häufigsten zum Arzt, Alzheimerpati­ enten und Diabetiker wie der Groß­ vater von Rainer M. kommen im Jahr auf rund 50 Arztbesuche. Auch die Verwaltungskosten der Gesetzlichen Krankenkassen werden nach einer Studie des Rheinisch-West­ fälischen Instituts für Wirtschaftsfor­ schung (RWI) ebenso in diesem Jahr auf 10,5 Milliarden Euro steigen – obwohl sich die Zahl der Kranken­ kassen seit Einführung des Gesund­ heitsfonds durch insgesamt 39 Fusi­ onen verringert hat. Die durchschnitt­ lichen Verwaltungskosten liegen heu­ te bei 149,44 Euro pro Versichertem. Ein großes Problem im deutschen Gesundheitswesen ist die Intranspa­ renz bei der Abrechnung. Deshalb kommt es immer wieder zu fehler­ haften Abrechnungen oder sogar Be­ trügereien. Transparency Internatio­

nal schätzt, dass dadurch hierzulan­ de jährlich ein Schaden von 8 bis 24 Milliarden Euro entsteht. Auch wenn die Zahlen umstritten sind: Die Ge­ setzlichen Krankenkassen haben sich im vergangenen Jahr allein von den Krankenhäusern rund 1,5 Milliarden Euro zurückgeholt. Ein viel größeres Einsparpotenzial sehen Experten bei den Medikamenten. Der „Arz­nei­ver­ ordnungs-Report 2010“ be­ziffert das Einsparpotenzial auf 9,4 Milliarden Euro. Allein durch die kon­sequente Verordnung von Generika anstelle patentgeschützter Präparate könnten sich die Ausgaben den Autoren zufol­ ge um 1,3 Milliarden Euro reduzie­ ren. Den Löwenanteil bei den Arz­ neikosten machen jedoch die patent­ geschützten Medikamente, deren Aus­ gaben im vergangenen Jahr um 5,7 Pro­zent gestiegen sind. Bei diesen Medikamenten konn­ten die Herstel­ ler die Preise bisher frei festlegen. Die Koalition plant jetzt endlich ein „Gesetz zur Neuordnung des Arz­ neimittelmarktes in der Gesetzlichen Krankenversicherung“. Damit ver­ folgt sie das Ziel, dass die Preise für neue patentgeschützte Arzneimittel künftig vom Spit­zenverband der Ge­ setzlichen Kran­­kenkassen und den Herstellern ausgehandelt werden. Die deutschen Krankenhäuser verursa­ chen mit einem Anteil von 34 Pro­ zent (2009) die meisten Kosten im deutschen Gesundheitswesen. Des­ halb richtet sich schon seit einigen Jahren die Höhe der Vergütung nicht mehr nach den Aufenthaltstagen der Patienten, sondern nach der Art der Behandlung („Fallpauschale“). Das hat nicht nur die durchschnittliche Verweildauer auf 8,1 Tage gesenkt, sondern einen enormen Druck auf die Krankenhäuser ausgeübt. Die Fol­ ge: Zwischen 2004 und 2008 wurden zahlreiche Krankenhäuser von öffent­ lichen oder freigemeinnützigen Trä­ gern geschlossen oder von privaten Trägern – meist Klinikketten – über­ ­­nommen. Die internationale Unter­ nehmens­be­ra­tung Ernst & Young geht davon aus, dass dieser Trend anhält, weil den Kommunen Steuereinnah­ men we­gen der Wirtschafts- und Fi­ nanzkrise weggebrochen sind. Ernst & Young zufolge spielen Kostensen­ kungsprogramme derzeit eine große Rolle. Sparen wollen die Kliniken vor allem bei den medizinischen Ver­ brauchsgütern. Dazu haben sich Kli­ niken zu Einkaufsverbünden zusam­ mengeschlossen, die aufgrund ihrer Marktmacht satte Rabatte aushan­ deln können. Auch am Personal wol­ len die Häuser weiter sparen. Mehr


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Die großen Konjunkturzyklen als jedes dritte Krankenhaus plant danach einen Personalabbau im Be­ reich der Pflege oder Verwaltung. Und auch jedes fünfte Krankenhaus plant den Abbau von Arztstellen. Sinkt dadurch die Qualität der Be­ handlung? Wegen des großen Kon­ kurrenzdrucks können sich die ein­ zelnen Einrichtungen keine Fehler bei der Versorgung leisten. Bereits 2008 waren 42 Prozent aller Kran­ kenhäuser mit dem Aufbau eines Ri­ sikomanagements beschäftigt. In der Diskussion über das deut­ sche Gesundheitssystem wird oft ver­ gessen, dass alle anderen Industrie­ länder ebenfalls mit steigenden Kos­ ten kämpfen. Nach einer Untersu­ chung der OECD von 2006 haben die USA das mit Abstand teuerste Gesundheitssystem der Welt. Die Fi­ nanzierung erfolgt wesentlich über private Krankenversicherungen und Zuschüsse des Staats für medizini­ sche Einrichtungen. 15,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts gaben die Ame­ rikaner 2006 für ihr Gesundheitssys­ tem aus, Tendenz steigend. In einem vollständig steuerfinanzierten System leben dagegen die Briten. Jeder Ein­ wohner auf der Insel wird kostenlos behandelt, kann sich dafür jedoch seinen Arzt nicht aussuchen und muss gegebenenfalls lange auf eine Operation warten. Das von Philipp Rösler favorisierte Kopfpauschalen­ system hat die Schweiz – das zweit­ teuerste Gesundheitssystem nach den USA. Jeder Eidgenosse muss sich selbst versichern und zahlt einen einheitlichen Beitrag für eine Grund­ absicherung in eine private Kranken­

Innovation

Zyklen 1800

1900

2000

2050

Dampfmaschine, Textilindustrie

Auto, Petrochemie, Chip, Automatisierung

Stahl, Eisenbahn

Internet, Mobile Kommunikation

E-Technik, Chemie

Psycho-soziale Gesundheit Quelle: Nefiodow, Der sechste Kondratieff

Nefiodows Thesen

ver­sicherung. Zahnarztleistungen in­ des sind darin nicht enthalten und müssen über eine Zusatzversiche­ rung abgedeckt werden. Laut OECD zahlen die Schweizer weltweit den höchsten Selbstbehalt. Deutschland liegt im OECD-Ranking übrigens auf Rang vier, direkt hinter Frankreich. Unsere linksrheinischen Nachbarn haben ein Gesundheitssystem, das sowohl über Lohnzusatzkosten als auch über Steuern finanziert wird. Die Arbeitgeber führen 12,8 Prozent des Lohns an eine berufsständische Krankenkasse ab, Arbeitnehmer 0,75 Prozent. Eine Bemessungsgrenze exis­ tiert hierbei nicht. Hinzu kommt ein sogenannter allgemeiner Sozialbei­ trag in Höhe von gut neun Prozent des Einkommens. Fazit: Im internati­ onalen Vergleich steht das Gesund­ heitssystem der Bundesrepublik ver­ gleichsweise solide da.

„Ganzheitliche Gesundheit ist der neue Innovationsschub und wird als Mainstream die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den nächsten 40-50 Jahren prägen.“ „Unser heutiges Gesundheitswesen ist eigentlich ein Krankheitswesen. Wir brauchen einen Produktivitätsschub, der dazu führt, dass wir Krankheiten nicht mehr nur verwalten, sondern von vornherein verhindern oder effektiv heilen können.“

B e te i l i g u n g s k a p iTa l

Langfristig erfolgreich wachsen Viele mittelständische Unternehmen im Gesundheitswesen verfügen über das Potenzial, sich international erfolgreich zu positionieren, um dadurch schwieriger werdende Marktbedingungen im Heimatmarkt auszugleichen. Im Wesentlichen müssen dazu in drei Bereichen kapitalintensive, strategische Entscheidungen getroffen werden: Innovationsfähigkeit, Fokussierung und Internationalisierung. „Ein erfahrener, auf Healthcare und Life Science spezialisierter Investor wie TVM Capital kann dabei für das Unternehmen neben dem benötigten Kapital wichtige

Erfahrungswerte und internationale Netzwerke bereitstellen“, betont Dr. Helmut Schühsler, Managing Partner TVM Capital. Seit 1986 beteiligt sich TVM Capital an Unternehmen, die das Potenzial zum Marktführer in ihrem Marktsegment haben, und unterstützt diese Wachstumsunternehmen aktiv bei ihrer Entwicklung: als branchenkundiger und strategisch agierender Gesellschafter aus dem Aufsichtsrat oder Beirat der Gesellschaft. Das Healthcare Private Equity Team von TVM Capital beteiligt sich an etablierten Familienunternehmen im Pharma- und Medizintechnik sowie

im Gesundheitswesen, wenn es um die Umsetzung von Umstrukturierungen im Gesellschafterkreis, Wachstums- oder Internationalisierungsstrategien geht. Für das Team von Life Science Venture Capital geht es um das Schaffen von Werten durch erhöhte Kapitaleffizienz und neue Wege bei der Finanzierung und Entwicklung innovativer Produkte – unter Ausnutzung der langjährigen Beteiligungserfahrung im Life-Science-Markt. Schwerpunkte sind dabei Arzneimittelforschung, Diagnostik und Medizintechnik. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter: www.tvm-capital.de

Einen allgemeinen Boom der Gesundheitswirtschaft erwartet Leo A. Nefiodow, der sich dabei auf die Lehre des russischen Nationalöko­ nomen Nikolai Kondratieff bezieht. Nach Kondratieff vollzieht sich die Wirtschaftsentwicklung seit Beginn des Industriezeitalters in langen Zyk­ len. Laut seiner Theorie beginnt je­ der Aufschwung mit einem Paradig­ menwechsel und innovationsgetrie­ benen Investitionen. Seit 1990 befin­ det sich die Weltwirtschaft im 5. Kondratieff-Zyklus, der durch die In­ formations- und Kommunikations­ technologie be­stimmt wird. Laut Ne­ fiodow wird die Industrie mit dem 5. Kondratieff ihre Bedeutung für den Strukturwandel verlieren und die Ge­ sundheitsbranche den 6. Zyklus be­ stimmen. Zwei Drittel der Menschen in den entwickelten Ländern sind demzufolge bereit, mehr Geld für ihre Gesundheit auszugeben. Davon wür­ ­den nicht nur die ärztliche Versor­ gung, sondern auch die Medizintech­ nik, Pharmaindustrie, Ernäh­rungs­in­ dus­trie, Kurbetriebe und Sanatorien, zum Teil auch der Tourismus und die Freizeitindustrie profitieren. Überdies prognostiziert Nefio­ dow einen neu aufkommenden Ge­ sundheitssektor, zu dem er Bereiche wie Umwelttechnik, Biotechnologie, Religion oder Psychologie zählt. Nach dieser Theorie sind die Chancen be­ sonders gut in Bereichen, in denen der medizinische Fortschritt mit Hoch­ technologien in Wechselwirkung tritt, wie etwa der Medizintechnik. In die­ sem Bereich ist Deutsch­land mit vie­ len kleinen, innovativen Unternehmen und Schwer­gewichten wie Siemens oder Dräger sehr gut auf­gestellt. Ei­ ner Studie des Bundesminis­teriums für Bildung und Forschung (BMBF) zufolge war Deutschland 2005 der zweitgröß­te Exporteur von Medizin­ technikpro­dukten mit einem Markt­ anteil von 15 Prozent. Damit stehen deutsche Unternehmen direkt hin­ter den Vereinigten Staaten. Eine neue Studie des Ham­bur­ gischen Weltwirtschaftsinstituts pro­ phezeit der deutschen Medizintech­ nik in den nächsten Jahren einen re­ gelrechten Boom. Hauptabnehmer seien die USA und Europa, aber auch die Märkte in bevölkerungsrei­ chen Schwellenländern, speziell Chi­ na und Indien, sowie Mittel- und Ost­ europa, werden an Bedeutung ge­ winnen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Umsätze in der Medi­ zintechnik bis 2020 jährliche Steige­ rungsraten von acht Prozent verzeich­ nen werden. Hightech und Medizin


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Expertenpanel

Univ.-Prof. Dr. G. Neubauer, Direktor am Institut für Gesundheitsökonomik in München

Reinhold Schulte, Vorsitzender des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V.

Prof. Dr. Kuno Winn, Vorsitzender Hartmannbund, Verband der Ärzte Deutschlands e.V.

Frage 1: Wie bewerten Sie die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland allgemein? Was können wir von anderen Ländern lernen?

Die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland ist insgesamt als sehr hoch zu beurteilen. Allerdings gibt es auch ganz spezifische Defizite. Eines dieser Defizite ist das der nosokomialen Infektionen im Allgemeinen wie auch der MRSA-Infektionen im Speziellen. Es bleibt die Frage, ob Deutschland sich auf Dauer diese hohe Qualität der medizinischen Versorgung, die auch ein Stück Versorgungskomfort beinhaltet, leisten kann.

Deutschland hat weltweit eines der besten Gesundheitssysteme. Das liegt nicht zuletzt am Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Der Systemwettbewerb führt zu einer hohen Versorgungsqualität. Fraglich ist jedoch, ob dieser Standard gehalten werden kann. Die PKV ist bestens aufgestellt, schuldenfrei und auf keine staatlichen Zuschüsse angewiesen. Die gesetzliche Krankenversicherung hingegen stößt mit ihrem Umlageverfahren zunehmend an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit.

Bei aller Kritik ist die medizinische Versorgung in Deutschland im weltweiten Vergleich noch immer auf einem Spitzenplatz. Allerdings lassen sich gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen nicht exakt übertragen. Erkennbar ist, dass staatlich gelenkte Systeme nicht zu einer höheren Versorgungsqualität führen, sondern bestenfalls zu einer Grundversorgung für alle – häufig aber auf einem niedrigerem Niveau als hierzulande.

Frage 2: Wo bestehen Ihrer Meinung nach die größten Einsparpotenziale im Gesundheitswesen?

Wie in der Wirtschaft überhaupt, so auch im Gesundheitssektor, bestehen die größten Einsparpotenziale in einer besseren Integration der Prozesse. Auch durch eine stärkere Steuerung der Versorgung durch die Patienten selbst, indem Patienten sowohl über die von ihnen ausgelösten Kosten informiert als auch an diesen Kosten prozentual beteiligt werden, kann die Leistungseffizienz gesteigert werden.

Der größte Kostenblock in der privaten Krankenversicherung sind die Arzthonorare. Manch ein Mediziner ist versucht, reformbedingte Einsparungen in der GKV durch Mengenausweitungen bei Privatpatienten zu kompensieren. Deswegen ist es unser Ziel, einen wirksamen Hebel zu erhalten, um Verhandlungen mit Ärzten und anderen Leistungserbringern über Qualität und die sich daraus ergebenden Mengen und Preise herbeizuführen.

Es gibt Reserven, zum Beispiel im PharmaBereich. Wer aber meint, man könne die Probleme auf der Einnahmeseite durch Kostendämpfungspolitik kompensieren, der argumentiert realitätsfern. Das gilt auch für alle, die glauben, man könne das System durch das „Einverleiben“ des PKV-Systems in die Gesetzliche Krankenversicherung retten. Ohne mehr Geld und mehr Eigenverantwortung verdampft dieser Effekt.

Frage 3: Gehen die Maßnahmen der Gesundheitsreform in die richtige Richtung?

Die Gesundheitsreform hat die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Noch bleibt der Koalition Zeit, die Strukturen in den Leistungsbereichen der ambulantärztlichen Versorgung wie auch der Krankenhausversorgung effizienter auszurichten. Auf der Finanzierungsseite hat die Koalition eine kleine Lösung für ein großes Problem gefunden. Die Dynamisierung über einen Zusatzbeitrag ist zwar im Prinzip richtig, muss aber als zu zaghaft eingeschätzt werden.

Die meisten Neuregelungen betreffen ja die gesetzliche Krankenversicherung. Die private Krankenversicherung ist vor allem von der Abschaffung der erst 2007 eingeführten Drei-Jahres-Wartefrist für Arbeitnehmer betroffen. Damit setzt die Bundesregierung einen wichtigen Impuls für die Wahlfreiheit der Versicherten und den Systemwettbewerb zwischen GKV und PKV. Das ist bürgerliche Politik im besten Sinne.

Das lässt sich leider immer noch nicht endgültig erkennen. Wir begrüßen den Einstieg in die Gesundheitsprämie. Auch die Signale, die wir in Richtung Eigenverantwortung (Stärkung des Kostenerstattungsprinzips) erhalten, machen Hoffnung. Spannend wird, ob mit der zu erwartenden Honorarreform und der Entwicklung der neuen GOÄ der Rahmen für eine gesicherte Versorgung durch angemessen bezahlte Ärzte geschaffen wird und wir so dem Ärztemangel begegnen können.

wachsen auch in einem anderen Be­ reich zusammen. Nach dem Report des Verbands der forschenden Phar­ maunternehmen „Medizinische Bio­ technologie in Deutschland 2010“ arbeiteten in Deutschland 2009 ins­ gesamt 380 Unternehmen in der me­ dizinischen Biotechnologie. Die in den Anfangsjahren labile Branche erwies sich in der Wirtschaftskrise jedoch als erstaunlich stabil: Nach einer Studie im Auftrag des BMBF ist die Biotechnologie, anders als an­ dere Branchen, in der Krise sogar ge­ wachsen. Die Zahl der Beschäftigten überschritt 2009 zum ersten Mal die Marke von 30.000. Auch der Umsatz

blieb 2008 und 2009 konstant bei 2 Milliarden Euro. Diese Stabilität lässt sich damit erklären, dass 60 Prozent dieser Unternehmen seit mindestens 2001 auf dem Markt sind. Die Initialzündung für diese Gründerwelle war damals der Biore­ gio-Wettbewerb der deutschen Bun­ des­regierung, der zur Gründung zahl­ reicher Biotechnologie-Clus­ter geführt und das Abwandern der Fachleute verhindert hat. Für die Pharmain­ dustrie liegen die Zukunftsmärkte in den Schwellenländern. Als aufstre­ bende Pharmamärkte gelten China, Brasilien, Russland, Indien, Mexiko, die Türkei und Südkorea, in denen

Medica 2010 Zur Branchenplattform in Düsseldorf zwischen dem 17. und 19.11.2010 werden na­tio­nale und internationale Grö­ßen der me­ dizinischen Industrie erwar­tet. Im diesem Jahr liegen u.a. Verfahren im Trend, die die Vorteile verschiedener Systeme der medizinischen Bildgebung kombinieren.

Ende des Jahres 2006 fast das Dreifa­ che des durchschnittlichen glo­balen Wachstums des Welt­phar­mamarkts stattfand. Die größten Chancen bie­ ten sich für die Pharmaindustrie in den BRIC-Ländern, wobei China derzeit die Nummer Eins ist. Ein weiteres Wachstumsfeld ist die In­ formationstechnologie im Gesund­ heitswesen (E-Health). Dazu zäh­len zum Beispiel die Klinischen Infor­ mationssysteme in den Krankenhäu­ sern und die Integrierten Gesund­ heitsinformationsnetzwerke für den Austausch von relevanten Gesund­ heitsdaten wie Rezepten oder Labor­ befunden. In Deutschland hat vor al­


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lem das Projekt der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) für Aufse­ hen gesorgt. Die Europäische Kom­ mission rechnet für den E-HealthMarkt bis zum Jahr 2014 mit einem jährlichen Wachstum von elf Prozent. Auch die Telemedizin ist – nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklung – auf dem Vormarsch. Eine Studie von Deutsche Bank Re­ search (2010) bescheinigt dem Sek­ tor in Deutschland ein hohes Poten­ zial. In Europa wächst Telemedizin so­gar stärker als E-Health insgesamt. Bis zum Jahr 2020 soll den Progno­

Dr. Michael Lang ist freier Wissenschaftsjournalist und promovierter Biologe.

sen zufolge der Umsatz für Teleme­ dizin in Europa jährlich um durch­ schnittlich 10 Prozent wachsen. Das Fraunhofer-Institut hat berechnet, dass in Deutschland rund 80 Prozent der Ausgaben im Gesund­heitswesen auf chronisch Erkrankte entfallen. Um die Zahl der Arztbesuche zu re­ duzieren, können schon heute Dia­ betiker oder Herzpatienten telemo­ nitorisch betreut werden. Der Pflegesektor hat wegen der demografischen Entwicklung ebenso ein großes Potenzial. Der Bedarf an Pflegeheimplätzen wird in den nächs­

A rz n e i m i t te l- I m p o rte

Das Sparpotenzial ist enorm Die Diskussion um Sparpotenziale reißt nicht ab. Die bekannten Maßnahmen von Zwangsrabatten bis zu Preismoratorien sollen die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) entlasten, sind faktisch jedoch nur von kurzer Dauer. Auf lange Sicht sind wettbewerbliche Elemente von­ nöten, die im Rahmen einer qualitativ guten Arzneimittelversorgung mit und nicht an Medikamenten sparen. Der Import von Markenarzneimitteln aus den Ländern der Europäischen Union ist ein solches Mittel und entlastet die Krankenkassen bereits heute um rund drei Milliarden Euro pro Jahr. Bei Arzneimittel-Importen lassen sich zwei Modelle unterscheiden. Beim „Parallelimport“ werden die in den EU-Ländern hergestellten Marken­ präparate der international tätigen Pharmakonzerne vor Ort eingekauft und – wie von den Markenherstellern selbst – nach Deutschland eingeführt. „Reimporte“ sind in Deutschland her­ gestellte Markenpräparate, die zunächst in ein EU-Land ausgeführt, dort günstig eingekauft und anschließend vom Importeur reimportiert werden. Über 90 Prozent der Import-Arzneimittel sind „Parallelimporte“, die „Reimporte“ machen dagegen nur etwa zehn Prozent aus, da immer weniger Arzneimittel in Deutschland hergestellt werden. Mit der Verordnung von Import-Arznei­ mitteln durch den Arzt beziehungsweise mit der Abgabe durch die Apotheken werden laut Kohlpharma jährlich etwa 300 Millionen Euro direkt eingespart. Diese ergeben sich aus der Summe der Preisunterschiede zwischen Original­

arzneimittel und Importarzneimittel bezogen auf den Anteil der Importe am GKV-Gesamtmarkt. Edwin Kohl, Gründer und Vorstandsvorsitzen­der, sieht weitere Einsparpotenziale: „Bei konsequenter Anwendung könnte man diesen Wert noch vergrößern.“ Dass die Preise der Hersteller von Land zu Land verschieden sind, resultiert vor allem aus den unterschiedlichen Lohn- und Preis-Niveaus in den EU-Staaten sowie den je nach Land divergierenden Mehrwertsteuersätzen. Im deutschen Arzneimittelmarkt ist der Parallelim­port seit langem fest integriert. Nicht zuletzt, weil dieses Import-Modell bei patentgeschützten Arzneimitteln die einzig wirksame Form des Wettbe­ werbs ist. Seit 1980 hat sich auch dank der Pa­rallelimporte das Preisniveau für deutsche patentgeschützte Medikamente zum europäischen Mittelpreis von vormals 50 Prozent auf heute ca. 25 Prozent verringert. „Import-

Arzneimittel sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer kostenbewussten Arzneimittelver­sorgung und leisten einen Beitrag zu der dringend notwendigen Entlastung unseres Gesundheitssystems“, so Edwin Kohl. Bei Neuzulassungen von Medikamenten stehen die Hersteller und die Importeure von Beginn an im Wettbewerb. Das Ziel der Hersteller, die länderspezi­ fischen Preisschwankungen so gering wie möglich ausfallen zu lassen und das Medikament damit für Importeure weniger interessant zu machen, drückt die Preise. Letztlich werden durch diesen Mechanismus bereits beim Marktstart der Arzneimittel Ersparnisse erzielt. Mit anderen Worten senken die Importeure durch ihr Geschäftsmodell die Preise für Medikamente in jedem Land. Mit den direkten Einsparungen in Höhe von rund 300 Millionen Euro jährlich macht dies ca. 3 Milliarden pro Jahr.

ten Jahren deutlich ansteigen. Im Jahr 2008 waren in Deutschland rund 2,25 Millionen Menschen pflegebe­ dürftig. Davon wurden etwa 30 Pro­ zent dauerhaft in Heimen versorgt. Künftig wird die häusliche Pfle­ge ei­ ne immer stärkere Rolle spielen. Vie­ le Senioren werden aber auch bis ins hohe Alter hinein sich selbst versor­ gen können. Für diese Menschen müs­sen die Wohnungen altersgerecht umgebaut und mit technischen Hil­ fen versehen werden: Hier ergeben sich neue Chancen für Unterneh­ men der Haustechnik- und Kommu­ nikationsbranche. Und wenn Rainer M. in Rente geht, wird er sich mögli­ cherweise kein neues Auto anschaf­ fen, sondern das Geld lieber in einen Haushaltsroboter investieren. In Ja­ pan, aber auch in den USA und in Deutschland werden zurzeit rollen­ de oder gehende Haushaltshilfen ent­ wickelt, die den Geschirrspüler beund entladen, Essen zubereiten oder Rainer M. auch nur ganz einfach da­ ran erinnern, dass er seine Medika­ mente nehmen muss. Zurück zum Hier und Jetzt: Der Boom mit der privaten Gesundheits­ vorsorge hat schon längst begonnen. Immer mehr Jobs entstehen zum Bei­ spiel in Fitness-Studios, in der Er­ nährungsberatung oder in WellnessTempeln. Davon profitiert auch die Tourismusbranche, die sich auch auf einen weiteren Trend einstellen wird: den Medizintourismus. Schon heute kann man in Asien Urlaub machen und sich dabei in speziell darauf aus­ gerichteten Kliniken behandeln las­ sen. Nach Deutschland wiederum kom­men Patienten aus Ländern we­ gen der besseren oder preiswerteren medizinischen Versorgung, aber auch wegen langer Wartezeiten in ihren Herkunftsländern. In Europa werden gerade die gesetzlichen Rahmenbe­ dingungen für eine grenzüberschrei­ tende Behandlung geschaffen. Gut möglich, dass auch Rainer M. ein­ mal in ein anderes Land fährt, um preiswert an neue Zähne oder ein neues Hüftgelenk zu kommen. Für ihn steht schon jetzt fest, dass er in Zukunft mehr Geld für seine Ge­ sundheit ausgeben muss. Ob er das Geld dafür im Alter hat? Vor einigen Jahrzehnten wäre es kaum vorstell­ bar gewesen, dass Menschen so viel von ihrem Gehalt oder ihrer Rente übrig haben, um sich Handytelefo­ nate, Computerspiele oder Fernrei­ sen zu leisten. In naher Zukunft wer­ den sich wahrscheinlich einfach die Schwer­punkte verschieben. Dr. Michael Lang


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orschung ist bekanntlich die beste Medizin. Dies gilt nicht nur, aber vor allem für Krebserkrankungen, wo dank innovativer Diagnose- und The­ rapieverfahren die Sterberate in den letzten 30 Jahren deutlich gesenkt werden konnte. Dennoch erkranken nach einer Schätzung des RobertKoch-Instituts in diesem Jahr rund 450.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs. Über 210.000 Patienten werden an einem Tumorleiden sterben. Krebs ist nach Herz-Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Fortschritte bei der Bekämpfung versprechen sich die Forscher vor allem durch den künftigen Einsatz von Bio- und Nanotechnologie. Damit versuchen sie zum Beispiel, Krebszellen noch gezielter zu bekämpfen, um mit geringeren Wirkstoffkonzentrationen aus­ zukommen und Nebenwirkungen ein­zudämmen. Mit Antikörpern zum Beispiel lassen sich Zellen gezielt markieren. Nanopartikel oder -tasch­ en dienen als Transportvehikel, um Wirkstoffe exakt zum Zielort im Körper zu trans­portieren und dort schritt­ weise freizusetzen. Spitzenforschung hat hierzulande eine lange Tradition. Deutschland belegt im Ranking der MedizinNobelpreise mit 16 Auszeichnungen hinter den USA und Großbritannien den dritten Platz. Auf der erlesenen Liste stehen neben Vorkriegslegenden wie Emil von Behring, Robert Koch oder Paul Ehrlich auch Georges Köhler (1984, Produktion von mo­ noklonalen Antikörpern) und Harald zur Hau­sen (2008, humane Papillom­ viren als Auslöser von Gebärmutterhalskrebs). Letzterer war der langjährige Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, das in Forscherkreisen weltweit einen sehr guten Ruf genießt. Mit einer Exzellenzinitiative zur Etablierung von Eliteuniversitäten, den MaxPlanck-Instituten für die Grund­la­ genforschung und den FraunhoferInstituten für die angewandte Forschung, der Helmholtz-Gesellschaft sowie europäischen Forschungseinrichtungen ist Deutschland auch im

Das Ende der Volkskrankheiten FORSCHUNG Bei der Krebs­bekämpfung hat es in den letzten Jahren große Fortschritte gegeben. Deutschland ist gut aufgestellt. weltweiten Vergleich gut aufgestellt. Das war nicht immer so. Die deutsche Politik hatte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Biotech­ nologie fast verschlafen und erst Anfang der 90er Jahre das große wirtschaftliche Potenzial erkannt. 1996 startete die damalige Bundesregierung mit einem finanziellen Kraftakt in Höhe von 90 Millionen Euro eine äußerst erfolgreiche Aufholjagd: Der BioRegio-Wettbewerb brachte die vier Bioregionen Rheinland, München, Heidelberg und Jena hervor, die in der Folge zu Keimzellen für viele Unternehmensgründungen aus

der Wissenschaft heraus wurden. Ge­messen an der Zahl der BiotechUnternehmen katapultierte der BioRegio-Wettbewerb Deutschland damit an die europäische Spitze. Zehn Jahre nach dem ersten Wettbewerb wurde eine zweite Ausschreibungsrunde gestartet – mit dem Ziel, einen neuen Gründerboom in der Biotechnologie auszulösen. Unter dem Begriff Biotechnologie werden alle Verfahren zusammen­ gefasst, die Organismen, lebende Zel­ len oder Enzyme zur Stoffumwandlung oder Stoffproduktion nutzen. Je nach ihrer Anwendung wird un-

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terschieden zwischen roter (medizinischer), grüner (landwirtschaftlicher) und weißer (industrieller) Biotechnologie. Unter den Firmen, die zur roten Biotechnologie zählen, gibt es in Deutschland nach einer aktuellen Studie der Managementberatung Bos­ ton Consulting Group 122 Unterneh­ men, die Biopharmazeutika herstellen. Eine große Rolle spielen die Biopharmazeutika in der Immunologie. Dort liegt ihr Anteil am Gesamtumsatz bei 67 Prozent. Bei Medikamenten im Bereich Stoffwechsel sind sie mit 32 Prozent vertreten und in der Onkologie beträgt ihr Marktanteil 29 Prozent. Biopharmazeutika liegen im Trend: 2009 wa­ren 12 von 44 neu zugelassenen Arzneimitteln Biophar­ ­mazeutika. Die Pipeline der Her­ steller ist gut gefüllt: 2009 befanden sich nach Angaben der Boston Consulting Group 468 Biopharmazeutika in der klinischen Entwicklung. Experten der Wirtschaftsprüfungsund Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) schätzen jedoch, dass im Jahr 2020 jedes zweite Medikament weltweit ganz oder teilweise von einem BiotechnologieUnternehmen hergestellt wird. Da in den nächsten Jahren der Patentschutz für viele Blockbuster-Präparate ausläuft, werden die traditionellen Pharma-Unternehmen demnächst verstärkt auf Einkaufstour gehen und sich Kooperationen mit Biotech-Unternehmen sichern oder diese ganz aufkaufen, um sich den Zugriff auf neue Wirkstoffe und innovative Medikamente zu sichern. Die Wirtschaftskrise 2009 haben die Biotech-Firmen vergleichsweise gut weggesteckt mit einer Umsatzsteigerung bei den Biopharmazeutika von 5,4 Prozent. Über die Hälfte der heutigen Biotech-Unternehmen sind in den Gründerjahren nach 1996 entstanden und daher krisenerprobt. Doch die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nach Meinung der Experten von PwC (Studie „Drug Discovery and Biotechnology in Germany“) die Kapitalbeschaffung erschwert. Um weiterhin erfolgreich zu sein, benötigen die Unternehmen in den nächsten Jahren aber geschätzt eine


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Pharmazeutikaproduktion in Milliarden Euro

Milliarde Euro. Deshalb dürfte vielen Biotech-Firmen das Interesse der Pharmaindustrie nicht ungelegen kommen. Weil die großen Phar­ma­ unternehmen auf­grund ihrer wirtschaftlichen Situation am längeren Hebel sitzen, könnte es zwischen bei­ den Parteien zu einer einseitigen Beziehung kommen, die – so befürchten die Experten – nicht den gewünschten Erfolg haben würde. Die Nanotechnologie beschäftigt sich mit Strukturgrößen bis 100 Nanometern (ein millionstel Millimeter). Die Bundesregierung fördert mit ihrer „Leitinnovation“ NanoforLife die Entwicklung von Nanotechnologien in der Medizin. Eine Möglichkeit für Innovationen der Nanotechnologie ist der Wirkstofftransport. Medikamente, etwa zur Krebsbekämpfung, wirken oft nicht nur im Zielgewebe, sondern auch in den umgebenden ge­ sunden Zellen und führen so zu unerwünschten Nebenwirkungen. Aber auch zur Diagnostik und Therapiekontrolle eignet sich die Nanotechnologie. Ärzte aus Erlangen entwickeln beispielsweise zusammen mit

28 26 24 22 20 18 16

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Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland, vfa

Im Jahr 2009 wurden in Deutschland Pharmazeutika im Wert von 26,4 Milli­ arden Euro produziert, zehn Jahre zuvor waren es noch 8,5 Milliarden weniger.

Forschern von Siemens eisenhaltige Nanopartikel, die Wirkstoffe transpor­ tieren und gezielt abgeben können. Mit Hilfe eines äußeren Magnetfelds können sie die mit dem Medikament beladenen Nanopartikel direkt zum Zielgewebe lenken. Auch bei der Diagnostik gibt es gute Fortschritte. Charles M. Lieber von der Universi-

tät Harvard entwickelt zum Beispiel winzige, V-förmig gebogene Nanodrähte aus Halbleitermaterial. An den V-Biegungen hat er Nanotransis­ toren von der Größe eines Virus angebracht. Damit möchte Lieber in den Zellen verschiedene Reaktionen, an Ionenkanäle angedockte Proteine oder im Blut vorhandene Biomarker

messen. Bis das System Marktreife erlangt, werden aber sicherlich noch einige Jahre vergehen. Ein weiterer Trend in der Phar­ maforschung ist die Personalisierte Medizin. Bei diesem neuen Ansatz steht nicht mehr die Krankheit des Patienten im Zentrum der Therapie, sondern dessen individuelle Genaus­ stattung. Wirkstoff und Behandlungs­ weise richten sich nach dem Genprofil des jeweiligen Patienten. Ermöglicht hat diese Entwicklung die vollständige Entzifferung des mensch­ lichen Genoms Ende des letzten Jahr­ hunderts. Bislang hat die Persona­ lisierte Medizin allerdings noch keinen Boom ausgelöst. Denn die Forscher können das menschliche Genom zwar „lesen“, haben es aber noch nicht vollständig „verstanden“. Was For­scher heute wissen: Krankheiten ent­stehen nicht unbedingt durch einen einzelnen Gendefekt, sondern meist durch eine Verkettung von mehreren Veränderungen. Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen listet derzeit 14 zugelassene personalisierte Wirkstoffe, von de-

Th e r a p i e n

Hoffnung für Krebspatienten

Die Zahl der Tumorerkrankungen wird nach Expertenmeinung in den kommenden Jahren deutlich steigen. Boehringer Ingelheim entwickelt Therapien im Kampf gegen den Krebs.

Der Anstieg der Zahl an Krebspatienten ist beängstigend. Schätzungsweise fast acht Millionen Todesfälle waren 2009 auf eine Krebserkrankung zurückzufüh­ ren. Von den jährlich über 12 Millionen neu auftretenden Krebsfällen sind die häufigsten Arten der Lungenkrebs, der Brustkrebs und der Dickdarmkrebs. Boehringer Ingelheim hat sich langfristig der Erforschung und Entwicklung neuer Therapien im Kampf gegen solide Tumo­ ren und hämatologische Krebserkran­ kungen verschrieben. Allein im Bereich

Krebs beschäftigt das forschende Phar­ maunternehmen über 400 Forscher, Me­ diziner und Entwickler weltweit, davon 220 Mitarbeiter im Zentrum für Krebsfor­ schung von Boehringer Ingelheim in Wien. Drei Bereiche in der Erforschung neuer Krebstherapien stehen im Zent­ rum: Signaltransduktions-Inhibitoren, An­ giogenese-Inhibitoren und Zellzykluski­ nase-Inhibitoren. Afatinib ist ein neuer Signaltransdukti­ onshemmer, den Boehringer Ingelheim derzeit in der späten Prüfphase III für

Lungenkrebspatienten untersucht. Afati­ nib blockiert irreversibel zwei wichtige Rezeptoren (EGFR-/HER1 und HER2) und unterbindet damit die Signaltransdukti­ on. Afatinib könnte die erste Substanz sein, die klinisch wirksam gegen alle be­ kannten EGFR-/HER1 und HER2-Mutati­ onen ist, auch derjenigen Mutationen, die auf EGFR-Therapien der ersten Gene­ ration nicht mehr ansprechen. Ein weite­ rer Forschungsschwerpunkt liegt auf der Tumor­angiogenese. Das Wachstum des Tumors ist von einer ausreichenden Blut­ zufuhr abhängig. Um dies sicherzustellen, sendet der Tumor Wachstumsfaktoren zur Stimulation der Angiogenese aus, da­ mit die Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff gewährleistet ist. Boehringer Ingelheims zweite Substanz in der Onko­ logie-Pipeline, BIBF 1120 (voraussichtli­ cher Handelsname Vargatef), greift hier an. Es ist ein neuartiger Dreifach-Angio­ kinase-Hemmer, der gleichzeitig drei Re­ zeptoren der Wachstumsfaktoren hemmt, (VGFR, FGFR und PDGFR), die alle ent­ scheidend an der Gefäßbildung beteiligt sind. Diese Substanz wird derzeit an ei­ ner der größten Phase-III-Studienprogram­

me in Lungenkrebspatienten untersucht. Ein drittes Krebsforschungsgebiet betrifft die Zellzykluskinasen: Proteine, die die Zellteilung beeinflussen. Sogenannte Po­ lo-like-Kinasen (PLK) sind eine Familie von Kinasen, die wichtige regulatorische Funktionen während der Zellteilung aus­ üben. Boehringer Ingelheim untersucht derzeit den potenziellen First-in-class PLK Inhibitor Volasertib (BI 6727) für die Be­ handlung von Lungenkrebs und von aku­ ter myeloischer Leukämie. Die Innovationsund Forschungsstärke soll auch in Zu­ kunft Wachstumsmotor des Unterneh­ mens sein, das heute 42.000 Mitarbeiter zählt. Forschung und Entwicklung (F&E) wird in sieben Ländern betrieben, der größte F&E-Standort liegt in Biberach/ Deutschland. Boehringer Ingelheim betä­ tigt sich derzeit in folgenden Forschungs­ gebieten: Kardiometabolische Erkrankun­ gen, Neurologische Erkrankungen, Immu­ nologie, Infektionskrankheiten, Atem­ wegserkrankungen und Onkologie. Insge­ samt arbeiten 6900 Mitarbeiter in der Wirkstofffindung, Forschung der nicht kli­ nischen Medikamenteentwicklung und der Medizin. www.boehringer-ingelheim.com


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nen die meis­ten Substanzen für die Krebs­behandlung zugelassen sind. Vor der Therapie steht die Diagnostik. Im Falle einer Krebserkrankung kommt der Früherkennung eine besondere Bedeutung zu. Je früher ein Tumor erkannt wird, desto besser stehen die Chancen, dass die Ärzte die Ausbreitung von Tochtergeschwüren (Meta­stasen) verhindern können. Und je mehr sie über den Krebsherd schon während der Entstehung erfahren, desto besser könen Therapieplanung und -kon­trol­le erfolgen. Der molekularen Diagnostik kommt deshalb eine immer größere Bedeutung zu. Dazu verwenden die Ärzte so genannte Biomarker, die sie im Körper messen können. Optimal ist dabei die Kombination eines biochemischen und eines bildgebenden Verfahrens. Damit können die Ärzte einen Tumor bereits in der Entstehung genau lokalisieren. Dafür wurden so genann­te PET/CTScan­ner ent­wickelt. Die Abkürzung CT steht für Computertomograph, eine Technik, die dreidimensionale Röntgenbilder liefert. PET steht für Positronenemissionstomographie. Eine krankhafte Wucherung (Krebs) entsteht durch unkontrollier­tes Zellwachstum. Dazu benötigen die Zellen Glucose. Wenn die Forscher dem Patienten eine schwach radioaktiv markierte Glucose-Verbin­dung geben, können sie mit der PET/CT-Methode anhand des erhöhten Glucoseverbrauchs den Krebsherd lokalisieren. Dieses Verfahren eignet sich nicht nur zur Früherkennung, sondern auch für die Nachbehandlung, um eine mögliche Metastasenbildung recht­zeitig zu erkennen. Auch bei der Therapie hat es in den letzten Jahren viele Fortschritte gegeben. Im Bereich der Strahlentherapie ist es zum Beispiel möglich, den Tumor so gezielt zu bestrahlen, dass das umliegende Körpergewebe kaum noch beschädigt wird. Vielversprechend sind auch die Ansätze, bereits auf der Ebene des Erbguts die Therapie anzusetzen. Diesen Weg beschreitet zum Beispiel das Unternehmen Antisense Pharma bei der Therapie von besonders schweren Krebserkrankungen, etwa hochgradigen Hirntumoren (Gliom), metastasiertem Bauch­speichel­ drüsenkrebs, schwarzem Hautkrebs und fortgeschrittenem Darmkrebs. Das Medikament von Antisense Phar­ ma verhindert die Bildung eines Pro­ teins (TGF-ß2), das den Tumor wie eine Schutzhülle umgibt und ihn vor Angriffen durch das körpereigene

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Nobelpreisträger Harald zur Hausen zählt zu den renom­ miertesten Krebsforschern.

Ab­wehrsystem schützt: Der Zusammenbau des Proteins ist durch einen kurzen Erbgutstrang (mRNA) kodiert. Die Wirkungsweise: Das AntisenseMedikament bin­det an diese spezielle mRNA und blockiert dadurch alle weiteren Syntheseschritte. Diese Beispiele aus der deutschen Krebsforschung lassen erahnen, welche Möglichkeiten bei Diagnose und Therapie die nächsten Jahren zur Verfügung stehen werden, und wohin sich der PharmaMarkt entwickeln wird. Auch die Politik unterstützt die Forscher mit

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zahlreichen Förder- und Gründerprogrammen. Somit bleibt der Forschungsstandort Deutschland auch in den kommenden Jahren nicht nur produktiv, sondern auch attraktiv für Anleger. Zugleich dürfen Millionen Krebskranke neue Hoffnung schöp­fen. Zwar werden künftig immer mehr Menschen an Tumoren erkranken, denn unsere Gesellschaft altert. Doch die Chancen stehen gut, dass Forschung und Medizin die töd­ liche Krankheit immer besser in den Griff bekommen. Dr. Michael Lang

Da r m k r e b s - F r ü h e r k e n n u n g

Vorsorge mit Molekulargenetik Viele Menschen scheuen die Auseinan­ dersetzung mit dem Thema Darmkrebs. Dabei lohnt es sich, an einer Vorsor­ geuntersuchung teilzunehmen, denn frühzeitig erkannt, ist die Erkrankung zu mehr als 90 Prozent heilbar. Frühe An­ zeichen gibt es nicht. Treten Symptome wie Blut im Stuhl, plötzlicher Gewichts­ verlust und ständiges Völlegefühl auf, ist die Krankheit in der Regel weit voran­ geschritten. Aus diesem Grund ist eine regelmäßige Darmkrebs-Früherkennung von großer Bedeutung. Ein Test auf dem Gebiet der molekularen Diagnostik soll nun mehr Menschen zur Darmkrebsvor­ sorge bewegen. Der neue Septin9-Test erweitert die Bandbreite der bereits vorhandenen Vor­ sorge-Untersuchungen, wie der Darm­ spiegelung und den Tests auf im Stuhl verborgenem Blut. Bereits im frühen Sta­ dium der Erkrankung sondern Darm­ tumore genetisches Material ins Blut ab. Der Septin9-Test ist in der Lage, diese Tumor-DNA als einen für Darmkrebs spezifischen Marker in einer einfachen Blutprobe nachzuweisen. Der behan­ delnde Arzt kann die Blutprobe zum Bei­ spiel im Rahmen einer Routineuntersu­ chung entnehmen. Diese kann der Haus­ arzt, der Gynäko­loge oder der Urologe vornehmen. Anschließend wird die Pro­ be zur Analyse an ein Diagnostiklabor geschickt. Nach rund einer Woche erhält der Arzt das Ergebnis. Konnte der Mar­ ker in der Blutprobe nachgewiesen wer­ den, besteht eine erhöhte Wahrschein­ lichkeit für das Vorliegen von Darmkrebs. In diesem Fall muss zur Abklärung der

Diagnose und eventuell zur Behandlung eine Darmspiegelung vorgenommen werden. Bei einem negativen Ergebnis sollte der Test spätestens nach ein bis zwei Jahren wiederholt werden. Die Besonderheit des Septin9-Tests be­ steht in der komfortablen Anwendung. Die derzeit üblichen stuhlbasierten Ver­ fahren zur Darmkrebs-Früherkennung erfordern viel Eigeninitiative vom Patien­ ten und werden zudem als unangenehm und umständlich empfunden. Die Darm­ spiegelung ist die sicherste Methode zum Nachweis von Darmkrebs. Polypen, Krebsvorstufen und Krebs können so erkannt, Veränderungen oft noch wäh­ rend der Untersuchung entfernt werden.

Allerdings wird der Eingriff von vielen Vorsorgeberechtigten als zu aufwendig und unangenehm empfunden. Noch immer ist in Deutschland die Beteiligung an der möglicherweise lebensrettenden Darmkrebsvorsorge zu gering. Genau hier bietet der Septin9-Test eine Alter­ native. Mediziner hoffen, dass diese zusätzliche Möglichkeit mehr Menschen dazu motiviert, an der Früherkennung teilzunehmen. Der Test ist für alle be­ schwerdefreien Personen geeignet, die an der Darmkrebsvorsorge teilnehmen wollen. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.epigenomics.de sowie unter info@epigenomics.de und der Telefonnummer 030/24345-111.

Mit Hilfe des neuen Septin9-Bluttests sind Mediziner in der Lage, einen für Darmkrebs spezifischen Marker in einer einfachen Blutprobe nachzuweisen.


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ie weibliche Brust ist ein faszinierendes Organ. Dicht um­hüllt von Muskel- und Fettgewebe ruht in ihrem Innern die Brustdrü­ se, die während der Schwangerschaft wie von Zauberhand aktiv wird. Sie ist ein komplexes Gewebe aus diversen Zelltypen – aus Milchdrüsenzellen, in denen sich Milch sammelt, oder Myoepithelzellen, die die Flüssigkeit in hauchfeine Milch­ gän­ge pressen. Fatalerweise bilden sich in diesem Or­gan verhältnismäßig häufig gefähr­li­che Tumore, die sogenannten Mam­ma­karzinome. Tat­ sächlich ist der Brust­krebs heutzutage in den westlichen Industrienationen eine der häufigsten Krebs­­er­kran­ kungen. Jede zehnte Frau in Deutschland ist davon betroffen. Doch trotz dieser erschreckenden Zah­len lässt sich der Brustkrebs oftmals wirkungs­ voll bekämpfen, sofern man ihn recht­ zeitig entdeckt. Die beste Waffe gegen den Brustkrebs ist damit die Früherkennung. In Deutschland und vielen anderen Ländern haben die Gesundheitsbehörden deshalb sogenannte Screenings eingeführt. Dabei handelt es sich um Reihenuntersu­chun­gen der Bevölkerung: In Deutschland werden Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren von einer zentralen Koordinationsstelle eingeladen, um nach einem standardisierten Verfahren kos­ tenlos gecheckt zu werden. Die Ärzte untersuchen die Frauen dabei mit einem Mammographiegerät, einem speziellen Röntgenapparat, in dem die Brust ein wenig zusammengedrückt und dann in Gänze durchleuchtet wird. Krank­hafte Veränderungen im Brustgewebe werden so im Mammographiebild sichtbar. Das Screening-Programm sieht vor, die Frauen über einen Zeit­raum von 20 Jahren alle zwei Jahre zu untersuchen. Der Gemeinsame Bundesausschuss Mam­mographie geht davon aus, dass durch diesen regelmäßigen Check eine von 200 Frauen vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt wird. Kritiker bemängeln, dass der Erfolg nicht belegt sei, dass das Screening viel Geld verschlinge, aber wenig Nutzen brin­ge. Ein Haupt­ kritikpunkt: Die Mammographie lie­ fere zu häufig falschpositive Befunde, also einen Krebsverdacht, obwohl die Patientin nicht an Brustkrebs erkrankt ist. Die Folge: In vielen Fällen entnimmt man der Frau zur Sicherheit per Biopsie, per Punktierung, Brustgewebe. Ein schmerzhafter Eingriff, der beim falsch­positiven

Sichere Diagnose BRUSTKREBS Früherkennung ist die beste Waffe gegen die Krankheit. Die dreidimensionale Bildgebung setzt neue Maßstäbe bei der Vorsorge. Sie verbessert die Detailerkennbarkeit enorm.

Ultraschallsystem Siemens Acuson S2000 ABVS erzeugt 3D-Aufnah­men der Brust.

Befund völlig unnötig ist. Doch diese Gegenargumente verlieren in dem Maße an Schlagkraft, wie die Diagnosetechnik verbessert wird. Denn sicher ist, dass die medizinischen Un­ tersuchungen dadurch sowohl zu­ verlässiger als auch effizienter und damit kostengünstiger werden. Ein Beispiel ist die neue Diagnosetechnik von Siemens Healthcare aus Erlangen, die jetzt erstmals die dreidimensionale Bildgebung in die Brustkrebsvorsorge ein­geführt hat. Die Er­ langer haben die bewährte Mammographieplattform „Mammomat In­spi­ ration“ um die neue „3D-Tomosynthese“ erweitert. Anders als bisher üblich wird die Brust nicht mehr nur in einer einzigen festen Stellung zwei­ dimensional durchleuchtet. Statt­des­ sen schwenkt die Röntgenquelle jetzt in einem 50-Grad-Bogen um die Brust herum. Das Gerät nimmt dabei 25 extrem kurze einzelne Röntgenaufnahmen mit einer äußerst geringen Strahlungsdosis auf. Diese einzelnen Schnitt­bilder der Brust werden anschließend automatisch zu einem 3DBild zusammen­gesetzt. Der Vorteil gegenüber der klassischen 2D-Technik ist erheblich. So können verdächtige Gewebeveränderungen, sogenannte Läsionen, im 3D-Bild deut­lich besser erkannt werden. Zum einen lassen sich damit Größe und Art der Läsionen besser einschätzen. Zum anderen lassen sich im 3D-Bild kleine Mikroverkalkungen besser orten, die ein erstes Anzeichen für Brustkrebs sein können. Im umgekehrten Fall kann verhindert werden, dass eine ungünstige Überlagerung von gesundem Ge­ webe fälschlicherweise als bösartige Veränderung interpretiert wird. Bei der klassischen 2D-­Mam­mo­ graphie werden bislang häufig meh­ rere Einzelaufnahmen sowie eine ver­ größerte Röntgenaufnahme angefertigt, wenn der erste Befund unsicher ist, beispielsweise weil die Läsion unscharf abgebildet oder durch umliegendes Gewebe ver­deckt ist. Führen auch diese Detailaufnahmen nicht zum Ziel, folgt meist die Biopsie. Mit einer zuverlässigeren 3DBildgebung lässt sich das unter Umständen umgehen. „Durch die Tomo­ synthese wird die Mammographie für Arzt und Patientin stressfreier. Nach den bisherigen ersten Eindrücken können Zusatzuntersuchungen und Interventionen mit gutem Gewissen vermieden werden. In dichtem Drüsengewebe versteckte Läsionen werden frühzeitiger entdeckt“, sagt Dr. Renate Tewaag von der rad-


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prax-Gruppe, einem Praxisverbund für Radiologie, Nuklearmedizin und Strahlentherapie in Wuppertal. Tewaag arbeitet seit Kurzem als eine der ersten Radiologen in Deutschland mit der neuen Technologie: „Diese 3D-Technologie bietet beeindruckende Verbesserungen der Detailerkennbarkeit.“ Bei besonders dich­tem Brustgewebe stößt die herkömmliche Mammographie an physikalische Grenzen, bei Frauen mit kleinen Brüsten etwa. Das ist bei etwa 40 Prozent der Frauen der Fall. Bei ihnen wird die Röntgenstrahlung so stark geschwächt, dass Details in der Brust kaum noch zu erkennen sind. Hier kann die 3D-Tomosynthese besonders vorteilhaft sein, da überlagertes dichtes Drüsengewebe bei der Erstellung der Schichtbilder rechnerisch entfernt wird. Eine alternative Zusatzuntersuchung zur Mammographie ist die Ultraschalltechnik, mit der sich dichtes Gewebe bes­ser abtasten lässt. Schon lange greifen Me­diziner daher zu diesem Verfahren, wenn die Mammographie unklare Befunde liefert. Sie setzen es vor allem ein, um zwischen harmlosen Zysten und potenziell gefährlichen Tumoren zu unterscheiden. Eine Studie der Radiological Society of North America kam 2002 zu dem Schluss, dass eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung die Erken­ nungs­rate von nicht-tastbarem Brust­ krebs um 42 Prozent erhöht. Lange Zeit aber war die Qualität einer Ultraschalluntersuchung vom untersuchenden Arzt abhängig, denn der Schallkopf wird per Hand geführt. Zudem war eine solche Untersuchung zeitraubend. Mit seinem neuen Ultraschallsystem Acuson S2000 ABVS (Automated Breast Volume Scanner) hat Siemens ein Gerät entwickelt, das diese Probleme auf einen Streich löst. Auch dieses System liefert erstmals dreidimensionale Ab­ bildungen der Brust. Der Clou ist das automatische Scannen der Brust. Der Patientin wird dafür ein kleiner Kunststoffkasten auf die Brust gesetzt, in dem der Schallkopf automatisch zwei bis drei Mal über die ganze Brust wandert. Die Software errechnet daraus anschließend das 3DVolumen und überträgt es auf den Bildschirm des Arztes. Das ist geradezu ein Paradigmenwechsel, denn bisher befundet der Arzt die Brust direkt während der Untersuchung am Monitor, wenn er den Schallkopf führt. „Das ABVS-System ist eine fas­ zinierende Weiterentwicklung zu der

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Im 3D-Bild der Tomosyn­ these lassen sich verdächtige Gewebeveränderungen, so genannte Läsionen, im Vergleich zur herkömmlichen zweidimensionalen Technik deutlich besser erkennen.

Fakten Brustkrebs ist weltweit der häu­­figste Krebs bei Frauen. Hierzulande erkrankt jede zehnte Frau im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom. Dies sind etwa 57.000 Neuerkrankungen pro Jahr oder jährlich 130 Fälle pro 100.000 Einwohner. Die Wahr­scheinlichkeit, dass eine Erkrankung tödlich endet, liegt bei rund 30 Prozent. Damit ist der Brustkrebs in der westlichen Welt die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr.

bisherigen Methode der handgeführ­ ten Ultraschalluntersuchung. Die Au­ tomatisierung erlaubt unabhängig vom Untersucher immer die gleiche Aufnahmequalität“, sagt der Radiologe Dr. Frank Stöblen, Miteigentümer des Essener Diavero-Diagnosezentrums, einer der ersten, der die Technik einsetzt. Dank der standardisierten Qualität und der Möglichkeit zur benutzerunabhängigen Untersuchung ist es jetzt sogar möglich, den Ultraschallscan von geschul­tem Personal durchführen zu lassen. Der Arzt kann sich ganz auf die Diagnose konzentrieren. Ein weiterer Vorteil: Die Automatisierung halbiert den zeitlichen Aufwand für eine Ul­traschall­unter­ suchung von etwa 30 auf rund 15 Minuten. Gerade für ein ScreeningProgramm, das auf hohen Patientendurchsatz setzt, könnte dies ein erheblicher Gewinn sein und ein enormes Einsparpotenzial bieten. Bei Frauen mit dichtem Brustgewebe führt Stöblen nach der Mammographie grundsätzlich eine ergänzende Ul­ traschalluntersuchung durch, damit er sicher sein kann, wirklich alles entdeckt zu haben. Mit dem ABVS verkürzt sich dieser Prozess. Mehr noch: Dank des 3D-Bildes kann die Brust von der Spitze der Brustwarze nach hinten Schicht für Schicht im Detail abgebildet werden. Eine solche Darstellung war bislang nicht möglich, ist bei der Diagnose oder der Planung chirurgischer Eingriffe aber extrem hilfreich. Darüber hinaus eignet sich, so Stöblen, die neue

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3D-Technik insbesondere auch für die Befundung bei Frauen, die aufgrund ihrer Familiengeschichte ein höheres Brustkrebsrisiko haben. Derzeit folgt in Deutschland nur gut die Hälfte der Frauen der Einladung zum Screening. Laut einer im kanadischen British Columbia Medical Journal veröffentlichten Umfrage zö­ gern die meisten Patientinnen, weil sie entweder Angst vor den Schmerzen haben, sie das Risiko für eine Erkrankung als gering einschätzen oder weil sie sich vor der Röntgenstrahlung fürchten. Eine Lösung sieht Jochen Dick von Siemens Healthcare in der konsequenten Verbesserung der Bildgebung. „Die kann nicht nur die Zuverlässigkeit des Screenings verbessern, sondern zugleich das Ver­trauen der Frauen weiter erhöhen. Schnelle, effiziente und sichere Verfahren wie die 3D-Tomosynthese und ABVS könnten dazu beitragen, die Sorgen zu zerstreuen.“ Die Arbeit geht weiter: Im Rahmen des „Medical Valley“, einem medizintech­nischen Exzellenz-Cluster in der Region Erlangen-Nürnberg etwa, arbeitet Siemens derzeit an der Verschmelzung von Mammographie- und Ultraschall­­bild. Eine solche Gesamtaufnahme würde dem behandelnden Arzt in Rekordzeit einen umfassenden Eindruck von der Brust einer Patientin liefern. Noch gibt es die Technik nicht, aber für Dick ist eines schon jetzt klar: Eine zuverlässigere Krebsvorsorgetechnik kann es kaum geben. www.siemens.com/healthcare


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hirurgen und Roboter ar­ beiten Hand in Hand, bild­ ­­­gebende Verfahren lie­fern gestochen schar­­fe 3D-Bil­ der in Echtzeit aus unserem Inners­ ten. Kühne Ideen für Nanoroboter, die eigenhändig das Körperinnere von Patienten untersuchen und ein­ fache Eingriffe übernehmen, gibt es seit Jahren – aber nun scheinen sie nicht mehr wie pure Sciencefiction. Denn die Nanotechnik schreitet rasch voran. Wie sich überhaupt die Medizintechnik im Gleichschritt mit immer neuen Erkenntnissen über un­ sere Gesundheit rasant weiterent­ wickelt. Medizinisches Wissen ver­ doppelte sich bisher alle acht Jahre. Experten erwarten, dass dies künf­ tig in vier Jahren der Fall sein wird. Neue Forschungsergebnisse fördern neue Technologien, die oft hierzu­ lande entstehen. So erwartet die hie­ sige Medizintechnikbranche in diesem Jahr ein Wachstum von sechs Pro­ zent, was sie zu einer Stütze der Kon­ junktur werden lässt. In Anbetracht der demographischen Entwicklung weltweit wird dies auch so bleiben. Laut des Berliner Hightech-In­ dus­trieverbandes Spectaris zählt die Branche „zu einem der Eckpfeiler der deutschen Wirtschaft“. Allein im gesamtwirtschaftlichen Krisenjahr 2009 lag der Gesamtumsatz der hie­ sigen Medizintechnikindustrie bei rund 18 Milliarden Euro. Die Aus­ wirkungen der Finanz- und Wirt­ schaftskrise zeigten sich beim Aus­ landsgeschäft. Hier kam es zu einem Umsatzrückgang von neun Prozent. Das Inlandsgeschäft blieb dagegen trotz Krise stabil und so lag der In­ landsumsatz der Branche um 4,5 Pro­zent über dem Vorjahresniveau. Deutsche Unternehmen sind nach den USA und Japan drittgrößter An­ bieter von medizintechnischen Pro­ dukten. „Die hohe Akzeptanz deut­ scher Medizintechnik im In- und Ausland ist dabei ein klarer Beleg für die starke Innovationskraft der Branche, die durch überdurchschnitt­ lich hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung gekennzeichnet ist“, folgert Ulrich Krauss, Vorsitzender des Spec­taris-Fach­ver­bandes Me­di­ zin­tech­­nik. So liege der Anteil der

Heilen mit Hightech Ausgaben für Forschung und Ent­ wicklung am Gesamtumsatz der Un­ ternehmen durch­schnittlich bei rund neun Prozent. Etwa 15 Prozent der Beschäftigten seien im Bereich For­ schung und Ent­wicklung tätig. Ent­ sprechend üppig ist der Umsatzan­ teil innovativer Pro­dukte: Er liegt bei fast 32 Prozent. Gerade weil die Branche sehr in­ novativ ist, ist die Schlagzahl neuer Materialien, Systeme und Geräte hoch. Dazu zählen auch IT-Lösun­ gen zur Patientenüberwachung und zum Wissensmanagement in Kran­ kenhäusern. Wie ein Krankenhaus von morgen funktioniert, zeigt heute schon das Hamburger „Asklepios Future Hospital“ (AFH). Neben etli­ chen medizintechnischen Neuerun­ gen ist das AFH weitestgehend ver­ netzt. Effekt: So werden automatisch Befunde und Berichte von der Au­ genklinik bis zur Radiologie digital in dem Krankenhausinformations­ sys­tem (KIS) abgelegt. Vom Facharzt bis zum Pfleger können alle Klinik­ mitarbeiter auf wichtige Daten rund um die Patienten zugreifen.

MEDIZINTECHNIK Innovative Produkte helfen die Behandlungsprozesse zu optimieren und die Patienten schneller genesen zu lassen. Gerade für Deutschland dienen sie mehr denn je als Wachstumsmotor.

Doch um auf diese Weise Arbeits­ abläufe zu verschlanken und letzt­ lich Patienten besser zu versorgen, musste zunächst ein zentrales ITManagement geschaffen werden, da­ mit allein erst mal die Daten zwi­ schen rund 5.000 Computerarbeits­ plätzen austauschbar wurden. Un­ ter dem Namen „One-IT“ integriert Asklepios nun seine an verschiede­ nen Klinikstandorten sitzenden me­ dizinischen Spezialisten in ein ITNetzwerk. Durch die standardisier­ te Infrastruktur können sich Ärzte nun unkompliziert mit ihren Kolle­ gen austauschen, Diagnose und The­ ­rapie eines Patienten besprechen und sich zum Beispiel gemeinsam Rönt­ gen- und Ultraschallbilder am Moni­ tor ansehen. Außerdem können Me­ diziner bei einem Notfall mit der Lö­ sung OneIT@home von zu Hause aus online auf ihren Arbeitsplatz samt Labor- und Bildarchiven zugreifen. Ohnehin spielt die Betreuung und Überwachung von Erkrankten und Chronikern aus der Ferne eine immer größere Rolle. Überle­bens­ wich­tig ist das bei Herzpatienten.


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Für sie hat Biotronik, ein Hersteller von Herzimplantaten und drahtloser Fernüberwachungstechnologie, ein Home­-Monitoring-System entwickelt, mit dem früh ein auffälliger Herz­ schlag erkannt wird. Wie gravierend die Fehlfunktion ist und ob ein Arzt eingreifen sollte, darüber informiert ein Report des Überwachungssys­ tems. Das erhöht die Patientensicher­ heit und hilft die Zahl der Nachsor­ geuntersuchungen im Krankenhaus deutlich zu verringern. Kern des Systems ist das aktive Herzimplantat, das mit einem Mini­ sender samt Antenne ausgestattet ist. Ein Empfangsgerät, das an ein Handy erinnert, erfasst die Daten, die über das Mobilfunknetz an die Überwa­ chungszentrale gesendet werden, wo sie analysiert und in Form des „Car­ dio Reports“ dargestellt werden. Ver­ schlechtert sich der Zustand des Pa­ tienten, wird der Arzt automatisch vom Service-Center per Mail, SMS oder Fax benachrichtigt. Die gesam­ te Überwachung erfolgt vollautoma­ tisch, der Patient muss allein das Em­p­fangsgerät mit sich führen. Die

medizintechnik

ein­fache Handhabe lässt Ängs­te älte­ rer Menschen vor moderner Tech­ nik schwinden. Laut einer re­prä­sen­ ta­ti­ven Umfrage des Branchen­ver­ ban­­des Bitkom würden 60 Prozent der Deutschen über 65 Jahre Teleme­ dizin nutzen, um länger in ihrer ge­ wohnten Umgebung leben zu kön­ nen. Jeweils weit mehr als die Hälf­ te der Befragten würde Alarmsyste­ me wie Sturz­sensoren, Herzfrequenzoder Atemstillstandsmesser sowie Ge­räte zur Ferndiagnose nutzen. Denn bei allem technischen Fort­ schritt steht der Mensch im Mittel­ punkt: Innovative medizinische Ver­ fahren verringern therapeutische Kom­­­plikationen, machen bislang un­ denkbare Heilungserfolge erst mög­ lich und senken die Behandlungskos­ ten, weil Eingriffe schonender und si­cherer werden, sich Liegezeiten und Heilungsprozesse verkürzen. Zwar hat jede neue Technik ihren Preis, der auf den ersten Blick für das klam­me Gesundheitssystem zu hoch erscheint, doch geht diese Rechnung nicht auf. Erste Kosten-Nutzen-Ana­ lysen zeigen, dass der Anschaffungs­

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Zahlen und Daten Mit einem Gesamtumsatz von rund 18 Milliarden Euro und fast 87.000 Mitarbeitern zählt die Medizintechnikbranche zu einem der Eckpfeiler der deutschen Wirtschaft. Die F&E-Quote, also der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Gesamtumsatz, liegt bei rund neun Prozent. Etwa 15 Prozent der Beschäftigten sind im Bereich Forschung und Entwicklung tätig.

I n n ovati o n e n

Weltklassemedizin bleibt bezahlbar Im vergangenen Jahr wurde Covidien zwei Mal in Folge durch das Patent Board in Chicago (USA) als Innovationsführer seiner Branche gekürt. Wie wichtig Innovationen für das gesamte Gesundheitssystem sind, erklärt Elmar Rübsam, Geschäftsführer der Covidien Deutschland GmbH.

Covidien-Geschäftsführer Elmar Rübsam ist überzeugt, dass Innovationen auch klammen Krankenhäusern nutzen.

Welche Bedeutung haben Innovationen in der Medizintechnik und insbesondere bei Covidien? Das Ziel der globalen Aktivitäten von Covidien ist es, Lösungen und Dienstleistungen anzubieten, die dazu beitragen, medizinische Verfahren zum Nutzen der Patienten weiter zu verbessern, therapeutische Komplikationen zu verringern und die Behandlungskosten im Gesundheitswesen durch geeignete Präventions- und Sicherheitsmaßnahmen zu reduzieren. Dabei setzen wir auf eine weltweite und enge Zusammenarbeit mit medizinischen Fachleuten aller Gesundheitsbereiche. Es geht also nicht nur um die Entwicklung neuer Produkte? Es geht natürlich in erster Linie um die Produkte. Doch diese Produkte führen in der Regel dazu, auch die Operationsverfahren zu überdenken. So haben wir vor zwei Jahren mit unserer SILSTechnologie (Single Incision Laparoscopic Surgery) einen Meilenstein in der minimal-invasiven Chirurgie gelegt. Hat man vor SILS für die minimal-invasive Entfernung der Gebärmutter oder eines

Stück Darms noch mehrere bis zu vier Zentimeter große Bauchschnitte benötigt, können diese und weitere Eingriffe nun mittels eines kleinen Schnitts im Bauchnabel und der Verwendung des sogenannten Single Ports durchgeführt werden. Neben dem ästhetischen Vorteil ist eine Reduzierung von Wundkomplikationen, Narbenbrüchen und insbesondere von Schmerzen zu erwarten. Strapazieren neue Produkte nicht die ohnehin schon knappen Kassen des Gesundheitssystems? Dass neue Produkte ihren Preis haben, ist klar. Und auch, dass wir als börsennotiertes Unternehmen gewisse Ziele erreichen müssen, ist nicht von der Hand zu weisen. Was man bei dieser Diskussion allerdings immer bedenken muss: Als Unternehmen müssen wir im Vorfeld sehr viel Zeit und Geld in die Forschung und Entwicklung dieser Produkte stecken. Um dies auch weiterhin zu können, müssen wir rentabel arbeiten. Deshalb muss sich dieses Investment für uns auch lohnen. Andererseits kann ich sagen, dass echte Innovationen der angespannten finanziellen Lage der Krankenhäuser

und des gesamten Gesundheitssystems eher nützen als schaden. Bedenkt man, dass man mit den richtigen Produkten und Verfahren Operationszeiten signifikant verkürzen und parallel dazu Komplikationen, die in der Regel mit hohen Folgekosten für das System verbunden sind, minimieren kann, dann bin ich überzeugt: Wir tragen mit unseren Produkten dazu bei, dass Weltklassemedizin auch in Zukunft bezahlbar bleibt. Sie müssen aber auch gewährleisten, dass Ärzte sicher im Umgang in innovativen Verfahren sind ... Eine gute Ausbildung des medizinischen Fachpersonals, aber auch unserer eige­ n­en Mitarbeiter, ist in diesem Bereich absolute Grundvoraussetzung. Daher ist auch die Aus-, Fort- und Weiterbil­ dung eine der wichtigsten Säulen von Covidien. Alleine im vergangenen Jahr haben wir über eine Million Euro investiert, um mehr als 4.500 Ärzte in neue Operationsverfahren einzuführen. Unsere speziellen „Master Class“Schulungen in Elancourt (Paris) und Straßburg setzen hier Maßstäbe. Weitere Informationen unter: www.covidien.com


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preis eines Produktes alleine keine Aussage über die Wirtschaftlichkeit einer Investition erlaubt. Darauf ver­ weist Sven Behrens, Geschäftsfüh­ rer des Berliner Hightech-Industrie­ verbandes Spectaris. Das wird auch am Beispiel Patientensicherheit deut­ lich. Wie weit die gediehen ist, spie­ gelt sich unter anderem in den Qua­ litätsberichten von Kliniken, zu de­ nen diese verpflichtet sind – und für die sich Patienten zunehmend inter­ essieren, bevor sie sich für einen Ein­ griff an einem Krankenhaus ent­schei­ den. Darin ist unter anderem klipp und klar nachzulesen, ob und wie oft es zu Komplikationen bei Opera­ tionen gekommen ist. Damit es erst gar nicht so weit kommt, hat die Weltgesundheitsor­ ganisation die Initiative „Safe Surgery Saves Lives“ ins Leben gerufen. Sie soll schwerwiegende Fehler durch das Abarbeiten von Checklisten ver­ meiden helfen. Der Medizintechnik­ hersteller Karl Storz hat auf diese In­ itiative mit einer neuartigen Software namens „Checklist“ reagiert. Einge­ bettet in den OP-Arbeitsablauf wird

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Roboter im Kleinstformat sollen in Zukunft chirurgische Eingriffe im Körperinneren vornehmen. durch die Software Schritt für Schritt kontrolliert, ob vor einem chirurgi­ schen Eingriff alle Voraussetz­ungen erfüllt sind, damit dieser reibungs­ los abläuft. Dabei wird jeder ein­ zelne Schritt dokumentiert und ab­ gespeichert. Um den Arbeitsfluss im Operationssaal weiter zu optimie­ ren, hat Karl Storz sein Dokumenta­ tionssystem Aida Neo weiterentwi­ ckelt, sodass bereits während der Behandlung Bilder und Videosequen­ zen in HD-Qualität über einen Touch­

screen erfasst und archiviert wer­ den. Über zentrale Schnittstellen im Krankenhaus werden die Daten im Krankenhaus-Informations-System (KIS) hinterlegt und können jeder­ zeit über die Patienten-Identifikations­ nummer wieder aufgerufen werden. Dabei verzahnen sich die Ab­ läufe, die Bedienung der medizintech­ nischen Geräte wird intuitiv und au­ tomatisiert. Dies ist vor allem bei der Dokumentation möglich. Ein Treiber dieser Entwicklung ist auch die zu­ nehmende Miniaturisierung von Di­ agnose- und Behandlungsinstrumen­ ten, wie es die so genannte Schlüs­ selloch-Chirurgie erfor­dert. Die mini­ mal-invasive Medizin hat in nur 15 Jahren Eingriffe sowie therapeuti­ sche Maßnahmen revolutioniert und ist aus keinem OP wegzudenken. Etliche Studien belegen verkürz­ te Operations- und Liegezeiten, schnel­ lere Hei­lungsprozesse, bessere kosme­ tische Ergebnisse und damit unge­ heure Sparpotenziale. Insgesamt ge­ nießen minimal-invasive Ver­fahren bei Ärzten und Patienten eine hohe Akzeptanz, weswegen ihnen eine ho­

he Wachstumsmöglichkeit zu­ge­spro­ chen und künftig das Indikations­ spektrum deutlich ausgeweitet wer­ den wird. Neue Technologien wer­ den dazu führen, dass hergebrachte Operationsverfahren von Grund auf über­dacht werden. Davon ist Elmar Rübsam, Ge­ schäftsführer der Covidien Deutsch­ land GmbH, überzeugt. Das Unter­ nehmen bietet seit zwei Jahren die so genannte SILS-Technologie (Sing­ le Incision Laparoscopic Surgery) an. „Hat man bislang für die minimalinvasive Entfernung der Gebärmut­ ter oder eines Stück Darms noch mehrere bis zu vier Zentimeter gro­ ße Bauchschnitte benötigt, können diese und weitere Eingriffe nun mit­ tels eines kleinen Schnitts im Bauch­ nabel durchgeführt werden“, erklärt Rübsam den entscheidenden Fort­ schritt der Technik. Das Verfahren zeigt, dass Chirur­gen das Schlüssel­ loch weiter verklei­nern können. Ne­ ben geringerer Ver­narbung kommt es zu weniger Wund­­kompli­ka­tio­nen und Narbenbrüchen. Chris Löwer

O P- S o f t wa r e

Sicherheit für Patient und Krankenhaus Krankenhäuser stehen heute im aktiven Wettbewerb untereinander. Mit innovativen Produkten und Behandlungsmethoden, die den Behandlungserfolg und die Sicherheit erhöhen, sichern diese sich Patienten. Die Aufklärung ist zu einem wichtigen Bestandteil der Kommunikationspolitik von Kliniken geworden. Patient und Öffentlichkeit interessieren sich darüber hinaus vermehrt für die Qualitätsberichte, die jede Klinik veröffentlichen muss. Zwingend muss darin dokumentiert werden, ob und wie oft es etwa zu Komplikationen am OP-Tisch gekommen ist. Die Qualität der medizinischen Versorgung wird transparent und zum Entscheidungskriterium für den Patienten, eine medizinische Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Die Weltgesundheitsorganisation hat die Initiative „Safe Surgery Saves Lives“ ins Leben gerufen. Das Ziel: schwerwiegende Fehler mit einfachen Mitteln vermeiden. Das Prinzip: Fehlerprävention durch das Abarbeiten von Checklisten. Der Medizintechnikhersteller Karl Storz hat diese Initiative zum Anlass genommen und die Software „Karl Storz Checklist“

entwickelt. Eingebettet in den OPArbeitsablauf ermöglicht die Checklist dem OP-Personal, vor Beginn eines chirurgischen Eingriffes in kurzen und prägnanten Schritten alle relevanten Daten automatisch über eine zentrale Bedienoberfläche (Touchscreen) zu überprüfen und „abzuhaken“ – und somit sicherzustellen, dass alle notwendigen Rahmenbedingungen gegeben sind. Die Checklist ist modular aufgebaut und passt sich somit an die unter-

schiedlichen Bedürfnisse der Anwender und Operationen an. Dabei wird jeder einzelne Schritt sicher dokumentiert und abgespeichert. Dies gewährleistet einen transparenten Arbeitsablauf. Um den Arbeitsfluss im Operationssaal weiter zu optimieren, wurde das Dokumentationssystem „Karl Storz Aida Neo“ weiterentwickelt und an die wachsenden Dokumentationsansprüche von Kran­ ken­haus und Patient angepasst. Das Aufzeichnen und Speichern von Bildern

Dokumentation und Archivierung patientenrelevanter Daten: In diesem OP-Saal kommen die Softwarelösungen „Karl Storz Checklist“ und Aida-Dokumentationssysteme zum Einsatz.

und Videosequenzen in HD-Qualität erfolgt bereits während des operativen Eingriffs zentral über einen Touchscreen aus dem sterilen Bereich. Über zentrale Schnittstellen im Krankenhaus werden die Daten im zentralen KrankenhausInformations-System KIS direkt zum Patienten hinterlegt und können jeder­zeit über die Patienten-Identifika­ tionsnummer wieder aufgerufen werden. Der Operateur kann somit schnell und effizient einen Patienten- bzw. OP-Bericht, der mit aussagekräftigen operativen Bildern bestückt ist, erstellen. Durch Kombination der beiden Softwarelösungen „Karl Storz Checklist“ und Aida-Dokumentationssysteme ist eine lückenlose Dokumentation und Archivierung der patientenrelevanten Daten von Anfang an möglich. Standardisierte, in den Arbeitsablauf eingebettete Vorkehrungen, wie sie die Checklist ermöglicht, unterstützten das Personal, die notwendigen Schritte für einen chirurgischen Eingriff vorzunehmen. Damit tragen sie dazu bei, Routinefehler und auftretende Risiken auf ein Minimum zu reduzieren. Weitere Infos unter: www.karlstorz.com


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e-health

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Visite online E-HEALTH Moderne Informations- und Kommunikationsstrukturen können dazu beitragen, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen endlich in den Griff zu bekommen.

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eutschland schafft sich vielleicht nicht ab, aber es vergreist. Die Alten werden immer älter, die Jungen immer weniger. Die Konse­ quenzen dieser Entwicklung sind schon heute unübersehbar. Zahlrei­ che Un­ternehmen klagen bereits heu­ te über fehlende Ingenieure und Fach­ arbeiter – potenzielle Beitragszahler für die gesetzliche oder private Kran­ kenversicherung. Die Wartezimmer der Ärzte hingegen bevölkern zumeist ältere Menschen, die vergleichsweise häufig an chronischen – sprich teu­ ren – Erkrankungen leiden. In der aktuellen Studie „Monito­ ring eHealth und Gesundheitswirt­ schaft 2010“ bezeichneten folgerich­ tig 90 Prozent der befragten Gesund­ heitsexperten aus Politik, Wissen­ schaft und Wirtschaft den demogra­ fischen Wandel und die Sicherung der zukünftigen Finanzierung als die zentralen Herausforderungen des Ge­ sundheitssystems. Die Entscheider an der Basis – Ärzte sowie Manager in Krankenhäusern und Krankenver­ sicherungen – sehen in einer weite­ ren Optimierung der Prozesse, im Ausbau einer medizinischen Infor­ mations- und Kommunikationsinfra­ struktur (E-Health) sowie in der Ver­ netzung aller Beteiligten des Gesund­ heitssystems die geeigneten Mit­tel, um die neuen Herausforderungen zu meistern. Die Online-Anbindung wird auch für viele Hausärzte immer wichtiger, etwa bei der Abrechnung mit ihrer Kassenärztlichen Vereini­ ung. Diese „intersektorale“ Ver­net­ zung nimmt allmählich Konturen an. Alle sogenannten Leistungserbringer (wie Ärzte, Physiotherapeuten, Kran­ kenhäuser, medizinische Versor­gungs­

zentren und Apotheken) sowie Kas­ sen­ärzt­liche Vereinigungen und Kran­ ken­kas­sen werden sich dann ver­ netzen und über verschlüsselte Da­ tenleitungen Informationen austau­ schen können. Ärzte verschicken un­ tereinander digitale Arztbrie­fe, der Apotheker erhält ein elektronisches Rezept, das ihm die Verwaltung und Abrechnung eben­falls auf elektroni­ schem Weg erleichtert. Die „integrierte Versorgung“ soll das Gesundheitssystem nicht nur ef­ fizienter und transparenter machen, sondern auch neue Geschäftsmodelle ermöglichen und so für zusätzliches Wachstum sorgen. Krankenhäuser

ver­sprechen sich davon eine Sen­ kung ihrer Kosten. Da sie heute nicht mehr nach Tagessätzen für die Pati­ enten vergütet werden, sondern ei­ ne bestimmte Pauschale für jeden Krankheitsfall erhalten, arbeiten sie wirtschaftlicher, je kürzer die Ver­ weildauer ihrer Patienten ist. Sind Krankenhäuser und Haus­ ärzte vernetzt, kann der Klinikarzt schon vor dem Eintreffen des Pati­ enten alle notwendigen Daten erhal­ ten und alle weiteren Untersuchun­ gen in die Wege leiten. Der Patient wird dadurch auf schnellstem Weg durch die Klinik geschleust. In den Krankenhäusern selbst ist die Ver­

netzung bereits in vollem Gange. Nicht nur die Patientenverwaltung und -abrechnung oder das Control­ ling laufen inzwischen IT-gestützt ab. Immer mehr medizintechnische Geräte, etwa im Bereich der Radio­ logie oder in den OPs, erzeugen digi­ tale Daten, die sie in das interne Netzwerk einspeisen. Folge: Die me­ dizintechnische Abteilung muss sich IT-Kenntnisse aneignen, die IT-Ab­ teilung mit medizintechnischen Fra­ gestellungen wie etwa dem Medi­ zinproduktegesetz befassen. Erste Krankenhäuser haben bereits ihre Medizintechnik- und IT-Abteilung zusammengelegt, um Synergien zu

MCC PaDok – vom eDMP zur eKommunikation

GMC

SystemsmbH

Das Programm MCC (Medical Communication Client) PaDok ist ein eigenständiges System zur plattformund systemübergreifenden Dokumentation und zum sicheren Austausch patientenbezogener Daten in der Medizin. Das etablierte D2D-Verfahren wird zur elektronischen Datenübertragung zwischen Leistungserbringern und Datenstellen verwendet. Selbstverständlich können alle Dokumentationen auch auf einen Datenträger übertragen werden. MCC PaDok kann dank seiner KVK/

eGK-Schnittstelle stand-alone eingesetzt werden. Die Kombination mit beliebigen EDV-Systemen aus Klinik und Praxis wird durch eine umfangreiche Schnittstelle zur zuverlässigen Steuerung und Datenübergabe in beide Richtungen unterstützt. Freie Kommunikation Beliebige Formate adressiert (E-Mail, Arztbriefe), gerichtet (Überweisung) und ungerichtet (Netzakten) innerhalb des D2D-Netzwerkes. Versandassistenten Ihre EDV erstellt die Dokumentation – MCC PaDok versendet mit D2D:

Advertorial

Qualitätssicherung Dialyse, Online-Abrechnung (auch mit eHBA), ePVS-Abrechnung, eKoloskopie, eDMP, DALE-UV, Hautkrebsscreening (eHKS). Formularassistenten mit KBV-Zulassung: eKoloskopie, eDMP, DALE-UV, Hautkrebsscreening (eHKS). Zusatznutzen MCC PaDok verfügt über leistungs­ fähige Datenschnittstellen: KVK, eGK (R0 zertifiziert), BDT-Modul, XML Schnittstelle, HL7-Modul, MS Office Add-In für Arztbriefe. Infos: www.gmc-systems.de oder via E-Mail über: info@gmc-systems.de

GMC Systems GmbH  ∙  Albert-Einstein-Straße 3  ∙  98693 Ilmenau  ∙  Tel. +49 3677 46 76 00  ∙  Fax +49 3677 46 76 02


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e-health

conhIT 2011

nutzen und Prozesse zu vereinfa­ chen. Dreh- und Angelpunkt der IT im Krankenhaus ist das Klinikinfor­ mationssystem (KIS), das die meis­ ten Anwendungen unter einer Be­ nutzeroberfläche vereint und mit dem radiologischen Informationssys­ tem sowie dem digitalen Bildarchiv verbunden ist. Patientenverwaltung, Abrechnung und Controlling sind entweder in das KIS integriert oder an das System angedockt. Sämtliche Daten eines Patienten fließen in eine elektronische Patientenakte ein und stehen demzufolge allen an der Be­

Der Branchentreff für HealthcareIT findet im kommenden Jahr zwischen dem 5. und 7. April in Berlin statt. Im Jahr 2010 belegten 203 Aussteller insgesamt 11.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Mittelpunkt der conhIT ist die Industriemesse, die das umfassende Produkt- und Leistungsspektrum der Healthcare IT-Branche präsentiert.

handlung beteiligten Mitarbeitern zur Verfügung. Diese Vernetzung er­ möglicht den Krankenhäusern nicht nur ihre Prozesse zu optimieren, son­ dern auch neue zu integrieren. Der Arzt kann zum Beispiel eine Verord­ nung von Medikamenten mit Hilfe einer speziellen Software auf uner­ wünschte Wechselwirkungen über­ prüfen und so die Qualität der Be­ handlung steigern. Im Trend liegt auch die drahtlose Vernetzung über Funknetzwerke (WLAN). Dem me­ dizinischen Personal steht dann die elektronische Patientenakte direkt

D i a b e te s - M a n ag e m e n t

Moderne IT-Helfer für den Alltag Diabetes zählt zu den Volkskrankheiten in Deutschland. Mehrere Millionen Menschen sind bereits betroffen – und jährlich kommen mehrere Tausend neu Erkrankte hinzu. Ein alarmierender Trend! Gleichzeitig ist die aktuelle Versorgung von Diabetespatienten in Deutschland trotz verschiedener neuer Versorgungsmöglichkeiten häufig nicht optimal und darüber hinaus sehr teuer. Noch immer entstehen viel zu oft schwerwiegende Folgekomplikationen, die die Patienten erheblich gesund­ heitlich beeinträchtigen. Rechtzeitige kontinuierliche Therapie- und Präven­ tionsmaßnahmen können nachweislich helfen, das Risiko für Komplikationen zu senken und gleichzeitig die Qualität der Versorgung zu verbessern. Ziel dabei ist es immer, die Lebenserwartung und -qualität der Betroffenen zu

verbessern. Der Einsatz moderner und intelligenter IT-Lösungen kann dabei helfen, diese Herausforderungen zu meistern. „Wie in so vielen Bereichen der medizinischen Versorgung kann auch hier die Informationstechnologie sinnvolle und praktikable Lösungen schaffen“, erklärt Peter Kirschbauer, Vorstandsvorsitzender des E-HealthSpezialisten ICW. Deshalb entwickeln Roche Diabetes Care und ICW jetzt gemeinsam eine neue Generation webbasierter Lösungen für ein effizien­ tes Diabetes-Management, die es er­mög­licht, gesundheitsrelevante Daten regelmäßig und strukturiert zwischen Patient und Arzt online auszutauschen. Für schnelle und erfolgversprechende Therapieentscheidungen und damit für eine bessere Versorgungsqualität. Die Entwicklungsarbeit erfolgt

unter anderem auf Grundlage der Software Accu-Chek 360° und dem ICW eHealth Framework (eHF). Burkhard G. Piper, Präsident Roche Diabetes Care, erklärt: „Wir haben eine umfassende Suche nach einem Technologiepartner durch­geführt und freuen uns, dass die Wahl auf ICW gefallen ist.“ Das eHF ist Basis für alle ICW-Entwicklungen. Es bietet eine leistungsstarke und flexible Umgebung für die Anwendungsentwicklung und Datenintegration. Davon profi­ tie­ren seit Anfang des Jahres auch Trainer und Betreuer der deutschen Fußballnationalmannschaft. Ihre Datenbank „DFBPerformer“ basiert ebenfalls auf dem ICW eHF und bietet eine Fülle von Aus­wer­tungs­ möglichkeiten für den Trainings- und Spielbetrieb. www.icw-global.com

ICW auf der Medica 2010 Mehr Informationen zur Tech­ no­logie­partnerschaft mit Roche Diabetes Care und zum eHealth Framework (eHF) erhalten Sie auf der Fachmesse Medica 2010, die vom 17. bis 20. November 2010 in Düsseldorf stattfindet. Den ICWStand finden Sie in Halle 15 G34.

Mit webbasierten Kommunikationslösungen wollen der eHealth-Spezialist ICW und Roche Diabetes Care die Qualität der medizinischen Versorgung für Diabetiker verbessern.

Dort wird Hans-Dieter Flick, Co-Trainer der DFB-Mannschaft, am 9. November vormittags über seine Erfahrungen mit der eHFbasierten ICW-Lösung sprechen.

am Krankenbett zur Verfügung. Bei aller Wirtschaftlichkeit darf der Da­ tenschutz nicht auf der Strecke blei­ ben. In den Krankenhäusern kann die IT-Abteilung mit Hilfe von Be­ rechtigungskonzepten klar regeln, wer welche Daten eines Patienten einsehen darf. Beim elektronischen Datenaustausch zwischen den ver­ schiedenen Akteuren im Gesund­ heitswesen ist das nicht so einfach. Vor allem soll der Patient entschei­ den, wer welche Informationen über ihn erhält. Deshalb soll seit Jahren schon die elektronische Gesund­ heitskarte (eGK) – als Nachfolgerin der Kranken­versichertenkarte – ein­ geführt werden. Mit der eGK weist sich der Patient gegenüber dem Ge­ sundheits­netzwerk aus. Der Arzt er­ hält zu diesem Zweck ebenfalls eine Karte, den Heilberufeausweis. Die­ ser und die eGK sind mit einem leis­ tungsfähigen Chip ausgestattet, der die zu übertragenden Informatio­ nen verschlüsseln kann. Die Probleme in groß angelegten Praxistests sowie die ablehnende Haltung durch einen Teil der Ärzte­ schaft haben den Rollout der Karte um Jahre verzögert. Die Ärzte be­ fürchten vor allem den „gläsernen Patienten“, sollten alle Patientenda­ ten einmal zentral zur Verfügung stehen. Laut der Studie „Monitoring eHealth und Gesundheitswirtschaft 2010“ erwarten 86 Prozent der Ge­ sund­heitsexperten die flächen­deck­en­ ­de Einführung der eGK nicht vor 2015. Doch es gibt auch andere An­ sätze: Die großen privaten Klinikket­ ten Asklepios, Rhön-Klinikum und Sana sowie die Deutsche Kranken­ hausgesellschaft haben im Jahr 2006 das Fraunhofer Institut für Softwareund Systemtechnik (ISST) in Dort­ mund mit der Entwicklung einer neuen Kommunikationsplattform be­ auftragt, über die niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser Daten aus­ tauschen können. Im Unterschied zur elektronischen Patientenakte der eGK werden in der „elektronischen Fallakte“ nur die Daten zu einem ak­ tuellen Krankheitsfall gespeichert. Inzwischen unterstützen auch große Krankenhäuser und Universitätskli­ ni­­ken die elektronische Fallakte. Auch im Bereich der Pflege wird E-Health künftig eine wichtige Rolle spielen. Chronisch Kranke wie etwa Diabetiker können heute schon ihre Blutzuckerwerte und andere Mess­ werte über das Internet ihrem Arzt zukommen lassen. Dadurch lässt sich die Zahl der Arztbesuche auf das Notwendigste begrenzen. Sol­


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che Telemedizin-Anwendungen bie­ ten sich auch an, um den drohenden Ärztemangel auf dem Land zu kom­ pensieren. Die Technik soll dabei nicht den Arzt ersetzen, sondern ihn entlasten. Die Krankenkassen vergü­ ten heute schon die Fernüberwa­ chung von implantierten Herzschritt­ machern und Defibrillatoren. Der Arzt kann so die Funktionstüchtig­ keit dieser Geräte überprüfen, ohne dass der Patient in die Praxis kom­ men muss. Eine gute Vernetzung und Kommunikation wird aber auch im­ mer wichtiger bei Notfalleinsätzen. Bei einem Schlaganfall zum Beispiel zählt jede Minute. Die Vernetzung von Rettungswagen oder Rettungs­ hubschrauber mit den Leitstellen und den umliegenden Krankenhäusern führt dazu, dass die Patienten ohne Umwege in das für sie am besten ge­ eignete Krankenhaus gelotst werden können. Dazu bedarf es aber noch geeigneter Kommunikationsschnitt­ stellen zwischen allen Beteiligten. Diese Schnittstellen sind eine ge­ nerelle Voraussetzung und auch ein generelles Problem im E-Health-Be­ reich. Als zum Beispiel in NordrheinWestfalen die ersten Terminals für die eGK angeboten wurden, muss­ ten die Ärzte beim Kauf darauf ach­ ten, dass ihre Praxissoftware auch mit dem Gerät des Herstellers zusam­ menarbeitet. Das war keineswegs selbstverständlich, weshalb die Her­ steller und Händler lange Kompati­ bilitätslisten führten. Auch in den Krankenhäusern müssen bei der Ein­ führung einer neuen Software die Schnittstellen immer angepasst wer­ den. Hier gibt es inzwischen Bestre­ bungen zur Vereinheitlichung, et­wa mit der Service-Orientierten Archi­ tektur (SOA) bei den Krankenhaus­ informationssystemen (KIS). Zu E-Health gehört auch der mün­ dige Patient, der sich auf Gesund­ heitsportalen im Internet über seine Krankheit informiert und in elektro­ nischen Katalogen dieser Portale nach einem geeigneten Krankenhaus für seine bevorstehende Operation re­ cherchiert. Es gibt sogar spezielle An­ gebote von IT-Branchenriesen, um die eigene Krankenakte selbst im Netz zu führen. Die klassische IT-In­ dustrie hat das wirtschaftliche Poten­ zial der Gesundheitsbranche längst erkannt: Intel, Microsoft, Google, HP, Dell und inzwischen auch App­ le sind auf den fahrenden Zug aufge­ sprungen. Sie alle wollen mitverdie­ nen beim großen Sparen im deut­ schen Gesundheitswesen. Christian Vollmer

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H e a lth c a r e - IT

Weites Feld für innovationen Andreas Lange, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Hersteller von IT-Lösungen für das Gesundheitswesen (VHitG), über den Nutzen von IT im Healthcare-Markt. Wie kann Informationstechnologie helfen, die explodierenden Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen? Ohne IT kann man eine gesundheitliche Versorgung der Gesellschaft gar nicht mehr leisten. Und es gibt einfache Beispiele, wo IT konkret und direkt Kosten sparen hilft. Zum Beispiel im Bereich der Arzneimittelsicherheit im Moment der medikamentösen Verordnung. Hier kann ein IT-System einen Interaktionscheck durchführen, um zu überprüfen, ob bestimmte Arzneimittel in Kombination auch Sinn ergeben. Das birgt ein immenses Sparpotenzial, das man bislang noch gar nicht richtig angegangen ist. Ein weiteres Beispiel ist die Therapieplanung mithilfe von

Verbandschef Andreas Lange sieht ein immenses Sparpotenzial durch IT.

Leitlinien. Wenn diese systematisch angewandt werden, steigt statistisch gesehen auch die Qualität. Solche Leitlinien müssen IT-gestützt direkt am System verfügbar sein. Und dann gibt es noch das ursächliche Thema, wofür IT-Systeme eigentlich immer angedacht sind: das Ressourcenmanagement. Und was leistet Healthcare-IT für das direkte Arzt-PatientVerhältnis? Auch hier gibt es viele gute Ansätze, zum Beispiel mobile Monitorsysteme für Patienten. Dabei handelt es sich um Systeme, um Patienten mobiltelefonoder internetgestützt unterwegs und von zu Hause aus überwachen und betreuen zu können. Die so genannte betreuende Einheit – das muss nicht der Hausarzt sein – steht dann in ständigem Kontakt mit dem Patienten, ohne dass dieser direkt wieder zu seinem Hausarzt fahren muss. Der Arzt-Patienten-Kontakt gerät damit zwar etwas in den Hinter­ grund. Andererseits aber ist eine dauerhafte Betreuung gewährleistet. Und diese frei werdende Zeit kommt wieder anderen Patienten zugute. Erwarten Sie für die kommenden Jahre weitere Konsolidierungen in der Healthcare-IT-Branche? Ich glaube, dass es zu weiteren Konsolidierungen kommen kann. Dies wird aber sicherlich nicht mehr in so starkem Maße stattfinden, wie es in den ersten Jahren des letzten Jahrzehntes der Fall war. Der Trend ist etwas zurückgegangen, auch aufgrund der globalen Krisen. Es wird sicherlich noch die eine oder andere Konsolidierung geben. Aber es ist nicht mehr das erklärte Ziel der einzelnen Hersteller, nur über diesen Wege wachsen zu wollen. Werden sich damit auch kleinere Anbieter in der Nische längerfristig etablieren können?

Es gibt einen Trend zur absoluten Spezialisierung. Das betrifft vor allem Teilbereiche in der Medizin, die eine Spezialisierung erfordern. Und hier tun sich immer wieder neue interessante Hersteller auf, die besondere Lösungen anbieten. Nischen wird es immer geben, weil Spezialisierung und Modernisierung in der Medizin ja permanent gegeben sind. Damit gibt es immer ein weites Feld für innovative neue Firmen. Sehen Sie bereits jetzt in einigen Bereichen Sättigungstendenzen? Von Sättigung möchte ich ungern sprechen, da es in jedem Gebiet hinreichend Verbesserungspotenziale gibt. Natürlich finden wir bei den admini­s­ trativen Sys­temen, also Abrechnung und Verwaltung, eine nahezu vollständige Abdeckung des Marktes. Somit gibt es dort einen Verdrängungswettbewerb. Wo erwarten Sie denn das größte Wachstum? Schauen wir in den Bereich der medi­zinischen und pflegerischen Systemabdeckung, sind wir noch weit von einem flächendeckenden IT-Einsatz entfernt. Dort verfügen zwar jede Praxis und jede Klinik über ein Basissystem, jedoch ist dieses lange nicht in jedem Fachbereich in der Tiefe ausgebaut. Und wenn man als Klinik einen großen Schritt machen und Papier reduzieren will, dann sind eigentlich alle Häuser noch weit entfernt vom papierlosen Betrieb. Auch die Präventionsmedizin und speziell die Integration des sekundären Gesundheitsmarktes bieten neue Einsatzgebiete für Informationstechnologie. Im sekundären Gesundheitsmarkt beispielsweise investieren Patienten und Unternehmen in Milliardenhöhe. Ein weiterer aktueller Trend sind mobile Strukturen: Der Kontakt zwischen Arzt und Patient wird zunehmend über Handy und Notebook abgewickelt werden.


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krankenkassen

Bittere Pillen für die Versicherer?

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undesgesundheitsminis­ ter Philipp Rösler hat sein Etap­­­penziel erreicht. Mit dem Kabinettsbeschluss vom 22. September hat die Bundes­ regierung weitgehend umgesetzt, was im Koalitionsvertrag festgelegt wurde. Ob auch alle Einzelheiten so bleiben, ist angesichts der starken Widerstände offen. Wenn die polit­ sche Marschrich­tung aber bei­be­hal­ ten wird, kommt es zu einer grundle­ genden Veränderung des Kranken­ versicherungsmarktes. Ein „gerech­ teres und transparenteres“ Finanzie­ rungssystem hat die neue Bundesre­ gierung ver­sprochen. Mehr Beitrags­ autonomie der Krankenkassen sollte es geben und „mehr regionale Diffe­ renzierungsmöglichkeiten“. Die Ar­ beitnehmerbeiträge sollten ein­kom­ mens­unabhängig wer­den. Es sollte aber auch einen sozialen Ausgleich

für Ge­ringverdiener geben. Der Ar­ beitgeberanteil sollte endgültig fest­ geschrieben werden. Mit dem Regie­ rungsentwurf für das neue „GKV-Fi­ nanzierungsgesetz“ ändert sich ei­ni­ ges in dieser Richtung. Besiegelt ist der Einstieg in die „Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohn­ zusatzkosten“ und die Festschreibung des Arbeitgeberanteils. Alle Kosten­ steigerungen, die in Zukunft über den Anstieg der Lohnsumme hi­naus­ gehen, müssen von den GKV-Mit­ gliedern in Form fixer Zusatzbeiträge getragen werden. Zusammen mit den Kostendämp­ fungsbemühungen aus diesem und anderen aktuellen Gesetzesvorhaben kann das prognostizierte Defizit der GKV im Jahre 2011 in Höhe von 11 Milliarden Euro wahrscheinlich oh­ ne neue Zusatzbeiträge gedeckt wer­ den. Insoweit war Philipp Rösler im

KRANKENKASSEN Höherer Kassensatz, ungedeckelte Zusatzbeiträge, Einsparungen bei Ärzten und Kliniken: Von den Neuregelungen im Gesundheitswesen verspricht sich die Regierung mehr Wettbewerb unter den Kassen.

Sinne des Koalitionsvertrages erfolg­ reich. Die Unkenrufe über seinen Fehlstart haben sich zumindest als verfrüht erwiesen. Sogar die Regie­ rungskommission, die ihn bremsen und kontrollieren sollte, ist der FDPMinister inzwischen los. Tatsäch­ lich kann sich seine Bilanz des ers­ ten knappen Jahres sehen lassen. Immerhin ist es ihm in den ersten Wochen nach der Regierungsbil­ dung gelungen, dass auch für die ge­ setzliche Krankenversicherung ein beachtlicher „Rettungsschirm“ auf­ gespannt wurde. Zur Kompensation krisenbedingter Einnahmeausfäl­le wurden aus dem Bundeshaushalt 2010 zusätzliche 3,9 Milliarden Euro für die GKV locker gemacht. Auch in den Sparberatungen des Kabi­ netts für 2011 konnte Rösler der GKV außerplanmäßig noch zwei Milliarden zusätzliche Steuergelder


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sichern. Mit dem Arzneimittel-Spar­ paket hat er Schritte zu Lasten der Pharmaindustrie unternommen, die ihm keiner zugetraut hätte. Mit dem neuesten Gesetzentwurf sollen die Einkommenszuwächse der Ärzte und Krankenhäuser gebremst werden. Die betroffenen Gruppen pro­ testieren. Und sicher kann man um­ gekehrt fordern, dass in Sachen Kos­ tendämpfung noch härter durchge­ griffen werden müsste. Dabei sollte man aber auf dem Teppich bleiben und darf nicht jedes Maß dafür ver­ lieren, was denn andere in dieser Hinsicht erreicht haben. Jedenfalls hat die Große Koalition dem Minis­ ter Rösler schwere Hypotheken hin­ terlassen: Die milliardenteure Ho­ norarreform für die niedergelasse­ nen Ärzte, kostspielige Zugeständ­ nisse an die Krankenhäuser und den Hausarztverband, eine rechnerisch und politisch aufs Scheitern ange­ legte Finanzierungskonstruktion aus staatlich festgesetztem Einheitsbei­ trag und eigentlich nicht praktika­ blem Zusatzbeitrag. Die Vorwürfe der Opposition, aber auch von CDU und CSU, dass Rösler diese Proble­ me nicht bewältigt habe, sind vor die­ sem Hintergrund in einem anderen Licht zu sehen. Dennoch: Die ak­ tuelle Reform hat einen hohen Preis, vor allem in Form der Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes von 14,9 auf 15,5 Prozent. Das löst allgemei­ nen Protest aus. Die Arbeitgeberver­ bände und die Gewerkschaften pro­ testieren, wenn auch mit entgegen­ gesetzten Argumenten. Die Arbeit­

„Wir haben die Einnahmen für nächstes Jahr kurzfristig stabilisiert und langfristig auf solide Beine gestellt“, betont Bundes­ge­sund­ heits­minister Philipp Rösler.

geber kritisieren die Beitragserhö­ hung allgemein und glauben nicht so recht daran, dass sie das letzte Mal zur Finanzierung mit herangezogen werden. Die Gewerkschaften bekla­ gen einen vermeintlich endgültigen Niedergang der paritätischen Finan­ zierung der gesetzlichen Kranken­ kassen. Die SPD kritisiert die höhe­ ren Beiträge und fordert, dem Bür­ ­ger mehr Netto zu lassen. Was viele Kritiker außer Acht lassen: In der Gesetzesbegründung steht, dass der Beitragssatz nur wie­ der auf die Höhe angehoben wird, die in der ersten Hälfte des Jahres 2009 bereits galt. Denn noch im Jahr 2008 hat die Große Koalition ei­

P r äv e n ti o n

Angebote für die ganze Familie Vorsorgen ist besser als Heilen. Deshalb bietet die BKK vor Ort, mit rund 620.000 Versicherten die sechstgrößte Betriebskrankenkasse in Deutschland, eine Vielzahl an effektiven Präventionsangeboten an. Wer aktiv etwas für seine Gesundheit tun will, soll belohnt werden. Denn die Kasse unterstützt ihre Versicherten in vielfacher Hinsicht mit einer breiten Palette an kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheitskursen und Gesundheitsreisen, aber auch mit barer Münze. Mit ihrem Angebot „Provita – Das Bonuspaket“ hat sie ein Paket mit vier attraktiven Bausteinen geschnürt, das man sich individuell zusammen-

stellen kann: ob Rückenschule oder Yoga, Vitaltage oder Aktivwochen. Das Bonusprogramm honoriert neben einer Teilnahme an Gesundheits-Checks und anderen Präventionsmaßnahmen auch eine gesundheitsbewusste Lebensweise. Speziell an ihre Versicherten der Generation 60plus wendet sich die BKK vor Ort, die keinen Zusatzbeitrag erhebt, mit einem Kurs zur Sturzprävention. Ziel des gemeinsam mit der Ruhr-Universität Bochum entwickelten Konzeptes „Standfest vor Ort“ ist es, Selbstständigkeit, Lebensqualität und Autonomie im Alter zu verbessern und zu erhalten. Weitere Informationen unter: www.bkkvorort.de

krankenkassen

ne Absenkung des allgemeinen Bei­ tragssatzes um 0,6 Prozentpunkte beschlossen, und für die GKV einen entsprechenden, aber einmaligen Son­derzuschuss aus dem Bundes­ haushalt ausgeworfen. Einerseits war das Motiv damals, die Kaufkraft der Bevölkerung in der Wirtschafts­ krise zu stabilisieren. Andererseits wollten die Partner der großen Koa­ lition die Spuren ihrer Urheberschaft für das GKV-Wettbewerbsstärkungs­ gesetz verwischen und dessen Zu­ mutungen durch ein probates Wahl­ geschenk vergessen machen. Spätes­ tens 2011 wäre jedoch wegen der ver­ fassungsrechtlichen Schul­den­brem­­ se für den niedrigeren Beitragssatz keine Gegenfinanzierung mehr aus Steu­ermitteln möglich gewesen. Die Erhöhung von Zwangsrabat­ ten für die Arzneimittelhersteller, die Einführung einer Nutzenbewertung für alle neuen Präparate und die Einführung von Preisverhandlungen für tatsächlich innovative Medika­ mente sind eigentlich spektakuläre Schritte. Dabei ist das System so an­ gelegt, dass die neu zugelassenen Prä­ parate, die keinen erheblichen the­ rapeutischen Mehrnutzen bringen, sofort dem Festbetragssystem zu­ geordnet werden. Dort können sie dann unter Preisgesichtspunkten kei­ nen nennenswerten Schaden mehr anrichten. Aber auch bei den „ech­ ten“ Innovationen ist durch die Ver­ handlungen mit Schiedsverfahren si­ chergestellt, dass die Preise gegen­ über dem Status quo um mindes­ tens 20 Prozent sinken werden.

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Änderungen im Ge­sundheitswesen ... ... bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) • Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes von 14,9 auf 15,5 Prozent. Die Arbeitnehmer tragen 8,2 Prozent, die Arbeitgeber 7,3 Prozent. Ihr Anteil wird künftig eingefroren. • Einführung von nach oben offenen Zusatzbeiträgen, die von den Krankenkassen frei festgelegt werden können. Maximale Belastung für Beschäftigte: zwei Prozent des Bruttoeinkommens. Höhere Belastungen werden durch Steuermittel ausgeglichen. ... bei der Privaten Krankenversicherung (PKV) • Möglichkeit des Wechsels in die PKV für Angestellte, wenn das Einkommen über 49.500 Euro im Jahr 2011 liegt. Für Beamte, Freiberufler und Selbstständige gilt diese Einkommensgrenze nicht. • Einbeziehung der PKV in Rabattverhandlungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Arzneimittelherstellern. Die PKV-Unternehmen sollen nicht zwangsläufig höhere Preise für Medikamente zahlen. • Wahltarife und Auslandskrankenversicherung dürfen künftig nur noch von der PKV angeboten werden.


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Gesundheitsausgaben 13% Private Haushalte 9% Private Krankenversicherung 7% Soziale Pflegeversicherung 5% Öffentliche Haushalte 4% Arbeitgeber 3% Gesetzliche Renten- und Unfallversicherung 57% Gesetzliche Krankenversicherung An 100 Prozent fehlend: Rundungsdifferenzen Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2010

Rund 263 Milliarden Euro wurden 2008 in Deutschland für die Gesundheit aus­ gegeben. 57 Prozent davon übernahm die Gesetzliche Krankenversicherung.

Die Opposition kritisiert auch dieses Gesetz als unzulänglich. Sie fordert etwa eine echte „Vierte Hür­ de“ für die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV. Zugleich kritisiert sie, dass die positiven Wir­ kungen des Arzneimittelmarkt-Neu­ ordnungsgesetzes erst mit Zeitverzö­ gerung eintreten. Dabei liegt auf der Hand, dass es kein seriöses Verfah­

ren auf der Welt gibt, bei dem man von heute auf morgen alle innovati­ ven Arzneimittel bewerten und mit einem „fairen“ Erstattungsbetrag ver­ sehen könnte. Gemessen jedenfalls an der zögerlichen Arzneimit­tel­po­li­ tik unter Ulla Schmidt zollen nicht wenige Gesundheitsexperten dem Arz­neimittel-Sparpaket von Mi­nister Rösler auch einigen Respekt. Aller­

dings gibt es Befürchtungen, dass die neuen Maßnahmen der Bun­ desregierung die erfolgreichen Ra­ battverträge der Krankenkassen ge­­ fährden könnten. Künftig sollen näm­ lich Versicherte, deren Kas­se Rabatt­ verträge mit Pharma­un­terneh­men ge­ schlossen hat, das Recht erhalten, statt des rabattierten Medikaments ein wirkstoffgleiches Mittel ohne Rabattvertrag zu wählen, wenn sie die Preisdifferenz selbst zahlen. „Das Aufweichen der Rah­men­bedin­gun­ gen versetzt den Ra­batt­­verträgen den Todesstoß, weil die Kassen den Unternehmen beim Vertragsschluss keine Umsatzgarantien mehr geben können“, glaubt daher der Vorstands­ vorsitzende der KKH-Allianz, Ingo Kailuweit. Den Kassen gingen so mögliche Einsparungen von 1,5 Mil­ liarden Euro verloren. Allerdings er­ scheinen solche Befürchtungen weit übertrieben, denn die praktische Re­ levanz dieser sogenannten „Mehrkos­ tenregelung“ dürfte sehr gering sein. Das damit verknüpfte Kos­ten­er­stat­ tungsverfah­ren ist bürokratisch und birgt für die Versicherten hohe Unsi­

cherheit über die Erstattungshöhe im Einzelfall. In­soweit ist die Mehr­ kostenregelung in ihrer jetzigen Aus­ formung unattraktiv und dürfte nur von den wenigsten GKV-Mitgliedern in Anspruch genommen werden. Die Reformen, die jetzt im Par­ lament beraten werden, haben auf die Krankenversicherung zwei un­ mittelbare Wirkungen. Einerseits ist zwar die Finanzierung der GKV (je­ denfalls für die beiden nächsten Jah­ re) sichergestellt. Andererseits ist der Wettbewerb der Kassen auf die Situation von vor einem Jahr zu­ rückgeworfen. Alle Kassen versu­ chen wieder, die Erhebung von Zu­ satzbeiträgen so lange wie möglich hinauszuschieben und dabei auch die letzten Reserven für Einsparun­ gen zu mobilisieren. So teilte der Schätzerkreis der Krankenversiche­ rung unlängst mit, dass die Kassen zunächst genügend Geld hätten, so­ fern die Gesundheitsreform umge­ setzt werde. Nach dieser Prognose könnten die Einnahmen der Kran­ kenkassen im kommenden Jahr so­ gar um rund zwei Milliarden Euro

B e tr i e b l i c h e k r a n k e n v e r s i c h e r u n g

Motivationsschub für Mitarbeiter

Kaum Zuschuss für Zahnersatz, kein Geld mehr für Brillen und Kontaktlinsen, Ausschluss für viele alternative Heilmethoden – die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bieten nur eine Grundversorgung. Die Lücken der Gesetzlichen kann jedoch eine private Zusatzversicherung reduzieren. Ganz nach Wunsch kann der Versicherte die für ihn wichtigen Leistungen zusätzlich einkaufen – von der Homöopathie bis zum Zahnersatz oder der Chefarztbehandlung. Die R+V Krankenversicherung AG etwa bietet Unternehmen einen Gruppenvertrag für die Krankenversicherung an. Ähnlich wie bei der bewährten betrieblichen Altersversorgung schließt hier der Chef einen Gruppenvertrag ab, in den seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsteigen können. Vorteil für den Arbeitgeber: Er bietet seinen Beschäftigten einen attraktiven Zusatznutzen, das stärkt die Bindung an das Unternehmen. Und übernimmt der Chef die Beiträge selbst, schafft er damit Steuervorteile. Das Konzept bringt viele weitere Vorteile: Zuerst sind dies günstigere Beiträge im Vergleich zu einer Einzelversicherung.

Des Weiteren: Entschließt sich der Arbeitnehmer innerhalb von sechs Monaten für die Zusatzversicherung, fallen die sonst üblichen Wartezeiten weg. Bei Unternehmen ab zehn Mitarbeitern verpflichtet sich R+V, jeden Mitarbeiter aufzuneh-

men. Beschäftigt die Firma mindestens 50 Mitarbeiter, von denen die Hälfte eine Versicherung abschließt, entfällt sogar die Gesundheitsprüfung. Abschließbar sind verschiedene Tarife, zum Beispiel eine Rundum-Versorgung

Eine betriebliche Krankenversicherung ist ein wichtiger Baustein der Gesundheitsvorsorge und ein gutes Instrument zur Mitarbeiterbindung.

mit dem Tarifkonzept Sorin. Dieses reduziert viele Lücken der gesetzlichen Krankenversicherung auf einen Schlag: Zahnersatz, Sehhilfen, Heilpraktiker, Heilmittel und kurzfristige Auslandsreisen. Was dem Arbeitgeber eine einfachere Abwicklung ermöglicht: Der Beitrag ist für männliche und weibliche Mitarbeiter im Alter von 21 bis 65 Jahren gleich: Er beträgt 15,10 Euro im Monat. Und zu denselben günstigen Konditionen können sich auch die Familienangehörigen der Mitarbeiter versichern. Fazit: Eine betriebliche Krankenzusatzversicherung ist ein gutes Mittel für Arbeitgeber, seine Mitarbeiter zu motivieren und im Unternehmen zu halten. In Zeiten des Fachkräftemangels wird dies immer wichtiger. Diese Investition in die Gesundheit der Belegschaft lohnt sich auch schon für kleine und mittlere Unternehmen. Weitere Informationen zum R+VFirmenKonzept erhalten Sie in den Volksbanken, Raiffeisenbanken, R+VAgenturen sowie bei der Direktion der R+V Versicherungsgruppe, Taunusstr. 1, 65193 Wiesbaden. www.ruv.de


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über den Ausgaben liegen. Das mag für die Beitragszahler noch erfreu­ lich sein, für die Patienten dagegen nicht mehr. Denn wie erwähnt äh­ nelt die Konkurrenzsituation unter den Kassen damit wieder derjenigen aus dem Vorjahr. Alle Kassen versu­ chen wieder, die Erhebung von Zu­ satzbeiträgen so lange wie möglich hinauszuschieben und dabei auch die letzten Reserven für Einsparun­ gen zu mobilisieren. Denn die Kas­ sen sparen dabei auch auf Kosten der Integrationsverträge, der Prävention und zu Lasten des Service für die Krankenversicherten. Ein echter Ver­ sor­gungs­wettbewerb sähe anders aus und wür­de auch gewisse Investitio­ nen in langfristige Vertragsmodelle erfordern. Dafür gibt es jedoch un­ ter den gegenwärtigen Bedingungen des Luft­anhaltens keine Chance. In­ soweit dürf­te sich der Versorgungsund Ver­tragswettbewerb erst dann wie­der beleben, wenn alle Kranken­ kassen einen nen­nenswerten Zusatz­ beitrag erheben müssen. Erst dann wird man sich an neue Formen des Preis-Leistungs-Ver­gleichs gewöhnen. Ein weiterer Wermutstropfen für die gesetzliche Krankenversicherung ist die Verkürzung der Wartefrist für einen Wechsel von Besserverdienern zur privaten Krankenversicherung von drei Jahren auf ein Jahr. Das wird im Frühjahr 2011 zu einer Wechsel­ welle führen, die bei der GKV Einnah­ meausfälle von bis zu 500 Millionen Euro zur Folge haben wird, rechnet der Verband der Ersatzkassen vor. Er erwartet, dass 80.000 frei­willig Ver­ sicherte die Chan­ce nutzen, um der Erhöhung des gesetzlichen Beitrags­ satzes im Januar durch einen Wech­ sel zur PKV auszuweichen. Die private Krankenversicherung kommt nach Plänen von Union und FDP zukünftig auch in den Genuss der Zwangsrabatte, die in der GKV für Arzneimittel gelten. Und auch für neue Medikamente sollen die Priva­ ten nur noch die gleichen Preise wie die Gesetzlichen zahlen. Daneben soll die PKV Gestaltungsmöglichkei­ ten durch Verträge mit den Leistungs­ erbringern erhalten, die bisher nur der GKV vorbehalten waren. Schließ­ lich plant die Koalition, im Be­reich der Zusatzversicherungen und Wahl­ tarife lukrative Geschäftsfelder für die Privaten Versicherer zu Lasten der GKV zu reservieren. Zunächst einmal ergibt sich da­ raus eine erneute Verfestigung des Doppelstandards von GKV und PKV. Die von vielen Wissenschaftlern und vor allem dem gesamtwirtschaftli­

krankenkassen

Dr. Robert Paquet ist freier Journalist und Berater für Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Zukunft der Krankenkassen.

chen Sachverständigenrat geforderte Vereinheitlichung des Krankenversi­ cherungs- und Versorgungsmarktes scheint damit wieder in weite Ferne gerückt. Allerdings gibt es einerseits den Trend, dass die PKV Steue­ rungsmechanismen der GKV über­ nimmt. Umgekehrt setzt die gegen­ wär­tige Bundesregierung mit dem Einstieg in eine einkommensunab­ hängige Prämienfinanzierung und der geplanten Ausweitung der Kos­ tenerstattung in der GKV auf „klas­ sische“ Elemente des PKV-Arsenals. Ob sich daraus als Langfristperspek­

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tive doch noch eine Konvergenz der beiden Systeme ergibt, wird sich je­ doch wahrscheinlich erst in den nächsten Wahlperioden zeigen. Der Umbauprozess im Gesund­ heitswesen ist lange nicht abge­ schlossen. Rösler hat angekündigt, dass er die Finanzierung der gesetz­ lichen Krankenkassen stärker am Vor­bild privater Versicherungen aus­ ­richten will. Gesetzlich Versicherte sollen ihren Arzt künftig freiwillig per Vorkasse selbst bezahlen. Ge­ genwind ist ihm gewiss. Dr. Robert Paquet

sta b i l i tät

Prämien statt zusatzbeitrag Die gesetzlichen Krankenkassen erhöhen die Beiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent: Gleichzeitig drohen weitere Zusatzbeiträge. Immer mehr Kassen schlittern in die roten Zahlen. Nur eine einzige bundesweite Kasse verzichtet seit 2009 auf Zusatzbeiträge und schüttet stattdessen Prämien aus: die hkk Erste Gesundheit aus Bremen. Vorstand Michael Lempe erklärt, warum. Warum haben andere Kassen keine Alternative zu steigenden Preisen? Mittlerweile legt ja die Regierung die Beitragshöhe fest; die Kassen dürfen nur die Zusatzbeiträge beziehungsweise die Prämienausschüttung selbst bestimmen. Teurer wird es deshalb, weil die Politik vor der Bundestagswahl Geschenke verteilt hat: jeweils 3,5 Milliarden Euro zusätzlich für Ärzte und Krankenhäuser. Auf ähnliche Weise sollen auch die Hausarztverträge den Ärzten ein weiteres Honorarplus bescheren. Die Zeche zahlen die Kassen und somit die Versicherten. Die Gesundheitsausgaben steigen und steigen. Warum gelingt es nicht, auf die Bremse zu treten? Ärzte, Krankenhäuser und Arzneimittelhersteller sind nun mal daran interessiert, möglichst viel Geld aus dem System herauszuholen: Die Praxis soll bezahlt werden, das Krankenhaus florieren. Der demografische Wandel spielt dagegen eine viel kleinere Rolle – schließlich fallen mehr als 80 Prozent aller Kosten in den letzten Lebensmonaten an, egal ob ein Mensch diese mit 70 oder mit 90 Jahren erreicht. Die

Politik muss den Effizienzgedanken viel konsequenter gegen den Widerstand der Lobbygruppen durchsetzen. Einigen Krankenkassen laufen die Mitglieder davon, weil sie Zusatzbeiträge erheben. Wieso kann die hkk stattdessen 60 Euro Prämie pro Jahr ausschütten? Wir sind Preisführer in Deutschland, so­dass wir bis Ende des Jahres mit mehr als zehn Prozent Neukunden rechnen. Wir können auch 2011 und wahrscheinlich sogar 2012 auf Zusatzbeiträge verzichten und stattdessen Prämien auszahlen. Was die hkk besser macht: Wir haben über viele Jahre hinweg kaufmännisch sehr gut agiert; hinzu kommen ein sehr gutes Vermögen, ausreichende Pensionsrückstellungen sowie Verwaltungskosten, die 20 Prozent unter dem Branchendurchschnitt liegen.

Zum Thema Kundenzufriedenheit: Beim M+M-Versichertenbarometer erreichen wir den Wert 1,77 und beim TÜV Nord die Zertifizierung „gut“. Gleichzeitig bieten wir überdurchschnittliche Leistungen, zum Beispiel im Bereich Vorsorge. Was gibt Ihren Kunden die Sicherheit, dass dieses Preis-Leistungsverhältnis von Dauer ist? Harte Zahlen, untermauert durch unabhängige Untersuchungen. So hat das Deutsche Finanz-Service Institut (DFSI) im Auftrag des Magazins Focus Money im August die Finanzdaten aller 157 Krankenkassen abgefragt. Nur 13 besonders finanzstarke Kassen haben sich der Analyse gestellt. Die hkk erzielte in der Kategorie Beitragsstabilität den ersten Platz, aber auch in der Gesamtwertung den Spitzenrang „sehr gut“. Das spricht für sich. www.hkk.de

Vorstand Michael Lempe macht die hkk mit modernem Management zum Preisführer.


Spannende Unternehmen in Life Science und Healthcare mit spezialisiertem Eigenkapital und tiefem Branchenwissen unterstützen – das ist unser Ziel! TVM Capital beteiligt sich mit zwei Teams und zwei Konzepten, Life Science Venture Capital und Healthcare Private Equity, an wachstumsstarken Unternehmen aus dem Gesundheitsmarkt. • Unser Life Science Venture Team beteiligt sich an innovativen Life Science Unternehmen. Der Schwerpunkt unserer Beteiligungen liegt dabei auf neuen Technologien zur Entwicklung innovativer Produkte sowie neuen medizinischen Wirkstoffen und medizintechnischen Geräten. • Das Healthcare Private Equity Team beteiligt sich mit Wachstumskapital und durch Buyouts an mittelständischen, stark wachstumsorientierten Unternehmen aus den Bereichen Pharmazie, Diagnostik und Medizintechnik, sowie an Dienstleistungsunternehmen der Gesundheitswirtschaft. Munich – Boston – Dubai www.tvm-capital.com


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