GARTENBESUCH
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Das weisse Fest
Alles atmet Wohlgefühl. Alles ist weiß geschmückt. Willkommen bei Sieglinde und Rudolf Hiller in Schwaben. Wir lauschen den Geschichten vom stillen Garten und seinem weisen Besucher, dem Winter. TEXT: STEPHANIE LAHRTZ FOTOS: NICOLE LAUTNER
Hochsaison in Schwarz-Weiß. Laterne und Pavillon mit Schneehäubchen, schräg dahinter der Schwimmteich, zugefroren, Bäume und ringsum die Koppel.
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Heike und Divina, die zwei Reitpferde, stäuben kraftvoll das glitzernde Pulver auf. Darunter: Das Häuschen unter der ausladenden Buche ist Nothilfestation für verwundete Tiere, etwa Hasen, die verletzt aufgefunden werden.
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ir haben das Wintermärchen efunden, bei Familie Hiller hinter der alten g Mühle im schwäbischen Mittelstetten. Wir sehen kräftige Buchen, deren Äste sich schneebedeckt sanft neigen. Ab und an lassen sie einen übermütigen Schauer hauchzarter Flöckchen herabrieseln. Wir sehen Erlen und Weiden, die vom Frosthauch des Mühlenbachs, der Singold, überzogen sind. Dahinter schlafen die mit unberührten weißen Decken überzogenen Felder, die den Hillers gehören, sie sind Biobauern. Da stehen – wie eine starre, glitzernde Garde in der Wintersonne – Bäume und Sträucher am Ufer Spalier. Davor tollt die pure Lebensfreude, sie hat einen Namen: Leopold, der Berner Sennenhund von Sieglinde, 53, und Rudolf, 55. DAS SPIEL DER ATEMWÖLKCHEN
Leopold stürmt aus dem alten Bauernhaus auf die unberührte Schneewiese. Wälzt sich, jault vor Freude. So hört sich das wohl an, wenn Hunde fröhlich singen. Dann springt er auf, die Schnauze schneeweiß, das Fell lockt sich feucht. Herrchen hat noch keine Zeit, mit ihm zu toben. Denn auch die zwei glänzend braunen Reitpferde Divina und Heike dürfen an die Sonne. Noch schnell durch die kleine Furt der Fischtreppe in Sieglindes Garten getrabt – hierzu gleich mehr –, eine kleine Wasserfontäne produziert, dann ist die Koppel hinter dem Garten erreicht. Sonne, Luft, Licht! Die Stuten vollführen fröhliche Bocksprünge, ausgelassen den ganzen Zaun entlang, über ihnen steigen die Atemwölkchen in den stahlblauen Winterhimmel. Wenn unsere Zehen nicht schon so richtig kalt wären, könnten wir noch lange hier stehen, Leopold, die Pferde, und die reine Natur genießen. „Unsere Fischtreppe“, sagt Sieglinde Hiller mit heiterer Stimme, „die haben wir uns ausgedacht und dann mit
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Gartenromantik jetzt im Februar. Wassermusik und ein Schleier aus Dunst, am Überlauf der Singold, das gehört alles zum Garten.
fachlicher Hilfe vom Wasserwirtschaftsamt vor acht Jahren verwirklicht.“ Aber bitte, was ist das genau, und warum brauchte es die hier? LIEBE FISCHE, HIER EURE TREPPE
Eine Fischtreppe ist eine Auf- und Abstiegshilfe für Wanderfische. Bei Hillers ist sie als Bächlein durch den Garten gestaltet, bestehend aus 16 Abschnitten, jeder ungefähr eine Handbreit höher als der davor. Das können Fische problemlos überwinden. „Ich liebe Wasser. Ich wollte möglichst viel davon im Garten haben“, schwärmt die Hausherrin. „Das Plätschern beruhigt
mich, es lässt mich träumen. Regt mich zu Gedankenreisen an. Außerdem bringt es mir Frische. Damit meine ich nicht nur Kühlung im Sommer.“ Auch zu anderen Zeiten bedeutet Wasser für sie unverfälschte Natur, erfrischt seine Klarheit das Gemüt. „Bei uns war eine Fischtreppe nötig, weil der Höhenunterschied der Singold von ungefähr zwei Metern vor dem Mühlrad so groß war, dass einheimische Fische wie Forelle, Äsche und Bachsaibling nicht weiterkamen“, erklärt die Biobäuerin weiter. „Ihnen wollten wir mehr natürlichen Lebensraum geben.“ Mit einem Rasenmäher
hat Sieglinde also damals große und kleine Kurven und Schwünge in den Rasen gezogen. Dort wurde dann gebaggert, mit Kies ausgelegt, die Singold eingeleitet. „Schon nach einer Stunde ist der erste Fisch durch unser neues Gartenbächlein geschwommen“, erinnert sich Rudolf Hiller, der wieder zu uns gestoßen ist. Natürlich wurde, Sieglinde und den Fischen zuliebe, auch ein Schwimmteich angelegt. An seinen tiefsten Stellen misst er ungefähr 1,5 Meter. „Wenn es ganz heiß wird, gehen mein Pferd Divina und ich sogar zusammen baden“, sagt die Reiterin lachend. Manchmal noch vor dem Früh- ➻
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Buchskugeln säumen den Mühlbach, der einen Namen hat, er heißt S ingold. Darin eine Treppe für die stummen Nachbarn: die Fische, die hier leben.
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Eine Puppe mit verträumtem Gesicht, in feine Spitze gehüllt. Sieglinde Hiller (unten): „Hier ist meine Traum ecke, hier ruhe ich mich gerne aus.“
stück. Der Teich mit seinen Wildgräsern und Rohrkolben ist nun eine in der Sonne glitzernde Fläche. Im Frühjahr wandelt er sich zum Laichplatz für die Singold-Bewohner. Jetzt sorgt nur das Gartenbächlein für Bewegung. „ICH MAG ES NICHT ÜBERTRIEBEN“
Es gibt Sieglinde Hiller nicht nur ihr geliebtes Wasser, es gibt auch dem Garten seine Struktur. Manchmal steht ihm eine nun überfrorene Hasel, eine Forsythie oder ein Rosenbusch zur Seite. „Ich mag es nicht übertrieben“, erklärt sie ihr Konzept. „Ein paar heimische Sträucher und Stauden geben Farbe, aber mehr soll nicht von meinem klaren Wasser ablenken.“
Logisch, dass sie von allen Gartenarbeiten das gelegentliche Säubern des Baches am liebsten mag. „Angefaulte Ästchen oder Schlingpflanzen, das muss halt raus, sonst ist die Fischtreppe schnell verstopft.“ Sieglinde und Rudolf Hiller toben mit Leopold noch ein bisschen über den weiten Schneeteppich. Und sie klauben abgebrochene Äste aus dem Mühlrad. Damit wird zwar kein Mehl mehr gemahlen, aber es wird Strom für Haus und Hof produziert. Die Kälbchen drüben im Stall wollen es ja auch im Winter schön warm haben. 3
✽ Biobauer Hiller: Mühlweg 3, 86830 Schwabmünchen, Ortsteil Mittelstetten, Tel.: 08232/41 21
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