Heiteres Gemälderaten mit Musikbegleitung
Die Styriarte huldigte Caravaggio und Monteverdi
StefanEnder
Der eine war ein wilder Hund und vielleicht der Heftigste und Sinnlichste seiner Zunft: Caravaggio In seinen Bildern: das echte, schmutzige, faltige Leben, in Szene gesetzt aber wie eine Show Scheinwerfer an! Wen interessierte derapollinischeManierismusseiner Vorgänger?MichelangeloMerisium 1600 mit Sicherheit nicht.
Der andere schlug zur selben Zeit gang- und hörbare Pfade durch das Dickicht der polyphonen, kontrapunktischen Renaissancemusik. Weniger ist mehr, „reduce to the max“ Eine Singstimme, eine Klampfe und ein paar Akkorde Im Wesentlichen sind die IngredienzienderMusikClaudioMonteverdis und die der heutigen Popmusik die gleichen
Warum nicht beide italienischen
Pioniere des Barock zusammenspannen? Die Styriarte versprach für einen Abend in der Grazer Helmut-List-Halle einen Dialog zwischen Caravaggio und Monteverdi“ Für den Maler war die Gruppe Teatri 35 zuständig: Gaetano Coccia, Francesco Ottavio De Santis und AntonellaParrellastelltenunterZuhilfenahmevonvielenTüchernund wenigenRequisiten18Gemäldevon Caravaggio und ein CaravaggioPorträt von Ottavio Leoni als Tableaux vivants nach.
Musik zum Umkleiden
Parallel dazu interpretierte das fünfköpfigeEnsembleLaVenexiana Werke von Monteverdi, Benedetto Ferrari,SigismondoD’Indiaundanderen. Zu einem Dialog kam es dabei nicht wirklich Die neun Vokalwerke bezogen sich nicht auf die 19 Gemälde, sondern wirkten als Begleitmusik für die UmkleidetätigkeitunddiePosenderSchauspieler
Die drei verstanden es, mit einfachsten Mitteln stimmungsvolle Caravaggio-Stills zu kreieren. Ein Schmunzeln entlockte dem Publikum dabei das gruselige Highlight der Bilderreihe, Salome mit dem Kopf Johannes‘ des Täufers Auch derFingerdesungläubigenThomas in der Wunde von Jesus wurde von den meisten als solcher erkannt. Da die katholische Kirche ein kardinaler Auftraggeber Caravaggios war, wurde man einer Folge von Martyrien, Kreuzigungen und Auferweckungen ansichtig Wäre es eine gute Idee gewesen, wenigerTableauxvivantszuzeigen, diese dafür aber jeweils mit einem dazu passenden Musikstück zu kombinieren? Wahrscheinlich Wäre es interessant gewesen, dazu im Hintergrund Projektionen der dargestellten Werke einzublenden, samt Titeln? Möglicherweise. So hörte und sah man in der Helmut-List-Halle Dinge, die nicht wirklich etwas miteinander zu tun hatten Auf der linken Seite berichteten zwei Sängerinnen (Emanuela Galli, Agnese Allegra) und ein Sänger (Giacomo Schiavo) mit mehr oder weniger gefälligen Stimmen von Liebe und Leid in Hirten- und Götterkreisen,umtröpfeltvonCembalo und Theorbe RechtswickeltensichdreiSchauspielereinundausundnahmeneinminütige Posen ein. Und doch: Als ReaktionaufdasheitereGemälderaten mit Musikbegleitung flutete nach einer guten Stunde begeisterterApplausdieHalle.EinBeweisfür die „Macht der Musik“, so das diesjährige Motto der Styriarte? Oder doch einer für die der Bilder? Wer weiß. pstyriarte.com
„KitschbrauchtdenAntikitsch“
Kommende Woche starten die Festspiele Reichenau, bald darf man vor Ort auf Stücke von Autorinnen hoffen: Intendantin Maria Happel verspricht Reformen für das Theater im Schatten der Rax
INTERVIEW: Margarete Affenzeller
Maria Happel ist für Überraschungen gut Die Burgschauspielerin, kurzzeitige
Reinhardt-Seminar-Leiterin und nun in ihre dritte Saison gehende Festspielchefin hat für ihre Intendanz bei den Festspielen Reichenau eine Entdeckung aus China im Talon: Stefan Zweigs Stück 24Stunden aus dem Leben einer Frau Die Inszenierung von Meng Jinghui hat Happel im Vorjahr nahe Schanghai so fasziniert,dasssiejetztallestut,um sie nach Reichenau zu holen.
STANDARD: MengJinghuisInszenierung könnte bald in Österreich zu sehen sein?
Happel: Ja, ich arbeite daran. Es ist mir ein Anliegen, dass das Programm der Festspiele nicht im Regionalenversuppt,dasistjaklar Ich will auch internationale Perspektiven hereinholen, und Mengs Arbeit hat mich total begeistert.
STANDARD: Sie sind dabei, Reichenau in die Zukunft zu führen. Haben SiefürdieFestspieleeineDramaturgie definiert – im Unterschied zu dem, was vorher war?
Happel: Ich würde sagen, InnovationkommtausderTradition–und davon gibt es in Reichenau genug Ichweißauch,dassmaneinfahrendes Schiff nicht umdrehen kann Ein Kurswechsel ist aus meiner Sichtnichtnötig,abereineEntwicklung gibt es sehr wohl Das Publikum erwartet zwar jene Autoren, die mit der Landschaft vor Ort verbunden sind. Schnitzler steht auf der Wunschliste immer an erster Stelle – wir haben Umfragen gemacht.AberesgibtauchheuteMenschen, die sich von dieser Gegend inspirieren lassen
STANDARD: Woran denken Sie da? Happel: Sommerfrische kriegt der-
zeit eine neue Bedeutung. Das hat einerseits mit der Pandemie zu tun, aberauchmitdemKlimawandel.Es hatimSommeramSemmeringeinfachsieben,achtGradwenigeralsin der Stadt. Das ist ein Thema Ein weiterer wichtiger Grundpfeiler ist die Nähe zu Wien Unser Publikum ist in der Regel zwar älter, aber es verjüngt sich laufend.
STANDARD: Welche Reformschritte unternehmen Sie?
Happel: Wir sind noch nicht ganz beidenlebendenZeitgenossen DiesesJahristeseinSprungzuThomas Bernhard DieArbeitanDerIgnorant undderWahnsinnige ist insofern besonders,alsHermannBeildasStück inszeniert,dernocheinWeggefährte Bernhards war Gemeinsam mit ThereseAffolterundMartinSchwab gibt er die Staffel weiter Wir versuchen auch, mit Dramatisierungen und Überschreibungen die Stücke und Stoffe ins Heute zu führen
STANDARD: An welches Publikum richtensichdieFestspiele?Andasbürgerliche, das aus Wien anreist?
Happel: Nach Reichenau kommt jenes Publikum, das sich für meine Art des Theaters interessiert. Und mirliegtesamHerzen,Geschichten zu erzählen, von Anfang bis zum Ende Das fehlt mir am Theater manchmal Das Zerrissene hat genauso seine Berechtigung, aber dafür stehe ich nicht. Der Deal mit Emotionen – dafür gehe ich ins Theater.
STANDARD:Intendanzwechselgehen üblicherweise mit einer Verjüngung einher DasDurchschnittsalterderRegieführenden in Reichenau liegt 2024 aber bei über 70 Jahren Happel: Es ist schlicht ein Zufall, dass wir im Alter heuer so hoch liegen. Ich bin immer dafür, junge Ta-
lente zu fördern Heuer bin ich etwas in die eine Richtung gerutscht, aber das kann man ja wieder ausgleichen
STANDARD: Sie hatten bisher auch keine einzige Autorin dabei – zwölf Stücke von zwölf Autoren. Ist Ihnen diese Schieflage kein Dorn im Auge? Happel:IchbinnatürlichaufderSuche nach Autorinnen oder zumindest nach Stücken, die ein Frauenschicksal in den Vordergrund rücken Frauen müssen einfach vorkommen, klar! Ich führe entsprechende Gespräche, doch sie betreffen erst die nächste Spielzeit Darüber hinaus überlege ich, eine Art Stückewerkstatt für junge Schreibende im Herbst einzuführen. Der Plan war auch immer, dass genug Jugendliche aus dem Reinhardt-Seminar eine Chance bekommen
STANDARD:IstdieseVerbindungzwischenReichenauundReinhardt-Seminar durch Ihren Abgang als Leiterin unterbrochen worden? Happel: Keineswegs, der Kooperationsvertragistweiteraufrecht,und ich stehe zu diesem Angebot.
STANDARD: Ist Ihnen inzwischen klar,wasdieStudierendenmitdemoffenen Brief von Ihnen wollten? Happel: Nicht wirklich. Ich musste aberauchirgendwannaufhören,darüber nachzudenken Es gab ja in dieser Sache bedauerlicherweise keine Gesprächsbasis.
STANDARD: Wenn Sie von einer Schreibwerkstatt sprechen, haben Sie da auch Stückaufträge im Auge? Happel: Ganz genau, auch mit einer Jury Es wäre toll, wenn sich junge Autoren und Autorinnen mit der Semmering-Gegend und den hier liegenden Themen literarisch beschäftigen
STANDARD: Zurück zu Max Reinhardt. Sie zitieren gern seine berühmten Sager, etwa jenen von den Schauspielern, die „sich die Kindheit in die Tasche gesteckt haben“. Ist das nicht eine verklärende Sicht auf den Beruf? Happel: Ich denke, es geht ihm um dieses spielerische Moment, das Kinder antreibt, sobald sie sich von der Welt etwas abgeschaut haben. Dann heißt es, ich bin die Mutter, und du bist das Kind! Also diese Behauptung, etwas zu sein, oder Rollen zu vergeben.
STANDARD: „Wir leben davon, dass uns die alten Zauberer die Geheimnisse ins Ohr flüstern“ – das ist doch Kitsch Happel: Aber trotzdem funktioniert esgenauso.GuterKitschistjanicht zu verachten! Vor allem dann nicht, wenn er sich mit Antikitsch verbindet wie bei Claus Peymann, da hab’ ich mir viel angeeignet.
STANDARD:SiehabenineinemInterview gesagt, Frauen müssen sich heute nicht mehr von Regisseuren quälen lassen Haben Sie „Qualen“ erlebt? Happel: Das liegt lange zurück. In meinem Fall und den Fällen vieler KolleginnenundKollegenwaresoft übergriffig. Man wurde vorgeführt, vor Kollegen verbal durch den Schmutz gezogen. Der Punkt war auch, dass wir oft geschwiegen haben. Jeder und jede war froh, wenn es einen anderen getroffen hat, und wir sind nicht aufgestanden. Regisseure sagten, man müsse einen Schauspieler „wund machen, und am nächsten Tag kriegt man, was manwill“.Einesadomasochistische Vorgehensweise!MeineMotivation, Regie zu führen, kommt aus dem Willen zu beweisen, dass man auch ohne Sadismus inszenieren kann.
MARIAHAPPELIeitetReichenauseit2021.
Maria Happel geht bei den Festspielen Reichenau in ihr drittes Jahr als Intendantin, ist dem Festival aber schon viele Jahre verbunden.