No Robots Magazine
#5, Dezember 2016
Ist hier jemand?
Inhalt. An Weihnachten bin ich Christ
S. 4
Ich glaube an Gott. Nicht an den Menschen.
S. 7
Oh, Jesus!
S. 10
Ausgleichende Gerechtigkeit
S. 13
Mein religiöses Bild
S. 16
Deus ex Reimelexika
S. 18
Favourites by Stefanie
S. 20
Manga für alle
S. 21
Auferstanden von den Toten
S. 24
Erzähl mir von
S. 28
Hallo! Oh, Hallo! Jetzt im Advent spielt Religion ja plötzlich wieder eine riesige Rolle in unserem Alltag. Wir feiern jeden Tag ein bisschen, klappen Türen auf, zünden Kerzen an, lassen uns vom Heiligen Nikolaus Geschenke in die Stiefel stecken und warten auf's Christkind. Nur ... mit Religion hat das ja eigentlich schon lange nichts mehr zu tun und statt das Jesukind feiern wir plötzlich den Weihnachtsmann, der nicht mehr viel mit dem weihnachtlichen Gedanken zu tun hat. Welche Rolle spielt Religion also überhaupt noch für uns? In dieser Ausgabe erzählen Autoren von ihrem ganz persönlichen Verständnis von Gott, sei es der traditionelle, christliche Glaube, die eigene Intuition oder ein Mix aus allem. Dabei fiel schnell auf: So richtig darüber reden wollte eigentlich keiner gerne. Aber warum eigentlich nicht? Was macht Religion so privat? Finde es heraus! Deine
Larissa
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von einem anonymen Autor
AN WEIHNACHTEN BIN ICH CHRIST
Titelthema Es ist Samstag. Ich stehe in der Schlange vor der Supermarktkasse. Neben mir Paletten mit Aktionsware, hauptsächlich Kekse, Spekulatius und Marzipan. Der Duft einer zerbrochenen Flasche Glühwein mischt sich mit einem penetranten, fruchtigen Parfum einer älteren Dame vor mir. Über mir erklingt „Feliz Navidad“ in einer unsäglichen Instrumentalfassung, und hinter mir brüllt seit zwei Minuten jemand „Kasse, Kasse! Können Sie noch ne Kasse aufmachen?“ – Nein, können sie nicht, alle Kassen sind besetzt und die weihnachtliche Stimmung ist auch für das Personal kaum noch zu ertragen. Weihnachten. Diese Zeit, die stillste zu nennen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Und ich sammle meine Ruhe, so gut ich das nur kann. Dabei kommt mir eine Frage in den Sinn, die mir kürzlich gestellt wurde. Ich wurde gefragt, ob ich religiös sei. Bei der Frage schwang die Erwartung mit, dass ich Atheistin sei. Nein, ich bin nicht atheistisch. Eine einfache Antwort konnte ich dennoch nicht
geben. Meine Kindheit war von meinem katholischen Umfeld geprägt. Ich selbst verbrachte viel Zeit in der Kirche, ob mit der Jungschar oder der katholischen Jugend – meine Freunde waren katholisch und ich auch. Das veränderte sich schlagartig, und ich war auch im evangelischen Religionsunterricht als Gasthörerin. Mein Motiv war weniger ein spirituelles, als vielmehr eine Nebenerscheinung meiner Pubertät: eine wunderschöne Frau, die eben nicht katholisch war und der ich nur auf diese Art nahe sein konnte. Oh ja, das Leben als Teenager führte mich auf neue Wege. Vier Jahre meiner Schulzeit besuchte ich freiwillig auch den „anderen Religionsunterricht“. Der Lehrer war ein junger, engagierter Pfarrer, der auch mal Tora, Koran und buddhistische Grundlagen in den den Unterricht einfließen ließ. Das war alles sehr spannend, und ich vergaß, was mich ursprünglich in diese Klasse gebracht hatte. Religionsunterricht war nicht mehr nur trocken und
MEIN GLAUBE PASST IN KEINE RELIGION 5
einseitig, denn anders als bei den Katholiken war hier alles undogmatisch und es war nicht nur erlaubt, sondern erwünscht auch mal den eigenen Glauben zu hinterfragen. In meiner Familie war alles beim alten geblieben, ich war noch lange aktives Kirchenmitglied. Das änderte sich erst, als einige Jahre später meine Großeltern ins Heim mussten, weil sie zu Hause nicht mehr zurecht kamen. Meine Großmutter wuchs in einer Zeit auf, als man Katzen noch ein Schälchen Milch ans Fenster stellte. Es gab klare Regeln: Der Mann hatte das Sagen und die Frau hatte sich um Kinder und Haushalt zu kümmern. Meine Großmutter hatte sich immer an alle Regeln gehalten. Aber plötzlich hielt sich ihr Gehirn nicht mehr an die Regeln. Ihre Erinnerungen wurden lebendig und ihr Alltag erschien ihr wie ein Traum. Demenz hatte von ihr Besitz ergriffen. Die Augenblicke, in denen sie klar war wurden seltener. Es fiel mir schwer, mit ihr zu sprechen, denn der geliebte Mensch, der sie mal war, war nur noch schwer in ihr zu erkennen. Eines Tages erzählte sie etwas, das am Anfang wie einer ihrer Tagträume klang.
Wenn ich bete, dann meist allein. Endlich erreiche ich die Kasse, darf meine Einkäufe bezahlen. Die Verkäuferin beantwortet meine weihnachtlichen Grüße höflich, aber automatisiert. Ich gehe durch die beleuchtete Stadt, nach Hause zu meiner Familie. Heute Abend werden wir zusammen sitzen, Kerzen anzünden und Lieder singen. Für mich ist es nicht ein Fest der Geschenke, es ist ein Fest der Liebe, das Fest der Familie. Ja, an Weihnachten bin ich wohl immer noch Christ.
Während meine Großmutter versuchte, Kaffee zu kochen, erzählte sie von ihrer Mutter, die ihre körperlichen Reize einsetzte, um von einem Beamten saubere Papiere zu bekommen. Sie erzählte von ihrer Mutter mit einer Mischung aus Verachtung und Stolz. Mir wurde in diesem Augenblick klar: Meine Urgroßmutter war Jüdin und somit meine Großmutter auch. Niemals hatte jemand in der Familie auch nur ein Wort darüber verloren. Es gab eine Mauer des Schweigens. In mir wuchs aus diesem Gespräch eine große Neugierde, und ich begann mich mit dem Judentum zu beschäftigen. Es reichte nie aus, um zu konvertieren. Niemand in meinem Umfeld praktiziert den Glauben und niemand lebt die Rituale. Dennoch blieb eine spirituelle Note, wie eine Grundton in meiner Seele zurück. Ich bin keine Atheistin, keine Katholikin, keine Jüdin. Mein Glaube passt in keine Religion, mein Gott in keine Kirche, meine Gebete in keine Bücher. Wenn ich mit meinem Gott spreche, dann duze ich ihn.
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ICH GLAUBE AN GOTT. NICHT AN DEN MENSCHEN.
von Larissa Strohbusch
„Dieser Harry Potter ist ein Diener des Teufels.“ Die Hälfte der Menschen im Raum hörte kaum zu. Sie waren nur hier, weil Freitagabend war. Und freitagabends ging man eben in den Jugendkreis – man hatte eine Fifty-Fifty-Chance, dass man etwas Lustiges unternehmen würde. Wenn man Pech hatte, dann war Bibelstunde. So wie an diesem Abend. Die andere Hälfte nickte dem Gastredner beipflichtend zu. Nur ich saß da, mit geballten Fäusten und meinem Bauch zog sich ein kleines hartes Knäuel an Wut zusammen. Wer war dieser Typ? Wer gab ihm die Erlaubnis, hier von Dingen zu sprechen, von denen er keine Ahnung hatte? Wenn Jesus über Wasser laufen konnte, wer weiß denn dann so sicher, dass Gott nicht auch anderen Menschen Zauberkräfte gibt? Das war der letzte Freitagabend, den ich mit dem CVJM verbracht habe. Das war der Abend, an dem ich mit der Kirche gebrochen habe. Ich bin nicht wirklich christlich erzogen worden – wahrscheinlich bin ich sogar religiöser als der Rest meiner Familie. Aber manches gehört auf dem Land eben dazu: kirchliche Trauung, Taufe, Jungschar, Konfirmation. So lange man nur den Hauch einen spirituellen Bewusstseins hat, geht man diesen Weg einfach. Doch irgendwann stellte ich fest: Ich glaube nicht an das, was die christliche Kirche mich lehrt. Ich glaube nicht an den Menschen als „Krönung der Schöpfung“, dem alles andere untertan sein soll. Ich glaube nichnt, dass ein Buch mir sagen kann, wer oder was Gott ist. Ich glaube nicht mal, dass wir Gott überhaupt begreifen können. Nein, ich bin sogar überzeugt: Kein Mensch hat das Recht, mir Gott zu erklären. Meinen religiösen Weg wies mir ausgerechnet ein anderer Zauberer. Der be-
rühmte Merlin fragt sich im Roman „Die Nebel von Avalon“ von Marion Zimmer Bradley:
möchte er? Vielleicht möchte er gar nichts. Vielleicht sind wir ein Experiment, ein Schachspiel oder nur Laborratten. Ich weiß es nicht. Aber ich glaube an etwas. Ich glaube daran, dass – sollte Gott das Leben, das Universum und den ganzen Rest geschaffen haben – dann möchte er meiner Meinung nach folgendes: einen respektvollen Umgang mit seiner Schöpfung. (Aber wer bin ich kleiner Mensch schon, um darüber etwas zu wissen?) Ich weiß nicht, wie man meinen Glauben nennen mag. Naturreligion? Alte ÖkoTussi? Ekelhafter Gutmensch? Ich glaube daran, dass ich Gott nicht in von Menschen erbauten Steinhäusern ehren kann oder dass ich dafür Geschichten von Menschen über Menschen brauche – sondern indem ich das Licht ausschalte, wenn ich es nicht mehr nutze. Indem ich zu Fuß gehe, statt das Auto zu nehmen. Indem ich keine Schweine esse, die als Nahrungsprodukt in enge Käfige gesperrt werden. Indem ich der Welt mit Respekt begegne – egal, ob es die Supermarktkassiererin ist oder der Flüchtling, die christliche Oma oder das indische Kind aus der Kita. Egal, ob es dein Hund ist, oder die Katze der Nachbarn, die Taube auf dem Dach oder die Fliege, die mich nachts so nervt.
Wie kann Gott in einem von Menschen gebauten Steinhaus sein? Gibt es Gott überhaupt? Ich weiß es nicht, genauso wenig wie jeder andere Mensch auf der Welt. In diesem NichtWissen sind wir alle gleich. Doch ich möchte es glauben, denn die Suche nach Gott ist, wenn nicht vor allem eines: der Wunsch nach Trost und Halt im Angesicht des endlichen Daseins. Und wenn dem so sein sollte, was ist Gott? Ein liebevoller Vater? Eine ganze Reihe von überirdischen Wesen, die um uns pokern? Ein Alien? Eine Energie? Das Leben an sich? Oder vielleicht auch einfach nur der pure Zufall? Egal, wie oder was er/sie/es ist, es ist etwas, das der Mensch nicht erfassen kann oder vielleicht auch gar nicht erfassen soll.
Wir werden Gott nicht finden. Aber wenn es ihn gibt, wenn es ein Wesen, eine Macht, eine Energie gibt, die Einfluss nimmt, dann können wir zumindest eins: sein Wirken sehen. Wir sind sein Wirken. Das Gras ist sein Wirken, die Wolken, die Ameisen, der Fluss, die Apfelbäume und die Maden in den Äpfeln. Die Evolution, die Quantenphysik und die Relativitätstheorie. Neid, Zank, Freundschaft, Liebe, Demut und Sexualität. Die Christen sprechen von der „Schöpfung“. Was sehen wir von Gott, wenn nicht ebendiese? Warum hauen wir Felsen klein, um aus den Steinen Häuser zu bauen, um Gott darin zu suchen? Warum schlagen wir Bäume, um aus dem Holz Papier zu machen, es mit menschlichen Geschichten zu beschriften und Gott darin zu suchen?
Ja, wenn man so will, dann glaube ich an die Liebe.
Wo ist Gott, wenn nicht in dem, was er geschaffen hat? Und wenn Gott ein Bewusstsein hat, etwas, das uns Menschen gleicht, was
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OH,
JE SU S!
von Jessi
Religion ist eine Krücke für die schwachen Menschen, so kommt es mir immer vor, wenn ich erzähle, dass ich Christin bin. Also erzähle ich nur noch selten davon. Das fällt mir nicht besonders schwer, denn das Thema kommt sehr selten auf.
Mit der Flüchtlingsdiskussion wird wieder mehr über Religion geredet.
Ich denke, ich hätte eine Meinung dazu, die man sich anhören könnte. Denn ich kann es nachvollziehen, was es heißt, religiös zu sein. Wenn ich aber erzähle, dass ich an Gott glaube, so richtig wirklich und auch in die Kirche gehe, bete, all das, dann werde ich schräg angeschaut. Ich merke, dass ich dann für naiv gehalten werden. Als wäre ich noch nicht richtig erwachsen, würde noch bei Mama am Rockzipfel hängen. Denn da muss ich das ja her haben, von meinen Eltern. Habe ich auch, aber jetzt ist meine Religion mein Eigenes und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht. Das wird mir selten geglaubt, denn Glauben kommt heute schlecht an. Die Meisten finden es naiv und Gott braucht man auch nur, wenn man selbst sein Leben nicht auf die Reihe bekommt.
Du betest, weil du deine Probleme allein nicht gelöst bekommst. Du glaubst an ein Leben nach dem Tod, weil dein jetziges Scheiße ist und glaubst nur an etwas, was größer ist als du selbst, weil du selbst dir so klein vorkommst.
Die anderen schauen mich an und denken, schön, dass du einen Strohhalm gefunden hast. Ich kann aber auf eigenen Beinen stehen. Unabhängigkeit und Stärke geht nicht mit Religion zusammen. Als Frau schon gar nicht. Dass man sich selbst für den Glauben entschieden hat, glaubt keiner. Den muss dir doch jemand eingeredet haben.
ich bin menschlich. Jesus kam, um sich denen anzunehmen, die Hilfe brauchen. Und wenn wir ehrlich sind, brauchen wir alle irgendwann einmal Hilfe. Ob wir es begreifen oder nicht. Egal, ob wir jetzt stark tun. Meine Religion ist das Wissen, dass ich bereits eine Lösung habe, wenn etwas schief geht. Das finde ich sehr erwachsen und weitsichtig und klug. Deshalb ärgert es mich, dass Religion irgendwie immer mehr mit Unintelligenz gleichgesetzt wird. Als wäre es eine natürliche Entwicklung hin zum Nicht-Glauben, wenn man nur klug genug ist und lange genug darüber nachdenkt. Und dann denke ich, vielleicht können wir mit anderen Religionen so wenig anfangen, weil wir selbst verlernt haben, den Glauben an etwas zu akzeptieren.
Manchmal werde ich darüber richtig sauer. Und wünsche mir, dass Gott es allen zeigt. Dass er sich mal zeigt als allmächtig und ein paar Feuerblitze schießt, damit sie alle vor ihm niederknien. Das ist natürlich ein unchristlicher Gedanke, das ist mir klar. Meine Religion hat auch mit Selbstaufgabe zu tun, mit klein sein. Jesus ist Gottes Sohn, der Sohn von jemandem, der alles erschaffen hat. Und doch kam er als Mensch, eingeschränkt wie wir sind. Er kam als Baby, abhängig von anderen, lebte mit den Armen und starb völlig machtlos. Seine Machtlosigkeit und sein Außenseitersein kam daher, dass er über Recht und Unrecht nicht nur gesprochen, sondern auch gehandelt hat. Er hat jeden akzeptiert, wie er war. Von den religiösen Führern wurde er dafür verachtet, bei ihnen gab es keinen Platz für seine Offenheit. Sie dachten, sie waren im Recht, weil sie sich an ihre eigenen Regeln hielten. Nur die Sünder verstanden Jesus. Sie verstanden, dass sie ihre Probleme vor Gott nicht verstecken können und nicht nur durch eigene Stärke überwinden können. Und dass dort jemand war, der freigiebig Vergebung anbot. Ich verstehe nicht, was man daran naiv finden kann, wieso es nicht zum heutigen Leben passen sollte.
Dieser Artikel erschien zuerst auf makellosmag.de.
Von mir aus muss man nicht glauben.
Aber als Jesus am Schwächsten war, als er starb und begraben wurde, erwuchs seine größte Stärke, die Wiederauferstehung. Wenn ich selbst wiederauferstehen könnte, mich immer auf meine eigene Kraft verlassen könnte, bräuchte ich Gott vielleicht auch nicht. Mit einem perfekten Leben könnte ich vielleicht denken, alles eine verrückte Idee. Aber
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AUS GLEI CHEN DE
von Alexandra Lei-Engel
Ich bin nicht religiös
GE RECH TIG KEIT
Keine der fünf sogenannten Weltreligionen hat mich je so richtig überzeugen können. Weder das Christentum, der Islam, der Hinduismus oder Buddhismus, noch das Judentum hat mich angesprochen oder mich dazu gebracht, dazugehören zu wollen. Religion an sich, so, wie ich sie als Kind erlebt habe und wie sie in meiner Wahrnehmung ausgeführt wird, war mir immer suspekt. Dabei habe ich keine negativen Erfahrungen gemacht oder wurde je dazu gezwungen, auf irgendeine Weise religiös zu sein. Ich bin in Norddeutschland aufgewachsen, hier ist die christliche Kirche zwar präsent, aber sicherlich weniger, als in anderen Teilen Deutschlands. Ich wurde getauft, aber meine Eltern sind beide nicht sehr religiös. Abgesehen von den Pflichtveranstaltungen mit der Schule oder zu Beerdigungen hatte ich keinen Kontakt mit der Institution Kirche. Und darüber war ich irgendwie auch froh. Als sich alle konfirmieren ließen, erschreckte ich meine Großeltern mit der Aussage, dass ich da nicht mitmachen will. („Was sollen denn die Nachbarn denken?“) Keine Konfirmation für mich, das hieß, dass mir auch viel Geld entging. Der Grund, warum sich der Großteil meiner Altersgruppe konfirmieren ließ: Es gab Geschenke. Und zwar nicht wenige. Aber ich wollte nicht. Vielleicht wäre ich jetzt religiös und ein aktives Mitglied der Kirche, wenn ich dem Gruppenzwang stattgegeben hätte und mich für das Geld hätte konfirmieren lassen. Wer weiß das schon? Vielleicht hätte es aber auch nur dazu geführt, dass ich noch weniger für die Kirche übrighätte, als ich es jetzt habe.
Unwissenheit Grund
ist
nicht
der
nenne ich es Karma, Schicksal und ausgleichende Gerechtigkeit. Ich glaube daran, dass guten Menschen Gutes widerfährt und schlechten Menschen Schlechtes.
Es ist nicht so, dass ich es nie probiert hätte. Ich habe mich informiert, ich wollte lange Zeit religiös sein. Viele Bücher las ich, viele Artikel überflog ich und mit manchen Menschen sprach ich. Ich dachte, an eine Religion glauben gehört einfach dazu, ich hätte nur noch nicht die für mich richtige gefunden. Aber nein, ich fand sie auch nach intensiver Suche nicht. Die Grundgedanken wie Nächstenliebe, Fürsorge und andere nette Taten sprachen mich immer an, aber es machte nicht „Klick“ und ich fand schnell etwas, dass ich mit mir nicht in Einklang bringen konnte. Meist nicht in der Theorie, sondern in der praktischen Umsetzung der Gläubigen.
Klingt erst mal einfach, ist in der Umsetzung dann aber doch etwas komplizierter. Denn dieses Gute oder Schlechte passiert nicht einfach so. Wir müssen unser Leben selbst in die Hand nehmen und etwas dafür tun, dass uns etwas Gutes passiert. Wenn wir ein schlechter Mensch sind, dann kann uns genauso Gutes passieren, wenn wir hart dafür arbeiten. Und wenn wir ein guter Mensch sind, dann passieren uns auch schlechte Dinge wie Krankheiten oder Unfälle, allerdings liefert uns das Schicksal immer einen Ausgleich. Wir müssen zugreifen und die Chancen, die sich uns bieten, auch nutzen. Wir haben es selbst in der Hand. Wenn wir krank sind und uns in Selbstmitleid suhlen wollen, uns in unserem Elend verkriechen, dann kann uns nichts Gutes als Ausgleich passieren. Wir geben
Ich bin gläubig Obwohl ich nicht religiös bin, würde ich mich selbst als gläubigen Menschen bezeichnen. Ich glaube. Nur nicht an eine Religion. Da mir andere Begriffe dafür fehlen,
KARMA 14
Titelthema Wir zerbrechen ohne Glauben
dem Schicksal keine Chance, uns die Hand zu reichen. Den Traumpartner findet man nur, wenn man unter Menschen geht. Im Lotto gewinnen kann man nur, wenn man einen Schein ausfüllt.
Ich glaube nicht nur an ausgleichende Gerechtigkeit, ich bin auch der Überzeugung, dass jeder Mensch einen Glauben braucht, um zu leben. Jeder Mensch glaubt an etwas, gibt seinem Leben dadurch einen Sinn. Ohne Glauben würden wir verzweifeln, an der Welt zerbrechen. Dieser Glaube kann eine Religion sein, kann der Gedanke an die Familie sein oder wie bei mir selbst zusammengeschustert. Keines ist schlechter oder besser, solange es funktioniert.
Jeder entscheidet selbst Es kommt auch darauf an, ob man sich selbst als guten oder schlechten Menschen sieht. Vielleicht ist der Kollege bei der Arbeit ein Idiot und tierisch unfreundlich und trotzdem passieren ihm dauernd tolle Dinge. Das kann sein, wenn er sich selbst nicht als schlechten Menschen sieht und jede Möglichkeit nutzt, die sich ihm bietet. Weißt du, ob er eine schwere Kindheit hatte oder sich aufopferungsvoll um kranke Familienmitglieder kümmert? Oder der weltbeste Freund überhaupt ist und alles für seine Freunde tut? Jeder Mensch hat immer mehrere Seiten. Nur weil wir denken, dass jemand so viel Glück nicht verdient hat, heißt das nicht, dass es wirklich so ist. Genauso ist es natürlich auch mit Schicksalsschlägen. Es erkranken immer die guten Menschen an Krebs? Die nettesten Menschen haben immer den größten Liebeskummer? Das kann sein – oder auch nicht. Vielleicht haben sie es verdient, weil sie dunkle Geheimnisse haben. Und wenn sie es nicht verdient haben, dann wird ihnen das Schicksal einen Ausgleich anbieten, der sie in der Gesamtsicht glücklicher macht. Wenn sie diesen Ausgleich nicht annehmen, nicht zugreifen, dann gibt es weitere Chancen. Aber irgendwann hat auch das Schicksal die Nase voll, bemüht sich nicht mehr um ausgleichende Gerechtigkeit und akzeptiert, dass manche Menschen am glücklichsten sind, wenn sie unglücklich sein dürfen.
Lexa, *1990, schreibt auf lexasleben.de über alles, was ihr aus den Fingern fließt. Immer mit viel eigener Meinung und oft einem Augenzwinkern.
Schlechte Menschen bekommen diese Chancen nicht angeboten. Sie müssen sie sich härter erarbeiten, können nicht einfach zugreifen. Sie werden nicht unbedingt direkt bestraft, aber auch das nicht erhalten einer Belohnung kann eine Bestrafung sein.
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von Sabine Rest
MEIN RELIGIÖSES BILD
Religion ist ein privates Geschäft. Kaum weiß man von den eigenen Freunden, was sie eigentlich wirklich glauben. Es kommt ja auch nie dazu. Amerikanisch wirkende Grußformeln mit „lot‘s of blessings“ und God und so – das ist sehr undeutsch. Niemand segnet irgendwen via E-Mail. Meine Geschichte mit Gott ist lang. Als Teenager saß ich mal im Wohnzimmer eines konvertierten Moslems mit großen missionarischen Plänen zur Bibelstunde. Und floh wieder. Regelrecht. Ich bin echt weggelaufen. Er ist mir nachgelaufen, aber ich wollte diese Art von Leben nicht. Missionare sind mir völlig fremd. Ich finde sie weder mutig, noch besonders erleuchtend. Die meisten sehe ich eher als selbst überhöhend und naiv. Aber mit dem Missionar aus der privaten Bibelstunde begann meine Geschichte
mit Gott gar nicht. Ich bin evangelisch getauft und war auf einer katholischen Mädchenschule. Protestantin passt. Es war ein Protest. Einmal habe ich am Abendmahl teilgenommen, ohne die Konfirmation abgelegt zu haben. Sie haben es zugelassen, aber es war nicht lustig. Typisch katholisch, dachte ich als Halberwachsene, die große Show nicht stören wollen, aber dann doch hinterher rummotzen. Als Erwachsene fand ich allgemein die christlichen Geschichten interessant. Aber nicht als religiöses Feld. Eher als ein Bild, dass man erstaunt ansieht und studiert, weil es bereits schon so alt ist. Und so viele Menschen sich darauf bezogen haben. Manchmal überlege ich mir, was eigentlich auf meinem persönlichen religiösen Bild wirklich zu sehen ist. Ich glaube, es
Titelthema ist kein wütende Bild mit viel Feuer und Gischt. Die Suche nach Sünden ist nicht mein Spezialgebiet. Es ist eher ein sehr friedliches Bild. Und es hat eine auf den ersten Blick sehr unchristlichen Kern. Er lautet: Du bist nicht so wichtig.
zerpflücken zu wollen. Alles hat eben zwei Seiten. Eine schöne und eine weniger schöne. Man kann eben nicht nur das pure Glück haben wollen. Jede Rose hat Dornen. Klar, dass sind jetzt eher so Lebensweisheiten als harte religiöse Fakten, trotzdem sind eben doch manchmal in meinen Überlegungen zu Lebensentscheidungen gerade diese weiten Felder erst mal da und dann wird es immer konkreter. Und Gott wird nicht ausgeschlossen. Letztendlich muss ich das echt so sagen. Und ich denke, dass dies der private Bereich ist. Religion ist ein privates Geschäft, weil es ein Schlüssel sein kann, wie man sich so entscheidet in seinem Leben. Und diese Entscheidungen werden eben nicht immer gerne in aller Öffentlichkeit ausdiskutiert.
Das ist beruhigend. Man kann das Leben auch leben, ohne dass man versucht, das Rad neu zu erfinden. Nicht über alle Sachen sollte man sich aufregen. Ob ich nun hier bin oder nicht, dass macht weder die Sonne heller noch den Mond dunkler. Dabei meine ich nicht, dass es alles völlig egal ist, aber ich denke, dass das Leben in der westlichen Hemisphäre einem doch öfters vorgaukelt, dass man der Nabel der Welt wäre. Das ist man nicht. Man muss nicht nur Nehmen und Geben lernen, sondern auch Annehmen. Und sich nicht ständig die gleichen Fragen nach Zufriedenheit und Glück stellen.
Sabine, *1981, ist Mutter von Zwillingen. Sie bloggt sie über den Vogel in ihrem Kopf, dem Spatz in der Hand, ihren Augenblicken dazwischen.
Auf meinem religiösen Bild stehen aber auch andere Sachen. Nicht nur die eigene Unwichtigkeit in den Mittelpunkt rücken, sondern auch, das Glück an sich nicht so
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Deus ex Reimelexika
Es sprach der alte Manitu: „Ich bin viel göttlicher als du!" Doch Kali sagt: „Erbarme! Ich hab doch viel mehr Arme!" „Harr! Harr!", ruft Odin, völlig breit, „Ich sauf mehr Met, als ihr zu zweit!" Und Buddha lächelt vor sich hin „Wie gut, dass ich erleuchtet bin!" Nur Gott, der flüstert leise: „Was für eine Scheiße."
Leben. Und so.
favourites an i e b y S t ef
Raum Who? Lenny Abrahamson, Brie Larson, Jacob Tremblay What? Einen Raum mit 9 m² und zwei Personen, mehr braucht es nicht, um die Geschichte von Jack und seiner Mutter auf die Leinwand zu bringen: Sie ist als junges Mädchen entführt worden und wird seitdem von einem Mann festgehalten und vergewaltigt. Aus dieser Verbindung entstand Jack, den sie alleine zur Welt gebracht hat und großzieht. Als die beiden endlich fliehen können, stehen sie vor ganz neuen Problemen, in einer Welt, die beide nicht (mehr) kennen. Why? Diese schreckliche Situation wird von den beiden überragenden Hauptdarstellern sehr eindringlich dargestellt. Besonders die kindliche Perspektive von Jack, der nur diesen Raum, den Tisch, den Stuhl, den Teppich kennt, sich die große weite Welt nicht vorstellen kann, trifft mitten ins Herz. „Raum“ ist sicher kein Wohlfühl-Film für die kalte Jahreszeit, aber eine spannendes und emotional mitreißendes Drama über eine starke junge Frau und ihren Sohn. Als Alternative zum Film ist die Romanvorlage von Emma Donoghue ebenfalls empfehlenswert.
Weil wir längst woanders sind Who? Rasha Khayat What? Leyla und Basil sind seit ihrer Kindheit unzertrennlich. Nach dem gemeinsamen Umzug von Saudi-Arabien nach Deutschland und einem Schicksalsschlag sind sie aufeinander angewiesen, leben auch als Erwachsene noch zusammen. Umso unverständlicher ist es für Basil, als Leyla plötzlich ihr Leben in Deutschland hinter sich lässt, sich auf die Suche nach ihren Wurzeln macht und in der alten Heimat heiraten will. Basil reist mit gemischten Gefühlen zur Hochzeit seiner Schwester. Why? In starken, intensiven Bildern erzählt die Autorin die Geschichte von Leyla und ihrer Familie. Aus dem rasanten Wechsel von Kindheitserinnerungen, Rückblenden auf das Leben der Eltern und den aktuellen Geschehnissen ergibt sich nach und nach ein Gesamtbild. Die Geschichte lebt dabei von ihrer Kürze, auch das Ende bleibt relativ offen. Ob Leyla mit ihrer Entscheidung glücklich wird, kann jeder Leser für sich selbst entscheiden. „Weil wir längst woanders sind“ gibt eine ganz neue Perspektive auf Einwanderer, ihre Zerrissenheit zwischen zwei Heimatländern und das Gefühl, nirgends richtig zuhause zu sein.
Manga fĂźr alle! Ein Definitionsversuch japanischer Comics von Stefanie HĂśfig
Manga ist der Ursprung einer Subkultur, die viele verschiedene Auswüchse hat. Wer hat sie nicht schon Mal gesehen – die Cosplayer. Leute die als ihre Lieblingsfiguren verkleidet in den Straßenbahnen mit bunten Perücken, langen Schleppen und knappen Kostümen auf dem Weg zu einer Convention sind. Umringt von Leuten, die sich entweder mit ihnen fotografieren lassen wollen oder welche, die fragend den Kopf schüttelnd. Oder nehmen wir mal Anime. Die Zeichentrickserien aus Fernost, von denen die einen nur wissen, dass es angeblich „nur pornografisches Zeug“ ist. Oder eben „nur gewalttätiger Action-Kram“. Das alles hat seinen Ursprung im Manga. Japanischen Comics. Und bevor ich versuche zu definieren, nehme ich eine These, meine These, vorweg: Für jeden von euch da draußen gibt es Manga, die euch gefallen würden. Ihr wisst es nur vielleicht noch nicht.
setzungsgeschichte, bevor sie bei Erfolg in Taschenbüchern zusammengefasst veröffentlicht werden. Diese Ausgaben beinhalten im Schnitt zwischen hundertzwanzig und zweihundert Seiten. Sie sind praktisch überall verfügbar und kosten frappierend wenig. Ein Manga-Magazin wie das Shounen Jump kostet beispielsweise umgerechnet 1,80 €. Der Anteil von Manga an Druckerzeugnissen in Japan lag 2002 bei etwa 38,1% [1]. Wie stark die Nachfrage in Japan ist, wird besonders klar, wenn man sich die Verkaufszahlen ansieht. In der ersten Jahreshälfte 2016 wurde Eiichirō Odas Manga „One Piece“ (Band 80) in Japan 2,8 Mio. Mal verkauft und ist somit das bisher meistgekaufte Manga-Taschenbuch des Jahres 2016 (1. Hälfte). In den USA, einem Land mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern, brachte es im September 2016 [4] #6 der aktuellen Batman-Reihe auf knapp über 100.000 Ausgaben. Das gibt Aufschluss über die Beliebtheit japanischer Comics, die aber eine ganz bestimmte Ursache hat: die Genre-Vielfalt. Bilder von japanischen Schulkindern wie auch Geschäftsmännern, die in der Straßenbahn sitzen und Manga lesen machen klar: Es gibt für jede Zielgruppe Manga.
Was sind „Manga“? Manga sind formal gesehen japanische Comics. Die Definition ist aber auch das Problem der Definition. Wer Comics nicht mag oder nicht gut kennt, projiziert das automatisch auf Manga. Der Begriff Manga bezeichnet aber vor allem das japanische Verständnis von Comics. Japanische Comics haben einen eigenen Stil so wie es die franko-belgischen oder amerikanischen auch haben. Wenn man Comics pauschalisiert, setzt man amerikanische am ehesten mit Superhelden-Storys gleich, franko-belgische mit „Tim & Struppi“ und Manga sind die mit den Figuren mit großen Kulleraugen. Das sind alles Vorurteile. Aber es stimmt, dass Merkmale wie die großen Augen oft vorkommen. Aber nicht nur.
Genre und Zielgruppen Gängiges Vorurteil: „Aber ich habe gehört Manga sind nur was für Jungs | für Mädchen | sind alles Pornos | sind gewaltverherrlichend!“ Unsinn. Das ist als würde man sagen, dass jeder Roman, der je geschrieben wurde, eine Schnulze ist. Es wird jedes Genre bedient. Es gibt Manga über Politik, es gibt Krimis und Thriller. Manga die sich thematisch mehr an Mädchen oder Frauen richten werden als „Shoujo-Manga“ bezeichnet und sind beispielsweise romantische Komödien, historische Dramen, etc. Genauso gibt es „ShounenManga“ („Jungs-Manga“) – meist eher action- oder sportlastig. „Silver-Manga“ richten sich an die ältere Generation. Genauso gibt es Manga über homosexuelle Beziehungen („Shounen-Ai“, „Shoujo-Ai“) und natürlich gibt es auch Manga mit sexuellen oder pornografischen Inhalten
Die Manga-Industrie und was wir darüber bisher nicht wussten. Nämlich, dass sie riesig ist. Das Lesen von Comics ist in Japan viel weiter verbreitet, als in europäischen Ländern. Und das Angebot riesig. Manga sind meist als Reihe angelegt und erscheinen in Manga-Magazinen als Fort-
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mit seinen Lesern gewachsen. Die Geschichte beginnt mit ihm als Kind, das als Störenfried angesehen und gemieden wird. Wir begleiten ihn bei seinem Training, sehen wie er an seinen Hürden wächst und letzten Endes einen grauenvollen Krieg durchlebt. Der Manga „Buddha“ von Osamu Tezuka entstand in den 70er- und 80er-Jahren und erzählt von der Entstehung des Buddhismus. Apropos Buddha: In Hikaru Nakamura Manga „Saint Young Men“ treffen Buddha Shakyamunis und Jesus Christus im modernen Tokio aufeinander, gründen eine WG, erleben Alltagsabenteuer – beispielsweise wenn Jesus beginnt, einen Blog zu führen.
(„Hentai“, „Ero Manga“). Manga kann alles: traurig, zart, hart, gesellschaftskritisch, lustig, edgy, spannend, gruselig, gediegen, realistisch, irre. Der tatsächliche Stil variiert meistens mit den Genres. Die einen quellen über vor Niedlichkeit, die anderen sind hart und realistisch gezeichnet. Die viel schwerwiegendere Frage ist die: Erscheinen auch Manga deines bevorzugten Genres in deinem Land? Wir erinnern uns an die Zahlen der Manga-Industrie in Japan – Manga machen dort über ein Drittel der Druckerzeugnisse aus. In Deutschland umfassen Comics (insgesamt! also nicht nur Manga) nur ca. 3 % aller Drucksachen [5]. Hierzulande fallen die meisten Manga in die Kategorie Kinder- und Jugendbuch, weil das die Zielgruppe ist, die hier am besten für Comics funktioniert. Natürlich bringen deutsche Verlagshäuser auch Manga nach Deutschland, die Zielgruppe wird schließlich älter. Nichtsdestotrotz ist Deutschland eins der europäischen Länder mit einer gut laufenden Szene. Das Wachsen des Manga-Areals der Leipziger Buchmesse zur sogenannten Manga-Comic-Con [6] mit einem eigenen Gelände ist ein deutliches Signal.
Mit anderen Worten ... Vielleicht hat dieser kleine Definitionsversuch Manga demystifiziert. Es ist schwer, eine so große Industrie, Kunst und ein Medium zu definieren. Quellenangaben [1] „Manga – sechzig Jahre japanische Comics“ von Paul Gravett [2] Wikipedia [3] Animenetwork.com [4] Comichron.com
Vielfalt am Beispiel
[5] Handelsblatt.com [6] Manga-comic-con.de
Was sind nun aber Manga? Wie sind Manga? Um ein paar Beispiele zu nennen: Jiro Taniguchis „Der geheime Garten vom Nakano Broadway“ handelt von den Entdeckungen eines Mannes bei seinen Spaziergängen. Nostalgisch, ruhig und realitätsnah gezeichnet. Der Manga „×××HOLiC“ der Künstlergruppe CLAMP entführt uns in den Laden der mysteriösen Yuko, die für eine Gegenleistung Wünsche erfüllt. Der Junge Watanuki beginnt bei ihr zu arbeiten, als Gegenleistung dafür, dass er keine Geister mehr sehen muss. Dabei begegnet er verschiedenen Menschen mit dramatischen Geschichten und (alb)traumhaften Sagengestalten, die auf der Suche nach Erlösung zu Yuko kommen. Der Manga „Naruto“ von Masashi Kishimoto umfasst stolze zweiundsiebzig Bände und erzählt die Geschichte eines Jungen, der Ninja werden möchte in einer mittelalterlichangehauchten, asiatischen Welt und ist
Stefanie, Jahrgang 1988, bloggt auf miss-booleana.de über Filme, IT, Serien und Manga, wenn sie nicht gerade tut was Software-Entwicklerinnen so tun.
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Auferstanden von den Toten Die Gilmore Girls sind nach neun Jahren Pause zurück von Larissa Strohbusch
a l a l a l a l a L
Die ganzen Sommerferien 2001 träumte ich von der Schule, vom ersten Schultag in der Oberstufe. Welche Kurse würde ich haben? Mit wem? Was die Seiteneinsteiger wohl für Leute sein würden? Ich war so aufgeregt! Ich habe von so vielen verschiedenen Szenarien geträumt, aber an den tatsächlichen Tag kann ich mich kaum erinnern. Im Großen und Ganzen verlief er wohl relativ unaufregend.
zur Uni und machten auch da unsere Abschlüsse. Rory schlug Logans Heiratsantrag aus und startete ins Berufsleben. Und dann war Ende. Das war’s mit den Gilmore Girls. Oft habe ich sie vermisst. Ich wollte wissen, wie es weitergeht. Hoffte immer noch auf ein Happy End für Rory und Jess. Aber aus ist aus: Serien enden eben, so ist das nun mal. Manchmal erhielt meine Hoffnung neuen Aufschwung. Andere Fans hofften mit, bettelten um einen Film, um ein besseres Ende. Doch die Jahre zogen ins Land, ein Revival wurde immer unwahrscheinlicher.
Rory Gilmore war im Sommer 2001 sechzehn, genau wie ich. Ungefähr zu dieser Zeit haben wir uns damals kennengelernt. Ich stieß auf die ersten Folgen der Gilmore Girls, als sich gerade eine Romanze zwischen Rory und Jess anbahnte. Ich war so verliebt in dieses Paar. Zwischen Staffel 2 und 3 träumte ich regelmäßig von ihnen. Würden sie zusammen kommen? Ich war so aufgeregt. Rory und Jess kamen zusammen – und trennten sich viel zu schnell wieder. Rory und ich feierten unsere achtzehnten Geburtstage, beendeten die Schule, gingen
Und dann kam Netflix Als wir schon erwachsen waren, Rory und ich. Doppelt so alt wie damals, als wir uns kennenlernten. Plötzlich kam Netflix daher und rief: „Lass uns die Toten we-
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cken!” Und kündigte eine Mini-Serie mit vier neuen Folgen an. Das Internet wurde zur Tretmine, Unterhaltungsseiten wie Hello Giggles wurden zur Spoiler-Hölle, die jedes Set-Foto, jede Andeutung und jeden Hinweis zur Interpretation heranzog. Ich fing an, vom Revival zu träumen. Wo ist Rory? Haben Luke und Lorelai ein Kind? Ich war so aufgeregt. Aber gleichzeitig nagten Zweifel an mir. Macht es Sinn, eine Serie nach so vielen Jahren wieder aufleben zu lassen? Passt die Serie noch in unsere Zeit? Stimmt das Gefühl zwischen uns noch?
ry zuweilen fies und unsympathisch erscheinen, es gibt Fat Shaming, und Nebencharaktere werden stellenweise fast fließbandartig abgehandelt. Fast ist man schon gewillt zu sagen: Man sollte die Toten einfach ruhen lassen. Doch dann kommt die vierte Folge und das warme Gefühl, das man kannte und so liebte schleicht sich zurück. Und es kommen die berühmten vier letzten Worte. Und man denkt sich: „Bitte, bleibt!” Ich weiß, wovon ich in nächster Zeit träumen werde. Um es mit Frank Turner zu sagen: „God damnit, Amy!”
Berühmte letzte Worte Gilmore-Girls-„Mutter” Amy ShermanPalladino hatte schon die letzten vier Worte im Kopf, bevor sie damals nach Uneinigkeiten mit Warner Bros ihrer letzten Staffel beraubt wurde. Nun hatte sie eine neue Chance. Doch anstatt eine Serie mit einer finalen Staffel zu beenden, stand sie nun vor der Aufgabe, Fan-Herzen mit einem Revival zu beglücken, ein Jahrzehnt später. Und nun, da die berühmten vier letzten Worte ausgesprochen sind, sind die Fans ratlos gestimmt. Hat uns das Revival gefallen? Wollen wir, dass es weitergeht? Wird es weitergehen? Oh bitte, lass es weitergehen! Die erste Folge ließ ein „Hm.” zurück, es folgte ein „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.”. „Es hat mir einfach was gefehlt”, schreibt mir meine Freundin und ich gebe ihr recht. Die Gilmore Girls waren einzigartig in ihren skurrilen Figuren, mit ihren vielen Nebenrollen voller liebenswürdiger Freaks. Es war immer eine Serie über Frauen, die ihren Weg gehen. Niemals über Frauen, die die große Liebe oder den besten Sex suchen (auch, wenn das durchaus thematisiert wird). Vor allem war es eine Serie, die bei aller Merkwürdigkeit immer bodenständig und respektvoll blieb. Es gab keine „Protagonistin bringt kurz den Müll raus und in endet in einer dreitägigen Sex-Affäre mit dem Nachbarn”-Momente, keine wirklichen Antagonisten, kein Shaming. Das Revival bricht zum Teil mit dieser Tradition. Es lässt Zuschauer-Liebling Ro-
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Erzähl mir von ...
deinen Lieblingslehrern! von Larissa Strohbusch Alle wollen vorwärts kommen. Zukunft, Kind, Karriereplan. Immer geht es um das Morgen. Aber wie war dein Leben denn, als du ein Kind warst? Wie war es denn als Teenager? Erzähl mal. Roxana vom early birdy, Sabine vom fadenvogel und ich tauschen jeden ersten Sonntag im Monat Erinnerungsstücke aus. Ein Thema – drei unterschiedliche Texte, drei unterschiedliche Frauen, drei unterschiedliche Leben. In Hörsälen gibt es gewisse Hierarchien. In meinen war diese meist abschlussbasiert. Sprich: Wir, die angestaubten, halb ausgestorbenen, über-engagierten Magister saßen irgendwo vorne, waren diejenigen, die Fragen stellten und College-Block um College-Block mit Notizen vollkritzelten (oder waren diejenigen, die gar nicht erst anwesend waren). Irgendwo in der Mitte waren die Bachelor (oder später Master), sicherlich schon etwas moderner, mit Laptop vor sich, die mehr nach „Punkten” als nach Inhalten fragten. Und ganz hinten, in der letzten Reihe, da waren diejenigen, die während der Vorlesung lieber Online-Poker spielten. Das waren meistens die Lehramtsanwärter. Nirgends verflüchtigt sich der „Mythos Lehrer” so schnell wie in einem Hörsaal. Lehrer sind für mich kein Mythos mehr, keine unnahbaren Autoritäten. Ich habe mit Lehrern zusammen studiert, mitten in der Nacht im Schlafanzug mit ihnen in WG-Küchen über Literatur diskutiert, habe mit ihnen in heruntergekommenen Schuppen zu Indie-Klassikern getanzt oder treffe sie heute morgens, wenn wir unsere Kinder in der Kita abgeben. Lehrer sind auch einfach nur sympathische oder weniger sympathische Menschen, die ihren Beruf machen.
jahr mit dem berüchtigten Mathe-Lehrer Herr E. an, der mir zwar bereits im ersten Zeugnis „nicht wieder aufzuholende mathematische Defizite” bescheinigte, aber dennoch mein Lieblingslehrer war. Vielleicht lag darin der besondere Ansporn. Im vierten Schuljahr war ich Klassenbeste bei einer Mathe-Prüfung für die zukünftigen Gymnasiasten (Beschönigungen im Erinnerungsvermögen nach über zwanzig Jahren nicht ausgeschlossen). Von da an hatte ich den Hang dazu, gute Noten bei schwierigen Lehrern zu schreiben und mittelmäßige bei Unterrichtseinheiten, die ich im Schlaf aufsagen konnte. In meinem Fall war ein wenig Druck wohl immer die beste Motivation. Die besten Lehrer, die ich hatte, waren aber die wenigen, die unübersehbar mit Leidenschaft in ihren Beruf gegangen sind. Lehrer, die nicht nur eine Liebe für ihr Fach mitbrachten, sondern auch den Willen hatten, irgendetwas davon in ihre Schüler hinein zu bekommen. Lehrer, die als Autoritätsperson auftraten, ohne dabei den Respekt vor ihren Schülern zu verlieren. Einer dieser Lehrer war Herr N., passionierter Theater-Fan, der die Theater AG meiner Schule zu seiner Zeit berühmt machte. (Leider war ich als Schüler viel zu feige, um daran teilzunehmen.) Er schaffte es im zwölften/dreizehnten Schuljahr nicht nur als allererster Lehrer, mir den Sinn und die Freude an Gedichtsinterpretationen schmackhaft zu machen, sondern lies mich auch konsequent
Denke ich an meine Schulzeit zurück, so waren Lehrer nie die Schreckensfiguren, die sie für andere sein können. In der Tat hatte ich sogar einen Hang dazu, gerade mit schwierigen Lehrern gut zurecht zu kommen. Das fing schon im ersten Schul-
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die Frau Marthe Rull von Kleists „Der zerbrochene Krug” lesen. Am Ende keimte in mir die Idee auf, Literaturwissenschaften zu studieren. (Und Jahre später traute ich mich dann auch tatsächlich mal auf eine Theaterbühne.) Dann war da noch Frau K., die mich in verschiedenen Konstellationen fast die ganze Gymnasialzeit über begleitete (Englisch, Deutsch und Englisch als Klassenlehrerin, Deutsch, Englisch-LK), ein echtes Unikat, berühmt für Sätze wie diesen: „Ihr wisst, dass ich gerne schwimmen gehe. Als ich eure Arbeiten gelesen habe, musste erst mal ein paar Bahnen ziehen!” Eine Lehrerin, die kein Blatt vor den Mund nahm, die Unterrichtszeit nicht einfach ab arbeitete und die uns als Menschen sah und nicht nur als Arbeitsmaterial. Sie stellte Klausuraufgaben, durch die ich mich durchbeißen musste (mir ist bis heute nicht klar, warum ich Englisch als Leistungskurs gewählt – und noch weniger, warum ich das auch noch studiert habe), die nicht immer zu zufriedenstellenden Resultaten führten. Aber sie bot mir Unterrichtsstoff, der Spaß machte, der forderte, statt einzulullen. Und nicht zuletzt war sie eine Lehrerin, die mit der Intention auf eine Klassenfahrt fuhr, dort auch Spaß zu haben – als unsere Klassenlehrerin auf Abschlussfahrt in Berlin in der Zehnten oder später als „weibliche Begleitperson” auf Kursfahrt in Prag zu Beginn der Dreizehnten. Dort war sie auch dringend benötigt, denn als Frauen im Mathe-, bzw. PhysikLeistungskurs waren wir kläglich in der Minderheit. Womit wir zum letzten Lieblingslehrer kommen: Herr S. Herr S. war auf den ersten Blick mehr Kumpel als Lehrer. Als einer der jüngsten im Kollegium war er ungefähr im gleichen Alter wie mein (deutlich) älterer Bruder und damit nicht in der „Elterngeneration”. Zum ersten Mal traf ich auf Herrn S. in der Unterstufe, wo ich in Physik gnadenlos versagte (aber immerhin gab er uns die Chance, mit freiwilligen, ziemlich miesen Referaten ein bisschen von unserer Unfähigkeit wieder wett zu machen). Das nächste Mal landete sein Name am Anfang der Zwölften auf meinem Stundenplan: im Mathe-Leistungskurs. Bingo! Beide Lieblingslehrer als
LK-Lehrer. Sechser im Lotto! Herr S. war vielleicht ein typischer ehemaliger Mathe- und Physik-Student. Einer dieser eher uncoolen Nerds von diesem mysteriösen „anderen Campus” (die Mathematiker waren an meiner Uni als einzige am anderen Ende der Stadt), ein gemütlicher Typ, der Alkohol nicht mochte, nach eigener Aussage keine Ahnung von Musik hatte und in einer typischen Männer-WG wohnte. Sprich: der Typ Mann, den hippe junge Medien-Mädchen in der Regel ignorieren. Völlig zu unrecht! Denn Herr S. war nicht nur ein witziger Typ, sondern auch ein guter Lehrer. Obwohl sein Unterricht zuweilen leicht chaotisch war („So, das ist easypeasy. Jetzt bekommen wir diesen Graph hier und die ist ziemlich hässlich und heißt Karl.”), gab es doch in der Stunde der Wahrheit kein Erbarmen: Wer etwas wollte (nämlich gute Noten), der musste dafür arbeiten. Uns wurde nichts geschenkt. Das führte regelmäßig in der Stunde nach der Klausur zu ein wenig Knatsch („Der andere Mathe-LK muss keine Beweise führen!”), aber im Endeffekt hat es bestimmt dazu geführt, dass in unseren grauen Stübchen ein paar Synapsen mehr verknüpft wurden. Und Disziplin haben wir dabei auch noch gelernt. Wer zu spät kam, sammelte FehlMinuten und musste bei vollem PunkteKonto Kuchen backen. (Als miserable Bäckerin kann ich stolz von mir behaupten, dass mein Punkte-Konto bis zum Ende komplett leer war. (Was mitunter daran lag, dass zwei meiner Freundinnen mit in meinem Kurs waren.)) Als ich Herrn S. vor einiger Zeit das letzte Mal gesehen habe, war er mit einer ehemaligen Schülerin liiert. (Eat that, hippe Medien-Mädchen!) Das ist alles lange her. Ich fürchte fast, ich bin heute älter, als Herr S. damals war. Vermutlich haben alle diese Lehrer mich längst vergessen und ich bin nur noch eine von Hunderten Schülerinnen, die ihnen in den Jahren begegnet sind. Doch Lehrer bleiben ein besonderer Mythos: Menschen, die uns bilden sollen, die uns manchmal quälen, manchmal unterhalten, aber am Ende doch immer langfristig prägen.
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Die nächste Ausgabe erscheint am 4. Februar 2017. Impressum Redaktion: Larissa Strohbusch Klingerstr. 8 81369 München EMail: redaktion@norobotsmagazine.de Layout: Larissa Strohbusch Autoren: Alexandra Lei-Engel, Jessi, Larissa Strohbusch, Sabine Rest, Stefanie Höfig, Stefanie Wiesner. Bildnachweis: Titel: Unsplash/Jon Tyson, S. 5: Unsplash/Karl Fredrickson, S. 9: Unsplash/Felix Russell-Saw, S. 11: Unsplash/Louis Moncouyoux, S. 14/19: Unsplash/Annie Spratt, S. 17: Unsplash/Chelsea Bock, S. 20: Unsplash/Natalie/Collins, S. 21: Pixabay/Ryo Taka, S. 28: Unsplash/Aaron Burden.
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