No Robots Magazine #2: Früchte des Zorns

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No Robots Magazine

#2, September 2016

FRĂœCHTE DES

ZORNS


Normale Menschen statt Chichi heute: Maze von annosarusrex

u o y Girl, ! d o o g k o lo Besucht Maze in ihrem Onlineshop: www.shittyfucky.com


Hallo! Oh, Hallo! „Die Früchte des Zorns" – in diesem Klassiker aus dem Jahre 1939 von John Steinbeck beklagen die „kleinen Leute" die Unterdrückung von den „großen Fischen". Und heute, fast hundert Jahre später, könnte fast meinen, die Schallplatte hätte einen Sprung – der Zorn ist allgegenwärtig. Man sieht es jeden Tag in den Nachrichten, man liest es in den Kommentaren, man hört es immer öfter in den Stimmen, wenn die Gespräche auf die „aktuelle Lage" zu sprechen kommen. Es ist eine Zeit, die große Wut mit sich bringt. In dieser Ausgabe sprechen wir über „Die Früchte des Zorns": In was für einer Welt werden unsere Kinder aufwachsen? Warum ist es so schwer für eine junge Muslima, ein normales Leben zu führen? Und: Woher kommt all der Hass, der uns täglich im Internet entgegenschlägt? Außerdem: Bitch! Was Frauen übereinander denken, wie sie sich gegenseitig unter Druck setzen und wie schwer es ist, Freundschaften in all der Stutenbissigkeit zu schließen. Obwohl ... Warum eigentlich? Ich wünsche dir viel Spaß mit dieser Ausgabe! Deine

Larissa ! e m w o Foll facebook.com/norobotsmagazine twitter.com/NoRobotsMag


Inhalt. S. 8

Trolle. Mit Gift und Galle durchs Internet

S. 12 22, weiblich, muslimisch sucht: Normalität

S. 15

„Dich haben sie also auch schon.“

S. 18 Die Frucht des Zorns

S. 22

Bitch.

S. 25 Frau! Zieh! Blank!

S. 28

Impressum

Langhaarmädchen

... und mehr!

Redaktion: Larissa Strohbusch Klingerstr. 8 81369 München E-Mail: redaktion@norobotsmagazine.de Layout: Larissa Strohbusch Autoren: Corinne Luca, Fabian Wiesner, Larissa Strohbusch, Merve Kayikci, Nina M. Jaros, Sabine Rest, Stefanie Krüger Bildnachweis: Titel: Pexels.com, S. 2: privat, S. 5: Unsplash/Frank Okay, S. 6: Unsplash/Daniel Cheung, S. 9/11/25: Unsplash/Christopher Campbell, S. 10: Unsplash/Jeremy Bishop, S. 12-13: Unsplash/Harits Mustya Pratama, S. 15: Unsplash/Jonny Clow, S. 16-17: Unsplash/Alexander Ronsdorf, S.18-19: Unsplash/ Pineapples, S. 20: Unsplash/Milada Vigerova, S. 21: Flaticon/Madybyoliver, S. 23: Unsplash/Camila Cordeiro, S. 24: Unsplash/Nicole Mason, S. 27: Unsplash/Christian Newman, S. 28: Unsplash/Amy Treasure, S. 32-33: Freepik

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„Mama, warum hat der Laster so viele Menschen getÜtet?"

von Sabine Rest


prägte. Sie sagte: „Na ja, aber wenn ich die Nachrichten sehe und er noch wach ist, dann halte ich ihm die Augen zu.“ Da habe ich mich kurz an meinem Cappuccino verschluckt. Ich sah zu ihr rüber. Eine große sanfte Frau, Spätgebärende, erfolgreich und souverän. Wie sie mit der Gewalt einer Mutter schnell ihrem Kind die Augen verschließt, wenn der IS seinen Fernsehauftritt hat. Vielleicht zappelt das Kind noch. Und sie sieht gebannt auf den Bildschirm. Nach wenigen Sekunden ist es auch wieder vorbei. Sport, Triathlon, Fußball. Das darf er wieder gucken. Sie lässt ihn los, er protestiert oder auch nicht. Vielleicht ist er die kurze Schwärze auch schon gewöhnt. Und sie lehnt sich zurück auf das Sofa, tätschelt seinen Kopf und sagt, jetzt wäre es dann Zeit, um ins Bett zu gehen. Als ob das ein Plan wäre. Die Kinder sollten doch noch ohne Sorgen sein. Idyllisch leben können. Angstfrei. Nachrichten sind nichts für Kinder. Pornos und Zombies schließlich auch nicht. Aber wie sollte man Kindern vor der Welt wegsperren? Morgens fahren wir in den Kindergarten und um 8 Uhr, gerade wenn wir zwischen den satten Wiesen mit den Kälbern vorbeifahren, merke ich, wie sie zuhören. Dem Nachrichtensprecher nämlich. Der in unsere heile Welt das Grauen spült. Und dann kommt von hinten die erste Frage. Ich weiß es nicht, mein Engel. Ich weiß es wirklich nicht. Daneben läuten die Kuhglocken. Ich habe früh beschlossen, meinen Kindern nicht die Augen und Ohren zuzuhalten. Ich lasse uns treffen von den Nachrichten der Welt. Der Fernseher läuft, das Radio ist an. Dabei suche ich nicht danach. Ich setze sie nicht mit Fleiß vor den Fernseher, es passiert halt. Es laufen die Nachrichten, sie stolpern ins Wohnzimmer – mit roten Wangen und einem Holzschwert. Sollte ich hysterisch den Kanal wechseln? Na ja, in der Nacht

„Mama, warum hat der Laster so viele Menschen getötet?“ In dieser Welt gibt es Fragen, auf die es keine vernünftige Antwort gibt. Aber die Fragen werden gestellt. Vor allem von unseren Kindern. Ich saß mal vor knapp zwei Jahren mit anderen Müttern zusammen. Das mache ich oft. Meine Kinder waren damals noch klein. Es ging darum, ob und wann man denn Kleinkindern das Fernsehgucken erlauben sollte. Ein ähnliches Zerreißthema wie Stillen, Zucker oder Kinderkrippen. Meistens halte ich die Klappe. Ich bin kein Erziehungs-Missionar. Ich weiß weder, wie viel Salz in die Suppe gehört, noch kenne ich das Gelbe vom Ei. Die eine Mutter hat gesagt, dass sie sich schon die Nachrichten ansehen will, sonst gäbe es überhaupt keinen Medienkonsum bei ihnen. Holzspielzeug-Klasse. Da rolle ich innerlich gerne mit den Augen. Doch dann kam der Satz, der mich als Mutter

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Titelthema Aber er war es wohl. Abgezuckle mit Holzschwertern in die unbekümmerte Kindheit zurück. Unbekümmert ist die Leben wohl nicht mehr. Ich war ohne Angst als Kind. Als wir im Westen noch im Auge des Orkans saßen und nicht mit der Wimper zuckten. Alles Schlechte passierte irgendwo anders. Und heute sterben in dem Meer, in dem ich schwimmen lernte, jeden Tag Tausende. Vielleicht lebte ich im Schlaraffenland und das hier ist die Realität. Vielleicht geht es nicht mehr ohne. Vielleicht müssen sie in dieser Welt leben. Ich wünschte als Mutter, das wäre nicht so. An München hatten sie gar kein großes Interesse. Das hat mich erstaunt. Obwohl sie in dieser Stadt geboren wurden und das sehr wohl wissen. Jeder nimmt die Welt halt anders wahr. Für sie war der Lastwagen näher dran an ihrer Welt als Schüsse am OEZ. Ich habe nicht nachgebohrt. Ich habe sie gelassen. Nicht mit der Nase in die Scheiße tunken, sozusagen. Trotzdem beobachte ich sie, wenn sie zuhören. Vielleicht sollte ich bei nächsten Nachrichtengucken auf all die positiven Aspekte eingehen. Schau, da ist gleich ein Sanitäter da. Schau, überall Polizei. Die machen jetzt alles sicher. Denn eines ist klar: Hätte ich keine Zuversicht, hätten sie keine Kindheit.

mache ich das. Bei einem verschlafenem Kind im Pyjama mit der Anklage „Durst!“ lasse ich nicht den Zombie-Film weiter laufen und hole das verlangte Glas Wasser. Da schalte ich aus und flüstere das Kind zurück ins Bett. Aber bei Nachrichten habe ich eine Hemmung. Ich kann nicht weg schalten. Ich komme mir unfair vor. So ist die Welt. Nicht überall hört man nur Kuhglocken. Und dann ist dieser Laster da. Etwas, dass sie mit kindlichem Interesse an Bagger, Müllautos und Lokomotiven von vornherein ganz großartig finden könnten. Und dann ist da der Tod. Als erstes haben Kinder ein Interesse am Bericht. Was, wann, wo genau. Mehr als jeder Erwachsene wollen sie ganz genau den Bericht haben. Fast emotionslos. Einem Ermittlungsteam ähnlich. Als zweites folgt der Bezug zum eigenen Leben. Kann das hier passieren? Kann das mir passieren? Ja, das kann es, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Wenn es normal wäre, wäre es nicht in den Nachrichten. Die reden immer von den besonderen Sachen. Und das ist so besonders, deswegen reden die so lange da drüber. Selbst, wenn man die ersten beiden Punkte mit Sanftheit weitestgehend aus dem Weg räumen hat können, folgt dann die Frage, die ein ganzer Lebensabschnitt begleitet. Die Frage lautet: Warum? Ja, was sagt ihr euren Kindern zu dem Warum? Warum ist die Banane krumm? Weil sie krumm gewachsen ist. Was wissen wir denn zu dem Warum schon groß zu sagen. Der Mann war krank. Ein im Kopf kranker Mann. Das passiert. Man kann im Kopf krank werden. Warum? Er war böse. Warum? Er hatte sich in wirklich böse Gedanken verrannt und ist dadurch so krank geworden, dass er das gemacht hat. Warum? Ich weiß auch nicht mehr, mein Engelchen, ich weiß es wirklich auch nicht. Ich weiß nicht, warum er so krank war.

Sabine, *1981, ist Mutter von Zwillingen. Als Fadenvogel bloggt sie auf fadenvogel.de über den Vogel in ihrem Kopf, dem Spatz in der Hand, ihren Augenblicken dazwischen.

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Trolle. Mit Gift und Galle durchs Internet von Nina M. Jaros

Neben der Badewanne steht ein Glas Rotwein. Es läuft ruhige Musik, Kerzen brennen am Wannenrand und trotzdem sitze ich heulend im immer kälter werdenden Wasser. Vor wenigen Stunden habe ich meine Social-Media-Profile deaktiviert und teilweise gelöscht, mein Blog ist bis auf einen Eintrag leer. Die Augen brennen und die Seele schmerzt. Am liebsten würde ich die Zeit zurück kurbeln.

Ich weiß, in einem Magazin schreibt man nicht in der Ich-Form, man wahrt Distanz und bleibt um jeden Preis sachlich. Einen gemeinsamen Nenner mit vielen Lesern zu finden und dabei schön objektiv bleiben ist die Devise, aber das kann ich bei diesem Thema nicht. Dieser Text ist nicht der erste Anlauf – und wahrscheinlich nicht der letzte – zu diesem Thema. Als ich gefragt wurde, ob ich zum Thema Trolle, hatespeech, stalking, usw. etwas zu schreiben hätte, habe ich Ja gesagt. Immerhin habe ich seit Jahren mit diesem Thema zu tun. Aber nun sitze ich hier und ringe mit den Worten. Meine Verletzlichkeit hat mich zum Ziel der Trolle gemacht, jetzt bin ich dabei, genau diese nochmal zu zeigen, und ja, ich habe Angst davor.

Vielleicht sollte ich ein wenig zu meiner Person verraten: Ich bin eine Frau, die in einem männlichen Körper aufwuchs und nun mit ihrer Familie als Frau und Papa lebt. Und über diese Leben schreibe ich in meinem Blog. Die meisten Menschen begegnen mir mit viel Verständnis, aber immer wieder stoße ich auch auf Unverständnis und heftige Ablehnung. Vor wenigen Wochen hatte ich einen großen Fehler gemacht, ich habe im Netz etwas gepostet, das mir wichtig war, das mir am Herzen lag. Ich habe etwas geschrieben, das mich verletzlich machte. Und darauf haben sie gewartet, die Geier des Internets, die Schreiber von Hasskommentaren, die Trolle. Sie können förmlich riechen, wenn jemand verwundbar ist.

Seit Jahren setze ich mich für verschiedene Themen ein. Menschenrechte, Gleichberechtigung, Inklusion, Feminismus und LGBT* Themen sind nur einige meiner Schwerpunkte. Jedes dieser Themen zieht immer wieder Menschen an, die sich auf die eine oder andere Art profilieren wollen. Spott, Hass und Drohungen kommen da regelmäßig vor. Mein Aktivismus begann nicht mit den sozialen Netzwerken und Drohungen habe

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Titelthema


diese Menschen fast scherzhaft Trolle – und wenn ich mich an die Märchen erinnere, waren Trolle immer furchterregende Gestalten, die oft Menschen fraßen und eigentlich nur wenige wesentliche Eigenschaften hatten: Sie waren aggressiv, gefährlich, streitsüchtig und nicht besonders intelligent. Im Netz nennt man viele Leute Troll, die über Kommentare eine Diskussion vom eigentlichen Thema wegführen, es auf geschickte oder plumpe Art lenken und somit entkräften. Geschickte Trolle wirken dabei ziemlich unschuldig, manchmal sogar unbeholfen. Aber die Mühe, raffiniert zu sein, machen sich nur wenige. Hass ist keine Meinung. Der Slogan der nohate-speech-Kampagne ist derzeit oft zu lesen. Die Kampagne ist nicht unumstritten. Wie sollte auch etwas, das sich gezielt gegen Trolle und Hasskommentare wendet, unumstritten sein? Nur wenige Menschen und Organisationen stellen sich bewusst gegen Hass im Netz. Hass wird trotzdem nicht zur Meinung, egal wie laut, egal wie oft er wiederholt wird.

ich schon erlebt, als sie noch schriftlich im Briefkasten abgegeben wurden. Irgendwann gewöhnt man sich an das „Wir wissen wo du wohnst“ oder „Mach nur so weiter, dann wirst du was erleben ...“ und sogar an die Drohungen gegen meine Familie. Irgendwann weiß man, wann man die Polizei einschalten muss und wie man eine Anzeige erstattet. Die Abläufe werden routinierter, aber ein mieses Gefühl bleibt.

Mein schlimmster Troll begann ziemlich harmlos. In meinem Blog schrieb ich einen Eintrag und er kommentierte. Es war bei dem Eintrag nicht die einzige negative, aggressive Reaktion, aber als der Troll anfing, mich persönlich anzugreifen und mir Dinge zu unterstellen, habe ich aufgehört seine Kommentare zu freizuschalten. Ja, ich moderiere jeden Kommentar in meinem Blog und ich lasse

In den letzten Jahren veränderte sich die Form von Aggression deutlich. Man nennt

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auch Meinungen zu, die von meiner abweichen. Was ich nicht zulasse ist Hass. Mein Troll reagierte prompt, er legte ein Profil bei Twitter an und als ich ihn dort blockierte, legte er einen eigenen Blog an, um seine Beleidigungen dort loszuwerden.

in das Leben Wildfremder einzumischen? Ehrlich gesagt kann ich es nicht verstehen. Aber ich konnte auch in meiner Kindheit nicht verstehen, worin der Reiz besteht, am Schulhof auf Schwächere los zu gehen. Vor einiger Zeit las ich, dass es Trollen darum geht, andere schwächer zu machen, um sich stärker zu fühlen und das klingt ziemlich genau nach den Halbstarken am Schulhof.

Zugegeben, solch hartnäckige Menschen treffe selbst ich selten. Die meisten verstehen, wenn sie blockiert werden. An diesem einen Tag lag ich in der Wanne und heulte. Das Level von Aggression war mir neu, diese Hartnäckigkeit und das zwingende Bedürfnis nach meiner Aufmerksamkeit wirkte bedrohlich. In der Badewanne hatte ich Zeit nachzudenken und auch, mich mit anderen Menschen auszutauschen. Ich schrieb mit anderen Betroffenen und Trollopfern, führte lange Gespräche, bis ich mich entschied, die deaktivierten Profile nicht zu löschen. Es entstand eine Strategie, die ich seitdem einsetze.

Vor wenigen Wochen trieb ein Mensch mich absichtlich und bewusst zur Verzweiflung. Warum dieser Mensch so aggressiv war, werde ich nicht verstehen. Es ist auch nicht wichtig. Ich habe daraus gelernt, habe mein Verhalten geändert und ich habe mir eines geschworen: Ich werde nicht deswegen aufhören, mich öffentlich für die Themen einzusetzen, die mir wichtig sind.

Nina, *1972, neugierige Bloggerin auf fraupapa.wordpress.com schreibt nicht nur über ihre Regenbogenfamilie.

Ich habe versucht, die Motive zu verstehen. Ich habe versucht, herauszufinden, was einen Menschen antreibt, mit so viel Hass auf andere los zu gehen. Was bewegt Menschen dazu, sich

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22, weiblich, muslimisch

Normalitä von Merve Kayikci

„Muslimische Frauen in Deutschland. Wie sie leben, was sie denken“ – so der „Stern“. Echt jetzt, „Stern“? Ich kann euch sagen, wie muslimische Frauen leben. Sie studieren, sie arbeiten, sie gehen ins Kino, sie gehen shoppen, sie gehen manchmal ein bisschen zu oft shoppen, sie besitzen fünfzig Paar Schuhe in den Farben von knallrot bis moosgrün. Sie essen, sie essen manchmal ein bisschen zu viel, sie meckern manchmal ein bisschen zu viel. Sie lackieren sich die Nägel und ärgern sich, weil sie zu ungeduldig waren, um zu warten bis der Lack trocken ist. Okay sie benutzen nur wasserdurchlässigen Halal-Nagellack. Manche. Vielleicht. Aber Nagellack ist Nagellack. Sie lieben Gummibärchen. Natürlich nur in halal. Sie schauen sich Schmink-Tutorials auf YouTube an. Sie machen Sport. Manche von ihnen. Sie lesen Bücher von Michael Ende. Manche von ihnen. Ich jedenfalls. Sie sind eben Frauen. Wir sind eben Frauen. Stinknormale Frauen. Klar soweit? Burka hier, Burkini da. Immer wieder die

gleichen Fragen: Ist es jetzt das Jahr des Kopftuchverbots in Schulen? – Nein, nein. Dieses Jahr kommt das Tief „Du bist zwar nicht verheiratet, aber du wirst trotzdem von deinem Mann unterdrückt“ auf uns zu und später gegen August wird es laut Shaikh Google wieder etwas heiterer mit „Du kannst echt gut schreiben. Trotz des Migrationshintergrundes.“ – Ah gut, so lange sich die Gewitterwolken „Warum hast du dich noch nicht vom IS distanziert? Im Minutentakt meine ich!“ und „Wirst du langsam radikal?“ dieses Jahr verziehen, können wir uns ja endlich ein bisschen sonnen. Mit Burka natürlich. Da kommt das schöne braun gut hervor. Es macht spätestens dann keinen Spaß mehr, wenn man beim nächsten Vorstellungsgespräch für das Praktikum wieder


h sucht:

ät!

abgelehnt wird oder die Frage bekommt „Und was machen Sie mit dem Islam, wenn sie hier arbeiten?“ – ab da gehe ich einfach freiwillig. Ich hab zwei Jahre keine WG gefunden, weil alle dachten ich würde den anderen dann Alkohol, Partys und Männer verbieten. Dabei würde ich letzteres nicht einmal mir selbst verbieten. Es stimmt schon, dass muslimische Frauen ganz besonders talentiert darin sind, sich das Leben schwer zu machen. Sie müssen beim Einkaufen nicht nur nach den Kalorien gucken, sondern auch nach den Zutaten. Sogar in Apfelsaft ist manchmal Gelatine drin, kannst du das glauben? Sie müssen beim Shoppen nicht nur schauen, ob das Kleid schön liegt, sondern ob es auch lange Ärmel hat und keinen zu großen Ausschnitt. Sie müssen sich morgens nicht nur duschen und schminken, sondern auch eine Gebetswaschung machen und beten. Und beim Anziehen ist die größte


Herausforderung das Kopftuch mit den Klamotten zu kombinieren – als wäre es nicht schon schwierig genug, immer die passenden Schuhe zu haben.

Besonderes. Und das ist toll und wir freuen uns eben doppelt, weil wir es nie erwarten, aber immer hoffen. Und mich spornt es doppelt an. Einmal, weil ich einfach besser sein will, gerade, wenn es mir niemand zutraut und einmal, weil ich den Leuten, die wirklich nett sind und uns normal behandeln zeigen will, dass es sich lohnt.

Als Muslima muss man immer dreimal besser sein, als die anderen, damit man eine Chance hat. Einmal besser, weil die anderen denken, dass man dumm ist und auf „Dein Mann wird dich schon versorgen, du musst nur lernen zu kochen und zu gebären“ erzogen wurde. Noch einmal besser muss man sein, weil die Leute ständig sauer auf einen sind, weil irgendwelche männlichen Muslime, ob in Syrien oder in Köln, schon wieder Scheiße gebaut haben und es immer die Frauen ausbaden müssen. Überall auf der Welt. Immer. Und das dritte Mal besser muss man eben sein, um einfach besser zu sein. So einfach ist das. Wir müssen so oft erklären, dass Muslime nicht immer alle gleich sind und dass es auch lesbische Musliminnen gibt und auch welche die gerne arrangiert verheiratet werden von den Eltern, aber eben auch welche, die gerne in Spanien Urlaub machen oder einen Doktortitel in Rechtswissenschaften haben oder dass wir nicht gleich jeden Mann heiraten wollen, der uns ein Taschentuch reicht. Und wir müssen so oft einstecken und hinfallen und aufstehen und uns rechtfertigen, Stellung beziehen und jeden Vers des Korans am besten auswendig wissen und uns so anstrengen, dass am Ende richtig taffe, tolle Frauen aus uns werden. Aber vor allem freuen wir muslimischen Frauen uns doppelt, wenn uns jemand dann doch mal in der Bahn den Sitzplatz neben sich anbietet oder eben den Spitzen-Arbeitsplatz. Solche Dinge passieren eben auch, weil es auch anständige Menschen gibt. Normale Menschen, die so tun als wären wir nichts

Ich hoffe, dass zumindest Frauen untereinander etwas solidarischer zueinander werden – ganz gleich woher sie kommen oder wohin sie gehen.

Merve, *1994, bietet auf primamuslima.de einen Einblick auf den Schmelztiegel zwischen konservativer Lebensführung und urbanem Liberalismus.

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„Dich haben sie also auch schon.“ von Larissa Strohbusch


„Dich haben sie also auch schon.“ Die neue Kneipenbekanntschaft hatte uns in den letzten Stunden ausgiebig erklärt, was in der Welt gerade schief läuft. Nun sehe ich in seinen Augen, wie er mich in die Schublade mit den Menschen steckt, die wie hirnlose Zombies hinter dem Establishment herlaufen. Der Grund: Ich erwiderte auf seine Tiraden auf den Überwachungsstaat, dass ich doch ganz froh bin, wenn die Leute vor Großveranstaltungen oder Flügen durchgecheckt werden. „Eines Tages bist du vielleicht dran“, prophezeite er meinem Mann. „Irgendwann verfolgen sie dich vielleicht nur deshalb, weil du braune Augen hast.“ Damals war es eine lustige Geschichte. Ein Freak, den man in der Kneipe getroffen hat, über den wir uns auf dem Heimweg amüsierten. Heute trifft man sie an jeder Kommentar-Ecke, die Verschwörungstheoretiker. Wann hat das angefangen? Oder gab es das vielleicht auch früher schon in dieser Alltäglichkeit? Ich muss zugeben, auch wir haben vor fünfzehn Jahren theoretisiert. „Da stimmt doch was nicht“, mutmaßten wir nach Nine-Eleven. „Das ist doch inszeniert!“ Oder vielleicht auch nur: „Ich bin überzeugt, dass Kurt Cobain sich nicht umgebracht hat! Das war eindeutig Mord!“ Aber freilich, es waren wilde Theorien unter Teenagern. Gedankenspinnereien, die eigentlich nichts mit unserem Leben zu tun hatten. Wir hätten genauso gut überzeugt sein können, dass der Präsident des Universum von Beteigeuze stammt, und die Erde bereits einer intergalaktischen Umgehungsstraße gewichen ist. Aber dann gibt es auch diejenigen, die ihr komplettes Weltbild auf Verschwörungstheorien aufgebaut haben. Die auf den sozialen Medien pöbeln oder auch vielleicht nur um Aufmerksamkeit für ein ihnen wichtiges Anliegen kämpfen. Von Chemtrails ist da gerne die Rede – der Glaube, dass die Kondensstreifen der Flugzeuge in Wahrheit Chemikalien sind, die uns krank machen sollen. Oder die

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Ganz so einfach ist das leider nicht. Denn die Verschwörungspropaganda hat die Menschheitsgeschicke bereits vor hundert Jahren in die Katastrophe gelenkt. Erinnerst du dich noch an die Theorien über das „Weltjudentum“ und die „Dolchstoßlegende“, die den Zweiten Weltkrieg auslösten? Die Welt hat sich seitdem nicht verbessert. Heute heißt es: jeder gegen jeden. Impfgegner gegen Schulmediziner. Genussmenschen gegen Vegetarier. „Besorgte Eltern“ gegen die „Schwulenlobby“. „Patriotische Europäer“ gegen die Regierung, Presse und Muslime. Muslimische Holocaustleugner gegen Israel. Kommunisten gegen die USA. Wir leben in einer Zeit, in der eine Partei Wahlergebnisse von bis zu 24,3% erzielt, deren Mitglieder von der „Zionisierung der westlichen Politik“ sprechen. Deren Mitglieder behaupten, Multikulti „homogenisiere die Völker und habe damit die Aufgabe, sie religiös und kulturell auszulöschen“. Eine Partei, die sich auf Bismarcks Zitat besinnt: „Nicht durch Reden werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut“. Vielleicht sind es nicht unsere Regierung oder die „Lügenpresse“, nicht unsere Hausärzte, die Nichtraucher, Fahrradfahrer oder Homosexuellen, die Deutschland, Europa und die ganze Welt „abschaffen“. Vielleicht, aber nur vielleicht, sind es die Verschwörungstheoretiker mit ihren Hetzen. Möglicherweise ist das aber auch nur eine Verschwörungstheorie.

Vorstellung, dass unsere Regierung absichtlich so viele Flüchtlinge aufnimmt, um „das deutsche Volk auszurotten“. Denn, man darf nie vergessen: „die können sich alles erlauben“, „wir sind denen ja hilflos ausgeliefert“ und „du brauchst nicht zu glauben, dass die uns sagen, was wirklich los ist“. Die Gegenseite verspottet sie als „Aluhutträger“ und pöbelt zurück. Satireseiten wie der Postillon sind ein Hybrid aus Unterhaltung, Kampf gegen Halbwahrheiten und Denunziation der Dummen – wenn besonders abstruses Feedback öffentlich zum Zwecke der Belustigung zur Schau gestellt wird. Was geht in den Köpfen der Verschwörungstheoretiker vor, fragt man sich. Glauben die wirklich an ihre wirren Behauptungen? Was führt zu ihren bizarren Vorstellungen? Nun, im Allgemeinen ist es schnell erklärt: Es ist eine Mischung aus geringer Bildung und nagender Unsicherheit – vor allem in der aktuellen Weltsituation, bei der selbst abgebrühte Menschen kalte Füße bekommen können. Gekoppelt mit Drahtziehern aus politischen Randgruppen oder der esoterischen Ecke, die Leichtgläubigkeit für gezielte Propaganda nutzen. „Ja, mei, lass sie doch in ihren Hirngespinsten“, könnten liberale Menschen nun abwiegeln. „Sie schaden ja niemandem, oder höchstens sich selbst.“ Wenn die Leute sich unbedingt von der Lichtenergie von Einhörnern heilen lassen wollen – bitte, sollen sie doch. Schwierig wird es jedoch bereits, wenn Gegner der Schulmedizin ihren Kindern Chlorbleiche zur Wunderheilung verabreichen. Privatsache oder Kindesmissbrauch? Und was ist mit denen, die sich vor der „Abschaffung des christlichen Abendlandes“ fürchten und ihre „Ängste“ im Netz verbreiten? Polizeilich melden und sich als Denunziant beschimpfen lassen? Belächeln? Oder einfach ignorieren, weil diese Menschen sowieso keine Relevanz haben und sich in zehn Jahren keiner mehr an sie erinnern wird?

Quellen: blog.dergoldenealuhut.de www.bfr.bund.de de.wikipedia.org/wiki/Alternative_f%C3%Bcr_Deutschland www.tagesspiegel.de www.huffingtonpost.de www.focus.de

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d t h c u r F e Di


s n r o Z s e d Du, liebe Ananas. Amazon Deutschland listet dich in der Kategorie „Küche & Haushalt“ mit 3.277, in Worten dreitausendzweihundertsiebenundsiebzig, Ergebnissen – darunter dreihundertelf Ergebnisse zu einem ominösen „Ananaschneider“. Du kannst mir ein Küchenwerkzeug, welches im Haushalt keine weitere Verwendung hat, ja noch nicht mal dazu dient Köpfe oder Nägel einzuschlagen, und damit quasi einem Eierschalensollbruchstellenverursacher ebenbürtig ist, nicht schmackhaft machen. Vergiss es! Was hast du schon großartiges geleistet? Sag jetzt nicht, dass du stolz darauf bist, als Preis in Form einer „Goldenen Ananas“ für einen Wettbewerb mit irrelevantem Ausgang verliehen zu werden? Du bist sogar so unbedeutend, dass du aufgrund Irrelevanz seit 1984 in Europameisterschaften nicht mehr vergeben wirst. Die Tschechoslowaken waren allesamt voll von Traurigkeit, als sie dich bei der EM 1980 im Spiel um den dritten Platz im Elfmeterschießen 9:8 gegen Italien gewonnen haben. Anton Ondruš, der Kapitän der Tschechoslowakei, weint sich heute noch heimlich in den Schlaf. Du bist damals schon so verhasst gewesen, dass man sich im Vorfeld darauf geeinigt hatte, eine mögliche Verlängerung zu überspringen und gleich mit dem Elfmeterschießen weiterzumachen. Mensch, bist du toll, Ananas! Stelle dich da hinten zur

von Fabian Wiesner

„Goldenen Himbeere“ und schäm dich! Ja, auf dem Deckel des Pokals des Wimbledon-Tennis-Herreneinzels bist du zu sehen, aber ist halt Tennis, ne, merkste selber, ne? Ob begründet oder nicht, aber als Toast Hawaii sagt man dir sogar eine Möglichkeit zur Bildung krebserregender Nitrosaminen aus Nitriten des Schinkens und den Aminosäuren des Käses in deinem sauren Milieu nach. Ha, das hat man mir beispielsweise noch nie vorgeworfen. Auch wenn du mit deiner Lobby im Hintergrund ganze Arbeit geleistet hast, so weiß ich, dass die durch Adam und Eva verkostete Paradiesfrucht du gewesen sein musst. Du bist ein durch und durch mit Kalkül über Leichen gehendes Etwas. Erzähl mir du hier nichts von Äpfeln und Birnen. Liebe Grüße Fabi


Leben. und s0.


Freundinnen findet man nicht im Supermarkt. Aber warum eigentlich nicht? von Stefanie Krüger

Nach einer Runde Spontan-Shopping zieht es mich noch kurz in den Supermarkt im Erdgeschoss eines Münchner Einkaufstempels. An der Kasse schaue ich mir an, was die Frau hinter mir aufs Band lädt: drei Tetrapacks Kokosmilch und zwei Früchtemüslis. Ich schaue hoch zu ihr und sage spontan: "Das sieht lecker zusammen aus! Mit Kokosmilch habe ich Müsli noch gar nicht probiert." Sie, etwas überrascht, aber lächelnd: "Ja, schmeckt prima zusammen! Und für Smoothies kann man die Kokosmilch auch gut nehmen." Ich schiebe Spinat und frischen Orangensaft zusammen. "Das ist mein halber Smoothie, dazu dann noch Banane, Ingwer und Leinsamen." Sie, mit noch breiterem Lächeln: "Mhm, oder Chiasamen!" Nachdem das Gespräch noch kurz unsere weiteren gemeinsamen Essensvorlieben gestreift hat, bin ich leider schon dran mit Bezahlen, verabschiede mich und wünsche der Frau einen schönen Abend. Ich glaube, wir freuen uns beide, weil es eine nette Begegnung war. Als ich in mein Auto steige, bin ich ein bisschen traurig, denn eigentlich hätte ich die Frau gerne näher kennengelernt. Es wäre sicher nett gewesen, mit ihr mal einen Kaffee zu trinken, dabei über Essen zu quatschen oder auch mal was gemeinsam zu kochen, denn sie schien ja einen ähnlichen Geschmack zu haben wie ich und war mir sympathisch. Aber man

kann doch schlecht mitten in der Schlange an der Supermarktkasse sagen: "Mir gefällt, was Sie da einkaufen. Wollen wir Freundinnen sein?" Oder etwa doch? Zumindest so ähnlich. Ja, das könnte man eigentlich schon. Aber eine potenzielle Freundin anzusprechen ist wohl genauso schwer wie der Versuch, eine(n) mögliche(n) Partner(in), den/die man nach einer zufälligen Begegnung sicher nie wiedersehen wird, nach der Telefonnummer zu fragen. Inklusive der Angst, eine Abfuhr zu kassieren oder Gedanken darüber, was sich das Gegenüber denken könnte und ob es einen vielleicht für komplett bescheuert hält. Das war mir vorher gar nicht so klar, aber ist wohl so. Manchmal wünsche ich mir in solchen Situationen ein bisschen mehr Mut, und ich hoffe, nächstes Mal habe ich ihn.


Bitch. von Larissa Strohbusch

verheiratet. Männerfressendes Monster. Bitch. Meine Freundin Y ist nach einer schwierigenden Trennung in einer schweren Zeit schnell wieder in eine neue Beziehung geschlittert. Männerfressendes Monster. Bitch. Meine Freundin Z hatte in den letzten zehn Jahren drei lange Beziehungen. Nach der Trennung von der Ex fand sie schnell ihre Neue … und ist mit der sogar schon verlobt. Äh, männ... äh, frauenfressendes Monster, äh Bitch? Oder Moment, ich bin verwirrt, möglicherweise ist an dieser Stelle auch die Neue die Bitch? Hätte sie doch warten müssen. Nach dem Ende einer Beziehung gehört sich eine Abstinenz- und Trauerzeit. Aber woher hätte sie das denn wissen können? Frauen können sich ja bekanntlich nicht kontrollieren. Bitch. Aber, wir sehen darüber hinweg. Es ist ja kein Mann zu Schaden gekommen.

Die BRAVO-Leser(innen?) haben abgestimmt: Taylor Swift ist eine Bitch. Es ist überhaupt nicht okay und echt bitchy, kurz nach der Trennung schon mit dem Nächsten zu knutschen, so kurz nach der Trennung von Calvin Harris. Aber, come on, das wussten wir doch schon lange. Immerhin hatte Miss Swift in den letzten acht Jahren bereits acht Boyfriends. Darunter Herzensbrecher wie John Mayer (November 2009 bis Februar 2010) – arme

„I suppose I should tell you what this bitch is thinking You'll find me in the studio and not in the kitchen" Taylor, sie war doch noch so ein junges Küken! Oder Sweethearts wie Jake Gyllenhaal (Oktober 2010 bis Dezember 2010) und seit neuestem Tom Hiddleston – Bitch, wie kannst du nur? Taylor Swift, wir haben dich durchschaut! Du tust so, als wärst du so süß und unschuldig. Everybody's darling und everybody's best friend. Aber in Wahrheit bist du eine falsche Schlange, ein männerfressendes Monster! Bitch. Tom, oh Tom, freundlicher, süßer, talentierter Tom, nimm dich in Acht!

„Don't need to shake my ass for you 'Cause I've got a brain“ „Es gibt da jemand Neuen“, schrieb ich dem Ex wenige Wochen nach der Trennung. „Wir sind zusammen.“ Bitch. „Wow, du bist ja ein echter Vamp

Meine Freundin X ist zweiunddreißig und in keiner langen Beziehung, nicht

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geworden!“, schrieb mir eine Freundin überrascht auf die News. Bitch. Ich war in den letzten elf Jahren nur etwa sechs Wochen Single. Ich gehöre der Generation „Bindungsunfähig“ an. Generation Single. Nur sechs Wochen ohne Mann? Du kannst wohl nicht allein sein, Bitch! 100 % meiner Teenagerzeit war ich „Single“. Allein. Das fünfte Rad am Wagen. Ohne Mann. Mit zwanzig der erste Freund. Nach einem Jahr unglückliche Fernbeziehung die Trennung. Sechs Wochen später: Romantischer Abend am See. Kuss am Lagerfeuer. Große Liebe. Jetzt sind wir seit zehn Jahren ein Paar. Das macht ein Drittel meines Lebens aus, praktisch meine gesamte Erwachsenenzeit. Frigide Mutti. „Liebe Larissa, ich bin elf Jahre alt und in der vierten Klasse. Ich habe bereits vier Jungs gefragt, ob sie mit mir zusammen sein wollen. Bin ich eine Schlampe?“ Diese Mail habe ich wirklich mal bekommen, echt wahr. Was geht in jungen Mädchen vor, dass sie mit elf Jahren unbedingt einen Freund haben wollen? Aber, nun, Miley Cyrus war ja auch schon im Alter von neun Jahren bereits Tyler Poseys „erste große Liebe“. Aber, ach, die „Liebe von Tyler Posey und Miley Cyrus hielt allerdings nur zwei Jahre“. Ja und schaut, was aus Miley geworden ist: „Miley, du Bitch“, verkündete Selena Gomez im Februar 2014 auf dem BRAVO-Cover. Und auch die Fans wissen Bescheid: „Miley ist ne bitch &

sie sieht aus wie ein pferd .. versteh nicht wie man so ein hässliches ding nur mögen kann ..“ Aber andererseits ist das auch wirklich eine schwierige Situation. Da muss man erst mal entscheiden, wer hier die größere Bitch ist: „Ähn...Selena nervt nicht Miley und nicht alle Fans nerven klar!Ihr müsst mal kapieren dass Miley tausendmal besser ist als diese Bitch!Selena ist ne Bitch und Miley ist viel cooler!“

„If I told you about my sex life You call me a slut“ Bitch, engl.: Hündin, Rabenaas, Schlampe, Miststück, Zicke, Ische. Bist du eine erfolgreiche Frau, die sich nicht scheut, auch mal die Ellenbogen einzusetzen? Bitch. Nimmst du dir die Freiheit, deinen sexuellen Vorstellungen zu folgen? Bitch. Hast du die große Liebe noch nicht gefunden? Bitch. Hast du dich zu schnell neu verliebt? Bitch. Kannst du etwas besser als der Durchschnitt? Bitch. Hast du schon mal eine andere Frau mit einem abwertendem Blick bedacht? Bitch. Oder warst du sogar – Gott bewahre! zickig zu einem Mann? Hormongesteuerte Bitch! Wir brauchen heute keinen Mann mehr, um zu überleben. Ohne Ehepartner verkommen wir weder als alte Jungfer, noch landen wir verarmt in der Gosse. Wir können alleine bleiben, wenn wir wollen.

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Daenerys Targaryen oder Hermine Granger. Carrie Bradshaw oder Hannah Horvarth. Erfolg, Männer, Sex, gutes Aussehen und messy hair, don't cair. You got it, Bitch! Und was ist mit dir? Bist du eine Bitch? Gratuliere! Alles richtig gemacht! Alles ist gut.

„Them boys be talking 'bout their bitches No one's making a fuss“ – Lily Allen „Hard Out Here“ Wir können unseren besten Freund heiraten – oder die beste Freundin. Wir können erfolgreich ein Internetunternehmen leiten oder Gluckenmama werden. Trotzdem bleibt das Risiko: Es hängt ein Stempel über uns. Ein falscher Schritt und er saust herab und drückt uns ein dickes B auf die Stirn. Bitch. Dabei sind die fettesten Bitches doch genau die Frauen, die wir bewundern:

Quellen: Taylor Swift Wiki bravo.de Forum starflash.de

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Frau! Zieh! Blank! von Larissa Strohbusch


gesehen? Yo, sexy Momma! Frustriert muss ich anerkennen: Diese Rundungen werde ich niemals erreichen! Joan ist so unfassbar heiß, das sage ich hier als heterosexuelle Frau … dafür muss sie nicht mal blank ziehen! Tatsächlich sind ihre klassischen 60er-Jahre-Kleider in der Serie sogar recht hochgeschlossen – keine nackte Haut zu sehen. Möglicherweise ist es ja nicht mal ihre Oberweite, die Hendricks so unfassbar attraktiv macht? Es ist nämlich gerade nicht die billige Sekretärin mit den großen Brüsten. Es ist die selbstbewusste Frau, die heimlich das Büro zusammenhält. Die nicht mal blank ziehen muss, um die höher gestellten Männer wie Marionetten zu führen. Obwohl sie schon blank zieht. Wenn sie will. Joan hat eine beachtliche Oberweite. Aber es ist die Macht, die sie sexy macht.

Irina Shayk hat alles. Sie ist ein international erfolgreiches Unterwäschemodel, dated Hollywood-Hottie Bradley Cooper und wird im FotoInterview „Sagen Sie jetzt nichts“ der Süddeutschen als „eine der schönsten Frauen der Welt“ bezeichnet. Mir bleibt beim Anblick der Fotos der Mund vor Ehrfurcht offen stehen. Vielleicht läuft sogar ein wenig Sabber heraus. Und ich denke: „Ja, es stimmt. Sie ist die schönste Frau der Welt.“ Einige Wochen später lese ich ein Interview mit Katrin Bauerfeind in ELTERN. Ob Schlausein und Selbstbewusstsein für Frauen ein Tabu sei, wird sie gefragt. Ihre Antwort darauf lautet: „Henry Kissinger hat mal gesagt: 'Macht macht Männer sexy', womit er recht hatte. Frauen gelten nach wie vor nur als sexy, wenn sie blankziehen. Deswegen sind selbstbewusste oder erfolgreiche Frauen kein Tabuthema, aber sie sind seltener und werden deshalb immer noch oft komisch gefunden.“ Weiter heißt es: „Das Leben hat immer schön zu sein. Genau wie man selbst. Ständig soll man noch toller, noch schöner, noch smarter oder dünner sein.“ Wieder muss ich an Irina Shayk denken. So sein zu wollen wie diejenigen, die wir bewundern – das ist es doch, was uns unter Druck setzt. Doch ich fühle keinen Neid in Bezug auf Irina Shayk. Ihre Schönheit ist eine glückliche Laune der Natur, so wie ein norwegischer Fjord oder ein besonders schöner Sonnenaufgang. Warum sollte ich mich von einem Fjord unter Druck setzen lassen?! Ich komme ins Grübeln. Wer sind die Frauen, die ich attraktiv, vielleicht sogar sexy finde? Welche Vorbilder habe ich, die mir das Gefühl geben, schöner, dünner, smarter sein zu müssen? Sexiest Woman on TV? Ganz klar, das ist Christina Hendricks in ihrer Rolle als Sekretärin Joan in Mad Men. Habt ihr die Oberweite

Das Thema lässt mir keine Ruhe. Welche Frauen finden Frauen sexy? Wer sind unsere heimlichen Vorbilder? Ich frage in meinem persönlichen Umfeld nach. Ich starte eine kleine Umfrage via Twitter und Facebook. Keiner nennt Irina Shayk. Auch Namen wie Miranda Kerr oder Adriana Lima fallen nicht oder eines der beliebten VictoriaSecret‘s-Models. Heidi Klum schon gar nicht. Keiner denkt an die vermeintlich Schönsten der Schönen. Woran liegt das? Ist es Neid? Stutenbissige Abneigung gegen die Perfektion? Bosheit gegenüber denjeniegen, denen die Makellosigkeit und das Dünnsein scheinbar leicht fällt? Können wir vielleicht einfach nicht zugeben, dass Menschen, an denen wir kein sexuelles Interesse haben, attraktiv sind? Der Name Christina Hendricks fällt stattdessen, wie erwartet. Scarlett Johannson. Oder Léa Seydoux. Emma Watson ist schön. Mackenzie Davis oder Natalie Portman. Romy Schneider oder Pink. Meine Freundinnen. Meine Frau.

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machen, dass wir Depressionen bekommen unter dem Druck, der auf uns lastet, so attraktiv zu sein wie die nackten Schönen auf den Plakaten. Dass wir unsere Werte, unser Talent verkaufen, für das Streben, den Wahn, genauso dünn zu sein wie Unterwäschepräsentationen. Doch die Wahrheit ist: Das sind nicht unsere Vorbilder. „Macht macht Männer sexy“. Und Frauen auch. Erfolg macht Frauen sexy. Intelligenz. Selbstbewusstsein. Unperfektion. Humor. Sanftmütigkeit. Schlichtweg: Frauen sind sexy. Vielleicht nicht immer für die Cosmopolitan. Aber für unsere Freundinnen, unsere Kollegen, Leute, die wir auf unserm Arbeitsweg treffen. Unsere Partnerinnen und Partner. Und hoffentlich für uns selbst.

Man müsse unterscheiden, ermahnt mich meine Freundin Roxy. Attraktivität habe nicht unbedingt etwas mit der Optik zu tun. Es gebe „schön“, aber auch „apart“, „hinreißend“ oder „beeindruckend“. Frauen sind großem Druck ausgesetzt. Zweifellos. Doch man unterstellt uns, dass der Druck von den Plakaten kommt. Von den Size-Zero-Geistern, die an jeder Ecke blankziehen. Es heißt, sie ermahnen uns dazu, genauso schön, makellos und vor allem dünn zu sein. Blank zu ziehen. Unnahbar oder unterwürfig zu sein. Makellos zu sein. Unnahbar. Unterwürfig. Das mache eine Frau sexy. Machtlosigkeit – im Gegensatz zu den Herren. Offensichtlich: Denn auch wir stehen ja auf die großbusige Christina Hendricks. Auf Scarlett Johannson, wenn sie lasziv einen Schmollmund zieht. Oder vielleicht stehen wir auch auf Joan Holloway, die ein ganzes Büro voller Männer im Griff hat. Auf Superagentin und Badass Black Widow. Wir stehen auf Léa Seydouxs hinreißende Zahnlücke. Wir knien nieder vor Emma Watsons und Natalie Portmans Intelligenz. Oder vor Pinks Rockaura. Wir beneiden unsere Freundinnen um ihre tollen Haare oder schönen Augen. Bleibt mein Blick in der U-Bahn an einer Frau hängen, dann ist es selten eine Schickeria-Schönheit. Es ist die Frau mit den großen Ohren oder die mit der auffälligen Nase. Vielleicht die Rothaarige mit den Sommersprossen. Oder auch die mit dem Kopftuch. Manche von uns verlieben sich sogar in andere Frauen – in die ganz Normalen, vielleicht mit Size-Zero-Größe, vielleicht auch nicht. Doch das Dünnsein, das ist wohl im seltenen Fall der Auslöser. Meistens verlieben wir uns doch in Menschen, die wir bewundern, die uns beeindrucken. Vielleicht nicht mit ihrem großen Busen oder ihren Schmollmund – vielleicht auch einfach mit ihrem Humor, ihre große Klappe oder auch ihrer Sanftmütigkeit. Aus den gleichen Gründen, aus denen sich andere in Männer verlieben. Uns wird unterstellt, dass wir uns klein

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Langhaarmädchen von Corinna Luca hätte man ein Kinderbuch schreiben können. Eines von denen, die immer im besten Sommer der Kindheit spielen und in denen es nie getrennte Eltern gibt. Die anderen Mädchen liebten sie. Die Lehrer liebten sie. Aber am Wichtigsten – die Jungen liebten sie. Ich hatte schnell beschlossen, dass das Langhaarmädchen meine Rivalin war. Es war in jedem Fall nicht fair, wie schön sie war und sportlich und gut in der Schule. Es war nicht fair, dass ihr die Jungen zu Füßen lagen, wo sie mich nicht ansahen. Ich war mausgrau und klein, und von mir gemocht zu werden schien eine peinliche Angelegenheit zu sein. Einer der Jungen ging mir wochenlang aus dem Weg, nachdem er herausgefunden hatte, dass ich ihn mochte. Es war einer der Jungen, der sich immer in der Nähe des Langhaarmädchens aufhielt. Der Anblick der beiden zusammen machte mich krank, noch lange nachdem meine Schwärmerei für ihn beendet war. Ich versuchte besser als das Langhaarmädchen zu sein. In jeder Sportart, in jedem Fach. Ich starrte auf ihren Hinterkopf in der Reihe vor mir und versuchte, ihr Geheimnis zu ergründen. Die Tatsache, dass sie nicht einmal wusste, dass wir Rivalinnen waren, machte mich ärgerlich. Ich sagte mir, ich hasse sie nicht wirklich, das wäre lächerlich. Aber ich wollte sie bezwingen, besser sein als sie. Und genoss trotzdem jeden Funken Aufmerksamkeit, der auf mich fiel. Als würde etwas von ihrer Aura dann auch mich umfangen. Drei Jahre später. Eine neue Schule brachte neue Jungen zum Verlieben und

Lasst mich euch von den Langhaarmädchen erzählen. Ich war zehn Jahre alt, und hätte man die fünfundzwanzig Kinder in meiner Klasse in einer Schlange bis zum Horizont aufgereiht, die Sonne hätte das Langhaarmädchen getroffen und sie glitzern lassen. Dieses Mädchen war klug und beliebt. Es hatte ein hübsches, rundes, symmetrisches Gesicht, blaue Augen und dicke, blonde Haare, die genau die richtige Anzahl Wellen hatten, um nicht lockig zu sein und auch nicht wie Schnittlauch herabzuhängen. Wenn wir uns in langweiligen Mathestunden alle ein Haar ausrissen, um es lang zu ziehen und am Lineal abzulesen, wer die längsten Haare hatte, die schönsten, die Prinzessinnenhaare, gewann immer das Langhaarmädchen. Ihr gelangen die Dinge. Sie war ein wenig frech, aber nie zu sehr. Über sie

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neue Mädchen, mit denen ich mich messen konnte. Alle anderen Mädchen schienen eine Figur zu entwickeln, und ich wusste nicht mehr, wo ich in der Umkleidekabine hinschauen sollte. Ich zog meine Sportsachen auf der Toilette an und beobachtete die beliebten Mädchen aus dem Augenwinkel, wie sie in Shorts und knappen T-Shirts auf der anderen Seite der Turnhalle spitze Lacher ausstießen. Ein Langhaarmädchen war perfekt. Sie hatte die richtige Kleidung, die glänzenden Haare. Sie hatte genau die richtige Größe, um neben jedem Jungen niedlich auszusehen und perfekte Brüste. Ich verachtete sie. Ihr Gesicht, ihr Lachen, ich verachtete auch das gute Gefühl, dass über mich kam, als sie mir einmal ein Kompliment für meinen Rucksack machte. Und einmal für meine schmale Hüfte. Sie sagte, sie sei neidisch. Neidisch, dachte ich. Es klang wie Spott. Ich konnte sie nicht leiden aber warum mochte ich sie so viel weniger als andere Mädchen, die hinter meinen Rücken flüsterten und lachten? Ich hätte mich langsam an eine Antwort herantasten können aber ich ignorierte das Gefühl. Von klein auf wird Mädchen die Welt erklärt. Sie drehen sich nebeneinander in Kleidern und man sagt ihnen, was hübsch an den Schleifen der anderen ist. Was sie im Fernsehen, in Filmen und in Büchern sehen, sagt ihnen, dass die Aufmerksamkeit und Liebe der Welt eine begrenzte Ressource ist, um die es mit anderen Mädchen zu konkurrieren gilt. Es ist eine bestimmte Art von Feindlichkeit, die in dir wächst, wenn du deine Negativität wie selbstverständlich auf andere Frauen lenkst. In der unterschwelligen Vorstellung, dass am Ende des Weges ein Mann stehen wird, für den es sich lohnt. Es ist wie ein Rucksack, den du immer mit dir führst, der dich mit jedem Schritt selbst wunder und verletzter werden lässt. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis ich das Langhaarmädchen kennenlernte, das die gläserne Wand in meinem Kopf zwischen der Abteilung für Mädchen als

Freundinnen und Mädchen als Rivalinnen und Konkurrenz einriss. Heute bin ich ärgerlich, wenn ich an die vertane Zeit des Verachtens denke. Ärgerlich, dass mir niemand etwas anderes beigebracht hat als zu vergleichen. Ich finde es immer noch unfair. Unfair, dass wir alle Teilnehmerinnen an einem Wettbewerb waren, für den sich keine von uns angemeldet hatte. Ich hätte die Langhaarmädchen lieben oder hassen können, begründet auf ihrem Selbst, nicht auf der Tatsache, dass ein Junge finden könnte, dass sie hübscher waren als ich. Manchmal möchte ich mich heute neben eine unsichere Dreizehnjährige stellen. Ich würde neben ihr stehen, wenn sie ein in der Sonne glitzerndes Langhaarmädchen betrachtet und ihr sagen, dass es in Ordnung ist, gemocht zu werden und nicht gemocht zu werden. Zu mögen und nicht zu mögen. Dass sie entscheidet. Dass sie die Menschen suchen soll, die ihr gut tun und dass die hübschesten Mädchen ihre Freundinnen sein dürfen. Ich würde ihr sagen, dass sie noch so viel lernen und verstehen wird. Dass es so viel mehr Möglichkeiten für Menschen und die Liebe gibt, als sie sich jetzt vorstellen kann. Ich würde zu ihr sagen: „Lass mich dir von meinen Langhaarmädchen erzählen.“

Corinne, *1982, ist Autorin des makellosmag. Dort schreibt sie über das Leben und unseren Platz in der Welt - und vor allem über die Stupidität unserer Gesellschaf. Dieser Artikel erschien zuerst auf makellosmag.de


Erzähl mir von ...

deinen Teenagerträumen! von Larissa Strohbusch Alle wollen vorwärts kommen. Zukunft, Kind, Karriereplan. Immer geht es um das Morgen. Aber wie war dein Leben denn, als du ein Kind warst? Wie war es denn als Teenager? Erzähl mal. Roxana vom early birdy, Sabine vom fadenvogel und ich tauschen jeden ersten Sonntag im Monat Erinnerungsstücke aus. Ein Thema – drei unterschiedliche Texte, drei unterschiedliche Frauen, drei unterschiedliche Leben.

„Dass ich Angst habe, das ist ja klar. Aber dass ich mich freue ...“, schrieb ich damals in mein Tagebuch, als meine Eltern (mal wieder) mit dem Gedanken spielten, mit der Familie wegzuziehen. Und so gab es mich meinen Träumen hin, überwand in meiner Fantasie alle Ängste und Schwierigkeiten und zog in Gedanken an einen anderen Ort.

Aber zu Beginn stand das Abenteuer. „Erzähl mir von früher“, das sagte ich auch damals schon. Immer wieder fragte ich meine Mutter nach ihren wilden Zeiten. Sie sollte mir erzählen, wie sie mal einfach so losfuhr – und am Ende den ganzen Sommer auf einem Boot in Frankreich verbracht hat. In welche Jungs sie verliebt war, mit wem sie in ihren WG-Zeiten zusammengelebt hat. Sie zeigte mir Bilder von langhaarigen Hippie-Typen und von experimentellen Foto-Sessions. Ich sog die Geschichten auf wie ein Heilmittel gegen Langeweile und Einsamkeit. Doch am Ende heilte es nicht, sondern streute nur Salz in meine Wunden. Ich zerfloss vor Sehnsucht nach ein wenig Aufregung. Nach Cliquen und romantischer Liebe mit verruchten Künstlertypen. Glücklicherweise bin ich kein Mensch, der in Selbstmitleid zergeht – war ich noch nie. Ich ging pragmatisch an meine Träume heran: Ich machte Pläne.

„Was waren eure Teenagerträume?“, fragte Roxy in dieser Runde von „Erzähl mir von ...“. „Welche haben sich erfüllt und welche nicht?“ Und schon stecke ich in einer metaphysischen Zeitreise, gehe zurück, um mein eigenes jüngeres Ich zu treffen. Aber wie weit gehe ich? Zu der bodenständigen Neunzehnjährigen, die sich für einen Studiengang entscheiden muss? Zu der unglücklichen, einsamen Fünfzehnjährigen, die sich so sehr auch einen Freund wünscht? Oder zu der Elfjährigen in Hippieklamotten, die emotionale Tränchen verdrückt, wenn die Kelly Family ihre Ökoschmonzette „When the last tree“ singt? Vielleicht ist es nicht wichtig, denn vielleicht gibt es kein jüngeres oder älteres Ich, vielleicht gibt es nur mich und ich suche immer das Gleiche: Sinnhaftigkeit für mein Leben. Und ein bisschen Liebe.

Ziel 1: Raus ins Leben! Was andere „Landidyll“ nennen, war für mich ein klebriger Morast. Es hielt mich fest, es engte mich ein, es nahm mir die Luft zum Atmen. Jeder Weg endete an einem Berg. Wortwörtlich. Die Welt war mir dort im südwestfälischen Hinterland zu eng. Ich wollte nur eins: Weg, weg, weg.

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Weg in all die Abenteuer, die mir Bücher, Fernsehen und meine Mutter versprachen. In diese Welt, die es doch irgendwo da draußen geben musste. Es gab zwei Wege dorthin, einen scheinbar leichten und einen schweren. Meine Freundin wählte den scheinbar leichten, als wir fünfzehn waren. Eines Morgens stieg einfach aus dem Schulbus aus, nahm stattdessen den Bus in die nächste Stadt und von da aus den Zug in die Großstadt. Dann war sie weg. Wochenlang. Als ich sie am Ende des Sommers wiederfand, saß sie mit zerfetzter Strumpfhose und wilder Frisur auf der verruchten Treppe unterm Kölner Dom. Leicht zerknirscht. Sie habe sich gerade mit ihrem Freund gestritten, berichtete sie. Vielleicht wollte sie auch nicht von mir gefunden werden. Einige Zeit später kam sie wieder nach Hause. Doch der Weg zurück war ihr verbaut. Sie konnte nicht einfach wieder mit uns zur Schule gehen. Die Selbstverständlichkeit, ein paar Jahre zu warten, den Abschluss zu machen und dann mit dem Leben zu beginnen, das war ihr verloren gegangen. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Also entschied ich mich für den langen, anstrengenden Weg: Ich ging zur Schule, ich machte Abitur, ich schrieb mich an der Universität ein. Dort, so wurde mir versprochen, sollte das Leben beginnen.

Fall lange Haare. Groß musste er sein, größer als ich. Und schlaksig. Intelligent – klar! - wild, romantisch, philosophisch. Ich träumte von einem Kurt Cobain. Ich begegnete vielen Typen. Den Normalos, den Großen, den Langhaarigen, den Aufregenden (Schwertkämpfer!). Doch alle gingen sie an mir vorbei. Bis ich irgendwann aufgab. Dann kam er, der blauäugige Mann. Er war nicht groß, alles andere als schlaksig oder langhaarig. Aber immerhin spielte er Gitarre und gab sich aufregend. Schließlich war ich es, die wieder ging. Manche Träume mussten nicht erfüllt werden.

Zum Glück erwachsen Einundreißig. Früher kam es mir wie eine astronomisch hohe Zahl vor. Heute wundere ich mich, wie ich so alt werden konnte und mich immer noch so „grün“ fühlen kann. An meine Teenagerträume denke ich nicht mehr zurück. Ich habe sie nicht gehen lassen, sie sind einfach dorthin gekommen, wo sie hingehören: in die Realität. Es war holprig, aber ich bin da. Ich habe die wilden WG-Zeiten durchlebt und sie abgehakt. Bin weggegangen, in den Norden, in den Osten und schließlich in den Süden. In die Metropole, so wie ich es mir gewünscht habe. Und ich habe vor, zu bleiben. Ich bin nicht die jüngste Bestseller-Autorin der Welt geworden, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich schreibe. Und das zählt. Ich träume nicht mehr von der wilden Romantik. Ich verzichte gerne auf die Kurt Cobains dieser Welt. Die Liebe kam, als ich sie nicht mehr gebraucht habe. Mit braunen Augen und kurzen Haaren, mit einem bodenständigen Beruf statt Künstlerambitionen. Diese Liebe ist nicht verrucht, nicht wild. Aber oft sitzen wir zusammen und lachen über die Abenteuer, die wir gemeinsam erlebt haben. Auch wenn sie vielleicht keinen Roman oder Blockbuster wert sind. So ist es eben, das Leben.

Ziel 2: Die große Liebe in einem verruchten Künstlertypen finden Während der Weg ins Leben ein Selbstläufer war, so war der Weg in die Liebe deutlich sperriger. Es war vielmehr gar kein Weg, sondern eine Haltestelle. Ich saß, drehte Däumchen und wartete. Und hoffe, dass es nicht die Enthaltestelle war, an der ich gelandet war. Die Schwärmereien kamen, sie zogen vorbei und die Hoffnung schwand. Und während ich wartete, machte ich Listen. Ich malte mir meinen „Traumboy“, wie bei einem Hexenspuk, in der Vorstellung, dass er aus meinen Tagträumen herauf steigen würde. Er müsste blaue Augen haben, das war klar. Vielleicht blond, aber auf jeden

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Momentaufnahme zweier Menschen Eine Kurzgeschichte, basierend auf einer wahren Begebenheit. von Larissa Strohbusch

„Das macht dann vier-fünfzig.“ Sie war siebzehn. Das erste Mal abends in der Stadt. Das erste Mal im Club. Das erste Mal in der Erwachsenenwelt. Das erste Mal an der Kasse vor dem Mann mit dem Stempelkissen stehen. „Oh, hm ...“ Die Freundin räuspert sich. „Ich weiß gar nicht, ob sich das für uns lohnt … Wir können gar nicht so lange bleiben ...“ „Es gibt einen Cocktail umsonst!“ „Cocktail!“ Ehe die Freundin weitere Einwände aussprechen konnte, landeten die vier Euro fünfzig auf der Theke. „Ihr seid doch achtzehn, oder?“ „Na klar!“ Schnell legte die Freundin ihren Beweis vor. Es reichte, sie waren drin. Drin im Club – nicht drin im Erwachsenenleben, versteht sich. Denn, oh, man hatte vergessen, den Backfischen das Nachtleben zu erklären! Sie fühlten sich so groß, sie waren bereit für die Versprechungen: Sex, drugs and Rock‘n‘Roll! Okay, Cocktails und der erste Freund, das wäre schon mal ein Anfang. Aber Rock‘n‘Roll, ja, Rock‘n‘Roll war gut. Aber sie fanden: Leere. Denn was sie nicht

wussten: Um neun Uhr, da geht noch keiner feiern. Jedenfalls keiner von den Großen. Wie sollte das nun werden mit der wilden Nacht (bis Mitternacht, wenn der letzte Bus fuhr), mit dem Flirten und vor allem damit, den ersten Freund kennenzulernen? Der erste Abend im Club. Es gab große Erwartungen. Immerhin, es gab den Cocktail – Tequila Sunrise – und es gab Musik, wenn auch mit leerer Tanzfläche. Sie hatte ihre Freundin dabei, sie brauchten kein Publikum. Also tanzten sie. Sie tanzten zu den Strokes, zu den White Stripes und Refused. Sie tanzten zu Jet, zu den Violent Femmes und Caesar. Es waren die frühen 00er. Der Indie-Rock war groß. Sie tanzten und sie tanzten. Es gab kein Publikum. Und als der Raum sich doch langsam füllte, gab es keinen Schutz vor den Blicken. Aber das war ihr egal. Es war das erst Mal im Club. Es war ein Beginn, und sie wollte sich nicht aufhalten lassen. Als sie wieder auftauchten aus der Musik, hatte sich der enge Kellerraum gefüllt. Die Studenten waren da, die Großen, an


denen man sich orientierte, die man beeindrucken wollte. Die Jungs trugen Jeans, die am Hintern zu weit waren und dazu Nietengürtel. Sie trugen bunte Bandshirts. Und der Pony fiel ihnen in die Augen. Sie waren erwachsen, sie warten attraktiv. „Wird einer davon mein erster Freund werden?“, fragte sie sich. Bald hatten sie Bekanntschaft mit zwei jungen Herren gemacht. Nein, die Freundin hatte die Bekanntschaft gemacht. Einer der jungen Männer war offensichtlich von ihr angetan. An einem anderen Abend wäre die Freundin vielleicht mit ihm nach Hause gegangen. Aber nicht an diesem. Um Mitternacht ging der Bus, und sie würden ihn nehmen und am Ende würden die Freundinnen nebeneinander einschlafen. Anders ginge es nicht. Anders würde sie alleine in der Stadt stranden. Ein anderer Schlafplatz kam für sie nicht in Frage. Sie würde mit keinem Mann nach Hause gehen, das war ihr klar. Sie wartete auf ihren ersten Freund, keine Bettgeschichte. Ganz davon abgesehen mangelte es auch ganz klar an Gelegenheiten.

erkältet.“ Kein Knutschen? Natürlich war sie enttäuscht, aber er hielt sie eng an sich und sie konnte ihren Kopf auf seine Schulter legen. Und irgendwie war sie auch ein bisschen erleichtert.

Auch wenn sich der Mann heute nicht finden ließ, so blieb doch die Musik. Also tanzte sie und lächelte vor sich hin. Und jemand lächelte zurück. Keiner von den Großen, keiner von den Coolen, keiner von denen mit den Nietengürteln. Aber durchaus gut aussehend. Und er lächelte. Das war sympathisch, das war doch etwas. Der Junge winkte sie zu sich, sie tanzten. Redeten sie dabei? Sahen sie sich an? Vielleicht brüllte er durch die Musik hinweg seinen Namen zu ihr, vielleicht brüllte sie zurück. Möglicherweise gab es dabei Missverständnisse. Aber sie tanzten. Und er war sympathisch, war er es nicht? Er könnte ihr erster Freund werden. Oder vielleicht, das wäre doch das Mindeste an so einem Abend, vielleicht würden sie sich einfach nur küssen. „Das ist mein Lied!“, brüllte er irgendwann und zog sie enger an sich. „Normalerweise knutsche ich dabei immer mit den Mädchen. Aber heute nicht, ich bin

Sie und er haben sich nach diesem Abend nie wiedergesehen.

Irgendwann saßen sie zusammen auf dem schäbigen alten Sofa. Er erzählte, sie erzählte. Er war sympathisch. Er könnte ihr Freund werden, oder nicht? Sie und ihre Freundin verpassten den letzten Bus. Aber das machte nichts. An einem Abend wie diesem konnte das spärliche Schüler-Budget mal überschritten und in ein Taxi investiert werden. Zum Abschied hatte sie ihm ihre Nummer gegeben. Er würde anrufen, natürlich. Sie hatten sich gut unterhalten, sie fanden sich attraktiv. Waren das nicht die Zutaten, die es braucht? In dieser Nacht langen die Freundinnen nebeneinander im Bett und ließen den Abend Revue passieren. „Ich glaube, ich habe mich verliebt“, sagte sie noch. Und damit ging der erste Besuch im Club zu Ende.


Mach's gut und bis zum nächsten Mal! Die nächste Ausgabe erscheint am 2. Oktober 2016


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