No Robots Magazine #4: Freaks & Geeks

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No Robots Magazine

#4, November 2016

Freaks & Geeks


Inhalt. Die Freiheit der Spieler von Sabine

FuĂ&#x;ball-Liebe von Stefanie W.

Conventions von Stefanie K.

Frau Informatikerin von Stefanie H.

Die vier Phasen des Fangirl-Fiebers von Katie

5 plus 1 Dinge, die das Elternsein so wunderbar machen von Julia

Ehrliches DIY von Larissa

Liebe mit fĂźnfzehn von Corinne

Die Wikinger von Larissa


Hallo! Ey, du Freak! Ja, du! Du bist hier genau richtig! Es gibt ja Menschen, die rennen durch den Wald und jagen Orks. Abgefahren, oder? Aber ... warum auch nicht? Solche Nerds gibt es halt. Ihr wisst schon, so komische Typen mit schlechten Frisuren, die im wahren Leben Informatiker sind. Äh ... Moment ... Typen? Wer sagt eigentlich, dass das immer Männer sein müssen? In dieser Ausgabe geht es um Freaks, Geeks und Nerds. Um Frauen, die sich als Schildmaid verklei­ den oder im Fußballstadion mit ihrer Mannschaft feiern. Die extra weit reisen, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen oder beim Anblick eines bestimmten Schauspielers wild quieken. Und um Frauen in männlichen Berufen, nämlich die Frau Infor­ matikerin. Und weißt du was? Alle diese Frauen sind unglaublich cool, klug, witzig und – ja, das auch – gut aussehend. Deine

Larissa

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Die Freiheit der Spieler

eine kurze Geschichte Ăźber das Rollenspiel von Sabine Rest


Titelthema Stell dir vor, du bist Mitte Zwanzig und grad frisch verliebt. Die Beziehung ist noch jung und unschuldig, alles läuft perfekt. Handys können noch keine Fotos schicken, Facebook gibt es auch noch nicht. Man weiß einfach noch nicht so viel voneinander. Da passiert es dir, dass es Samstag ist und du mit deinen Freunden ausgehst. Man trifft sich an U-Bahn-Haltestellen, fährt zu einem Club - alles retro. Und dann kommt die Frage. „Wo ist eigentlich dein Freund?“ Ja, da ist sie, die Frage. Wo ist der Kerl diesen Samstag Abend – wenn nicht mit euch in einem schäbigen Club beim Tequila trinken? Ich (wahrheitsgemäß und trotzdem bisschen nuschelnd): „Der ist im Wald und jagt Orks.“ Aha, danke für den Kommentar. Scheint ja zu laufen bei euch.

Science Fiction und dem Weltall auseinandersetzen. Welche, die eher romantisch mit einem phantastischen Mittelalter liebäugeln. Es gibt die 20er Jahre, es gibt die Zombies und das Ende der Welt, es gibt die Vampire. Doch wie genau funktioniert das? Zunächst ist es eine Veranstaltung, zu der man sich anmeldet. Die Macher organisieren den Ort (eine Burg? Jugendherberge? Zeltplatz?) und erzählen eine Geschichte. Wo man sich befindet, wenn man anreist. Wie das Land denn heißt, welche Wesen da denn leben und wie die Menschen denn so ihren Alltag haben. Wie jede gute Geschichte gibt es natürlich ein besonderes Ereignis. Lager streiten sich um Vorherrschaft, ein Turnier findet statt. Irgendwas. Man meldet sich an, zahlt einen Beitrag und dann reist man dorthin. Mit vollgestopften Autos, Anhängern – alles, was geht. Denn man baut sich dort ja seine eigene Welt. Ein Zelt, dass irgendwie in das Ambiente passt. Eine Feuerstelle, Vorräte, Waffen, Kleidung. Denn man kommt ja nicht als Hinz und Kunz, man hat sich ja vorher einen Charakter ausgedacht – eine Geschichte. Jeder trägt einen anderen Namen, hat bestimmte Eigenschaften. Manche Charaktere begleiten manche Spieler bereits seit Jahren. Andere werden von der Spielleitung gecastet, damit das Spiel überhaupt stattfinden kann – sollen nämlich die Untoten angreifen, muss das ja auch irgendwer machen. Aber viele pflegen ihre Charaktere mit Hingabe. Nähen sich die passende Kleidung dazu, schreiben sich ihre eigenen Geschichten auf, basteln sich ihre Waffen dazu. Das ist natürlich ein großer Aspekt davon: die Pflege des Charakters. Die Handarbeit, die weit verbreitet ist unter den Larpern, die sich interessiert über Stickereien beugen oder lange über verschiedene Nähmaschinen philosophieren können. Ja, die meiste Zeit hat es was mit Basteln zu tun. Denn du kannst nur der sein, der du sein willst, wenn die anderen dich als denjenigen auch erkennen. Und da kann es schon ins Detail gehen. Ich sag nur: Schuhe! Kann ein abendfüllendes Thema sein.

Nein, der ist wirklich im Wald und jagt Orks. Manche ziehen dann die Augenbrauen hoch, andere fangen schallend an zu lachen. Ist ja auch ein Burner-Spruch. Ich kann es aber auch nicht anders ausdrücken. Mein Freund ist ein Larper. Was soll man da sagen können? Der Mensch ist ein Spieler. Die Geschichte seiner Spiele ist lang. In fast allen Kulturen wurde irgendwas gespielt – und zwar von Erwachsenen. Bei Kindern ist es ein normaler Entwicklungsprozess, dass sie sich irgendwann für eine bestimmte Art von Spielen interessieren, und zwar Rollenspiele. VaterMutter-Kind, Einkaufsladen, Cowboy und Indianer, Tiere sein. Sie stellen damit ihre reale Welt nach, verarbeiten Erlebtes, verfestigen ihr Sozialverhalten, blabla. Wenn erwachsene Menschen sich immer noch für diese Art von Spielen interessieren, dann hat das a Gschmäckle. Nerd halt. Bisschen verrückt. Gut, die Larper sind auch ein bisschen verrückt. LARP - das ist die Abkürzung für Live Action Role Play. Irgendwie selbsterklärend – ein Rollenspiel, dass live und in Farbe stattfindet. Es gibt so viele verschiedene Arten von Rollenspielen – welche, die sich mit

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Gut, neben der äußeren Erscheinung kommt dann auch die Geschichte dazu. Ich habe einmal zwei Trolle getroffen, die ihren Gott gegessen haben und jetzt auf der Suche nach einem neuen waren. Und deswegen haben sie alle nach ihren Religionen und Göttern befragt. Gut, als Troll irgendwo hinzukommen ist auch gefährlich – die meisten haben was gegen Trolle und die Geschichte musste gut sein, sonst hätten sie als diese Charaktere keine zwei Minuten überlebt. Aber so kamen sie mit allen ins Gespräch, waren äußerst lustig und ja, das war eine gute Geschichte.

wie weniger anmutige. Echte Tänzerinnen und solche, die es sein wollen. Kann jeder machen, wie er meint. Zwischen Schildmaid und Schankmaid sind alle Rollen offen. Du siehst, ich bin eines Tages in den Wald mitgekommen und habe Orks gejagt. Auch ich habe getanzt und mich an verschiedene Situationen gewöhnt. Dabei gibt es natürlich nicht nur Spieler, die es können – es gibt auch eine Menge Möchtegerne und Labertaschen. Ich spielte mal eine Tochter von jemanden – nur leider hat dieser diesen Umstand sofort vergessen, wenn es um die Schankmaid ging. Da saß ich nun – wie bestellt und nicht abgeholt. Und er verschwand – vom Spiel blieb nichts mehr übrig. Ich hatte gute Situationen und schlechte, wobei sich die schlechten wirklich an einer Hand abzählen lassen. So oft war ich dann doch auch nicht dabei. Aber ich weiß, dass die guten überwiegen. Denn selten hat man eine Gruppe von Menschen, denen es völlig egal ist, wie der gesellschaftliche Status in der echten Gesellschaft denn ist. Orientalische Tänzerinnen, die im echten Leben Polizistinnen sind. Bürgermeister und Schankwirte, die im echten Leben Maurer und Handwerker sind. Diebe und Sänger, die im echten Leben Anwälte sind und in einer normalen Arbeitswoche fünfzehn weiße Hemden verbrauchen. Auch darin liegt für viele der Reiz. eine Parallelgesellschaft kreieren, die ihre eigenen Geschichten erzählt und ihre eigenen Helden hat. Oft reden Larper untereinander nur über Treffen, Schlachten und fremde Namen. Sie sind wie Pilzsucher, die sich stundenlang über Pilze, geheime Waldplätze und schlechte Wetterbedingungen austauschen können. Es ist manchmal kaum zu glauben, dass LARP nur für sich selbst existiert. Es gibt keine Zuschauer, keine Touristen, kein zahlendes Publikum. Es wird ein unglaublicher Aufwand betrieben – für ein Wochenende, für Schall und Rauch. Ich habe mal Leuten zugesehen, die eine ganze Kirche für ein Wochenende aufgebaut haben. Und dann wieder abgebaut. Larper sind aber nicht die ganze Zeit in ihrer Rolle, es gibt Out time. (so nennt sich das – Out time und In time). Wenn

Männer, Frauen und Kinder spielen LARP, wobei die Kinder meistens die besten sind. Aber nicht alle Veranstaltungen sind für Kinder ausgeschrieben. Es soll sich ja alles möglichst real anfühlen, die Leute sollen in eine bestimmte Welt abtauchen, manchmal auch Wesen treffen, die es so nicht gibt – nicht immer ist das gut für Kinder. Der Eindruck kann entstehen, dass es vor zehn oder fünfzehn Jahren eher ein Ding von männlichen Teenagern war. Als diese ganze Spielkultur überhaupt zu uns kam. Frauen oder Mädchen waren selten. So (und ohne es wirklich nachprüfen zu können) ist der Eindruck, der völlig individuell ist. Heute trifft man sehr viele Frauen. In ganz unterschiedlichen Rollen – war es vor zehn Jahren noch ein Ding, wenn sich unter Kriegern eine Schildmaid dazu gesellte – so ist es heute ein völlig normaler Anblick, dass es kämpfende Frauen gibt. Es gibt ja auch ein bestimmtes Wort dafür: Schildmaid. Manche sehen aus wie die letzte Version von Xena, andere haben völlig unsexy einfach die Männersachen an, wieder andere sind gleich Elfen. Wer kämpfen will und brüllen und saufen – der soll das ruhig tun. Egal, welchem Geschlecht er angehört. Ich bin jetzt nicht die kämpfende Berserkerin, aber ich habe viele gesehen. Und ich kann nichts anderes sagen, als dass es völlig normal ist. Dabei gibt es neben dieser Entwicklung natürlich auch sehr viele Tänzerinnen – orientalische bevorzugt. Mit Schleiern und bauchfrei. Frauen, die sich da in absoluter Weiblichkeit ergeben. Mit Kettchen und falschen Wimpern. Anmutige

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Titelthema hen. Gerade mit schwierigen Charakteren, die anecken, lässt sich gut spielen. Und wer denkt, es falle einem nichts ein, wenn man mal mit jemanden spricht – oh, es ist sehr befreiend, alles mögliche erzählen zu können, ob es nun völlig erfunden ist, einen wahren Kern enthält oder total wahr ist. Niemand verbindet deine reale Person damit. Manche triffst du auch im realen Leben nie. Du kannst über deine Mutter Gift und Galle spucken, kannst dir Brüder oder Schwestern andichten, kannst jede Geschichte erzählen, die du willst.

sich zwei Leute unterhalten, also als Hinz und Kunz unterhalten und nicht als Heinrich von Schallerleben und Konrad, der Bäckermeister, dann kreieren sie eine Out-time-Blase. Mache sehen das nicht so gerne. Für andere ist es schwierig, im Spiel zu bleiben, wenn um sie herum nur Out-time-Blasen existieren. Geht man an jemanden vorbei, der seine Hände vor sich kreuzt, so heißt das, dass dieser grad nicht spielen will – wahrscheinlich muss er aufs Klo. Oder er möchte auch sonst kein Aufsehen erregen. Manche kommen mit mehr als einem Charakter. Ein Charakter, der als Adliger beispielsweise nie das Lager aufräumen kann und auch sonst eher hochnäsig durch die Gegend läuft – und ein anderer, der dies eben alles kann. Mal was trinken, mal was feiern, mal mithelfen beim Abspülen.

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Im LARP bist du frei.

Im Laufe meines Erzählen darüber – über die Handarbeit, die wichtig ist und die Frauenrollen, die sehr vielfältig sind – nun der Schlüssel: zum LARP kommt man über Larper. Es sind Gruppen, Vereine, denen man sich anschließt oder wie ich als loses Mitglied angeheiratet ist. Die Vereine kaufen die Zelte und stellen sie ihren Mitgliedern zur Verfügung. Manchmal organisieren sich Familien auch komplett autark. Aber Essen, Zelte, Gegenstände – um ein ordentliches Ambiente hinzubekommen sind viele Einzelteile notwendig. Manchmal nur in Gruppen zu schaffen. Und diese Gruppen erkennt man auch nach außen hin. In gleicher Kleidung, Flaggen, Wappen, Religionen. Mit manchen möchte man befreundet sein, mit anderen nicht. Je nachdem, was diese Gruppe sucht: Lagerfeuerlieder oder Streit. Richtig ausflippen kann man. Schreien, fluchen, mit jemanden wirklich streiten. Die normalen Streitgespräche sind ja mitunter sehr zivilisiert – das LARP ist das Gegenmodell dazu. Ein böses Wort, ein Handgemenge – alles möglich. Dabei wird natürlich nicht wirklich gekämpft. Es wird nachgestellt. Keiner möchte, dass jemand ernsthaft verletzt wird. Deswegen ist es ja auch möglich, richtig zu streiten. Allen ist klar, dass es ein Spiel ist. Sollte zumindest so sein. Bis jetzt habe ich noch nichts anderes gese-

Sabine, *1981, ist Mutter von Zwillingen. Sie bloggt sie über den Vogel in ihrem Kopf, dem Spatz in der Hand, ihren Augenblicken dazwischen.

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FuĂ&#x;ball-Liebe

von Stefanie Wiesner


Titelthema Sommer 1996 – mein erstes Jahr auf dem Gymnasium war fast vorbei, der neue Freund meiner Mutter zog bei uns ein und Deutschland wurde Fußball-Europameister, ganz ohne Sommermärchen oder Public Viewing. In diesem Jahr erlebte ich zum ersten Mal die Magie von Fußball und wurde zum Fan. Ich löcherte den neuen Mann im Leben meiner Mutter mit allerlei Fragen und freute mich mit ihm gemeinsam über die Siege der deutschen Nationalmannschaft. Eine Gemeinsamkeit, die ich nach der Scheidung meiner Eltern mit einer neuen Vaterfigur erst finden musste. Fußball war damals „unser Ding“ und ist es bis heute geblieben. Meine Mutter ist regelmäßig für diese 90 Minuten außen vor. Der erste Stadionbesuch kam sehr viel später und ich war skeptisch. Mein Freund schenkte mir eine Karte und ich dachte sofort an Hooligans, Raufereien, übermäßigen Alkoholkonsum. Und auch wenn wir unspektakuläre Sitzplätze hatten und ich mein erstes Stadion-Tor auf der Toilette erlebte, hat mich dieser Besuch bekehrt. Mehrere Jahre sind wir regelmäßig über 150 km zum Stadion unseres Lieblingsvereins gefahren, um bei allen Heimspielen dabei zu sein. Durch einen Umzug wurde die Entfernung noch größer, trotzdem sind wir so oft es geht im Stadion. Im Urlaub gehen wir in fremde Stadien, vergleichen Gepflogenheiten und Atmosphäre und jubeln oder leiden mit der jeweiligen Heim-Mannschaft. Und das liebe ich bis heute an Fußball – die Gemeinschaft über alle Altersklassen und Bildungsniveaus hinweg, der Torjubel, bei dem man plötzlich Fremden in den Armen liegt. Selbst die Bierdusche gehört dazu, wenn mal wieder jemand vor Freude (oder Frust) sein Getränk durch die Luft wirft. Eine Fehlentscheidung, eine rote Karte gegen einen unserer Spieler macht uns zu Verbündeten, es wird gepfiffen, gebuht und gegen den Schiri gewettert. Danach geht jeder wieder nach Hause, lebt sein Leben weiter, aber für einen Moment, für diese 90 Minuten waren wir eine Gemeinschaft. Wo gibt es das schon noch in unserem sauberen, aufgeräumten, durchstrukturierten Leben? Im Büro nur Akademiker, auch im Freundeskreis hat jeder studiert oder sogar promoviert. Mit wem wir eine Freundschaft eingehen, überlegen wir uns gut, mit dem Pöbel, der unsere Häu-

ser baut oder unsere Toiletten putzt, wollen wir nichts zu tun haben. In die gleiche Kategorie fällt der Fußballfan, der samstags um 15:30 Uhr in der EckKneipe sitzt und Bier trinkt oder im Stehblock seine Mannschaft unterstützt. Und doch sind wir in diesem Stehblock alle gleich, haben für diese 90 Minuten das gleiche Ziel, ganz unabhängig von Einkommen, Hautfarbe oder Geschlecht. Fußball-Fans haben einen schlechten Ruf und Vorurteile bleiben hartnäckig bestehen. Nicht von ungefähr halte ich mich im beruflichen Umfeld oft mit dem Thema zurück, nutze Fußball nicht für SmallTalk mit neuen Business-Kontakten und gerade wenn ich Bekanntschaft mit anderen Frauen schließe, lasse ich das Thema außen vor. Dort stoße ich doch am häufigsten auf Ablehnung und Unverständnis. Und trotzdem sind angeblich ein Viertel aller Stadionbesucher in Deutschland weilblich. Wo es Vorurteile gegen den Fußballfan allgemein gibt, gibt es noch viel mehr Vorurteile gegen Frauen im Stadion. Ich muss beweisen, dass ich die Abseitsregel verstanden habe und mich rechtfertigen, dass ich nicht nur wegen der hübschen jungen Männer in engen Trikots vor Ort bin. Dafür müssen wir Frauen an der Toilette und am Einlass zum Stadion extra lange anstehen, weil die Vereine immer noch nicht verstanden haben, dass die Zahl der weiblichen Besucher steigt, man die Anzahl der Damentoiletten und weiblichen Sicherheitskräften anpassen müsste. Die Vermarktung von rosa FanAusrüstung, die die Vereins-Farben zugunsten eines „weiblichen“ Einheitsbreis ersetzt, ist nur ein weiteres von vielen Frauen-Klischees, mit denen man im Fußball konfrontiert wird. Ich habe durch Fußball wichtige Freundschaften geknüpft und Beziehungen gefestigt. Ein gemeinsames Thema, eine geteilte Leidenschaft steigert beim Kennenlernen direkt die Sympathie. In meinem männerdominierten Job bringt mir mein Fußballwissen oft Pluspunkte (nachdem ich ausgelotet habe, wie das Thema beim Gegenüber ankommt). Fußball ist für mich eine Bereicherung in jeder Hinsicht und ich würde gerne mehr von diesen ominösen 25 Prozent weiblichen Stadionbesuchern kennenlernen.

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CON VEN TIONS

nerdig und sehr spaßig! von Stefanie Krüger


Titelthema „Oh, du gehst auf Conventions? Verkleidest du dich dann auch als Mr. Spock aus Star Wars?“ – Ähm, 1. ja, 2. nein. Und leider kann ich in Bezug auf den dritten Teil der Frage keine einzelne Augenbraue hochziehen.

tollen Kostüme. Manche Fans basteln wochen- und monatelang vor der Con daran, was ich immer total faszinierend und beeindruckend finde. Ich selber bin aber doch eher für die einfache Variante – Jeans und Nerd-Shirt – obwohl … ja, auch ich habe einige Kostüme im Schrank, wenn auch keine wirklich aufwendigen. Einen Con-Dresscode gibt es sowieso nicht, und das ist auch genau richtig so, denn jeder kann genau der sein, der er möchte: man selbst, eine Figur aus einem Film, einer Serie oder einem PC-Spiel oder was auch immer. Wenn's sein muss auch mit Spock-Ohren.

Mittlerweile gibt es ja für fast alles, das Nerd-Herzen (und nicht nur die!) höher schlagen lässt, eine Convention: Science Fiction, Fantasy, Anime … Und dann schießen gerade auch noch zahlreiche Comic Cons unterschiedlicher Veranstalter und Qualität nach amerikanischem Vorbild aus dem Boden. Gemeinsam haben sie aber alle, dass man dort Schauspieler aus seinen Genres bei Vorträgen, Autogrammstunden und Fotosessions treffen kann, Unmengen Merchandise zu haben ist und viele spannende Leute rumlaufen. Letzteres ist für mich der Hauptgrund, auf Cons zu gehen – ich habe viele wunderbare Nerdfreunde, die dort auch hingehen, zwischendurch gehen wir auch einfach mal Kaffee trinken und quatschen, und man lernt immer nette neue Leute kennen, mit denen man dank ähnlicher Interessen (sonst wäre man ja nicht auf der Con) auch gleich ein gemeinsames Thema hat. Bei den ganz großen Cons ist dieses familiäre Gefühl aber natürlich nicht so ausgeprägt wie bei kleineren, deshalb mag ich die auch wesentlich lieber. Für Autogramm- und Fotojäger ist so eine Con allerdings ein teurer Spaß, denn ganz billig sind Autogramme und Fotos mit den Stars meistens nicht, irgendwie müssen die zum Teil happigen Gagen ja auch bezahlt werden. So wichtig ist mir das persönlich dann doch nicht, aber ich schaue mir gerne die Panels (Vorträge) von Schauspielern an, die mich interessieren. Es gibt oft Neues von den Dreharbeiten oder Anekdoten, Fragen der Fans werden beantwortet, einige machen auch eine richtige Show draus. Manchmal ist man dann hinterher erst recht Fan von einem Schauspieler … oder halt auch mal so gar nicht mehr, wenn sich z. B. der frühere Teenie-Schwarm als klarer Fall von Erwachsenen-ADHS entpuppt und längst nicht so sympathisch rüberkommt wie seine Serienfigur. Aber es sind halt „nur“ Menschen … Und dann gibt es auch noch die vielen

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Steffi, *1981, ist ein bekennender Nerd und Kindskopf mit Vorliebe für schräge Gedichte und Wortspiele. Sie geht gerne wandern, ist Vegetarierin und liebt die Halloween-Saison. Seit sie als Lektorin arbeitet, kommt sie privat leider viel zu selten zum Lesen.

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Frau Informatikerin von Stefanie Hรถfig


darüber, was Informatiker ausmacht oder was man mitbringen muss, wenn man Informatik studieren will. Man muss sich gut mit Mathe auskennen und eine Affinität zu Technik haben. Logisches und abstraktes Denken ist sehr wichtig. Und ich bin auch heute noch der festen Ansicht, dass das auch alles ist, was man über Informatik (und Informatiker) wissen muss und was man mitbringen sollte. Es gibt ganz unterschiedliche Ansichten darüber, ob man für MINT-Fächer geschaffen sein muss. Manche sagen, dass man logisches Denken nicht erlernen kann, sondern dass das eine Eigenschaft ist, die man hat oder nicht. Da ich kein Biologe bin, kann ich dazu nichts sagen. Aber ich würde nie sagen, dass man sich von einem Informatikstudium abhalten lassen soll. Ich war sehr gut in Mathe, aber ich bin an der Uni gegen eine Mauer gelaufen. Die Anforderungen waren höher, meine guten Noten aus der Schule mit den schlanken Einsen auf dem Papier schienen mich auszulachen. Hier war alles schwerer. Ein Genie, dem alles zufliegt, war ich nicht. Oder nicht mehr. Ich musste lernen und kann daher sagen: Ja, man kommt natürlich mit Lernen weiter. Programmieren hat nie aufgehört, mir Spaß zu machen. Programmiersprachen und -konzepte faszinierten mich. Wie unterschiedlich die Sprachen sein können und was man alles coden kann, um sich das Leben einfacher zu machen. Damit der Computer tut, was man will. Befehle in menschenverständlicher Sprache, die irgendwie auf abstrakter, unterster Ebene Einsen und Nullen sind. Faszinierend.

Alle hatten vor mir einen Computer. Mit vierzehn ich dann endlich auch. Passiert das Kindern heutzutage wohl noch? Unwahrscheinlich. Es ging mir nicht nur ums Zocken, aber Computerspiele hatten schon einen gewissen Reiz. Hausaufgaben machen war einfacher. Ich konnte im Internet über alle Dinge lesen, die ich wollte und über die ich mit niemandem reden konnte. Zum Beispiel meine Lieblingsanime und -manga. Endlich. Meine Eltern runzelten die Stirn, das Mädchen sitzt ja nur noch vor dem Kasten. Die kleine Welt wirkte für mich aber plötzlich so groß. Über das Wort „Programmieren“ bin ich einige Male gestolpert, aber habe immer Tutorials im Internet aufgespürt, die für mich Laien zu schwer waren. Die Neugier war aber da. Wie programmiert man denn? Mit achtzehn sollte die Frage geklärt werden. Wir haben angefangen, im Informatikunterricht zu programmieren. JAVA wurde meine erste Programmiersprache. Gute Wahl, Herr Informatik-Lehrer, dessen Name hier nicht genannt werden soll. Als mein erstes Programm lief und nur ganz gewöhnlich „Hello World“ auf der Konsole am Bildschirm ausgab, war mir klar: Ich werde Softwareentwicklerin. Ein einfaches „Hello World“ war wie das Heureka der angehenden Programmiererin. Banal für Fortgeschrittene – aber es ist so. Es war, als würde die Sonne aufgehen. Und meine Eltern waren unendlich froh. Eine zukunftsträchtige Branche, gute Aussichten, einen Job zu finden. Haben die Stunden vor dem Kasten also doch was gebracht. Von Vorurteilen gegenüber Informatikern wusste ich bis dahin ehrlich gesagt nicht viel.

Nicht jeder sieht das aber, wenn er mich anschaut. Manche hielten mich für eine BWL-Studentin, weil das wohl der Studiengang meiner Technischen Universität mit der größten Anzahl weiblicher Studenten war. Bevor ich Informatik studieren wollte, sagte ein Bekannter meiner Mutter, dass er auch mal eine Frau im Studium hatte und die musste von den anderen durchgeschleift werden, weil sie es sonst nicht geschafft hätte. Als ich mal durch eine Mathematik-Prüfung durchgefallen war, sagte mir ein Kommilitone, dass ich doch was studieren sollte, dass mir mehr liegt. Warum?

Dass der Frauenanteil nicht besonders groß sein wird, ahnte ich. Erst kurz vor dem Beginn des Studiums hörte ich von den gängigen Vorurteilen. Wenig sozial, wenig kommunikativ, Eigenbrötler und Kellerkinder – so seien Informatiker. Meine Kommilitonen waren zwar tatsächlich alles Männer, und ich die einzige Frau, aber der Rest traf nur in ganz unterschiedlichen Schweregraden zu. Bei manchen voll, bei anderen gar nicht. Eigentlich sind wir ein sehr bunter Haufen. So wie – Überraschung – alle Menschen. Es gibt andere Weisheiten

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Titelthema

In C-Programmierung stand eine Eins vor dem Komma. Dem anderen männlichen Kommilitonen, der nicht durch Analysis I durchgefallen war, hat er diesen lebensrettenden Hinweis nicht gegeben. Warum wohl? So hat jeder seine Meinung zu dem Thema „Frau und Informatik“. Ich auch. Meine Meinung ist: einfach machen. Man braucht ein bisschen Herzblut für die Informatik. Es muss einem Spaß machen. Das merkt man, wenn man an der Platine des geöffneten, ausgeweideten Rechners rumfriemelt oder mal ein Programm schreibt. Und Informatik ist kein so frauen-unfreundliches Pflaster wie es vielleicht Medien, Meinungen oder meine zwei schlechten Beispiele zu Anfang des Absatzes vermitteln. Es blieb bei einer Anzahl an Sprüchen, die ich an einer Hand abzählen kann. Das sind auch nicht mehr fiese Seitenhiebe als man woanders erntet. Es stimmt, man wird manchmal unterschätzt. Natürlich hat man als Frau die Aufmerksamkeit auf seiner Seite, wenn man in den Hörsaal kommt und da sitzen tatsächlich nur Männer. Aber es ist bei weitem nicht so unangenehm wie man sich das vielleicht ausmalt. Schließlich gibt es neben denen mit den Vorurteilen, auch nette Menschen, nette Kommilitonen, die gute Freunde werden. Und wenn sie es nicht schon vorher wussten, dann wachsen sie

vielleicht an der Erfahrung, dass auch Frauen Informatik studieren können. Und im Berufsleben finden alle Professionalität wichtig. Und verhalten sich auch so. Insbesondere seitdem ich im Berufsleben bin, ist mir niemand mehr begegnet, der irgendwelche Vorbehalte gegen Frauen hat. Ich sage nicht, dass es absolut unproblematisch ist, als Frau Informatik zu studieren. Problematisch ist alles irgendwann mal, egal wer oder wie man ist. Ich sage nur, dass es nicht so schlimm oder ungewöhnlich ist, wie es viele andere einem ausmalen, und das Geeks und Nerds nur Stereotypen sind, denen „Frau Informatikerin“ gern widersprechen darf.

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Stefanie, Jahrgang 1988, bloggt auf miss-booleana.de über Filme, IT, Serien und Manga, wenn sie nicht gerade tut was Software-Entwicklerinnen so tun.

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Die vier Phasen des Fangirl-Fiebers von Katrin Klingschat Lange Zeit war in Expertenkreisen ungeklärt, ob es sich beim sogenannten Fangirling um eine angeborene Eigenschaft handelt oder doch um ein Phänomen, mit dem man sich im Laufe seines Lebens anstecken kann. Nun steht fest: Fangirling ist ansteckend – und niemand ist vor einer Infektion sicher.

Kopf; Tagträume, unvermitteltes Seufzen und zusammenhangloses Grinsen kündigen das Fangirling an. Wer jetzt schnell handelt, kann die in den kommenden Tagen auftretenden FangirlingSymptome abmildern, indem er sich ablenkt und zum Beispiel eine Menge Überstunden an der Arbeit macht oder für die nächste Matheklausur lernt.

Fangirling verläuft in mehreren Phasen und kann unbehandelt ein Leben lang andauern. Auslöser sind in der Regel berühmte Persönlichkeiten wie Schauspieler oder Musiker, aber auch Film- oder Buchreihen können Fangirling verursachen. Ebenso vielfältig sind die Infektionswege: ein Film, ein Song oder ein kurzer Post auf Facebook, ein Interviewschnipsel bei YouTube – und schon greift das Fangirling-Virus um sich. Unter Umständen kann man sich auch bei Mitmenschen anstecken, die besonders häufig von einem Fandom schwärmen oder sensible Inhalte teilen.

Phase 2: Die Akutphase Die Symptome treten nun in deutlich stärkerer Form auf. Die Tagträume nehmen zu und lenken von der alltäglichen Arbeit ab. Das Fangirl (oder der Fanboy) schaut Serien und Filme mit dem begehrten Star, hört Alben und Livekonzerte an oder liest jedes Buch und jede Fanfiction (noch einmal) durch. In sozialen Medien wird nicht nur nach jedem Schnipsel Information gesucht, es wird auch mit allen anderen geteilt. Nicht selten hüpfen Fangirls in der Akutphase quiekend auf und ab, wenn sie ihr Fandom irgendwo entdecken. Sie erstellen in fiebrigem Wahn eigene Fanart wie Videos und GIFs, die sie auf einem eigens erstellten tumblr-Blog teilen.

Phase 1: Die Anfangsphase Bereits ein oder zwei Tage nach einer Infektion treten die ersten Fangirling-Symptome auf. Das Objekt der Begierde geht dem Infizierten nicht mehr aus dem

Achtung! Fangirls in der Akutphase sind

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Titelthema

hochgradig ansteckend. Sie teilen ihr Fandom überall, egal ob in ihrem privaten Umfeld oder über das Internet. Ein Computerbildschirm schützt nicht vor der Übertragung des Keims! Während sich viele Nicht-Infizierte häufig mitleidig abwenden, gibt es auch einige, die den Kontakt suchen und sich somit ebenfalls anstecken. Bei ihnen verläuft die Anfangsphase oft deutlich kürzer.

Phase 4: Fandom überstanden? Endlich ist es soweit – vor allem das soziale Umfeld atmet auf: Das Fangirling ist überstanden. Die Symptome sind im besten Fall abgeklungen und zeigen sich höchstens noch in einem leisen Seufzen, wenn das Fandom im Kino, im Radio oder im Buchladen auftaucht. Nun gilt es, nichts zu überstürzen: Auch, wenn das Hochgefühl und das euphorische Fieber nachlässt, sollte man sich weiterhin schonen, um das nächste Fandom richtig genießen zu können ... und um das Umfeld nicht direkt wieder zu überfordern.

Phase 3: Spätphase Der Hype lässt nach, der tumblr-Blog wird nicht mehr so regelmäßig befüllt, die Zeit auf YouTube geht zurück. Dafür kann nun ein Stadium inniger, tief empfundener Liebe und Dankbarkeit auftreten, gegenüber dem Fandom, das einem so wundervolle Tage, Wochen oder Monate im Fieber beschert hat. Wer nun weiter am Ball bleibt, kann sich selbst zurück in die Akutphase bringen, in jedem Fall wird aber der Virus im Körper bleiben und das Fangirl oder der Fanboy wird sich nie wieder vollständig vom Fandom lösen können.

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Wer sich wieder gesund und munter fühlt, darf gerne nach neuen Fandoms Ausschau halten. Denn es gibt so viel da draußen, für das es sich zu schwärmen lohnt.

Katie, *1989, schreibt auf frau-margarete.de über Filme, Serien, Popkultur und Geschichten aus dem Alltag.

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t l a e i W ? T A H W ! t i Wa

We age not by y but by storie

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Wie alt ist Jon Snow zu Beginn von „Game of Thrones"?

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Wann wurde Harry Potter geboren? Am 31. Juli ...

a) 14 Jahre b) 19 Jahre c) 27 Jahre

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Wie alt sind Lizzie Bennet und Mr. Darcy?

a) 1650 b) 1980 c) 1992

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a) 16 und 45 b) 19 und 24 c) 20 und 28

Wie alt ist der Doctor?

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a) 253 Jahre b) 1007 Jahre c) Darüber hat er die Übersicht verloren.

Wie alt ist Romeos Julia?

a) 13 Jahre b) 16 Jahre c) 20 Jahre

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e f i l r u o y e v Li t e g r o and f ge. your a


Titelthema

! ? . . . e i d d sin Wie viele Jahre ist Frodo Beutlin älter als sein Freund Pippin?

years es.

Imag i n has ation no a ge.

a) 1 Jahr b) 22 Jahre c) 100 Jahre

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Wie alt war Goethe, als er der 19jährigen Ulrike von Levetzow einen Antrag machte?

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Wie alt wurde der depressive Roboter Marvin?

a) 15 Jahre b) 37 Jahre c) 74 Jahre

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Wie hoch ist Spocks Lebenserwartung?

a) 120 Jahre b) 1577 Jahre c) 37 Mal älter als das Universum

a) ca. 50 Jahre b) ca. 200 Jahre c) Vulkanier sind unsterblich

Lösung: 1a), 2b), 3c), 4c), 5a), 6b), 7c), 8c), 9b)

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The idea is to die young – as late as possible.


Leben. Und so.


favourites b y C ori n n e Stolz und Vorurteil und Zombies Who? Lily James, Bella Heathcote und Sam Riley What? Elizabeth Bennet ist eine der besten Heldinnen, die Jane Austen geschaffen hat. Was aus der klugen und redegewandten Tochter der Bennet-Familie wird, wenn sie sich nicht nur im Wortduell mit Mr. Darcy behaupten muss, sondern auch Untote in die Flucht schlägt, kann man in dem amerikanisch-britischen Horrorfilm herausfinden, der gerade auf DVD erschienen ist. Why? Es gibt eine Menge Verfilmungen von „Stolz und Vorurteil“ und ich habe sie vermutlich alle gesehen. Diese macht Spaß, weil sie die bekannten Szenen neu denkt, wenn eine Horde Zombies die Landsitze im England des 19. Jahrhunderts heimsucht. Die Handlung kann nicht besser werden als im Original, Jane Austen ist einfach eine Meisterin ihres Fachs, aber es ist ein vergnüglicher Abend garantiert, wenn die Konventionen neu gedacht werden und man Töchter nun zum Beispiel nach Japan schickt, um sie im Kampf auszubilden. Für die ewig klammen Bennets reicht es nur für China. Von ihrer Ausbildung zurückgekehrt, ist ungeachtet der Plage der Halbtoten auch in dieser Verfilmung eine Frage die Dringendste: „Wie kommen alle Töchter so schnell wie möglich unter die Haube?“ und „Kann man es sich als Frau leisten, aus Liebe zu heiraten?“

The Girls

Who? Emma Cline What? Emma Cline machte Schlagzeilen, weil sich die Verlage für den Debütroman der 25-Jährigen in einen wahren Bieterkampf begaben. Am Ende stand eine sechsstellige Summe in Raum. Vor allem aber hat sie einen der verstörendsten und berührendsten Romane des Sommers geschrieben. Why? Es gibt nicht viele Bücher, die ihre Protagonistinnen so ernst nehmen und so schonungslos-liebevoll betrachten wie „The Girls“. In diesem kalifornischen Sommer gegen Ende der 60er Jahre ist Evie Boyd ein Teenager und fasziniert von einer Gruppe Mädchen, die sie auf einem Parkplatz trifft. Bald wird sie hereingezogen in einem Strudel, der sie gleichzeitig fasziniert und abstößt. Die Handlung ist angelehnt an die Manson-Morde, aber man will dies gar nicht schreiben. Es klingt zu reißerisch, denn dies ist vor allem ein ehrliches und eindringliches Buch über all die Gefühle, die das Erwachsenwerden und den Weg zu sich selbst begleiten, der immer nur ein Weg bleiben wird. Mit unvergesslichen Sätzen, so dass man beim Lesen den Impuls verspürt, den Textmarker zu zücken.

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5 plus 1 Dinge, die das wunderbar machen Ja, natürlich: Wir sind müde. So müde, wie wir es uns nie vorstellen konnten, als wir noch keine Kinder hatten und dachten, diese Müdigkeit nach einer durchfeierten Nacht wäre die größte Müdigkeit, die es auf der Welt gibt. Wir können die Dialoge bei „Bibi und Tina“ mitsprechen, haben aber immer noch nicht gesehen, wofür Leonardo DiCaprio nun endlich doch noch den Oscar bekommen hat. Und nach 48 Stunden Magen-Darm-Virus bei allen anwesenden Familienmitgliedern und letztendlich auch bei uns selbst wissen wir, was Elton John meinte, als er „I’m still standing“ sang. Manchmal droht die Gefahr, das Schöne in diesem Chaos namens Familie zu vergessen, deshalb kommen hier zur Erinnerung sechs Gründe, die das Elternsein so wunderbar machen:

Wieso? Weshalb? Warum? Ist es nicht großartig, wie viele Dinge wir durch Kinder (wieder) lernen? Natürlich hatten wir damals auch alle Heimat- und Sachunterricht, aber ganz ehrlich: Wie viel ist davon hängen geblieben? Als Eltern ist man gezwungen, seine Nachmittage in Aquarien und Museen verbringen und noch mal genau nachzulesen, wie sich das mit dem Wetter und Ebbe und Flut so verhält, und kann sonntags morgens „Löwenzahn“ gucken – wach ist man um diese Zeit ja ohnehin.

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Es schwimmt auf dem Nil, es schwimmt auf dem Nil ...

Singen! Kennt Ihr Erwachsene, die keine Kinder haben und viel singen? Vermutlich nicht. Ab dem Krabbelgruppenalter lernt man regelmäßig neue Lieder, die einem über Jahre hinweg nicht aus dem Kopf gehen – gut so! Denn Singen hebt die Laune, das ist wie wir alle wissen wissenschaftlich bewiesen.

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s Elternsein so

von Julia

Was machen wir heute?

Kennt Ihr diese Tage, an denen man zu nichts wirklich Lust hat, das Fernsehprogramm öde ist, keiner der Freunde Zeit hat und sich tödliche Langeweile ausbreitet? Wahrscheinlich nicht, denn wir sind Eltern! Kinder sind der Langeweile-Killer Nr. 1. Das Wort „Langeweile“ existiert in unserem Wortschatz nicht mehr, denn mit Kindern gibt es immer etwas zu tun. Wenn sie einmal nicht da sind, gibt es erst recht etwas zu tun. Und sollte es einmal tatsächlich nichts mehr zu tun geben, dann können wir zumindest endlich schlafen.

Spielplatzbräune Punkt 4 hängt ein wenig mit Punkt 3 zusammen, denn mit Kindern ist es wie mit Hunden: Man muss ständig rausgehen. Bei Wind und Wetter, bei Sturm und Regen, aber eben auch bei Sonnenschein. Deshalb sind wir die ersten, denen die Frühlingssonne rosige Wangen zaubert und die letzten, die noch Ende Oktober frisch aussehen.

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> ~ Die Hoffnung stirbt zuletzt

Dieser Text wurde in einem Jahr geschrieben, in dem Donald Trump als Präsident kandidiert, die täglichen Bilder aus Syrien immer grauenhafter werden und – als hätte niemand aus der Vergangenheit gelernt – wieder Flüchtlingsunterkünfte brennen. Gleichzeitig stehen wir einem erschreckend hohen Desinteresse an Politik gegenüber. Dieses Jahr ist so furchtbar, dass schmelzende Polkappen oder Plastikflaschen gar kein Thema mehr sind. Man könnte kapitulieren vor diesem riesigen Chaos in der Welt, vor den Bedrohungen, die aus so vielen Richtungen auf uns zukommen. Doch wer auf seine schlafenden Kinder blickt, in dem keimt die Hoffnung auf, dass doch noch nicht alles verloren ist. Und der unbedingte Wille, ihnen eine Welt zu hinterlassen, in der sie fröhlich und gesund leben können.

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Es ist die ganz, ganz große Liebe

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Seien wir mal ehrlich: Die Punkte 1 bis 5 können wir eigentlich vergessen. Denn was ist wohl das Wunderbarste am Elternsein? Dieses riesige Gefühl, das sich in uns ausbreitet, sobald wir unsere Kinder zum ersten Mal in den Armen halten. Und das ebenso riesengroße Gefühl, das wir zurückbekommen. Es ist die ganz, ganz große Liebe – das, wofür es sich immer wieder lohnt aufzustehen, ganz egal, wie müde wir sind.

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Julia, *1980, schreibt sonst fröhlich-subjektiv auf juliliest.net, dem Blogazine für Familien, die gerne lesen. Im wahren Leben Literaturwissenschaftlerin - also alles und nichts.


Es folgt: Ein

EHRLICHES

DIY von Larissa Strohbusch


e d a m f l e S

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) n e k c a (mit M

An ein Kleidungsstück hatte ich mich noch nicht herangetraut, also entschied ich mich für eine Tasche. Nach welchem Schnittmuster? Meinem eigenen. Ich befolge nicht gerne Anleitungen, sondern mache lieber mein eigenes Ding. Dabei habe ich auch festgestellt, dass mir das Analysieren der einzelnen Vorgänge mehr Spaß macht, als das eigentliche Erschaffen. Am Ende habe ich wohl doch einen mathematischen Geist. Jedenfalls entschloss ich mich, eine große Stofftasche zu nähen und dachte mir, dass das ja nicht so schwer sein kann. Und das ist es auch nicht. Im Endeffekt war es ziemlich einfach, und ich habe auch kaum Fehler gemacht. Als Stoff wählte ich für den Boden und die Träger einen gestreiften Stoff von Ikea, der eine wunderbare, feste Qualität hat. Genau richtig für einen stabilen Beutel. Ob ich damit allerdings ein Kleidungsstück machen würde, weiß ich nicht. Der weiße Stoff stammt von idee. creativmarkt, ist allerdings etwas dünn und fusselig. Ich würde ihn in Zukunft eher für Unterstoffe nehmen, aber für die Tasche war er schon okay. Als Innenstoff habe ich einen alten Ikea-Bettbezug recycelt. Dabei hat der Innenstoff sogar zwei kleine Taschen für Handy und Schlüssel bekommen.

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So geht's nicht: Wie schon gesagt: eine Tasche zu nähen ist wirklich einfach. Selbst wenn man ein Anfänger ist und sich das Schnittmuster selbst ausdenkt. Ich habe diesmal nicht mal meine Nähmaschine kaputt gemacht. Da kann man mal sehen. Hier trotzdem ein paar Punkte, die man beachten sollte: Mit ein bisschen räumlichen Denkvermögen ist es nicht schwer, für eine einfache Tasche wie diese ein Schnittmuster zu erstellen. Man kann sich allerdings schnell in den Maßen vertun, wenn man sich die Theorie überlegt. Nachdem ich die einzelnen Innen- und Außenelemente fertig hatte, stellte ich doch fest, dass meine Tasche riesig geworden ist. Riesig! War aber nicht so dramatisch. Ich habe einfach jeweils etwa fünfzehn Zentimeter nach innen geschlagen und eingenäht (die solltet ihr aber natürlich nicht noch mal festnähen, denn sonst sieht man ja die Naht von außen – ist ja logisch). So ist die Oberkante jetzt auch noch ein wenig stabiler. Nehmt keinen dünnen weißen Stoff, falls es euch stört, wenn der Innenstoff durchscheint. Die Kanten der Träger vernähen, bevor ihr den Stoff auf rechts gedreht habt. Das ist wirklich dumm. (Lässt sich aber zum Glück schnell wieder korrigieren.) Apropos Träger: Einen langen Schlauch aus festem Stoff umzudrehen ist ziemlich mühsam. Nehmt einen Kochlöffel oder ähnliches zur Hilfe, ansonsten dauert es echt ewig. Erwartet keine geraden Nähte, wenn ihr Anfänger seid. Vor allem nicht, wenn man die schmalen Träger festnäht. Passt auf, dass ihr die Nadeln richtig steckt. Sonst piekst ihr euch. (Aua.)

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Liebe mit von Corinne Luca

Die Wahrheit ist doch, bis du dich verliebst, kennst du ihn nicht – den Unterschied zwischen Schmetterlingen in deinem Bauch und den Nachwirkungen eines Döners mit extra viel Zwiebeln. Du liegst im Gras und er zeigt nach oben in den Sternenhimmel. Er sagt: „Das ist der große Wagen.“ Das weißt du, aber es ist völlig egal. In diesem Moment ist es der schönste Satz der Welt. Eigentlich schaust du auch nicht richtig hin, du schaust nur auf ihn. Auf ihn und seinen Mund und denkst: „Wenn er mich nur endlich küssen würde.“ In diesem Moment bist du verloren, dort auf dieser Wiese zwischen den Sternen und seinen Lippen. Dann trifft es dich, dieses Gefühl, zum alleresten Mal und egal, wie sehr du es irgendwann versuchen wirst. Es wird nie wieder weggehen.

Niemand kann dir erklären, wie Liebe ist. Es findet alles seinen Weg – unvermittelt, unvorstellbar. Liebe ist nicht wie in den Filmen und Büchern. Er wirft keine Steine an dein Fenster im Morgengrauen und steht nicht mit diesem einen Rosenstrauß vor deiner Tür. Vermutlich wirst du ihn nie im Regen küssen. Wir denken, wir wissen, wie unser Prinz aussehen sollte, was er tun müsste, damit es Liebe ist.

nicht aussuchen kann, wen sie treffen soll. Es macht keinen Sinn, nach dem Mann aus den Filmen und Büchern zu suchen.

Und ihr geht ein Stück des Weges gemeinsam, ihr wachst zusammen auf und enger aneinander. Jedes Mal, wenn du in seinen Armen weinst, dreht er deine Haarsträhnen um seine Finger. Weil er weiß, dass dich das beruhigt. Er sagt: „Alles wird gut, ich liebe dich.“

Und dann ist dort auf einmal nur deine eigene Geschichte. Die, die noch nie erzählt wurde. Und dir wird klar, woran man erkennt, dass es Liebe ist. Daran, dass all die Regeln nichts gelten. Weil Liebe nur eines bedeutet: dass man sich

Du wusstest nicht, damals mit siebzehn, dass es das letzte Mal sein würde, dass du in seinem Armen weinst. Dass nicht

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fünfzehn wünscht hast, dass er Steine an dein Fenster wirft. Nicht, weil du seine Arme brauchtest. Denn du warst dabei zu lernen, dich selbst zu halten. Die Erinnerung zu lieben, weil sie deine Erinnerung war. Du hattest dir das Klicken der Steine gegen die Scheibe gewünscht, weil deine erste Liebe eben macht, dass du dich wie in einem Film fühlst.

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Corinne, *1982, ist Autorin des makellosmag. Dort schreibt sie über das Leben und unseren Platz in der Welt - und vor allem über die Stupidität unserer Gesellschaft.

alles für immer bleibt. Dass du nun allein in einen Berg aus Taschentüchern weinst, während du sein T-Shirt trägst und deine Gedanken nur darum kreisen, wie es gewesen wäre, wenn es gewesen wäre, wie in den Filmen. Jetzt wünschst du dir, dass er Steine an dein Fenster wirft. Weil der Schmerz so groß ist. Aber auch, weil es einen so unvermittelt trifft. Die Erkenntnis, dass das Leben nicht nur weiter, sondern voranschreitet. Dass man wächst, mit anderen und an ihnen, aber vor allem durch sich selbst. Nicht sofort, aber bald kennst du die Antwort, warum du dir um drei Uhr morgens inmitten der Taschentücherberge ge-

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Die Wikinger

(K)ein Volk aus dem hohen Norden von Larissa Strohbusch Diese Wikinger, die sind schon ein faszinierendes Völkchen. Diese wilden, bärtigen, struppigen Kerle aus dem Norden setzten sich einfach in ihre kleinen Bötchen und zogen los in die Welt, verbreiteten Angst und Schrecken und waren praktisch die Terroristenplage des Frühmittelalters – aber dabei auch noch so romantisch! Nicht umsonst beschäftigen sich zahlreiche Romane, Filme und Serien mit dem Thema. Nur, wie das immer so ist, wenn Fantasie und Hollywood sich einmischen: Unser Bild vom Wikinger hält der historischen Forschung nicht lange stand. Der grundlegende Fehler manifestiert sich schon im ersten Satz dieses Artikels: Die Wikinger waren nämlich bei weitem kein „Völkchen“, sondern vielmehr eine Berufsgruppe, wenn überhaupt. Das Volk, von dem wir hier sprechen, lässt sich grob als „Skandinavier“ eingrenzen. Oder eben als „Nordmänner“ oder skandinavisch „Normannen“, die Namensgeber der französischen Normandie. Der Wort „Wikinger“ bezieht sich jedoch nur auf Menschen, die auf „víking“ gehen, sprich: zur See fahren. Ein Wikinger ist also nur ein Bewohner des heutigen Norwegens, Schwedens oder Dänemarks (später auch Islands), der zwischen 800 und 1060 aus irgendeinem Grund eine längere Schifffahrt gemacht hat. Die Menschen dieser Region haben zwar kulturelle Gemeinsamkeiten wie Religion und Recht, sind aber dennoch nicht als homogenes Volk anzusehen. Das Bild des grausamen Wikingers entstand mit dem Beginn der sogenannten Wikingerzeit: beim berühmten Überfall auf das englische Kloster Lindisfarne am 8. Juni 793, bei dem zahlreiche Mönche misshandelt, verschleppt oder ermordet

wurden. Während Skandinavier zu dieser Zeit kaum schriftliche Aufzeichnungen hinterließen, dokumentierte Higbald von Lindisfarne die Ereignisse in Briefen an seinen Kollegen Alkuin in York. Durch diese Zeugnisse bekommen wir ein recht gutes Bild der Grausamkeit und Mordlust der plündernden Wikinger. Diese reisten mit ihren einzigartigen Booten aber selbstverständlich nicht nur an die englische Küste, sondern zogen auch brandschatzend und plündernd durch Frankreich und das Rheinland, ja sogar bis nach Südspanien. Dabei muss man allerdings bedenken, dass die Aufzeichnungen sehr einseitig von den Opfern stammen und damit parteiisch eingefärbt sind – und zudem nur einen Teil der skandinavischen Seefahrten betreffen. War ein „víkingr“ zu Anfangs oft noch ein Krieger, der im Alter einen normalen Platz in der Gesellschaft zurückfand, handelte es sich später zunehmend um Kriminelle, die man auch in der Heimat nicht mehr haben wollte. Interessant ist dabei, dass man kaum archäologische Funde im skandinavischen Raum von der reichen Beute der Wikinger gemacht hat. Das zeigt, dass die Räuber ihre Schätze nicht zurück in die Heimat brachten – vermutlich weil sie selbst nicht zurückkehrten. Neben dem „víkingr“ fuhren aber auch durchaus ehrliche und friedliche Leute zur „víking“ (oder zumindest war eine „víking“ nicht immer mit Plünderung gekennzeichnet). Die alten Skandinavier waren mit ihren ausgezeichneten Schiffen nicht nur geschickte Seeräuber, sondern auch globale Händler. Wichtige inner-skandinavische Handelsplätze waren zum Beispiel Haithabu im heutigen Schleswig-Holstein, das im 10. Jahrhun-

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Wissenschaft dert zum bedeutendsten Handelsort im westlichen Ostseeraum aufstieg. Oder Birka auf der Insel Björkö, ca. 30 km westlich von Stockholm, als wichtigster Handelsplatz in Nordeuropa. Hier wurde mit typisch-nordischen Gütern gehandelt, wie zum Beispiel Pelzen. Es wurden aber auch exotische Waren wie Seide oder Gewürze verkauft. Ihre Handelsund Entdeckungsreisen führte die Skandinavier durch die gesamte damals bekannte Welt und darüber hinaus. Sie zogen über die Wolga und andere Flüsse gen Osten, bis weit ins heutige Russland hinein, bis hinunter zum schwarzen Meer nach Istanbul (bzw. damals Konstantinopel) und bis nach Bagdad. Gen Westen besiedelten sie Island und Grönland und kamen als erste Europäer auf den amerikanischen Kontinent. Viele Wikinger kehrten nicht von ihrer Seefahrt zurück. Manch einer ließ sein Leben auf See oder im Kampf. Viele ließen sich aber auch in den Plünderungsgebieten nieder. Die skandinavischen Seefahrer besiedelten Island und Grönland. Sie gründeten Dublin und die Normandie. Aber auch ihre Plünderungsfahrten in ihre Lieblingsregion, die Ostküste Englands, führten langfristig zu (naturgemäß mehr oder

weniger) friedlichen Siedlungen. So lässt die Endung -by (skandinavisch „Ort“) auf eine von Wikingern gegründete Ortschaft schließen (zum Beispiel Derby). Aus den Seefahrern wurden Bauern, sie ließen sich nieder, heirateten einheimische Frauen und verschmolzen so im Laufe der Zeit mit der angel-sächsischen Bevölkerung. Das kulturelle Erbe sehen wir noch heute: Die Sprache der Eroberer vermischte sich nach und nach mit der der Einheimischen. Sie brachten ihre Vokabeln mit, besonders erkennbar an Worten mit dem Stamm sk-, zum Beispiel „sky“ (engl. Himmel/norw. „Wolken“). Aber sie veränderten auch die englische Grammatik massiv und vereinfachten das deutschstämmige Altenglisch – und legten damit die Grundsteine für die Weltsprache Englisch. Und so begleitet uns das kulturelle Erbe der zotteligen Wüteriche aus dem Norden noch heute. Und das sogar ganz friedlich. Quellen: Wikipedia Zeit.de Spiegel Online

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Erzähl mir von ...

DEINEN ERSTEN JOBS!

von Larissa Strohbusch

Alle wollen vorwärts kommen. Zukunft, Kind, Karriereplan. Immer geht es um das Morgen. Aber wie war dein Leben denn, als du ein Kind warst? Wie war es denn als Teenager? Erzähl mal. Roxana vom early birdy, Sabine vom fadenvogel und ich tauschen jeden ersten Sonntag im Monat Erinnerungsstücke aus. Ein Thema – drei unterschiedliche Texte, drei unterschiedliche Frauen, drei unterschiedliche Leben. Ich habe in meinem Leben schon rotblaue Uniformen getragen. Und gelbblaue. Ich habe Mülleimer ausgeleert und schwere Pakete gestemmt. Ich habe Stunden am Kopierer gestanden und Bewerbungen gesichtet. Ich habe Geld sortiert und Transaktionen bewacht. Ich saß auf unbequemen Hockern und an meinem eigenen Arbeitsplatz. Es heißt immer, Arbeitgeber suchen junge Mitarbeiter, die schon zehn Jahre Arbeitserfahrung haben. Es ist natürlich unmöglich, als Absolvent bereits herausragende Berufserfahrung vorzuweisen. Doch als ich mit vierundzwanzig mein Studium abschloss, habe ich bereits fast zehn Jahre gearbeitet. Und dabei Erfahrungen und Kompetenzen gesammelt, die mir der Hörsaal nicht bieten konnte. Meinen ersten Job hatte ich ganz klassisch mit fünfzehn: Zeitungen austragen. Ich weiß nicht mehr, wie ich dazu gekommen bin, nicht wie lange ich das gemacht habe oder warum ich damit aufgehört habe. Aber für eine unbestimmte Zeit fuhr ich jeden Freitagnachmittag mit meinem gedrosselten Roller die Straßen

lang und warf Zeitungen in Briefkästen. Meinen ersten „richtigen“ Job bekam ich kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag, als ich alt genug war, um mit Geld arbeiten zu dürfen. Mein ältester Bruder riet mir: „Geh mal zum Knut, der sucht eigentlich immer jemanden.“ Ich wusste bis dato nicht, wer Knut ist, aber ich ging hin und kurz darauf begann ich meine erste Arbeitsstelle als Erwachsene: Zweimal die Woche machte ich in der örtlichen Tankstelle Abenddienst. Ich saß hinter meinem Tresen und beobachtete die Hauptstraße durch die großen Fenster. Zwischendurch fegte ich gewissenhaft den Laden, leerte die Mülleimer aus und füllte Chips-Bestände nach. Viele Kunden waren Stammkunden. Es dauerte nicht lange, bis ich die meisten kannte. Ich wusste, wer zu wem gehört, wer welche Zigaretten raucht. Wer nett ist und wer nicht. Viele kannten mich bereits vorher als „Tochter/Schwester von“. Oft gab es Leerläufe, in denen es wenig zu tun gab. Dann las ich oder lernte fürs Abitur. Manchmal kam eine Freundin vorbei, holte sich einen Kaffee am Automaten und blieb eine Weile zum Quatschen.

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Im Rückblick war es eine angenehme Arbeit. Nicht gut bezahlt, aber entspannt. Es war ein einfacher Schüler-Job und doch lernte ich so manches: Ein sehr netter Chef ist die meiste Zeit toll – aber seine Enttäuschung schmerzt ungleich mehr, wenn man mal Mist gebaut hat, als wenn einem sowieso alles egal ist. Und immer wieder stand ich vor einem moralischen Dilemma: Ist es eigentlich okay, dass ich als überzeugte Nicht-Raucherin Zigaretten verkaufe? Darf ich dem deutlich Fettleibigen einen riesigen Berg Süßigkeiten mitgeben? Und was ist mit dem netten Herrn, der immer öfter kommt, um sich eine Flasche Schnaps zu holen und dessen Hand dabei zusehends mehr zittert? Ich blieb drei Jahre. Dann ging ich für ein Semester ins Ausland. Und überhaupt, ich studierte mittlerweile und wohnte längst in der Stadt. Wo in der Zwischenzeit ein bekanntes Möbelhaus eröffnet hatte – eine logische Anlaufstelle für einen neuen Job. Wo ich vorher jeden Abend die gleichen Gesichter sah, stand ich hier einer schier endlosen Schlange Anonymität gegenüber. Ich arbeitete sie wie Fließbandware ab. Ich wurde fürs Weihnachtsgeschäft angestellt und blieb für knapp ein Jahr. An manchen Tagen war ich gut drauf und strahlte die Fremden an. Oft schwieg ich für Stunden. Für viele war ich ein Mensch unterer Klasse. „Warum machen Sie nicht noch eine Kasse auf?“ Ein Klassiker. „Das gehört nicht mehr zu mir! Das müssen Sie doch sehen!“ Wisst ihr was? Diese lustigen kleinen Stäbe an den Kassen, die haben tatsächlich eine Funktion! Denn stellt euch vor: Eine Kassiererin kann nicht hellsehen! Unfassbar, oder? Ich stemmte riesige Pakte alleine mit meinen dürren Ärmchen, während deutlich muskulösere (männliche!) Kunden untätig zusahen, wie ich ihre Unordnung abarbeitete. Am Ende erlöste mich der pure Zufall. Ein Seminar bei einer ebenso beliebten wie engagierten Professorin, an diesem Morgen erstaunlich schlecht besucht. Die Frage: „Braucht jemand einen Job? Ich suche neue Hilfskräfte.“ Nur zwei Anwesende waren interessiert, einer davon ich. „Ach, Sie waren im Ausland? Also, ich betreue da ein paar ERASMUS-Kooperationen ...“ Im neuen Semester hatte ich

meinen eigenen Schreibtisch in einem kleinen Räumchen der Uni. Ich hatte Sprechstunden, machte Beratungsgespräche und suchte verzweifelt nach Bewerbungsinformationen auf griechischen Webseiten. Einmal spielte ich eine mittelalterliche Küchenhilfe in der Kinder-Uni. Ich liebte es, Aktenordner durch die Gänge zu tragen. Und da wusste ich: Scheiß auf Abenteuer! Ich liebe das Büro! Und dann war‘s vorbei: Das Zeugnis flatterte ins Haus, ich exmatrikulierte mich, packte die Kisten in meinem WG-Zimmer. Ich zog von Süd-Westfalen nach Sachsen für meinen ersten richtigen J… äh, für das erste Langzeitpraktikum bei einer großen Zeitschrift. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Momentaufnahme zweier Menschen Eine Kurzgeschichte, basierend auf einer wahren Begebenheit. Erzähl mir von

von Larissa Strohbusch „Mittwochs zwischen 20 und 22 Uhr ist Filmabend“, steht auf dem Zettel an der Wand. „Bitte haltet um diese Zeit Ruhe!“ Es ist Mittwochabend. Filmabend in diesem hippen Hostel. Auf dem Programm steht ein Klassiker. Intellektuellen-Kino aus den frühen Achtzigern. Doch noch ist der Fernseher matt und stumm. Technische Probleme, so wie es aussieht. Vor dem Zettel an der Wand befindet sich der Kickertisch. An dem Kickertisch eine Gruppe Spanier. Laute Spanier, grölende Spanier. Und ein lauter Kickertisch. Bumm, bäng, bomm, bumm. Haben sie den Zettel nicht gesehen? Haben sie ihn nicht verstanden? Oder ignorieren sie ihn schlichtweg? Die technischen Probleme wurden gelöst. Der Film läuft. „Bumm, bäng, bomm, bumm“, macht der Kickertisch. Die Gruppe intellektueller oder einfach nur müder Hostel-Bewohner auf dem alten, verschlissenen Sofa werfen den jungen Spaniern böse Blicke zu. Sehen sie die Blicke nicht? Oder ignorieren sie diese? Sie starrt mit. The German Stare Down, wie man es so schön nennt. Vielleicht

starrt sie sogar am schlimmsten von allen. Es geht schließlich ums Prinzip! Vielleicht starrt sie auch ein bisschen wegen diesem Typen – dunkel, gut aussehend, nun ja, Spanier eben. Der Typ war ihr schon am ersten Tag ihres Aufenthaltes im Hostel aufgefallen. Genau ihr Typ. Heimlich hatte sie ihn beim Frühstück oder bei den Nudeln zum Abendessen beobachtet. „Den kenne ich“, hatte sie gedacht. Sofort. Unmöglich. Sie ist in einem Hostel. Er ist Spanier, sie ist Deutsche. Beide sind im Ausland. Woher soll sie den Typen kennen? Das ist nicht möglich. „Doch, den kenne ich“, denkt sie. „Ganz sicher.“ Schwachsinn. „Dieses Konzert, letzten Monat. Am anderen Ende des Landes.“ Schwachsinn. „Da war dieser Typ, dunkel, gut aussehend.“ Schwachsinn. „Er gefiel mir, ich habe ihn beobachtet. Er hat mich angelächelt.“ Schwachsinn. „Schwachsinn, ja. Bestimmt. Aber, doch,

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ich bin mir ganz sicher.“ Da steht er also, der hübsche junge Mann von diesem Konzert neulich, am anderen Ende des Landes. Da ist er zufällig im gleichen Hostel, hunderte Kilometer entfernt von dem Ort, wo sie ihn heimlich beobachtet hat. Da steht er am Kicker. Und macht Krach, an einem Mittwochabend zwischen 20 und 22 Uhr, während des Filmabends. Vielleicht möchte man sagen: Typisch Spanier. Und sie steht daneben und starrt ihn an, typisch Deutsche eben. „Das ist absolut unmöglich, dass das der Typ von neulich ist. Absolut unmöglich“, denkt sie sich. „Aber doch, ich bin mir sicher. Sehr sicher. So ein Zufall. So ein verrückter Zufall.“ Der Fernseher murmelt, der Kickertisch kracht. Bumm, bäng, bomm, bumm. „Und wenn das jetzt irgendwie vorherbestimmt war? Ich weiß nicht, vielleicht Schicksal oder so? Vielleicht sollte ich ihn wiedertreffen? Vielleicht musste das so sein?“ Jemand hat den Ball versenkt. Die Spanier lachen, klatschen sich ab. Sie starrt.

„Do you want to play with us?“ „No.“ Es ist Mittwochabend zwischen 20 und 22 Uhr. Es geht ums Prinzip. Er und sie haben sich nie wiedergesehen.

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Die nächste Ausgabe erscheint am 3. Dezember 2016. Impressum Redaktion: Larissa Strohbusch Klingerstr. 8 81369 München E-Mail: redaktion@norobotsmagazine.de Layout: Larissa Strohbusch Autoren: Corinne Luca, Julia, Katrin Klingschat, Larissa Strohbusch, Sabine Rest, Stefanie Höfig, Stefanie Krüger, Stefanie Wiesner. Bildnachweis: Titel: Unsplash/Tyler Mullins, Unsplash/Sloane Smith, S. 8: Unsplash/Fancy Grave, S. 8/9: Flaticon, S. 12: Flickr/GoToVan, S. 13: Unsplash/Crew, S. 15: Unsplash/Damian Zaleski, S. 17: Unsplash/Aki Tolentino, S. 20: Unsplash/Caleb Jones, S. 26: Larissa Strohbusch, S. 27: Unsplash/Natalie Collins, S. 28/29: Unsplash/Jenelle Ball, S. 31: Unsplash/Steinar La Engeland, S. 35: Unsplash/Pascal Swier.

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