WINTER 2013|14
#10 KÖLNER KULTUREN MAGAZIN | WWW.NULL22EINS-MAGAZIN.DE
FREIEXEMPLAR | EHRENAMTLICH | WERT 3 EURO
Null22eins Artishocke e.v.
Editorial
EDITORIAL
Warum wird alles grau, sobald das Blau verschwindet? Düstere, kalte, schwarze und weiße Winterzeit. Warum eigentlich Farben? Wieso wollen wir Zuständen und Gefühlen eine Farbe geben, um sie zu begreifen? Wer hat schon das Grün vor Neid einmal wirklich gesehen? Ist Rot nun eine Farbe des Bösen oder doch der Liebe? Und dann noch dieses Rosa. Rosa Elefanten verfolgen uns nicht nur nach dem Glühweinstand oder einer übertriebenen Party. Rosa. Diese so weiche Farbe. Ist das überhaupt eine echte Farbe? Das ist eine Frage für Kunst-Studierende und malende Künstler. Aber irgendetwas muss ja dran sein. Denn nach der rosaroten Brille sehnen wir uns förmlich, wie es scheint. Die Welt einmal ganz anders sehen. Auf rosa Wolken dem Alltäglichen entfliehen und aufsteigen zu neuen Gefühlen. Verliebt sein. Schweben. Farben und Farbdeutungen sind unendlich tiefsinnig. Das Gelbe vom Ei können diese kurzen Zeilen gar nicht liefern. Aber sie können einstimmen. Auf eine neue Ausgabe null22eins, die helfen will, dem winterlichen Dunkel zu entfliehen. Viel Spaß beim Lesen!
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INHALT
Null22eins Artishocke e.v.
Inhalt #10 WERKSCHAU /// MERCEDES (FLACA) Bondage Revolution
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ALT | NEU /// HELIOSGELÄNDE 08 Vor dem Ende oder Anfang FOTOSTRECKE /// BAHNHOFSTRASSE 14 Gegenwart in Vergangenheit
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FILM /// OFF BROADWAY Filme psychologisch betrachtet
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ZWISCHENRAUM /// LIEBE Gedicht. Romantik. Ein Thema.
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KÖLNER ORTE /// ECKKNEIPENKULTUR Die Wilde Uschi mitten in Köln
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GALERIE /// ETC. Mehr als eine Ebene – mehr als eine Dimension
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MUSEUM /// ARTOTHEK Kunst zum Mitnehmen
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INHALT
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IMPRESSUM HERAUSGEBER
V.I.S.D.P
REDAKTION U. REDAKTIONELLE MITARBEIT
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ARTISHOCKE /// HISTORY OF SEX Lustwandel durch Zeiten
30 MUSIK /// WE USED TO BE TOURISTS Eine gemeinsame Sache
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MUSIK /// IN KÖLN Victory Valley, Masons Arms und Zielgruppe
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KÖLN SZENE /// REPAIR-CAFÉ Wegwerfen unnötig
40 HANDGEMACHTES /// PERLITO Altes wird wach geküsst
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KÖLN SZENE /// DAS HEISSE PFLASTER Aus bewegten Zeiten in einem heißen Veedel
46 WISSENSCHAFT /// LIEBE
Romantik: Ware, Konsum und doch Gefühl
Robert Filgner robert@null22eins-magazin.de Miriam Barzynski, René Denzer, Anne-Sarah Fiebig, Robert Filgner, Marie-Luise Hofstetter, Christiane Kanthak, Giacomo Maihofer, Jonas Mattusch, Saskia Rauchmann, Laura Simon, Anna Stroh, Britta Wanderer, Christine Willen
LAYOUT
Zena Bala, Stefanie Grawe, Leo Pellegrino, Kirsten Piepenbring, Rosa Richartz, Andi Wahle, Julia Ziolkowski
FOTOS
Alessandro De Matteis, Jill Ehrat, Isabell Krickau, Stephanie Lieske, Carina Matijasic, Stephanie Personnaz, Romana Schillack, Andi Wahle, Julia Ziolkowski, Peter Ziolkowski
ILLUSTRATIONEN TITELSEITE DRUCK
34 PORTRÄT /// ZWEI GEIGENBAUER Mit Holz und Gefühl im Glaskasten
artishocke e. V. Mülheimer Freiheit 61 • 51063 Köln redaktion@null22eins-magazin.de
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BANKVERBINDUNG
Zena Bala, Laura Simon, Anja Noack, Kirsten Piepenbring Zena Bala Druckpunkt Medien GmbH Robert-Bosch-Str. 6 • 50181 Bedburg www.druckpunktmedien.de redaktion@null22eins-magazin.de null22eins-magazin.de facebook.com/null22eins issuu.com/null22eins-magazin artishocke e. V. Deutsche Skatbank Konto-Nr.: 4680715 • BLZ: 830 654 10 Urheberrechte für Beiträge, Fotos und Illustrationen sowie der gesamten Gestaltung bleiben beim Herausgeber oder den Autoren. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers! Alle Veranstaltungsdaten sind ohne Gewähr.
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WERKSCHAU
FLACA
Bondage Revolution Flaca benutzt die Kunst der sexualität als aufschrei der emanzipation. Sex, Lust, Nacktheit, Bondage, Natur, Trieb – all das sind Elemente die Mercedes Alejandra Goudet, kurz Flaca, in ihren Werken vereint. Sie kreiert ästhetische, zeitgemäße Kunst, die aneckt. Den Rahmen für ihre Ausdrucksmöglichkeiten bilden digital gefertigte Collagen. Fetisch ist ein viel diskutiertes Wort beim Anblick ihrer Kunst. Doch wenn jemand denkt, durch ihre Kunst zeige sie, dass sie beim Sex auf Schweinereien stehe, der „habe ihre Kunst nicht verstanden“. Mercedes ist in Venezuela aufgewachsen – in einer politisch und katholisch-religiös geprägten Welt. Diese beschäftigt sie bereits in frühen Jahren und beeinflusst ihre Gedanken. In ihren Fokus rücken die Gleichstellung von Mann und Frau, sowie Heuchelei in der Religiosität. Die Inszenierungen in ihren Werken sind Ausprägungen des Geschlechterkampfes. Nackt räkeln sich gefesselte Frauen in krassen Posen mit Augenbinden zwischen Blumenfeldern und Insekten. Sie halten eine Waffe in der Hand, kämpfen für die Emanzipation. Bondage ist für Flaca ein Ausdruck dieser Freiheitsbewegung: „Eine Frau soll tun und lassen, wozu sie Bock hat und nicht, weil sie zu etwas gezwungen wird. Ich habe Freundinnen die Sachen tun, nur um einem Mann damit zu gefallen. Beim Bondage können Frauen sich in Fesseln legen lassen, weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen.“ Ein neuer Blickwinkel auf ihre Kunst und man fühlt sich klein, weil man Bondage mit Sexualität verbindet, sie mit Gerechtigkeit. Ein viel benutzes Symbol in ihrer Kunst ist das Kreuz. Für sie ist es nur ein Symbol, die Bloßstellung der Kirche, ein Schockelement, das zum Nachdenken anregen soll. Bedeutend auffälliger sind Elemente bekannter Hollywoodfilme oder Prominenter – Popstars, Wonder Woman oder Frida Carlo. Durch die provozierende Inszenierung populärer Figuren hofft sie auch das Interesse junger Leute für ihre Kunst zu gewinnen. Einprägend und bezeichnend ist der Schriftzug „Revolution“. „Die Revolution ist nicht zwangsmäßig politisch, auch ich habe immer schon alles hinterfragt.“ Revolution sei Aufstand und Veränderung – und demnach Fortschritt. Zu dieser intensiven Themenverarbeitung in ihren Werken gesellt sich bei der Künstlerin aber auch etwas anderes: „Ästhetik ist mir wichtig. Meine Kunst ist vor allem eines: Sie ist schön.“ Eine nackte Frau ist nicht nur emanzipiert, sie ist auch schön. Flaca hat immer schon gemalt, die Auseinandersetzung mit der Kultur stand zu jeder Zeit im Mittelpunkt ihres Lebens. Vor circa drei Jahren wurde sie aktiver. 2012 nahm sie an einer ersten Gruppenausstellung teil, im Oktober 2013 eröffnete sie ihre erste Einzelausstellung in der Kölner Galerie Display. Flaca bedeutet auf Spanisch „die Schmale“ – ein Spitzname aus Kindertagen. Doch die Frau ist nicht einfach schmal. Sie ist attraktiv, überzeugt, begabt und erst ganz am Anfang ihres Schaffens. WEITERE INFOS /// FLACAS-ART.DE
WERKSCHAU
TEXT /// ANNE-SARAH FIEBIG KUNSTWERKE /// FLACA
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TEXT /// ROBERT FILGNER FOTOS /// PETER ZIOLKOWSKI, JULIA ZIOLKOWSKI, MADAME ROSSI
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orte der Kreativität
Ende und Anfang Es wurde viel diskutiert, dann viel geplant und sogar entschieden. Das Heliosgelände könnte das erste positive Beispiel einer neu geführten Städteplanung werden. Wenn da nicht die Fragezeichen bleiben würden: Kann ein aus Chaos erwachsenes kreatives Plätzchen nach einem Baggereinsatz kreativ bleiben? Oder sogar noch kreativer werden? Ein kultureller, inklusiver Ort, gewollt von einer großen Mehrheit der Bürger vor Ort? Beteiligung ist gut. Modernes oft auch. Doch Wehmut macht sich heute schon breit.
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FOTOSTRECKE
FOTOSTRECKE
BAHNHOFSTRASSE WEITERE INFOS /// JILL EHRAT /// WWW.JILLEHRAT.DE FACHLICHE BERATUNG /// DIPL. DES. THOMAS ZIKA /// ECOSIGN.NET
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FOTOSTRECKE
FOTOSTRECKE
Vergangenheit trifft gegenwart „Ein jeder kennt Orte, die vor dem inneren Auge Erinnerungen hervorrufen: Flüchtige Momente, einst festgehalten in Bildern, erwecken verlassene Plätze wieder zum Leben und werden an ihre Entstehungsorte zurückgebracht. Zwei Welten – Vergangenheit und Gegenwart – prallen aufeinander und vereinen sich in einem Bild.“ Die Fotoarbeit „Bahnhofstraße 14“ von Jill Ehrat zeigt einen einst belebten Ort ihrer Kindheit: Das Haus ihrer verstorbenen Großmutter wird zur Bühne und alte Familienfotos kehren mit Hilfe von Projektionen zurück. Jahrzehnte nach ihrem Entstehen werden sie in einen neuen und zugleich alt vertrauten Kontext gesetzt. Hier lohnt sich ein ganz genauer Blick. Motive der Vergangenheit treffen auf scheinbar stehen gebliebene Gegenwart.
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FILM
Perspektiven im Kino TEXT /// SASKIA RAUCHMANN ILLUSTRATION /// KIRSTEN PIEPENBRING
FILM
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Raum für psychologische Betrachtungen Ein Kölner Programmkino bietet dafür Raum: Im OFF Broadway auf der Zülpicher Straße gibt es zwar kein Popcorn. Dafür finden sich hier jeden zweiten Sonntag im Monat die „Filmpsychologischen Betrachtungen“. In Zusammenarbeit mit der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf e.V. (Institut der DPV/DGPT) werden hier Filme nicht nur angeschaut, sondern im Anschluss daran besprochen. Herbst 2013. Es läuft „Der Geschmack von Rost und Knochen“, ein französisch-belgischer Film aus dem Jahr 2012 von Jacques Audiard. Er beginnt mit zwei scheinbar kaputten Lebensgeschichten. In 122 Minuten lässt AuNach 15 Jahren Freundschaft lässt sich er- diard den Zuschauer mehrere Katastrophen ahnen, was ein Freund empfindet, wenn er miterleben, um am Ende mit den traumatiweint, lacht oder einfach nur ruhig atmet. schen Ereignissen aus der Vergangenheit abErfahrungen dieser Art erleben manchmal schließen und leben zu können. Ein dramaaber auch Menschen, die sich erst seit eini- tischer Film, der Tränen verursachen kann gen Minuten kennen. Sie sitzen dabei oft in und gewiss jedem nahe geht, da er Themen einem flauschigen Sessel und haben etwas wie Verlust und Machtlosigkeit, aber auch Popcorn zwischen den Zähnen. Es geht um verschiedene Aspekte der Liebe behandelt. einen Kinobesuch. In häufig 120 Minuten erleben wir die Theorie und Praxis Protagonisten des Films sehr intim und füh- Im Anschluss an die Filmvorstellung betritt len uns ihnen sehr nah. Doch obwohl man Ursula Burkert, Diplom-Psychologin, den vielleicht einige Katastrophen mit ihnen Saal und begrüßt die Zuschauer. Zunächst überstanden hat, nimmt man sich anschlie- liest sie aus ihren Notizen ein paar persönßend viel zu selten Zeit und bleibt einfach liche Gedanken vor. Anschließend nennt sie mal im Sessel sitzen, lässt alles noch einmal dann die zentralen Themen, die sie im Laufe Revue passieren. Vielleicht dabei über Szenen des Vortrags mit unterschiedlichen Ansätzen nachdenkend, die besonders nahe gegangen von gängigen Psychoanalytikern verknüpft. sind oder, um sich mit den künstlerischen Dabei erklärt sie immer erst die Theorie und Kniffen zu beschäftigen. Und warum eigent- bezieht sie dann auf den Film. So ermöglicht lich, wenn doch so viele unterschiedliche sie auch dem Laienpublikum einen Zugang Menschen im Kino aufeinandertreffen, nicht in die Materie der Psychologie. auch mal in Erfahrung bringen, wie jemand Dann ist es soweit: Die Kinobesucher weranderes die vergangenen zwei Stunden erlebt den aufgefordert, sich ihre eigenen Gedanken hat? zu machen, sie anschließend zu teilen oder Fragen zu stellen. Daraus entsteht nach wenigen Minuten eine von Frau Burkert begleitete Diskussionsrunde. Es fällt auf, dass wirklich jede Frage gestellt werden darf. Auch Fragen zur Technik, wie: „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob die Protagonistin wirklich keine Beine hat, oder, ob das mit moderner Technik retuschiert wurde?“
Gedanken und Erkenntnisse Außerdem werden auch sehr persönliche Statements abgegeben, wie das von einem Herrn, der sich eingesteht: „Ich hatte ehrlich gesagt vor dem Kinobesuch Angst, dass nach einem solchen Film wieder mal das Wort Inklusion fällt und den Schwerpunkt der Diskussion bildet. Nun muss ich es aber selbst nennen, weil ich denke, dass der Film genau das erreicht: Inklusion. Ich habe nämlich, wie vermutlich viele hier, gewisse Hemmungen gegenüber körperlich eingeschränkten Menschen und weiß nicht so recht, wie ich mit ihnen umgehen soll. Doch bei der Protagonisten habe ich nicht nur vergessen, dass sie keine Beine hat, sondern habe sie sogar als sehr attraktiv wahrgenommen. Also habe ich mich mal gefragt, ob ich mit einer solchen Frau zusammen sein könnte. Und ich hatte gar keine Zweifel daran. Das fand ich erstaunlich.“ Es herrscht eben eine entspannte Atmosphäre, die dieses besondere Programm begleitet. Filmpsychologische Betrachtungen wollen die Gedanken hinter jedem Film erweitern und erklären. Das gelingt im OFF Broadway. Wer jedoch nur zuhören möchte, ist auch jederzeit willkommen.
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ZWISCHENRAUM
Lieb es gesc hich ten Klarheit Sie war immer diejenige die von Kindern sprach, und dem gemeinsamen alt werden. Sie war diejenige mit dem Plan, den festen Vorstellungen. Ich war immer der, der mit der Schulter zuckte, ganz diplomatisch, aber nicht ganz überzeugt. Und doch gab es auch für mich einen Moment, an dem ich all das fühlte, was sie uns wünschte. Es war im Sommer. Wir waren unterwegs in England, hatten Halt gemacht auf einer kleinen Insel in der Nähe der Ostküste. Aus irgendeinem Grund lebten nur Reiche hier. Das beste Geschäft war ein Bestattungsunternehmen, das ein Kumpel von ihr führte. Er bekam jeden Abend einen Anruf, machte das Geschäft seines Lebens. Irgendjemand auf dieser Insel starb immer. Wir lebten auf einem kleinen Gasthof, der von einer quirligen Deutschen betrieben wurde. Wir waren beide pleite und mussten für unsere Unterkunft arbeiten. Ich grub den Garten um, Marie putzte die Hotelzimmer und arbeitete vorne im Cafe. Und eines Mittags, ich stützte mich mit meinem Stiefel auf die Schaufel und machte ein kurzes Päuschen, da sah ich sie, wie sie zu den großen Wäscheleinen watschelte und die Hemden und Hosen der Gäste aufhing. Sie trug ein langes, blaues Sommerkleid, bestickt mit blühenden Rosen, das im leichten Wind hin und her wehte. Die Sonne schien auf ihr goldenes, langes Haar. Ich dachte, dass ich in meinem Leben noch nie eine schönere Frau gesehen hatte. Und als ich mir den Schweiß von der Stirn wischte, sah sie zu mir herüber und lächelte. Sie sagte nichts. Ich sagte nichts. Wir waren zu weit voneinander entfernt, um uns hören zu können. Aber in dem Moment war alles für mich klar, mit einem Mal war alles für mich da: Wenn sie in der Nacht in meinem Arm einschlief, am Morgen auf meiner Brust aufwachte, war ich der glücklichste Mann auf der Welt. Damals für diesen kurzen Moment, auf dieser kleinen Insel im Nirgendwo, wurde mir zum ersten Mal bewusst, was alle meinten, wenn sie von der Liebe sprachen.
ZWISCHENRAUM
Lass die Liebe Wort halten. Wenn Liebe nicht Wort hält, Leidenschaft versiegt, ohne um einen letzten Tanz zu bitten. Sich die Realität mit einem einzigen Wunsch kleidet. Verschlägt es jener Bitte die Sprache, die Frage wird Unsinn, bevor das Schicksaal die Zeit hatte, die Antwort wach zu küssen.. Lass die Liebe Wort halten!
Vollendung
Liebe.
Der größte Unterschied zwischen den Formen des gefühlvollen Empfindens ist der zwischen Liebe und Begehren: Begehren ist kurz. Es ist zielgerichtet. Es verschwindet nach seiner Erfüllung, wird ersetzt durch ein Neues. Die Liebe hingegen bleibt Begehren nach Erfüllung. Sie ist nicht zielgerichtet, sie kennt keinen Endzweck. Sie bleibt unstillbar, eine Sehnsucht, die in sich selbst stillend ist. Sie ist weltumspannend wie die Meere, in Weite wie Tiefe unergründlich, bewohnt von den dunkelsten und schönsten Empfindungen, die ein Mensch erfahren kann und Gefahr für jeden, der sich auf ihr zu weit hinaus, zu weit fort von sich selbst bewegt. Das Begehren hingegen, ob erotisch oder ästhetisch, ob nach Mensch oder Ding, findet sein Ende immer in einer Mündung zu weiteren seiner solchen: Es ist immer Teil der Liebe, so wie die Flüsse dieser Welt Teil der Meere sind. Doch ein Begehren ohne Liebe bleibt geradlinig und einsam. Eine Suche, die keinen Zweck kennt, als zu suchen, keinen Ort kennt, als das ewig fahrende Wasser abgekapselter Wegelungen, fernab der friedengebenden Einheit, die wir erfahren, wenn wir voll und aus ganzem Herzen lieben. Es bleibt immer Suche nach Vollendung, während die Liebe Vollendung seiner Suche ist.
Solche werden sagen sie würden sterben für das Gefühl, andere tuen eben dies darin.
TEXTE /// GIACOMO MAIHOFER, LAURA SIMON ILLUSTRATIONEN /// ANJA NOACK
der bruchteil. Nur wer den Bruchteil sieht, vermag es zwei Momente aus einem Traumhaften zu machen.
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KÖLNER ORTE
UNTERWEGS MIT DER
KÖLNER ORTE
Wer ist eigentlich diese Wilde Uschi von der so viele sprechen? Dieser Name verfolgt mich in Köln in der letzten Zeit überall. Auf Plakaten, in der Buchhandlung, im Museum, auf Partys und auch in meinem Freundeskreis. Diese Uschi muss ja einiges auf dem Kasten haben, denke ich mir irgendwann und möchte es ganz genau wissen.
TEXT /// ANNA STROH FOTOS /// ISABELL KRICKAU, PROMO WEITERE INFOS /// WWW.WILDEUSCHI.DE
Hinter diesem vielversprechenden Namen verbergen sich zwei nette Herren: der Fotograf Patrick Essex und Journalist Manuel Preuten. Sie haben die Wilde Uschi ins Leben gerufen. Im November erschien ihr 128-seitiger Bildband mit dem Titel „Bei Uschi‘s Eck“. Darin stellen sie in 80 Abbildungen die in Vergessenheit geratenen Eckkneipen und deren Gäste ins Rampenlicht. Ein ganzes Jahr zog es Patrick und Manuel in die Kölner Eckkneipen, bewaffnet mit einer Kamera und einem offenen Ohr. Sie hörten sich die Geschichten, Sorgen, Beschwerden, Gedanken und Theorien der Stammgäste an und tranken mit ihnen bis in die Nacht. All ihre Eindrücke und Fotografien, die sie in 80 Eckkneipen gesammelt haben, finden sich in ihrem Bildband „Bei Uschi´s Eck“ zu einem Ganzen vereint wieder. Hier kommen Sybille, Engelbert, Akos, Günther, Willi, Manni und viele mehr zu Wort und gestatten uns einen kurzen Blick in ihre Welt, ihr Leben und ihren Alltag.
Doch die Uschi kann noch mehr. Pünktlich zu der Buchveröffentlichung am 2. November 2013 fand eine Vernissage für die bis zum 24. November fortlaufende Ausstellung im Museum für verwandte Kunst in der Genter Straße 6 statt, sowie eine Aftershow Party mit dem passenden Titel „Wilde Uschi“, die sich nach dem großen Erfolg zu einer Partyreihe etabliert hat. Was dies alles heißt und bedeutet beschreibe ich hier am besten aus meiner Sicht. Denn ich war dabei, habe gelacht, gestaunt, getrunken, getanzt und mitgesungen. Mein erstes Treffen für diesen Artikel hatte ich mit den Jungs in einer typischen Eckkneipe: Em Gumprecht Eck in Ehrenfeld. Ich wäre garantiert an der Kneipe vorbeigelaufen, hätten die zwei Herren nicht vor der Tür auf mich gewartet. Noch nie ist mir diese Kneipe zuvor aufgefallen, ganz zu Schweigen davon, dass es mich interessiert hätte, was sich darin abspielt. Die Tür geht auf und schon kann ich mir absolut nicht vorstellen, dass ich mich an einem Freitagabend mitten in Ehrenfeld befinde. Das Ambiente ähnelt in keiner Weise den Locations, in denen ich sonst verkehre. Es ist wie eine Zeitmaschine, ich befinde mich in den 1980ern: Kunstblumen, Zierdeckchen, Holzstühle, kleine Clowns, Kätzchen, Spielautomaten und Aschenbecher mit Stammtischemblemen. Wir werden wie Ehrengäste empfangen. Sofort wird klar: Patrick und Manuel sind hier keine Fremden mehr. Jeder begrüßt
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sie höchstpersönlich und wechselt mindestens zwei, drei Sätze mit ihnen. Auch mir wird von allen Seiten die Hand gereicht und jeder vorgestellt. Ich fühle mich sofort willkommen. Wir setzen uns an einen Tisch, der Blumenstrauß versperrt mir die Sicht. Ich schaue nach rechts und links und lasse alles auf mich wirken. Ich bin beeindruckt, habe vergessen, warum ich eigentlich hier bin. Als könnte jemand meine Gedanken lesen, kommt von rechts eine Stimme: „Das arme Mädchen kann ja gar nichts sehen.“ Und der Blumenstrauß wird weggetragen.
Teil des Stammtisches Eigentlich hatte ich mir Notizen machen wollen und sämtliche Fragen vorbereitet. Doch nach dem zweiten Kölsch wird mir klar: soviel wie sie erzählen, kann ich gar nicht mitschreiben. Sie zeigen auf jeden Stammgast am Tresen und quatschen drauf los. Sie kennen sie alle beim Namen plus der passenden Geschichte. Die Jungs beschreiben mit so viel Begeisterung und Enthusiasmus. Ich komme aus dem Staunen und Lachen nicht mehr heraus und beobachte das wilde und bunte Treiben um mich herum. Auf dem kleinen Raum sind so viele Generationen vertreten. Sie alle sitzen schunkelnd und trinkend zusammen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal in einer Bar oder einem Club so etwas erlebt habe.
»
Dieses Wetter lässt sich ohne ein Schnäpschen nicht aushalten. Prost, meine Herren! «
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KÖLNER ORTE
Ich verfalle in Nostalgie. Bevor ich nach Köln gezogen bin, war auch ich ein Teil dieser Kultur. Im Familienbetrieb einer Freundin ging ich täglich ein und aus, habe dort meine ersten Kellnererfahrungen gemacht, Schlagertexte gelernt, das erste Mal Alkohol getrunken und jeden Gast beim Namen und seine Lebensgeschichte gekannt. Ich machte in der Zeit meine ersten Erfahrungen mit Menschen und ihren Sorgen. Ich erinnere mich wieder daran. Wie konnte ich das alles nur vergessen? Mir wird sofort klar, was für diese Leute eine Kneipe, in der sie jeden Tag zur gleichen Uhrzeit ein- und ausgehen, bedeutet. Wie wichtig für sie der soziale Kontakt ist und der Halt, den die gewohnten Räume ihnen bieten. Hier werden sie vermisst, hier wird ihnen geholfen, hier bekommen sie Ablenkung und sozialen Halt. Wenn wir ehrlich sind: wer von uns ist nicht auf der Suche nach Zugehörigkeit? Wer würde sich nicht darüber freuen voller Freude über seine Person empfangen zu werden? Ein paar Kölsch später verabschieden wir uns. Ich verspreche wiederzukommen.
November 2013 – Buchvorstellung Mit ein paar Freunden mache ich mich auf den Weg zur Vernissage des Bildbandes. Ich erzähle auf dem Weg von den grandiosen Porträtbildern, die ausgestellt werden. Wir stimmen uns auf einen gemütlichen Museumsabend ein. Doch was uns dann erwartet übertrifft all meine Vorstellung. Wir befinden uns in einem Museum, nur ist davon nichts zu sehen. Die grandiosen Fotografien, von denen ich vorgeschwärmt habe, gehen in der Menschenmasse komplett unter. Sie sind nebensächlich. „Das ist doch eine Kneipe? Verstehe ich nicht!“ sagt meine Freundin. In den Ausstellungsräumen steht eine selbstgebaute Holztheke, dahinter arbeiten Kellner, Kölsch fließt in Strömen, alles quetscht sich an die Theke, tanzt, raucht und unterhält sich laut. Alles erinnert an eine Eckkneipe. Wir entdecken auch einige porträtierte Stammgäste aus dem Buch im Publikum wieder. Schnell wird klar: das gehört zum Ausstellungskonzept. Die Eckkneipe wurde aus der gewohnten Umgebung entrissen und museal ausgestellt. Wir werden zu einem Teil der Ausstellung.
22 Uhr – Lokalwechsel „Los, alle zur Wilden Uschi-Party Em Gumprechts Eck“, wird lauthals verkündet. Gesagt, getan. Wir sind angefixt und wollen nichts verpassen. Vor der Eckkneipe hat sich bereits
eine Schlange gebildet. Um den Eintritt wird gewürfelt und der Kabänes fließt vor der Tür bereits in Strömen. In der Kneipe ist es unglaublich voll und das Publikum kunterbunt. Ich entdecke schick angezogene Museumsbesucher, junges Clubpublikum, Stammgäste aus dem Buch und deren Freunde. Alle amüsieren sich zur selben Musik, stoßen zusammen an und unterhalten sich. Ich werde sogar
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von einem der Bewohner zum Tanzen aufgefordert. Für einen Abend ist die Eckkneipe und unsere Club- und Bargeneration vereint und versteht sich prächtig. Die Wilde Uschi hat es geschafft: Sie hat den Eckkneipen wenigstens für diesen Abend Leben eingehaucht und mir Lust auf mehr gemacht. An dieser Stelle ein großes Lob an Patrick und Manuel, die durch unglaubliche Liebe zum Detail, Organisationstalent, guten Geschmack, sehr viel Persönlichkeit, Feingefühl und Zielstrebigkeit so viele Generationen glücklich machen konnten. Doch am Ende bleibt die Frage weiter offen: Was passiert mit den Eckkneipen? Werden sie bald aussterben? Und wo sollen ihre Bewohner dann in Zukunft hin? Patrik und Manuel beantworten die Frage mit Gerds Worten, dem liebeskranken Rentner: „Das weiß keiner.“ Aber wer weiß, was die Wilde Uschi noch so alles plant...
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Nachtflohmarkt Köln am
14. DEZ
2013
11. JAN
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2014
Livemusik auf der kleinen Bühne
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Köln-Ehrenfeld · ehem. Güterbahnhof · Vogelsanger Str. 231 · Einlass ab 17 Uhr Standbuchung nur auf www.NACHTKONSUM.com Infos unter 089 16 52 44
umwerk
Drinks und kulinarische Köstlichkeiten
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GALERIE
vier DIMENsionen Eine Spielwiese für Fortgeschrittene und Anfänger: Das etc. bedient nicht die klassische Rolle einer Galerie. Genau wie die beiden Köpfe dahinter.
In der ersten Dimension könnte es eine Galerie sein, ist es aber nicht. Diese Schublade ist leider zu klein für die Möglichkeiten, die diese Location mit dem Namen etc. bietet. Denn dort, in der Domstraße 91, in der Nähe vom Eigelstein, sind alle herzlich willkommen: Kunstschaffende, Passanten, Laien, Kunstliebhaber und Schüler. In diesem Raum haben die zwei Freundinnen Jovita Majewski (26) und Yuliya Gaydamachenko (25) das Zepter in der Hand: „Wir heißen etc., weil wir machen, was wir wollen. Wir sind frei und lassen uns nichts sagen“, verkündet Jovita selbstbewusst. Dem Klischee der Etepetete-Kunst, wo man von Galeristen schief angeschaut wird, wenn man als nicht-solventer Interessent den Raum betritt, möchten die beiden mit dem etc. etwas
GALERIE
ges Mädel mit Baskenmütze blieb sitzen, weil sie in das Buch „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ so sehr vertieft war. Ich wollte fast einfach vorbeigehen, hab sie aber dennoch angetippt. Und während wir beide in Wesseling auf die neue Bahn warteten, haben wir einander unsere Lebensgeschichte erzählt und sind seitdem beste Freundinnen“, erzählt Yuliya mit einem Strahlen im Gesicht. Und jetzt hängt das Buch eingerahmt im Backstage-Bereich von etc. an der Wand. Denn ohne „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ hätten sich die beiden Frauen vermutlich nie kennengelernt.
Netzwerk, Vernissagen und Aktzeichnen Neben dem „Bild“ von Dr. Jekyll und Mr. Hyde zeigt die aktuelle Ausstellung bis Ende Dezember Kunstwerke von Anibal Maximilian Kostka und Jessica Christina Driesch. Beide Künstler sind Studenten der Akademie der Künste in Düsseldorf, genauso wie Jovita auch: „Jeder angehende Künstler kann sich im Prinzip für unseren Ausstellungsraum bewerben. Und meistens ergibt sich neben der Ausstellung eine weitere Kooperation; gemeinsam mit uns, für ein zusätzliches Kunstprojekt.“ Damit ist die zweite Dimension erreicht: Kunstschaffende, die sich gegenseitig inspirieren. Für die Vernissagen lassen es Jovita und YuliUnkonventionelles, Freies entgegensetzen: ya sogar bis in die dritte Dimension krachen: „Kunst sollte in erster Linie Spaß machen und „Es werden neben den Kunstwerken immer nicht nur als Produkt zum Konsum angese- auch noch weitere Sinne angesprochen“, verkündet Yuliya. Bei der allerersten Vernissage hen werden“, sagt Yuliya. von Jovitas und Yuliyas eigenen Bildern, zur Eröffnung im Sommer 2013, inszenierten Liebe auf den ersten Blick Die spielerische Begeisterung für das künst- sie eine eigene „Hochzeit“. Für die zweite lerische Schaffen ist den beiden Frauen auf Vernissage wurde auf dem gesamten Boden ganz individuelle Art und Weise angehaftet: des Ausstellungsraumes Blumenerde verteilt, Jovita trägt es ganz offensichtlich zur Schau um den schaurig modrigen Effekt der ausmit ihren blauen Haaren. Yuliya ist eher gestellten Fotos zu untermalen. „Also, wenn „undercover“ für das Kreative unterwegs. jemand noch Blumenerde braucht, wir haben Die beiden ergänzen sich prächtig. Die Stu- da grade was vorrätig“, sagt Jovita mit einem dentinnen haben sich vor vier Jahren in der Lachen. Zuletzt wurde Live-Musik geboten. Straßenbahn von Bonn nach Köln kennengelernt. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, Es lohnt sich, bei etc. reinzuschnuppern und schwärmt Jovita. Die Straßenbahn hielt in die Bilderschau in drei Dimensionen zu geWesseling. „Alle mussten raus und in eine nießen – nicht nur als Passant oder Kunstandere Bahn umsteigen, nur ein blauhaari- liebhaber, sondern auch dann, wenn man
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selbst etwas von der Kunst als Schüler lernen möchte: Jede Woche finden dort unter Fachanleitung von Jovita und Yuliya Aktzeichnen-Kurse statt. Und so wandelt sich eine Galerie in der ersten Dimension zu einem Atelier – erreicht umhin die vierte Dimension. Ein kleiner Raum als Spielwiese auf vier Ebenen: für Kunst, Kunstschaffende, Freies und Lernen. Ab Frühjahr 2014 wollen Yuliya und Jovita einen „Bilderflohmarkt“ veranstalten, mit Kunstwerken zu erschwinglichen Preisen. Bilder und andere Kunst sollen dann formlos an die Wand gestellt oder auf dem Wühltisch gestapelt werden. Künstler, die sich daran beteiligen möchten, können sich schon jetzt dafür bewerben.
TEXT /// CHRISTINE WILLEN FOTO /// ALESSANDRO DE MATTEIS WEITERE INFOS /// WWW.ETC-COLOGNE.DE OUTFIT /// ANNA KRUS POLYESTERSHOCK VINTAGE STORE POLYESTERSHOCK.COM
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MUSEUM
Art othek Kunst zum Mitnehmen – ein Raum für junge Kunst der Stadt Köln
bücherei Köln. Tümmers holte seine Inspiration aus Vorreitern in England und Schweden und schuf in Köln eine der ersten von bereits über 130 deutschen Artotheken. „Kunst ist für alle da, wie die Straßen es sind“, war einst eine Proklamation des französischen Op-Art Künstlers Victor Vasareley aus den 70er Jahren. „Also muss man auf den Straßen damit anfangen und möglichst noch in den Schlafzimmern nicht damit aufhören.“
In Zusammenarbeit mit dem Kölnischen Kunstverein und dem Museum Ludwig ließ Tümmers in direkter Nachbarschaft zum RömischGermanischem Museum, dem Historischen Rathaus und dem Kölner Dom die artothek entstehen. Seit 1973 bietet sie die Möglichkeit, zeitgenössische Kunst für einen Zeitraum von mehreren Wochen zu Vasareley wollte Kunst in den menschlichen Alltag integrieren und entleihen und in der eigenen Umgebung auf sich wirken zu lassen. die Menschen damit umgänglicher und freundlicher machen. Auch Bedingung dafür ist nur ein Ausleihausweis und eine einmalige AusHorst-Johannes Tümmers, Kunsthistoriker und zu seiner Zeit Direk- leihgebühr in Höhe von sechs Euro pro Kunstwerk für zehn Wochen. tor der Stadtbücherei Köln, verfolgte eine ähnliche Intention. Ihm ge- Eine Datenbank informiert über den Bestand ausleihbarer Werke. fiel die Idee einer Demokratisierung der Kunst. Anstatt die Kunst ei- „Wir möchten den Menschen die Möglichkeit zur Begegnung mit ner kleinen Gruppe vorzubehalten, wünschte er sich, sie in den Alltag der Kunst bieten, aber wir sind nicht kommerziell“, sagt Christiane der Menschen zu integrieren. Gleich einer Bücherei, wollte Tümmers Dinges, künstlerische Leitung. Ein Ankauf von Kunst ist daher nicht ein breiteres Publikum erreichen und eine Institution schaffen, die möglich. zeitgenössische Kunst ausleiht, wie Bücher – eine artothek der Stadt-
MUSEUM
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TEXT /// ANNE-SARAH FIEBIG FOTOS /// ROMANA SCHILLACK WEITERE INFOS /// WWW.MUSEENKOELN.DE/ARTOTHEK
Zudem bietet die Kölner artothek unter dem Motto „Raum für junge Kunst“ Platz für Ausstellungen regionaler und internationaler Künstler. Die vielseitigen Präsentationen reichen von Malerei über Bildhau- Im Jahr 1993 entstand aus einer Schließungsdebatte heraus, nach erei und Fotografie zu Videoinstallationen oder Liveperformance. Die heftigen Protesten von Kölner Kunstliebhabern, der Förderverein ausgestellte Kunst wird von einer wechselnden Fachjury ausgewählt. „Freunde der artothek Köln“ e.V. Überzeugende ÖffentlichkeitsarZiel ist es, junge Kunstschaffende zu fördern und sie gemeinsam mit beit und ein gelungenes Ausstellungskonzept sorgen dafür, dass arrivierten Künstlern zu präsentieren und zu vermitteln. Aktive sie auch 40 Jahre nach ihrer Gründung einen festen Platz in der Partnerschaften und die Präsenz der artothek in der regionalen Pres- Kölner Kunstszene besetzt. Von Dienstag bis Samstag sind die se und im Interesse vielseitiger Kunstvermittler und Galeristen lockt kontinuierlich wechselnden Ausstellungen ab 13.00 Uhr im denktalentierte Kreative an, die sich auf der Suche nach Beachtung für ihre malgeschützten Haus Saaleck zu bewundern. Die Präsentationen Kunst befinden. Als Orientierungshilfe bietet die artothek außerdem sind auch wegen der ausgefallenen Architektur der artothek expeInformationen über die Kölner Kunstszene und vermittelt Adressen rimentell. Die ausstellenden Künstler haben freie Hand in der Darbietung ihrer Werke. Es sind Aktualität, Vielseitigkeit und Experivon anderen Kunsträumen. mentierfreude, die die Ausstellungen kennzeichnen. Die artothek weckt Neugierde, spricht auch ein breites Publikum an. Genau das hatte sich 1973 Horst-Johannes Tümmers gewünscht.
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ARTISHOCKE
SEX
HISTORY OF Wandel durch Lust – ein Lustwandel
KOMM SCHON, NUR DER EINE, DU WILLST ES DOCH AUCH! BUCH GENESIS (KAPITEL 2 BIS 5)
ARTISHOCKE SEXEVOLUTION IM SADISMUSKLEID: BEREITS IM 18. JAHRHUNDERT NICHT NEU – DER NAMENSGEBER FÜR SEXUELLE GRENZGÄNGE UND -ÜBERSCHREITUNGEN.
History of sex Sex und Liebe werden oft zusammen genannt, wobei sowohl das eine ohne das andere als auch das andere ohne das eine vorstellbar und möglich ist. Oder auch nichts von beidem. In unserem kleinen Abriss der Sexgeschichte jedenfalls geht es nur um das Eine! So weit, so klar. Es treffen die nackte Ur-Versuchung, die historisch ausgeartete Sadisterei und die Sex-Revolution nebst ihrer kehrseitigen Konsequenzen aufeinander. Es folgen die mittlerweile alltäglich anzutreffenden Perversionen und letztlich eine Zukunftsversion des körperlosen Sex. Lasst euch shocken, schaut genau hin und spürt der bildimmanenten Liebe zu Körpern oder der körperlichen Liebe nach.
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UNTER DEN RÖMERN BEDEUTETE SIE NOCH HAUSHERRIN, JETZT IST SIE HERRSCHERIN ÜBER SCHMERZ UND MITTEN UNTER UNS.
MAKE LOVE, NOT WAR! DIE REVOLUTION. DOCH ZEHN JAHRE SPÄTER TRIFFT MAN SICH BEIM VENOROLOGEN.
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DAS NÄCHSTE LEVEL? MAN NEHME STROM, EIN WENIG TECHNISCHE AUSSTAFFIERUNG UND PIXEL IN ERREGENDEN FORMEN – ET VOILÁ.
FOTOS /// ALESSANDRO DE MATTEIS ALESSANDRODEMATTEIS.COM MAKE UP /// KATHRIN SANE SARAH HARTGENS MODELS /// RAHEL SCHABER, SLIM WEIDENFELD, INGO VAN GULIJK, CHRISTIANE STRICKER, E. BRAUN OUTFIT /// ANNA KRUS POLYESTERSHOCK VINTAGE STORE POLYESTERSHOCK.COM ARTISHOCKE E.V. ANNA-SOPHIA LUMPE, ANNA STROH, ROSA RICHARTZ, MIRIAM BARZYNSKI, ANNE-SARAH FIEBIG, BRITTA WANDERER, STEPHANIE PERSONNAZ, ANDI WAHLE, JONAS MATTUSCH, ZENA BALA, CARINA MATIJASIC, ARON BÖHM, TOBIAS OVERKAMP
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MUSIK
Vier Menschen, die unterschiedlicher kaum sein können – aber eins ist ihnen gemein: echter spaß an echter Musik
WE USED TO BE TOURISTS
„Sind wir eine Castingband?“ „Nein!“ „Naja.“ Erfahrungen in fremden Ländern, mehr als „Irgendwie schon.“ Aber doch nicht richtig. das Weggehen und Wiederkommen. „Jeder, Auch wenn Band-Gründer Benedikt Schmitz der mal umgezogen ist, kennt schon diese seine drei Kollegen von We used to be Tou- Gefühle“, sagt er. rists übers Internet fand, ist das Quartett doch viel mehr. Nicht umsonst wird Bene- Und daher ist auch die Bezeichnung „Folk“ dikts „Stellung“ innerhalb der Band direkt so wichtig für den Sound. Ein Stückchen vom Anführer zum Maskottchen degradiert. Heimat wird in fast jedem Song transportiert, Nein. Isabell, Benjamin und Konstantin füh- getragen von Gefühlen und Erinnerungen. len sich nicht als Castingband und Benedikt Musikalisch gipfelt dieser Stil in den Stimist auch kein Maskottchen. We used to be men von Isabell, Benedikt und Konstantin, Tourists ist eine Zusammensetzung von vier die nach dem Schlagzeug-Takt Benjamins geguten Musikern und guten Stimmen, die waltige Harmonien aufbauen. Der Dreiklang Spaß an ihrer gemeinsamen Sache haben. der E-Pianistin und der beiden Jungs an den Das fällt spätestens auf, wenn sie in ihre Mu- Gitarren kann die Hörer regelrecht durchsik versinken. Denn das macht den Sound der bohren, dringt tief in die Seele ein – und beGruppe aus: Ihr Indie-Folk kann alles – emo- rührt so die tiefsten Gedanken. tional bewegen, die Füße mitwippen lassen, die Hüfte in Bewegung bringen und vor allem Die vier Musiker fanden sich zwar erst vor mitnehmen. Das Kölner Gespann entführt etwa einem Jahr musikalisch zusammen. auf Reisen; auf Reisen, die so ziemlich jeder Parallel dazu hat sich aber auch das Menschnachempfinden kann. Dabei steht immer der liche verfestigt. Während des Interviews Weg im Mittelpunkt. „Wir leben in mobilen im Ehrenfelder 20-Quadratmeter StandardZeiten. Jeder kennt das Gefühl unterwegs zu proberaum wird viel gelacht. Humor ist ein sein, auf der Suche irgendwo anzukommen. wichtiges Bindeglied der Truppe, so wirkt Und sollten wir dann unser Ziel erreichen, es. Schließlich kann man darüber auch so sind wir doch schnell wieder auf der Suche manches spannungsgeladene Thema aufweiweiterzuziehen.“ Benedikt verknüpft in den chen, wenn es gilt für den nächsten Auftritt selbstgeschriebenen Songs mehr als nur die Verbesserungen zu üben. Und weitere Auftritte wird es für das Quartett geben, soviel ist sicher. Denn nach ihrer CrowdfundingKampagne über Startnext ist auch der erste Tonträger finanziert: „Make It Home Alive“ gibt es nun auf Schallplatte und CD. Und zu hören auf unzähligen kleinen Giggs, mal rein akustisch, mal etwas größer. Denn gute Musik, das können We used to be Tourists.
MUSIK
TEXT /// ROBERT FILGNER FOTOS /// STEPHANIE LIESKE WEITERE INFOS /// WWW.WE-USED-TO-BE-TOURISTS.COM FACEBOOK.COM/WEUSEDTOBETOURISTS
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Musik in KÖLN
Hier erhalten Musiker eine Plattform, um sich zu präsentieren. Die Talente unterstützen ihren Auftritt und helfen, diese Seite zu produzieren. Interesse? E-Mail an: redaktion@null22eins-magazin.de
FOLK-POP STARTET DURCH
VICTORY VALLEY
Jetzt starten sie richtig durch: Florian, Martin, Christian und Marc haben am 29. November ihr Debütalbum herausgebracht – „Suitcase“. Der Koffer von „Victory Valley“ umfasst ihr gesamtes Repertoire: von dynamischen Popsongs über country-eske Akustikballaden, bis hin zu Hymnen mit Mitsingfaktor. Der insgesamt moderne Folk-Pop, der die Köln-Bonner Gruppe am besten beschreibt, geht den Hörern unter die Haut – berührt bis tief in die Seele und findet trotzdem genügend Raum für Experiment: So verwundert es nicht, dass sich unter den von Gitarren getragenen Sound auch mal ein Banjo, eine Mundharmonika, Trompete und Streicher mischen – und Folk ganz neu interpretiert wird. Das Quartett war fleißig und hat für die ersten Singles mit eigenen Videos und zahlreichen Auftritten den Grundstein gelegt, um 2014 weiter durchzustarten.
WEITERE INFOS /// WWW.VICTORYVALLEY.DE
VIELFALT ZIELT GENAU
ZIELGRUPPE
„Eine Gruppe mit dem Ziel, so vielfältig wie möglich zu sein, um eine Zielgruppe für gezielte Gruppen zu sein.“ Auch mal ein Ansatz: die Kölner Band „Zielgruppe“ sucht gar nicht erst die eine Zielgruppe. Ihr Ska, Indierock, Deutschpop oder wie auch immer ist eher das Ergebnis von Jamsessions als fest Eingeprobtes. Im Bogen 2 erfinden sich Alexandra (Gesang), Markus (Gitarre), Jo (Drums) und Michael (Bass) bei ihren Proben jedes Mal neu. Seit Sommer 2012 beleben die vier ganz Köln. Im Jahr 2013 glänzten sie unter anderem im MTC, bei der NippesNacht und im Odonien. Ein Album haben „Zielgruppe“ noch nicht, wohl aber 12 fertige Stücke, die im kommenden Jahr zu einer CD zusammengefasst werden sollen. Und spätestens dann wird sich zeigen, ob Zielgruppe ihre gezielten Gruppen weiter ausbauen können.
WEITERE INFOS /// WWW.FACEBOOK.COM/ZIELGRUPPECGN
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RETROSALON VINTAGE MOBILIAR & LICHT SKA PACKT JEDEN
MASONS ARMS
Drei Bläser, Gitarre, Bass, Schlagzeug, dazu noch eine schmutzige Orgel und Percussions – und schon steht der Ska-Sound der Kölner Band „Masons Arms“. Von Reggae und 60er-Jahre-Soul beeinflusst, spielen sich die acht Jungs quer durch Deutschland und begeistern dabei ein breites Publikum. Und das immer mit deutschen Texten, „was es ab und zu etwas kitschiger macht“, sagt Frontmann Hanno Schattow. Die Kombo rockt und berührt zugleich – und packt damit jeden, der sich dieser Mischung aus Ausrasten und Genießen hingibt. Bereits seit 1995 wächst die Band, sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch musikalisch. Im Herbst 2012 veröffentlichten sie mit „Gepackt“ ihr aktuelles Album. Aus dem Deutzer Proberaum-Studio wird man noch viel mehr erwarten können.
GIRLITZWEG 28, 50829 KÖLN WWW.RETROSALON.DE WWW.FACEBOOK.COM/ DER.RETROSALON ÖFFNUNGSZEITEN MITTWOCH 14:00 – 19:00 UHR FREITAG 14:00 – 19:00 UHR SAMSTAG 11:00 – 17:00 UHR
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PORTRÄT
IM GLASKASTEN TEXT /// MARIE-LUISE HOFSTETTER FOTOS /// STEPHANIE LIESKE WEITERE INFOS /// WWW.GEIGENBAUKOELN.DE
Annegret und Benjamin sind Geigenbauer und gehören somit einer Berufsgruppe an, die bei vielen schon in Vergessenheit geraten ist. Ein Bericht über zwei Menschen, die ihren Platz gefunden haben.
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Schon aus der Ferne ist zu sehen, dass hier konzentriert gearbeitet wird. Ein junger Mann feilt an einem riesigen Holzkorpus, am Schreibtisch sitzt, scheinbar versunken in einer anderen Welt, eine blonde Frau und blickt nachdenklich auf das empfindliche Wunderwerk in ihren Händen. „Hey, komm rein! Wir sind gleich fertig...“, schallt es strahlend von der Mitte des Raumes. Ein Tisch steht bereit, dahinter vier leicht rostige Briefkästen, rechts, ein wundervolles altes Küchenbuffet. Hier könnte man glatt einziehen, so schön ist es hier. Allerdings wird hier nicht gewohnt, sondern eindeutig gearbeitet. Wenige Minuten später wird Schwarztee aus bunten Tassen getrunken. Annegret drapiert noch eben Dom-förmige Butterplätzchen auf einem Teller, setzt sich und blickt erwartungsvoll. „Unsere Nachbarn backen immer für uns mit und bringen was vorbei. Echt schön und echt lecker!“ Annegret Mayer-Lindenberg und Benjamin Grießhaber, beide 1978 geboren (in dem Jahr, in dem laut Benjamin die beste Kraft-
werk-Platte produziert wurde), stammen aus begeisterten Hobbymusiker-Familien und wussten schon recht bald, dass sie eine Geigenbau-Karriere einschlagen wollten. Während ihrer dreieinhalbjährigen Ausbildung in Mittenwald trafen sie erstmals aufeinander. „Die Ausbildung dort war sehr... bayrisch“, sagt Benjamin lachend. „Ja, sehr, ähm, intensiv“, ergänzt Annegret schmunzelnd. Sie hätten sich auf Anhieb verstanden und, wenn auch mehr im Spaß, bereits damals Pläne für eine gemeinsame Selbstständigkeit geschmiedet. Die Zukunft schien zu diesem Zeitpunkt noch unendlich weit weg. Nach ihrem Abschluss 2002 verschlug es die beiden an die unterschiedlichsten Orte. Während Benjamin an Streichinstrumenten in Passau und Tel Aviv feilte, bespannte Annegret Bratschen und Bässe in Amsterdam
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PORTRÄT
und Utrecht. Sie verloren sich in dieser Zeit „In der Anfangszeit haben wir versuchsweise nie aus den Augen und worüber vor Jahren einen breiten Zeitungsstreifen an die Scheibe noch gescherzt wurde, nimmt nach und nach geklebt, in der Hoffnung, uns dadurch nicht Gestalt an: 2011 wagen die beiden den Schritt so beobachtet zu fühlen“, erzählt Annegret. in die Selbstständigkeit und beschließen, Nach etwa zehn Minuten war der Streinachdem sie ihre Städteliste peu à peu dezi- fen wieder runter und das eigene Schicksal miert hatten, dass für sie eigentlich nur Köln akzeptiert. „Eigentlich“, witzelt Benjamin, als neue Heimat in Frage käme. Nach drei „sind die Fenster für uns Marketing-Genies Monaten Suche finden die Freunde schließ- super!“ Und so ganz unrecht hat er damit lich ein mehr oder weniger geeignetes Laden- nicht. Schließlich kann man Geigenbauern lokal nahe der Pantaleonskirche. Weniger, da normalerweise nicht alle Tage bei der Arbeit die ehemalige Schnellwäscherei reine Glas- zusehen. Hier schon. fronten hat, und man so permanent den Augen vorbeigehender Passanten ausgeliefert ist. Im Schnitt arbeitet Benjamin zwischen acht Mehr, weil die Leute in diesem Viertel der- und zehn Stunden täglich in der Werkstatt, maßen charmant und hilfsbereit sind, dass Samstag inklusive. Annegret, die neben ihrer Tätigkeit als Geigenbauerin noch als man hier gar nicht mehr weg möchte.
Berufsmusikerin Bratsche im Ensemble Garage spielt, verbringt nicht ganz so viel Zeit im gläsernen Atelier. In einer Geige stecken vom ersten bis zum letzten Schritt etwa 150 bis 200 Arbeitsstunden. Das entspricht, würde man kontinuierlich nur an diesem einen Projekt arbeiten, drei bis vier vollen Arbeitswochen. Der Bau eines Cellos dauert doppelt so lange. Ein Bass dreimal so lange. Leider, so erklären die beiden, werden in letzter Zeit relativ wenige Neubauten in Auftrag gegeben. Stattdessen beschäftigen sie sich vorwiegend mit der Restauration privater Streichinstrumente. Eine kleine zusätzliche Nische haben sie ebenfalls für sich entdeckt: Um auch jungen Talenten die Möglichkeit zu bieten, auf hochwertigen handgearbeiteten Instrumenten zu spielen, fertigen sie Kontrabässe und Co. mit kleineren Maßen an und vermieten diese an begeisterte Jungmusiker. Dennoch, aufgrund der heutzutage oft schwierigen Auftragslage entscheiden sich viele ihrer Kollegen, vom Geigenbau zum
PORTRÄT
reinen -handel zu wechseln. Sicherlich sei das lukrativer, aber es käme nie für sie in Betracht. Annegret und Benjamin tun das, was sie tun mit Leidenschaft, und im bloßen Handel bliebe für diese kein Raum. Ihre Liebe zu den Instrumenten ist in jedem Satz, in jedem Griff ans Holz zu spüren und zu sehen. In unregelmäßigen Abständen veranstalten sie kleine Werkstattkonzerte. Gespielt wird dann alles – mit 35 hört man schließlich nicht nur Klassik. Für das nächste Konzert planen sie, Becks neuestes alternative Rock Album „Song Reader“ zum Besten zu geben, das nicht als entkörperlichte MP3-Sammlung, sondern ausschließlich als Notenbuch erschienen ist. Popularmusik für den Hausgebrauch quasi.
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Annegret und Benjamin: zwei wundervolle, talentierte Menschen. Und ja, die Kekse waren wirklich hervorragend.
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KÖLN SZENE
WEGWERFGES Marlies Dumont liebt alte Wanduhren. Sie schmücken ihr Zuhause. Nur mit einer, die sie vor Jahren bei einer Internetauktion ersteigert hat, hat sie ein Problem: sie funktioniert nicht mehr. Doch wohin damit? Wegwerfen? Auf keinen Fall, dafür liebt sie das Schmuckstück zu sehr. Als Anlaufstelle für eine Reparatur wählt sie das Repair-Café im Bürgerzentrum Engelshof. Hier trifft sie auf Leute, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, gemeinsam alte oder kaputte Dinge zu reparieren. Ehrenamtlich, gegen eine kleine Spende für Ersatzteile und Verbrauchsmaterial. Die Idee des Repair-Cafés stammt aus den Niederlanden. Im Fernsehen hat Dagmar Langel darüber einen Bericht gesehen. „Das hat mir gefallen und mein ,Bauchgefühl‘ sagte mir, das wäre etwas für mich und für Porz“, erzählt sie. Nach einer Weile habe sie sich dann an die niederländische Repair-Café-Zentrale gewendet und um Infomaterial gebeten. Langel, handwerklich nach eigener Aussage unbegabt, aber gut im Organisieren, suchte sich Mitstreiter.
Probleme erkennen und (meistens) lösen Stefan Mc Niff ist einer von ihnen. Er nimmt sich dem Problem von Marlies Dumont an. Das Schlagwerk der Uhr ist in Ordnung. Die Fehlerquelle liegt woanders, weiß der gelernte Handwerker. Beim Aufziehen der Uhr ist der Federspeicher überzogen worden und die Feder auf den Aufziehzapfen gesprungen. Im Grunde kein großes Ding. Doch Mc Niff wirkt nachdenklich.
Viele Geräte seien heutzutage einfach nicht mehr auf lange Haltbarkeit ausgelegt, sagt er. Das Problem: sie lassen sich nicht einfach reparieren. Dafür hätten sich etliche Hersteller raffinierte Dinge ausgedacht. Die einen verwenden Mikroschrauben, die sich nur mit einem bestimmten Werkzeug lösen lassen, andere wiederum verzichten gar komplett darauf. So wie die Hersteller der Uhr. „Der hat den Federspeicher durch ein bestimmtes Verfahren komplett gekapselt“, sagt Mc Niff. Das Gehäuse lässt sich nicht öffnen, ohne etwas zu beschädigen, eine Reparatur in dem Falle leider nicht möglich. Mehr Glück hat Marlies Dumont bei ihrer Kaffeemaschine. Aus der ist immer wieder Wasser ausgelaufen. Frank Neuwinger hat den Fehler schnell gefunden. Der Schlauch vom Wassertank war der Übeltäter. Ein neuer muss her. „Frank hat mir gezeigt, was zu tun ist. Wenn ich das Ersatzteil bestellt habe, kann ich es selbst reparieren.“
Das große und ganze Darum geht es nämlich auch bei dem Repair-Café. „Wir wollen nicht nur Ressourcen schonen und Müll vermeiden, sondern auch Wissen vermitteln und teilen“, sagt Dagmar Langel. Heutzutage würden Menschen zum Konsumieren erzogen, sagt sie. „Dementsprechend verhalten sie sich – leider.“ Mit dem Repair-Café will sie dem entgegenwirken – wider die Wegwerfgesellschaft. „Es ist ökologisch und ökonomisch einfach sinnvoll, die Dinge nicht gleich wegzu-
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ELLSCHAFT werfen. Wichtiger ist es, zu versuchen, sie zu erhalten. Ich werfe selbst wenig weg und kaufe vieles aus zweiter Hand.“ Beim RepairCafé gehe es auch um Wertevermittlung. Die Menschen müssen wieder lernen, den Wert der Arbeit zu schätzen, meint Langel. Handwerk habe eine Wertigkeit. Auch das wolle sie zusammen mit ihren Mitstreitern bei den Treffen vermitteln.
preises belegt. Eine breite Öffentlichkeit fand die Verfilmung von Dagmar Langels RepairCafé in Porz schön und unterstützenswert. Gemeinsam repariert wird einmal im Monat von 10 bis 15 Uhr im Bürgerzentrum Engelshof in Ensen-Westhoven. Die nächsten Termine sind Sonntag, 15. Dezember, 19. Januar, 16. Februar. Zeitgleich findet im Bürgerzentrum immer ein Flohmarkt statt.
Ehrenamt mit vielen Werten Zu den Ehrenamtlern gehört auch Gerhard Aretz. Der gelernte Ingenieur für Nachrichtentechnik hat es mit einem Computerbildschirm zu tun. Ein prüfender Blick hier, eine Kontrolle dort. Diagnose: defektes Netzteil. Leicht zu ersetzen und billiger als die Anschaffung eines neuen Gerätes. Als größerer Brocken erweist sich die Nähmaschine von Frauke Sander. Sie hat sich nach 20 Jahren eine neue gegönnt. Doch nach kurzer Zeit habe sie nicht mehr richtig funktioniert. „Der Unterfaden hat keine Spannung.“ Aretz schraubt, das Gerät auf. „Da drinnen sehe ich nichts zum einstellen“, sagt er. Er prüft, fragt Kollegen. Doch das Problem lässt sich nicht in den Griff kriegen. „Wir können keine Reparaturgarantie geben“, betont Dagmar Langel. Aber zumindest habe man es versucht. Das sei immer noch besser, als es direkt wegzuwerfen.
Ausgezeichnetes Café Das Repair-Café hat jüngst den dritten Platz beim Video-Award des Deutschen Bürger-
TE X T /// RENÉ D ENZER ILLUSTR ATION // / KIRSTE WEITER N PIEPE E INFOS NBRING /// W W W .REPAIR -C AFE.N PAGE.DE /
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HANDGEMACHTES
Wach geküsst!
Vergessene Möbel erhalten ein neues Leben
Sarah lebt in einer wirklich kleinen Einzimmerwohnung im Belgischen Viertel. Schon auf den ersten Blick wird klar, dass die Wohnung auch als Möbelauffangstation dient: Überall stehen bunte Möbel herum, die von ihr liebevoll restauriert wurden und hier ein neues Zuhause gefunden haben. Die gebrauchten Möbelschätze sind vom Sperrmüll oder Trödel gerettet worden, nachdem sie schutzlos Regen und Schnee ausgesetzt waren. Andere wurden von ihrem trostlosen Schicksal auf einem verstaubten Dachboden vergessen zu werden „wach geküsst“ und mit einem neuen Leben beschenkt. Man kann sich kaum vorstellen, dass ihr Zimmer auch als Werkstatt dient und hier geschliffen und lackiert wird. Die Hobbyrestauratorin nutzt zwar oft eine richtige Werkstatt, welche ihr von Nils Engelhard, Inhaber von „Der Regalladen“ für ihre Arbeiten zur Verfügung gestellt wird. Aber in den eigenen vier Wänden, begleitet von klassischer Musik, ist es für Sarah häufig netter und kreativer: „Meine Arbeit ist ein Entwicklungsprozess. Oft lackiere ich etwas mehrmals um, bevor es wirklich passt.“
Im Moment ist „Perlito“, wie sie ihre Möbelserie nennt, noch ein Hobby und funktioniert über Mund-zu-Mund-Propaganda. Die ersten Sachen fertigte sie für sich selbst oder Freunde. Um sich etwas Geld dazu zu verdienen, versteigerte sie einige ihrer Möbel übers Internet. Schnell stießen die bunten Stühle und Schränkchen im „Usedlook“ auf großen Zuspruch und begeisterte Abnehmer. Bei ihren Freunden und Bekannten ist Sarahs Leidenschaft inzwischen bekannt und sie bekommt fast täglich Meldungen über herrenlose oder gebrauchte Möbel, die auf ein neues Schicksal warten.
Das große Interesse ist umwerfend Sarah liebt Gestaltung und Dekoration. Zuletzt arbeitete sie in einem Möbelladen, wo sie neben dem Verkauf auch die Ladendekoration übernehmen konnte. Die nächste Perspektive heißt aber „Perlito“. Die aufgeweckte Kölnerin möchte den Schritt wagen, sich mit ihrem kreativen Handwerk selbstständig zu machen. Und dafür baut sie sich bereits jetzt ein Netzwerk auf – über ihren
TEXT /// CHRISTIANE KANTHAK FOTOS /// MADAME ROSSI
HANDGEMACHTES
eigenen Facebook-Auftritt und über die Gruppe „Made by me“, die sie vor einigen Monaten mit ihrer Freundin Jannine Machl auf Facebook gegründet hat. Hier haben sich bisher mehr als 500 Mitglieder zusammengeschlossen und zeigen selbst hergestellte Dinge. Der eigene Lebensunterhalt steht dabei allerdings noch nicht im Fokus.
Publikum öffnen. Im Moment ist alles noch sehr „girlymäßig“ mit Schleifchen und hellen Pastelltönen in „Bonbonfarben“, mit viel rosa und türkis lackiert. Da wird allerdings noch viel mehr, „anderes“ hinzukommen. Auch der finanzielle Aspekt bereitet ihr noch Sorgen. Ein gutes Startkapital würde es einfacher machen, sich ihren Traum vom eigenen Laden zu erfüllen. „Am tollsten wäre Erste echte Geschäftspartner sieht Sarah im ein eigenes Café, in dem ich gleichzeitig die Kinderbereich. Zum Dekorieren hatte sie Möbel ausstellen und verkaufen könnte.“ bereits einige Möbelstücke an verschiedene Nicht nur seinen Kaffee könnte man dort Kinderläden verliehen, die bei den Kunden geniessen, sondern auch gleich den Stuhl auf großes Interesse stießen. „Es gibt nicht kaufen, auf dem man sitzt. „Für andere Menviele Kindermöbel, die wirklich individuell schen eine gemütliche Wohlfühlatmosphäre gestaltet sind.“ Vielleicht eine Marktlücke? schaffen“, lautet ihr Motto. Manche Stücke Das wird die Zukunft zeigen. Sie möchte will sie am liebsten gar nicht mehr abgeben. auch „nur“ den Arbeitsaufwand und das Nachdem sie so viel Herzblut und Sorgfalt verbrauchte Material an die Kunden weiter- in die Herrichtung der Möbel investiert hat, geben. „Die Leute sollen sich meine Möbel und voller Stolz die Möbel ein letztes Mal leisten können. Ein ehrliches Lächeln der mit duftendem Bienenwachs aufpoliert und Kunden ist mir mehr wert, als das Geld.“ Für ein kleines Schleifchen befestigt hat, um ihr einen gefundenen Stuhl hatte sie sonst ja „Baby“ ausgehfertig zu machen, fällt es eben keine Kosten. Ein paar Sorgen bleiben aber: schwer, die Möbel in fremde Hände zu ge„Wenn man mit der Arbeit Geld verdienen ben. muss, wächst natürlich auch der Erfolgsdruck und die Kreativität könnte darunter leiden“, befürchtet sie. Um möglichst viele Menschen WEITERE INFOS /// anzusprechen, will sie sich für ein breites TINYURL.COM/MWC5M8V
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KÖLN SZENE
TEXT /// JONAS MATTUSCH ILLUSTRATION /// LAURA SIMON FOTOS /// ANDI WAHLE, RHEINISCHES BILDARCHIV KÖLN
KÖLN SZENE
Einst das heiSSe Pflaster Ein Spaziergang mit einem Zeitzeugen über den alten Straßenstrich am Hauptbahnhof. Der Eigelstein, ein Veedel im Wandel der Jahrzehnte.
Kopfsteinpflaster, türkische LebensmittelLäden und Restaurants, ein paar Ein-EuroLäden und dazwischen schummerige Kneipen. Der Eigelstein ist auf den ersten Blick eine ganz gewöhnliche Straße. Als eine der ältesten Straßen Kölns, kann der Eigelstein auf eine lange Geschichte mit römischem Ursprung zurück blicken. Ein Kapitel dieser Geschichte, das vielen Kölnern noch im Gedächtnis sein dürfte, spielte sich vor nur wenigen Jahrzehnten ab. Köln war nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die siebziger Jahre eine Hochburg des Verbrechens. Der Ruf als Verbrechens- und Sündenpfuhl war so groß, dass 1967 ein Krimi mit dem Titel „Heißes Pflaster Köln“ deutschlandweit in die Kinos kam. Während sich auf dem Friesenwall illegale Glücksspielclubs aneinander reihten, war der Eigelstein und seine Hier riecht es nach Erotik umgebenden Straßen das Prostitutionsvier- „Hier auf der Straße war es ähnlich, wie in tel Kölns. den Eros-Centern heute. Hier gab es fest installierte Damen, die ihren Geschäften Ich hatte die Möglichkeit mir bei einem nachgingen.“ Die Straße „Im Stavenhof “ Spaziergang durchs Eigelsteinviertel von wirkt auf mich erst mal recht unscheinbar. einem ehemaligen Mitarbeiter der Kölner Schmale Häuser, der Putz eher schmutzig Polizei von dieser Vergangenheit berichten grau, manche mit auffallend großen Fenszu lassen. Der Interviewte war von Anfang tern im Erdgeschoss, deren einstiger Sinn der 1970er Mitarbeiter der Sitte und möchte mir bald klar wird. „Das ist hier mit die hier unerkannt bleiben. älteste Bordellstraße, die es gab. Hier haben die Damen in den Fenstern und auf der Straße gestanden und sich angeboten. Hier war zur damaligen Zeit richtig was los und – riechst du das?“ Ich schnüffle ein wenig Herbstluft. „Nein.“ „Doch, hier hängt der Geruch von Erotik in der Straße“, sagt der frühere Sittenwächter.
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KÖLN SZENE
Bei vielen Häusern bleiben wir kurz stehen. In Hausnummer 22 befand sich das Bordell für den gehobeneren Kundenkreis. In anderen Häusern waren Kneipen, die eher Dirnen und ihren Freiern oder den Stenzen (Kölsch für Lude, also Zuhälter) vorbehalten waren. Die beschriebene Szenerie scheint weit weg, während wir vor den heutigen Mietshäusern stehen. Wir biegen vom Stavenhof auf den Gereonswall ab und setzen somit eine einst lang etablierte Route fort. „Das ist hier der Rundgang gewesen, wo die Mädchen gelaufen sind. Das ist jetzt der Gereonswall, da ging es ganz durch bis zum Ende. Die Weidengasse ist die nächste Querstraße, da ging es dann links hoch, wieder zum Eigelstein. Und rechts runter kommt dann auch gleich die Eintrachtstraße. Es ist hier ja auch immer mehr geworden und da waren dann auch viele jüngere Damen. Aber keine Minderjährigen wie heute, die hätten von den Stenzen den Po versohlt bekommen und wären weggeschickt worden.“
Veedels-Knast Parallel zur Eintrachstraße am Gereonswall erstreckt sich der Klingelpützpark, wo bis 1969 das Kölner Gefängnis stand. Das alte preußische Gebäude war in einem schlechten Zustand. Heruntergekommene Zellen, Überbelegung und veraltete Sicherheitsmaßnahmen boten genug Anlass und Gelegenheit zum Ausbruch – und Ausbrüche waren nicht selten. Zwischen 1960 und 1969 entkamen 27 Häftlinge. Nach gelungener Flucht oder regulärer Entlassung war der Weg zurück in die Unterweltkaschemmen im Eigelsteinveedel oder am Friesenwall nicht weit.
Umbruch Die Stadt bewilligte Anfang der 70er Jahre eine Baugenehmigung für das heute als Pascha bekannte Eros-Center in Neuehrenfeld. Die Innenstadt wurde 1972 zum Sperrgebiet erklärt. Diese Regelungen leiteten den Wandel des Veedels ein. An der dem Hauptbahnhof zugewandten Seite findet in einer Hand voll Kneipen auch heute noch Prostitution statt. Straßenprostitution wie in den 60ern war durch das Sperrgesetz
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fast verschwunden. Heute sind die Zuhälter Angehörige überwiegend osteuropäischer, durchorganisierter Gruppen. Die urkölschen Stenze gibt es nicht mehr. Anfang der 2010er Jahre beschwerten sich wieder vermehrt Anwohner über offene Straßenprostitution und zunehmenden Drogenhandel auf der Straße.
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WOHNFÜHL D SIGN DIE UPCYCLING ADRESSE
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„Die Brutalität ist im Rotlichtmilieu viel schlimmer geworden als es damals war. Heute ist das ganze primitiver und abgezockter. Leute wie Schäfers Nas, Dummse Thünn oder der Ricky waren bekannter als der Oberbürgermeister.“ Viele Anwohner hatten sich mit den Gegebenheiten arrangiert. Man tratschte mit den Prostituierten oder trank sogar gemeinsam einen Kaffee. Natürlich darf man die Stenze auch nicht glorifizieren. Sie trugen ihre Konflikte auch gewaltsam aus, hatten aber ihren ganz eigenen „Ehrenkodex“. Vergangene Zeiten. Inwieweit sich das Veedel noch verändern wird, ist schwierig abzusehen. Seine zentrale Lage macht den Eigelstein zum potentiell begehrten Wohnort und vielleicht werden die letzten „Schmuddelkneipen“ in wenigen Jahren verdrängt worden sein. Nicht wenige alteingesessene Anwohner des Eigelsteins blicken daher schon heute den alten Zeiten mit Wehmut hinterher – und dem Image, anders zu sein.
WEITERE INFOS /// WOHNFÜHLDESIGN BUCHHEIMER STR. 1A 51063 KÖLN WWW.WOHNFUEHLDESIGN.COM SAMSTAG 14:00–18:30 UHR IN DER ADVENTSZEIT FREITAG 15:00–18:30 UHR
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WISSENSCHAFT
D i >> €
w a r €
l i e b €
Liebe ist nicht ewig, im Gegenteil. Sie ist zwar ein starkes und universelles Gefühl. doch der Umgang, die Interpretation von Liebe wird gesteuert von Konzepten innerhalb unserer Kultur. Heute konkurrieren in unserer Gesellschaft zwei gegensätzliche und doch gleichermaßen dominante Konzepte für dieses Gefühl miteinander: Die romantische und die sachliche Liebe. Doch was bedeuten diese beiden Konzepte? Und was bedeutet ihr Wettstreit in der Gesellschaft für uns als Individuen?
Liebe als kulturelles Produkt Wenn Menschen an Liebe denken, denken sie an eine ewige Kraft. Sie denken, sie überall zu finden, wo Menschen existieren. Seit ewigen Zeiten, über Kulturen hinweg, an jedem Ort, zu jeder Zeit, allgegenwärtig. Dabei zeigen Geschichte und Soziologie: Die Art und Weise wie wir über Liebe nachdenken, selbst wie wir sie empfinden, ist zuallererst von unserer Kultur und unserer Geschichte geprägt. Der Soziologie Niklas Luhmann schreibt schon 1982 in seinem Werk „Liebe als Passion“, dass Liebe keineswegs ein ewiges, menschliches Gefühl sei. „Setzt nicht die Liebe auf den ersten Blick voraus,“ fragte er, „dass man vorher schon verliebt war?“ Unser Wissen darüber, was Liebe ist und was nicht, entstehe nicht aus dem Gefühl. Es ist nicht das Schwitzen unserer Hände, das unablässige Nachdenken über die andere Person, nicht das Kribbeln im Bauch, das uns sagt, was Liebe ist. Es ist ein kultureller Code, eine gesellschaftliche Kommunikation, geführt über Bücher, Filme, Werbung und unser Umfeld. Sie ermöglicht es uns, dieses Gefühl zu interpretieren: es als Liebe zu begreifen, Liebe zu schaffen und untereinander zu kommunizieren. Dabei haben sich in den letzten 200 Jahren zwei besonders dominante Liebeskonzepte in der westlichen Kultur entwickelt: Die romantische und die sachliche Liebe.
Das Ideal der romantischen Liebe Die Wiege der romantischen Liebe liegt im 18. Jahrhundert. Sie entsteht in der Literatur, wird geprägt von Schriftstellern wie Friedrich Schlegel, Novalis oder Ludwig van Tieck. Das Ideal dieser Strömung bricht im Grunde mit allen Konventionen ihrer Zeit: Statt eine Partnerschaft nach ökonomischem oder gesellschaftlichem Nutzen auszurichten, statt Zwangsheirat oder Vernunftehe, wird das neue Ideal der Liebe zur Grundlage für die Partnerschaft. Aber die Romantiker wenden sich auch gegen eine „Sinnlichkeit ohne Liebe“. „Wenn man sich so liebt wie wir,“ schreibt Schlegel in seinem Roman Lucinde „kehrt die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit zurück. Die Wollust wird in der einsamen Umarmung der Liebenden wieder, was sie im großen Ganzen ist – das heiligste Wunder der Natur“. Für die Romantiker ist Liebe eins mit Treue, Eifersucht überflüssig da jeder für sich einmalig, prinzipiell unersetzbar ist. Sie richtet
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Wenn man sich so liebt wie wir, kehrt die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit zurück. Die Wollust wird in der einsamen Umarmung der Liebenden wieder, was sie im großen Ganzen ist – das heiligste Wunder der Natur. «
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TEXT /// GIACOMO MAIHOFER ILLUSTRATIONEN /// ZENA BALA
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WISSENSCHAFT ihre Sicht nicht auf einzelne Eigenschaften des Partners, soll keine bloße Ergänzung zum Leben sein, sondern die Liebenden wie das Leben als Ganzes umschließen. Von Schönheit und Zeit unberührt wird der andere in seinem Wesen, in seinen Makeln und Fehlern erfasst und verstanden. „Indem ein Gegenüber, nämlich der Liebespartner, den eigenen Blick auf die Welt, die eigenen biografischen und aktuellen Fragen versteht und nachvollzieht, wird man zu einem ganzen Menschen in einer Umwelt, von der man sich ansonsten als entfremdet erfährt,“ schreibt die Literaturwissenschaflterin Reinhardt-Becker. Dieses Verstehen werde zur zentralen Idee des romantischen Liebesideals.
Das Ideal der sachlichen Liebe Anfang des 20. Jahrhunderts entsteht in der Literatur der Weimarer Republik ein Gegenmodell zur romantischen Liebe: die sachliche Liebe. Liebe wird nicht länger als exklusiv wahrgenommen. Sie erfährt eine Abkühlung. Sie bildet kein herausgehobenes Ereignis mehr, sondern wird Teil des Alltags. Sie wird erstrebt, „um das schwere Leben unserer Zeit gemeinsam zu bewältigen,“ schreibt der Schriftsteller Stefan Zweig, „um gemeinsam zu genießen, in Sport und Spiel und geistigem Wettstreit.“ Sie ist weder exklusiv, noch von unbegrenzter Dauer. „Man kann sehr oft lieben,“ schreibt seine Kollegin Gabrielle Tergit zur selben Zeit. „Man kann sogar mehrere nebeneinander lieb haben auf verschiedene Weise. Das sind alles nur Dinge, die wir uns schwer eingestehen.“ Dabei wird die Erfahrung gemacht, dass die Partner sich trotz ihrer Liebe oft fremd bleiben. Die zentrale Idee der sachlichen Liebe ist somit auch nicht das Verstehen, sondern das Wohlbefinden. Eine Beziehung wird solange aufrecht erhalten wie man sich glücklich und wohl in ihr fühlt. Sie wird beendet wenn dieses Wohlbefinden ausgeschöpft ist.
Partnerschaft in der Moderne Betrachtet man die heutige Zeit, so lässt sich ein gleichzeitiges Nebeneinander von sachlicher und romantischer Liebe feststellen. Obwohl die meisten Paare sich eine romantische Liebe wünschen, für eine Beziehung auch voraussetzen, kommt es zu einer Verschiebung zugunsten der sachlichen Liebe in der Beziehungspraxis. Der Partner wird nicht mehr als Ganzes betrachtet, sondern differenziert und kritisch nach einzelnen Eigenschaften beurteilt. In einem reflexiven Prozess untersuchen Mann und Frau, ob die Person, mit der sie zusammen sind, wirklich die beste Wahl darstellt – die das größte Glück und die höchste Intensität verspricht und halten sie für die Zeit, die es währt. Eine Untersuchung des Soziologen Gunther Schmidt legt dabei nahe, dass die Beziehungen der heutigen Generation infolge dessen immer serieller werden. Es käme zu häufigeren Trennungserfahrungen als noch vor ein paar
Jahrzehnten. Zeiten als Single nähmen zu. Beziehungen die früher gehalten hätten, würden aufgegeben. Das frühe Erwachsenenalter würde als Erprobungsphase genutzt, um in einer Reihe von Beziehungen den oder die Richtige, den „besten“ Partner zu finden.
der Konsum der Romantik Die Vorstellung der romantischen Liebe verschwindet damit aber nicht aus dem kulturellen Code. Die Soziologin Eva Illouz zeigt 1998 in ihrer Studie „Der Konsum der Romantik“ wie sich die Romantik in die kapitalistische Kultur integriert. Vor allem in der Werbung und im Film würden romantische Motive aufgegriffen und verarbeitet. Illouz spricht dabei von einer verborgenen Form des romantischen Konsums. Aktivitäten würden uns durch die Werbung und Filme als „natürlich“ romantisch suggeriert. Bilder von Paaren die in einem Auto an der Küste entlang fahren nennt sie als Beispiel, oder solche in denen Paare am Strand sitzen, Händchen halten, sich küssen. Romantische Bilder. Aber warum ist ein Gang ins Theater romantischer, als der Besuch eines Basketballspiels, warum ein Glas Rotwein, romantischer als die Flasche Bier, ein französisches Bistro, romantischer als die Würstchenbude um die Ecke? Kerzenlicht, das Feuer eines Kamins, das ist Romantik. Sie ergibt sich aus einer spezifische Aura. Der Konsum, der dabei stattfindet, werde mystifiziert, ohne dass seine ökonomische Natur offen gelegt wird. Heute habe sich ein ganzer Industriezweig entwickelt der romantische Aktivitäten anbiete und Gegenstände von romantischem Wert ver-
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Der moderne Mensch hat sich selbst in eine Ware verwandelt, Sein Leben hat nur noch das Ziel, weiterzukommen, nur noch den Grundsatz, ein gutes Geschäft zu machen, nur die Befriedigung des Konsumierens.«
WISSENSCHAFT
kaufe. Ob Candle-Light-Dinner, Kreuzfahrten, TeddyBär-Herzchen oder Schmuck. Die Idee der Romantik wird vermarktbar, ein Mittel um ein authentisches Gefühl der Verbundenheit künstlich zu erzeugen. Ob diese Ware Liebe jedoch noch etwas mit wahrer Liebe zu tun hat, darf bezweifelt werden.
Die sachliche Romantik im Kapitalismus Wir befinden uns heute in einer Ambivalenz zwischen sachlicher und romantischer Liebe. Auf der einen Seite steht unser Wunsch nach Romantik, nach Vereinigung, auf der anderen die pragmatische Vorstellung von Partnerschaft: der Versuch den „besten Partner“ zu finden, mit dem das „größte Wohlbefinden“ möglich ist. Die Folge ist eine Ökonomisierung des romantischen Gefühls, das von einem inneren Zustand der Seele in einen äußeren Umstand verlagert wird, in die sichere Sphäre eines gemeinsamen Konsums. Sollte die romantische Liebe während der Epoche der Romantik noch Zuflucht vor der Schnelllebigkeit der Moderne bieten, ist sie heute ein Teil von ihr. Der Soziologe Zygmunt Bauman spricht in dieser Hinsicht von einer Konsumierung menschlicher Partnerschaften: „Die ganze Welt, einschließlich anderer Menschen wird zu einem
Container voller Wegwerfobjekte, zum einmaligen Gebrauch bestimmt.“ Es gehe nur noch darum, Befriedigung von einem gebrauchsfertigen Produkt zu erlangen. Auch der Psychologe Erich Fromm prophezeite 1958 in seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ einen Verfall der Liebe. Er prognostizierte einen Menschen dessen Liebe sich durch den Markt, nach den Gesetzen des Marktes ausrichte, eine Welt in der Begegnungen der Liebe zu Beziehungen des Tausches würden. Man nehme und gebe was man brauche, aber man liebe nicht. Man fühle sich wohl, aber man verstehe sich nicht. Man konsumiere, aber man entfalte sich nicht. Man bleibe sich gegenseitig und selbst fremd – zusammen aber alleine. Statt Einheit bliebe Einsamkeit in der Zweisamkeit. „Der moderne Mensch hat sich selbst in eine Ware verwandelt,“ schrieb Fromm. „Sein Leben hat nur noch das Ziel, weiterzukommen, nur noch den Grundsatz, ein gutes Geschäft zu machen, nur die Befriedigung des Konsumierens.“ Die Frage, die wir uns heute vielleicht stellen sollten, ist aber nicht unbedingt die, ob es den besten Partner oder die wahre Liebe überhaupt gibt, sondern vor allem, ob das Suchen des Einen das Finden des Anderen nicht unmöglich macht.
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AUSBLICK
#11 AUSBLICK EBertplatz
NEUER GLANZ Dieser Raum wird einschlagen. Aus Galerie auf Probe, aus einem Zwischenraum ist ein neuer Kunstraum erwacht. GOLD + BETON belebt eine Tradition am Ebertplatz neu – und seit vergangenen Herbst auch dauerhaft. Junge Künstler von Nah und Fern erhalten hier eine unkommerzielle Plattform, sich und ihre Werke zu präsentieren. Und mehr: Der Kunstraum möchte gemeinsame Projekte anstoßen – zwischen jungen und alternativen Künstlerinnen und Künstlern aus internationalen Kunstmetropolen, zwischen allen Disziplinen und allen Kreisen. Ein Netzwerk, das den Dialog zwischen Kulturschaffenden regional, national und international entstehen lässt. Wohl noch mehr und definitiv nicht weniger wollen die drei Menschen dahinter. Meryem Erkus, Vera Drebusch und Andreas Rohde sind eine heterogene Gruppe, die schon im Sommer 2013 bewies, wie eine kulturelle Begegnungsstätte mit Leben befüllt werden kann. Zum Frühjahr schauen wir mit hin und sehen sicher noch mehr Goldenes zwischen all dem Beton.
Hooping
NEUER SCHWUNG Schon einmal „gehoopt“ oder neueres Deutsch: „Hooping“ betrieben? Klingt immer noch komisch. Das ist es allerdings nur, wenn man es nicht kann. Mit dem Hula-Hoop-Reifen fit in den Frühling. Ja, wir machen mal wieder etwas Sport. Und lassen uns inspirieren von den Betreibern von „Hula the Hoop“, mit Hula-HoopDance-Workshops und selbstgemachten Hula-Hoop-Reifen. Denn der Trend aus den 1950ern ist zurück – auch bei uns. Gesund, für jedermann und -frau und zugegeben auch schön zu betrachten: Hula-Hoop-Dance – ein Sport, ein Workout, und auch eine Performance Art.
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