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SCHARFES AUGE UND GRÜNER DAUMEN

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Hereinspaziert!

Hereinspaziert!

VorzweiJahrenzogKarinHeeraufsLand. HeutelebtdieFotografinineinemprächtigen Anwesen.DergrosseGartenistihrReich

Obwohl es leuchtend blau gestrichen ist, übersieht man das Türchen am Baum Winzig klein, befindet es sich in einem Winkel des Stammes der majestätischen Blutbuche, auch Purpurbuche genannt, deren Blätter sich im Jahresverlauf von feurigem hin zu grünemBraunrotverfärben.ZurMini-Türe führt eine Treppe aus kleinen Ästen über flauschiges Moos Zudem lassen sich einige Fundstücke des kleinen Bewohners erkennen: Schneckenhäuser, bemalte Steinchen und ein kleiner Altar für Münzen. Und plötzlich, eines Tages, liegt da auch ein Liebesbrief, verfasst von einem Kind Es muss den geheimnisvollen Ort beim Vorbeispazieren entdeckt haben und erhofft sich nun durchdasPlatzierendesSchreibensvermutlich die Erfüllung eines Herzenswunsches.

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«Es ist ein mystischer Platz», sagt Karin Heer und meint damit nicht nur die farbigenPortale,diehierinnerhalbderletztenMonateeinsnachdemanderenentstanden sind, sondern ihr neues Zuhause insgesamt Im Sommer 2019 zog sie aus Zürich hierher ins Grüne, in den Westen des Kantons.SchonlängerhabesiemitdemGedanken der Stadtflucht gespielt, sich immer wieder Wohnungen angeschaut. «Irgendwannhieltichesdannnichtmehrausinder Stadt»,sagtsie.Zudicht,zuhektischwares ihrdortgeworden «Ichfühltemichzunehmend uninspiriert und sehnte mich nach mehr Ruhe und Natur als Ausgleich zum Arbeitsalltag», sagt die 48-jährige selbständige Fotografin.

Linke Seite: In jedem Raum treffen sorgfältig ausgesuchte Einzel- und Fundstücke auf Designobjekte und kunstvolle Unikate.

Rückzugsmöglichkeiten für alle Darum fackelte sie nicht lange, als sie diese Wohnung im ersten Stock eines über hundertjährigen Hauses mit Umschwung besichtigen konnte Und auch wenn ihr Wegzug nicht mit der Pandemie zu begründen ist,sowarderenAusbruchdanndochdafür verantwortlich, dass sie hier rascher zur Ruhe kam und noch mehr Zeit hatte, sich einzunisten und «auszutoben», als ihr wohl sonst zur Verfügung gestanden wäre Entsprechend dankbar sei sie dafür. Und so ist es ihr zu verdanken, dass auf diesem AnwesenimhinterenWehntalheuteElfenund andere Wesen wie etwa ein Hippie-Zwerg, vor dessen Türchen ein Miniatur-VW-Bus parkiert ist, hausen. Sie seien ebenfalls willkommen,schliesslichwürdenwirMenschen nicht alleine hier wohnen, sagt Karin Heer

Was die anderen Bewohner der Villa –jeneausFleischundBlut–anbelangt,sohat jedeundjedergewisseRückzugsmöglichkeiten. «Alle haben genügend Platz für sich selbst,gleichzeitigfindetaberaucheinsoziales Leben mit gemeinsamen Mittagessen und Wochenend-Brunches statt.»

Links: Das herrschaftliche Fabrikantenhaus beherbergt heute mehrere Wohnungen.

Unten: Selbstgemachtes aus dem eigenen Garten zuzubereiten, bedeutet für Karin Heer eine grosse Freiheit.

Unten links: Lauschiger Schattenplatz: An der Tafel im Garten darf es gerne gesellig werden.

Links: Karin Heer hat ein gutes Händchen für das Einrichten: Alles ruht am richtigen Ort.

Unten: Im Garten stehen Nutz- und Zierpflanzen dicht an dicht. Er liefert einen Grossteil des Gemüsebedarfs

So kann unterhalb der Buche bei der Einfahrt auch mal eine Outdoor-Werkstatt entstehen, wo an schönen Wochenenden malinderGruppeMetalltischegeschliffen, mal an einem Tomatenhaus gebaut wird Ebenfalls im Schutz des dichten Laubs befindet sich eine Tafel, die in der warmen Jahreszeit oft reich und bunt eingedeckt wird. Dass das Tischtuch aus Leinen farblich und vom Material her zu den luftigen Rockkleidernpasst,dieHeersommersgerne trägt, ist natürlich kein Zufall Genauso wenig wie ihre nackten Füsse: «Draussen bewege ich mich am allerliebsten barfuss, dann fühle ich mich abends jeweils richtig aktiviert und lebendig», sagt sie.

In Harmonie mit der Natur Des Gemüse- und Obstgartens hat sich Karin Heer übrigens schon früh nach ihrer Ankunft hier angenommen Im Boden befinden sich Kartoffeln, Kefen, Erbsen und Zucchetti,bereitsvorgezogensindMelonen, Auberginen, Tomaten oder Peperoncini. Undjetzt,daauchdieEisheiligenhinteruns liegen, sind die Vliese ganz weg, und das Gartenjahr kann richtig beginnen «Wir Menschen haben uns meines Erachtens zu stark von der Natur entfernt», sagt die Hobbygärtnerin.

«Selbstangebautes zu essen, bedeutet fürmicheinegrosseFreiheitundUnabhängigkeit.ZudemmachtesmehrFreude,mehr Lustundriechtsogaranders.Vielleichtdeshalb, weil man genau weiss, wie viel Zeit man investiert hat.» Kürzlich hat sie auch einen Permakultur-Kurs absolviert Dort würde sie Tipps und Tricks erhalten, um selbst auf kleinem Raum der Erde etwas zurückzugeben: «Ich lerne, wie ich mich selbst versorgen kann – und zwar ganz in Harmonie mit der Natur.»

Karin Heer wohnt im ersten Stock der ehemaligen Herrschafts- und Fabrikantenvilla, die zum Immobilienbestand eines international tätigen Maschinenbauunternehmens gehört Wer ihre Räumlichkeiten inspiziert, erkennt sofort, mit welchem Gespür für Ästhetik und Stimmungen hier sehr unterschiedliche, aber immer in sich stimmigeRaumsituationenundFarbwelten geschaffen worden sind

Mit Sorgfalt ausgesucht, treffen in jedemZimmerEinzel-undFundstückevon früheren Reisen auf Designobjekte oder eben Handgemachtes. Die Garderobe im Eingangsbereichbeispielsweise,dieumsEck einesehemaligenPersonenliftsverläuft,hat ein Schreiner-Freund eigens für sie angefertigt.AuchdasBettgestellausEichenholzist eineMassanfertigung.AuffallendfürBesucherinnen und Besucher ist zudem das gekonnte Spiel mit Farben und Materialien: Textilien, Vorhänge und Teppiche, aber auch Wandfarben und Fundstücke aus der NaturundnatürlichimmerwiederBlumen und Raumpflanzen – alles passt und wirkt harmonisch, doch niemals überladen. Und auchwennmanchesaufdenerstenBlickzufälligwirkenmag,istdahinterstetsdiekuratierendeSorgfaltderBewohnerinzuspüren Alles ruht am richtigen Ort.

Licht als Medium

«Viel Gewicht messe ich dem Thema Licht bei»,sagtdieselbständigeFotografin,deren vor fünf Jahren gegründetes «Hello-Studio» sich in Zürich Albisrieden befindet. Models wie Auftraggeber, für die sie kommerzielle wie auch Arbeiten im EditorialBereich ausführt, treffen dort auf lichtdurchflutete, saubere Räumlichkeiten und natürliche,hochwertigeMaterialien–selbst die Küche aus dem Möbelhaus wurde mit einermassivenHolzplatteaufgewertet.«So kann etwas entstehen, das immer noch einen eigenen Charakter hat», sagt Heer Sie selbst sieht sich als Macherin Vieles kommt im Moment zustande, so wie die Lichtinstallation, die draussen über dem erwähnten Tisch schwebt Für diese hat Karin Heer einen Ast mit zwei Solarlämpchen ausgestattet und mit Milan-Federn und Glaskristallen behängt. Auch andere Objekte und Installationen im Aussenbereich erzählen eine Geschichte.

Symbol für Lebenskraft

Die Haselsträucher, die für eine KürbisRankhilfe zum Einsatz kamen, hat sie beispielsweise gemeinsam mit anderen Hausbewohnern im Wald gesammelt. Und an Ostern begann sie, auf einer Wiese eine grosseSteinspiralezuerrichten.«DieSpirale ist ein Symbol der Lebenskraft», sagt Karin Heer Die Naturskulptur besteht aus fünf Umrundungen und Dutzenden von Steinen: Feldsteine, grössere Exemplare aus Steinbrüchen und Flussbeeten, sogar ein paar Rosenquarze sind zu erkennen.

Bereits mehrere Kofferraumladungen davon hat Karin Heer aus der ganzen Schweiz nach Hause transportiert. Für sie istdieseArbeitauchein«Projektgegenden Corona-Blues» Und eines ist klar: Das nächste Projekt wird sich bestimmt bald finden. Denn Stillstand ist für Karin Heer keine Option – vielmehr erachtet sie ihr neues Zuhause einfach als liebgewonnenen Spielplatz

Oben:

Spiel mit Farben:

Jede Wand hat einen anderen Ton.

Rechts:

Das Schlafgemach, geschmückt mit Mitbringseln von zahlreichen Reisen

Linke Seite: Lichtdurchflutete Räume und die Möglichkeit, jederzeit nach draussen zu wechseln, sind nach dem Geschmack der Gastgeberin

Die Natur als Vorbild

Permakultur, ein Kofferwort aus «permanent» und «Agrikultur», ist eine Bewegung, die auf drei ethischen Prinzipien basiert, «earth care», «people care» und «fair share» Der Mensch soll den Reichtum seiner Umgebung erkennen und wahrnehmen, nicht nur in der Pflanzen- und Tierwelt, sondern auch im Sozialen. «Die Natur wird als Vorbild betrachtet. Lokale Ressourcen sollen bestmöglich genutzt, die Kreisläufebewusstkleinbehaltenwerden», sagt Daniel Lis vom Verein Permakultur

Permakultur werde oft als «das neue Bio» verstanden «ObwohlLandwirtschaftoder Garten oft als Einstiegspunkt dienen, geht es nicht nur um Selbstversorgung, Heilpflanzen und Wurmkompostierung», sagt Lis. Menschliche Bedürfnisse nach Nahrung, Energie, sauberem Wasser und sauberer Luft sollen gedeckt und die natürlichen Systeme inihrer Funktionerhalten bleiben. Permakultur lässt sich auch auf dem Balkon betreiben oder auf der Terrasse Etwa indem man ein kleines Fruchtbäumchen neben die Blütenpflanzen stellt und so die Diversität hochhält oder rund um Gemüse und Blumen mulcht. (ols.) permakultur.ch

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