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Barbara Zeisl-Schoenberg über Leben und Werk ihres Vaters
Obgleich er in einer Familie aufwuchs, in der die Wahl der Musik als Profession nicht erwünscht war, konnte sich mein Vater, besessen davon Musik zu machen, durch gelegentliche Jobs Unterricht leisten und im Alter von 14 Jahren, ermutigt durch mehrere seiner Lehrer, die Wiener Musikakademie besuchen. Als er 16 Jahre alt war, wurden drei seiner Lieder veröffentlicht. Weitere sollten folgen und in den nächsten Jahren begann Zeisl sich einen Namen zu machen: Viele seiner über 100 Lieder wurden aufgeführt von namhaften Sängern, wie z.B. Alexander Kipnis. Ebendiese frühen Jahre waren eine erfolgreiche Zeit der Liedkomposition für ihn; seine Arbeit war stets eng verwoben mit seinem Gefühlsleben in Wien, mit der österreichischen Landschaft, mit Freundschaften und im Speziellen mit dem Kennenlernen meiner Mutter. Mein Vater und meine Mutter flohen in der „Kristallnacht“ im Jahre 1938 aus Wien. Zeisls Eltern blieben aber in Wien und wurden später in den Konzentrationslagern ermordet. Meine Eltern konnten nach Paris entkommen, wo Darius Milhaud Zeisl förderte und ihn für einen einen Komponisten „du grand talent“ hielt. Dieser Zeitraum wurde zu einem Wendepunkt im Kompositionsstil meines Vaters. Zeisl wurde gebeten die Musik für die Trauerfeier des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth zu schreiben, der im Exil in Paris im Jahr 1939 verstarb, und komponierte somit zugleich die Musik zu dem Stück Hiob/Job, das auf einem Roman Roths basiert, der denselben Namen trägt, und die Geschichte eines Juden, der unter den Pogromen leidet und letztendlich nach Amerika geht, erzählt. Die Arbeit an diesem Stück war eine von zwei Erfahrungen, die grundlegend für die Rückkehr meines Vaters zu seinen tiefsten Wurzeln, seiner jüdischen Herkunft waren und all seine amerikanischen Werke, wohin er im Jahr 1939 emigrierte, waren beeinflusst von dieser emotionalen und seelischen Verbundenheit.
Ich wurde innerhalb weniger Monate nach der Ankunft meiner Eltern in New York geboren, einen Tag vor dem 35. Geburtstag meines Vaters. Zwei Jahre später wurde Zeisl von MGM nach Hollywood eingeladen, um Szenen für die Filmindustrie zu komponieren. Während die meisten seiner Komponistenfreunde glücklich über das wärmere Klima in Los Angeles waren, ermattete die Hitze meinen Vater jedoch – er hatte eine schwere Sonnenallergie – er war durch und durch fehlplatziert im Wüstenklima, wo kalte Bäche und Wasserfälle durch Palmen und Hitze, einen ewigen Sommer, ersetzt wurden. In einem Interview für die LA Times im Jahr 1950, schrieb Zeisl: „Ich war ein Produkt der alten Welt. Ich konnte das nicht ändern, selbst wenn ich es gewollt hätte.“ Ich kann mich erinnern wie meine Eltern in unserem Zuhause zahlreiche Musiker und österreichische Prominente, gute Freunde wie die Korngolds, Henreids oder Premingers, zu Gast hatten.
Zeisl war sehr unglücklich damit, nur kurze Szenen für Filme zu komponieren und verließ somit MGM. Fortan lebte er davon, Studenten privat zu Hause zu unterrichten. Später, empfohlen von Igor Stravinsky, konnte sich Zeisl glücklicherweise eine Professur am Los Angeles City College sichern, wo er bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1959 unterrichtete.
Besonders zeichnend in diesen Nachkriegsjahren, in Bezug auf seine Kammermusik, insbesondere seine „Brandeis-Sonate“ Violine, war eine „musikalische, lebensverändernde“ Erfahrung. Er wurde “composer in residence” am Brandeis Camp Institute, einem Sommercamp für talentierte, junge, jüdische Studenten im College-Alter und Lehrkörper. Inspiriert von „Folksongs“, zu denen während des Camps getanzt und gesungen wurde, komponierte mein Vater einige seiner bedeutendsten Kammermusik Stücke, u.a. seine Violinsonate, betitelt „die Brandeis Sonate“, die zum ersten Mal von Israel Baker und Yaltah Menuhin aufgeführt wurde, sowie seine Sonaten für Viola und Violoncello. Vor allem die zweiten Sätze drücken die tiefe Traurigkeit aus, die mein Vater durch den Verlust seiner Eltern im Konzentrationslager verspürte, und sind besonders bewegend für mich, wegen ebenjener tiefen Traurigkeit, die sie ausdrücken. Tatsächlich erinnere ich mich daran, wie er diese beiden Stücke am Klavier komponiert hat und wie er die Teile, die er gerade fertiggestellt hatte, für meine Mutter (und mich) spielte. Ich denke oft zurück an diese Zeiten und wie privilegiert ich mich jetzt fühle, weil ich sie erlebt habe.