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Jessica Duchen: Das Ende einer Ära?
DAS ENDE EINER ÄRA? Jessica Duchen
Erich Wolfgang Korngold wurde 1897 in Brno geboren und begann seine musikalische Laufbahn als hochbegabtes kompositorisches Wunderkind. Im Alter von neun Jahren erkannte Gustav Mahler bereits sein Talent, mit elf Jahren verblüffte er Komponisten wie Humperdinck, Saint-Saëns und Richard Strauss. Als Korngold sodann mit 13 Jahren an der Wiener Hofoper seine Ballett-Pantomime Der Schneemann vor dem gesamten Hofstaat aufführen konnte, wurde seine außerordentliche Begabung mit Mendelssohn und Mozart verglichen. Manche reagierten auch mit Fassungslosigkeit, wie der Kritiker der New York Times, der nach der Aufführung des Klaviertrios Op.1, welches Korngold mit zwölf Jahren komponiert hatte, meinte, dass ein kleiner Bub dieses Alters, der lieber Musik dieser Art komponiere anstelle sich einfacher Volksmusik hingeben oder im Park spielen würde, ehestens einen Spezialisten konsultieren müsse.
Unglücklicherweise war das Wunderkind der Sohn des mächtigen Musikkritikers Julius Korngold, der Eduard Hanslick bei der einflussreichen Zeitung Neue Freie Presse nachfolgte. Erich war vier Jahre alt, als sein Vater diesen Posten übernahm, dessen Einfluss die Karriere des jungen Komponisten überschattete und zu oftmaligen Rückschlägen und Skandalen führte, gleichsam gefangen im atmosphärischen Niederschlag der vernichtenden Urteile und Kritiken des Vaters. Wiens KaffeehausTratsch ging sogar soweit zu behaupten, dass der Vater nur solche Musiker lobte, die die Werke seines Sohnes aufführten, und vice versa jene Künstler verdammte, die es nicht taten. Andere wiederum verdächtigten Julius Teile der Werke seines Sohnes komponiert zu haben, was der Vater mit den Worten konterte: „Wenn ich solche Musik schreiben könnte, wäre ich kein Kritiker.“ Das Zensur-Gehabe des Vaters traf auch das kompositorische Werk des Sohnes, geschweige denn dessen persönliches Leben. In seinem Drang den jungen Teenager von „listigen“ Mädchen fernzuhalten, die ihm vom Komponieren abhalten könnten, zerstörte Julius die Hoffnung des Sohnes seine Vier kleinen fröhlichen Walzer zu veröffentlichen, jeder Walzer ein Porträt einer von Erichs Freundinnen. Der zweite Walzer war Margit „Manzi“ Ganz gewidmet, der Tochter des Journalisten Hugo Ganz. Die Walzer hatte Korngold 1911 im Alter von 14 Jahren komponiert. Er übernahm den „Manzi“-Walzer schließlich im Trio-Teil des Scherzos der Sonate für Violine und Klavier Op. 6.
Der Walzer wurde auch in die vorliegende Aufnahme aufgenommen, ebenso das Lied Schneeglöckchen, welches die Grundlage für die Variationen des Finales der Sonate bietet. Auch dieses Lied entstammte aus einem Zyklus, den Julius erfolgreich unterdrücken konnte. Erich hatte die 12 Lieder auf Texten von Eichendorff dem Vater als Geburtstagsgeschenk am 24. Dezember 1911 überreicht, und zwar mit dem Hinweis: „So Gott und Papa will ...“ – Papa wollte nicht. Fünf Jahre später überarbeitete Erich drei dieser Lieder,
auch das Schneeglöckchen, als Teil des Zyklus Einfache Lieder, Op. 9, in welchen der melodische Charme voll zur Geltung kam. Korngolds allzu praktische Gabe, eigene musikalische Ideen neu zu arrangieren, geht also zurück auf seine Zeit als Teenager, später entwickelte er diese Kunst in beide Richtungen zwischen Konzertmusik und Filmmusik.
Korngolds Sonate für Violine und Klavier, Op. 6 wurde 1913 publiziert. Er komponierte sie für zwei der berühmtesten Musiker seiner Zeit, Carl Flesch und Artur Schnabel. Schnabel hatte sich schon erfolgreich mit Korngolds Klaviersonate Op. 2 auseinandergesetzt, möglicherweise hatte er auch die Idee zu einer Sonate für Violine und Klavier. Mit Musikern gesegnet, die jede Herausforderung annehmen konnten, konnte Korngold ohne Einschränkung aus dem Vollem schöpfen. Die vorliegende Sonate ist ein reifes Kunstwerk, aufgeladen mit unerschöpflichen Ideen, die die Musiker an die Grenzen ihrer Technik drängen. Ähnlich wie Richard Strauss, einer seiner großen Vorbilder, behandelt Korngold die Violine wie eine Sopranstimme und das Klavier wie ein Orchester.
Der erste Satz ist gleichsam eine symphonisch angelegte Sonatensatzform, er entfaltet eine große Intensität und ist durchtränkt von anspruchsvollen und weit ausholenden, wilden harmonischen Abenteuern. Der zweite Satz ist ein Scherzo im Gestus eines Johannes Brahms – ein scheinbar launenhafter Satz, der aber ein äußerst substanzreicher Teil des Werkes wurde. Sein Trio-Abschnitt transformiert die Ideen des „Manzi“-Walzers in einen mysteriösen Kontrast wie aus einer anderen Welt. An dritter Stelle erscheint ein reich gestaltetes Adagio, komponiert mit der für Korngold typischen Aufeinanderfolge von Flut und Ebbe als Mittel der kontrastreichen Gegenüberstellung, versehen mit Harmonien, die an Schreker und Berg gemahnen. Dieses Ausloten der harmonischen Grenzen macht Korngolds Musik so spannungsgeladen (sein Vater war aber immer bedacht, dass Erich diese Grenzen nicht überschreite). Der Finalsatz ist aus einer Reihe von erfindungsreichen Variationen auf das Lied Schneeglöckchen gebildet: die Idee der Verbindung von Lied und Kammermusik ist auf Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ zurückzuführen und fand auch weitere Nachahmer in Schumann und Brahms. Korngold hat dieses Verfahren auch noch in seinem Klavierquintett Op. 15 einige Jahre später angewandt. Nach der Uraufführung der Violinsonate im Jahr 1913 haben auch andere Violinvirtuosen seiner Zeit das Werk ergründet, unter anderen Paul Kochanski, George Enescu and Adolf Busch. Hitlers Verbot von jüdischen KomponistInnen beendete den erfolgreichen Weg des Werkes und seines Schöpfers – mit ihm eine große Anzahl an weiteren KünstlerInnen seiner Zeit, die dem Konzertrepertoire von Zentraleuropa für lange Zeit verlorengingen.
Großartige Aussichten und schreckliche Rückschläge gehören zur Lebensgeschichte Korngolds. Erich kam aus einer assimilierten jüdischen Familie, er war vorerst politisch zu naiv, um zu verstehen, dass Hitlers Rassengesetze ihn auch treffen könnten. Es ist daher als Glücksfall zu bezeichnen, dass der Theater-Regisseur Max Reinhardt aufgrund der Machtübernahme Hitlers
nach Amerika ging und 1934 Korngold nach Hollywood einlud, um die Musik Mendelssohns zu „Ein Sommernachtstraum“ aus einer bereits bestehenden Bühnenversion für den Film zu bearbeiten. Jack Warner, Mitbegründer des Warner Bros. Studios, erkannte rasch das Potenzial Korngolds für die Filmmusik – und daher war Korngold wieder in Hollywood, um die Musik zu „The Adventures of Robin Hood“ (mit Errol Flynn und Olivia de Havilland) zu schreiben, zur Zeit von Österreichs „Anschluss“ an das Deutsche Reich.
Korngold konnte seine Eltern und seinen älteren Sohn, der noch in Wien zur Schule ging, retten und nach Amerika holen, aber die Zeit des Exils gestalteten sich beschwerlich und deprimierend – entgegen seinem äußerlich sichtbaren Erfolg. Nach dem Krieg kehrte er zu Werken für den Konzertsaal zurück, sein romantischer Gestus – sein persönlicher Stil, dem er sein ganzes Leben gefolgt war – wurde als altmodisch empfunden. Auch rümpfte man die Nase und man blickte herablassend auf die Filmmusik und deren Anklänge hernieder. Hollywood hatte Korngolds Leben gerettet und ihm ermöglicht Verwandte, Freunde und Nachbarn vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren. Jetzt sah es aber so aus, als wenn dieses Schicksal auf seine künstlerische Entwicklung eine gegenteilige Auswirkung gehabt habe. Korngold verstarb 1957 an Gehirnblutung im Alter von 60 Jahren. Sein älterer Sohn Ernst (Ernest) erzählte der Autorin, dass sein Vater das Gefühl hatte, als ob seine früheren Erfolge jemand anderem gegolten haben. Die Gehässigkeit, welche Korngold und vielen seiner Generation jahrzehntelang entgegenschlug, hatte verschiedene Ursachen – stilistische Vorurteile, Überheblichkeit, Ignoranz oder Antisemitismus (Amerika war viel belastbarer jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, als dies oft behauptet wird, während in Österreich viele Nazis noch in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hohe Posten innehatten). In einem Brief aus dem Jahr 1952 schrieb Korngold, dass seine neue Symphonie (in Fis) „der Welt beweisen“ werde, dass „Misstönigkeit und ‚Modernismus‘“ ohne Inspiration, Form, Ausdruck, Melodie und Schönheit „nicht das Heil der Musik darstellen müssen.“ Mit einem angemessenen Abstand betrachtet und im Rückblick kann man sich fragen, ob er – vielleicht – doch Recht hatte.
Autor des Textes Jessica Duchen / Odradek Records, LLC ist im Besitz einer Creative Commons-Namensnennung-Keine Bearbeitungen-4.0 Internationalen Lizenz. Genehmigungen, die über den Geltungsrahmen dieser Lizenz hinausgehen, kann man bei www.odradek-records.com erhalten.