ÖGB aktuell 3448

Page 1

3448 l Dezember 2018

www.oegb.at

Inklusiv e

I N FO

zu Urlau bs Weihnac - und ht zum Auf sgeld hängen

Notstandshilfe – Mindestsicherung

W!NKERL

Was dahinter steckt

Laut Regierungsprogramm wird die Notstandshilfe abgeschafft. Für Familien mit Kindern soll es weniger Mindestsicherung geben. Unternehmervertreter schreien nach mehr Arbeitskräften von außerhalb der EU. Arbeitslose sollen deutlich schlechtere Jobs annehmen müssen, als sie zuvor hatten. 12-Stunden-Tage sollen ebenso zumutbar sein wie stundenlange Anfahrtswege zur Arbeit – das Privatleben spiele sich laut einer Ministerin ohnehin auf Facebook ab. Schlecht ist das alles für Arbeitslose, denn die werden (wie beim deutschen Hartz-IV-System) in einen wachsenden Billiglohnsektor gedrängt, und die Ausbildung war vergebens. Schlecht ist das auch für viele, die einen Job haben, denn wer traut sich noch zu protestieren oder eine Gehaltserhöhung zu verlangen, wenn bei Arbeitsverlust der soziale Abstieg droht? Was steckt also hinter all den Plänen der Regierung? Der Wunsch der Unternehmen und Konzerne: Sie wollen niedrigere Löhne zahlen und höhere Gewinne abschöpfen – auf Kosten der arbeitenden Menschen!

❮ Florian Kräftner

Es kann alle treffen! 950.000 Menschen – also fast ein Drittel aller Beschäftigten in Österreich – sind einmal im Jahr arbeitslos. Wird die Notstandshilfe abgeschafft und in das Arbeitslosengeld eingegliedert, stehen 121.000 arbeitslose Menschen zusätzlich ohne Versicherungsleistung da. Mit dem ÖGB-WhatsApp-Kanal auf dem Laufenden bleiben:

www.oegb.at/whatsapp


Arbeitslosengeld: Was ist das?

Jede/r kann im Laufe des Arbeitslebens den Arbeitsplatz verlieren. In diesem Notfall springt die Arbeitslosenversicherung ein. Jede/r ArbeitnehmerIn, der/die über der Geringfügigkeitsgrenze verdient, ist in der Arbeitslosenversicherung versichert und erhält unter bestimmten Voraussetzungen eine Geldleistung in der Höhe von 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Anspruch hat grundsätzlich jede Person, die: ■■ arbeitslos, arbeitswillig und arbeitsfähig ist, ■■ der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, ■■ zur Aufnahme einer Beschäftigung in einem bestimmten Mindestausmaß (mindestens 20 Wochenstunden, Ausnahmen bei z. B. Kinderbetreuung) bereit ist, ■■ eine gewisse ­Mindestbeschäftigungs­dauer nachweisen kann und ■■ die maximale Bezugsdauer (mindestens 20 Wochen) von ­Arbeitslosengeld nicht bereits ausgeschöpft hat.

Notstandshilfe: Was ist das?

Die Notstandshilfe kommt zum Einsatz, wenn Arbeitslose keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr haben. Sie muss nach spätestens 52 Wochen neu bewilligt werden und kann zeitlich unbegrenzt ausbezahlt werden. Betroffene erhalten Notstandshilfe, wenn sie der Vermittlung am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wer Notstandshilfe bezieht, hat keinen Berufsschutz und muss jede Beschäftigung in Betracht ziehen. Grundsätzlich beträgt die Höhe der Notstandshilfe zwischen 92 bis 95 Prozent des Arbeitslosengeldes. Notstandshilfe-BezieherInnen sind kranken- und pensionsversichert, außerdem wird das PartnerInneneinkommen seit 1.7.2018 nicht mehr auf die Höhe angerechnet.

Bedarfsorientierte Mindestsicherung: Was ist das und wer bekommt sie?

Die „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ (früher Sozialhilfe) bildet das unterste soziale Netz in Österreich und wird Menschen gewährt, die für ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft nicht mehr aufkommen können. Personen, die arbeitsfähig sind, müssen ihre Arbeitswilligkeit unter Beweis stellen, sich beim AMS vormerken lassen und somit zum „Einsatz der Arbeitskraft“ bereit sein.

Wie hoch ist die Mindestsicherung?

Alleinstehende Personen bekommen ab 2019 maximal 863 Euro pro Monat, Paare rund 1.208 Euro. Für Kinder gibt es künftig gestaffelte Beträge: für das erste 25 Prozent, für das zweite 15 Prozent und ab dem dritten Kind 5 Prozent der vollen Höhe (863 Euro) der Mindestsicherung.

"Keiner Mindestpensionistin geht es besser, wenn es einer kinderreichen Familie schlechter geht. Menschen gegeneinander auszuspielen, halte ich für gefährlich." CARITAS-PRÄSIDENT MICHAEL LANDAU

Wieviel Menschen beziehen Mindestsicherung?

2017 haben rund 307.900 Menschen Mindestsicherung bezogen. Der Großteil bezieht eine Ergänzungsleistung. Dabei handelt es sich um Menschen, die ein geringes Einkommen (Gehalt, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe) haben, das aber nicht zum Überleben ausreicht. Dieses können sie mit einer Teilleistung aus der Mindestsicherung "aufstocken". Die jährlichen Kosten lagen im Vorjahr bundesweit bei knapp einer Milliarde Euro (zum Vergleich: Insgesamt betragen die Sozialausgaben rund 110 Mrd. Euro, der Anteil für die Mindestsicherung sind 0,9 Prozent der Sozialausgaben). Sozialausgaben insgesamt

Anteil für die Mindestsicherung

Wohnung und Sparbuch weg

110 Mrd. Euro

0,9 %

Die Mindestsicherung soll österreichweit einheitlich werden. Die Regierung will die Leistungen kürzen und AusländerInnen schlechter stellen – in Wahrheit sind aber alle betroffen, auch ÖsterreicherInnen. In Zukunft wird für die Mindestsicherung jedes Vermögen über einer Grenze von 5.200 Euro angerechnet. Das betrifft nach einer Wartefrist die eigene Wohnung, das kleine Haus oder das Ersparte. Die Regelung hat auch Auswirkungen auf Personen, die nach dem Bezug der Mindestsicherung wieder


DAS PLANT DIE REGIERUNG Abschaffung Notstandshilfe + Kürzung der Mindestsicherung = Hartz IV

Versicherungsleistung vs Sozialleistung Österreich zeichnet sich durch eine hohe soziale Absicherung aus, die Menschen in bestimmten Lebenslagen wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Familiengründung, Pension im Alter etc. gezielt unterstützt. Davon profitiert jede/r einzelne sowie die gesamte Gesellschaft. Ohne diese Leistungen wären mehr als dreimal so viele Menschen in Österreich armutsgefährdet. Um eine Versicherungsleistung zu erhalten, müssen im Vorhinein Beiträge einbezahlt werden, um einen Anspruch zu erwerben. Kurz gesagt: Jede/r, der/die in eine Versicherung einbezahlt, hat das Recht, im konkreten Fall unter bestimmten Voraussetzungen seine/ihre Versicherungsleistung zu erhalten. Versicherungsleistungen sind z. B. das Arbeitslosengeld, die Notstandshilfe oder die Pension, aber auch Krankengeld. Sozialleistungen sollen Einkommensungleichheiten sowie Armut und Ausgrenzung verringern. Personen, die unter bestimmten Voraussetzungen anspruchsberechtigt sind, erhalten daher vom Staat eine entsprechende Unterstützung. Sozialleistungen sind z. B. die Mindestsicherung, Familienbeihilfe, Pflegegeld, Wohnbeihilfe etc.

einen Job finden, denn das Land bleibt beispielsweise bei der Wohnung im Grundbuch, bis die Unterstützung wieder zurückgezahlt wurde.

"Der Vorschlag zur Mindestsicherung ist ein Bekenntnis zu Verschärfung von Kinderarmut." VOLKSHILFE-DIREKTOR ERICH FENNINGER

Außerdem erwerben MindestsicherungsbezieherInnen keine Pensionsansprüche. Die Anrechnung des Partnereinkommens – bei der Notstandshilfe gerade erst abgeschafft – würde durch die Hintertür wieder eingeführt werden. Obwohl sie Versicherungsbeiträge einbezahlt haben, fallen bei der Abschaffung der Notstandhilfe bis zu 121.000 Personen aus diesem sozialen Sicherheitsnetz.

Die Regierung behauptet, für „mehr Fairness“ zu sorgen. Aber stimmt das? Sie betont: „Es kann nicht sein, dass Österreicher, die ihr Leben lang ihren Beitrag geleistet haben, weniger oder gleich viel vom Sozialstaat bekommen, wie Zuwanderer, die erst seit kurzer Zeit in Österreich leben." In Wahrheit sind aber alle betroffen, vor allem ÖsterreicherInnen. Rund 80 Prozent der NotstandshilfebezieherInnen sind ÖsterreicherInnen. Laut Regierungsprogramm soll die Notstandshilfe gestrichen und in das Arbeitslosengeld integriert werden. Dieses soll degressiv gestaltet werden. Je länger man arbeitslos ist, desto niedriger wird es. Wenn man länger arbeitslos ist, dann fällt man nicht wie bisher in die Notstandshilfe, sondern kann nur die Mindestsicherung beantragen. Laut einer Studie des Finanzministeriums würden bei der Abschaffung der Notstandshilfe 160.000 Personen mehr von Armut betroffen sein. Sie sind dann auf Mindestsicherung angewiesen. Aber auch diese wird gekürzt. Die Mindestsicherung wird dann maximal 863 Euro für Einzelpersonen betragen. 300 Euro davon erhalten Personen nur mit Pflichtschulabschluss in Deutsch oder wenn sie Voraussetzungen wie das Deutschniveau B1 oder Englischlevel C1 erfüllen. Wer nicht ausreichend Deutsch kann, bekommt nur 563 Euro. Insbesondere ab dem dritten Kind wird gekürzt.

Wen trifft das? Wird die Notstandshilfe abgeschafft, leiden vor allem jene darunter, die lange gearbeitet haben, bevor sie arbeitslos geworden sind. Statt der Notstandshilfe, für die sie jahrelang Versicherungsbeiträge bezahlt haben, bekommen sie dann nur mehr die Mindestsicherung als Sozialleistung, was zusätzlich zu Einbußen in der Pension führt, weil keine Pensionsersatzzeiten wie beim Arbeitslosengeld oder der Notstandshilfe erworben werden. Für GutverdienerInnen ist der Unterschied dann besonders hoch. Die Mittelschicht ist ebenso stärker betroffen, da sie erst ihr Erspartes zum großen Teil aufbrauchen wird müssen, bevor sie die Mindestsicherung beantragen kann. Werden Frauen von der Notstandshilfe in die Mindestsicherung gedrängt, bedeutet das vor allem für sie die Anrechnung des Partnereinkommens, die erst vor kurzem bei der Notstandshilfe abgeschafft wurde. Statt Eigenständigkeit wären sie wieder vom Ehemann bzw. vom Lebensgefährten abhängig.


FAKTENCHECK NOTSTANDSHILFE BEZOGEN 2017

157.500 Menschen

fast 80 % davon sind ÖsterreicherInnen

MINDESTSICHERUNG BEZOGEN 2017

307.900 Menschen

Zwei Drittel sind „Aufstocker“. Dabei handelt es sich um PensionistInnen, Kranke, Behinderte oder Erwerbstätige, die ein so geringes Einkommen (Gehalt, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe) haben, das nicht zum Überleben reicht. Dieses können sie mit einer Teilleistung aus der Mindestsicherung „aufstocken“. 28 % sind arbeitslos (stehen also dem Arbeitsmarkt zur Verfügung).

WORAUF KINDER AUS MINDESTSICHERUNGS-HAUSHALTEN VERZICHTEN MÜSSEN Sport- und Freizeitgeräte für draußen

17

regelmäßige mit Kosten verbundene Freizeitaktivitäten Feste feiern

38

9

Einladung an FreundInnen

19 Haushalt mit BMS-Bezug in %

Teilnahme an Schulaktivitäten und Schulfahrten 19

NACHRICHTENDIENST ZVR-Nummer: 576439352

Herausgeber: ÖGB, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Leitung: Andreas Berger Redaktion: Barbara Kasper, Florian Kräftner Alle: 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 Tel.: 01/534 44-39263, Fax: 01/534 44-39916, E-Mail: presse@oegb.at Medieninhaber und Hersteller: Verlag des ÖGB GmbH 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 Layout: Reinhard Schön Bildredaktion: ÖGB Kommunikation,

Fotos: GPA djp, Hauptverband der österr. Sozialversicherungsträger/APA-Fotoservice/ Hörmandinger, Illustration: Kostenlose Vektorgrafiken von https://de.vecteezy.com Jahres-Abo: € 21,80 (Einzelnummer € 1,05 + Versand) Zu bestellen unter Tel. 01/534 44-39738 Verlags- und Herstellungsort: Wien Adressänderungen: Tel.: 01/534 44-39100, E-Mail: service@oegb.at, Mo bis Do: 8.00–16.30, Fr: 8.00–12.00 Uhr Offenlegung gemäß Mediengesetz, § 25: www.oegb.at/offenlegung

Österreichische Post AG MZ 02Z031767 M ÖGB-Verlag, 1020 Wien, Johann Böhm Platz 1

Retouren an PF 100, 1350


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.